Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    Es gab nichts weiter zu sagen. Zumindest konnte ich nicht ersinnen, was. Celerina erschien mir in jenem Moment viel weniger die Furie zu sein, als die ich sie bisher so oft empfunden hatte, und das gab mir zu denken. Vielleicht würde sich die große Göttin in diesem Moment gnädig zeigen, da sie zuwenigst den Hauch eines Zusammenhalts erahnen mochte, doch war dies weder der passende Moment noch die passende Situation, um es darauf anzulegen. Morgen würden wir beide so rein als möglich den Tempel betreten müssen, und... Ich sah auf Celerina hinunter, überlegte. So gut, wie sie duftete, würde sie nach ihrer Massage und den Strapazen der Kosmetik wohl kaum das Bad mit mir teilen wollen, welches ich für heute Abend eingeplant hatte. Ich betrachtete eine Weile ihren Haarschopf und entschloss mich dann, den Vorschlag zumindest zu machen. Wenn sie ihn ablehnte, was wahrscheinlich war, hatte ich zuwenigst den Vorschlag gemacht und damit guten Willen gezeigt. "Ich wollte heute Abend ein Bad nehmen. Vielleicht möchtest du mir ja Gesellschaft leisten?" fragte ich also und sah auf sie hinunter, denn sie saß schließlich immer noch und war damit kleiner als Siv, auch wenn sie sonst größer war.

    Septima nannte mich immer noch Corvinus, obgleich sie nun schon eine geraume Weile zur Familie gehörte. Ich störte mich daran nicht, es kam mir nur vor, als distanziere sie sich absichtlich, doch sicher sein konnte ich mir nicht. Die Reise war ganz offensichtlich angenehm verlaufen - nun ja, so angenehm eine Reise in ihrem Zustand und überhaupt eben sein konnte.


    Als Celerina hinzu kam, betrachtete ich sie aufmerksam. Sie hatte sich gut im Griff, auch wenn ihr Blick zu Septimas Bauch glitt und ich meinte, die Sehnsucht darin erfassen zu können. Vermutlich aber spielte mir auch mein Wissen einen Streich und ich interpretierte in ihr Verhalten etwas hinein, das sie nicht zeigte. Meine Frau setzte sich neben die Tiberierin, und somit saß ich den beiden gegenüber. Einen Moment gestattete ich mir, einen Blick auf Celerinas bauch zu werfen, der keine Wölbung aufwies und so flach wie eh und je war. Septimas Bauch anzusehen, der sich unter ihrem Kleid abzeichnete, vermied ich jedoch weiterhin. "Das ist doch selbstverständlich", bemerkte ich, durchaus ein wenig verwundert. Vor ihrer Abreise hatten schließlich auch alle zusammen hier gewohnt. "Wie lang beabsichtigst du, hier zu bleiben?" erkundigte ich mich hernach, bis mir aufging, dass sie diese Frage vielleicht falsch interpretieren und annehmen würde, wir wollten sie baldigst wieder loswerden. "Ich frage, weil in diese Zeit eventuell die Umbaumaßnahmen fallen könnten, die wir geplant haben", erkärte ich also die verfolgte Intention meiner Frage, untermalt mit einem vagen Lächeln. Die Beantwortung ihrer Frage nach den anderen überließ ich Celerina, bestellte mir stattdessen etwas Wein. Es war wohl kein Wunder, dass Orest, Imbrex und Avianus den Sommer hier verbrachten, denn sie bereiteten sich auf eine weitere Amtszeit im cursus honorum vor, ebenso wie ich selbst, und Lupus verfolgte sogar noch weitere Ziele. Das ging nur mäßig gut, wenn man es von außerhalb erledigen musste.

    Sie war nun also schon da. Ich bedankte mich bei Minus und schickte den Knaben weiter zu Celerina, dann saß ich noch eine Weile nachdenklich im Arbeitszimmer und fragte mich, wie ich Septima am besten begegnen konnte, ohne unhöflich zu werden. Ich selbst machte dieser Tage wohl nicht den besten Eindruck, war müde und abgespannt und zermürbt. Dennoch gebot es nicht nur die Gastfreundschaft, sondern auch die Etikette, Septima gebührend zu empfangen und nicht allzu lange warten zu lassen, und so erhob ich mich bald, um sie zu begrüßen - obgleich ich noch immer nicht wusste, wie ich ihr am günstigsten begegnen sollte. Eines aber hatte ich mir vorgenommen. Ich wollte nach Möglichkeit vermeiden, ihr auf den Bauch zu starren, denn das würde die Gedankensteine ins Rollen bringen, und das wollte ich vermeiden.


    Septima saß bereits im atrium, ein aufmerksamer Sklave hatte ihr etwas zu trinken und einen Happen zu essen angeboten und holte nun gerade letzteres. Warum man das Familienmitglied nicht gleich in etwas bequemere Gefilde geleitet hatte, aededis oder triclinium allfällig, diese Frage stellte sich mir auf dem Weg zu ihr. Septima saß seitlich gedreht zu mir da, so dass einem das Kind unter ihrem Herzen sogleich ins Auge sprang, wenn man sich gestattete, hinzusehen. Ich heftete meinen Blick geradewegs auf die Augen der Tiberia und zauberte im Gehen ein Lächeln auf mein Gesicht. "Septima", grüßte ich sie und beugte mich zu ihr hinunter, damit sie nicht aufstehen musste. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und nahm ihr gegenüber Platz, während ich mich nach der Reise erkundigte. "Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir? Wie war die Reise?" In ihrem Zustand hätte ich Celerina niemals allein durch halb Italien reisen lassen, Leibwache hin oder her. So viele Leibwächter hätte das halbe imperium nicht aufbieten können, wie da meiner Meinung nach notwendig gewesen wären, und dann blieben immer noch das lange Sitzen und die Strapazen der Reise, das Ruckeln auf den Wegen und all die Gefahren, die einer werdenden Mutter sonst noch gefährlich werden konnten.

    Als Celerina zu mir aufsah, blickte ich, immer noch nachdenklich, auf sie hinab und versuchte, ihren Blick zu deuten. Es lag etwas darin, das mir fremd erschien. Und sie weinte. Wenn es etwas gab, das mich berührte, dann war es dies. Ich schürzte in einem Anflug von schlechtem Gewissen die Lippen, ehrlicherweise ratlos, was nun zu tun war, wie ich damit umgehen sollte. Ich strich ihr weiterhin behutsam über das Haar, eine Geste, der ich mir nun bewusst war und sie dennoch weiter fortführte. Sie suchte wieder die Nähe zu mir. In diesem Moment glaubte ich ihr, dass es sie ebenso grämte wie mich, keinen Nachwuchs zu haben. Zusehen zu müssen, wie andere uns zuvor kamen, erst Titus, dann gewiss Lupus. Vielleicht waren sogar Prisca und Avianus schneller, obgleich sich für sie erst ein passendes Gegenstück finden lassen musste. Ich musste an Laevina denken, allem voran jedoch an Siv, und starrte nun wieder etwas an, ohne es jedoch wahrhaftig zu sehen. Die Lasten, die ich dieser Tage mit mir herumzutragen hatte, sie drücken mir schwer aufs Gemüt und machten mich selbst empfänglich für Zuneigung gleich welcher Art, so dass ich es sogar genoss, hier zu stehen und Celerina zu trösten - schlicht, weil sie mich berührte und sich trösten ließ. Es war ein seltsames Gefühl, das ich nicht recht einschätzen konnte. Celerinas Verhalten ließ mich stärker fühlen, wenigstens einen Augenblick lang. Warum das so war, konnte ich nicht ermessen.


    Ich stand eine kleine Ewigkeit so dort, unablässig streichelnd. Meine Gedanken verloren sich alsbald, galten niemandem und nichts Bestimmtem, bis ich doch immer wieder bei dem Opfer hängen blieb, das am morgigen Tage zelebriert werden sollte. Bis zu den nemoralia war es noch über eine Woche hin. "Es wird gut gehen morgen", sagte ich in die ausgedehnte Stille hinein, einfach, um etwas zu sagen. Denn die Ratlosigkeit, was zu tun war, was sie vielleicht erwarten mochte von mir, diese Ratlosigkeit war geblieben.

    Es konnte wahrlich keiner von mir verlangen, in dieser Situation und mit diesem Wissen emotional gelassen zu bleiben. Nein, mir schwoll der Kamm, wenn ich auch nur an die Gedankenlosigkeit Laevinas dachte, und ich wusste nicht, was ich mit Laevina tun würde, sollte ich ihrer jemals habhaft werden. Es war beschämend, dass sie uns, ihre Familie, in diese Situation brachte. Dass sie mich in die Situation brachte, ernsthaft zu überlegen, Durus Prisca geben zu müssen, um des Friedens Willens. Durus indes schien weder ab- noch zugeneigt, was mehr als verständlich war. Ich sah mich genötigt, etwas zu verdeutlichen. "Gewiss. Ich möchte dir nochmals versichern, dass mich dieser Lauf der Dinge nicht minder fassungslos macht. Vielleicht hätte man Laevina viel früher nach Rom entsenden sollen. Vielleicht hätte sie dann besser aufgenommen, was eine Ehe von ihr erwartet. Ich bitte dich um Verzeihung für ihren Fehltritt und die damit verbundene Anmaßung. Unser politisches Bündnis tangiert diese missliche Angelegenheit nicht, hoffe ich."

    Er wollte also nichts sagen, bis die Geschichte offiziell sein würde. Gut, das akzeptierte ich, immerhin hätte ich selbst wohl auch nicht anders gehandelt. "Gestatte mir die inoffizielle Frage nach deinen eigenen Gedanken zum Sachverhalt", bemerkte ich hernach interessiert. "Bist du der Meinung, dass Frauen die Möglichkeit zugesprochen werden sollte, einen Platz in den collegia zu erhalten?" fragte ich meinen Mitsenator. Es bestand also die Aussicht auf eine weitere contio der pontifices in Kürze, bei der die Interpretation von Modestus und seinen Kollegen besprochen werden würde. Was Modestus' vorangegangene Frage betraf, so schwieg er dazu und ließ sich nicht durchschauen.

    Ich sah Celerina eine geraume Weile nur an, mit undeutbarem Blick. Ich dachte über ihre Worte nach. Wenn sie nicht schwanger wurde, wenn sie mir keinen Sohn schenken würde, würde ich sie dann verstoßen? Sollte ich mich erneut nach einer Frau umsehen - nach der Misere mit Laevina und Orest vielleicht bei den Tiberiern? Erneut diese Last auf mich nehmen, das ganze Prozedere durchspielen, das Celerina und ich bereits hinter uns hatten? Ich verspürte nicht nur wenig, sondern gar keine Lust dazu. Irgendwann war es genug, und diesen Punkt hatte ich längst erreicht. Celerina war also der Meinung, ich hätte eine bessere verdient, oder sagte sie es nur, weil sie glaubte, ich wollte es hören? Ich zog ein wenig die Brauen zusammen, betrachtete meine Frau, wie sie dort saß und nicht besonders glücklich aussah.


    Ich gab mir einen Ruck, trat neben den Stuhl, auf dem Celerina saß, streckte die Hände nach ihrem Kopf aus und drückte jenen sanft seitlich an meinen Bauch. Was ich dabei spürte, war kontrovers. Einerseits erfüllte mich diese Geste, diese Illusion von Zusammenhalt mit einer angenehmen Wärme, andererseits fühlte ich nicht mehr als die Liebe zu den Zwillingen, wenn ich Celerina so hielt. "Mit diesen negativen Gedanken solltest du morgen nicht in den Tempel der Iuno gehen", erwiderte ich. Die Göttin würde es merken, das Opfer wäre vertan. Ein Glück, dass ich entsprechende Vorsorge getroffen hatte. Ich strich Celerina das Haar hinter ihr Ohr, eine Bewegung, die ganz automatisch kam, während ich so dastand und sie hielt, und die ich fortführte, ohne großartig darüber nachzudenken. Eine richtige Antwort blieb ich ihr schuldig. Ich wusste nicht, was ich tun würde. Wieder kam mir mein Sohn in den Sinn. Bevor ich ohne Erben starb, würde ich ihn annehmen, denn war er nicht das Resultat einer glücklichen Zeit? Er war mein Sohn, mein Fleisch und Blut. Nachdenklich starrte ich Löcher in die Luft, während ich Celerina hielt.

    Celerina hielt mich nicht länger zum Narren. Auch mir würde es einiges abverlangen, wohlwollend und ohne Neid auf das Kind in Septimas Bauch zu schauen, wenn sie es zur Schau trug. Ich hegte nicht einen Zweifel daran, dass es ein Junge werden würde. Ein Knabe, der Septimas Augenstern und Ursus' ganzer Stolz werden würde. Es würde schwierig werden. In diesem Moment jedoch ahnte ich nicht, dass Celerina auch nur daran denken könnte, wie die Situation sich für mich gestalten würde. Und wieder kam uns daher das Empfinden in die Quere, sich nicht in den anderen hineinversetzen zu können, denn vielleicht wäre unser beiderseitiger Empfinden in der Tat besser gewesen, hätten wir einander Trost zugesprochen. So aber blieb es, wie es war, und wir beide blieben weiterhin Einzelkämpfer.


    Ich schloss die Augen und schnupperte erneut an Celerinas Haut, suchte alles andere auszublenden. "Ägypten", wiederholte ich schließlich und blickte meine Frau wieder an, ihre Hand nun langsam sinken lassend. "Manchmal erscheint mir eine Reise dorthin einer Flucht vor der Verantwortung gleichzukommen. Bedauerlich, dass es mir vergönnt bleibt, dorthin zu reisen", sagte ich leicht abwesend vor mich hin, ohne recht darauf zu achten, was ich sagte. Erst als Celerina erneut etwas sagte, nahm ich sie wieder richtig wahr. Auf ihre Worte hin ließ ich ihre Hand endgültig los, verschränkte meine Arme vor der Brust und betrachtete sie forschend. "Ist das als Feststellung, Frage oder Bitte zu verstehen?" erkundigte ich mich ganz sachlich bei ihr und sah ebenso direkt zurück.


    Sim-Off:

    Leer mal dein Postfach ;)

    Die Zeit, die verging - sie erschien mir endlos. Jede Sekunde des Schweigens dröhnte in meinen Ohren wie laute Paukenschläge. Der Drang, etwas zu sagen, erwuchs mit jedem Atemzug, obgleich ich nicht wusste, was zu sagen war. Siv freute sich nicht. Sie zeigte keine Reaktion. An ihrer statt hätte ich mich wohl auch nicht gefreut, dafür war diese Mitteilung, die ganze Situation schlichtweg zu verdreht und abstrus, und doch hatte ich zumindest mit Erleichterung gerechnet. Doch da war nichts, sie zeigte...nichts, und wenn ich überhaupt sicher sein konnte, etwas auf ihrem Antlitz zu erkennen, so war es Schmerz. Und damit gab Siv mir ein unlösbares Rätsel auf, denn ich wusste nicht, worauf sich dies bezog. War es die Situation? Celerina? Gar ich selbst? Ich lockerte meine Umarmung, unfähig, Sivs Reaktion zu verstehen. Zum ersten Mal bereute ich insgeheim, Siv die Freiheit geschenkt zu haben, obgleich dieser Gedanke egoistischer nicht hätte sein können, denn ich hatte es unseres Sohnes wegen getan und sollte darob nicht bereuen. Und doch tat ich es, und dieses Selbsteingeständnis schnürte meine Kehle zu. Es war um so vieles einfacher gewesen, damals. Früher. Es schien so weit zurück zu liegen, dass ich nurmehr aus vager Erinnerung daran zehren konnte. Der Abend im Garten, als ich Siv das Silberpferchen schenkte. Die gemeinsamen Stunden frühmorgens, wenn sie neben mir aufwachte. Irgendwie mogelte sich dort auch die Erinnerung an das Gespräch mit Prisca hinein, die beschämende Unterhaltung, bei der ich mich vergessen und die dennoch den Ausschlag gegeben hatte für dies hier.


    In jenem Moment zuckte Siv zurück, löste sich allmählich von mir, immer mehr, immer weiter, bis sie neben mir saß und mich nicht anzusehen wagte. Ein aufdringlicher Kloß versperrte meinen Hals, ich fühlte mich, als konte ich nurmehr schwerlich atmen. Das hier fühlte sich nicht richtig an, es war schwerer als alles zuvor, schmerzhafter, als ich jemals in Bezug auf Siv gefühlt hatte. Es war, als hätte sie mir mit dem Fortrücken auch die schwelende Wunde wieder aufgerissen, als sei sie nur notdürftig geflickt, nicht aber geheilt worden. Die Stille brauste, einem Crescendo gleich - bis Siv schließlch etwas sagte und mich diese Worte, äußerlich gefasst, innerlidh doch trafen wie ein Vorschlaghammer. Ich schwieg, blickte sie mit scheinbarer stoischer Gelassenheit nur an, obgleich sich mein Innerstes konfuserweise aufbäumte wie ein bockendes Pferd, das einer Brandmarkung zu entfliehen suchte. Im ersten Moment war ich unfähig zu sprechen. Im nächsten wechselten sich Wut und Aufgebrachtheit ab - hatte ich nicht alles versucht, was mir möglich war? -, im darauf folgenden waren die Wogen geglättet und ich fühlte...nichts. Da war nichts mehr, ich war nichts mehr. Unter größter Anstrengung gelang es mir, zu blinzeln, noch größer schien mir der Kraftaufwand, den ich zum Drehen des Kopfes benötigte, um den Blick dem Tisch zuzuwenden und Sivs Ausdruck nicht sehen zu müssen. Ich kannte sie, und sie kannte mich wohl besser als ich mich selbst so manches Mal. Siv war niemand, der berechnend spielte, sie unterschied sich nicht nur darin von Celerina. Wenn sie also so etwas sagte, dann hatte sie einen Grund. Dann meinte sie es ernst. Ich versuchte, sie zu verstehen, doch ging mir im Kopf herum, dass ich doch alles versucht hatte, um die Situation zu ändern. Jeden einzelnen Streit, jede schier unerträgliche Situation zwischen Celerina und mir hatte ich ihretwegen ausgefochten. Sie wusste das, sie musste sich dessen bewusst sein. Und auch, wenn ich mich selbst so weit unter Kontrolle hatte, ihr nicht zu zeigen, wie sehr es mich wirklich traf, so war ich doch nicht imstande, es gänzlich zu verschleiern. Mein Blick wirkte verkniffen, ich selbst zum Zerreißen gespannt. Kläglich und ärmlich fühlte ich mich dabei, obgleich ich so gewiss nicht aussah. Und doch war es so, wurde ich das Gefühl nicht los, machtlos zu sein, das sichere Halteseil verloren zu haben und mich im freien Fall zu befinden. Es vergingen Momente, die sich zu einer Ewigkeit aneinander reihten, Augenblicke, in denen ich mit mir selbst haderte und doch gedankenlos vor mich hin starrte, bis ich es nicht mehr aushielt, tatenlos zu sitzen und zu starren. Rückzug oder Konfrontation? Die Entscheidung fiel mir unerwarteter Weise regelrecht leicht. Steif erhob ich mich, einem Gladiator auf verlorenem Posten gleich, wandte mich in unendlicher Langsamkeit Siv zu, griff nach ihren Händen und zog sie in den Stand, ohne dass sie eine andere Möglichkeit zur Reaktion hatte, außer aufzustehen. Ich verfluchte mich selbst dafür, für die Art, in der ich ihre Finger hielt, und für den Blick, mit dem ich sie bedachte und der mehr denn je all das ausdrückte, was in mir einen bunten Reigen tanzte, als ich noch nicht einmal jetzt etwas hervorwürgen konnte, das ich Siv noch niemals zuvor gesagt hatte.

    Meine Worte schienen ihn entweder gänzlich kalt zu lassen - oder aber er verbarg sehr gut, was er darüber dachte. Nun, mir sollte es recht sein, solange er sich meine Worte nur gut einprägte und sie befolgte. So nickte ich denn schlichtweg auf seine Worte hin, kommentierte sie jedoch nicht weiter.


    Das Latein des Ägypters war grauenvoll. Er erinnerte mich an Siv und ihre ersten Gehversuche in meiner Sprache, obgleich er es aus den vormals genannten Gründen schon viel besser meisterte als sie zu Beginn. Dennoch blickte ich ihn an, als hätte ich Zahnschmerzen, als er redete. Und doch war ich selbst Schuld, hatte ich ihn doch noch dazu ermutigt. Die Quintessenz der Antwort an sich jedoch sagte mir zu. Ich nickte. "Gut. Ich werde hin und wieder einen zuverlässigen nomenclator benötigen." Der letzte war schlussendlich an Altersschwäche gestorben. "Falls meine Frau dich entbehren kann, werde ich dich also hin und wieder mitnehmen. Deine Aufgabe wird dann sein, dir die Namen von wichtigen wie unwichtigen Männern zu merken und mir bei Bedarf zu nennen. Traust du dir das zu?" hakte ich nach. Sicherlich wäre es auch für Celerina von Vorteil, wenn Okhaton diese Tätigkeit beherrschte.

    Mir erschloss sich nicht ganz, welche Parallelen zwischen dem Senat und der Frage des Annaeus vorhanden waren, doch auch ohne die offensichtlichen Kongruenzen war seine Frage natürlich gerechtfertigt, zumal sie von einem quindecemvir einem pontifex gestellt wurde. Und doch würde ich meinem Senatskollegen - die einzige Verbindung zum Senat, wie mir gleichsam aufging - nicht recht weiterhelfen können. "Da muss ich leider passen. Bei der Sitzung, in der dieses Thema angesprochen wurde, wurde beschlossen, euch die Sibyllinischen Bücher befragen zu lassen. Tiberius Durus wollte dies anleiern. Dass er dabei den magister umging, war mir nicht bekannt, und ich glaube auch nicht, dass einer der anderen davon Kenntnis erhalten hat. Aber ich werde es während der kommenden contio gern ansprechen." Das würde ich so oder so, denn mich interessierte selbst, weshalb Durus die Zuständigkeiten so offensichtlich umging. "Wenn es keine deutliche Präferenz des pontifex pro magistro war, war es gewiss ein Versehen", sah ich mich noch genötigt hinzuzufügen. "Habt ihr denn schon etwas in Erfahrung bringen können? Die Beauftragung liegt nun schon eine ganze Weile zurück." Vermutlich hatte Modestus eine bestimmte Haltung zum Sachverhalt die mit der des magister divergierte, so dass Tiberius Durus allfällig mit voller Absicht den Annaeus angeschrieben hatte?

    Zitat

    Original von Decima Seiana
    Seiana bemerkte auf dem Gesicht ihres Patrons nicht einmal wirklich. Zu sehr beschäftigte sie noch die Neuigkeit, die sie von ihm erfahren hatte. Sicher, sie hatte das Gefühl gehabt sich doch ganz gut präsentiert zu haben vor dem Senat, aber dennoch... zu hören, dass sie tatsächlich gewählt worden war, war etwas anderes. „Nun...“, antwortete sie, ein wenig verzögert und mit einer vagen Handbewegung. „Ich habe zumindest keine Nachricht erhalten, nein.“ Sie lächelte, während sie zugleich immer noch versuchte, die Nachricht zu fassen. Sie ließ den Blick über den Schreibtisch schweifen, anschließend die Regale. „Ich werde kaum lange brauchen für den Umzug.“ Persönliche Dinge hatte sie ebenso wenig hier, nur ihre Arbeitsunterlagen, von denen sie die ein oder anderen noch brauchen würde. Sie sah wieder zu dem Aurelier. „Ich danke dir für deine Unterstützung und deine Fürsprache. Du wirst der Acta doch erhalten bleiben?“ spielte sie auf das Gespräch an, das sie vor ihrer Wahl gehabt hatten. „Ich würde mich freuen.“


    Äußerst ominös. Mich hatte niemand gebeten, ihr diese Nachricht offiziell zu übermitteln. Nun denn, vielleicht kam sie noch, die Mitteilung. Ich lächelte kurz ob ihrer Bemerkung, nicht lange für den Umzug zu benötigen. Da ging es ihr ganz offenbar ähnlich wie mir. "Gern geschehen", erwiderte ich lediglich und wiegte dann den Kopf. Ich antwortete erst, nachdem ich einen weiteren Schluck Wein genommen hatte. "Wenn du mir eine Stelle anbietest, auctrix wer weiß? vermutlich kann ich nicht nein sagen", gab ich mit einem Schmunzeln zurück und stellte den Becher wieder fort. "Zu behaupten, es wäre eine willkommene Abwechslung, wäre wohl etwas skurril angesichts der Sachlage, doch ich würde der Redaktion gern erhalten bleiben, ja", beantwortete ich ihre Frage dann mit dem nötigen Ernst. Wir hatten schließlich auch schon darüber gesprochen.

    Ich schwieg. Ich warf ihr lediglich einen zunächst verblüfften Blick zu, der sich als dann wandelte und skeptisch die Worte unterstrich, die darauf folgten. "Bitte, machen wir uns nichts vor", sagte ich in einem Tonfall, der zugleich müde und tadelnd klang. "Sie ist schwanger und du nicht. Und nach deiner Reaktion zu urteilen, als du es erfahren hast, stört dich das sehr wohl ebenfalls", fuhr ich schroff fort. Ich atmete tief ein, um anschließend seufzen zu können, sog dabei Celerinas geheimnisumwobenen Duft ein. Roch ich da auch einen Hauch Jasmin?


    Ich machte ein betretenes Gesicht und tat schließlich den eingeleiteten Seufzer. "Versuchen wir, das Beste daraus zu machen", bemerkte ich. Immerhin war es für mich auch nicht eben leicht, Großonkel zu werden, wo ich noch nicht einmal Vater war. Ich ließ meinen Blick einen Moment auf Celerina ruhen, dann schob ich den Stuhl zurück, auf dem ich saß, stand auf und ging um den Schreibtisch herum, um mich neben ihr, doch ihr zugewandt, an den Schreibtisch zu lehnen. Ich griff nach kurzem Zögern nach ihrer Hand und roch daran. "Mit was hast du dich eingecremt? Es riecht...interessant."

    Nur Sänger und Geschichtenerzähler? Ich sah den Ägypter zweifelnd an. Kannte ich meine Frau so schlecht, dass ich ihren Wunsch nach einem Gesellschafter bisher nicht bemerkt hatte? Die Antwort war so simpel wie kurz. Ja. Wenigstens schien er mir ehrlich zu sein, dieser Sklave, obgleich er mir durchaus so vor kam, als würde er etwas bocken wollen. Nun, solange er dies nicht tat, sah ich keinen Grund, ihn zu maßregeln. Bei seinem Latein hob ich kurz die Brauen. Er lernte viel schneller als Siv damals, wie mir schien, allerdings lag das Griechische auch weitaus näher am Latein als Germanisch. "Gut. Okhaton, richtig?" vergewisserte ich mich schließlich nochmals ob seines Namens, diesmal auf Latein. "Es kann für dich nur von Vorteil sein, wenn du so viel und so schnell als möglich unsere Sprache lernst, damit du dich auch mit anderen verständigen kannst", fuhr ich dann so fort, dass er mich gut verstand. "Ich gebe dir einen guten Rat. Benutze so oft Latein, wie es geht, auch wenn es den Anschein hat, dass du nicht die rechten Worte findest. Auf diese Weise wirst du schnell lernen. Es gibt allerdings noch eine Sache, wegen der ich dich hergerufen habe." Ich machte eine Pause, entfaltete meine Arme und bettete die Handflächen links und rechts neben mich auf die Schreibtischplatte, an meiner stehenden Position hatte ich nichts verändert. "Ich lege dir nahe, die Finger von meiner Frau zu lassen, ganz gleich, was sie dir auch befehlen mag. Ich sage dir dies nur ein einziges Mal, Okhaton. Sollte es soweit kommen, dass ich es ein zweites Mal sagen müsste, würdest du bereits am Kreuze hängen." Ich sagte dies, ohne mit einer Wimper zu zucken. Vielmehr war ich ernst und sehr deutlich, und fuhr dann auf Latein fort, als wäre dies nicht eben eine Drohung gewesen. "Wie gut kannst du dir Dinge merken?"

    Caecus war bald zurück gekommen, allerdings ohne meine Frau und lediglich mit einer Nachricht von ihr. Der Sklave teilte mir mit, dass sie irgendetwas mit sich machen ließ, das der Schönheit förderlich war, und dass ich warten musste, bis diese Prozedut abgeschlossen sein würde. Nun, ich machte mich bereits jetzt auf eine recht lange Wartezeit gefasst.


    Gute zwei Stunden später war jeder Brief geschrieben, jedes Dokument gelesen und jedwede au dem Plan stehende Arbeit erledigt, so dass ich in meinem Sessel saß und beginnen konnte, mich zu entspannen. Ich lehnte mich zurück, seufzte leise und schloss die Augen. Mir war, als hätte ich sie erst kurz zuvor geschlossen, als Celerina eintrat, gehüllt in einen süßlichen Duft, der mich an Honig, Akazien und Blüten erinnerte. Sie roch gänzlich anders als Siv, dies war der Gedanke, der zu allererst sich in mir manifestierte. Dann richtete ich mich auf, einen schalen Geschmack im Mund und Müdigkeit in den Augen, denn ich war in der Tat eingenickt. Verschlafen rieb ich mir übers Gesicht, blinzelte und betrachtete meine Frau. Ich bot ihr keinen Platz an, immerhin würde sie sich selbst setzen können, wohin auch immer es ihr beliebte. Tatsächlich betrachtete ich sie nur weiterhin und empfand sie als recht hübsch an diesem Abend. "Ja", erwiderte ich mit Verspätung. "Septima hat mir wieder geschrieben. Sie wird in den nächsten Tagen hierher kommen." Ich wusste nicht, wie Celerina es auffassen würde, nachdem sie vor einer Weile bereits über die Schwangerschaft Septimas informiert worden war. Inzwischen sah man es der Tiberia gewiss an. "Ich hatte ihr meine Bedenken mitgeteilt, dass es vielleicht...ungünstig wäre", sagte ich zu Celerina.