Beiträge von Tiberius Duccius Lando

    Lando ließ die Tirade des Herge über sich ergehen. Es war nicht das erste Mal, dass sich die in Menschenform gepresste Dummheit an einem Wortgefecht versuchte, allerdings bewunderte Lando die Sturheit, mit der sich der Kerl weigerte seine Niederlagen zur Kenntnis zu nehmen. Gerade als er etwas entgegen wollte mischte sich jedoch Tudiscius Pudens ein, dessen Anteilnahme er beiläufig lächelnd entgegennahm, ohne jedoch den drohenden Blick von Herge zu nehmen.


    Und dann geschah es: Herge verplapperte sich. Aber nicht auf irgendeine Art und Weise, nein, er redete sich selbst so tief in den Mist, den seine Tiere fabrizierten, dass er Jahre darin stecken würde. Wenn Lando ihn nicht vorher umbrachte.


    "Sag das nochmal...", zischte er, auf einen Schlag in Menschenform gepresste Wut, "..Herge.. sag das noch mal. Die Götter also, richtig? Ich würde eher sagen, ein kleiner Wurm wie du hat mit dem Feuer gespielt. Dafür wirst du dich verantworten müssen, du Made von einem Mann. Wenn du ein Problem mit mir hast, dann regel es verdammt nochmal wie ein Mann, und nicht wie ein Weib."
    Er hatte sich von Elfleda und den anderen gelöst, und war auf den dicken Germanen zugegangen, der sich gerade um Kopf und Kragen geredet hatte, um diesen nicht einmal eine Hand breit entfernt in Grund und Boden zu starren. Alle Gespräche ringsum waren verstummt, man roch Krieg, und das sorgte dafür, dass Lando und Herge die komplette Aufmerksamkeit sicher war.

    "Tut es das?", fragte Lando, und legte beide Hände auf ihren Bauch als ob er prüfen müsste, was sie sagte. Einen Moment der Stille, in dem er den Atem anhielt, einen Moment, in dem er sich nur auf seine beiden Greifer konzentrierte und darauf wartete, dass sich die Bauchdecke seiner Frau von innen heraus gegen sie verformte. Als Naha sich in Elfleda gebildet hatte, hatte er diese Momente genossen, in der er einfach Mann, Elfleda einfach Frau und beide zusammen werdende Eltern waren. Doch bei dem neuen Nachwuchs war das anders... die Ereignisse der letzten Wochen hatten kaum Zeit für solch kostbare Momente gelassen.


    "Ja. Noch immer der Husten.", wiederholte Lando mit monotoner Stimme. Er wusste, es würde sich nichts daran ändern.. zumindest nicht allzu schnell. Und das Gefühl, nichts tun zu können nagte an ihm fast schlimmer als die eigentliche Ursache. Er hasste es, nichts tun zu können, abgrundtief. Er hatte das Gefühl zu hassen gelernt, als seine Schwester von ihm getrennt wurde, und er nichts tun konnte um sie zu retten.


    Lando, Elfledas Bauch streichelnd, genoss ihre kleinen Zärtlichkeiten, aber als sie auf die Prudentii zu sprechen kam verzog er eine Miene. Ach, da war ja was. Er hätte es begrüßt, die Tote vor seiner Nase noch ein wenig weiter ausblenden zu können, so aber wurde er direkt wieder mit ihrer Präsenz konfrontiert.
    "Nein.", antwortete er, nachdem er die Familienverhältnisse der Prudentii durchgegangen war, "Haben sie nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Balbus noch einmal eine Tochter seiner Sippe in den Norden verheiraten wird. In den letzten drei Jahren haben drei von ihnen hier den Tod gefunden. Das würde auch mich misstrauisch machen... ich muss mir für Witjon was anderes überlegen. Vielleicht doch eine Heirat mit einer der Sippen im Norden.. ich weiß es nicht. Die Mädels von hier scheinen auf jeden Fall mehr auszuhalten als die aus dem Süden." Bei den letzten Worten kniff er ihr kurz in den Hintern, Neckereien wie sie eigentlich seine Art waren, und doch selten geworden waren.

    "Und ich dachte schon, dass es nach Aas riecht...", meinte Lando scheinbar zu seiner Frau als er sich zu dem Menschen umwandte, der ihn auf so unverhohlene Art und Weise angesprochen hatte. Der Anblick des selbstgefällig grinsenden und sich breit präsentierenden fetten Herge hatte schon etwas abstraktes.


    "Hergen, natürlich.", seufzte Lando, als wäre er gerade in einen Kuhfladen getreten, "Was treibt dich eigentlich hier her? Normalerweise machst du doch einen Bogen um den Fluss, als hättest du Angst, man würde in deiner Abwesenheit deine mickrige Ernte stehlen."
    Ein Lachen machte die Runde, als Lando auf die Ausrede des Bauern anspielte, sich aus Sorge um seine Felder für kein Amt in der Civitas, oder gar den Ordo Decurionum zu bewerben. Der Grund lag eher in der sehr begrenzten Intelligenz des Mannes, und in seinem Unvermögen auch nur einigermaßen annehmbares Latein zu lernen.

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    Titus Duccius Vala
    Casa Prudentia
    Roma | Italia


    Alrik,


    es gibt Arbeit für dich. Callista ist vor wenigen Tagen im Kindbett gestorben. Nicht wirklich überraschend, schließlich hatte sie wochenlang vorher schon gekränkelt, aber sie hat es zumindest geschafft Witjon einen Sohn zu gebären bevor sie in den Orcus eingegangen ist. Der Junge tut sich bisher ganz gut, ich hoffe für den Ubier, dass das Balg überlebt. Sonst bekommen wir echte Probleme. Witjon ist zur Zeit absolut am Boden, ich weiß nicht, wie die Römerin es geschafft hat ihn so schnell an sich zu binden, aber der Junge verhält sich als wäre ihm gerade die letzte Frau auf Midgard in den Armen weggestorben.


    Es ist deine Aufgabe, Balbus von dem Verlust zu erzählen. Und auch vom Tod Thalnas, die einem Fieber erlegen ist. Die Begräbnisse wurden nach römischer Sitte arrangiert, du wirst ihm versichern, dass die Traditionen seiner Ahnen eingehalten wurden und sämtliche Belange bereits geregelt wurden. Versichere ihm zudem, dass dies an der Verbindung unserer Sippen nichts ändern wird. Es ist außerordentlich wichtig, dies zu betonen.


    Sobald der Junge über die Wochen hinaus ist, wird er einen Namen erhalten, ich glaube Witjon wird ihn Audaod nennen, nach seinem Großvater. Einen römischen Namen hat er noch nicht, aber der ist für uns auch erst später von Belang.
    Witjons Bruder sollte auch davon erfahren, genauso wie Dagmar.


    Bevor ich es vergesse: das Handelshaus ist nieder gebrannt. Aus heiterem Himmel, kein Thorsschlag, kein garnichts. Wir stehen finanziell gerade vor großen Problemen. GROßEN Problemen. Sprich: du wirst einige Zeit ohne den Ertrag deiner Betriebe auskommen müssen, denn verkaufsfertige Ware gibt es jetzt erst einmal nichtmehr.


    Damit es auch eine gute Nachricht gibt: Elfleda ist wieder schwanger. So die Götter wollen, schenkt sie mir dieses Mal einen Sohn. Und so die Götter wollen, nimmt das alles ein gutes Ende.


    Bevor ich es vergesse: wie ergeht es unserer Sache?


    Til ars ok frisar.


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    Tiberius Duccius Lando
    Casa Duccia | Mogontiacum | Germania Sup.

    Praefectus Vehiculorum Cursu Publico Germ. Sup. | Curator Cons. Merc. Freya Mercurioque
    Sodalis Curiae Germ. Sup.
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    Lando war da. Das fasste so ziemlich alles zusammen, was man im Moment über Landos Präsenz sagen konnte. Mit versteinerter Miene hatte er die Prozession begleitet, mit versteinerter Miene hatte er das Ritual verfolgt, und mit ebenso versteinerter Miene hatte er die Entzündung des Feuers beobachtet. Für ihn war der Tod Callistas immernoch eine vorrangig politische Katastrophe, und für Witjons Schmerz brachte er wenig mehr als Unverständnis zustande. In einer großen Stadt wie Mogontiacum, für germanische Verhältnisse riesig, starben jede Woche Menschen. Und je größer das eigene Netzwerk war, desto öfter wurde man mit dem Tod konfrontiert.


    Die Frauen sahen das offensichtlich anders, eine nach der anderen scharten sich um Witjon und drückten ihm auf die eine oder andere Art und Weise das Mitgefühl aus. Lando gab sich, als würde er es nicht bemerken, doch ein Blick in Witjons Gesicht würde reichen um zu erkennen, wie sehr der junge Mann mit seinen Gefühlen zu kämpfen hatte.
    Was Lando zu einem Moment der Selbstkritik führte. Wann hatte er zuletzt geweint?
    Er konnte sich nicht daran erinnern. Mit Sicherheit, bevor seine Familie beinahe auf einen Schlag ausgelöscht wurde. Doch die Erinnerungen daran waren verschwommen, als wäre nicht sicher ob sie einmal Realität oder Traumfigur gewesen waren. Hatte er geweint, als Eila beinahe umgebracht worden war? Nein, selbst da hatte er sich bärbeissig und kühl gegeben... sein Blick wanderte zu seiner Schwester herüber, und er realisierte, dass er wohl um niemanden weinen würde, wenn nicht um sie.
    Eine Erkenntnis, die ihn irgendwie traf... und ihm einen kurzen Augenblick des Schuldgefühls schenkte. Aber auch nur einen kurzen, dann drifteten seine Gedanken wieder ab.

    In letzter Zeit schlief Lando nicht gut. Garnicht gut. Er erwachte immer wieder, weil er das Gefühl hatte zu ersticken. Und wenn er dann erwachte, hörte er nichtmehr die üblichen Geräusche des ruhenden Hauses, die der schlafenden Stadt oder den ruhigen Atem seiner Frau, nein, das erste was er hörte war das Rasseln in seinen Lungen. Irgendwie wusste er, dass ihn dieses Rasseln umbringen würde. Drei Männer waren schon an den Folgen des großen Brandes verreckt, und er spürte, dass Hel nicht weit war.


    Weit war Hel allerdings für die tote Römerin, die seit Tagen im Atrium des Hauses aufgebahrt war. Für Lando ein seltsames Geschehen. Die Herrichtung der Toten war ihm unheimlich, gerade weil er Angst vor dem hatte, was passieren konnte wenn man Toten ihre Ruhe nicht gönnte. Aber sie war Römerin, und Witjon hatte auf der Einhaltung der römischen Traditionen bestanden. Was dafür sorgte, dass sämtliche Menschen, die in den drei Tagen der germanischen Totenruhe gekommen wären sich nun auf sieben Tage verteilten, was Lando weniger in den Kram passte. Bei drei Tagen hätte er den ganzen Öffentlichkeitszirkus schnell hinter sich gehabt, so aber wurde er immer wieder aus dem Tagestrott gerissen, um die Besucher zu empfangen nachdem sie Witjon ihr Beileid ausgesprochen hatten.
    Sowieso: Witjon. Die sehr heftige Reaktion nach Callistas Tod machte Lando große Sorgen. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass Callista draufgehen konnte, gerade weil sie die Wochen zuvor quasi nur krank gewesen war. Um ehrlich zu sein: es hatte ihn gewundert, dass sie nicht mitsamt Ungeborenem lange vor der eigentlich Geburt verstorben war, was ihm dann doch Respekt abnötigte. Sie hatte ihren Zweck erfüllt, wenn auch nur einmal. Jetzt musste das Balg nurnoch überleben, und die Situation sah nicht ganz so düster aus.


    Das waren die Gedanken, die Lando durch den Kopf schossen nachdem er wieder einmal außerplanmäßig aufgewacht war. Nachdem er begriffen hatte, wie absurd die Situation war, sich noch im Halbschlaf über sowas den Kopf zu zerbrechen, bemerkte er, dass er alleine war. Er warf sich ein langes Hemd über und schlüpfte in eine Hose bevor er einen Blick in das kleine Bettchen seiner Tochter warf. Die Kleine schlief noch tief und fest, was für das Mädchen in letzter Zeit immer typischer wurde. Ein Segen für die Eltern.
    Leise versuchte er die Treppe zum Rundgang hinab zu steigen, und dann sah er seine Frau, wie sie bei der toten Römerin stand. Wenige Augenblicke später stand er bei ihr, und schlang seine Arme um sie und küsste sie auf ein Ohr.


    "Warum bist du schon wach?", fragte er, als wäre Callista garnicht da. Er hatte Stunden hier zugebracht, und über die aktuelle Situation nachgrübelnd die Aufgebahrte angestarrt bis ihm die Augen weh taten. Irgendwann hatte er einfach aufgehört, sie zu sehen.. wenn sie noch länger hier lag, würde er beginnen sie als Einrichtungsstück wahrzunehmen.

    "Kein Platz mehr für dich?", fragte Lando rhetorisch, und eine Art von Wut stieg in ihm auf, die wohl nur ein Bruder für seine törichte Schwester empfinden konnte.


    "Was hast du dir denn vorgestellt? Dass es hier so weitergeht wie immer? Ich habe eine Verantwortung für diese Familie.. hätte ich ewig Stallbursche bleiben sollen?", er stockte. Diese Frage hatte er sich in letzter Zeit immer seltener gestellt. Früher hatte sie ihn stets begleitet, als die Arbeit immer mehr wurde, und die Verantwortung sich über dem ehemaligen Bauern haushoch auftürmte. Seitdem er verheiratet und Vater geworden war, hatte er sich auf eine Art und Weise in sein Schicksal gefügt, die nicht wirklich mehr viel mit dem Menschen zu tun hatte, der er früher einmal gewesen war.


    Er ließ sich zurück auf das Bett fallen, und starrte an die Decke.


    "Weißt du noch, wie ich dir auf einer alten Kuh das Reiten beigebracht habe? Du konntest es quasi sofort... und ich bin runter gefallen, als ich dir zeigen wollte, wie man schwungvoll aufsteigt."


    Nachdem die Ruine vollkommen ausgeglüht war, begann man mit den Aufräumarbeiten. Zu retten war kaum etwas, und trotzdem hob man alles auf, was man wiederverwenden konnte. Das betraf besonders die Metalle, aber auch grobe Arbeiten, sowie unter Schutt vergrabene Pelze und andere hartnäckige Waren konnten als wiederverkaufbar eingeordnet werden.
    Und doch: der Schaden ging in Gold die Zahlenleiter erbarmungslos hoch, bis man ihn kaum mehr sehen konnte.


    Was sämtliche Gedanken an eine Neuerrichtung der FMQ als Handelshaus quasi sofort obsolet machte, soviel Finanzmittel hätten alle Socii nicht aufbringen können wenn sie ihr letztes Hemd verpfändet hätten.
    Das führte letztendlich dazu, dass man sich auf die Ursprünge besann: das Geschäft musste weitergehen, gerade anfangs des sich ankündigenden Sommers. Also raffte man an Mitteln zusammen was man konnte, mietete sich die nötige Anzahl an Marktständen in der Basilika (und bewegte x Händler mit Geld oder Drohung dazu, diese aufzugeben) und fing quasi ganz von vorne an.


    Das Angebot blieb das gleiche, auch wenn das Geschäft nun personalintensiver wurde, und viele Waren noch nicht wieder verfügbar waren, immerhin war mit dem Handelshaus auch ein beträchtlicher Teil der Lagerkapazität vernichtet worden.


    Und dennoch: die Arbeiter taten ihr möglichstes, und bald ward wieder gekauft. Wie in alten Zeiten.

    Selbstverständlich war Lando ebenfalls anwesend, wie viele andere aus seiner Sippe wie seiner Munt ebenso. Mit den Familien der Menschen, für die Lando die Verantwortung trug stand er inmitten einer Gruppe von mehr als dreissig Menschen. Nicht viel verglichen mit dem was er hätte ansammeln können, hätte er Wert darauf gelegt den Einflussbereich seiner Sippe durch personale Präsenz darzustellen. Wie er sowieso generell wenig wert auf Statuspräsentation legte, was vor allem daran lag, dass selbst nach Jahren im für seine Verhältnisse unermesslichen Wohlstand nichts an den Eindrücken eines Lebens änderten, dass er schon lange hinter sich gelassen hatte. Sein Weib kam da definitiv aus einer anderen Welt, ihr sah man die Frau von Stand beim ersten Blick an, was sie so zum Zentrum der duccischen Bagage machte, die auf der Brücke stand und das Opfer für den Rhenus beobachtete.


    Lando hörte kaum hin, seine Gedanken steckten seit Tagen in einer Sackgasse. Wie die FMQ wieder aufrichten? Wie Balbus den Tod seiner Verwandten beibringen? Was mit seiner Schwester anfangen?
    Seine immernoch stark angeschlagene Gesundheit spielte dabei nicht einmal eine Rolle, würde sie aber, wenn es nach seinem Weib ging. Bei den Massen an Kräutern, die ihm auf die eine oder andere Art und Weise aufgezwungen worden waren, hätte er mittlerweile wie ein Wiesengeist aussehen müssen... grüne Haut, Ohren die sich drehen wie es Ringelblumen tun und gelben Haaren. Tat er aber nicht, was er sich allerdings auch nicht erklären konnte.


    Das Opfer fand sein Ende, und Lando nickte zufrieden über das Werk seines Vetters, tauschte hier und da Kleinsprech aus, was er noch nie wirklich konnte, und wartete darauf, dass sich die ersten in Bewegung setzten.

    "Na großartig...", raunte Lando, der eigentlich hätte zugeben müssen von römischen Bestattungssitten nicht die geringste Ahnung zu haben. Alles was er wusste, war, dass sie ihre Toten ebenfalls nach einer angemessenen Trauerzeit verbrannten, die Asche in Urnen füllten um sie schließlich in Sarkophagen oder Grabmonumenten zu bestatten. Und soweit er wusste, hatten die Prudentii noch kein Grabmonument hier in Mogontiacum.


    Lando seufzte laut, dann winkte er den alten Mann heraus: "Schick jemanden zur Casa der Prudentii, und lass ihnen sagen, dass wir uns um die Bestattung kümmern werden."


    Auch wenn Lando nicht wusste, wie genau er das anstellen wollte. Zuerst galt es eh einmal, einen Brief zu schreiben...

    "Tot?", zog Lando eine Augenbraue hoch, diese Nachricht war nach all den letzten Tagen irgendwo nichtmehr in der Lage, ihn großartig zu schocken.
    Allerdings ärgerte sie ihn... sie verkomplizierte die Sache, und das nicht unerheblich. Jetzt durfte er Balbus nicht nur schreiben, dass Callista im Kindbett gestorben war, nein, er durfte ihm auch noch sagen, dass auch Thalna in Germania den Tod gefunden hatte.


    "Das sind jetzt derer drei...", murmelte Lando, der den erschütterten Witjon nicht vergessen hatte, der ob der Erkenntnis der toten Aquilia beinahe ihrer aller Leben riskiert hatte.

    "Albin.", antwortete Lando, der sich nicht einmal mehr daran störte, dass der alte Mann eintrat ohne seine Antwort abzuwarten. Er blickte von einem Schriftstück auf, dass die Gesamtkosten der Räumung der Ruine inmitten der Stadt betraf, und er war froh um die kurze Ablenkung, die er davon bekam. Bis er die Miene des alten Mannes sah.


    "Was, bei Baldurs nassem Bart, ist jetzt schon wieder passiert?"

    Als das Geschrei und Gestöhne ein Stockwerk höher ein Ende nahm, war Lando seinem Vetter langsam zum Rundgang gefolgt. Schritt für Schritt, in angemessenem Abstand zu Witjon.
    Es war Elfleda, die die Tür öffnete, und dem Ubier seinen Nachwuchs präsentierte. Wie sie auf die Idee kam, das rote Knäuel könnte in irgendeiner Art und Weise hübsch sein, verstand er allerdings nicht. Genauso wenig wie ihm vorgebetet wurde, dass Naha hübsch war, als sie geboren war.


    Ein Junge, so so.
    Lando warf über Witjons Schulter einen Blick in das Knäuel aus Stoff und Säugling, und verzog die Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. Er warf seiner Frau einen undeutbaren Blick zu, doch diese nahm den anscheinend garnicht wahr, denn sie hatte damit zu tun Witjon den Tod seiner Frau zu verkünden.
    Callista war also gestorben. Lando fegte das nun nicht so von den Socken, immerhin bereitete man sich in diesen Tagen bei einer Geburt auch immer auf einen Tod vor. Witjon allerdings, der schon immer etwas emotionaler war, und dies auch schon oft gezeigt hatte, war wie von den Socken gefegt.
    Dies war der Punkt, an dem Lando seinen Rückzug antreten würde. Es galt, eine Bestattung zu organisieren. Als wäre nicht schon genug Elend in den letzten Tagen geschehen, nun musste Lando Balbus auch noch schreiben, dass ein weiterer Spross der prudentischen Familie in Germania sein Ende gefunden hatte. Hoffentlich würde das Balg überleben, das wäre zumindest eine Erhaltung der Beziehung zu den Römern, auf die man sich verlassen könnte. Dazu noch ein Sohn. Aufmal erschien es Lando garnicht mehr so abwegig, Witjon seinen Jungen zu gönnen.


    Lando wandte sich mit versteinerter Miene um, Vater/Witwer und seine Frau nicht mehr beachtend. Leise stapfte er wieder zum Treppenaufgang, der ins Atrium hinunter führte, und während das Knarren des Holzes jeden Schritt kommentierte, konnte man ihn leise fluchen hören: "Verdammte Scheisse!!!"

    ...nachdem Lando sich durch den alltäglichen Wust an Aufgaben gearbeitet hatte, fand er die Zeit nach seiner zurückgekehrten Schwester zu sehen. Er klopfte nicht an, weil es so etwas wie Privatssphäre seinem Verständnis nach einfach nicht gab, und die dünnen Mauern zwischen den Zimmern eher dem Zweck dienten, dass man seinen Krempel schnell wiederfand. Gerade die Frauen! Der römische Wohlstand war Landos Empfinden nach vor allem ein Geschenk an die Frauen! Was konnte man auf den Märkten nicht alles für sinniges und unsinniges einkaufen, um es dann in Wagenladungen nach Hause zu schleppen? Er war ja froh, dass Elfleda noch frisch und unberührt genug war, um nicht auf den Geschmack des massiven Geldverschleuderns gekommen zu sein. Eila war da hingegen ein ganz anderes Kaliber, und Lando war sehr froh gewesen, als sie die Verantwortung für einen kleinen Buchladen übernommen hatte, und so feststellen durfte wie schnell Geld auf einmal weg sein konnte, wenn man nicht darauf aufpasste. Vor allem, wenn man aus einem Kulturkreis kam, in dem Geld nicht die geringste Rolle spielte.


    Lando ließ sich, Eilas Betätigung nicht beachtend, auf dem Bett nieder, und blickte sie nicht einmal an. Er starrte geradeaus an die Wand, zu tief saß irgendwie noch das Gefühl der Hilflosigkeit, das ihn begleitet hatte, seitdem er ihren Brief gelesen hatte, und sich eingestehen musste, dass er dem Empfinden ihrer Eltern nach in der Sorge um seine Schwester vollkommen und vollumfänglich versagt hatte.


    "Nun?", fragte er sie schließlich, als sie selbst nicht mit der Sprache herausrückte.

    Ein inniges Husten, gefolgt von einem rasselnden Röcheln als habe jemand dreitausend Jahre billiges Rauchwerk geschmaucht, kündigte das Erscheinen des Familienoberhaupts an, lange bevor er in der Eingangshalle erschien. Die Erscheinung des rothaarigen Mannes hatte sich in den letzten Wochen gravierend geändert, was Pi mal Daumen mit dem Verschwinden einer bestimmten Person begonnen hatte. Der Ärger mit einer einfältigen Kindsfrau, einem notorisch streitsüchtigen Ordo Decurionum, die Arbeit einer ganzen Kommunikationsprovinz sowie die jüngsten Ereignisse hatten Lando an den Rand der Belastbarkeit getrieben, und der Brand, der das Handelshaus vernichtet hatte und ihm kiloweise Staub und Asche in die Lungen gepresst hatte, gab ihm zur Zeit den Rest: für etwas mehr als dreissig Monde sah Lando tierisch alt aus. Und so fühlte er sich im Moment auch, um genau zu sein: jeden Tag etwas schwächer.
    Als er also mit müdem Blick in die Eingangshalle schlurfte, lächelte er seine Frau matt an, auch wenn ihm gerade überhaupt nicht nach Lächeln zumute war. Der Verlust Callistas war ein herber Schlag für die Sippe, vor allem in Anbetracht der Beziehungen nach Rom. Dass auch noch Thalna, die Base des Balbus, an einem Fieber gestorben war fiel da schon fast nichtmehr ins Gewicht. Schlichtweg: die letzten Tage und Wochen waren eine einzige Aneinanderreihung von Katastrophen, und Lando fand immer weniger die Kraft, diese zu stemmen.


    Als sein Blick auf seine Schwester fiel, hielt er nicht einmal mehr inne, sondern schlurfte in gerader Linie genau auf sie zu. Als er einen halben Arm lang vor ihr stand, starrte er sie drei Momente lang starr an, bevor er ihr mit der flachen Hand eine schallende Ohrfeige verpasste. Als das Klatschen in der Halle verklang, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, und die andere Hand erhob sich, um die nicht geschundene Wange seiner Schwester zu streicheln.


    "Willkommen zurück.", raunte Lando mit dem seit dem Brand stets präsenten leisen Röcheln, und wandte sich mit einem zufriedenen Schmunzeln ab, um wieder in den Gängen der Casa zu verschwinden.

    Die Ernennung von Verus zum Pontifex wurde von den Duumvirn schon fast beiläufig abgenickt, ein Unterfangen, das nicht möglich gewesen wäre wenn die Diskussion um die zu erwartenden Schäden an Fluss und Flur nicht so ausgeartet wäre. Lando, der sich nachdenklich das Kinn hielt kam nicht umher leicht zu schmunzeln, manchmal waren politische Coups selbst für Töffel wie ihn nicht unerreichbar.
    Die folgende Diskussion konnte dagegen schon problematischer werden. Sowohl für seinen Vetter Phelan, dessen... eigensinnige Opferführung nicht nur ihm aufgefallen war, sondern auch für seinen Vetter Witjon, der die ganze Stadt mit zwei Statuen überrascht hatte.


    Schon fast automatisch suchte Landos Blick die Sitze des Petronius Crispus und seines Kompagnons Hadrianus Iustus, doch diese waren leer. Das könnte seinen Vettern den Arsch retten, dachte der rothaarige Germane bei sich, als sich die anderen Decuriones weigerten, etwas zu der Sache beizutragen.

    "Gut.", kommentiere Lando lakonisch die laut Witjon dargebrachten Opfer, und driftete in Gedanken wieder in Richtung verkohlter Ruine auf dem Forum ab. Auch wenn das Thema für ihn schmerzlich war, so sah er doch bald darin genau die richtige Möglichkeit den nervösen Kerl neben ihm abzulenken: "Ich spiele übrigens mit dem Gedanken, das Handelshaus nicht wieder aufzubauen. Erst einmal fehlt und dafür ein riesiger Haufen Geld, zweitens ein riesiger Haufen Ware, und drittens ein riesiger Haufen Aufwandsentschädigung. Ich will nicht sagen, dass wir arm sind...", erzählte Lando ohne auf die Reaktion seines Vetters zu achten, "...aber wir haben schon deutlich bessere Tage gesehen, wenn du verstehst was ich meine. Uns fehlen definitiv die Mittel, um wieder dort anzufangen wo man uns aufgehört hat."
    So Lando sprach, konnte man seiner Stimme auch ein leises Rasseln entnehmen. Das unfreiwillige Bad im Teich des Anwesens hatte ihn selbstverständlich erkältet, und die Staubwolke, die auf sie herabgefahren war als das Handelshaus in sich zusammenstürzte hatte ihr übriges getan um aus dem einstmal quickfidelen Germanen ein gesundheitliches Wrack zu machen.
    Und dennoch: so schlimm wie um Callista stand es nicht um ihn, was ihn dazu veranlasste, einfach die Klappe zu halten und so zu tun als ginge es ihm gut.


    Ein weiterer Schrei erklang von oben, das übliche Gestöhne einer Frau die gerade versuchte mehrere Kilo Mensch aus sich heraus zu pressen. Auch wenn Lando so etwas schon oft vernommen hatte, immerhin waren in diesen Zeiten dauernd irgendwelche Frauen schwanger, so fiel ihm in seiner Gedankenbrüterei nicht auf, dass da oben etwas ganz und garnicht nach Plan verlief.


    "Achja, hast du etwas davon gehört, dass ein Mann aus der südlichen Vicus Lanthilda den Hof machen will?", kam er dann doch wieder auf ein Thema, das er seit einigen Tagen verdrängt hatte. Als Vorsteher einer Sippe musste man nicht nur die eigenen Verwandten irgendwie sinnvoll verheiraten, auch für das Gesinde mussten gesellschaftliche Verantwortungen übernommen werden.