Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Als sie mir zustimmte, atmete ich tief durch und schloss die Augen. Es war tröstlich, ihren Duft einatmen zu können, und selbst wenn uns nichts verband ausser einer gewissen Sympathie, die vielleicht irgendwann zu etwas wachsen konnte, das eine Freundschaft im Vertrauen aufeinander sein mochte, so bedauerte ich dies nicht. Liebe hätte alles komplizierter gemacht, und ich wusste, wohin ihr Herz gehörte, und wusste umso genauer, wohin das meine gehörte - vielleicht tat es gerade deswegen gut, sich dennoch etwas Nähe schenken zu können, auch wenn einen die eigene Liebe nicht zur Erfüllung führen konnte. Lieben konnte man nur einen einzigen Menschen, so hatte ich es für mich selbst erkannt, aber das Leben genießen mit vielen, so man in beiderseitigem Genuss handelte. Und wenn dieser gegenseitige Genuss bedeutete, sich in einer dunklen Stunde ein wenig Licht spenden zu können, sah ich wenig falsches darin - körperliche Treue, wie sie manche Dichter besangen und andere belächelten, war niemals meine Sache gewesen, zumindest was Frauen anbelangte.


    Während ich noch ihren Geruch in de Nase hatte, begann ich langsam wegzudämmern, aber mein aufsteigender Schlaf wurde mir jäh entrissen, als sie sich wegdrehte - dann eben nicht, dachte ich schlaftrunken und kuschelte mich wieder in die Decke, die Augen eisern geschlossen haltend. Während sich meine Gedanken verloren und irgendwo in einer dumpfen warmen Dunkelheit davon drifteten, begann das Bett zu schaukeln und ein Zipfel des Lakens landete in meinem Gesicht. Sie hatte sich wieder gedreht - innerlich aufstöhnend hätte ich ihr am liebsten ein Kissen aufs Gesicht gedrückt, aber es war zu spät - jetzt war ich auch wieder wach. Eins war sicher, heute würde ich nicht allzu früh aus dem Bett kommen. Ihr Flüstern vernehmend, brummte ich antwortend: "Was ist denn los mit Dir, Bridhe? Ich dachte, Du hättest Dich nun ein bisschen beruhigen können ..?" Wieder rückte ich ein bisschen zu ihr herüber und bot ihr den Arm, falls ihr nach Nähe sein sollte.

    "Ich denke, das kommt darauf an, was er zu hören bekommt. Je ähnlicher die Lüge der Wahrheit ist, desto glaubhafter wird sie - aber ich werde mir etwas passendes überlegen, damit Dir nichts geschieht und mein hochgeschätzter Verwandter seine Gier nach schlüpfrigen Details stillen kann. Es stimmt wohl, was man immer sagt - wer selbst kein ereignisreiches Leben aufweisen kann, der sucht danach beim Leben anderer."
    Als sie unter das Laken rutschte und sich ein wenig einrollte, glitt ich ihr nach und legte wieder den Arm um sie, damit sie nicht frieren musste - ihre Wärme tat auch mir gut, besonders nach dieser Eröffnung. Einen Feind in der eigenen Familie zu haben, hätte mich eigentlich nicht erstaunen dürfen, aber dass es ausgerechnet Furianus war, mit dem ich so wenig zu tun hatte - es war erstaunlich und erschreckend zugleich, vor allem, dass er vor handfestungen Drohungen nicht Halt machte, um eine meiner Sklavinnen für sich zu gewinnen. Er hätte es auch auf andere Weise versuchen können - den Gedanken behielt ich im Hinterkopf und auch jenen darüber, ob dies nicht alles nur ein Versuch war, mich abzuklopfen. Zu sehen, wie panisch ich reagieren würde, und ob überhaupt.


    Alles war möglich. "Mh-hm," machte ich gemütlich zu Bridhes Worten. "Ich bin froh darüber, dass Du mir dies alles gesagt hast. Es wird helfen, in Zukunft zu wissen, wie man mit wem umgehen muss - und seine Feinde sollte man immer kennen." Vor allem, wenn sie sich darüber Gedanken machten, wie man selbst lebte. Ob man Kinder hatte und dergleichen mehr. Sanft strich ich ihr noch einmal über das Haar, bevor ich mich bequem an ihre Seite gleiten ließ, die Beine etwas ausstreckte und sie ansonsten zärtlich hielt. "Wollen wir langsam an Schlaf denken, was meinst Du?"

    Glücklicherweise nahm es mein patron auf sich, den Zuschauern das unangenehme Ergebnis mitzuteilen, und ich konnte mir einige Momente des tiefen Durchatmens gönnen, die ich nun wahrlich nötig hatte. Wie hatte das nur passieren können? Einer der camilli reichte mir eine Schale mit Wasser, dass ich meine Hände reinigen konnte, in jenem Augenblick sah ich wohl einem blutgeifernden Massenmörder ähnlicher als einem gesetzten Priester, aber der Opferausgang hatte mich dann doch etwas geschockt. So etwas durfte einfach nicht passieren, man rechnete auch nie damit, und dann geschah es doch. Während ich das Blut abrieb und sich das Wasser in der Schale langsam verfärbte, kündigte mein patronus an, er wolle einen neuen Widder einkaufen gehen - und ich nickte dazu.


    "Gehen wir alle gemeinsam, sechs Augen sehen mehr als zwei, das zweite Opfertier muss absolut makellos sein," stimmte ich zu und winkte einige der Tempeldiener heran, dass sie das aufgeschnittene Tier beiseite bringen mochten. Verschmähte Opfertiere konnte man schlecht verkaufen, wahrscheinlich würde der Widder auf der Müllkippe landen, wo sich dann die Ärmsten der Armen ihren Anteil holen würden. Ich traf die Anordnungen, die in einem solchen Fall nötig waren, der Altar musste uns nach der Rückkehr sogleich wieder zur Verfügung stehen, damit die Opferhandlung nicht unterbrochen würde - und die Menge teilte sich auf. Einige blieben am Altar, um dabei zuzusehen, wie wieder alles vorbereitet wurde, einige andere setzten sich in Bewegung, uns zu den Opfertierhändlern zu folgen, um den nächsten Akt unseres kleinen privaten Dramas nicht zu versäumen.

    "Danke," sagte ich, als ich das Tuch an meinen Beinen fühlte, die wenigen Blutspritzer fortnehmend, die dort überhaupt klebten. Im Grunde war das alles unerheblich. Es trat einfach hinter jener Erkenntnis zurück, die mir der heutige Tag gebracht hatte, dass es innerhalb der Familie jemanden gab, der vorhatte, mir zu schaden. Dass Bridhe log, konnte ich mir nicht vorstellen, nicht in dieser Atmosphäre, nicht mit so viel Angst im Klang der Stimme, nicht mit den Worten, die sie gewählt hatte. Dass sie mir nicht immer alles sagte, was sie bewegte, war mir zwar klar, kein Mensch tat das bei einem anderen, ich war selbst das beste Beispiel für das Bewahren wichtiger Details im tiefsten Inneren meines Herzens. Und jetzt war die Zeit, auf dies alles zu reagieren. Ich überschlug meine Möglichkeiten, und die ersten Figuren auf diesem Spielbrett verschoben sich, eine Ausgangssituation herstellend. Leicht würde es nicht sein, Furianus zu treffen, vor allem noch nicht jetzt, da mein Einfluss nicht groß genug war, es direkt mit ihm aufzunehmen. Aber ich war vor allem gewarnt, und das war schon ein Vorteil.


    "Nun, wenn Furianus erwartet, dass er interessante Details aus meinem Leben hört, dann soll er sie zu hören bekommen," sagte ich nach einer Weile und begann zu lächeln, doch ein angenehmes Lächeln war es nicht. Ein Geheimnis unter bekanntem Wissen zu verstecken, war ein alter Trick, und gewisse meiner Vorlieben konnten ruhig bekannt werden. "Wenn Du nichts lieferst, bist Du in Gefahr - also werden wir uns einige Sachen ausdenken, die wahr genug klingen, um passend zu sein. Wenn ich zu einer lupa gehe, ist nichts Schlimmes dabei, so etwas kann er sich ruhig als Brocken meines täglichen Seins einverleiben. Andere Dinge ... werden wir ihm hingegen verschweigen."

    Marcus Coestus schien unter dem forschenden Blick des Germanen noch ein wenig zu schrumpfen. Das nächste Mal würde er ganz sicher nicht noch einmal einen solchen Auftrag annehmen, wenn es um irgendwelche fremdländischen Sklaven ging, dieser Kerl war doch eindeutig irre! Er schluckte langsam den dicken Kloß in seinem Hals herunter, sprach sich innerlich noch ein paar Mal Du tust es für Iulla! vor und meinte dann, in der Hoffnung, nicht zu verschüchtert zu klingen, in die Richtung des Germanen:
    "Ich soll Dir das geben, von einem besorgten Bürger. Ist was für Deinen Herrn, den magistratus - Du musst's ihm nur geben." Wieder schluckte er und reckte sich dann etwas zu seiner stolzen, mageren Größe von mindestens einem Kopf weniger als Severus hinauf. Wenn man es genau nahm, waren da eigentlich fast schon anderthalb Köpfe Unterschied in der Größe vorhanden.
    "Mein eh ... Herr ... will nicht selbst kommen, weisste, käme schlecht, wenn er das täte, und ausm Schatten tritt man nicht gern raus, wenns zuviel Licht gibt." Das war eindeutig - anscheinend war Coestus' Auftraggeber niemand, der sich bei einem Magistraten sehen lassen konnte, weil er sonst selbst Ärger bekommen hatte. Zweifellos eine Denunziation, die dem Auftraggeber des Hänflings zugute kommen würde. An sich eine schmierige Sache.

    Löwen. Wenn es etwas gab, das für meinen Geschmack noch langweiliger war als kämpfende Gladiatoren, dann waren es miteinander kämpfende Tiere. Sicher, es musste eine ausgesprochen große Leistung der Jäger darstellen, solche Tiere einzufangen und zumindest soweit zu zähmen, dass sie arenagerecht kämpften. Teuer war es sicherlich auch gewesen, diese Tiere nach Rom zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie lange genug überlebten, um von der gaffenden Masse bestaunt zu werden. Aber für mich taugten sie wenig und somit gönnte ich dem Spektakel nicht wirkliche Aufmerksamkeit. Hätte es jetzt ein kurzes Wagenrennen gegeben, wäre ich sicherlich aufmerksamker gewesen, aber Löwen gegen Zebras riss mich nicht gerade von meinem ausgesprochen unbequemen, weil zu engen Sitz. Konnte niemand auch einmal an groß gewachsene Magistrate denken, wenn man ein Amphitheater baute? Heute Abend würde mich mein Rücken umbringen, soviel war sicher.
    Zu Macers Worten über den Wetteinsatz nickte ich beifällig. Wir hatten es nun wirklich nicht nötig, um hohe Einsätze zu wetten, mein patron selbst war gewiss reich genug, um mit seinem Beistz nicht mehr protzen zu müssen, und bei Gracchus und mir würde es ohnehin in der Familie bleiben ...


    "Jetzt fehlen uns nur noch die Gladiatoren, bei denen eine Wette Sinn machen würde, oder will einer von euch auf Zebras und Löwen wetten? Ich empfinde das immer als ein bisschen langweilig, auf Tiere zu setzen, sie besitzen zu wenig Willen, um es wirklich interessant zu machen," meinte ich beiläufig und blickte kurz zu meinem Neffen, der neben Severus Platz genommen hatte, um ihm zuzunicken. Über Pünktlichkeit würden wir uns nochmal unterhalten müssen, soviel stand fest. "Severus, hast Du mit einem der Gladiatoren aus der Parade von eben vielleicht schon trainiert und kannst uns ein paar Details verraten?" Sein Wissen konnte die Wetten sicherlich interessanter machen, auch wenn wir nicht um hohe Beträge wetten würden - ich wusste nicht, welcher kleine Daimon mich ritt, als den Kopf wieder zur Seite wandte und Gracchus' Profil betrachtete - es musste wohl wirken, als würde ich die Frauen genauer mustern, aber im Moment lag mein Augenmerk auf meinem Vetter - und auch, dass er meinen blick bemerkte.

    Im Grunde hätte es so ewig weitergehen können, dieser schnell gewordene Ritt, bei dem die ganze Kraft meines Hengstes deutlich zu spüren war, ich hielt ihn noch immer etwas zurück, denn ich kannte seine Neigung, sich im Galopp zu verausgaben, nur zu gut. Würde ich ihn jetzt laufen lassen, würde er den restlichen Tag in der Ecke stehen wollen und mich mit der Rückseite nicht anschauen - und das war nicht ganz Sinn der Sache. Doch irgendwann würde er ermüden, und spätestens dann würde dieses Vergnügen vorüber sein, Prisca mir nahe zu fühlen, sie mich mal mehr, mal weniger berühren zu wissen, je nach den Bewegungen des Hengstes. Ich fühlte ihren Blick nach einer gewissen Zeit wieder auf mir liegen und erwiederte ihn nur zu gern, dafür hatte sie auch einfach zu schöne Augen. Augen, in denen man durchaus versinken könnte, würde man es zulassen ... ach, was spielten mir die Götter nur für Streiche! Eine so reizvolle Frau in meinem Arm, der mit Leichtigkeit wohl jedes Herz zufliegen würde, wenn sie es denn ließe, und ausgerechnet das meinige konnte ich ihr nicht schenken, wie es für eine Ehe vielleicht das Beste gewesen wäre.


    "Villa luscinia? Das sagt mir leider nichts - aber solche Zufälle gibt es ja auch eigentlich nicht, nicht wahr? Es wäre schon sehr amüsant gewesen, hätte ich den Ort Deiner Jugend gekauft, auch wenn es natürlich ein schöner Umstand gewesen wäre," meinte ich lächelnd und nahm mir vor, mich in den nächsten Tagen nach dem Verbleib dieses Guts umzuhören. "Ja, im Grunde würde ich am liebsten am Meer wohnen. Von der villa meiner Eltern aus konnte man fast von jedem Raum aus das Meer sehen, sie liegt hoch genug auf einem strandnahen Berg Tarracos. Wenn man mit dem Rauschen des Meeres als stetigem Begleiter aufgewachsen ist, dann ist Rom dagegen seltsam still, obwohl es in vielen Dingen viel lauter ist. Wenn ich den Regen auf den Dächern höre, ist es manchmal fast wie früher, aber dennoch, dasselbe wird es nie sein. Als Junge hätte ich mir sicher nie ausgemalt, einmal den Klang des Meeres zu vermissen, aber inzwischen ist es so. Hätte ich die Zeit und auch die Möglichkeit, am Meer zu wohnen, würde ich es tun - so muss es eben bei Ausflügen bleiben, die für wenige Stunden dieses Bedürfnis zu befriedigen wissen und hoffentlich durch angenehme Erinnerungen lange wach halten. Kennst Du diese besonderen Muscheln, die das Meeresrauschen in sich tragen, wenn man sie ans Ohr hält? Wir sollten versuchen, welche zu finden, dann musst Du es niemals wieder vermissen."


    Die Sklaven hinter uns waren noch ein Stückchen weiter zurückgefallen, aber spätestens als wir an einer vom Blitz gespaltenen Eiche vorüber kamen, erkannte ich die Umgebung wieder und konnte mich selbst orientieren, ohne einer Weisungshilfe zu bedürfen. Lapsus' Eifer mit den Zügeln bremsend, lenkte ich ihn nun über den Ausläufer des Weges in Richtung einer mit stoppelig wirkendem Gras bewachsenen Düne, und als wir jene erklommen hatten, sahen wir endlich die Weite des Meers im Glanz eines gerade jung geborenen Tages. Das Wasser glitzerte vielgestaltig unter der Farbenpracht des Himmels, und auch wenn es noch kühl war, ein frischer Wind von der See her über den Strand fegte, war mir dies alles doch weitaus vertrauter als jeder diesige Tagesbeginn in Rom selbst. Die Vollkommenheit dieses Naturschauspiels ließ mich einige Male tief ausatmen, und jetzt fühlte ich mich endlich wieder in vertrautem Terrain. Es roch, wie ich es gewöhnt war, und fast glaubte ich am Strand einige hereingezogene Fischerboote zu erkennen, die nur darauf warteten, dass ich mit hinausfahren würde ...


    "Wir sind da," sagte ich überflüssigerweise und ließ Lapsus vorangehen, die Düne hinab gleiten, bis wir das eigens für diesen Tag vorbereitete Zelt erreicht hatten, vor dem in einer Bronzeschale bereits ein Feuer blakte, an dem wir uns wärmen könnten. "Salve dominus!" rief uns einer der Sklaven zu, ein klein gewachsener Gallier, und trat herbei, die Zügel entgegen nehmend, als ich von Lapsus Rücken glitt und dann Prisca die Hand bot, damit sie ebenfalls herab rutschen konnte. "Möchtest Du zuerst baden oder zuerst essen, Aurelia Prisca? Mir selbst ist es gleich, ich kann mich da gerne nach Deinen Vorlieben richten - aber ich will dich schließlich auch nicht mit knurrendem Magen in das eisige Wasser jagen," führte ich leicht grinsend aus und hoffte insgeheim, sie würde mir in die Arme rutschen beim Absteigen.

    Brauchte ein Mensch ungeheueren Reichtum? Alles umfassende Macht? Besitz, nach dem sich ein jeder andere sehnen würde, seien es nun Sklaven, seltene Dinge, literarische Meisterwerke in der Erstausgabe, die Gelegenheit, das Wetter selbst zu beeinflussen, oder mit einer wahrhaft goldenen Zunge die Herzen anderer zu erreichen und somit alles zu erringen, was man sich nur wünschen konnte? In diesen träge vorbeistreichenden Momenten, in denen ich den Geruch meines Geliebten in der Nase hatte, seine Wärme fühlte und die zarte Mattigkeit meiner Glieder vernahm, die von unserem leidenschaftlichen wie zärtlichen Spiel herrührte, hätte ich jede dieser Fragen wohl aus vollstem Herzen verneint. Ich war durchaus wohlhabend, ich konnte es mir leisten, gute Dinge zu speisen, feine Stoffe zu tragen und Feste zu feiern, wenn mir danach war, ich konnte mir andere Menschen kaufen, wenn mir danach gelüstete - aber dies alles verblasste vor einem Geschenk, das es niemals zu kaufen geben würde, das man einfach nur bekam, wenn es einem gegeben werden wollte: Unbezahlbare Momente, in denen es nichts anderes geben würde, geben konnte, als seine Nähe, seine Wärme, seine Liebe.
    "Ich kann es nicht ermessen, wie sehr ich mich nach Dir gesehnt habe, und doch war dies ein Sehnen, das mich trotz eines verlorenen Gedächtnisses zu Dir zurückgebracht hat, Manius. Es würde mich immer zu Dir zurückbringen, auch aus den tiefsten Öden der Welt heraus."


    Seine Worte vibrierten, hinterließen tief in mir einen vagen Nachklang, und ich wusste, ich würde mich ewig daran erinnern, diese Worte in meine Seele einbrennen, damit ich sie nicht mehr vergessen würde, niemals wieder. "Weisst Du, wann es für mich begann, Manius? In Achaia, in dieser sonnenüberfluteten Landschaft, die den Göttern immer näher sein wird als jeder andere Ort der Welt. Ich kann sie heute noch riechen, die würzigen Gräser des ewigen Sommers, die Zikaden kann ich heute noch hören, wenn sie allein für uns singen, und das leise Rascheln der Blätter hoher Bäume - wir haben die Oliven damals von den Bäumen gestohlen und jeden Blödsinn gemacht, den man als junger Mann eben machen möchte. Wahrscheinlich hatten wir damals keinen guten Einfluss aufeinander, aber heute erscheint mir diese Zeit meines Lebens als die goldenste." Keine Pflichten, keine Sorgen, keine Wünsche ausser einen weiteren Tag leben und genießen zu dürfen. Wir hatten ein Glück gehabt, das wenigen Menschen nur vergönnt war, und wahrscheinlich waren die darauf folgenden Jahre der Einsamkeit nur die gerechte Bezahlung für so viel Glück gewesen, so schien es mir jedenfalls, wenn ich mich an das Damalige entsann.


    "Wir waren auf diese dumme Idee gekommen, uns unter die Bergjugend zu mischen, bei einem Ausflug aufs Land, und einige der sanfteren Hügel zu erklimmen, und beide waren wir es nicht gewöhnt, so hoch zu steigen. Ich wusste, ich würde es nicht schaffen, und habe mich doch immer gezwungen, voran zu gehen, weil ich vor Dir nicht schwach erscheinen wollte. Was haben wir an diesem Tag unter de heißen Sonne geschwitzt und gelitten! Jeder Muskel tat mir am folgenden Tag weh, und Du hast Dich am Berg besser gehalten als ich, denn ich rannte voraus, wo ich konnte, und Du hast Deine Kräfte schon immer besser eingeteilt als ich es tat. Und endlich, erreichten wir den Gipfel dieses Hügels, ich total durchgeschwitzt, Du auch angestrengt, aber bei weitem nicht so keuchend wie ich - Du warst schneller oben als ich und botest mir die Hand für den letzten Schritt, lächelnd, ich sehe es noch heute, wie Dein Haar an der Stirn klebte, und Deine Augen von der Anstrengung glühten. Und als wir oben waren, gabst Du mir Dein letztes Wasser, verzichtetest darauf, weil ich meinen Trinkschlauch vergessen hatte, und Du hattest Deinen natürlich bei Dir ... niemals hat mir Wasser besser geschmeckt als an diesem Tag, als Du es mir freigiebig schenktest, obwohl Du selbst gedürstet hast. An diesem Tag wünschte ich mir, ich könnte Dir ebenso ein Halt und eine Stütze sein wie Du es mir gewesen warst, und ... ab diesem Tag konnte ich Dich nicht mehr mit den Augen eines unschuldigen Jugendfreundes ansehen, Manius. Ab damals habe ich Dich geliebt." Das Licht flackerte, dann ging es aus, und als wir uns umarmten, war dieser letzte Beweis unserer Vertrautheit das ersehnte Ende eines langen Weges, den wir zueinander hatten nehmen müssen. In ihm würde ich ruhen ...

    "Natürlich ... was wäre denn ein Tag voller Pflichten ohne den gewissen Lichtblick, bisweilen auch lachen zu können?" erwiederte ich schmunzelnd. Also doch eher eine Frage des Humors denn der Abneigung, es begann zumindest besser, als ich es vermutet hatte. Die meisten Offiziere, die ich bisher kennengelernt hatte, waren ausgesprochen wenig amüsant gewesen und hatten wenig Gesprächsstoff geliefert, der sich über ihre Pflicht hinaus bewegte, aber es musste auch Ausnahmen geben. Vielleicht saß ich einer solchen gegenüber.
    "Würzwein ist mir angenehm, danke," sagte ich und hoffte insgeheim, es würde nicht eine total berwürzte Plörre werden, bei der man den Wein nicht mehr schmeckte, ich hatte da schon einige üble Erfahrungen gemacht. "Mein Amtsvorgänger hat mir einige Aufzeichnungen über eine Absprache, die Organisation der Brandwache betreffend, hinterlassen, die wohl noch auf die Zeit des Germanicus Sedulus zurückgehen - ist Dir jene Vereinbarung bekannt?" Genug des Geplänkels, ich war schließlich hier, um zu arbeiten, und auch wenn ein Becher Wein eine angenehme Einstimmung darstellte, so gab es doch noch das ein oder andere, was zu erledigen war.

    Ich grinste vor mich hin, als ich mich daran erinnerte, wie unsicher er schon auf meinem geduldigen Lapsus gesessen hatte - aber gut war es, dass er sich daran versucht hatte, es entschieden zu verbessern, es war auf Dauer für einen Patrizier einfach peinlich, wenn er sich mit Pferden nicht auskannte. Zumindest musste er oben bleiben können, wenn es losging, gut musste es ja nichtmal aussehen. "Ich denke schon - man sollte in allen Bereichen Erfahrungen sammeln, und da nehme ich das Militär nicht aus. Als Consul spätestens hat man eine große Verantwortung, und sich dem Militär nie gestellt zu haben, ist keine gute Grundlage für eine Karriere, bei der man von möglichst vielen anerkannt werden will." Als er meinen Straton beschrieb, nickte ich etwas. "Ja, das ist er - er ist mein vilicus, kümmert sich um die Rechnungen und diesen ganzen Papierkram, der immer auftaucht, wenn man ihn am wenigsten brauchen kann. Im Grunde habe ich ihn nur aus Hispania hergeholt, weil ich die Hochzeit plane, beziehungsweise, eine Heirat - spätestens da wird der Haushalt größer und man braucht jemanden, der alles im Auge behält. Wir sind gemeinsam aufgewachsen, in Hispania, seine Familie dient der meinen schon in der vierten Generation nun. Also ist er im Grunde eins der wenigen wirklich wertvollen Erbstücke meines Vaters."


    Das Ehethema schien abgehakt, und da er es nicht weiter ansprach, ließ ich es auch dabei bewenden, was zu sagen gewesen war, hatten wir gesagt und ich verspürte nicht den Drang nach noch mehr davon. "Ach ja, die Saturnalien. Das wird schon werden - zur Not schenke ihnen Geld, das sie nach ihrem Belieben ausgeben können, Rom bietet doch genug Möglichkeiten - und gerade an den Festtagen wird aller möglicher Kram angeboten, der wohl jeden Geschmack befriedigen könnte. Und vielleicht noch eine Garnitur guter Kleidung mit dazu - sowas kann man immer gebrauchen, und Du kannst Dir sicher sein, dass Deine Sklaven immer die Dinge tragen, die Dir recht sind." So hatte ich es in Hispania gemacht, als ich lange nicht zuhause gewesen war, und das Schlechteste war es nicht gewesen. Nur, was ich der Familie schenken würde, wusste ich jetzt auch noch nicht, die letzten Tage hatten mich anderweitig so im Atem gehalten, dass an Geschenke nicht zu denken gewesen war.


    "Nun, ich freue mich, dass es einen würdigen Mann getroffen hat mit der captio - wobei sie Dir mit der Erhebung zu den septemviri keinen großen Gefallen getan haben, wenig Ehre bringt dieses Amt ein, aber sehr viel Arbeit. Aber das ist Dir sicherlich ebenso bewusst wie jedem anderen Mitglied des cultus deorum - Ehre gibt es im Dienst der Götter nicht zu gewinnen, vielmehr die Pflicht." Wieder schmunzelte ich, wenngleich etwas freudloser. Letztendlich hatte ich die Worte des Valerius Victor noch sehr deutlich im Hinterkopf, die mich bisher von jedem höheren Priesteramt hatten Abstand nehmen lassen - aber diese Erfahrung würde mein Freund sicherlich selbst früh genug machen. Hatten sie es also geschafft, sich einen jungen Mann in voller Blüte für diese Arbeit heranzuholen. Dumm waren die collegien wirklich nicht, in sofern musste man sie fast bewundern. "Die Acta?" Verblüfft ein zweites Mal, hustete ich kurz, da ich mich verschluckt hatte. "Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht, Corvinus. Ich wüsste auch nicht, worüber ich schreiben könnte, ohne allzu sarkastisch und ironisch zu werden - und das ist für eine Kaisertreue Einrichtung wohl eher nicht so gefragt."

    Erst als sie einen leisen, überraschten Laut von sich gab, der anzeigte, dass auch sie sich verletzt haben musste, wurde ich mir wieder dessen gewahr, dass Bridhe ebenfalls im Raum war - und der jäh aufgeflammte Zorn verrauchte, ließ den heftigen, lohfarbenen Griff um mein Herz wieder locker, und ich merkte wieder, wo ich mich befand, dass mein cubiculum noch immer still und ruhig dalag, eine Gefahr nicht drohte, noch nicht, und die Tür sicher verschlossen war. Den Schmerz der vagen Schnitte an meinem Bein spürte ich nicht, wohl aber sah ich Bridhe, die ihren Finger in den Mund geschoben hatte - ihr Blut fortsaugend?


    Ich trat vorsichtig zu ihr und zog sie wieder in meine Arme, der Atem ging noch schnell und heftig, aber in mir war es wieder ruhig, wieder klar, als hätte sich jener Schleier der Wut gelüftet.
    "Tut es weh?" flüsterte ich zu ihr, und eine Hand strich ihr wieder über das zerwühlte Haar. Wie schön sie war, wenn das Mondlicht auf der einen Seite, die Öllampe auf der anderen Seite ihr Gesicht erhellte. Es war nicht erstaunlich, dass Severus an ihr solchen Gefallen gefunden hatte, ich hätte es wohl auch, wäre ich in meinem Herzen frei gewesen, doch ich war es nicht, und so blieb alles zwischen uns, wie es gewesen war - kurzerhand umfing ich ihren Leib, hob sie ohne Mühe hoch und trug sie zurück zum Bett, wo ich sie absetzte.


    "Das aufzuräumen hat Zeit bis morgen, und dann wirst nicht Du es sein, die das erledigt," sagte ich schlicht und setzte mich neben sie auf das Bett, jene Tonsplitter aus meinen Fußsohlen pulend, die eben beim Gehen geschmerzt hatten. Es war, als hätte mich dieser Schmerz ungleich wacher gemacht, mir das Leben bewusster, in dem ich gefangen war. "Ab dem heutigen Tage endet werden wir alle vorsichtig sein müssen, was wem gesagt wird, wenn er es bei Dir versucht hat, dann vielleicht auch bei anderen. Wie konnte er es nur wagen, Dich fast zu ertränken ... oh nein, das werde ich nicht vergessen. Nichts davon wird vergessen werden."

    Micipsa hatte sich anscheinend hergerichtet, und im Haushalt war dafür gesorgt worden, dass er mir gewaschen und neu eingekleidet unter die Augen getreten kam - ja, es hatte sich in dieser villa wirklich etwas entschieden zum Besseren verändert, und ich machte dafür den Einfluss meiner Sklaven verantwortlich. Während er sprach, gab ich auch dem Klang seiner Worte ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, nicht allein dem Inhalt. Er wusste sich gut auszudrücken, und das war unter Sklaven selten genug - vor allem, wäre dieses Talent offensichtlicher gewesen, hätte ich ihn mir sicherlich nicht leisen können und wollen.
    "Dein Herr hat für eine gute Ausbildung gesorgt und auch, dass sich wohl vorhandene Talente entwickelt haben - das ist ein Umstand, dem ich auch gerne weiter folgen werde. Der hortus dieser villa verlangt viel Pflege, und eine kundige Hand mehr wird sicherlich helfen, ihn zu bewahren, da der eigentliche Hausherr Flavius Felix sehr an seinen Rosenrabatten hängt und ich den Eindruck gewonnen habe, dass sie etwas verkümmern. Aber für mein persönliches Umfeld fehlt mir ein Sklave, der mit den Literaten umzugehen weiss und auch eine Gesellschaft unterhalten kann - spielst Du irgendein Instrument?"
    Muskeln konnte man überall kaufen, aber gebildete Muskeln waren ausgesprochen rar - zudem erkledigte Rutger seine Tätigkeit als Abschrecker durch den stetig in seinen Augen glimmenden Zorn sehr effizient, bisher hatte ich mich noch nie über zu aufdringliche Leute beschweren müssen. Zudem, sollte er musikalisch begabt sein - ein Talent, das mir selbst leider völlig abging - konnte er auch gemeinsam mit Bridhe üben und ich würde keinen Lehrer dafür anstellen müssen.

    "Das wäre Dir anzuraten. Diese Familie ist nur halb so friedlich, wie sie vielleicht erscheint, und ganz sicher weit davon entfernt, jemals gleiche Interessen zu verfolgen. Letztendlich ist Rom ein Becken voller Raubfische, und das Schlimmste von allen steht in dieser villa. Vergiss niemals dass Du ein Flavier bist, Lucanus, es ist ein ruhmreiches Erbe, aber auch ein dunkles. Hispanias Sonne vermag davon vieles zu verbergen, und ich bin froh darüber, dass Deine Mutter Dich von all diesen Intrigen fernhalten konnte - aber früher oder später wirst Du jenen begegnen, und dann musst Du vorbereitet sein," sagte ich nach einiger Zeit nachdenklich, ihn ernst im Blick behaltend.


    "Dass wir beide aus Hispania stammen, wird uns bei den italischen Flaviern keine Vorteile und schon gar keinen guten Ruf einbringen, auch deswegen versuche ich Deinen Weg zu ebnen, soweit es nur geht - es wird kein anderer tun. Gracchus vielleicht am ehesten noch, aber erwarte dies nicht von irgendwem sionst." Eigentlich hatte ich dies alles von ihm so lange wie möglich fernhalten wollen, damit er sich die ersten Eindrücke unserer Familie unbeeinflusst selbst machen konnte, aber es würde wohl nicht dazu kommen können. Wenn man den Feind kannte und jemanden ohne Waffe auf das Schlachtfeld rennen ließ, auf dem er diesen Feind treffen würde, wieviel besser war man dann selbst als eben jener Feind?


    "Ah nun, ich werde zu den Saturnalien immer einen drauf machen, ob nun verheiratet oder nicht, wenigstens einmal im Jahr sollte ein Mann so betrunken sein, dass er nicht mehr selber gehen kann, was wäre das Leben denn sonst wert?" Der Gedanke hatte eindeutig mehr für sich, und ich musste wieder grinsen. "Hier wird es ebenso gehandhabt, wenn ich nicht irre, das Fest im letzten Jahr habe ich leider verpasst, aber ich denke, es wird auch in diesem Jahr so ablaufen."

    Die matrona schnappte nach Luft, und ich wurde unwillkürlich an den Anblick eines dicken Fischs auf trockenem Land erinnert. So in etwa sah es aus, wenn ein Fisch langsam am Fehlen der Lebensessenz in seinem Körper erstickte, und die matrona hatte gerade wohl gemerkt, dass sie mit vielen Männern umgehen konnte wie mit Fischabfall, aber wohl nicht mit allen. Ihr Blick huschte zwischen Lucanus und mir hin und her, und man konnte die Gedanken förmlich hinter ihrer Stirn umherhuschen sehen, als sie sich einen Weg suchte, vor den Nachbarn nicht das Gesicht zu verlieren.
    "Und dieser Kerl, wollt ihr den einfach davonkommen lassen? Ich war so wütend darüber, dass er wieder ohne Geld nach Hause gekommen ist! Ich habe Dich einfach nicht gesehen!" schnaufte sie dann auch wieder los, und diesmal schüttelte ich dann wirklich den Kopf.
    "Er wird sich eine gute Arbeit suchen, denn ich glaube nicht, dass er so ein Taugenichts ist, wie Du ihn siehst, immerhin hat er sich nicht volltständig abgesetzt, sondern scheint mit Dir und Deiner Tochter leben zu wollen. Gib ihm einfach etwas Zeit, eine gute Arbeit zu finden, gerade jetzt vor den Saturnalien sollte das gut möglich sein. Was die Straße angeht ... das nächste Mal schaust Du, bevor Du deinen Topf auskippst, haben wir uns darin verstanden?" Sie nickte, und bevor dieses unerquickliche Gespräch weitergehen konnte, wandte ich mich zu Lucanus: "Dann lass uns jetzt weitergehen und unserer Pflicht nachgehen, hier haben wir alles getan was wir können."

    Was auch immer das für ein Kerl war, mein Besucher, er war mir prompt unsympathisch. Natürlich, ich war mir bewusst gewesen, dass ich Denunziationen annehmen würde müssen, wenn es um Verbrechen ging, aber irgendwie hatte ich wohl erwartet, es würden Leute sein, die weniger begierig schienen, ihr Wissen loszuwerden. Aber an die üblichen schmierigen Anschmeichler würde ich mich wohl auch dabei gewöhnen müssen. Eine meiner Brauen hob sich etwas auf der Stirn, dann nahm ich an meinem Schreibtisch Platz - man wirkte als Magistrat ungleich gewichtiger, wenn man eine mit Akten gefüllte Marmorfläche vor sich hatte - und blickte meinen Besucher ein wenig genauer an. Einen Sympathiewettbewerb würde der sicher nicht gewinnen.
    "Danke, Lucanus," sagte ich in die Richtung meines Neffen und wartete, dass sich beide gesetzt hatten, mein Neffe an seinen inzwischen hineingeräumten Schreibtisch, mein Besucher auf den Besucherstuhl. "Dann lass mich bitte wissen, worum es sich handelt, Coelestinus Cerealis, und wir werden dieser Sache selbstredend nachgehen," führte ich das Schaustück 'besorgter Magistrat kümmert sich um aufrechten Bürger' in der angemessenen Weise fort, inclusive ernsthaft interessiert klingender Stimme.

    Seine Augen hatten jenen schimmernden Glanz, den die Augen junger Männer oft bekamen, wenn es um Frauen ging, egal, ob in Form einer Ehe, einer Liebschaft oder sonstigem.
    "Gracchus hat viele Pflichten, und viele Pflichten verursachen leider auch viele Sorgen - ich denke, Du wirst ihn nicht das letzte Mal nachdenklich oder sorgenvoll gesehen haben, ab einer gewissen gesellschaftlichen Stellung gehört dies eben auch dazu. Das wirst Du selbst noch früh genug erfahren, die Götter mögen Dich vor allzu vielen Sorgen zur allzu frühen Zeit bewahren, Lucanus," sagte ich nach einer Weile mit einem etwas gequälten Lächeln. Gracchus, dem es nicht gut ging. Waren es die Schuldgefühle, diese alten Begleiter, weil wir uns eine Nacht gestohlen hatten? Oder hatte er andersartige Sorgen? Ich konnte es nicht verhehlen, die Worte meines Neffen hatten auch in mir eine gewisse Sorge erweckt. Er war zweifelsohne der einzige Mensch, um den ich mir bereitwillig jederzeit Gedanken gemacht hätte, selbst wenn ihr Inhalt wenig Freude verhieß. Glücklicherweise besaß mein Neffe einen gesunden Humor, der imstande war, mich abzulenken.


    "Ich fürchte es auch - am Ende sitze ich mit einer Leine um den Hals an der porta, mit dem Schild 'cave canem' über mir und einmal am Tag werde ich dann gefüttert und gestreichelt," jetzt musste ich doch lachen und den Kopf schütteln. Nein, als Pantoffelhelden wollte ich mich mir selbst nicht vorstellen, und bei Priscas ausgeglichen scheinendem Charakter war dies auch mehr als unwahrscheinlich. "Ich hoffe doch, sie nimmt die Einladung an, wenn wir die Aurelier zu unserer Feier bitten, aber wieso sollte sie auch nicht? Es gibt zu wenige Feiern hier in Rom, die eine junge Frau wirklich genießen kann, ein Familienfest, bei dem man etwas unter sich ist, kann da nicht verkehrt sein."
    Ich wurde wieder etwas ernster und blickte ihn dann sinnierend an: "Vielleicht triffst Du noch auf den Gängen der villa auf Furianus, Lucanus, und er wird Dir als freundlicher und gewinnender Mensch erscheinen. Aber ich würde fast damit rechnen, dass er, sobald er erfährt, dass Du als mein scriba personalis arbeitest, versuchen wird, Dich über mich auszufragen - und dann solltest Du sehr gut auf jedes Wort achten."

    [SIZE=7]"Er wagt es ..."[/SIZE] flüsterte ich und unwillkürlich ballte sich meine rechte Hand zur Faust, mein Körper spannte sich merklich an, dann setzte ich mich ruckartig auf. "Er wagt es!" Ich hatte es immer geahnt, und sehr lange gehofft, es würde niemals passieren, aber im Grunde war dies eine blauäugige Annahme gewesen, es könnte in dieser Familie etwas wie Frieden geben. Auf den hispanischen Teil hatte der italische lange genug gespuckt, und das mit Grund, aber dieser Grund war nun tot und es musste irgendwann genug sein. Dass sich Furianus erdreistete, mir auch noch zu drohen, war einfach unglaublich! Seine Klienten, sein sogenannter Einfluss! Der einzige Mensch, der ganz sicher wusste, dass ich Furianus verabscheute, war Gracchus, und ich kannte meinen Manius gut genug um zu wissen, dass er diesem sicherlich niemals freiwillig irgend etwas in diese Richtung gesagt hätte. Ich schob das Laken energisch beiseite, erhob mich im fahlen Zwielicht des Raumes aus meinem Bett und machte einige unruhige Schritte durch den Raum, voller Anspannung, voller gebremster Energie, voller Zorn, der im Inneren zu kochen begann.


    Ich wandte ihr den Rücken zu, als ich in Richtung Fenster schritt, noch immer nackt, wie wir uns geliebt hatten, und ich starrte in die trostlose Dunkelheit hinaus, die blitzenden Sterne am Himmel. Hatte ich mich zu lange in dem Gefühl gesonnt, es könnte mir nichts geschehen, weil ich niemandem etwas antat? Nun, dieses Gefühl war spätestens seit diesem Augenblick zerborsten und ich wurde mir im vollem Umfang bewusst, dass es keinen Frieden geben würde, niemals. Nicht für einen hispanischen Flavier. Meine Hand zuckte zur Seite, griff den Wasserkrug, und in einem heftigen, harten Ruck ließ ich ihn zu Boden krachen, die irdenen Splitter umflogen meine Beine, rissen dünne Striemen hinein, aber es befriedigte meinen Zorn wenigstens ein klein wenig, dass ich etwas zerstört sah. Ich würde ihn zerbrechen wie diesen verdammten Krug!
    "Meinen Haushalt greift niemand ungestraft an," flüsterte ich, kaum hörbar, so leise wie ein Lufthauch. "Niemand!" Nicht einmal ein Verwandter. Er würde noch erkennen lernen, mit wem er sich anlegte, dass ich keineswegs duldsam war ... oh, Furianus. Das war der falsche Schritt zur falschen zeit.

    "Zumindest scheint er sich eine passende Frau ausgesucht zu haben, die Schwiegermutter lernt man ja dann doch eher meist erst hinterher kennen," sagte ich mit einem trockenen Grinsen. Vor allem, wenn die Frau geschwängert war, das machte solche Dinge immer ein wenig komplizierter, als sie sein sollten. "Da müssen wir jetzt durch. Am besten, Du siehst hart und unbeugsam aus," flüsterte ich meinem Neffen zu, als der Koloss matrona angewalzt kam, ihr blag immernoch an der Schürze angeklammert. Ob das Kind diese Schürze überhaupt verließ? Angesichts der wechselhaften Einfärbung dieses undelektablen Kleidungsstücks war das ein sehr zweifelhafter Gedanke, den ich schnell verdrängte.
    "Wo ist der Kerl denn hin?" verlangte sie zu wissen und schimpfte gleich weiter. "Dieser elende Nichtsnutz, kein Geld bringt er nach Hause, und um das Kind kümmert er sich auch nicht, am liebsten würde er wohl ganz davonlaufen!" Was man dem armen Kerl wohl nicht verdenken konnte. Ich verschränkte langsam die Arme vor der Brust und blieb einfach stehen, nahm ihr Schimpfen in Angriff wie ein Fels im Meer, wenn die Flut dagegen klatschte. "Ist Dir eigentlich klar, dass Du vorhin Deinen Abfalltopf über einem amtierenden Magistraten ausgekippt hast?" Die Schimpftirade stoppte und sie sah mich überrascht an, der Themenwechsel kam wohl etwas abrupt.

    Das war ja schon fast rührend, seine knallroten Ohren und Wangen - anscheinend war Lucanus, was den Umgang mit Frauen anging, noch ziemlich unbeleckt, und an mir als seinem nähesten Verwandten war es, ihm die entsprechenden Grundbegriffe beizubringen - also würde uns unser Weg an den Saturnalien nicht nur in die Stadt, sondern auch in ein praktisch gelegenes und sauberes lupanar führen müssen. Mit der Mutter allein aufzuwachsen hatte sicherlich Vorteile, aber die Nachteile lagen auf der Hand - in seinem Alter hatte ich meine ersten Liebschaften bereits hinter mir gehabt.
    "Natürlich ist er verheiratet, was denkst Du denn? Ein Mann seines Ranges und unvermählt? Es würde doch seltsam aussehen, wenn ein Senator keine Frau hätte, nicht wahr? Zudem ist es eine ausgesprochen vorteilhafte Verbindung, die gens Claudia verfügt über eine sehr edle Abstammung." Zwar derzeit nicht über allzu viel Einfluss, aber das machte die Abstammung wieder wett - Antonias andere Vorzüge gingen meinen eifrigen Neffen nicht unbedingt gleich etwas an. Es wäre recht auffällig gewesen, von ihr jetzt zu schwärmen. "Claudia Antonia ist meines Wissens nach bei bester Gesundheit, und die beiden führen eine sehr ruhige Ehe. Dass man sich gegenseitig nicht beständig auf den Leib rückt, scheint mir bei einer Ehe durchaus kein Nachteil zu sein - sie haben einfach sehr unterschiedliche Interessen. Aber wahrscheinlich siehst Du sie spätestens bei der Saturnalienfeier, sie ist eine sehr geschickte Verwalterin."


    Seine Gratulation nahm ich mit einem dankenden Nicken entgegen und schmunzelte. "Nunja, ich bin auch langsam in jenem Alter, in dem man sich mit dem Gedanken an eine Ehe abfinden muss, und Aurelia Prisca scheint mir eine Frau zu sein, mit der es schön sein könnte, das Leben zu teilen - noch bin ich also bester Hoffnung auf eine strahlende Zukunft. Wer weiss, wie ich mich äußern werde, wenn ein Jahr um ist, dann muss ich wahrscheinlich um Erlaubnis bitten, abends aus dem Haus gehen zu dürfen," führte ich den Gedanken konsequent aus und musste grinsen. So drachenhaft konnte ich mir Prisca beim besten Willen nicht vorstellen. "Und was Aurelia Helena angeht, so weiss ich bisher nicht, ob es andere Bewerber gibt, aber das finden wir sicher heraus, ihr tutor ist mein bester Freund, und er wäre einem zweiten Angebot aus der gens Flavia sicher nicht abgeneigt."


    Das Thema Furianus war allerdings nicht so ganz das meine, momentan schien er mich wirklich zu verfolgen .. und so meinte ich, nun doch wieder etwas kühler: "Er mag sicherlich vieles für andere tun, doch stets nur, wenn es ihm nützt. An Deiner Stelle wäre ich, was Furianus anbelangt, vorsichtig. Es ist leicht, sich als Mäzen aufzuspielen, wenn man damit Sympathien zu erkaufen glaubt, die man sich durch die eigene Persönlichkeit nicht erwerben kann."

    Je mehr sie erzählte, desto mehr wuchs mein Unmut. Konnte das denn wahr sein? Dass ich Furianus nicht sonderlich schätzte, war eine Sache - bisher waren wir recht gut damit zurecht gekommen, dass wir uns aus dem Weg gingen und jeder sein Leben lebte, zumindest hatte ich das geglaubt. Dass er aber nun begann, meinen Haushalt gegen mich zu wenden zu versuchen, das war ein Schritt zuviel des Guten, und es war zudem ein Angriff auf meine Person. Er hätte auch einfach fragen können ... aber nein.
    "Wer braucht schon Feinde, wenn er solche Verwandten hat," murmelte ich leise vor mich hin und meine Augen blitzten dabei, das Gesicht hatte sich verschlossen, während ich überlegte. "Hat er Dir in irgendeiner Form Schmerzen zugefügt?" Ganz ruhig klang meine Stimme nun, die Ruhe vor dem Sturm sozusagen, jene Sachlichkeit, die mich oft überfiel, bevor der Wunsch nach Handlung mich überkam und mit aller Macht von mir einforderte, was mein Blut verlangte. "Versuch mir genau zu erzählen, was an diesem Abend passiert ist, Bridhe, wenn es Dir nicht zu unangenehm ist. Ich muss wissen, was dieser Kerl vorhat - denn nur dann kann ich angemessen reagieren. So etwas darf nicht wieder vorkommen." Genug ist genug. Wenn ich mich nicht einmal hier in der villa sicher fühlen konnte, was blieb dann noch?