Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Es war an der Zeit, die Sache mit der Brautwerbung richtig anzufangen - und ich war, obwohl es mich wieder einmal an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte, einkaufen gewesen, um etwas passendes herauszusuchen, das einer Frau gefallen konnte. Schwierig war es zum einen dadurch geworden, dass ich ihre Vorlieben nicht besonders gut kannte und daher vermuten musste, was ihr vielleicht gefallen würde - andererseits war sie Patrizierin und das machte die Sache noch ein bisschen heikler, denn die meisten Patrizierinnen hatten einen nicht nur teuren, sondern auch noch erlesenen Geschmack. Glücklicherweise hatte ich dadurch Hilfe gehabt, dass ich durch den vorherigen Einkauf mit Claudia Antonia einige gute Läden kannte - und so hatte ich mir das Ganze mitsamt langatmigen, verkaufstüchtigen Erklärungen der Ladenbesitzer noch einmal angetan.


    Einem Sklaven des Hauses hatte ich aufgetragen, sowohl Bridhe als auch Severus aufzutreiben, wo auch immer sie stecken mochten zur Mittagsstunde - und so wartete ich gelassen im atrium, die Beine hochgelegt, eine Schriftrolle auf dem Schoß, in der ich las, während die Zeit des Suchens verstrich. Es war ein besonderer Auftrag, den die beiden auszuführen hatten, und dafür schienen sie mir auch am Besten geeignet - zudem hatte ich nur diese beiden Sklaven hier im persönlichen Besitz, die Auswahl war also begrenzt. Aber im Grunde war ich mir sicher, dass ihnen ein bisschen Zeit außerhalb der villa gefallen würde.

    Gefangen in einer Welt, die mit dem Alltag wenig zu tun hatte, und wohl auch niemals viel zu tun haben würde, waren wir, in dieser Zwischenwelt zwischen Traum und Wirklichkeit, zart umschlungen vom Duft der nächtlichen Blüten, der Rosenbüsche, die so fern nicht mehr waren, dem würzigen Geruch der Gräser zu unseren Füßen, umrahmt vom Plätschern des Brunnens. Sie hielt Wacht, die vollkommene Statue, vollendete Formen, eine wundervolle Göttlichkeit, die ihresgleichen suchte. Konnten Menschen überhaupt Teil dieser Schönheit, dieser Vollkommenheit werden?
    Ja, wollte ich hinausschreien, wollte es die ganze Welt wissen lassen, denn ja, ich schmeckte sie, fühlte die weiche, zarte Berührung ihrer Lippen auf den meinen, konnte den biegsamen Leib Callistas sich an den meinem schmiegen fühlen, ohne dass es mir falsch vorgekommen wäre, wie es geschah. Meine Zunge tauchte in ihren Mund hinab, suchte nach der ihren, um den immerwährenden Tanz zu beginnen, der mich schneller und schwerer atmen ließ, die Sinne ganz auf diesen Moment eingestellt, der sich unendlich erstrecken sollte und doch für jeden anderen Menschen ausgesprochen kurz vorübergestrichen wäre.


    Wie lange war es her, dass ich das heiße Atmen einer leidenschaftlichen Frau auf meiner Haut gefühlt hatte? Den Atem einer Frau, die wusste, was sie wollte, die sich hingab, weil sie danach begehrte, genommen zu werden und gleichermaßen auf dem Altar der schönen Göttin opferte wie ich es tat. "Sei Du für diese Nacht meine Venus," flüsterte ich leise für einen Moment, als sich unsere Lippen zu trennen vermochten, das stumme Versprechen hintanstellend, mir als Mars alle Mühe zu geben, derer ich fähig war. Wenigstens in dieser Stunde verblasste alles, was mich sonst im dumpfen Gefühl hielt, niemals Erfüllung zu finden, wie ich sie mir wünschte - ich lebte noch, ich lebte wieder, hatte sie mich erweckt, wieder erweckt aus diesem dunklen Schlaf? Wenn sie es war, dann hatte sie ein vollendetes Werk getan.
    Mein Körper agierte, als hätte ich nicht so lange alleine gelegen, als sei wieder alles zurück, was ich einst im Traum sicher wandelnd noch hätte tun können. Ihre Augen schimmerten dunkel, voller Geheimnisse, ich hätte vieles darum gegeben, in diesem Moment ihre Gedanken zu kennen - doch die meinen behielt ich ebenso für mich.


    Wieder tauchten meine Lippen tief in ihren Geschmack ein, folgten dem Beben ihrer Lippen, schmeckten sie intensiv und fordernd zugleich, die verlockende Feuchte ihres Mundes ließ mich nicht mehr los, und wo ihre Finger über meine Kleidung wanderten, brannte die Haut. Es war nur ein Ruck, der reichte, die Tunika über den Gürtel zu ziehen, der kurz darauf ebenso zu Boden fiel, enthüllend, dass ich nur ein Lendentuch noch trug, um meine Blöße zu bedecken - dass sie nur noch ein Nichts an Stoff trug, fiel mir eigentlich fast nicht mehr auf, so heiß fühlte sich ihr Körper auf dem meinen an, die Schenkel Callistas hatten meinen Leib längst umschlossen und so musste sie nun auch merken, wie sehr mich ihre Nähe erregte.
    Ach, Venus! So war sie zu mir zurückgekehrt, in Gestalt einer knabenhaft schlanken Frau, deren Reize vereinten, was meine Sinne nur noch mehr beflügelte - weibliche Sinnlichkeit gepaart mit einem schlanken, fast unberührten Leib. Wie sie sich hingab, war sie es nicht, doch diese Dualität machte sie umso reizvoller. Verderben mochte man ein solches Wesen, und gleichzeitig beständig daran scheitern ... für diese Nacht, an diesem seltsam von den Göttern berührten Ort mochten wir einander gehören.


    Wieder trafen sich unsere Lippen, und dieses Mal ließ ich sie vorstoßen, meinen Mund erkunden, um mir dann den Platz zurück zu erobern, den ich zuvor schon vereinnahmt hatte. Sie an mich ziehend, trat ich zurück, ließ mich auf das weiche Gras und einen Zipfel meiner Tunika gleiten, sie auf meinem Körper zu liegen bekommend - wie leicht sie war, einer Feder gleich, und doch voller Leben, voller verlockender Hitze, die nach mir verlangte. Meine Finger tasteten über das süße Nichts an Untergewand, das sie noch trug, ebenfalls an manchen Stellen vom Wasser befeuchtet, und langsam schob ich es empor, um es dann mit einem entschiedenen Ruck über ihren Kopf zu befördern - der Mondschein umspielte ihren Körper, verlieh ihr einen milchigen Teint, als sei sie der Statue gleich aus Alabaster, ebenso vollkommen geformt. Ja, in diesem Moment war sie allein die meine wie ich der ihre war, diesen Moment würde mir niemand nehmen können. Dass sich im Haus fernab etwas regte, kam mir nicht zu Bewusstsein, zu gefangen war ich von ihrem Anblick. "Wie schön Du bist, meine Venus," raunte ich ihr zu, die Stimme rauh vom Verlangen nach ihr, die Gier unterdrückend, sie sogleich zu Boden zu reißen und sie gänzlich zu vereinnahmen.

    "Die praktischen Übungen werden auf jeden Fall auch einen Teil des Unterrichts ausmachen, doch will ich euch nicht zu einem Opfer schicken, wenn die Grundlagen noch fehlen - die Fehler, die ihr begehen könntet, würden die Götter erzürnen und ich denke, es gibt einen besseren Beginn der Priesterlaufbahn, als sich den Zorn eines missgelaunten Gottes zuzuziehen, nur weil ein Opfer nicht gut verlaufen ist," versuchte ich beruhigend und ermunternd zugleich zu klingen. Sie sah in diesem Augenblick so zart aus, so verletzlich, dass ich gegen den Drang ankämpfen musste, sie in meinen Arm zu ziehen, um sie zu trösten - der denkbar schlechteste Gedanke, den man in einer solchen Situation, vor allem als ihr Mentor, haben konnte.


    "Nungut, meinetwegen lassen wir den Unterricht heute früher enden. Aber für morgen möchte ich meine Antwort haben - die verschiedenen Arten der Priester dieser Stadt. Denke darüber nach, ich bin mir sicher, Dir fallen welche ein." Damit nickte ich ihr leicht zu und wandte mich in Richtung des Unterrichtsraums zurück, um auch Aelia Claudiana Dolabella von der freudigen Nachricht in Kenntnis zu setzen, dass wir heute früher Schluss machen würden.

    Es hätte mich wohl erstaunen sollen, aber im Grunde wunderte es mich wenig, dass auch Aurelius Cotta nun den Weg in die Politik gewählt hatte - die gens Aurelia konnte es sich, wie auch die Flavia, leisten, mehrere Männer in die Politik zu schicken, und musste nicht fürchten, dass mangelnde Geldmittel einen Fortgang beschränkten. Zudem hätte es weitaus ungeeignetere Kandidaten gegeben als ausgerechnet Aurelius Cotta. So hob ich nur leicht eine meiner Augenbrauen an und schmunzelte.
    "Dann habe ich einen interessanten Konkurrenten, gegen den zu verlieren sicherlich keine Schande wäre - wenngleich uns die Hoffnung bleibt, gleichermaßen auf ein Amt berufen zu werden." Es mochte gutmütig klingen, indes begann ich wieder einmal zu rechnen - als Aurelier würde er sicherlich auf viel Unterstützung zählen können, und wie es mit meiner Bekanntheit aussah, war wieder ein anderer Punkt. Nun, es würde wohl darauf ankommen müssen, wie der Senat entschied. Eine Argumentation hatte ich mir dafür zumindest schon zurecht gelegt.


    "Es ist doch immer das Erbe der Väter, das uns in hohem Maße beeinflusst, nicht wahr?" meinte ich. "Letztendlich kann es hilfreich sein, so der Vater erfolgreich war, aber auch behindern, indem man zuviele Hoffnungen und Erwartungen auf sich ruhen sieht, dem berühmten Vorbild nachzueifern - oder weniger hilfreich, wenn der Vater kein erfolgreicher Mann gewesen ist, da man gegen diesen Ruf ankämpfen muss. Die einen geben auf, die anderen werden dadurch beflügelt - letztlich erweist sich hier wohl am ehesten, wieviel ein Mann wirklich wert ist - wie er mit dem Erbe seines Vaters umzugehen imstande ist."
    Über dieses Thema hatte ich oft und lange nachgedacht, und es mochte mir anzuhören sein, dass ich es nicht auf die leichte Schulter nahm.
    "Was hat Dich dazu bewogen, den Weg der Politik einzuschlagen? Von einem Vater ohne politischen Erfolg ist es dann doch ein weiter Schritt." Ich bedeutete ihm den Weg zum Tempel zurück und setzte mich selbst schon einmal in Bewegung, immerhin waren wir wegen eines Opfers zusammengekommen, nicht unbedingt nur wegen eines Gesprächs.

    Ich musste die Götter in den letzten Tagen empfindlich verärgert haben, dass sie zuließen, dass dieser weibische Idiot mir irgendwelchen haltlosen Unsinn über die Mode in Lutetia erzählte - wen interessierte so etwas? Vor allem, wofür brauchte man solches Wissen? Ich tat, was ich in solchen Situationen immer tat und was sich schon bei Auseinandersetzungen mit meiner Mutter als ausgesprochen hilfreich erwiesen hatte - ab und an zustimmend nicken und ansonsten an etwas anderes denken. Die Tunika gab ich einem der Ladensklaven, denn selber halten wollte ich die Sachen nicht unbedingt, wohl ahnend, dass ich sonst bald unter einem veritablen Berg an sinnloser Kleidung zusammengeklappt wäre. War es wirklich eine gute Idee gewesen, sich unter die Fittiche Antonias zu begeben, um Kleidung zu kaufen? Das nächste Mal würde ich ihr einfach einen riesigen Beutel Sesterzen geben, mit der Bitte um neue Kleidung, und dann schnellen Fußes flüchten. Als sie mit einem neuen Berg Sachen ankam, betrachtete ich die Tuniken mit einem zumindest gut geschauspielerten interessierten und enthusiastischen Blick, bevor ich dann ergeben nickte. Wenigstens hielt dieser unsägliche Händler endlich seinen verdammten Mund, gegen die Konkurrenz Antonias schien auch er machtlos.


    Dem Händler bedeutete ich kurzerhand, dass ich die Tuniken kaufen wollte und mein herrischer Blick mochte andeuten, dass Preisverhandlungen jetzt nicht die beste Idee waren - innerlich war ich kurz davor, Antonia um Gnade anzuflehen oder mich einfach durch die Hintertür des Ladens dünn zu machen - bis sie die unfassbaren Worte sagte, die andeuteten, dass mir ein weiterer grässlicher Laden bevorstand.
    "Was ist an den Togen hier denn schlecht?" wagte ich Einspruch zu erheben, ohne daran zu denken, dass mir hier nun wohl ein weiterer Vortrag über Mode bevorstehen mochte. "Im Grunde brauche ich ja nichts wirklich besonderes, irgendeine festliche Toga und eine neue praetexta ..." Schnell tief stapeln, so tief wie nur möglich, damit sie den Togenkauf vielleicht für nicht ganz so wichtig hielt. Ich fühlte, dass mir, ganz entgegen der Gewohnheit, Schweiß auf der Stirn ausbrach. So musste man sich im Angesicht des orcus fühlen!

    Hinter mir entstand Unruhe - aber was auch immer es war, wir durften nicht innehalten, es wäre einem folgenschweren Frevel gleich gekommen, die rituellen Tänze zu unterbrechen, mit denen wir an diesem Tag Mars ehrten. Für einige Momente lang war meine Konzentration auf den Dreischritt gestört, aber ich geriet nicht aus dem Rhytmus, dafür hatten wir zu viel geübt, dafür kannte ich all dies zu gut - irgendwann dachte man nicht mehr darüber nach, man tat es einfach. Den Rufen zufolge war etwas mit einem meiner sodales geschehen, dennoch, ich durfte den Kopf nicht wenden, musste weiter allen voran gehen, den Gesang in keinem Augenblick unterbrechen, wie es Pflicht und Brauch zugleich war.


    Diese Momente waren die quälendsten, die ich in der letzten Zeit durchstanden hatte, denn die Ungewissheit über das Geschehene und der Zwang, mich darum nicht kümmern zu dürfen, mischten sich zu einem drückenden Gefühl der Pflichtlosigkeit einem sodalis gegenüber, und ich würde meine Pflicht an Mars verletzen, würde ich mich darum kümmern. Als das laute Gebrüll nach einem .. Medizinmann ... sich erhob, konnte ich für einige Momente aufatmen, es schien Hilfe zu geben, und es gab Leute, die sich kümmerten. Mehr hätte ich auch nicht tun können - und schon trugen uns unsere Schritte fort, immer gemeinsam mit den anderen, Schritt um Schritt, Schlag um Schlag.


    Die Gesichter in der Zuschauermenge verschwammen um mich herum, und ich gab mich wieder dem fordernden, gleichförmigen Takt hin, wissend, dass auch die anderen Salier nun mit uns zogen. Irgendwo unter ihnen waren Marcus Aurelius Corvinus und seine Vetter, aber ich sah sie nicht, sah nur den vor uns liegenden Weg und die Schritte, die noch zu tanzen waren. Rauh war der Klang aus den vielen Kehlen, das gemeinsam gesungene carmen saliare, uralt, traditionell und so sehr vom wahren Wesen Roms sprechend wie keine sonstige Tradition. Nichts kam dem Zug der Salier gleich, und wie es war, war es vollkommen. Ich atmete tief durch, denn ich spürte die Anstrengung in meinen Muskeln deutlich, wohl wissend, dass es längst noch nicht vorüber war, dass wir noch ein großes Stück Wegs vor uns hatten, das bewältigt werden wollte. Der Schild war schwer, die Waffe zu heben und den gleichförmigen Schlag gegen den Schild zu führen ebenso, dieser süße Schmerz der Anstrengung pulsierte bei jedem Schritt durch meinen Körper.


    So war es immer gewesen, so würde es immer sein, bis ich aus dem Leben und damit aus dem Verbund der Salier ausscheiden würde - das Wirbeln der Jungfrauen nahm ich nicht mehr wahr, dachte nicht nach, ich tanzte den Rhytmus des Kampfes, ein Schritt, ein Schmerz, Müdigkeit in den schwer werdenden Gliedern, aber aufgeben kam nicht in Frage, egal, wie lange der Tanz dauern würde, wir tanzten ihn, als letzte Pflicht an Mars, dem Beschützer unserer Stadt, des römischen Reichs.
    Und mit einem Mal war der Schmerz weg, fortgeblasen, wie es immer war, wenn der Körper warm geworden war, sich auf die Belastung eingestellt hatten - und weiter zogen wir, singend, tanzend, schwitzend, wie die Krieger es einst getan hatten, um Rom zu wahrer Größe zu führen.

    Ich war gen triclinium geschritten, ohne mich groß nach anderen Gästen umzusehen, denn im Augenblick war ich noch viel zu verärgert über dieses elende Theaterstück, um allzu viel Konversation betreiben zu wollen. Dass es nun auch noch freie Klinenwahl zu geben schien, machte mir die Sache nicht angenehmer - als allein erschienener Mann war es immer eine recht heikle Sache, sich einen ganz freien Platz auszusuchen, nötigte man doch dann meist Paare dazu, sich zu einem zu begeben, andererseits konnte man sich schlecht einfach zu anderen dazulegen, die man gar nicht kannte .. zu viele Fragen in einem Augenblick, dachte ich genervt und blickte mich im Raum um. Die Dekoration war ansprechend, aber etwas anderes hatte ich nach dem schön gestalteten atrium auch nicht erwartet. Man hatte sich offensichtlich für das Fest viel Mühe gegeben, und wäre das Theaterstück nicht gewesen, hätte ich mich sicherlich auf dieser Festivität auch mehr entspannen können als bisher. In diesem Moment bereute ich, nicht zuvor einige Worte mit Claudia Callista gewechselt zu haben - offensichtlich hatte sie sich für diesen Abend schon die Sonne ausgewählt, um den ihre Aufmerksamkeit kreisen würde, und angesichts der durchaus öffentlich bekannten Gestalt, mit dem sie nun auf der Kline lagerte, war ich nicht einmal darüber erstaunt. Der Senator war wirklich ein stattlicher Mann, und physische Schönheit schien der Claudierin zu imponieren ...


    Gracchus und Claudia Antonia waren noch nicht hier, so steuerte ich einfach eine der freien Klinen an und wartete ab, was sich an diesem Abend ergeben würde - ein Wink ließ einen Sklaven herbeitreten, der mir einen Becher verdünnten Wein reichte, den brauchte ich jetzt wahrhaftig, um die Erinnerung an dieses unsägliche Possenspiel aus meinem Gedächtnis zu tilgen. Mit Marcus würde ich sehr bald einige Worte sprechen müssen, denn als Hausherr sollte er doch wenigstens teilweise wissen, was sich unter dem Dach der villa Aurelia abspielte. Dass er die ganze Sache anscheinend noch amüsant fand, war mir unverständlich, nicht zuletzt, da im Grunde in diesem Stück niemand besonders gut weggekommen war. Nicht einmal Pryscilla, die mit einem Theater-alter ego geflirtet hatte - wo war sie eigentlich? Wieder schweifte mein Blick durch den Raum, und ich entdeckte Prisca schließlich im Gespräch mit Aurelia Helena, irgendwo halb hinter einer Säule verborgen. Warum sie sich dort versteckten, war nicht schwer zu erraten, wahrscheinlich hätte ich dies auch getan ... aber dennoch, ich lächelte in die Richtung der beiden und hob prostend den Becher in die Richtung der aurelischen Jungfrauen.

    Mein Applaus gestaltete sich ausgesprochen verhalten. Nicht nur, dass man mich und meine Vorlieben ausgiebig auf recht peinliche Art und Weise durch den Schlamm gezogen hatte, vor Augen aller und auch noch einiger ausgesuchter Honoratioren der Stadt Roms, was für einen angehenden Kandidaten nicht gerade der beste Weg war, um bekannt zu werden - nein, jetzt wurde dieses miserable Schaustück auch noch als Eigenmächtigkeit der Sklaven verkauft. Es schien mir ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Sklaven sich so etwas selbst ausdachten, der pointierte Witz des Stücks, zudem die vielen Dinge, die sicherlich nicht über mich in den Wissensbereich aurelischer Sklaven gedrungen sein konnten, ließen mir diese Erklärung als unwahrscheinlich wirken, wie ein Versuch, über den eigentlichen Sinn der Aufführung hinwegzutäuschen.


    Nein, amüsant fand ich das alles nicht, die Art der Bloßstellung unserer Familie fand weder meine Zustimmung noch meinen Beifall - indes machte ich gute Miene zum bösen Spiel und versuchte einstweilen, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Dass ich der Auspeitschung der Sklaven nicht zustimmte, konnte man am empor gereckten Daumen erkennen - wer hier ausgepeitscht gehörte, waren sicherlich nicht die Sklaven. Im Zweifelsfall waren immernoch die Herren der Sklaven für den Unfug verantwortlich, den sie veranstalteten - und die Miene einiger anderer Gäste deutete an, dass meine Meinung anscheinend auch andere der Anwesenden hatten. Später würde ich mit Gracchus wohl das ein oder andere Wort darob wechseln, auch die künftige Form des Umgangs mit der gens Aurelia betreffend - zunächst jedoch begab ich mich ins triclinium, in der Hoffnung, ein erstklassiges Essen könnte über die misslungene Aufführung hinweghelfen.


    :dafuer:

    "Aristides lebt, er ist gesund - und die Götter sind bei ihm, beschützen ihn beständig, was will man sich mehr wünschen? Letztlich ist er nicht derjenige von uns, der zuviel nachdenken würde, und ich glaube auch, einem Soldaten, der erfolgreich sein will, steht während der Schlacht das zuviele nachsinnen über Möglichkeiten nicht an, will er dadurch nicht zu sehr behindert und aufgehalten werden. Dass ein Feldherr taktieren muss, ist selbstverständlich, aber der Feldherr steht auch höchst selten inmitten der Feinde und muss um sein Leben kämpfen," ergänzte ich Manius' Einschätzung unseres ungestümen, aber sympathischen Vetters, und ich konnte eine gewisse Sehnsucht nicht verhehlen, wieder mal ein paar Becher Wein zuviel mit Aristides zu leeren und danach um die insulae zu ziehen. Mit keinem meiner Verwandten konnte man so gut feiern und Spaß haben wie mit Aristides, ohne das Gefühl haben zu müssen, er verliere an Bodenhaftung. Wahrscheinlich war er in seiner Art der beständigste aller Flavier des Augenblicks. Ich entsann mich noch zu gut der heiteren Stunden, in denen wir gemeinsam Sklavinnen ausgewählt hatten und uns schließlich für Nefertiri entschieden, nachdem wir beide ihrer Künste gefröhnt hatten .. es war viel zu lange vorüber.


    "Wie auch immer die acta zu dieser Meldung kam, bin ich doch mehr als erfreut zu hören, dass sie nicht der Wahrheit entspricht ... noch ein Flavier verloren, noch ein Leichenbegängnis, ich hätte es nicht ertragen. Unsere Familie hat zu vieles verloren in den letzten Monaten," fügte ich an und nahm einen Schluck des Weins aus meinem Becher, den mir der Sklave gereicht hatte - nachdem ich auch für Mars ein Trankopfer auf den Boden geschüttet hatte.
    "Es geht, Manius ... viel zu tun, wie immer im Krieg, und ich muss gestehen, ich zweifle immer mehr daran, dass dies wirklich der Sinn meines Lebens sein soll. Sicherlich, der Dienst an Mars ist an sich erfüllend und auch zweckvoll, aber ich ertappe mich immer wieder bei dem Gedanken, mehr als das zu wollen. Mehr als das erreichen zu wollen, und mehr zu sein als ein einfacher sacerdos, der Opfer leitet, begleitet und discipuli unterrichtet." Damit wandte ich ihm meinen Kopf zu und blickte ihm so direkt wie möglich in die Augen: "Ich möchte in die Politik gehen, Manius, und es gibt niemanden sonst außer Dir, den ich darum bitten würde, mich bei der nächsten Wahl im Senat einzuführen. Würdest Du mir diesen Gefallen tun?"

    Ich war müde, mies gelaunt und nicht besonders motiviert, den Tag heute anzugehen, denn der anhaltende Krieg in Parthia sorgte dafür, dass immernoch ein sehr hoher Zustrom zum Tempel zu verzeichnen war. Es war selbst für die salutatio viel zu früh, die Klienten der Familie warteten um diese Zeit längst noch nicht, und ich stellte mich gedanklich darauf ein, mein Frühstück unterwegs mitnehmen zu müssen, ich hatte recht wenig Lust, alleine im atrium sitzend an einem Brotfladen zu kauen. In solchen Augenblicken fragte ich mich immer, wofür ich das tat, außer zum Dienst an Mars - für mich selbst sicher nicht, und da ich nicht einmal eine Frau, gerade mal einen Bastardsohn vorzuweisen hatte, waren die Morgenstunden derzeit meine düstersten - abgesehen von den Abendstunden und der Mittagspause, in der meine Priesterkollegen keinen Augenblick ausließen, ihre Zipperlein zu thematisieren.
    Dass es auch noch klopfte - am frühen morgen - nahm ich zur Kenntnis, erwartete ich doch meinen custos corporis zu dieser Zeit, der mich zum Tempel begleiten würde, und tatsächlich, es war Severus.


    Langsam hoben sich meine Brauen, als er Bridha thematisierte - was ich vermutet hatte, war also Realität. Er hatte mal wieder die Finger nicht von einer jungen Frau lassen können, aber was wunderte es mich? Jeder normale Mann hatte Bedürfnisse, und solange sie gestillt waren, war er vielleicht auch weniger streitsüchtig und unzufrieden.
    "Ich denke nicht, dass das, was sie getan hat, Deine Schuld war. Dass ihr beieinander gelegen habt, stört mich nicht, Severus, meinetwegen soll es so sein. Wenn Du also glaubst, ich hätte sie bestraft, weil ihr beiden miteinander Freude geteilt habt, täuschst Du Dich," sagte ich und erhob mich langsam von meinem Stuhl, innerlich seufzend, während ich eine Schriftrolle unter den Arm klemmte.
    "Sie wurde bestraft, weil sie glaubte, sie könnte mich anlügen, und das auf eine dreiste Art und Weise, die seinesgleichen sucht. Wäre sie ehrlich gewesen über ihren Verbleib, hätte sie niemals eine Strafe erhalten - aber da sie auf ihrer Lüge beharrte, hat sie die Arbeit in der Küche und den Hieb verdient. Ich glaube kaum, dass Du für ihre Lügen die Schuld übernehmen willst."

    Was ich schon auf dem Korridor vernahm, war der Klang einer weiblichen Stimme. Anscheinend glaubte sie, ungestört zu sein, denn die wenigsten Menschen in dieser Villa waren selbstvergessen künstlerisch tätig, man war doch stets auf der Hut, das Richtige zu tun. Einigermaßen überrascht war ich dennoch darüber, dass der Gesang aus meinem cubiculum kam - und ich, nachdem ich durch die Tür geschritten war, die Sängerin als Bridhe erkannte. Sie schien doch noch Talente zu haben, die sich vielleicht als nutzbringend erweisen mochten - abgesehen davon, dass sie anscheinend eine Meisterin darin werden wollte, andere anzulügen und einen persönlichen Vorteil daraus zu ziehen.
    Ich räusperte mich leise und schritt dann in meinen Raum hinein, bedeutete ihr, sie möge mir aus der toga helfen - wie stets um diese Zeit kam ich direkt aus dem Tempel, hatte noch nicht gegessen und war einfach nur müde und erschöpft. Es würde nicht viel geben, was ich heute noch zu tun imstande war, geschweige denn wollte. Ich hatte auch eigentlich vergessen gehabt, dass Bridhe heute wieder da sein würde - zu viele andere Dinge gingen mir im Kopf herum.


    "Du hast eine schöne Stimme, Bridhe, spielst Du auch irgendein Instrument?" Vielleicht würde sie bei Besuchen aufspielen können, musikalisch gebildete Sklaven waren selten genug. Müde ließ ich mich auf mein Bett fallen, die Beine kurz ausstreckend, und blickte an die Decke, die über der Liegefläche von einem dünn bestickten Tuch verhangen war. Eigentlich ein Ort des Friedens und der Entspannung, aber ich fühlte mich nicht danach.
    "Worüber hast Du gesungen?" fragte ich, um ein Gespräch in Gang zu bekommen, das mich vielleicht ablenken würde.

    "Im Zweifelsfall ist die mangelnde Besorgnis meiner Verwandten wohl auch darauf zurückzuführen, dass die meisten sehr viele Pflichten zu erledigen haben - und ein Gedanke, nachzufragen nach meinem Verbleib, durch die trügerische Sicherheit, ich könnte für den cultus deorum tätig sein, abgeschwächt wurde. Man kann es ihnen nicht übelnehmen, ich muss gestehen, ich denke auch nicht unbedingt über den Verbleib jedes Verwandten nach, hier leben einfach sehr viele Leute," meinte ich und hob langsam die Achseln, schief dabei lächelnd. Den Punkt, der mir dabei am wenigsten gefiel, behielt ich für mich - letztendlich gehörte ich hier eher zur entfernten Verwandtschaft und es wunderte mich nicht unbedingt, dass man jemandem nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit entgegenbrachte, der nun einmal zu einem eher unbeliebten Familienzweig zählte. Aber ich schob den Gedanken beiseite, wieder einmal, wie stets, wenn das Gespräch in eine solche Richtung hätte abdriften können, zu zerbrechlich war der Familienfrieden ohnehin schon.


    "Ach .." seufzte ich auf seine Worte zu meiner täglichen Pflicht hin. "Es ist nicht, dass es mir keinen Spaß mehr machen würde, das musst Du nicht denken. Nach wie vor ist es eine abwechslungsreiche Tätigkeit, aber ..." Es blieb eine kleine Pause, in der ich mir nicht sicher war, wie ich es formulieren sollte. "Ich denke inzwischen einfach, dass es nicht alles ist. Dass es mir nicht genügen wird, bis ans Ende meines Lebens Opfer zu begleiten, Opfer zu halten und zu unterrichten. Auch wenn ich meinem Vater ungern zustimme, aber ich bin inzwischen zu dem Entschluss gekommen, dass ich meinen Weg auch in die Politik werde führen lassen." Gemächlich lehnte ich mich zurück und nahm noch einen Schluck Wein, um die Worte ein wenig sacken zu lassen. Letztendlich war dies alles noch unausgegoren, aber schon längst kein flüchtiger Wunsch mehr, eher eine Überlegung, die mich in den letzten Wochen immer wieder begleitet hatte und die mich nun eingehender darüber nachdenken ließ.


    "Die öffentlichen Opfer sind gar nicht so schlimm, Marcus," meinte ich dann schmunzelnd. "Im Zweifelsfall sind es ohnehin die pontifices und die flamines, welche die wichtigsten Handlungen ausführen und irgendwo dekorativ herumzustehen gelingt jedem. Alles andere lernst Du mit der Zeit, da bin ich mir sicher. Und wer sich vor Roms Senat vorgestellt hat, sollte vor Roms Volk nicht unbedingt Furcht empfinden."

    Ich schmunzelte ein wenig, denn mit ihren Worten erinnerte sie mich an jemanden, der ich vor nicht allzu langer Zeit auch gewesen war - Regeln waren unangenehm, und frühes Aufstehen noch mehr. So hob ich nur belustigt eine Braue und schüttelte etwas den Kopf.
    "Nun, ich muss Dich leider enttäuschen, wir beginnen vormittags, denn während der Hitze des Tages fällt den meisten doch das Lernen recht schwer - was bedeutet, Du wirst Dich daran gewöhnen müssen, früh aufzustehen. Gleich morgen kannst Du damit beginnen."

    Ich trat auf die Aufforderung hin ein und blickte mich in der ausgesprochen durchschnittlich aussehenden Amtsstube um - nun ja, was hatte ich wohl erwartet? Gutaussehende Römerinnen waren eben in einer academia militaris kaum zu finden, zumindest war die Wahrscheinlichkeit, hier auf eine solche zu treffen, relativ gering.
    "Salve!" grüßte ich den anwesenden Schreiber freundlich und musterte ihn kurz, bevor ich mich räusperte. "Mein Name ist Caius Flavius Aquilius, und ich möchte das examen primum ablegen." Wie ein Soldat sah ich nicht wirklich aus - in toga praetexta schonmal gar nicht - und wohl auch ein bisschen zu gut im Futter, aber zumindest ein gewisses Maß an Motivation war vorhanden.

    Es war eine dieser Stunden, die man sich als Priester wohlweislich frei hielt - denn wer den ganzen Tag nur Bitten einzelner Menschen an die Götter hörte, beim opfern half oder discipulae unterrichtete, brauchte bisweilen auch ein wenig freie Zeit zwischendrin, um nicht vollkommen verrückt zu werden.
    Indes war die heutige Mittagspause für mich eine recht kurze, hatte ich mich doch durch das Gewühl Roms auf den Weg gemacht, um in der academia militaris vorbeizusehen, genauer gesagt im dazugehörigen officium, um eine Sache zu erledigen, die mich schon länger gereizt hatte. Als man mir den entsprechenden Raum gewiesen hatte, hob ich die Hand und klopfte an der geschlossenen Türe kräftig an.

    Ein recht durchschnittlich aussehender Sklave der Villa Flavia sucht in den Abendstunden die caecilische casa auf, um für Caecilius Metellus ein sorgsam gerolltes Schriftstück zu übergeben.



    Kaufvertrag
    zwischen
    Gaius Caecilius Crassus
    (vertreten durch Tiberius Caecilius Metellus)
    und
    Caius Flavius Aquilius


    Hiermit sei folgender geschäftlicher Abschluss getätigt:


    Der Betrieb 'Calpurnias Schlammgrube' geht, den vilicus mit eingeschlossen, in die Hände des Caecilius Crassus über, der seinerseits den Kaufpreis von 450 Sesterzen dafür an Caius Flavius Aquilius entrichten wird.


    Bei Unterzeichnung erlangt dieser Vertrag Gültigkeit vor dem Gesetz. Unterzeichnet am:
    ANTE DIEM XI KAL NOV DCCCLVII A.U.C. (22.10.2007/104 n.Chr.)




    ________________________________
    (Gaius Caecilius Crassus)


    Caius Flavius Aquilius
    ________________________________
    (Caius Flavius Aquilius)

    Eine Kopie des Kaufvertrags legte ich in meinem Archiv für wichtige Schriftstücke ab, wie es üblich war.



    Kaufvertrag
    zwischen
    Gaius Caecilius Crassus
    (vertreten durch Tiberius Caecilius Metellus)
    und
    Caius Flavius Aquilius


    Hiermit sei folgender geschäftlicher Abschluss getätigt:


    Der Betrieb 'Calpurnias Schlammgrube' geht, den vilicus mit eingeschlossen, in die Hände des Caecilius Crassus über, der seinerseits den Kaufpreis von 450 Sesterzen dafür an Caius Flavius Aquilius entrichten wird.


    Bei Unterzeichnung erlangt dieser Vertrag Gültigkeit vor dem Gesetz. Unterzeichnet am:
    ANTE DIEM XI KAL NOV DCCCLVII A.U.C. (22.10.2007/104 n.Chr.)




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    (Gaius Caecilius Crassus)


    Caius Flavius Aquilius
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    (Caius Flavius Aquilius)