Beiträge von Rutger Severus

    Argwohn stand auf der breiten, gefurchten Stirn des Hausherrn. Woher er den Fremden kennen sollte, er vermochte es nicht einzuordnen.
    „Was willst du?
    „Mit dir über die alten Zeiten reden...“
    Die Frau rückte ihm einen Stuhl an den Tisch. Er setzte sich. Ohne seine Lacerna abzulegen, ein weiter Überwurf, aus speckigem Leder. Die Frau schob ihm einen Teller zu, mit Brot und Speck. Schenkte einen Becher voll. Er rührte nichts davon an.
    „Du bist sesshaft geworden Finn.“
    „In Rom lebt es sich gut.“
    „Rom ist eine räudige Hure.“
    „Mag sein. Na und?“


    Bräsiger Gleichmut. Ein tumber Kollaborateur. Rutgers Kiefer spannten sich an. Der Thurse hatte die Hände auf dem Tisch verschränkt, die groben Pranken, mit den stark hervortretenden Fingerknöcheln. Sommerhitze. Bienensummen. Der sattblaue Himmel des Nordens. Ein Rasiermesser. Über den Lederstreifen gezogen. Vergebliches Aufbäumen. Pranken. Thursenpranken. Bohren sich eisern in seine Schultern. Das Messer, kalt an der Kopfhaut. Warme Rinnsale von Blut. Strähne um Strähne... seines langen Haares, Tiwaz geweiht, Sitz der Stärke.... die Sommerbrise trägt sie davon. Der Hass kam wie eine leuchtende Flamme über Rutger, vertrieb endlich die Lethargie. Der alte Hass, ihm willkommen wie ein vertrauter Freund.


    „Rom ist die Pest. Sag, Finn, was ist eigentlich aus Syagrius geworden?“
    „So'n verrückter Chatte hat ihn abgemurkst...“
    Die Augen weiteten sich, nur um ein weniges, als er verstand. Keiner bewegte sich. Im Herd knackte ein Scheit.
    „Odny. Una. Geht jetzt.“
    Die Frau nahm ihre Tochter an der Hand. Ein banger Blick. Sie gingen schnell hinaus.
    „Also...“ der alte Hüne klang nicht furchtsam, nur so, als wäre er diese Begegnung unendlich leid, als er zum drittenmal fragte: “...was willst du? Es ist lange her, und ich will ungern meine Stube mit deinem Blut beflecken. Ich biete dir ein Wergeld. Nimm es und verschwinde!“




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    „Vater, es ist jemand an der Türe.“
    Das blondbezopfte Mädchen blickte von seiner Schüssel auf, zur Türe, welche die bescheidene Behausung der Familie von der Strasse trennte. Sie aßen gerade zu Abend. Ein Talglicht brannte auf dem Tisch, und das Feuer im Herd glomm rot, verbreitete einen behaglichen Schein. Draussen heulte der Wind.
    Der Vater, ein ergrauter Hüne von einem Nordmann, schob sich ein Stück Speck in den Mund.
    „Sieh nach.“ befahl er kauend seiner Frau, einem jungen Ding, deren rundes Gesicht von aschblonden Flechten umrahmt wurde.
    „Ich glaube es war nur der Wind.“
    Trotzdem erhob sie sich, glättete ihren wollenen Kittel und ging zur Türe. Sie öffnete. Eine kalte Windböe wehte herein, ließ das Licht auf dem Tisch flackern. Dann verlöschen.
    Auf der Schwelle stand ein Fremder.


    „N' Abend Finn.“ grüßte Rutger, über die Frau hinwegsehend, den Hünen. Der runzelte die Stirn.
    “Kennen wir uns? Was willst du?“
    “Ja. Ist schon eine Weile her. Du hast damals noch für Syagrius gearbeitet.“
    “Das ist... lange her. Wie heißt du noch?“
    “Grímnir kannst du mich nennen.“
    “Joa... Komm rein.“ sprach der Thurse gleichmütig, die Frau öffnete die Türe weit und Rutger trat leichten Schrittes in das Haus. Welches eher eine Hütte war, mit einem zerzausten Strohdach. Es duckte sich in den Windschatten der alten Stadtmauer, nahe der Porta Trigemina. Hinter dem Circus. Keine gute Gegend. Aber es gab üblere, in diesem stinkenden Sumpf von Stadt. Die Frau schloß die Türe.
    Mit in den Gürtel gehakten Daumen begutachtete Rutger seine Umgebung. Die Wohnküche, niedrig und rauchgeschwärzt. Den Tisch, der nicht üppig, doch auch nicht armselig gedeckt war. Die Frau, deren Hände geschickt das Talglicht neu entzündeten. Das kleine Mädchen, das seinen Blick mit großen Augen erwiderte. Und Finn. Alt war der geworden. Silberne Strähnen durchzogen den Bart und das Haar, dazumal eine wirre Mähne, war grau, und nach Art der Römer kurz geschnitten.
    Hatte er selbst, Rutger, sich denn auch so sehr verändert?


    Oft, unendlich oft, hatte der Chatte sich diesen Augenblick vorgestellt. Ihn sich in allen roten Einzelheiten ausgemalt. Sich daran gelabt wie ein Verdurstender. Aber in seiner Vorstellung war es niemals so gewesen. So wie jetzt.




    Es hätte immer so weitergehen können. Es war gut, zu kämpfen. Auf jeden Fall besser als zu arbeiten. Das harte Training auf dem Sandplatz, manchmal Kämpfe vor Publikum, manchmal eine Bluttat zum Nebenerwerb... klingende Münze und Sicae im Dunkeln, Wein, viel Wein, leichte Mädchen und skandalöse Damen, und rollende Würfel, geschnitzt aus hellem Gebein.
    Kämpfen, saufen, ficken. Ein Nebel lag über den Jahren, in denen der chattische Hoplomachus für das Ludus Illustris kämpfte, reicher an Narben und stumpfer von Gemüt wurde. Als die Blonde Bestie pries man ihn an. Selten noch dachte er an die Heimat. Oder an die kleine Römerin, die jung gestorben war. Oder an die, die mal sein Schwanenmädchen gewesen war. Zuletzt hatte er sie in einer Kneipe Krüge schleppen sehen. Die schöne Metze mit ihrem kleinen Bastard. Da war er einfach gegangen, fluchtartig, ohne ein Wort zu sagen.
    Und selbst die Rache, die blutige Rache, die er dem flavischen Neiding einst geschworen hatte... sie war ihm schal geworden. Ein Krüppel war der Neiding mittlerweile, geschlagen mit dem Verlust seiner Tochter. Arrecina – der Name hatte Rutger mal viel bedeutet. Verblasst war dieser Name jetzt, vom Schmerz blieb nur ein schwaches Echo. Verblasst war auch die Rache... ebenso die an Flavius Aquilius. Der hatte anscheinend den Verstand verloren, wollte lieber ein lumpiger Fischer als ein Edeling sein. Ebenso die an dem flavischen Goden, den hatten die Unterirdischen mit einem Fluch geschlagen, der ihm Sprache und Mut raubte. So berichtete jedenfalls das dralle Küchenmädchen aus der flavischen Villa, das immer noch ziemlich anhänglich war, je grober der Germane desto mehr, wie so oft bei den Weibern. Der Hohn der Nornen hatte seine Feinde schon gebrochen. Rutger war müde. Ein Tag war wie der andere.


    Bis zu dem kühlen Morgen, an dem sich ein Zug von Kranichen über der Stadt zeigte, gerade als die Gladiatoren auf dem Sandplatz trainierten. Zuerst vernahm der Chatte von ferne ihre Laute – wie Menschenstimmen aus der Höhe drang es an sein Ohr. Er ließ die Hasta sinken und hob den Blick, über die anderen Kämpfer, die Gebäude des Ludus, die Mauern, die Hügel der stinkenden Stadt...
    Hoch oben im blassen Blau des Himmels zeichnete sich wie ein feingestochenes V der Zug der Vögel ab.
    Aus dem Norden kamen sie. Näherten sich rasch. Graugefiederte Schwingen schlugen auf und nieder... Und zogen vorüber. Der Germane sah ihnen nach bis sie am Horizont verschwunden waren. Es war wie ein Erwachen. Rutger beschloß zu gehen.


    Schwer war es nicht. Noch am selben Abend bestach er den Torwächter Antaeus, damit der ihn in die Stadt ließ, wie schon so oft, wenn er in die Schenke oder ins Bordell wollte. Nur dass er diesmal nicht wiederkommen würde. Der Germane verspürte kein Bedauern, der Lanista war ein Schinder, und die anderen Gladiatoren keine Freunde. Mit einem hatte er sich ganz gut verstanden, Lanius, und ein paar krumme Dinger zusammen gedreht, früher, aber dann war der Ubier nach seinem fünften Kampf an einer brandigen Wunde krepiert.
    Die frisch geschliffene Sica unter dem Mantel verborgen, die Hände mit dornengespickten Lederriemen umwunden, schlug sich die Blonde Bestie in die nächtlichen Gassen. Er ließ das Ludus Illustris hinter sich ohne zurückzublicken.


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    RRRRUMS! flog die Tavernentüre auf.
    Herein trat ein durstiger Gladiator, muskelbepackt und von Narben gezeichnet. Eine grobe Tunika trug er und breite Lederbänder an den Armen, er war in Schweiß und einen Hauch Arenasand gehüllt, und schien eben erst vom Training zu kommen. Wer sich für die Ludi interessierte, der wusste: hier kam Rutger, auch bekannt als: die Blonde Bestie.


    “Bier! Und Braten!“ verlangte der Germane, und hinter ihm traten noch drei weitere Personen in die Stube, die ebenfalls lautstark ihr Verlangen nach einem Imbiss bekundeten. Es handelte sich dabei um einen weiteren Helden der Arena – Lanius der Schlächter, ein Ubier mit wildem Blick, sowie um zwei Damen von zweifelhafter Tugend, brünett die eine, mit einer roten Perücke ausstaffiert die andere.


    Wie ein Eroberer flegelte die Blonde Bestie sich auf eine Eckbank, packte recht wahllos eines der Mädchen um die Hüften und zog es ruppig an sich. Gekreisch, Gekicher, das Mädchen - die Brünette - ließ es sich gefallen. Die Rote saß schon auf dem Schoß des Schlächters.
    “Wolln mal sehen was die Kneipe hergibt. Das Bier da drüben war die reinste Pferdepisse!“
    “Jawoll… miese Kaschemme da.“ Der Schlächter spuckte verächtlich aus.
    “Und der Trottel mit den Würfeln!“
    “Denk der er kann uns bescheißen!
    “Das hat er jetzt davon!“
    Die beiden Arenahelden ballten spaßhaft ihre klobigen Fäuste und teilten ein herzhaftes Gelächter. Die Damen kicherten mit wogendem Busen und schmiegten sich an ihre Kerle.


    “Hier ist’s besser. Na mal sehn wie das Bier ist. Die Römer kriegen das einfach nicht hin. Mit dem Bier. Ich weiß nicht, vielleicht liegt am Korn.“
    Die Blonde Bestie furchte die Stirn.
    “Oder am Wasser. Stinkiges Brackwasser. Weisst du, das Wasser hier kann man gar nicht vergleichen mit dem bei uns…“
    Ein melancholischer Ausdruck senkte sich wie ein Schatten herab, Wehmut verklärte der Bestie grimme Züge.
    “Mit den klaren Wassern eines Wildbaches, der von den Bergen her strömt, unter lichtgrünem Blätterdach, zwischen bemoosten Steinen…-“
    Der Schlächter rollte die Augen. Jetzt fing das schon wieder an.
    “Oder es liegt an dem, dings, na wieviel sie eben von den verschiedenen Sachen reintun. Dem Rezept!“
    “ …und du kommst von der Jagd, beugst dich hinab und schöpfst mit den Händen das kühle Nass… lässt Dir den Trunk durch die Kehle rinnen, und schmeckst… den Wald… den Tau auf den Blättern früh am Morgen, die nerthusgesegnete Erde, und die Sonne, die…-“
    “Du magst also Wasser.“
    “Das Wasser meiner Heimat mundet besser als jedes welsche Bier.“, behauptete Rutger trotzig. “Und das chattische Bier erst. Und der Met.“


    Aber auch Rom hatte Vorzüge. Gold – wenn es gut lief, Ruhm – für den Überlebenden, Weiber – zu Genüge. Die Mädels waren ganz scharf auf Gladiatoren. Rutger ließ die Hände über die Kurven seiner Begleiterin wandern, entblößte ihre drallen Schultern und knurrte: “Komm her…“ – er hatte vergessen wie sie hieß – “…meine Schlampe.“
    Aber der Durst wurde davon nicht weniger.


    “He Bedienung, wir sind durstig und hungrig!“

    Garms Grimm. Die Flavier schickten des Neidings mißratenen Sproß los, und der schwang große Reden - das war ja widersinnig. Wie eine lästige Fliege schüttelte der Germane die Hand des großmäuligen Jüngelchens ab, nahm sich den Palmzweig, griff sich den Beutel, und öffnete ihn um reinzuschauen. Er hatte die leidvolle Erfahrung gemacht, daß man den Römern nicht trauen konnte, keinem von ihnen, niemals, und gerade was Serenus anging, so wollte sich Rutger lieber gleich vergewissern, daß der den Beutel nicht anstatt mit Gold nur mit Murmeln oder mit toten Ratten gefüllt hatte. Aber an dem Inhalt des Beutel gab es nichts auszusetzen.
    Einen Atemzug lang strich der Blick der Blonden Bestie flackernd, lauernd über die Loge der Flavier, über den Hexer und den so munteren kleinen Jungen auf dessen Schoss, über die appetitlichen Maiden, dann wandte er sich ab und stieg wieder hinab, in den Sand der Arena.


    Sein Kopf wurde so leicht, obschon die Glieder sich immer schwerer anfühlten, und kälter, ob des Blutverlustes. Er wollte sich nur noch hinlegen, und sehr lange schlafen. Aber jetzt durfte er nicht schlappmachen, die Ehrenrunde, die musste er noch schaffen. Langsam, wie gegen einen zähen Widerstand hob er den Palmwedel, drehte sich, und nahm die Huldigungen der Menge entgegen... senkte ihn, und es wurde leiser im Amphitheater, hob ihn erneut und wieder erhob sich das Getöse... schwenkte ihn hin und her, und es wurde zum Donnersturm... Rutger trank den Jubel... der Palmzweig war der Mjölnir, in diesem Augenblick, und er, Rutger Thidriksohn, war Donnar selbst...!
    Noch eine halbe Runde... Und das Gold, es war mehr als genug für eine Schiffspassage... um von hier wegzukommen... aber nicht ohne Arrecina... er würde nach Baiae gehen und sie einfach noch einmal rauben... dann ein Schiff nach Massilia, und durch das Rhonetal nach Norden... über den Rhein und nach Hause...
    Jetzt hatte er die porta sanavivaria erreicht. Rutger trat hinein, und das Getöse verklang hinter ihm, als das Dunkel des Ganges ihn verschluckte.






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    Durch das verklebte Gitter des Helmes konnte der Germane kaum noch etwas sehen, und ließ doch in der Raserei nicht ab von dem erschlafften Körper des Feindes, wehrte sich wild als zwei kräftige Helfer ihn fortzerrten. Nur langsam flaute die animalische Wut ab. Rutger zerrte sich den Helm vom Kopf - der vorne zerbeult war, und verschmiert mit Blut, Gewebefetzen, Haaren, Knochensplittern - und ließ ihn achtlos in den Sand fallen, blickte mit glasigen Augen auf den niedergestreckten Gegner. Sein Kopf dröhnte von den Schlägen, seine Wunden brannten wie Feuer, eine bleierne Erschöpfung legte sich über ihn. Eben hatte das Römerpack noch nach seinem Tod verlangt, jetzt riefen sie seinen Namen, umtoste ihn Jubel...
    Die Beinschienen wogen zentnerschwer, als er über den Sand ging, vorüber an dem Leichnam, der soeben auf eine mit Tüchern verhängte Bahre geladen wurde - das torus libitinae, Ehebett der Todesgöttin. Rutger neigte den Kopf vor dem Toten, der ein tapferer Krieger gewesen war; es war knapp gewesen, es hätte auch anders ausgehen können, aber jetzt war der Schnitter tot, Rutger der Sieger und nichts anders zählte mehr.


    Während der Leichenzug die Arena durch die porta libitinaria verließ, während schon Gehilfen frischen Sand auf die Blutlachen streuten, stieg der Germane die Stufen empor, um, wie es ihm gebührte, aus der Hand der Veranstalter seinen Siegespreis in Empfang zu nehmen. Er presste die Zähne zusammen, kämpfte gegen den Schmerz, und gegen den Schwindel, der ihn überkommen wollte, hielt sich pfeilgerade. Vorüber an fetten Senatoren und ihren aufgetakelten Weibern trat er auf die Flavier zu, blutüberstömt, brachte mit sich den Geruch von Schweiß, Blut, und Eisen. Einer der Römer zog ein kleines Tuch hervor und wischte schnell und verstohlen etwas von der Spur roter Tropfen und Schlieren auf, die Rutger hinterliess - es war ja ein weitverbreitetes Wissen, dass das Blut der Gladiatoren besondere Eigenschaften hatte, und gegen allerlei Gebrechen, zumal gegen Impotenz, sehr nützlich war.


    Vor der Loge der Flavier verharrte der Germane. Er bleckte sein Raubtiergebiss zu einem argen Lächeln, und streckte die Hand aus, um zum einen den Palmzweig als Zeichen seines Sieges, vor allem aber das versprochene Gold zu empfangen.






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    Als hätte ein Auerochse ihn auf die Hörner genommen, mit solcher Wucht traf das scutum den Germanen, und schleuderte ihn zu Boden. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen, trübte seine Sinne, so daß er einen Augenblick lang nicht wusste wo oben, wo unten, vor allem aber wo sein Gegner war, denn der war aus dem vergitterten Ausschnitt, den er, durch den Helm eingeschränkt, überblicken konnte, verschwunden...
    Ein Knirschen im Sand nur - reflexhaft deckte Rutger sich mit dem Rest seines Schildes, suchte mit aller Kraft auf die Füsse zu kommen während die Schwertstreiche wie Hagel so dicht auf ihn niederfuhren, die manica an seinem Arm zerfetzen, so daß das Roßhaar in Büscheln umherflog. Und auch ins Fleisch drang die Klinge des Murmillo, bald quoll aus mehreren Schnitten das Blut und floß, rote Bahnen ziehend, am Körper des Germanen herab, besprenkelte kontrastreich den Sand. Die Römer rasten, tobten, wollten ihn sterben sehen, und noch immer kam er nicht auf die Füsse.
    Ein roter Nebel wallte vor Rutgers Augen, Schmerz, Todesangst und Zorn rasten durch seinen Körper, und weckten die uralte Wolfswut, die stets in ihm war, doch schlummernd, ein Erbe seiner Ahnen, von denen manch einer seine Haut abwerfen und sie gegen ein Wolfsfell hatte tauschen können, um des nachts als mordende Bestie durch die Wälder zu streifen - so erzählte man in seiner Sippe. Eisen hatte ihnen nichts anhaben können, den Wolfshäutern, damals in jener Zeit als das Asenblut noch stärker in den Adern der Menschen rann, die Helden noch größer und die Winter noch kälter gewesen waren als heute.


    Mit einem rohen, unartikulierten Schrei, der nicht mehr aus menschlicher Kehle zu stammen schien, brach die Blonde Bestie hervor, warf sich gegen den Schnitter, als der erneut ausholte, und schlug ihm die schartige Kante des Schildes mit aller Wucht zwischen die Beine. Empfindlich getroffen krümmte der Feind sich zusammen, der Germane sprang ihn an, riß ihn um, und in einem wilden Knäuel von Armen und Beinen gingen die Gegner zusammen zu Boden.
    Töten, zerreißen, zerfetzen... Rutgers Hand krallte sich in die Kehle des Feindes, tief gruben die Finger sich hinein, wie mit Klauen wollte er sie herausfetzen, doch der Murmillo warf den Stiernacken zurück, und es rissen nur die Riemen seines Helmes, der flog dem Mauretanier in hohem Bogen vom Kopf, rollte durch den Sand, und prallte scheppernd gegen die Umfassung der Arena. Nun, letztendlich, sah der Germane doch das Gesicht des anderen, verzerrt und verschwommen durch den Nebel der Wut.


    Und wieder rollten sie herum, wieder war der Feind oben, er stieß das Gladius herab, um Rutger in den Sand zu nageln... doch dessen Faust umschloss das Handgelenk des Schnitters und lenkte den Stoß ab, so daß die Klinge sich haarscharf neben seiner Wange tief in den Sand bohrte. Auch der Dolch war abhanden gekommen, der Germane wusste nicht wann...
    Aber wer brauchte schon Waffen....?!!
    Ein furchteinflössendes Knurren drang aus seiner Kehle, als die Bestie sich in wilder Raserei aufbäumte, und den behelmten Kopf dem Feind in das ungeschützte Gesicht schmetterte! Die vorstehende Helmzier, der Greifenkopf, zertrümmerte, zerhackte beinahe, das Nasenbein, und während der Murmillo noch die Benommenheit abzuschütteln suchte, folgte schon der zweite grausige Hackstoß, zerschmetternd, zermalmend, und noch einer und immer wieder... Die Bestie liess nicht von ihrem Feind ab, dessen Gesicht sich mit jedem Stoß mehr in einen blutigen Brei verwandelte.





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    Die Blonde Bestie hatte Blut geleckt, das Brüllen der Zuschauer umgab ihn wie ein sinnenbetörender Sturm, ein gewaltiges Dröhnen, zusammengeschmolzen aus vieltausenden Stimmen, aus dem sich einzelne Rufe herausschälten, ein Donnerhall, der sich über das Theater bis hinauf zum hohen Himmel erhob. Blutlechzend duckte sich der gestählte Körper, wie in Stein gemeisselt zeichnete sich die Muskulatur ab, Sehnen und Blutadern traten hervor, als der Germane wiederum einen Vorstoß machte, die Lücke auszunutzen, die er in der Deckung des Murmillo erspäht hatte. Sand klebte an seinen Fussohlen, sein Atem ging schnell und heiß, und die Welt zog sich zusammen, auf ihn und auf seinen Feind, nichts anderes gab es mehr.


    Das gladius des Murmillo stieß wuchtig herab, Rutger blockte mit dem kleinen Schild, mit ohrenbetäubendem Klirren stieß Eisen auf Bronze, schlug eine tiefe Scharte, die Wucht des Aufpralls sandte Schmerz bis zum Ellbogen, und Rutgers Gesicht verzerrte sich hinter der ehernen Maske - doch er band die Klinge des Murmillo, nur für einen kleinen, flüchtigen Augenblick in dem Winkel zwischen dem Rand seines kleinen Schildes und der Klinge seines Kurzschwertes, die darüber hinausragte... Und eben in diesem Augenblick stieß er die Lanze in den Spalt, der sich zwischen dem scutum und dem kraftstrotzenden Torso des Murmillo aufgetan hatte... und traf den Feind, an der Achsel, gerade da wo der gepolsterte Armschutz endete. Blut quoll hervor, glänzte im Sonnenschein, stob in feinen Tropfen von der Lanzenspitze und "Habet!" erklang es von den Rängen.
    Doch jetzt war der Hoplomachus zu nah an seinen Gegner geraten. Zu nah! Viel zu nah! mahnte ihn eine innere Stimme (die genau wie die Thidrik Sigvaldsohns, seines Vaters klang), und notgedrungen liess Rutger die Lanze fallen, wechselte das, sehr kurze, Kurzschwert in die Rechte - schnell, doch nicht schnell genug, um zu verhindern, daß....





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    In einigen Schritt Entfernung nahmen die Gegner Aufstellung, machten sich kampfbereit. Zwischen sie trat der summa rudis, Schiedsrichter über die Zweikämpfe, in der Hand seinen langen Stab. Rutger setzte den schweren, geschlossenen Helm aufs Haupt, der einen geschwungenen Kamm trug, welcher vorne in der Fratze eines Greifen auslief, und von blauschwarz glänzendem Gefieder geschmückt wurde. Sobald er die Riemen anzog, und der Helm fest sass, spürte er kaum noch dessen Gewicht, sein Blickfeld verengte sich auf den vergitterten Ausschnitt, durch den er seinen gesichtslosen Gegner fixierte, sein Atem wurde heiss von der Maske zurückgeworfen, klang laut in seinen Ohren, und immer stärker wuchs die Lust zum Holmgang, zu kämpfen, zu töten, das Blut des anderen mit dem der Opfertiere im Sand zu vermengen!
    Ungestüm riss Rutger die Lanze empor, und erhob - auf chattisch - seine Stimme zum höchsten der Asen, und laut, metallisch dröhnend durch den Helm, schallten die Worte durch die Arena:
    "Walvater Wodan! Höre in Huld mich!
    Ich, Rutger der Hallvardung, weihe Dir den welschen Krieger!
    Dein ist sein Blut! Dein sein Gebein! Dein seine Glieder!
    Sende, Walvater, mir Sieg!"

    Hätte er einen weiteren Ger zur Hand gehabt, dann hätte er ihn nun, Walvater zu ehren, über den Feind hinweggeworfen - aber er brauchte seine Waffe noch, und hoffte, Wodan würde dafür Verständnis haben.


    Die Musiker am Rande der Arena spielten aufpeitschende Takte, der summa rudis sah von einem Kämpfer zum anderen... hob seinen Stab... ein schriller tibia-Triller durchschnitt die Luft... - und der Stab senkte sich, der summa rudis wich zurück, der Kampf begann.
    Wie der Wolf, der sich an den Auerochsen heranpirscht, so trat Rutger lauernd an seinen Gegner heran, der ihm, durch das grosse scutum mit dem Medusenhaupt exzellent gedeckt, eine geschlossene Front bot. Der Germane kam näher, doch nicht zu nah, denn der Vorteil seiner armatura war die Beweglichkeit, und die Reichweite, die verloren ging sobald der Gegner seine Lanze unterlief. Den kleinen Schild hielt er in Linken, ebenso das Kurzschwert, dessen Klinge nach oben hin über den Rand hinausragte, mit der Rechten führte er die Lanze, eröffnete das Duell mit einem blitzschnellen Stoß von oben herab, wich augenblicklich wieder zurück und schnellte erneut vor - die Lanze sauste durch die Luft, auf und nieder, schnappte nach der Schulter des Murmillo, nach dessen Waden...
    Rutgers Füsse trugen ihn flink über den Sand, und in einer raschen Folge fliessender, eleganter Attacken - Stöße, Schildparaden, Gegenstöße - tastete er den Gegner ab, wich ihm aus, reizte ihn, und stellte zudem damit vor den Zuschauern sein Können mit der Lanze zur Schau. Es ging ja nicht nur ums töten! Sondern darum Eindruck zu machen, Ruhm zu gewinnen, dem weichlichen Römerpack zu zeigen was Mannesmut war.


    Hell blitzte die Sonne auf den Klingen der Kämpfenden. Mit einem flamboyanten Wirbeln der Lanze (welches nicht effizient war, aber noch einmal effektvoll seine Kampfkunst in Szene setzte), leitete Rutger einen gewagten Scheinangriff ein - vermeintlich auf die Schulter des Feindes abzielend, suchte er ihn zur Gegenattacke zu reizen, und zum Öffnen der Deckung zu verleiten, darauf versetzte er ihm einen wuchtigen Tritt gegen das scutum und führte, die Lanze herumreißend, einen sichelnden Hieb gegen die Flanke des Murmillo.





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    Aus dem langen dunklen Gang, aus den tiefen Eingeweiden des Flavischen Amphitheaters trat Rutger Thidriksohn in das Licht der Arena. Es war gewaltig, ein überwältigender Eindruck von Grösse, als er in das gigantische Oval hineinging, und den Blick hinaufwandern liessen, zu den sich höher und immer noch höher aufschwingenden Rängen, auf denen die Menge der Zuschauer zu einem Meer bunter Flecken verschwamm. Darüber spannte sich das gigantische Segel, darüber der Himmel, in dessen klarem Blau weisse Wolken trieben. Ein Murmeln und Summen wie in einem kolossalen Bienenkorb, Rascheln und Reden tausender Menschen erfüllte das Rund, schwoll an, als die Kontrahenten von verschiedenen Seiten her barfuss über den Sand schritten.
    Dann setzten cornua, tubae und lituus ein, schmetterten pompös, während die weichen Klänge einer Wasserorgel die ansteigende Spannung untermalten. ministri trugen Tafeln durch das Rund, auf denen die Namen der Kämpfer standen, so gross geschrieben, dass sie bis in die hinteren Reihen zu lesen waren, wohin selbst die tragende Stimme des praeco, des Heroldes, nicht gelangen konnte, als dieser nun kraftvoll verkündete:
    "Im ersten Kampf treten an:
    als Murmillo ZYCUS, der Schnitter von Mauretanien, Bezwinger von Barosus, ungeschlagen in neun Kämpfen, einmal stante missio!
    Als Hoplomachus und Herausforderer sehen wir heute zum ersten Mal: RUTGER, die Blonde Bestie aus den Wäldern des Nordens!"


    Der großgewachsene Chatte trug die hohen Beinschienen des Hoplomachus, und den kleinen gewölbten Rundschild, war bewaffnet mit dem geraden Kurzschwert und der Stosslanze, die so sehr dem Ger ähnelte, mit dem man in seiner Heimat zu kämpfen pflegte, und der sogar Teil seines Namens war - des wahren Namens, nicht des Sklavennamens, den der Flavier, der sich seinen Herrn nannte, ihm gegeben hatte - was ihm ein gutes Vorzeichen dünkte.
    Den attischen Helm mit den schwarzen Federn trug Rutger noch unter dem Arm, er liess sein Blondhaar gülden in der Sonne leuchten, und bot alles in allem ein Bild von einem Barbaren. Durch Physis zu beeindrucken, gehörte zum Gladiatorsein dazu, und kam dem Chatten, der von Natur und Herkunft aus gerne prahlte, sehr entgegen. Prächtig spielten die Muskeln unter der ölglänzenden Haut seines bloßen Oberkörpers, und schienen schon die Lederbänder seines Armschutzes sprengen zu wollen, als er stolz die Lanze gen Himmel reckte, und den Lärm der Skrälinge und Südländer als Beifall entgegen nahm.
    Es entging ihm allerdings nicht, dass sie für seinen Gegner noch lauter johlten - was kein Wunder war, da der ihnen bereits bekannt war. Abschätzend fasste Rutger den Murmillo ins Auge, offenbar ein sehr erfahrener Kämpfer, nun gut, um so grösser der Ruhm ihn zu erschlagen... und sollte statt dessen er, Rutger, unterliegen, so erwartete ihn ein Platz in Walvaters Halle, wo Wunschmädchen den Trunk reichten, wo ein Fest gefeiert wurde noch tausendmal besser als die cena libera am Vorabend, dort würde er mit den Einheriern tafeln, trinken und den Skalden lauschen, bis zum Tag der letzten Schlacht, an dem der graue Wolf die Sonne verschlingen würde, und sie alle eine letzte ruhmvolle Schlacht schlagen würden.
    Schon so viele Male hatte Rutger den Tod vor Augen gehabt - den Tod im Scharmützel, das Erfrieren in den Alpen, das sang- und klanglose Verbluten, das Dahinsiechen an seinen Wunden, und auch dem elenden Verrecken am Kreuz war er nur um Haaresbreite entgangen - dieser Tod, der ihm hier, heute, in der Arena zulächelte, voll Ruhm und Mannesmut, war begehrenswert dagegen.
    Noch mehr lockte freilich der Sieg.


    Kampfeslust durchströmte den Germanen als eine hitzige Woge, er bleckte die Zähne zu einem grimmigen Lächeln. Neben seinem Gegner blieb er stehen, sah hinauf zu den Veranstaltern - dem Goden Flavius Gracchus, ein bösartiger Hexer, von dessen üblem Schadenszauber Rutger ein Lied singen konnte, und dem Neiding Flavius Aristides, der ihn einst in den Wäldern seiner Heimat durch nur List und Tücke gefangen genommen hatte. Rutger hatte ihm dafür die Tochter, oder zumindest deren Unschuld geraubt, und nun war der Mann ausserdem im Krieg zum Krüppel geworden - beides geschah ihm recht, beides erfüllte Rutger mit Genugtuung.
    Während der Murmillo das Knie vor den Flaviern beugte, blieb der Hoplomachus aufrecht stehen, und schleuderte den beiden Römern den Gruß wie eine Herausforderung entgegen, zu gleichen Teilen von Verachtung und unversöhnlichem Haß durchdrungen.
    "Morituri vos salutant!"





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    Morgen würde er kämpfen. Heute galt es zu feiern. Rutger Thidriksohn, auch genannt die Blonde Bestie, vergnügte sich auf der Cena Libera, dem Bankett der Gladiatoren am Vorabend der Spiele. Die Räume des Ludus Illustris waren von grossen Feuerbecken hell erleuchtet, schrille Musik lag in der Luft, Bratenduft mischte sich mit Schweiß und Parfum. Eine Vielzahl von Römern und Römerinnen waren zu diesem Fest gekommen, scharrten sich um die Männer, die sich morgen in der Arena auf Leben und Tod gegenüber stehen würden.
    Manche der Gäste kamen, um die Muskeln der Kämpfer zu begutachten, und zu sehen, auf wen sie morgen ihre Sesterzen setzten sollten, andere wollten ihre Idole einmal hautnah erleben, wieder andere genossen den morbiden Charme, der darin lag, zusammen mit Todgeweihten ein ausschweifendes Fest zu feiern.


    Und dann waren da natürlich die Frauen, die von den gestählten Arenahelden nur das eine wollten! Alles Schlampen, in den Augen des Chatten, rausgeputzte römische Schlampen, die man bei ihm zu Hause gleich im Moor versenkt hätte, lose Weiber, so verdorben und falsch wie alle die verweichlichten Südländer, die diese Stadt hier bevölkerten, in der das Laster bis zum Himmel stank.... - aber Rutger nahm was er kriegen konnte. Das waren in diesem Fall zwei hinreissende Schlampen, die sich schamlos bei ihm auf der Kline räkelten und mit Hingabe seine Muskeln streichelten, während er Wein trank und mit grossen Bissen das Fleisch von einer Lammkeule riss. Kauend scherzte er mit den anderen Gladiatoren, versuchte ihre Prahlereien noch zu übertrumpfen, und brüstete sich mit all den Männern, die er in seinem Leben schon erschlagen hatte.
    Rutger hielt viel von sich, war er doch ein Krieger aus dem Geschlecht der Hallvardungen, die ihre Abstammung auf Tiwaz selbst zurückführten, den ältesten und tapfersten der Asen, den der den Fenriswolf in Bande schlug. Er war ein grosser Krieger, und hatte hier im Ludus Illustris, wo man ihn zum Hoplomachus ausgebildet hatte, noch so manches dazugelernt.
    Von dem Römer, der sich seinen Herrn nannte, hatte der Chatte lange nichts mehr gehört, so trainierte er seit über einem Jahr Tag für Tag unter der Fuchtel des Lanista, verdingte sich manchmal bei privaten Zweikämpfen, und bisweilen, wenn die Bezahlung stimmte, erledigte er 'nasse Sachen' für irgendwelche schattenhaften Auftraggeber. Römer zu töten, das war immer eine gute Sache, ausserdem sparte Rutger für seine Flucht. Die letzte war spektakulär mißglückt, die nächste würde er gut vorbereitet angehen... Wenn er den Kampf am morgigen Tag überlebte...


    Die schwarzhaarige Schlampe kicherte grell auf, als der Germane sie auf seinen Schoß zog und die Hand in ihrem Ausschnitt versenkte. Grob küsste er ihre rotgeschminkten Lippen, schmeckte ihren warmen, feuchten, weinbenetzten Mund. Rutger liebte das Leben, trotz aller Fährnisse, trotzdem er von den verhassten Flaviern in schmachvolle Knechtschaft gezwungen worden war, und er träumte davon, heimzukehren, und sein Volk gegen die Besatzer zu führen, träumte von dem Blut-Tag, an dem die Städte des Nordens von den Stämmen überrannt würden, träumte vom Morden, Plündern und Brandschatzen am Tag der Rache, an dem der Rhein rot sein würde vom Blut der Römer und die Raben fett von ihrem Aas.
    Er brannte darauf zu kämpfen, es war seine Bestimmung, und allein der Gedanke daran liess das Blut schneller durch seine Adern strömen. Doch morgen würde es das erste Mal sein, dass er in der grossen Arena stand, und er hatte gehört, dass sein Gegner ein sehr erfahrener, vielfach erprobter Gladiator war... so war die Siegesgewissheit, die Rutger zur Schau stellte, mehr Fassade, darunter erfüllte ihn eine fiebrige Aufregung. Es würde ein harter, ein sehr harter Kampf werden. Beim Wein hielt er sich jedenfalls zurück, um morgen einen klaren Kopf zu haben. Aber was gab es besseres gegen den Zweifel, als ein Weib, oder mehrere? Die Buhlen hier konnten wohl kaum mit den Wunschmädchen mithalten, die an Wallvaters Tafel auf die gefallenen Krieger warteten - aber sie gaben einen Vorgeschmack.
    Rutger erhob sich, umschlang die Taille der Schwarzhaarigen, packte die andere Metze am Arm und zog die beiden kichernden, und sich nur pro forma etwas wehrenden, Frauen mit sich, in eine der Schlafkammern, um den Abend, der vielleicht sein letzter war, in vollen Zügen zu genießen.

    Schon öffnete Severus den Mund, um die Frauen vor dem bissigen Wallach zu warnen - doch der war heute ganz friedlich und ausgeglichen. Die letzten Tage, die weiten Ritte, hatten ihm wohl gutgetan. Ja, ob Mensch ob Tier, in der Stadt eingesperrt zu sein, das schlug einem jeden auf das Gemüt.
    Allerdings, der Germane hatte das Pferd nicht zum Opfern mitgebracht. Tatsächlich hatte er gar nicht an ein blutiges Opfer gedacht! Die Asen und Wanen, die Disen und die Fylgien hatten ihn mehr als einmal im Stich gelassen, und Wodan hatte seinen Ger zerbrechen lassen, in dem alles entscheidenden Kampf mit dem Neiding Flavius Aristides... - ja, Severus fand, dass diese treulosen Götter froh sein sollten, wenn sie etwas Met und Braten abbekamen, ein Tier hatten sie eigentlich gar nicht verdient! Doch Sivs Umsicht, und die lebhafte Art mit der sie sich gleich bereit erklärte den Blót zu vollziehen, liessen ein vages Gefühl von Pflichtvergessenheit in ihm aufsteigen. Was war ein Krieger schon, ohne die Gunst der Götter? Mut und Kampfesgeschick, dies alles verblasste vor einer Laune des Schicksals, vor dem Willen der Bewohner Asgards. Zudem - oft zeigte der Wallvater und ebenso der Einarmige auch dem Krieger grosse Ungunst, der ihnen in Wirklichkeit am Herzen lag. Als Bewährungsprobe, oder um ihn die Reihen der Einherier zu rufen.


    Severus bezwang für diesmal sein Hadern. Er nickte und sagte nur: "Gut.", schüttelte dann kurz den Kopf auf die Frage ob er auch ein Opfertier dabei hatte. Den Dolch aus dem Gürtel ziehend, suchte er ein Stück der Lichtung aus, wo das Gras dicht und gleichmässig wuchs. Dort kniete er sich hin, und begann mit der Klinge die Grasnarbe zu durchtrennen, in zwei langen, parallelen Schnitten, etwas eine Elle weit auseinander, um eine Stätte für das Opfer zu bereiten.
    "Wir werden den Asen ein Opfer bringen", meinte er erklärend auf Latein, "unseren Göttern.", und sah dabei zu Fiona auf. Der rote Feuerschein huschte über ihre Züge, glomm in ihren roten Locken, als hätte sie selbst Flammenhaar. Sie sah abwesend aus, und Severus, obgleich nicht gerade der feinfühligste, meinte einen Ausdruck von tiefem Schmerz über ihr Gesicht hinwegziehen zu sehen, bevor sie dann auf einmal seltsam lächelte. Minna hatte es ja schon auf den Punkt gebracht, was für ein Fest sie hier heute begingen, aber dieser kurze Eindruck brachte ihn dazu, noch etwas hinzuzufügen.
    "Wir feiern heute, zur Sonnwende, ja auch... die Hoffnung."
    Er räusperte sich, wollte nicht sentimental klingen, und löste mit erdigen Händen die Grasnarbe vom Untergrund während er weiter, halb zu Fiona, halb zu sich selbst sprach.
    "Heute ist die dunkelste, die längste Nacht. Alles scheint tot. Aber wenn der tiefste Punkt erreicht ist, die Talsohle, die Verzweiflung, und man steht es doch durch und lässt sich nicht erschüttern, oder nicht zu sehr jedenfalls - dann erstarken auch wieder die Kräfte. So wie die Sonne eben. Also, zum Beispiel ich - vor einem Jahr, im letzten Winter, da war ich eingekerkert, die Flavier haben einen Fluch über mich gesprochen, und sie wollten mich kreuzigen. Ich dachte es wäre das Ende, aber dann bin ich doch davongekommen. - Also, das gehört auch dazu, zu diesem Fest."
    Er zuckte die Schultern und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Mit beiden Händen hob er dann den Streifen der Grasnarbe - der an beiden Enden noch mit dem Boden verbunden war - ein Stück empor, und sah sich nach Stöcken oder Astgabeln um, die man darunter klemmen konnte, um den Streifen hochzuhalten, und so einen Zwischenraum für die Opferung zu schaffen. Bei einem Kaninchen musste der ja nicht sehr gross sein.

    Ein neuer Name. Hannibal lachte. Der Germane reckte das Kinn, stumm, stolz und trotzig, als der Badende so leichthin von Komödie und Tragödie sprach... Wenn es nur der Name wäre. Doch es war mehr, mehr das damit einherging, es war eine Schuld und eine Treuepflicht gegenüber dem vermaledeiten Römer, und es war eine stete, nagende und bohrende Erinnerung daran, dass er angesichts des Kreuzes in wahrsten Sinn des Wortes in die Knie gegangen war. Dieser Name war wie eine Kette! Wie ein Joch!
    Finster blickte er Hannibal an. Der war wirklich ein Sklave, Sklave des Neidings noch dazu, Sklave mit Leib und Seele wahrscheinlich. Was wusste der schon... Mit einer abfälligen Handbewegung wischte er das alles dann barsch beiseite. Er würde dieses Joch schon noch abschütteln. Für den Moment wandte er sich lieber wider dem naheliegenden zu. Den Elefanten.
    Nach einigem Zögern begann Hannibal zu erzählen, ebenso aufschlußreich wie launig. Das brachte allerdings Licht in den Dämmerschein der Vermutungen, die der Germane bereits angestellt hatte. Flavia Minervina entführt. Zweihundert Aurei. Zweihundert! Seine Augen wurden gross. Bei Fenris Fängen, das war eine völlig unvorstellbare Summe. Genug um ein eigenes Heer aufzustellen, im Kampf gegen die römischen Besatzer. So lukrativ konnte es also sein, eine Flavia zu entführen?! Hätte er mal besser Lösegeld für Arrecina verlangt, dachte der Germane sarkastisch, anstatt sich in sie zu verlieben und infolgedessen die ganze Sache in den Sand zu setzen.


    Jetzt wunderte es ihn gar nicht mehr, dass der zerlumpte Longinus so mit dem Gold um sich warf. Seine Stirn furchte sich. Den Mann musste er sich schnappen! Aus ihm rauspressen wo die Elefanten ihren Hort aufbewahrten. Oder ihn den Flaviern ausliefern, um seine Schuld zu tilgen. Ganz neue Möglichkeiten taten sich da auf, aber erst mal musste er den Bären natürlich fangen, bevor er dessen Haut zu Markte trug.
    Der Ausdruck des Grübelns wich aus Severus' Zügen, machte dem Tatendrang Platz. Er leckte sich über die Lippen, auf die nun ein jagdlustiges Lächeln trat, und die kräftigen Zähne wie Raubtierfänge bleckte.
    "Gut...", sagte er langgezogen, "Ja. Sie sind in Rom. Spricht sich doch rum, sowas. - Ich danke Dir Hrannibhall. Ich schulde Dir was und das hier hab ich nicht gesehen."
    Noch einmal musterte er das Kleid, den Blondschopf, und den so ausserordentlich wandlungsfähigen Mann in der Wanne. Nein, er konnte das nicht verstehen, er wollte es auch gar nicht erst versuchen. Severus hatte was er wollte. Es war Zeit hier den Rückzug anzutreten - bevor dieser Ausbund an Schamlosigkeit ihn noch mehr verwirrte, oder verständlicherweise versuchte ihn auszufragen - und auf Elefantenjagd zu gehen.
    "Ja dann."
    Knapp nickte er Hannibal, dem seltsamen Informanten, zu, verließ dann mit raumgreifenden, federnden Schritten das Balneum. Schon bald würde er den Stabmann wiedertreffen. Um abzurechnen. Da hiess es zuschlagen!


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    "Wer das meiste wagt, der hat das größte Recht"


    Regen fiel in langen Schnüren aus dem bleigrauen Himmel über Rom. Die Dämmerung kam, und legte sich wie ein schmutziges Tuch über die Stadt, vertrieb die Menschen aus den Strassen und den Foren, hinein in ihre Häuser. Lampen wurden entzündet. Mit hohlem Gepolter rumpelten nun Wägen durch die Strassen. Die Regentropfen trommelten auf die Dächer, flossen im Rinnstein zu Bächen zusammen, trugen Strassenschmutz und Abfall mit sich, sickerten in die Kanalisation und ergossen sich schliesslich in den Tiber. Dreckig und stinkend wälzte sich der grosse Strom durch die Stadt.
    Der Germane stand am Ufer. Ein struppiges Stück Brachland war es, nahe des Frachthafens und neben einer Werft, wo er seinen 'Geschäftspartner' erwartete - Longinus von Vindobona, den Stabmann. Ein grosser Lastkran erhob sich inmitten des Geländes, ragte schroff in den Himmel hinauf, verschleiert von Regen. Daneben wucherte struppiges Gebüsch, und armseliges vergilbtes Gras. Die modernden Leiber abgewrackter Schiffe lagen dazwischen, aufgebockt auf Holzklötze, in verschiedenen Stadien des Verfalls. Ihre grossen rissigen Leiber glänzten feucht vom Regen, in der Dämmerung sahen sie aus wie gestrandete Wale.


    Der Germane liess den Blick schweifen, über das runtergekommene Gelände, lauschte in den Regen. Er trug einen Sack in der linken Hand, eine lederne Paenula um die Schultern, und schüttelte sich jetzt die Kaputze vom Kopf um seine Umgebung besser wahrnehmen zu können. Das gewachste Leder des Umhangs verbarg, dass er bis an die Zähne bewaffnet war - Dolche trug er im Gürtel, Messer unter den ledernen Armschienen, und auf dem Rücken die Sica, alles frisch geschärft und gut geölt. Er zog die Sica ein Stück aus der Scheide, flüssig und lautlos, liess sie wieder zurückgleiten.
    Alles war vorbereitet. Im löchrigen Leib des nächstliegenden Wracks hatte sich Lanius verborgen, Sica und vor allem Bogen bereit, ganz wie sie es in der Spelunke 'am Ende der Gasse' besprochen hatten, um ihm beizustehen falls es nötig würde. Ein geklautes Fischerboot lag, verborgen unter Gestrüpp, in der Nähe am Ufer, als Fluchtweg falls die Sache schieflaufen würde. Und ein Stück weiter stand in einem Schuppen ein Handkarren bereit, mit Kisten und alten Säcken beladen - den könnten sie gewiss brauchen wenn die Sache gut laufen würde.
    Der Regen durchnässte sein blondes Haar. Es klebte ihm in Strähnen in der Stirn. Der Germane lehnte sich gegen den Fuss des Lastkrans, liess den Beutel, in dem sich vage eine runde Form abzeichnete, langsam hin und her schwingen. Alle Sinne geschärft wartete er gelassen, völlig kaltblütig, auf das Erscheinen des Longinus oder dessen Spießgesellen. Das Spiel konnte beginnen.

    Es war der Abend des ersten Saturnalientages. Der Germane hatte sich nach einer kurzen Stippvisite abgesetzt, von dem haarsträubend heuchlerischen Fest, das heute in der Villa stattfand, und trat in den Garten hinaus. Er umging die Grüppchen von Gästen, die ebenfalls dort unterwegs waren, und plauderten, frische Luft schnappten oder lustwandelten, zwischen kahlen Rosensträuchern, akkurat gestutzten Hecken und den allgegenwärtigen Statuen von Göttern und Heroen.
    Die Luft war kühl, und der Germane fand es nach dem Gedränge im Atrium eine wirkliche Erleichterung wieder reichlich Raum um sich zu haben. Seine Schritte trugen ihn vorbei an einem Fischteich, in dessen Wasser sich die Figur der Athene widerspiegelte. Erhaben, weisschimmernd in der Dämmerung, stand sie auf ihrem Sockel am Rande des Weihers. Da stockte sein Schritt, und sein Blick heftete sich auf jene Statue.
    Ein Jahr, genau ein Jahr ist es her...
    Langsam trat er näher, wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Der Schatten der Athene lag tief und dunkel über dem Sockel, und ganz kurz war es ihm, als würde dieses letzte Jahr zusammenschrumpfen, dieses ruhmlose, quälerische Jahr, als würde es Substanz verlieren, immer mehr, bis es ganz verschwunden war... Er starrte in den Schatten, mit unstetem Blick, als erwarte er jeden Moment, Arrecina dort hervortreten zu sehen. Nichts. Nur ein Zweig wippte, in der abendlichen Brise, und die Binsen am Ufer des Teiches raschelten leise. Natürlich nichts. Ganz nah trat der Germane an die Statue heran. Er schloss die Augen und legte die Stirn gegen den Stein. Die Falten ihres Gewandes waren ganz glatt. Der helle Mamor kühlte seine Stirn. Er atmete langsam ein, stiess dann heftig die Luft aus und löste sich schnell von der Statue.
    Beinahe überstürzt wandte er sich ab und verschwand im hinteren Teil des weitläufigen Gartens. Dort, am Rande einer kleinen Wiese, lehnte er sich an den graufleckigen Stamm einer Platane. Seine Finger umschlossen ein Stück Rinde, spielten abwesend damit, während er ruhig wartete. Auf ein Stelldichein der ganz anderen Art.

    "Nein. Ein Lustknabe ist etwas anderes. Nämlich ein Mann der sich so sehr erniedrigt, dass er sich von anderen Männern zum Weib machen lässt.", klärte Severus den Flavier auf, der, obschon ein Ausbund an Sittenlosigkeit, auf diesem Gebiet nicht so recht Bescheid zu wissen schien. "Und ein Weib, das schamlos seiner Brunst folgt, aus reinem Trieb heraus die Treue verrät, das ist sogar noch viel schlimmer als eine Lupa. Die macht das ja nur, weil sie auch von was leben muss!"


    Doch der Brief beendete dieses unergiebige Gespräch, was wahrscheinlich auch ganz gut so war. Von der Schwelle des Weinkellers aus sah der Germane zu Aquilius zurück, den es in der Tat zum sofortigen Aufbruch drängte, und nahm seine Enthüllung schweigend hin. Zügig durchschritt er dann mit ihm die Kellergänge. Ein Sohn also, ein Bastard. Ja, der Germane konnte durchaus verstehen, dass man ein Kind nicht hier in diesem Schlangennest aufwachsen lassen wollte. Es war ungewohnt, Aquilius so erschüttert zu sehen. Ungewohnt, nichts weiter. Der Germane verspürte keine Spur von Mitgefühl. Eher die Hoffnung, endlich mal etwas richtiges zu tun zu bekommen. Ausserdem fand er, dass es dem Flavier nur gut tun konnte, wenn in dessen beschauliches Leben mal eine wirkliche Bedrohung einbrach, ihn zum Handeln herausforderte, und vor allem ein einziges Mal die dicke Schicht blasierter Dünkelhaftigkeit, mit der der Römer sich wie eine zweite Haut umgab, durchbrach.


    Flink sattelte er sich ein schnelles Pferd, verbarg seine Waffen unter der Kleidung und holte ein paar Fackeln für den nächtlichen Ritt. Und nach kürzester Zeit schon verliessen zwei Reiter die Villa und sprengten, das Reitverbot in der Stadt nicht achtend, durch die Strassen des abendlichen Roms, und dann die Via Ostiensis entlang...

    Zitat

    Original von Straton


    "Hör auf Dich wichtig zu machen, du Würstchen.", gab der Germane auf Stratons Beleidigung ärgerlich zurück. Tief grub sich das Messer in das Holz hinein. Wie der Kerl redete und redete... - lauter offensichtliches Zeug! Severus fragte sich, ob der Grieche damit vielleicht seinen Herrn imitieren wollte, beziehungsweise dessen charakteristische Art, ausufernd über das Offensichtliche zu dozieren. Nachahmung als eine Art 'vollendete Unterwerfung', sozusagen.
    "Natürlich kann ich den anderen Leibwächtern was beibringen, neue anlernen - wenn sie Potential haben - und so weiter. Das ist doch keine Frage. Aber Du - Verwalter" - ein kaltes, nachlässiges Spottlächeln schob sich auf Severus' Züge - "Du, bleib mal lieber bei Deinen Griffeln und Rechenschiebern. Du hast mir gar nichts zu sagen, also spiel Dich hier nicht so auf."
    Er schüttelte den Kopf und versuchte sich wieder in den Anblick des Meeres zu vertiefen. Oder ins Schnitzen. Doch er war zornig, zornig dass er gezwungen war, mit solchen wie Straton oder Sciurus einigermassen friedlich auszukommen.
    Nach einer Weile erhob er sich und ging zur Wasserlinie. Er streifte die Sandalen ab und trat in die anbrandenden Wellen hinein. Frisch umspülten sie seine Füsse, liessen den Sand unter seinen Sohlen zerrinnen und zerfliessen. Langsam ging er dann ein Stück am Strand entlang - nicht zu weit natürlich - und lies sich den Wind um die Nase wehen, lauschte auf die Schreie der Möwen und auf das Rauschen der Brandung.