Es waren ihre Worte, die ihn dazu bewegten sich wieder zu erheben. Zur vollen Körpergröße erhoben blickte er still auf sie hinab und wandte sich um. Doch verließ er nicht den Raum, sondern begab sich wieder zu dem nahen Zimmer.
In angespannten Situationen ist es nie leicht die Zeit einzuschätzen, die verstreicht, wenn Stille den Raum erfüllt und der Geist gespannt auf die folgenden Worte wartet. Vielleicht mochten es nur Sekunden sein, die wie Minuten erschienen. Vielleicht waren es auch in der Tat Minuten, die Constantius einfach in die Nacht hinaus blickte.
Als die Stille endlich durchbrochen wurde, hatte seine Stimme einen für ihn unüblichen ernsten, unheilsschwangeren und doch leisen Tonfall angenommen.
„Ich weiß nicht so recht ob ich über deine Worte erzürnt sein oder für deinen Plan Bewunderung hegen soll Ist er doch wohlüberlegt und geschickt den Umständen angepasst. Doch auf der anderen Seite sehe ich, dass du deine Cousine als Grund benutzen wolltest, um den Mann nicht mitteilen zu müssen, dass er dich weniger oft besuchen sollte. Du wolltest den Zorn des Mannes auf Helena richten, um ihn von seinen Gefühlen für dich abzulenken. Sie sollte das Hindernis darstellen, dass zwischen euch steht und nicht etwa die Wahrheit, dass du seine Gefühle nicht erwidern kannst.“
Langsam wandte Constantius sich wieder um. Seine Arme verschränkten sich erneut vor seiner Brust. Und auch wenn sein Blick ruhig wirkte, verriet die Spannung seiner Körperhaltung seinen Gemütszustand.
„Hast du denn so wenig Vertrauen zu mir oder Helena? Ein Wort von dir zu mir über diese Sache und ich hätte mit ihm gesprochen. Er wäre nicht der erste Mann, den ich an der Porta abgewiesen hätte. Und ich kann mit den Zorn anderer Menschen auf mich gut leben. Aber was wäre, wenn Secundus Petronius Mela kein aufrichtiger Mann gewesen wäre? Was wenn er sich an Helena für ein Verbot, das euch die Zusammenkunft untersagt hätte, gerächt hätte? Livilla, es sind solche Manöver, die oft unüberschaubare Konsequenzen nach sich ziehen. So schmerzhaft auch die Wahrheit oft sein kann, sie ist der einzige Weg um Probleme zu lösen. Es ist oft der unbequemste aller Wege, die leidvollste aller Optionen, doch die einzige wahre Wahl.
Eine Wunde, durch eine saubere Klinge verursacht, vermag zu heilen. Auch wenn sie noch so tief sein sollte. Doch die Wunde, verursacht durch eine kleinen Dorn, auch wenn sie zu beginn weniger schmerzhaft ist, birgt die Gefahr der Entzündung. Sie heilt fast nie und kann ihr Opfer in den Wahnsinn treiben.“
Einen Schritt löste sich Constantius vom Fenster. Seine Augen glitten durch das Zimmer seiner Cousine.
„Glaubst du denn, dass seine Gefühle sich verändert hätten nur weil es ihm verboten wäre dich zu sehen? Glaubst du das wirklich? Glaubst du denn nicht viel eher, dass er sich noch immer Hoffnungen gemacht hätte? Sich nach dir in jeder Stunde verzehrt hätte? Und wenn du nicht weißt, was derartige Gefühle anrichten können, wozu sie Männer bewegen können, dann sollte es dir wenigstens die Geschichte lehren. Denke nur an Troja, dessen mächtige Mauern niedergebrannt wurden, weil ein Mann eine Frau zurück haben wollte. Ja selbst Orpheus ist in den Hades gegangen um seine geliebte Frau zurückzuholen.“
Ein weiterer Schritt folgte und seine Stimme gewann wieder an Intensität.
„Gewiss ist es nicht sicher, dass die Wahrheit seine Gefühle hätte versiegen lassen. Der Schmerz einer verschmähten Liebe kann diese Gefühle ebenfalls in Hass umschlagen lassen. Denn Hass wird meist aus tiefer Liebe geboren und steht der Liebe an Intensität in nichts nach. So ein Hass vermag auch Tod und Leid zu bringen, doch kann man sich dagegen wappnen. Mann kann sich dem kommenden aufrecht entgegen stellen, sollte es überhaupt so weit kommen. Versteh mich richtig Livilla! Im Leben wirst du es nie jeden Menschen recht machen können. Leben heißt auch anderen Schmerzen zuzufügen. Auch wenn es nicht in deiner Absicht liegt. Alles was wir können ist aufrecht durch dieses Leben zu gehen um später, wenn die Götter über uns richten, erhoben Hauptes dazustehen.“
Mit dem letzten Schritt stand er wieder dicht vor ihr.
„Livilla. Egal wie schwierig etwas wird, wie ernst die Lage ist. Es gibt keinen Grund für Heimlichkeiten. Nicht hier, nicht wenn du mich und Helena hast. Denn hier hast du die schützenden Armen, die bereit sind dich gegen das Schicksal selbst zu verteidigen!“
Tief zog er die Luft in seine Lungen. Bemüht sein Temperament unter Kontrolle zu bringen.
„Da du mir die Wahrheit mitgeteilt hast und du deine Lektion an diesem Abend schmerzhaft erlernen musstest, wird dir dies nicht zum Nachteil gereichen und keine Verschärfung deiner Strafe mit sich bringen. Ebenso werde ich in dem Brief an deinem Vater darüber kein Wort verlieren. Allerdings will ich, dass du im Angesicht der Götter Reue zeigst und sie um Vergebung bittest!“