Die kleine Gruppe Sklaven blieb abseits stehen, und doch erhoben sich die ein oder anderen gemurmelten Unterhaltungen - dass sich einer der Herren die Mühe machte, mit einem Verurteilten noch zu sprechen, war selten genug, und dass sie es auch noch so leise taten, dass man ihre Worte nicht unbedingt vernehmen konnte, war noch seltener, und ausgesprochen unfair! Lucius, einer der Küchensklaven, nutzte indes die Gelegenheit, sich nahe Salambo aufzustellen, dieser rassigen Schönheit, auf die er schon lange nicht nur ein Auge geworfen hatte. Wie konnte sie einem auch entgehen, für so etwas hätte ein Mann schon blind, taub und blöd sein müssen. Leider kam sie nicht oft in die culina, ein Umstand, den nicht nur Lucius bedauerte. "Der Germane hat es verdient, am Kreuz zu landen, findest Du nicht auch? Er gibt sich viel zu viel Mühe mit diesem Kerl," sprach er Salambo einfach an und grinste zahnlückig.
Ich bemerkte das Geschwätz der Sklaven nicht, und selbst wenn ich es bemerkt hätte, es wäre mir gleich gewesen. Dies war der Augenblick, auf den ich lange gewartet hatte, vielleicht zu lange, denn es war wirklich der allerletzte Moment für Rutger, sich mir als Mensch zu offenbaren, die Maske des Hasses war gefallen, geblieben war der Lebenswille.
"Über den Begriff der Freiheit streiten die Philosophen seit Jahrhunderten, und die wenigstzen finden eine wirkliche Definition dessen, wann ein Mensch wirklich frei ist. Einige behaupten gar, selbst wenn Du niemandem gehörst, wenn niemand Dir einen Befehl geben oder Dein Leben irgendwie beeinflussen darf, bist Du nicht frei in Deinen Entscheidungen, denn woher Du stammst, was Du bist, setzt Dich in den Käfig eines Entscheidungshorizontes, den Du nicht verlassen kannst. Was bedeutet, es gibt immer deutlich mehr Möglichkeiten, sich für eine Sache zu entscheiden, eine Handlung auszuführen, als die, die man selbst sieht. Du entscheidest als germanischer Krieger, ich entscheide als römischer Patrizier, ein Haussklave entscheidet als ein Mensch, der sich vielleicht sogar mit seinem Schicksal abfindet, weil es ihn vieler Sorgen ledig macht. Frei musst Du im Geist sein, Rutger, dann ist jede andere Fessel, die Dich bindet, ob Du sie siehst oder nicht, bedeutungslos. Hattest Du jemals eine andere Wahl, als unser Volk zu hassen? Du forderst von mir die Wahl, Dich und Dein Volk nicht zu hassen, mich dafür zu entscheiden, dass Du überlebst."
Es war im Grunde absurd, neben einem fertiggestellten Kreuz an der via Appia mit einem zum Tode verurteilten Sklaven über Freiheit zu diskutieren, aber wenn nicht jetzt, wann dann? Er musste verstehen, dass die Fessel, die er zu sehen glaubte, weit weniger drückend war als es vielleicht den Anschein machte.
"Nicht jeder Kampf lässt sich dadurch gewinnen, dass man mit der Waffe in der Hand und laut brüllend auf den Feind zustürmt. Ist der Feind kein vollkommener Idiot, hat er Bogenschützen, die Dich längst niedergeschossen haben, bevor Du überhaupt das Weiße in den Augen Deines Feindes siehst. Nichts anderes hast Du getan, Du hast den direkten, aber falschen Weg gewählt. Der Krieger Rutger von den Germanen, der Du noch immer bist, dieser Mann hat Verbrechen begangen, für die er sterben muss, so lautet das Gesetz. Ich werde mich nicht gegen dieses Gesetz stellen, soviel solltest Du von mir inzwischen mitbekommen haben - aber es gibt vielleicht eine Möglichkeit, dass Dein Leben nicht aus Dir weichen muss. Rutger aber, der Krieger, der Aufsässige, der Entführer, der Schänder meiner Nichte, dieser Mann muss sterben."
Ich richtete mich auf, und winkte einen der Sklaven zu mir, jenen, der das Band trug, mit dem er Rutger vor dem Kreuzestod hätte erdrosseln sollen, und ließ es mir aushändigen, dann rief ich die restlichen Sklaven zu mir und bedeutete ihnen, neben uns stehenzubleiben. Während ich fühlte, dass mich der Blick Rutgers verfolgte, umrundete ich das Kreuz, sodass ich das Band schließlich um den Hals meines Sklaven legen konnte, und zog langsam, aber sicher zu.
"Dieser Mann hat Verbrechen begangen, die mit dem Tode gesühnt werden müssen. Rutger, Krieger von den Germanen, Sklave meiner Person, wird in diesem Augenblick sterben." Ich versinnbildlichte diese Worte mit einem weiteren Ruck, der ihm den Atem eng werden lassen musste, doch war er gebunden, und erhielt somit keine Gelegenheit, sich zu wehren, vielleicht noch einmal aufzubegehren - es machte den Augenblick perfekt, dieses Zucken seines Leibes. Ich hielt ihn eine Weile so, achtete darauf, dass ihm noch genug Luft blieb, um mir nicht unter den Händen zu verrecken, und als seine Augen sich weiteten, ließ ich los, ließ den köstlichen frischen Atem wieder in seine Lungen strömen, beobachtete das Heben und Senken der Brust, die mir bedeuteten, dass ich ihn nahe an das Ende, aber nicht darüber hinaus geführt hatte.
"Bindet ihn los, meinen neuen Sklaven und Leibwächter, der fortan den Namen Severus tragen wird. Rutger ist fortan tot und soll den Riten entsprechend als Toter gelten, und Severus wird leben."