Beiträge von Hannibal



    Ob die Besucher Zeit hatten oder nicht, ob es eilig war oder nicht, darum kümmerte sich der Ianitor nicht sonderlich herzlich. Als er das Klopfen vernahm, sah der Ianitor von einem kleinen Fingerspiel auf, das ihm eine Sklavin gegeben hatte. Schon den ganzen Vormittag grübelte er an den zwei Holzklötzen und dem Seil, das ein scheinbar unentwirrbaren Knoten bildete. Wie er den Knoten lösen konnte ohne seinen Dolch, dahinter war Acanthus noch nicht gekommen. Er erhob sich und legte das Spiel zur Seite. Mürrischen Blickes öffenete er die Tür. "Ja?"

    Der Nachmittag an jenem Tage zeigte sich schon nicht mehr von seiner jüngsten Seite. Die Sonne war schon hinter der nächsten Baumgruppe weiter gezogen und beleuchtete nicht mehr die schmalen Fenster des Sklavenunterkunft. Die düsteren Ecken in der Unterkunft waren größer geworden. Die Öllampen erhellten den Raum nur mässig. So flackerte der Schatten auf dem Gesicht von Hannibal. Just als er die Frage von Cassim vernahm und ihn ausdruckslos musterte. Der Glanz in seinen Augen war von dem Zwiellicht in dem Raum verborgen. Flucht? Flucht wovor? Vor der Sklaverei, die er immer so gekannt hatte? Hannibal schwieg und betrachtete die Gesichtszüge des Parthers. Der Mann hatte etwas von einem der wilden Raubtiere, die gefangen genommen worden waren. Gerade in der ersten Zeit waren sie gefährlich. Jeder Hieb konnte tödlich sein und sie versuchten immer wieder zu flüchten. Indem sie ihre schweren Körper unaufhörlich gegen die Gitterstäbe warfen. Egal, ob es sinnlos war oder nicht. Doch selbst nachdem sie sich scheinbar nach langer Zeit beruhigt hatten, würden sie nicht aufgeben und waren nicht minder gefährlich. "Das werde ich nicht. Dich verraten. Es ist Dir oblassen, zu fliehen oder nicht. Zumindest, es zu versuchen. Wie auch Du die Verantwortung für Dein Tun tragen musst. Und wenn Dich der Weg an das Kreuz führt." Was nicht unwahrscheinlich war, wenn man als flavischer Sklave floh. Das erste Mal vielleicht noch nicht gleich, aber ein zweites Mal würde das wohl nicht toleriert werden. Zumindest nicht, als Hannibal noch in Baiae gelebt hatte. Dort waren die geflohenen Sklaven sogar schon beim ersten Versuch an das Kreuz gehängt worden.


    "Ich war schon mein ganzes Leben lang ein Sklave. Ich bin in Baiae aufgewachsen, wo auch unser Herr gross geworden ist. Natürlich habe ich mir schon oft gewünscht, auch ein anderes Leben zu erfahren." Hannibal fixierte einen flüchtig umher tanzenden Schatten an einer der Wände. "Er hat es mir früher einmal versprochen. Dass ich eines Tages die Freiheit erhalte. Ich glaube mittlerweile nicht mehr daran." Es war das erste Mal, dass Hannibal das aussprach. Aber in den letzten Monaten war es für ihn zur Gewissheit geworden. Zur scheinbaren. Er sah von der Wand zu Cassim zurück. "Wohin sollte ich fliehen, Cassim? Was bringt mir eine Flucht? Vermagst Du mir das zu beantworten? Müsste ich nicht mein Leben lang auf der Flucht sein?" Keine Vorstellung, die ihm sonderlich behagte. Er war nun mal in Italien geboren worden und hier wollte er auch gerne weiter bleiben. Es war seine Heimat. Eine Andere hatte Hannibal nicht.

    Sim-Off:

    Man tut. Kein Problem, da er (Hannibal) selber immer etwas länger braucht. ^^


    Die Augen von Hannibal ruhten auf dem Parther, den er unverhohlen musterte. Als selbiger der Magd hinter her sah. Die Züge waren vom Schmerz noch verzerrt, dennoch zeigte sich erneut dieser Stolz. Der selbst in der Ohnmacht unter dem Messer des Medicus nicht gewichen war. Vielleicht war das auch der besondere Reiz, dem diesem Parther anhaftete und den durchaus schon attraktiven und markanten Gesichtszügen noch etwas besonderes verlieh. Nun gut, werte Leser, die sich bemühen, diese Zeilen zu verfolgen, mancher wird sich noch erinnern, dass Hannibal nun mal etwas für die störrischen Rebellen übrig hatte. Doch Hannibal gedachte nicht, Cassim länger zappeln zu lassen und ihm das Wasser zu verwehren. Er griff nach Cassims Oberarm und an seiner anderen Schulter und half ihm, sich aufzusetzen, mit einer Hand stützte er ihn und zog das mit Stroh gefüllte Kissen heran, um es in den Rücken von Cassim zu stopfen, damit jener etwas erhöhter sitzen konnte. Gleichzeitig verfolgte Hannibal mit seinen Augen die Gesichtsregungen von dem Parther. Das musste ganz schön höllisch weh tun, aber der Mann behielt eine bewundernswerte Fassung. Eben ein Mann mit Stolz. Hannibal lächelte schief und griff nach dem Becher, um ihn an Cassim weiter zu reichen.


    "Du wirst die Verwundung bestimmt gut überstehen!" Obwohl sie in den letzten Wochen so schlecht versorgt worden war. Aber Cassim schien ihm ein Mann zu sein, der robust war und einiges vertragen konnte. Somit war Hannibals Optimismus nicht nur geheuchelt, sondern ehrlich. Hannibal lehnte sich etwas zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Augen immer noch unverwandt auf dem Parther gerichtet. Hannibal sah zwar nicht dorthin, wo er eben den Becher ergriffen hatte, aber er wusste, das genau dort auch das Rasiermesser lag. Was er bei Cassim vor wenigen Stunden gefunden hatte. Wahrscheinlich hatte es Cassim bei seiner Bewegung vorher auch gesehen. Vielleicht auch nicht. Jetzt sah Hannibal doch hinüber und musterte die scharfe Klinge etwas länger. "Du kannst sie später wieder in das Badezimmer bringen. Oder auch nicht. An Waffen wirst Du hier überall heran kommen, Cassim. Ob es ein Fleischermesser aus der Küche ist, das Fallbeil vom Hinterhof oder das Messer aus dem Bad. Aber ob das zu einer Flucht reicht, wage ich zu bezweifeln." Hannibal zuckte mit der Schulter. So wie er den Mann einschätzte, vermochte Cassim auch den Sklaven, die sich ihm in den Weg stellten, ohne Waffen schwer zu verletzen. Schließlich schien Cassim ein Soldat zu sein, wenn Hannibal auch nicht ganz verstanden hatte, was für eine Einheit gemeint war. "Wenn Du sie behälst, ist mir das auch egal." Hannibal sah gelassen und ruhig zu dem Parther und betrachtete dessen Gesichtszüge.

    So rief die Arbeit erst mal. Eine Arbeit, die Hannibal nicht schätzte, schließlich war er ein Sklave, der sonst höhere Aufgaben erledigte. Doch hin und wieder musste er den artigen Diener spielen, um es nicht nicht noch zur Gänze mit seinem Herrn zu verscherzen. Tatsächlich trug er den Korb mit dem Essen hinter her, selbst wenn er nicht ein Gladiator von der Statur war, so konnte er doch sicherlich mehr tragen als die beiden Sklavinnen, die das Essen auf Geheiß von Epicharis zusammen gestellt hatten. Interessiert beäugte Hannibal, was denn so an Speisen geboten wurde. Währenddessen half er natürlich selber, jene Speisen den Beiden zu servieren. Nach einigen Minuten war auch das geschafft und ein Handwinken von Aristides entließ ihn dann auch wieder. Etwas erleichtert, dem zu entkommen, richtete sich Hannibal auf und winkte auch Fiona, dass sie ihm folgen möge. Alleine essen würden die beiden Herrschaften hoffentlich können.


    Seine Sandalen drückten das Gras herunter als er über die blühende Wiese hinüber ging und unter den Schatten der Bäume trat. Er warf Flavius und Claudia noch einen Blick zu ehe er sich abwandte. "Ich denke, wir haben jetzt auch ein wenig Pause. Lass' uns ein wenig durch den Garten gehen. Du kennst ihn sicherlich noch nicht." Selbst wenn Hannibal das als Feststellung formulierte, war doch ein fragender Unterton zu vernehmen. Er strich einige tief hängende Zweige einer Trauerbuche zur Seite und trat auf einen kaum begangenen Pfad, der sich zwischen hohen Büschen und lieblichen blühenden Blumen erstreckte. Über ihnen in den Zweigen zwitscherten die Vögel und die Insekten um summten die blühenden Kelche, die überall aus dem üppigen Grün heraus sprossen. Gleichwohl die Sonne eigentlich gute Laune bescheren sollte, war immer noch der Schatten der Melancholie über Hannibals Seele. Gedanken verloren strich er mit seinen Fingern über die eine oder andere Pflanze und folgte dem Pfad.


    Ein Fenster offenbarte sich zwischen den dichten Zweigen eines dichten Gebüschs. Und zwischen den Ästen konnte man die roten Dächer von Rom erkennen. Kuppeldächer, spitze Dächer, flache Dächer, zahlreiche Formen boten sich dem Auge dar. Und dazwischen lagen die verwinkelten Straßen von Rom. Hannibals Hand erweiterte das natürliche Fenster ein wenig und er sah auf die Stadt hinab. "Schön, nicht wahr?" Sein Gesicht zeigte kein Lächeln. Ernst sah er auf die Stadt hinunter und wandte sich dann zu Fiona. "Was hälst Du von einem kleinen Ausflug in die Stadt? Die Beiden werden sicherlich noch ein wenig beschäftigt sein und unsere Abwesenheit bestimmt nicht bemerken." Ein wenig diabolisch leuchtete es in den braunen Augen von Hannibal bei jenem Vorschlag.

    "Oh!"
    - Das war jetzt aber ein reichlich dämlicher Ausdruck, Hannibal, der Junge... Nicht Junge, er ist schließlich ein fescher Soldat, also Mann... - Gut, Mann! Also, der Mann gesteht Dir seine Liebe und Du sagst: 'Oh!'? So oder ähnlich war der erste Wettstreit, der in Hannibals Kopf tobte, gleichwohl schon andere Stimmen darum wetteiferten gehört zu werden. Aber moment mal, wir wollen doch nicht überstürzen und fangen lieber ganz von vorne an, schön der Reihenfolge nach, denn noch lag Hannibal nicht halb unter Faustus begraben, noch hatte er nicht jenen seltsam anmutenden Laut von sich gegeben...


    Nur ein klein wenig zuvor:
    An seinen Händen spürte Hannibal die weiche und vom Fluss getränkte Borke des Baumstammes, an den er sich nun lehnte und unschlüssig Faustus betrachtete. Sollte er es ihm sagen? Einfach raus mit der Wahrheit! Doch Hannibals Lippen konnten sich nicht öffnen. Sie konnte nicht die Worte formulieren, die die Wahrheit offenbart hätten. Hannibal war dann doch zu sehr besorgt, dass Faustus lachen könnte. Auf gut Latein, Hannibal hatte schlicht Angst. Zudem war er sich sicher, dass Faustus etwas ganz bestimmtes in ihm sah. Etwas, was Chrysantha zerstören könnte. Aber eigentlich hielt Hannibal es lieber mit der Wahrheit. Erneut wollte er dazu ansetzen. Sein Mund wollte schon die Sätze formulieren, doch die Worte von Faustus brachten Hannibal dann völlig aus dem Konzept. "Frau als Mann?" Verwirrt runzelte Hannibal die Stirn. "Nein...", murmelte er und versuchte ein drittes Mal einen Ansatz zur Ehrlichkeit.


    Gut, so weit so klar, dann kam doch die überraschende Offenbarung für Hannibal, noch ehe er sich selber ausschütten konnte, tat dies Faustus. Mit wachsendem Staunen, vielleicht auch einem Quäntchen Belustigung, überließ Hannibal seine Hand dem ehemaligen Jüngling und nun herangewachsenen Mann, Faustus. Nur mit Mühe konnte sich Hannibal eines Grinsen erwehren, denn er glaubte, dass die theatralische Natur von Faustus durch das Opium wieder zum Vorschein kam. Womit er dann wirklich nicht rechnete, waren jene folgenden Sekunden, in dem nicht nur ein Schwall an Geständnissen über ihn herein brach, sondern gleichsam Faustus selber.


    "Oh!"
    Ja, da war es, dieses kleine 'Oh', was Ausdruck seines Erstaunens, Sprachlosigkeit und Verwirrung war. Nicht nur die Gedanken überschlugen sich, auch völlig überrumpelt rutschte Hannibal etwas am Stamm zur Seite. Er merkte es jedoch nicht, waren seine Gedanken doch vom Wein und dem Opium sowieso schon getrübt. Und jetzt auch noch in Aufruhr versetzt. Komm' schon, sage ihm, dass Du ihn liebst und gut ist, Hannibal. Gut? Aber ich weiss es doch nicht. Was kann es schon schaden, ein wenig Vergnügung und Freude soll Dir auch mal gegönnt sein, Hannibal. Vielleicht...Dann sag' schnell etwas, 'Oh' reicht wirklich nicht! So gedacht, halb getan. Hannibal hob seine Hände und legte sie auf die Wange von Faustus, um ihm ins Gesicht zu sehen. Wie schön er doch ist. Hannibal küsste Faustus lange ehe er sich den kleinen Stimmen im Hinterkopf beugen wollte. Um auch ein wenig Glück im Leben noch ab zu bekommen. "Faustus, mein schöner Faustus!" Hannibal atmete tiefer ein als er die Hände unter seiner Tunika spürte. Obwohl ihm gleichzeitig irgendetwas unangenehm in den Rücken bohrte. Was ist das? Irgendwie schien sich zudem etwas unter ihm zu bewegen. Egal, Hannibal ignorierte diese störenden Nebensächlichkeiten. "Faustus, ich li....aaahhh..." Just in dem Augenblick erwies sich die störende Nebensächlichkeit als Deus ex Machina. Mit einem schmatzenden Laut drehte sich der Baumstamm und Hannibal. Mit sich riss er sowohl Hannibal als auch Faustus und das in die ersten Ausläufer des Tibers. Wasser, Schlamm und Dreck umfing Hannibal, zudem rollte er ein Stück unter den Baumstamm und wurde von dem Gewicht herunter gedrückt.

    Es ließ Hannibal nicht kalt, als er die aufgewühlten Regungen in dem Gesicht der keltischen Sklavin sah. Sie mußte einiges mitgemacht haben und es war wahrscheinlich ein schweres Los für sie, was sie zu ertragen hatte. Eine Heimat haben, eine Familie, Glück, Freude, Liebe und Wurzeln. Das war ein Geschenk der Götter und eine umso grausamere Strafe, wenn dieses Geschenk einem so jäh genommen wurde. Durch Schwert und Blut, durch Ketten und die Sklaverei. Nachdenklich und mit Mitgefühl betrachtete er das schöne Gesicht der Frau. Womöglich sollte Hannibal sein eigenes Los noch mal überdenken. Er hatte auch schlimmes erlebt und schon viel verloren, aber die Freiheit hatte er nie gekannt. Seine Augen folgtem ihrem Blick und er betrachtete die Beiden, Flavius und Claudia. Ob sie wirklich so glücklich waren, wie sie taten? Es überraschte ihn durchaus, so eine Harmonie zwischen den Beiden zu sehen, schließlich war es nur eine arrangierte Ehe. Hannibal zuckte mit der Schulter und sah von den Herrschaften wieder weg. "Es ist nicht alles nur Sonnenschein, auch wenn es im Moment glänzt." War sein Kommentar zu dem Glück der Beiden. Der erste große Streit würde sicherlich bald kommen und der Hader würde ihm folgen. Er kannt seinen Herrn gut genug, um das zu wissen.


    Ein dünnes Lächeln glitt über sein Gesicht. "Bestimmt wirst Du wieder glücklich werden, Fiona. Die Götter können nicht so grausam sein, einem Menschen, Dir, Fiona, das zu verwehren. Auf Leid folgt wieder irgendwann das Glück. Auch wenn wir den Streifen am Horizont in jenem Augenblick nicht sehen können und die grauen Wolken unser Leben überschatten." Zumindest hoffte Hannibal dasselbige für sich. Irgendwann würde hoffentlich die trübe Stimmung, die ihn oft gefangen hielt, wieder verfliegen und er sein eigenes Glück finden. "Bringen wir mal die Speisen zu der Herrschaft, dann haben wir vorerst auch unsere Ruhe. Was meinst Du?" Lächelnd und fragend sah er zu Fiona.

    Das geschieht Dir recht, Hannibal, Unglück und Leid folgen Dir als Schatten... Hannibal blinzelte drei Mal und warf einen schnellen Blick über seine linke Schulter. Nein, es stand doch niemand hinter ihm. Etwas unwohl nach dem leisen Raunen an seinem Ohr verlagerte er das Gewicht von einem Fuß auf den Anderen. Stumm sah er Fiona an. Letztlich musste wohl jeder Mensch den Tod eines ihm Geliebten hinnehmen müssen. Ein wenig aufreizend schien die blühende Natur zu sein vom fröhlichen Gezwitscher der Vögel bis zum munteren Summen der Bienen. Während doch gleichzeitig in Hannibal der dunkle Schatten mit einer eisigen Kälte rang, sein Zorn gegen die Resignation. "Vielleicht haben die Beiden den besseren Weg gewählt." Ein unbestimmtes Zucken nach unten um seine Mundwinkel deutete von Hannibals Zweifeln. Er war auch eher ein Skeptiker, denn er konnte sich mit deartig überirdischen Reichen nicht anfreunden und nahm es lieber wie so manch eine hellenische Philosophieströmung. "Aber ich hoffe für Dich, Fiona, dass Du eines Tages Deinen Verlust überwindest und an die Zeit im Leben denkst und nicht an den Tod mit jenen, der Dir so viel bedeutet hat...und es wohl noch tut!" Irgendwo vernahm er ein schallendes Lachen. Hannibal sah über die grüne Wiese hinweg und beobachtete wie die Herrschaft mitten auf der Grasfläche Platz nahm.


    Noch schien nicht gespeist zu werden, darum konnten sie sich auch weiter ihrer Unterhaltung widmen. "Was ist es, was Dich in Deine Heimat zurück zieht?" Seine braune Augen wanderten zurück zu Fiona. Hatte sie dort noch Familie? Ein Dorf, wo sie mit offenen Armen und strahlenden Gesichtern aufgenommen werden würde? Wo sie die Zeit unter den Römern wie ein falsches Gewand abstreifen konnte? Wenn ja, dann würde sie eine Freilassung sicherlich noch lohnen, selbst wenn sie ein paar Jahre darauf warten musste.

    Gegen die borkige und aufgeworfene Rinde einer Platane lehnte sich Hannibal. Die mehr gedeckte Farbe seiner Tunika schien gut mit den Grün- und Brauntönen des Stammes zu harmonieren. Im Laufe seines Lebens war er so einigen Sklaven begegnet, die ein ähnliches Schicksal wie Fiona zu verzeichnen hatten. Die sich auch nach ihrer Heimat verzehrten. In Baiae war da ein junger Mann gewesen, kaum Bart auf dem Gesicht, der sich jede Nacht in den Schlaf geweint hatte. Die Meisten fanden sich damit irgendwann ab. Oder resignierten einfach. Wenige rebellierten, wie der Germane in der Villa der Flavier. "Es ist nicht abwegig, dass Dein Traum noch in Erfüllung geht, Fiona. So manch ein Sklave erhält nach einigen Jahren noch die Freiheit." Wenn ein doch gerechter Sklavenhalter ihr Herr war. Da Hannibal jedoch glaubte, dass Epicharis die Herrin der beiden Sklavinnen war, schätzte er die Wahrscheinlichkeit als nicht zu gering ein. Die Möglichkeit, dass Fiona wieder frei gelassen wurde und in ihre Heimat zurück kehren könnte. Doch paradoxerweise hatte Hannibal auch oft erlebt, dass solche Sklaven dann doch nicht diesen Weg gingen. Manche, weil sie nicht wussten, was sie in ihrer Heimat tun sollten, Andere, weil sie sich zu sehr an das römische Leben gewöhnt hatten oder gar Familie in Rom hatten.


    Wenn man Fragen stellte, musst man wohl auch damit rechnen, selber auf den Zahn gefühlt zu bekommen. Fiona sprach durchaus etwas an, womit Hannibal schon länger zu kämpfen hatte. Den Wunsch, endlich das Versprechen zu erhalten, was sein Herr ihm vor langer Zeit einmal gegeben hatte. Die Freiheit. Doch noch viel schlimmer war die letzte Frage...die Frau, die er liebte. Hannibals eben noch gelöstes Gesicht veränderte sich schlagartig. Die Mundwinkel sanken herunter. Seine Gesichtsmuskeln wurden starr und seine Augen bekamen einen düsteren und gleichzeitig abweisenden Glanz. Er sah von den leuchtenden Blüten des Oleanders hinfort. Auch von der keltischen Sklavin und liess seinen Blick durch die Bäume des Parkes schweifen. Die Frau, die er liebte? Hannibal schwieg. Während es in ihm wieder hoch brodelte. Die Verzweiflung des letzten Jahres, die Sorge und die Angst. Jedoch auch der Schatten des Ungeheuers in ihm, das er nicht immer im Griff hatte. Es schien als ob es nicht seine Stimme war, die schliesslich antwortete. Sie klang heiser und trocken. "Doch, das tue ich. Manchmal ist es mir bestimmt genauso zuwider, ein Sklave zu sein. Aber ich habe noch Glück. Im Gegensatz zu den meisten Sklaven kann ich immer noch viel selbst entscheiden. Ausserdem bin ich mit meinen Herrn zusammen aufgewachsen. Es ist etwas anderes, als bei den anderen Sklaven. Auch als Sklave kann man im Übrigen heiraten."


    In der Hitze des Tages schienen die Dächer von Rom vor Hannibals Augen zu flimmern. "Die Frau, die ich liebe?" Nachdenklich und immer noch seltsam verändert hallte es in den Worten von Hannibal nach. "Sie...ist tot." Das ist sie nicht!, rief laut eine Stimme in seinem Kopf. Du musst sie nur finden. Hannibal schüttelte den Kopf. Als ob er jene Stimme in seinem Inneren vertreiben wollte. "Gibt es jemanden, den Du heiraten möchtest?" Hannibal wandte seinen Kopf der Sklavin zu und sah sie fragend an.

    Vor der Tür hörte Hannibal Schritte auf und abgehen, als jemand vorbei kam. Wohl einer der Sklaven, die geschäftig ihrem Tageswerk nach gingen. Er steckte den Dolch wieder in die Lederumhüllung zurück. Dann legte er ihn zur Seite und erhob sich von seinem nicht oft genutzten Lager. Das Wasser gluckerte aus dem tönernen Gefäss in einen einfachen Holzbecher, den Hannibal umgriffen hielt. "Zäh im Nehmen scheinst Du immerhin zu sein, Cassim." Hannibal drehte sich um und trat an die Seite von dem anderen Nachtlager, um sich herunter zu beugen und Cassim das Wasser hin zu halten. "Kannst Du alleine trinken oder soll ich Dir helfen?" Verletzt zu sein war einfach übel. Ab und an hatte Hannibal es am eigenen Leib erfahren. Und er hatte die Untätigkeit und die Hilflosigkeit gehasst, die er dabei verspürte. Hannibal zog einen hölzernen Schemel heran, der auf drei Beinen neben dem Lager stand und nahm darauf Platz, falls der Parther doch noch Hilfe beim Trinken brauchte. Bei der Verletzung war Cassim auch übel dran. Es schien Hannibal ein Wunder, dass er nicht auf dem Transport vom fernen Orient bis hier her verstorben war.


    Nachdenklich musterte Hannibal den Parther. Selbst wenn durchaus Neugier in Hannibal brannte, so zügelte er diese. Hannibal winkte einen anderen Sklaven in der Unterkunft heran, sagte leise etwas zu ihm. Der verschwand und nicht lange danach kam eine Sklavin herein, die ein Tuch um ihre Haare geschlungen trug, eine breite Schürze und ein hölzernes Brett in der Hand. Darauf stand eine Holzschale, aus der es dampfte. "Der Medicus hat Dir erst mal flüssige Sachen verordnet, die ersten Tage. Fleischbrühe. Ansonsten wird er nicht noch mal nach Dir schaun. Lydia hier wird sich darum kümmern, dass Deine Verbände gewechselt werden." Die Sklavin, die mehr bäuerlich wirkte, sah unter ihren Wimpern Cassim scheu an und stellte schnell die Suppe neben dem Lager ab. Zögernd legte sie ihre Hände auf ihre nicht mageren Hüften ab und sah fragend zu Hannibal und Cassim. "Danke, Lydia!" Lydia, die Sklavin nickte und sah noch mal mit ihren moosgrünen Augen zu Cassim, ehe sie sich umdrehte und aus der Sklavenunterkunft verschwand.

    Es war ein schneller Schatten, der durch die Nacht huschte und für den Moment Hannibals Aufmerksamkeit fing. Die Katze, die im Kampf unterlegen war, flüchtete mit schnellen Sätzen über eine brüchige Mauer und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Zwei Augenpaare, die im Sternenlicht schwach funkelten, sahen der Katze hinter her. Doch als die Stimme das friedliche Rauschen unterbrach, das der Fluss in seinem trägen Strömen verursachte, schwand auch jene Katze schnell in der Dunkelheit. Eine äusserst angenehme Berührung an seinem Hals verspürte Hannibal. Er legte den Kopf etwas zurück und sah in den Himmel. Viele kleine Lichter funkelten dort wie Edelsteine am Himmel. Nur darauf wartend, dass einer, der sein Glück suchte, mit den Händen danach griff. Aber Träume und Sehnsüchte? Welcher Sklave konnte sich das schon leisten? Darum überließ Hannibal solche Träumereien auch lieber anderen und begnügte sich mit dem, was ihm das Leben bot. Und das war, gerade in diesem Augenblick, sehr ansprechend. "Hmh!" Er hatte es auch nicht erwartet, dass Faustus seine Laufbahn als Soldat aufgab. Selbst wenn Hannibal immer noch davon überzeugt war, dass Faustus völlig fehl bei der Legion war.


    Bereitwillig ließ sich Hannibal bis zu dem Baumstamm ziehen und setzte sich. An seiner Wade spürte er das vom Tiber noch feuchte Holz. Eine Schlange floh als sie die Erzitterung spürte und verkroch sich im Dickicht der Flussbewachsung. Entspannt und gelöst lehnte sich Hannibal zurück und betrachtete Faustus aus einer Armes länge Distanz. Gerade wollte Hannibal noch etwas sagen, was vielleicht doch noch Faustus überzeugen konnte, die Legion zu verlassen als die Sprache auf sie, Chrysantha, zu sprechen kam. Hannibals Mund klappte wieder zu und er schwieg. Es wurde ihm tatsächlich etwas warm am Nacken und eine nicht zu leugnende Verlegenheit ergriff ihn. Chrysantha, Chrysantha, das war ein Thema, was er lieber geheim hielt. Ein kleines Abenteuer, was niemand etwas anging...außer ein paar Auserwählten oder Leuten, die es zufällig mitbekommen hatten. Hannibal sah einen Moment abweisend auf die dunkle Wasseroberfläche. Obwohl kaum Licht das Wasser berührte, schienen dennoch die Wellen den Fluss in vielen Schattierungen aufzuwerfen. "Es gibt sie gar nicht...Chrysantha! Sie ist nur eine Erfindung..."...und alles hatte damals angefangen, als sie einen Exaedil umbringen wollten. Eine harmlose Verkleidung, die Hannibal auf den Geschmack gebracht hatte.


    Das war wohl kaum eine Erklärung, die keine Gegenfragen mit sich brachte. Dessen war sich Hannibal bewusst. Einen weiteren Moment schwieg er und dachte darüber nach, wie er sich aus der Affäre ziehen könnte. "Um genau zu sein...", meinte er schließlich, "...ist Chrysantha noch nicht mal eine Frau. Irgendwie schon und dann wieder nicht." Hannibal sah nun vom Wasser zu Faustus. Um dessen Reaktion besser beobachten zu können. "Ich kenne da jemanden, der kleidet sich gerne als eine Frau. Wenn Du verstehst, was ich meine." Hannibal sah prüfend in das Gesicht von Faustus. Sollte er es ihm sagen? Wenn er des Nachts unterwegs war, waren ihm die Reaktionen der Anderen egal. Zumal wenige wirklich erkannten, dass er nicht Chrysantha war.

    Was noch geschah, was noch passierte? Dies wurde vom Schleier der Bewusstlosigkeit verdeckt, in die der parthische Sklave fiel, nachdem nun das Skalpell in das orientalische Fleisch schnitt, um die üblen Säfte und die schwärenden Stellen zu entfernen. Gnädig war da wohl eine solche Schwärze, die keinen Schmerz mehr zulassen würde. Wieviel Zeit verging? Auch das verschwamm an jenem Tag....


    Etwas später und immer noch in der Unterkunft der Sklaven:
    Mit einem Putzlappen in der Hand und auf seinem eigenen Lager saß Hannibal. Er tunkte den Lappen in ein kleines Holzbehältnis, das mit einem schmierigen Ölfett gefüllt war. Mit dem Lappen strich er langsam über die Klinge seines Dolches entlang und wischte all die Spuren hinfor, die Zeit und Tat daran hinter lassen hatte. Selbst wenn er den Dolch nicht oft brauchte, so pflegte er ihn doch gut. In manchen Nächten brodelte es in der Stadt. Die Klinge glänzte im Sonnenlicht. Zufrieden drehte Hannibal den Dolch hin und her und betrachtete die Schneide. Schärfen würde er sie vielleicht später noch. Notwendig war es im Moment nicht. Er liess den Dolch sinken und seine Augen wanderten zu dem Parther, der nun verbunden auf dessen neuen Lager lag. Nachdenklich betrachtete Hannibal den Orientalen. Mit Sicherheit würde jener Mann noch Ärger machen. Der unbeugsame Stolz eines in Freiheit geborenen Mannes. Der Widerwille vor dem Sklavendasein. Hannibal zuckte mit der Schulter. Nicht sein Problem. Hoffentlich. Er senkte wieder den Blick und strich mit dem Lappen noch einmal über den Dolch. Er meinte, dass der Atem von Cassim sich veränderte. "Wieder unter den Lebenden?" Hannibal faltete den Lappen und legte ihn zur Seite, ebenso den Dolch. "Der Medicus sagt, dass Du am Leben bleibst, wenn Du die nächsten Tage überstehst." Jetzt sah Hannibal doch auf und wieder zu dem Parther.

    Schüchtern und zaghaft schien Fiona nicht zu sein. Hannibal lächelte leicht und folgte ihr in einigen Schritt Abstand. Immer noch den schweren Korb tragend. Die friedliche Stimmung des Gartens war ein angenehmer Kontrast zu der hektischen Regsamkeit der Stadt. Besonders den engen Strassen der Subura, die sie auch gestreift hatten. Auf ihren Weg in den Garten, dem Ausflugsziel der Herrschaften. Hannibal streifte mit den Fingern die Borke eines Zedernbaumes, der würzig seinen Duft zu ihm schickte. Und folgte schließlich bis zu jener Stelle, die Fiona auserkoren hatte. Die Blüten des Oleanders wogten sanft im lauen Frühlingswind. Und die Sonne spielte durch das Geäst und den schlanken, elegant geformten Blättern jenes Gewächses. Die Blüten malten ein Bild aus Schatten und Sonnenflecken auf dem Gesicht der rothaarigen Sklavin. Erneut musste Hannibal lächeln und die trübe Stimmung, die ihn am Tage noch eher umfasst gehalten hatte, verflog. "Einen schönen Platz hast Du ausgesucht, Fiona." Hannibal nickte zufrieden und spähte zurück. Er stellte den Korb neben den Baum und in dessen Schatten und zog einen Zweig mit den Blüten hinunter. Feine Adern zeichneten sich auf den Blütenblättern ab. So zart waren sie, dass die Sonne durch sie hindurch zu dringen vermochten. Oder es schien so zu sein. Ohne die Blüte zu beschädigen, liess Hannibal sie zurück schnellen und fixierte mit seinen braunen Augen wieder Fiona und auch Minna. "Dann muss es euch doch zuwider sein, in Rom zu leben. Wenn ihr mal die Freiheit gekostet habt." Es ging selbst Hannibal so. Wie war es nur dann, die Freiheit geschmeckt und wieder verloren zu haben?

    Gelage, Feier, Zecherei, Schmaus und alle Sinne kamen auf ihre Kosten, die Ohren wurden mit der melodischen Musik des Kitharaspielers geliebkost, die Augen von den Statuen umschmeichelt und der Gaumen mit guten, italischen Wein und erlesenen Speisen verwöhnt. Die Augen des Künstlers leuchteten glücklich auf, als er das Kompliment an sein Werk hörte. Während der Schönling an seiner Seite nur angeödet das Gesicht verzog. "Nichts!", erwiderte der blonde Mann an des Künstlers statt, sah dabei noch nicht mal zu Faustus. "Höchstens, wann er endlich von diesem Felsen herunter klettern darf!" Den indignierten Ausdruck des Künstlers ignorierend, schob sich der lebende Apoll durch den Kreis und schlenderte gelangweilten Ausdruckes davon. Der Künstler lachte hüstelnd auf, verlegen und betreten, ehe er schnell meinte: "Die Anwandlungen der Musen, launisch und wankelmütig sind sie. Aber lassen wir uns doch davon nicht stören!" Er trat an die Seite von Faustus und zog ihn in Richtung der Statue, wobei er ihm vertraulich am Arm fasste. "Was gefällt Dir denn genau? Ich meine, besonders stolz sein zu können, was den Schwung des Nackens angeht. Auch das erhabene Gesicht ist mir gelungen. Das weiß ich sehr gut..." Schon war der Künstler dabei, Kompliment erheischend, Faustus in ein Gespräch zu verwickeln. Doch, werte Leser, sicherlich könnt ihr euch denken, dass auf einem solchen Fest geplaudert, gelacht, getrunken, gegessen und ordentlich gefeiert wird. Kinder der Traurigkeit hatten sich hier nicht versammelt, selbst wenn Hannibal nicht zu den Partylöwen gehörte und mehr von der Sorte 'nachdenklicher Philosophensklave' 8) war. Der Name jener Chrysantha fiel auch immer mal wieder in sehr ominösen Zusammenhängen.


    Einige turbulente Stunden später:
    Der Himmel war nur von wenigen Wolken bedeckt. Die Sterne funkelten, es war recht kühl in der Nacht. Der Tiber rauschte und schob sich träge mit seinen Wassermassen voran. Irgendwo auf dem Fluss ruderten zwei Männer ein kleines und recht flussuntüchtiges Boot mit einer Lieferung, die nicht von den Vigilen, aber auch den Cohortes Urbanae entdeckt werden sollten. Einige Bäume wuchsen am Flussufer in die Höhe. Dort, wo sich der unscheinbare Weg an den Lagerhallen vorbei schlängelte, die an dieser Uferseite gebaut waren. Nur von dem Sternenlicht beleuchtet, das sich auf dem Fluss wieder spiegelte, schlenderte Hannibal den Fluss entlang. Eine Hand hatte er auf den Rücken gelegt, die Andere war an seinem breiten, braunen Ledergürtel verhakt. Eine Trauerweide ließ ihre Zweige tief in das Wasser hängen und streifte mit den Zweigen immer wieder eine Pinie, die vom letzten Sturm umgerissen wurde und nun in das Wasser getaucht auf dem Boden lag, die Wurzeln tot und trocken in die Luft ragend. Von einigen Häusern auf der anderen Seite des Ufers blinkten hin und wieder Lichter bis zu ihnen herüber. Man hörte das Fauchen von Katzen, die miteinander rangen. An der Seite des umgefallenen Baumes blieb Hannibal stehen und betrachtete den Baum. Eine Wolke von dem Rauch aus der Künstlerwerkstatt schien sie zu umgeben, der Duft nach verbrannten Kräutern, zudem Opium und Wein. Der Boden schien unter Hannibals Füßen zu schwanken. Obwohl er nur wenige Becher getrunken hatte. Aber Hannibal hatte von je her nicht viel Wein vertragen. Sein rechter Mundwinkel hob sich leicht. Er griff nach dem Handgelenk von Faustus und zog ihn näher an sich heran. "Faustus, schöner Faustus, willst Du nicht vielleicht doch in Rom bleiben?" Warum jemand sich freiwillig dem Militär anschloss, war Hannibal schlicht unverständlich. Der Fluss plätscherte leise um den Stamm des Baumes. Eine Fledermaus flog, der Jagd nach Insekten frönend, in einem scharfen Bogen über ihre Köpfe hinweg.

    Lichtflecken tanzten über den Boden. Streiften die Gestalten, die in der Sklavenunterkunft waren, es waren nicht viele und so hatte der Medicus kaum Zuschauer. Erst als Cassim der Anweisung des Griechen nach kam, wandte Hannibal den Blick von dem parthischen Rücken ab und betrachtete ein schmales Fenster, durch das das wenige Sonnenlicht in die Unterkunft der Servi hinein fiel. Ein unbestimmtes Lächeln war auf Hannibals Gesicht zu sehen. Hannibal betrachtete die grünen Blätterflecken, die sich vor dem schmalen Fenster abzeichneten. Die eines Baumes, der davor wuchs und ihnen noch mehr von dem Licht stahl. "Die einzige Möglichkeit?" Der Grieche lachte. Es klang ziemlich schrill und gackernd. "Aber natürlich ist das nicht die einzige Möglichkeit, Sklave!" Der dicke Grieche beugte sich etwas nach vorne und fixierte Cassim. "Die andere Option wäre, das wuchernde und mit bösen Säften angefüllt Fleisch sich selber zu überlassen. Eventuell wächst es sich hinaus, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass der Weg Dich über den letzten Fluss führt, den die Menschen zu Gesicht bekommen in Anwesenheit des Fährmannes. Mir scheint, dass Du Deinem Herrn wohl teuer genug bist, dass ich Dich behandeln soll. Schließlich sind meine Dienste nicht kostenlos, nicht so wie bei Sklaven. Pfff! Zu einem Sklaven werde eigentlich nicht gerufen." Atheus schüttelte indigniert den Kopf. Atheus war natürlich nur einer von vielen Medici in Rom und jeder Medicus propagierte seine eigene Meinung und sein eigenes Vorgehen bei der Behandlung. Aber es waren nicht die Methoden, die zählten, sondern der Erfolg. Der in mancher Hinsicht bei Atheus gegeben war, selbst wenn er bei solchen chirurgischen Eingriffen durchaus mehr als die Hälfte der Patienten verlor. Dennoch war Atheus sehr von sich eingenommen, was 'seine' Schule der Heilkünste an ging. Gerade kam der Junge wieder herein und schleppte einen kupfernen Kessel mit sich, aus dem es heiß dampfte.


    Sorgfältig begann Atheus alles vorzubereiten, er tauchte die Instrumente in das heiße Wasser, legte sie auf ein Leinentuch, er wusch sich sogar noch die Hände und betrachtete kurz den Sklaven. Etwas Opium zum betäuben? Atheus schüttelte den Kopf. Zu viel Ausgaben, die Atheus zudem für einen Sklaven als unnötig erachtete, würde der Flavier sicherlich nicht schätzen. Und eigentlich hoffte Atheus, dass er weiterhin in diesen Haushalt gerufen würde, schließlich waren gut bezahlende Kunden für Atheus unschätzbar wichtig und er wollte sie sich möglichst warm halten. Atheus sah auf und zu Hannibal. "Halte ihn an den Schultern fest!", wies er Hannibal herrisch an. Dieser erhob sich schweigend und trat von hinten an das Lager heran, um seine Hände auf die blossen Schultern von Cassim zu legen. Wobei Hannibal sich bemühte, einen vollkommen neutralen Ausdruck zu behalten. Atheus beugte sich vor und langsam näherte sich das Skalpell dem wuchernden Fleisch. Ohne Vorwarnung schnitt Atheus in das eitrige Fleisch hinein.

    Sim-Off:

    Entschuldige bitte.


    Der Medicus schnalzte mit der Zunge als er die Verletzung sah, zudem fügte er auch ein: "Aiiie, wer hat sich denn darum gekümmert? Wohl keiner, wenn ich das recht sehe!" an. Atheus schüttelte entsetzt den Kopf und trat näher heran. "Böses wucherndes Fleisch. Üble Säfte, die da hindurch gehen. Das wird viel Arbeit." Atheus trat einen Schritt näher und begutachtete die schwärende Wunde einmal genauer, schüttelte darauf hin den Kopf und deutete bestimmend auf das Bett. "Setz' Dich!", bekräftigte Atheus ehe er einen Jungen heran winkte, der ihm unauffällig in den Raum gefolgt war. Der schmächtige und etwas blasse Junge huschte heran. Atheus beugte sich hinunter und murmelte leise auf Griechisch etwas zu ihm. Der Junge nickte eifrig und eilte aus der Sklavenunterkunft heraus. Hannibal derweil hatte sich etwas zurück gelehnt. Er stützte die Hände auf dem Rücken ab und betrachtete die Ankunft des Medicus mit mäßigem Interesse. Was jedoch wieder seinen Augenmerk fesselte, war Cassim. Schräg von hinten hatte Hannibal einen guten Blick auf den Rücken des Parthers. Hannibals Mundwinkel wanderten etwas nach oben und er betrachtete Cassim doch wieder mit einem ganz anderen Interesse. Wobei er das auch recht ausgiebig tat, wähnte er doch die Aufmerksamkeit des Parthers auf dem griechischen Medicus. Was Hannibal erneut erhaschen konnte, und das dieses Mal etwas ausgiebiger als im schlichten Bad der Sklaven, das gefiel ihm außerordentlich gut, so dass Hannibal für den Moment auch nicht den Blick von dem muskulösen Rücken des anderen Sklaven herunter nahm.


    Schon eilte jedoch der Junge wieder in den Raum und er trug eine Kiste in den Armen, die er, wie ein Kind behütend, vorsichtig neben dem Medicus abstellte, der sich derweil noch näher an Cassim gebeugt hatte und mit seinen dicken Fingern erstaunlich vorsichtig um die Wunde herum fuhr, ohne sie wirklich zu berühren. Der Junge öffnete die Kiste und darunter kamen vom Trepanationsbesteck bis zum Skalpell, aus feinem Metall und edlem Elfenbein gemacht, viele Arten von Werkzeugen der medizinischen Künste zum Vorschein. Ebenso kleine Töpfe, lederne Beutel und ein intensiver Geruch nach Kräutern. "Schwierig!", murmelte der Medicus. "Das faulende Fleisch muss weg. Außerdem müssen wir die üblen Säfte aus dem Körper und ganz besonders der Wunde heraus bringen. Hitzig, nicht trocken. Ich sehe schon...überall gelbe Galle!" Er deutete auf den Eiter und sah zu seinem Lehrling, der aufmerksam auf die Wunde starrte und pflichtbewusst nickte. "Also gut, wir müssen die üblen Wundränder wegschneiden und die Galle abfließen lassen!", verkündete Atheus, mehr zu seinem Lehrling. "Hole heißes Wasser, mein Junge!" Der Junge nickt erneut, ein Wort brachte er jedoch nicht hervor und rannte schnell aus der Sklavenunterkunft, um das Wasser zu holen. "Lege Dich hin!"

    "Einen Löwen!" Hannibal nickte und wiederholte dies mit einem Lächeln, was leicht gequält wirkte. Warum es immer ihm zufiel, sich um das Getier zu kümmern, bevor es verschenkt wurde, das sah Hannibal nicht ein. Mit einem Blick auf Cassim kam ihm der Gedanke, dass das womöglich vorbei war. Wilde Tiere würden nun in das Ressort von Cassim fallen. Während Hannibal dem Gang folgte, meinte er: "Serenus ist elf Jahre alt, aber Du solltest Dich nicht von seinen jungen Jahren täuschen lassen. Er ist jetzt schon sehr frühreif in mancher Hinsicht. Ab und an dennoch nur ein Junge. Aber er ist recht gewitzt und gut darin, seinen Vater an der Nase herum zu führen." Aber wem gelang das nicht einfach? "Ob er alt genug ist?" Hannibal zuckte mit der Schulter. Er war ja eigentlich der Meinung, dass man sowieso keinen Löwen halten sollte, außer für den Circus. "Wohl kaum!", gab er deswegen zur Antwort. Es war wieder die Sklavenunterkunft, die Hannibal anstrebte und durch deren Tür er in jenem Augenblick trat, sie offen haltend, damit ihm Cassim folgen konnte. "Die Dame Leontia, Flavia Leontia, hatte einen Medicussklaven. Aber er ist momentan nicht in der Villa. Aber wegen der Verletzung des Herrn ist momentan ein griechischer Sklave im Haushalt, der die Kunst der Medizin studiert hat." Hannibal wandte sich an einen jungen Mann, dessen Herkunft unschwer einer der afrikanischen Provinzen sein musste. Sein Haut war so dunkel wie die Nacht. "Gehe und hole Atheius!" Der junge Mann nickte und verschwand aus dem Raum.


    Hannibal ging zu einem der Lager und zu einer kleinen, hölzernen Truhe, die daneben stand und an der ein schweres, eisernes Schloss hin. Mit einem Schlüssel, den sich Hannibal unter der Tunika hervor zog, schloss er diese Truhe auf. Verblüfft blinzelnd sah Hannibal auf. "Nein, es leben nicht nur zwei Frauen in der Villa. Es leben lediglich im Moment zwei Patrizierinnen in der Villa. Frauen gibt es sehr viel mehr! " Die ganzen Sklavinnen hatte Hannibal natürlich dabei im Sinn. "Außerdem hatte die Familie in letzter Zeit viele Verluste. Flavia Leontia und Flavia Minervina sind kürzlich gestorben. Auch eine Flavier aus Hispania, die noch vor kurzem hier gewohnt hat." Die Truhe öffnete sich mit einem leisen Ächzen und Hannibal begann, dort etwas zu suchen. Er holte schließlich einen kleinen Beutel hervor und einen kleinen Kasten, den er auf das Lager daneben stellte, den Truhendeckel wieder herunter sinken ließ und die Truhe wieder ab schloss. Just in dem Augenblick betrat ein Mann den Raum. Ein Mann, der wirklich als dick zu bezeichnen war. Und das war wirklich noch schmeichelnd. Er hatte dunkle, schwarze Locken, einen dichten Bart und kleine fast schwarze Äuglein, die über den Pausbacken hervor leuchteten. Behäbig betrat der Mann den Raum und sah sich suchend um. "Wer hat mich gesucht?" Der Akzent der Hellenen war deutlich in dem Singsang des Mannes zu hören, ansonsten war die Stimme so hell wie bei einem Eunuchen. Hannibal sah zu dem Mann und deutete auf Cassim. "Das ist ein neuer Sklave meines Herrn, Cassim ist sein Name. Er ist verletzt und Du sollst Dich um seine Wunde kümmern!" Atheius, der Medicussklave, drehte sich zu Cassim um. "Wo bist Du verletzt?"

    Langsam begann Hannibal einen Schritt zu gehen, dem ein Anderer folgte, so fing er an, an der Seite des Fischteiches entlang zu schlendern. Den goldenen und roten Leibern im hellen und klaren Wasser schenkte er keine Beachtung mehr, sondern lauschte mehr den Worten von Cassim. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nickte Hannibal und schüttelte gleich darauf den Kopf. "Alle Löwen sicherlich nicht. Aber Dominus Serenus hat kürzlich einen Löwen geschenkt bekommen. Ich musste mich eine Zeit lang um den noch jungen Löwen kümmern. Also kenne ich mich genau genommen mit einem Löwen aus." Und den Löwen, die er in Afrika gesehen hatte. Aber das war auf der Distanz gewesen, die Hannibal sehr behagte. Schön weit weg. Der verwunderte Blick von Cassim amüsierte Hannibal dann doch. Erstaunte es den Parther etwa, dass sie auch hier in Italien Löwen kannten? Dabei war das doch oft die Attraktion bei Tierhatzen in den Arenen der Römer. Und an manchen solchen Vergnügungen hatte Hannibal als Zuschauer partizipieren dürfen. Nicht unbedingt etwas, worauf er sonderlich versessen war. Einen Seitenblick warf Hannibal dem anderen Sklaven zu als dieser von der Wunde sprach. Dass es nicht nur ein Kratzer war, davon hatte sich Hannibal schon selber überzeugen können. Im Bad und vor nicht sehr langer Zeit. Da Hannibal ebenfalls zu Cassim sah, begegneten sich ihre Augen in dem Augenblick als Cassim sich doch wegen der Wunde an ihn wandte. Hannibal nickte langsam. "In der Tat weiß ich etwas, was Dir helfen kann." Hannibal war kein Medicus, noch sonderlich geschickt in solchen Dingen. Aber er wusste ganz genau, wer das in der Villa war. "Ein Medicus wird Dir helfen." Für die teuren Sklaven lohnte sich ein Medicus. Zu mindestens, solange Hannibal da einen Einfluss darauf hatte. Schließlich kümmerte er sich um solche Angelegenheiten.


    Hannibal strebte auf die Villa zu und aus dem Garten hinaus. Schon trat er in das kühle Zwielicht des nächsten Einganges und in einen mit bunten Fresken bemalten Gang. "Bewohner hat die Villa sehr viele. Es sind die ganzen Sklaven, von den Waschmägden bis hin zum Koch, von dem Scriba bis hin zum Custos. Ansonsten wohnen noch einige der Herrschaften hier. Ein Name, den Du Dir auf jeden Fall merken solltest, das ist Flavius Gracchus, Senator und Pontifex. Der Mann ist der Hausherr der Villa. In Vertretung von Flavius Felix, dem eigentlichen Besitzer, der jedoch in Sardinien weilt. Felix ist der Bruder unseres Herrn. Ansonsten lebt noch Flavius Aquilius hier, ein Priester und Politiker, angehender Senator. Flavius Lucanus, der Neffe Deines Herrn, wenn auch über Ecken verwandt, treibt sich auch ab und an hier rum. Zudem noch die junge Flavia Celerina, eine erst seit kurzem in Rom lebende junge Dame. Die Ehefrau des Flavius Gracchus, Claudia Antonia, wirst Du ebenfalls in der Villa zu sehen bekommen. Dann ist da noch der junge Herr, Flavius Serenus. Er ist der Sohn von unserem Herrn. Bei ihm wirst Du noch den schmalen Grad lernen müssen, wann Du auf ihn zu hören hast und wann Du seine Befehle ignorieren kannst. Das ist nicht immer leicht." Hannibal lächelte leicht und schlug wieder den Weg ein, der sie in die Trakte führte, die mehr von den Angestellten und Sklaven genutzt wurden.

    Schlanke, wunderschöne Finger glitten über die Seiten einer Epigoneion. Mit jeder Erzitterung der Seiten entlockten diese Finger, deren Haut sanft und golden gebräunt war, dem Instrument, der Harfe, melodische und ätherisch klingende Töne. Schön waren die Hände, gepflegt die festen und halbmondförmigen Fingernägel, schlank die Finger geformt. Aber nicht zu einem schönen jungen Mann gehörten die Hände. Schon die Arme zeugten von einer Missgestalt. Der linke Arm war kürzer und etwas verkrümmt. Der Kopf wirkte größer als zum Körper passend, eine Narbe zierte sein Gesicht und seine Gestalt unter der dunkelbraunen Tunika wirkte auch sonst unnatürlich geformt. Dunkelgraue Augen sahen auf die Seiten des Instrumentes und die schönen, schlanken Hände zauberten die Wohlklänge in den Raum. Doch das bunte und muntere Treiben um ihn herum, schien der Musiker nicht zu bemerken, selbst wenn so manch ein Augenpaar zu dem Musikanten wanderte. Auch Hannibal streifte den Musiker, den er schon einige Male bei ähnlichen Feiern gesehen hatte, mit den Augen. Doch schon betrachtete Hannibal ebenfalls die Statue. Ein Nicken entlockten die Worte von Faustus dem flavischen Sklaven. "Ja, Fidenas ist schon begabt!" Einige der Statuen des Fidenas hatte Hannibal in den letzten Monaten gesehen und zu jeder Statue gab es immer ein Fest, das Fidenas veranstaltete. Ehe die Statue dann an den Käufer ging, der sie in Auftrag gegeben hatte. Hannibal sah sich nach freien Klinen um, wo sie sich nieder legen konnten. "Den Künstler...Fidenas?" Hannibal sah sich suchend in der Werkstatt um, die für heute Nacht auch als Ort des vergnüglichen Feierns dienen sollte. "Sicher.", meinte Hannibal gerade als er meinte, den Bildhauer erspäht zu haben. Doch weit gefehlt, Hannibal kam nicht mehr dazu, Faustus' Wunsch nach zukommen und ihn zu dem Pulk zu ziehen, in dem sich Fidenas mit sichtlichem Vergnügen suhlte, mehr in der Aufmerksamkeit, die ihm für den heutigen Abend zuteil wurde.


    Schwer, aber lautlos, in sich hinein seufzend wandte er sich dem Neuankömmling zu, bekam ein mehr reserviertes Lächeln auf den Lippen zustande. Erneut sah sich Hannibal suchend nach einer Kline um. Schon hatte er auch freie Plätze entdeckt ehe erneut der Name fiel, den Hannibal an dem heutigen Abend lieber ganz, ganz weit weg verbannen wollte. Es zuckte ganz kurz um Hannibals linkes Augen. Aber er konnte sich selber nur einen Dummkopf schimpfen, schließlich hätte er Faustus nicht gerade zu einer Feier in jene Kreisen schleppen dürfen. "Salve, Lucan!", grüßte Hannibal zurück. "Bestens, bestens!", antwortete er mehr einsilbig und ging langsamen Schrittes und nur mit halben Ohr lauschend auf die Klinengruppe zu, um sich dort auf die Polster zu setzen. Hannibal ließ Wein heran bringen. Ein hellhäutiger Sklave schenkte ihnen ein. Nach einer Weile von diesem Rederegen war es Hannibal dann doch zu viel. In seinem Geist ratterte es, er überlegte, dann schossen schon mehrere Pläne in seine Gedanken.


    Plan Eins wurde gleich voll führt: "Lucan, hast Du schon Mancinus gesehen? Ich hörte, er ist wieder auf der Suche nach neuen Talenten!" Erstunken und gelogen war das, aber Mancinus war für sein Mätzenentum mehr als bekannt, außerdem, dass er durchaus auch das Geld dafür besaß. Hannibal deutete mit seinem Kinn auf den kopulenten Mann neben der neu erschaffenen Statue, die an dem heutigen Abend gefeiert wurde. Hannibal hoffte, dass Nerv-Fisch Lucan den Köder biss und sich in Richtung des reichen Mannes trollte, um sich bei diesem anzubiedern.


    Plan Zwei oder nennen wir es lieber Phase Beta wurde ebenso gestartet: Hannibal erhob sich und griff nach Faustus Arm, um diesen sogleich mit sich zu ziehen. "Du wolltest doch Fidenas kennen lernen.", erklärte Hannibal und ließ Lucan einfach zurück. Schon drängte sich Hannibal ebenfalls in den Kreis, der sich munter schwatzend und lachend um einige andere Statuen und einen ausgesprochen gut aussehenden, goldblonden Mann tummelte. Der Mann trug eine weiße Tunika mit einem goldenen Überwurf und goldene Armreifen, die ihn sehr gut zu schmücken wussten. Sah man jenen Schönen länger an, so war die Ähnlichkeit zu der Statue durchaus frappierend. Um Hannibals Mundwinkel zuckte es kurz, als er den Mann ansah. "Faustus, wenn ich Dir vorstellen darf? Fidenas!" Hannibals Augen ruhten noch einen Moment auf dem Blonden ehe er sich dem mehr unscheinbaren Mann daneben zu wandte, der im Schatten des lebendig schönen Apolls kaum auffiel. Er war mehr durchschnittlich von der Größe, ein klein wenig untersetzt und hatte eine Halbglatze. "Fidenas!", sprach Hannibal den Untersetzten an. "Wenn ich Dir einen Helden aus dem fernen Parthia vorstellen darf? Das ist Faustus. Er ist ein Soldat der Prima und kürzlich aus dem Krieg heim gekehrt. Und ein Bewunderer Deiner Kunst!" Fidenas Aufmerksamkeit wanderte geschmeichelt von einem Gast zu Serapio. "Oh, welche Freude!", gab er von sich und lächelte erfreut. "Gefällt er Dir? Mein Apollon?"

    Einen Blick zur Sänfte geworfen, zeigte Hannibal, dass die Herrschaft wohl noch etwas brauchte. Der Korb hing schwer an seinem Arm. Sicherlich war dort reichlich zu Essen eingepackt für den Ausflug. Hannibals Augen schweiften von der Sänfte zu den Gartenanlagen, die sich in zarten Grüntönen präsentierten. Bejahend nickte Hannibal, während er die hell grünen Baumwipfel musterte und den bewachsenen Eingang der Anlagen. "Das mag sein.", bestätigte er ihre Vermutung. Denn so weit gefehlt war Fiona sicherlich nicht damit. Schließlich trug der Junge immer die Totenmaske seiner Mutter mit sich herum, als ständige Mahnung diese Frau nicht zu vergessen. Selbst wenn er sie gar nicht kannte."Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Serenus das akzeptieren kann. Vielleicht auch nie. Der Junge hat den Dickkopf seines Vaters und seiner Großmutter geerbt." Hannibal bückte sich und stellte den Korb neben der Sänfte auf den steinernen Boden ehe er zu Fiona sah und ihren Erzählungen lauschte. Auch von diesem Land hatte er nur die Vorstellungen, was die Schriften her gaben oder die Erzählungen anderer Sklaven. Eben wie die von Fiona. Ein Lächeln streifte seine Lippen. Wie es wohl war? In Britannia zu leben? Nachdenklich musterte Hannibal die junge Frau. Nicht nur, wegen den Erzählungen über ihr Volk. Sondern auch, weil er erneut nachdachte, wie es wohl war, wenn man frei geboren wurde. In manchen Stunden misste Hannibal die Vorstellung, die er noch nie besessen hatte. Er kannte weder das Gefühl, was es hieß, selber über sein Leben bestimmen zu können, noch den Stolz darüber die Freiheit auskosten zu dürfen. Selbst wenn er doch mehr Freiheiten besaß als der gemeine Sklave ansonsten.


    "Ein Jahr?", fragte er und sah dann doch überrascht von Fiona zu Minna. Ein Jahr war wirklich noch keine lange Zeit, wahrscheinlich fiel es den Beiden immer noch schwer, sich damit abzufinden, Sklaven zu sein. Es sei denn, sie waren es schon vorher. Aber Hannibal hatte nicht vor, die Beiden schon nach so kurzer Zeit auszufragen. Das würde sich bestimmt später noch ergeben. "In Rom bin ich nun schon ein paar Jahre! Seitdem mein Herr in das Militär eingetreten ist. Aber ich bin auch in Italia geboren worden. In Baiae wie mein Herr." Auch Hannibals Vater war dort geboren worden und seine Großmutter ebenso. Ein weiteres Mal spähte Hannibal zu der Sänfte und meinte schließlich: "Wartet bitte kurz!" Schon schritt Hannibal aus und trat zu seinem Herrn, wechselte einige Worte und kehrte zu den beiden Sklavinnen zurück. "Wir sollen schon mal vorgehen und nach einer schönen Stelle in den Gärten Ausschau halten!", erklärte Hannibal, was ihm sein Herr gerade aufgetragen hatte. Hannibal griff nach dem Korb und hob ihn wieder hoch. Einladend deutete Hannibal auf den Garten.

    Die Strahlen der Sonne wurden auf der Oberfläche des Sees reflektiert. Sie brachen in tausend strahlender Funken, erzeugten helle Flecken, dunkle Schatten und ein Meer aus Unruhe in dem kleinen Fischteich. Träge glitten die goldenen und roten Fischleiber unter der Wasseroberfläche entlang. Mit einem Schlag ihrer Schwanzflossen schossen sie durch das Wasser wie ein Pfeil durch die Luft. Seerosen wogten auf dem Wasser. Ihre Blüten leuchteten hell und samtig an diesem schönen Tag. Versunken sah Hannibal auf die Oberfläche des Teiches. Worte glitten an ihm vorbei wie die sanfte Berührung des Windes. Die Falken aus dem Nest holen...Flucht...Götter und Ahura Mazda...Hannibals Gedanken schweiften davon, selbst als sein Name genannt wurde. Seine Augen verschleierten sich und Bilder tauchten vor seinen Augen auf. Langsam schloss er seine Augen und der See verschwand, wurde ersetzt durch hohes und goldenes Gras, was sich vor seinen schwarzen Augenlidern im Wind beugte. Er hörte das Wiehern von Pferden, lauschte den Rufen von Männern und einer fremdartigen Sprache, die sich kehlig in seinen Ohren anhörte. So merkte er nicht, dass sein Herr aufstand und den Garten verließ, noch bemerkte er, dass sich Cassim ihm näherte. Erst die Worte von Cassim rissen ihn aus seinen Gedanken und Erinnerungen heraus. Hannibal blinzelte und sah kurz in den hellen Himmel und auf die Sonnenscheibe. Erneut schloss er die Augen. Selbst durch die geschlossenen Augenlider drang das Sonnenlicht. Vor den dunklen Lidern eine orange Sonne. Hannibal öffnete jedoch sofort erneut die Augen und drehte sich zu Cassim um.


    Das weiche Frühlingsgras kitzelte seine Knöchel. Hannibal nickte auf die erste Frage von Cassim. Selbst wenn er manch eine Feinheit nicht mitbekommen hatte, dennoch war das Gespräch in Fragmenten durch die Bilder zu seinem Geist gedrungen. "Ja!", erwiderte Hannibal und schüttelte gleich den Kopf. "Nein, mit Tieren kenne ich mich nur theoretisch aus. Mal von Molosserhunden abgesehen...und Löwen!" Mit Raubvögeln und ähnlichen Tieren hatte sich Hannibal nicht beschäftigt. Auch nicht den Wunsch danach verspürt. Er mochte Tiere sowieso nicht sonderlich. Nachdenklich betrachtete Hannibal den Sklaven. Die Haltung seiner Schultern und der lebhafte Ausdruck in den Augen, diese schienen doch ein klein wenig anders zu sein als noch vor wenigen Momenten. Und das verwunderte Hannibal. Aber es gefiel ihm durchaus an Cassim. Sobald Cassim jedoch Sciurus, dem Sklavenverwalter der Villa Flavia in die Hände fallen würde, dann würde sich die Frage nach weiteren Tätigkeiten wohl erübrigen. Dennoch dachte Hannibal über die Frage von Cassim nach, die er nicht so einfach beantworten konnte. Sein Herr hatte über sonstige Arbeiten nichts verlauten lassen. "Du kannst Dich im Haus nützlich machen, Cassim. Oder in den Ställen bei den Pferden. Du kannst mich auch hin und wieder in die Stadt begleiten, wenn Du möchtest. Oder die anderen Sklaven. Wenn Du willst, dann zeige ich Dir auch mal Rom in nächster Zeit, damit Du auch noch etwas anderes als die Villa Flavia siehst. Ansonsten hat Dir unser Herr wohl bisher nur die Arbeit als Jägermann gegeben."