Beiträge von Rutger Severus

    Irgendwo zwischen blau und grün lag die Farbe der Wellen, dunkler wenn man weiter nach draussen sah, silbern blitzend wo die Sonne darauf wider schien, und getupft von den Kronen weissen Schaums. Rans Töchter waren die Wellen, launische Wesen, mal verspielt und freundlich wie heute, mal tobend im Sturm, gierig den Seemann in ihren salzigen Armen tief in das Reich unter dem Meer hinabzuziehen, in einer Umarmung die kein Sterblicher überstehen konnte... All die Geschichten, die ihm Sigmar erzählt hatte, damals als er von seiner grossen Fahrt zurückkehrte, wurden wieder lebendig, als der Germane da am Strand sass und ruhig die Wellen betrachtete. Wie sie kamen und gingen. Wie sie anbrandeten und zerflossen. Immer wieder, immer wieder, endlos...
    Störend drangen das Geräusch sich nähernder Schritte in seine Kontemplation. Ein kleines Rinnsal von Sand floss an der Flanke der Düne hinab, und ein Schatten zeichnete sich scharf auf dem hellen Sand ab, noch bevor die Stimme Stratons erklang.


    Zitat

    Original von Straton
    "Hast Du einen Augenblick Zeit für ein Gespräch, Severus? Es gibt da etwas, das ich gerne mit Dir besprechen würde."


    Der Germane versteifte sich innerlich. Er wandte nicht den Kopf, sah weiter auf das Meer hinaus. Was für eine komische Frage. Natürlich hatte er Zeit. Aber er hatte schlichtweg keine Lust, sich an so einem wunderschönen Tag mit einem Widerling wie Straton zu befassen. Ein Kriecher und Schwätzer, ein Schleimer und ein Schmeichler war der Grieche in Severus' Augen, noch dazu schien dieses Geschöpf von einem widersinnigen Stolz auf sein Lakaientum, auf sein unterwürfiges Scharwenzeln vor dem Flavierpack erfüllt zu sein. Nicht besser als Sciurus!
    "Nein." antwortete der Germane lakonisch.


    Ohne den Besucher überhaupt eines Blickes zu würdigen griff er nach einem Stück Treibholz, das halb im Sand versunken neben ihm lag. Es war ganz weiss, von der Sonne ausgedörrt und der Farbe beraubt. Severus strich über die glatte Oberfläche, über die Astknorren und die Wölbung des Holzes. Dann zog er sein Messer aus dem Gürtel, setzte es an und machte sich daran, dem Holz eine Form zu entlocken. Helle Späne sammelten sich um seine Füsse. Auf die Rufe, die aus Richtung der Badenden kamen, achtete er nicht, die waren wohl Ausdruck des Schreckens, als die beiden verzärtelten Patrizier Bekanntschaft mit dem kalten Wasser machten. Was für ein grausamer Humor des Schicksals, dass er, Krieger und dazu bestimmt sein Land und Volk gegen die römischen Invasoren zu verteidigen, nun hier am Strand rumhing, mit der mehr als überflüssigen - eigentlich ziemlich lächerlichen - Aufgabe einen Römer beim Planschen und Schäkern zu bewachen...
    Erst als sich im Meer Delphine zeigten, sah der Germane staunend von seinem Zeitvertreib auf. Er kannte die Viecher von Bildern und Erzählungen, und auch als leckeren Braten. Nett sah das aus, wie sie da durch das Wasser schnellten. Aber dass sie so nah an Menschen herankamen, und vor allem so nahe an das Ufer, das erfüllte ihn schon mit Verwunderung. Er erhob sich, warf einen Blick über den Rücken der Düne hinweg zu den anderen. Aquilius stand an Ufer, das Mädchen in den Armen. Schulterzuckend setzte der Germane sich wieder hin und widmete sich weiter seiner Schnitzerei.

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    Original von Bridhe
    Bitte verlass mich nicht! Bitte, du bist doch das Einzige, was ich noch habe! Virgieb mir nur dieses eine Mal! Ich werde dich nie wieder enttäuschen. Das verspreche ich! Bitte, es tut mir so leid!


    Ich klammerte mich förmlich an ihn und meine Tränen benetzten seine Tunika. Freiwillig würde ich nicht mehr von ihm weichen wollen. In diesem Augenblick wollte ich wieder leben. Für ihn!


    Überrumpelt von der Umarmung, überwältigt von Bridhes Flehen, geriet Severus' Selbstbeherrschung arg ins Wanken... Eine weinende Frau klammerte sich an ihn, eine schöne, in Tränen aufgelöste Frau, und alle seine Instinkte riefen: Nimm sie in den Arm! Tröste sie! Sie ist Dein, Deine Beute, Du musst nur zugreifen! Tu lieb und verständnisvoll und die Süße fällt auf der Stelle mit Dir ins Bett...! Wird vielleicht sogar wieder Dein Schwanenmädchen sein...
    Sein Blick irrte durch den Raum, ziemlich hilflos, und er hob eine Hand, berührte zögernd Bridhes Rücken, strich dann sacht darüber. Sie war verzweifelt, sie war am Ende, sie wollte ihn wiederhaben. Der Impuls sie in die Arme zu schliessen und an sich zu drücken war übermächtig.
    Aber nein. Nicht nochmal den selben Fehler. Nie wieder. Freya und Frowe Hulda, verschont mich mit eurem Gift. Über die Köpfe der Feiernden hinweg fixierte der Germane starr einen Punkt auf der anderen Seite des Raumes - es war eine kitschige Blumenbordüre an der Wandvertäfelung - und schob mit einem Ruck diese verfluchten sentimentalen Impulse beiseite.
    "Nein."
    Sanft aber sehr bestimmt löste er Bridhes Hände von sich, entzog sich ihrer Umarmung.
    "Es ist verziehen", sagte er ernst, sah ihr in die verweinten Augen und meinte das auch wirklich so. Dieser Auftritt, und wie sie sich ihm vor aller Augen weinend an den Hals geworfen hatte, das war ja auch Balsam für seinen verletzten Stolz gewesen.
    "Aber das mit uns wird nichts mehr. Ich bin nun mal gar nicht gut darin zu teilen, Bridtha. Und Du kommst auch ohne mich klar, das ist mal sicher."
    Ein halbes, zutiefst resigniertes Lächeln spielte um einen seiner Mundwinkel, als er Bridhes Hände loslies.
    Hier sind ja genug Männer, da wird sie sicher jede Menge Trost finden..., dachte er, halb gehässig, halb froh darüber dass dies nicht mehr seine Sorge war. Melancholisch zuckte er die Schultern, dann wandte er sich ohne weitere Umschweife ab. Schluss. Aus. Nie wieder würde er den Fehler machen und ein Weib an sich ran lassen. Gefühlsmässig an sich ran lassen, versteht sich.


    Ein Bediensteter mit einem Tablett stand da herum. Von dem griff Severus sich einen Becher Wein und kippte ihn sich in einem Zug hinter die Binde. Das Fest war noch genauso unerträglich wie eben, und er wollte jetzt wirklich gehen. Geistesabwesend sah er sich noch nach seinen Stammesgenossinen um, die er vorhin bei Bridhes Erscheinen nicht gerade höflich hatte links liegen lassen, erblickte die Chatinnen bei den Essensplatten und ging zu ihnen hinüber, um sich wenigsten knapp zu entschuldigen und zu verabschieden.
    "Siv, Minna, entschuldigt bitte dass ich gerade so, ähm, abwesend war... Ähm ja. Ich gehe. Ich hoffe wir sehen uns dann an Jul."
    Er nickte ihnen beiden zu, und auch der kleinen Tilla, die mit einem grossen Fladenbrot bei ihnen stand, nahm dann wieder den Reiseumhang, den er vorhin beiseite gelegt hatte und legte ihn sich über die Schulter. Die Tunika war da noch feucht von Bridhes Tränen. Schon wollte er das Atrium verlassen, fliehen vor dem Fest dessen Heuchelei und seichte Heiterkeit ihm so widerwärtig waren und endlich seinen Jagdausflug starten. Aber eines gab es ja noch...
    Zielstrebig und mit sehr ausdrucksloser Miene steuerte er auf Aquilius zu.
    "Flavius.", sagte er kalt, beugte sich an ihn heran.
    "Ich erwarte Dich."


    Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich wieder ab, um nun wirklich das Fest zu verlassen.
    "Nie wieder...", murmelte er leise zu sich selbst, während er sich stieren Blickes zwischen den Menschen hindurchschob, "nie wieder... Mädchenreden traue kein Mann / noch der Weiber Worten... diese Weiber... treulos... wankelmütig.. falsch... nie wieder..."
    Das Gefühl beobachtet zu werden liess ihn den Kopf wenden. Da lehnte, nur eine Armlänge weit von ihm, Hannibal an einer Säule; ruhig am Rande des Durcheinanders von Menschen und Worten schien er den Trubel unbeteiligt an sich vorüberziehen zu lassen. Bei ihm stand der Gode Flavius Gracchus. Der trug heute wohl mal wieder seine joviale, leutselige Fassade zur Schau, jene Maske hinter der, wie der Germane ja nur zu genau wusste, ein Abgrund von Verworfenheit und unvergleichlicher Bosheit klaffte.
    Mit einem kurzen Nicken grüsste er Hannibal, dem Goden dagegen schenkte er einen Blick von purem Eis - bläuliche Gletscher voll bodenloser Spalten und schroffe, kristallscharfe Eisgrate, das Bersten und Klirren der Schollen wenn die Eisdecke auf dem Rhein bricht, und der arglose Wanderer gnadenlos von den tödlichen Fluten mitgerissen wird - all dies hätte ein wahrlich aufmerksamer (und phantasiebegabter) Beobachter in jenem Blick wahrnehmen können. Ein düsteres Aufflackern gesellte sich dann hinzu, ein Glimmen wie von einem verzehrenden Irrsinn, als der Germane schon wieder den Kopf abwandte. Er trat ab. Verschwand in einem der Gänge und ging Richtung Garten.

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    Original von Bridhe


    Arrecina.
    Seine Lippen zuckten, pressten sich dann um so fester aufeinander und der alte Schmerz glitt wie ein dunkler Schatten über sein Gesicht. Ein Jahr war es her, dass sie in seinen Armen gelegen hatte. Auf den Tag genau ein Jahr.
    "Arrecina! Sie hat damit gar nichts zu tun!", versetzte er aufgebracht. "Wage es nicht ihren Namen in den Dreck zu ziehen Du loses Weib!"
    Unverständnis mischte sich in seinen Zorn. Bridhe sprach Latein, aber was sie da sagte war ihm so nebulös und unklar, als hätte sie in einer exotischen Fremdsprache zu ihm gesprochen.
    "Du wolltest Dich 'für mich' umbringen? Aber wieso denn 'für mich'?", fragte er verwirrt, zügelte dabei wieder seine Stimme. Versteh mal einer die Frauen. Als ob er was davon gehabt hätte wenn Bridhe sich das Leben nahm, nein, er hätte sich sicher Vorwürfe gemacht, aber das musste sie ja nicht wissen.
    "So. Du hast mich also betrogen weil Du mich vermisst hast. Und mich verraten um mir zu helfen.", resümierte er sarkastisch und kalt. Das war doch nicht zu fassen, diese überspannten, dreisten Ausreden! Aber wenigstens beteuerte sie, Aquilius nichts sagen zu wollen. Wenn es nur dabei blieb. Er traute ihr einfach nicht mehr. Und Luca hatte natürlich recht, was ein Geheimnis bleiben sollte durfte man keinesfalls einer Frau erzählen...
    Sie entzog sich seinem Griff. Aber was sagte sie da... diesmal würde sie keiner rechtzeitig finden? Trotz allem betroffen von dieser unverhohlenen Ankündigung, hielt er sie schnell am Arm fest als sie entweichen wollte.
    "Bridtha. Lass den Unsinn. Sich umzubringen ist doch bloss feige. Unsäglich feige."
    Wenn sie sich tötet, kann sie aber nichts mehr weitersagen..., schoss es ihm berechnend durch den Kopf. Er verscheuchte den Gedanken wie eine lästige Fliege.
    "Bleib lieber leben.", sagte er mit rauher Stimme, sah sie dabei zwiespältig an.
    "Solange man lebt kann man auch was ändern."

    Die Gestalten dreier Frauen lösten sich aus dem Nebel, Fylgien gleich oder Nachtreiterinnen, die in dieser dunklen und zauberischen Zeit unterwegs waren. Drei? Im Schein der Fackel erkannte er ihre Gesichter. Die fröhliche Begrüssung vertrieb den Hauch von Scheu, den dieses mystische Bild in ihm hervorgerufen hatte.
    "Heilsa!"
    Er löste sich von der knorrigen Pinie und trat auf die drei zu.
    "Es ist gut dass ihr hier seid. Habt ihr es gleich gefunden? Heil Dir, Minna. Nein, nicht lange. Ich habe derweil den Nebelfrauen zugesehen, wie sie im Reigen schreiten. Aber lass mich das doch nehmen."
    Er streckte die Hand nach dem Korb aus, um ihn für sie zu tragen.
    Fiona zu sehen erstaunte ihn, und auch die Keltin wirkte überrascht, als sie seinen Namen sagte. Das Wissen, dass sie doch eine Freundin von Bridhe war, liess Severus im ersten Moment etwas reserviert dreinblicken. Aber wenn Minna sie für würdig befand, das Julfest mit ihnen zu begehen, dann sollte es so sein - und ausserdem war er ja auch bei ihnen zu Gast gewesen, und erinnerte sich sehr gut daran wie unerschrocken die rotgelockte Keltin angesichts des impertinenten Römers gewesen war.
    "Salve Fyonha" - er fiel ins Lateinische und nickte ihr freundlich zu - "ich grüsse Dich als Gast auf unserem Julfest."
    Und wieder wechselte er ins Chattische, genoss es einfach die vertraute Sprache sprechen zu können, als er Siv begrüsste, die schon ganz übermütig vorausstürmte.
    "Heilsa Siv! Doch natürlich, ich bin nur gekommen um euren Weg zu erhellen" - er hob die Fackel und grinste - "durch den dunklen Wald, nicht dass ihr gar vom Pfad abkommt und einem hungrigen Thursen in die Hände fallt und ich ohne euch feiern muss! - Ja, es ist nicht mehr weit, nur ein Stück den Weg entlang, und dann den Hügel hinauf."
    Er wandte sich den beiden anderen zu, und wiederholte für Fiona auf Latein:
    "Es ist noch ein kleines Stück Weges. Hier entlang..."


    Ihnen mit der Fackel leuchtend trat er in den Hohlweg hinein, Siv hinterher, die den Weg schon ausfindig gemacht hatte. Wie in einem Tunnel waren die Wipfel der Bäume über ihren Köpfen verflochten. Der Nebel wogte, der Boden federte weich bei jedem Schritt und ein harziger Geruch lag in der feuchten Luft. Dann ging es einen kleinen Pfad entlang, kaum mehr als ein Wildwechsel, und schliesslich den Hügel hinauf und auf die kleine Lichtung wo das Feuer prasselte und wärmte. Der graue Wallach sah den Ankommenden entgegen, schnaubte und blähte die Nüstern.
    "Ich bin schon eine Weile hier", erklärte Severus und krauste ebenfalls die Nase. Irgendwas roch komisch. Einladend wies er auf das Feuer. Er hatte vorhin ein paar dickere Äste und ein Stück eines Baumstammes herbeigeschleppt, auf denen man drumrum sitzen konnte.
    "Ich war jagen in den letzten Tagen, in den Bergen da, dem Apennin, aber das Land ist so zahm und... - oh, das Fleisch!"
    Hektisch nahm er den Spiess mit dem Braten vom Feuer, der auf einer Seite schon angekohlt war, auf der anderen dafür noch ziemlich roh.
    "Hmm..."
    Er begutachtete das Fleisch kritisch, drehte es dann herum und hängte es wieder übers Feuer. Würde schon gehen. Am Gras wischte er sich die Finger ab, und holte aus dem kleinen Unterschlupf am Rande der Lichtung den Met hervor. Der stammte vom selben Händler, bei dem sie damals auch für Samhain eingekauft hatten. Einen Becher hatte er auch - nur einen, aber man konnte ihn ja weitergeben - den füllte er, goss den ersten Schluck ins Feuer. "Dem Wallvater", murmelte er dabei, reichte den Becher dann Fiona.
    "Sei willkommen an unserem Feuer, Fyonha."
    Eine Frage, oder Sorge, ging ihm jetzt schon eine Weile im Kopf herum. Er wandte sich an seine Stammesgenossinen und fragte etwas zögerlich:
    "Will eine von euch vielleicht den Blót vollziehen? Ich... ich bin natürlich kein Gode, aber ich kann das schon machen, es ist nur - ich weiss nicht ob ein Julopfer von meiner Hand den Asen so gefällig wäre. Oft zeigten sie mir ihre Ungunst im letzen Jahr."

    Hätte er doch, wie die Helden in den Sagas, mit einem Wort, einem Schwur, einer einmal getroffenen Entscheidung, der Liebe Macht für immer entsagen können. Dann hätte Bridhes Erscheinen, ihr verzweifeltes Flehen, ihn jetzt nicht in diesen vermaledeiten Aufruhr gestürzt. Wie sehr sie litt. Völlig am Ende schien sie zu sein. Lucas Worte, sie wolle nicht mehr leben, kamen ihm in den Sinn... am liebsten hätte er sie jetzt in die Arme genommen und getröstet, hätte sie dann aufs Pferd gehoben und wäre mit ihr zusammen geflohen, zurück in die Freiheit und seine Heimat, um sie dann dort zur Frau zu nehmen... und Rom, die Gefangenschaft, die Schmach und der Verrat, all das würden sie vergessen als wäre es niemals gewesen...
    Sentimentaler Schwachsinn. Sie lügt. Würde sie Dich lieben wäre sie Dir treu gewesen. Sie stellt doch nur ihren Schmerz zur Schau um Dich erneut zu umgarnen...
    "So." sagte er mit bemüht nüchterner Stimme und trat einen Schritt auf Bridhe zu, legte ihr die Hand in den Nacken und richtete ihren Kopf auf, so dass sie ihm wieder ins Gesicht sehen musste. Er senkte den Kopf zu ihr, dämpfte die Stimme, sprach ganz leise und eindringlich, um nicht - so wie schon des öfteren morgens in der Cenatio – die versammelten Anwesenden mit ihrer beider Liebesangelegenheiten zu zerstreuen.
    "Du sagst Du liebst mich. Aber ich glaube Dir kein Wort. Lüge, Verrat, Betrug – diese Dinge verdienen es nicht verziehen zu werden. Ich hätte auf Dich achtgegeben. Für Dich gesorgt. Dich geliebt, denke ich. Aber Du hast es vorgezogen für den Mann die Beine breit zu machen, dem ich verpflichtet bin, an dem ich nicht einmal Rache nehmen kann!"
    Tiefe Verbitterung umdüsterte seine Worte. "Das nenne ich eines Argen Art! Ja, wahrscheinlich kannst Du Dich so bei ihm einschmeicheln, aber Du wirst immer eine Metze bleiben, ein loses, verachtetes Weib, und das hast Du Dir selbst zuzuschreiben. - Vorbei ist vorbei, Süße."
    Noch etwas leiser wurde seine Stimme, und nahm einen schneidenden Unterton an. Er flüsterte ihr jetzt beinahe ins Ohr. Sinnenverwirrend stieg ihm der Duft ihres Haares in die Nase.
    "Und hör gefälligst auf die Sache mit dem Halsreif rumzuerzählen. Wenn Du Dich zugrunde richten willst, ist das Deine Sache, aber ich gedenke noch eine Weile am Leben zu bleiben. Ich werde wieder frei sein, ich werde meine Heimat wieder sehen und für sie kämpfen, ich werde die Schmach der Sklaverei mit Blut von mir abwaschen und wieder sein was ich war. - Also behalt diese blöde Geschichte verdammt noch mal für Dich."

    'Treue des Herzens', 'Treue des Geistes'? Treue zerlegt in kleine Scheibchen. Der Germane verzog das Gesicht. Was für eine faule Ausrede!
    "Dass ich nicht lache.", gab er bitter zurück, "Treue ist ganz oder gar nicht. Und ein Weib das schamlos kreuz und quer herumhurt, ist nun mal ehrlos. Nicht besser als eine läufige Hündin."
    Das die Römer lose Sitten hatten war ihm ja nun wirklich nicht neu. Und auch nicht dass Aquilius alles Edle mit vielen wohlklingenden Worten zu zerreden versuchte. Aber das hier war doch absolut der Gipfel. Er schüttelte fassungslos den Kopf und wiederholte langsam: "Nein, ihr wisst wirklich nicht im Geringsten was Treue ist."


    Aber gut, Aquilius hatte angebissen. Severus nickte stumm, voll grimmiger Genugtuung endlich mal eine Gelegenheit zu haben, den Flavier so richtig zu verdreschen. Er setzte sich auf dem Fass zurecht, zog ein Bein an sich, und betrachtete gelangweilt einen blauen Fleck an seinem Schienbein, während Aquilius sich mit dem Brief beschäftigte.
    "So ein dreckiger kleiner Hänfling hat ihn mir zugesteckt. Ziemlich verstohlen. Der kannte mich, obwohl ich den Kerl nie zuvor gesehen hatte. Er wollte nicht sagen woher der Schrieb kommt, meinte sein Herr würde lieber im Schatten bleiben. Da will wohl einer den anderen anschwärzen bei Dir. Ich verstehe ja nicht warum ihr sowas gelten lasst, wenn der Ankläger nicht den Schneid hat selbst gegen seinen Feind zu sprechen. Jedenfalls hab ich dann aber doch noch einen Namen aus dem Boten rausbekommen: Crassus. Oder nein, nein nicht Crassus - Crannus war es."
    Aquilius Reaktion auf den Brief verblüffte ihn. Der Römer, sonst die Selbstbeherrschung in Person, schien ja völlig ausser sich zu sein. Schade um den Wein, dachte der Germane, und Seit wann hat der einen Sohn??
    "Was ist los?", fragte er, "Was steht denn drin?", und rutschte von dem Fass, bewegte sich schon zum Ausgang des Weinkellers, bereit sofort aufzubrechen.

    Ja, Canus war ein armer Kerl, das fand Severus auch, aber eines machte das Tier richtig- es erwartete das Schlechteste von den Menschen und wurde auf diese Weise kaum jemals enttäuscht... Oder hatte Luca gar ihn gemeint? Severus runzelte die Stirn; er mochte es nicht bemitleidet zu werden.
    Auf die Gefahr hin, dass er rasend wurde? Er hielt im Kämmen der Mähne inne bei dieser Ankündigung, und hörte Lucanus angespannt zu, mit verschlossener Miene. Bridhe, Aquilius, der Halsreif – er war ihrer so überdrüssig, am liebsten hätte er sie allesamt in den Wind geschossen, im Moor versenkt mit Steinen an den Füssen, und nie wieder was von ihnen gehört... Blut an dem Schmuck? Eine Katastrophe? Luca wusste alles! Severus erschrak gehörig. Dass Bridhe ihn verraten könnte, daran hatte er schlichtweg nicht gedacht. Schliesslich hing sie ja irgendwie auch mit drin.
    "Dieses miese schwatzhafte Weibstück...", knirschte er zornig hätte ich sie doch totgeschlagen und wäre auf und davon....
    "Sie hat alles ausgeplaudert", wiederholte er fassungslos. Und wurde auf einmal ganz blass um die Nase. Die Silhouette eines Kreuzes in flirrender Hitze, scharf abgehoben vom grell blauen Himmel, schob sich vor sein inneres Auge. Der Germane biss die Zähne zusammen und schloss die Faust um den Kamm. Die Zinken gruben sich in seinen Handballen. Die Knöchel waren weiss. Sein Blick folgte unwillkürlich der Bewegung von Lucas Fuss, dem Bogen im Sand. Seine Wangenknochen mahlten, ungläubig machte er sich klar, dass Bridhe ihn offenbar nicht nur betrogen sondern auch noch verraten hatte.


    Warum ist er hier? Warum sagt er mir das? Will er mir helfen oder mich aushorchen?
    Argwohn stand in seinen Augen. Im Grunde seiner Seele glaubte er nicht daran, dass es Freundschaft geben konnte, zwischen einem Chatten und einem Römer. Er mochte Luca. Aber er gehörte zum Feind. Und es war Krieg, Krieg zwischen ihrer beider Völkern...
    Wenn ein Hallvardunge eine Flavia geliebt hat – warum sollte da Freundschaft nicht möglich sein? schoss es ihm durch den Kopf. Er ist hier um mit mir zu sprechen, er ist nicht wie die anderen seiner Sippe, die sich wilde Geschichten über meine angeblichen Untaten zusammenreimen, ohne auch nur ein einziges Wort mit mir zu wechseln...
    "Ich habe mir nichts vorzuwerfen.", sagte er langsam, mit hochmütiger Würde, und sah Lucanus dabei direkt ins Gesicht, "Ausser dass ich mir von einem argen Weib hab den Kopf verdrehen lassen... Nie wieder!... Ich habe ihr lediglich ein angemessenes Geschenk gemacht. Eine Morgengabe. Wie es sich gebührt."

    Zitat

    Original von Cnaeus Flavius Lucanus und Caius Flavius Aquilius


    "Doch natürlich", erklärte der Germane ernsthaft auf Lucanus Frage nach der Wildnis, "wir haben wunderbare, endlose Wälder, bodenlose Moore und Schluchten auf deren Grund nie ein Sonnenstrahl dringt..." Etwas schwärmerisches und sehnsüchtiges klang bei dieser Beschreibung mit. "Und zum Jagen viele Bären und Wölfe, Keiler, Luchse, Hirsche, Aucherochsen und Wisente..... Ich meinte nur, es ist doch spannender die Tiere in echt zu jagen, als in einer Arena."
    Was, Lucanus vertrug schlecht den Geruch des Blutes? Der Germane hatte Mühe, sich ein überlegenes Lächeln zu verkneifen. Der Junge war eben leider doch ein Römer, dachte er bei sich, zwar kein Stadtmensch, jedoch so ganz schien der Kelch degenerierter Weichlickeit auch an ihm nicht vorbei gegangen zu sein.
    Severus beugte sich etwas vor und betrachtete genau die von den Löwen zur Strecke gebrachten gestreiften Pferdchen. Die Sicht war ja gut. Tatsächlich, die Farbe verlief nicht im Blut, die Streifen schienen dazuzugehören. In was für einer seltsamen Laune musste der Gott, der diese Viecher erschaffen hatte, wohl gerade gewesen sein!


    Aquilius erkundigte sich nach den Gladiatoren. Erstaunt dass dieser Verächter der Kämpfe jetzt auf einmal doch Blut geleckt zu haben schien, gab Severus fachmännisch Auskunft.
    "Ja, ich kenne ein paar. Der Retiarius der ganz links ging, der schmale mit den roten Helmbusch, Crabro heisst er, kommt aus dem Ludus Illustris und ist ein sehr guter Krieger. Hartnäckig, kühn und vor allem ungeheuer flink." Was er am eigenen Leibe schon hatte erfahren müssen. Der Name passte zu dem Netzkämpfer.
    "Er hat drei Siege erfochten bisher und ist noch nicht so bekannt, aber gross im Kommen. Auf ihn würde ich setzen.", empfahl er Aquilius. Allerdings wusste Severus nicht wie die Paarungen für heute waren. "Wenn er nicht gerade gegen Barbatus antritt, natürlich."
    Barbatus, der war natürlich der Grösste, ein Vorbild an Mut und Kampfeskraft dem nachzueifern es sich lohnte. Und wie es hiess, stand er nicht mehr weit davon entfernt sich die Freiheit zu erkämpfen. Die Freiheit... Natürlich waren Severus' Sympathien bei seinem Landsmann.
    "Bei Nubius wäre ich zurückhaltend", fachsimpelte er weiter, "der hat neulich erst einen kleineren Kampf in der Vorbereitungsphase kurzfristig abgesagt. Es heisst, er habe sich von seiner Verletzung nicht wirklich erholt, ist zu schnell wieder eingestiegen in die Mühle und noch immer angeschlagen... Dann Myrmidon und Taurus der Thrax, das sind natürlich beides solide Totschläger..."


    Nun traten einige Venatores in die Arena. Von denen kannte der Germane keinen; Tierkämpfer waren auch nicht die Spezialität des Ludus Illustri. Er betrachtete sie genau, begierig zu sehen wie sie den Kampf gegen die sandfarbenen Bestien aufnehmen würden, und vor allem wie man so ein Tier am besten zur Strecke brachte. Für den Fall dass er selber mal einem Löwen gegenüber stünde, natürlich. Noch gingen die Tierkämpfer aber recht zurückhaltend vor, wagten sich wohl noch nicht so recht ran an den Feind.

    Geschwind erklomm der Germane die Leiter, und schwang sich auf den Heuboden, sehr viel weniger geschwind entzifferte er dann das Täfelchen, das Tilla ihn hinunterliess.
    "...fes-thal-ten... schwin-del-frei..."
    Pah!
    "Aber ich brauch doch kein Extra-Halteseil!", verkündete er beleidigt. Flink wie ein Eichhörnchen turnte Tilla durchs Gebälk. Er betrachtete ihre Vorführung, erblickte dann den Beutel, der da am Seil baumelte, und beäugte ihn genauer. Der kam ihm doch verdammt bekannt vor.
    "Hmpf. Den kenn ich doch.", grummelte er, wenig erbaut davon, dass Tilla hier ein kleines Kletterspiel mit dem Beutel als Köder veranstaltete. Allerdings hatte sie seinen Ehrgeiz geweckt.
    "Na gut."


    Schliesslich war er als Kind vor keinem noch so hohen Wipfel zurückgeschreckt, da würde so ein Dachstuhl doch ein leichtes sein. Er bequemte sich auf die Balken, richtete sich auf und lief zügig, ohne nach unten zu blicken, einen schrägen Stamm hinauf, trat dann auf den nächsten Querbalken und kletterte gewandt höher hinauf. Immer entlang der Kreide-Wegweiser. So sehr vertrauenserweckend sahen die Balken zwar nicht aus, aber sie hielten, und - na also - der Beutel war fast in Reichweite. Severus verschmähte natürlich das Halteseil, reckte sich waghalsig nach dem Lederbeutel - und erhaschte ihn.
    "Hab ihn!"
    Mit einem breiten Grinsen drehte er sich auf dem schmalen, auch etwas modrig-schlüpfrigen Balken zu Tilla, hob den Beutel, präsentierte ihn ihr – und verlor, zu sehr beschäftigt mit seinem Triumph, dabei das Gleichgewicht... Seine Arme ruderten durch die Luft, er gab einen überraschten Laut von sich, dann rutschte sein Fuss ab und es gab kein Halten mehr. Der Beutel riss vom Seil ab, Severus fiel, und landete mit einem dumpfen 'Plumps' im Heu, das ihn erst einmal verschluckte. Eine Wolke von Staub stieg auf.


    "Garms Grimm!", drang es dann dumpf aus der Tiefe des Heuhaufens, der in seiner Gänze erbebte und wackelte als der Germane sich fluchend einen Weg zurück an die Oberfläche suchte. Ein zerzauster, Heu-gezierter Kopf, reckte sich dann heraus. Nur sein Stolz hatte etwas abbekommen, ansonsten war er unversehrt, dank der weichen Landung. Mit verkniffenem Gesicht spuckte er ein paar Halme aus, äugte hinauf zum Irrwisch, schwankend zwischen Fluchen und Lachen, nieste dann zweimal kräftig.

    "Tilla kenn ich von..." - dem Tag an dem sie mich aufs dreisteste beklaut hat - "einem Fest, da war ich bei den Keltinnen aus der Villa Aurelia zu Gast.", erklärte Severus auf Sivs Frage hin, und betrachtete angetan den rosigen Hauch auf ihren Wangen, zart wie die Röte einer Apfelblüte. Er schielte aus den Augenwinkeln nach Bridhe und hoffte in einem kleinen Winkel seiner Seele dass sie gerade sah wie VORTREFFLICH er sich ohne sie amüsierte.
    "Du bist aber noch nicht lange dort, oder?", erkundigte er sich dann. "Nun, wenn das Römerpack uns nicht gerade hinter Schloss und Riegel hält, können wir uns auch treffen... Und jetzt in den Tagen der Saturnalien können wir sowieso tun was wir wollen – das einzig Gute an dieser abgeschmackten Heuchelei hier, meiner Meinung nach."


    Minna schien ebenso erfreut wie er, so unverhofft eine Stammesgenossin getroffen zu haben. Und dass den beiden die Idee mit dem Julfest gefiel, brachte auch seine Augen zum Leuchten. Wo sie feiern sollten... er kratzte sich am Kinn und überlegte.
    "Unbedingt ausserhalb der Stadt", meinte er dann, "hier drin sind doch zu viele Mauern und Gestank und fremde Tempel. - Ausserdem, nicht dass uns wieder so ein tumber Römer mitten in die Feier trampelt.", meinte er dann zu Minna, angedenk des Zwischenfalls auf dem Samhain-Fest.
    "Ich habe eine Idee. Es gibt da so einen Wald, einen Pinienwald, ein Stück nordöstlich von der Stadt, wenn man durch das Stadttor Porta Collina geht, und zuerst ein Stück der Via Nomentana folgt, dann zwischen die Felder abbiegt..." Er beschrieb den Weg genau, schilderte die Orientierungspunkte, belebt und begeistert von der Aussicht endlich einmal wieder das Sonnwendfest in chattischer Gesellschaft feiern zu können. "...da könnten wir uns doch treffen! Wenn es dunkel wird. Was haltet ihr davon?"


    Er bemerkte, dass Tilla ihm zuwinkte und lächelte fröhlich zurück. Was er aber nicht bemerkte war, dass eben jeder Römer über den er eben, wohlweisslich auf Chattisch, hergezogen hatte, sich hinterrücks genähert hatte. Irritiert blickte Severus auf die Kerze, die ihm Aurelius Ursus unerwartet in die Hand gedrückt hatte. Was in Utgard-Lokis Namen sollte denn das?? Er tauschte einen verdatterten Blick mit Minna, die sich geistesgegenwärtig bedankte. Severus dagegen schnaubte abfällig.
    Was bildet sich der Kerl ein, glaubt er im Ernst ich würde von einem wie ihm ein Geschenk annehmen?
    Schon war der Römer wieder verschwunden. Severus machte auf dem Absatz kehrt und ging ihm nach, holte den Aurelier ein als der gerade dabei war das Atrium zu verlassen.
    "Behalte Deinen Tand.", sagte er kalt und drückte ihm die Kerze wieder zurück in die Hand, mit ebensowenig Umschweifen wie er sie erhalten hatte.
    Er kehrte zu seinen Stammesgenossinnen zurück, wo inzwischen schon der nächste Aurelier erschienen war, Corvinus, um Siv ein Geschenk zu übergeben, und anscheinend auch um ihn anzustarren. Was hatte der denn? Milde belustigt erwiderte Severus den Blick des jungen Mannes, den er, seitdem er damals Zeuge von dessen Reitversuch geworden war, nicht wirklich für voll nehmen konnte.
    Dann versuchte er den Faden wieder aufzunehmen: "Meint ihr, ihr findet den Weg? Und was das Essen angeht kann ich... -"
    Er verstummte - denn Bridhe kam auf einmal auf ihn zu. Zielstrebig und entschlossen. Seine Miene verdüsterte sich, und die Muskeln seiner Schulterpartie spannten sich an. Abweisend sah er ihr entgegen. Ihm entging nicht die Verzweiflung in ihren Augen, nicht das Wanken ihrer Stimme als sie seinen Namen aussprach. Der Germane verhärtete sein Herz.
    "Ja?", sagte er brüsk.


    Nebel hing zwischen den Stämmen der Pinien. Dichte Schwaden von milchigem Grau wanden sich um Baum und Strauch, verschleierten die festen Formen der Dinge, schienen alles aufzulösen in fahler Unbestimmtheit. Schon am Nachmittag war es dämmrig geworden, und jetzt, am frühen Abend, war es stockdunkel. Heute war die längste Nacht des Jahres, die finsterste Zeit. Doch von nun an würden die Tage wieder länger werden. Und so wie Baldur wiederkehren würde aus Hels lichtlosem Reich, so würde die Sonne von heute an wieder Kraft gewinnen, und die Dunkelheit jeden Tag ein Stück weiter zurückdrängen.
    In einem dichten Pinienwald, in den Hügeln etwa eine Stunde nordöstlich von Rom, hatte der Germane auf einer Anhöhe ein Feuer entfacht, ein grosses prasselndes Lagerfeuer das Licht und Wärme verbreitete. Er wartete auf seine Stammesgenossinnen, mit denen er sich hier verabredet hatte, hoffte sehr dass sie kommen konnten und dass sie den beschriebenen Weg bis hierher finden würden.


    Gedämpft schimmerte die rote Glut durch den Nebel. Einen kleinen Unterschlupf hatte er daneben gebaut, aus einer Lederplane und Zweigen. Ein paar immergrüne Wacholderzweige lagen davor. Der Wallach Canus, auf dem er in den letzten Tagen in den Vorbergen des Apennin herumgeritten war, stand angepflockt daneben, eine Decke über dem Rücken, und kaute träge auf einer Mundvoll Waldgras herum. Severus war auf die Jagd gegangen - er hatte gehofft selbst einen Juleber erlegen zu können - doch er war ziemlich erfolglos gewesen. Sein Bogen und Jagdspiess waren selbstgebaut und nicht besonders gut, und das Land sowieso viel zu domestiziert.
    So war er heute doch noch einmal in die Stadt hineingegangen, und hatte, seinem kleinen schmutzigen Nebenverdienst sei Dank, ein paar Sachen gekauft, um das Julfest einigermassen gebührend zu feiern. Met und Brot hatte er erstanden, und bei einem Fleischer auch einen Schweinerücken, den er nun an einen Spiess steckte und mit zwei Astgabeln über das Feuer hing. Die Äpfel wenigstens waren selbstgeklaut.


    Klamm war es im Nebel, sobald man sich vom Feuer entfernte. Eine feine Feuchtigkeit legte sich aufs Gesicht. Es roch nach Holz, Moos und nasser Erde. Severus atmete tief ein, sog die Luft geniesserisch in seine Lungen, hätte sich am liebsten einen Vorrat davon mitgenommen für die Zeit wo er wieder in die stinkende Stadt zurückkehren würde müssen. Mit schräggelegtem Kopf lauschte er auf die Geräusche des Waldes. Das leise Rauschen der Bäume, das Plätschern eines nahen Baches, ein Aufstampfen und Schnauben des Pferdes, alles drang nur gedämpft bis zu ihm.
    Vielleicht hätte er die Frauen doch besser am Stadttor abholen sollen. Die Wege waren ja auch nicht gerade sicher. Er rückte die Sica, die er auf dem Rücken unter dem Mantel trug zurecht, entzündete eine Fackel und verliess die Lichtung, um den Frauen ein Stück entgegen zu gehen. Einem schmalen Pfad folgte er hügelabwärts durch den Nebel, dann einem Hohlweg bis zum Waldrand. Den Mantel um sich geschlagen lehnte er sich an eine knorrige alte Pinie und wartete ruhig. Das Licht der Fackel glitt unstet über den rissigen Stamm, warf Schatten und liess sie wieder verschwinden, huschte durchs Geäst und beleuchtete geisterhaft treibende Nebelfetzen. Fast hätte man meinen können, der Baum müsse gleich erwachen, den Schlaf abschütteln und sich die Äste reiben wie steifgewordene Finger.

    "Du bist Chattin...", stammelte Severus spiegelbildlich, noch immer in seiner Sprache, machte grosse Augen und stand wie vom Donner gerührt. Lebhaft brandeten die Gefühle auf den Zügen der jungen Frau auf. Siv. Er sah sie einfach nur an, ungläubig, dann streiften ihre Finger seine Wange. Da hob er die Hand und legte sie warm und rauh um ihre, umschloss sie und drückte sie einen Moment lang fest. Dann liess er sie wieder sinken und nickte nur. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, vertrieb die Düsternis und Bitterkeit.
    "Ja! Das ist eine grosse Freude! Ich bin - ich werde Severus genannt hier. Ich hab nur geraten, Tilla, Tilla der kleine Irrwisch, hatte mir von Dir erzählt, und als ich Dich eben sah, da dachte ich: das muss sie sein."
    Ein wenig eingerostet war seine Muttersprache allerdings. Zu lange hatte er fast nur Latein gesprochen.
    Severus beugte sich ein wenig vor. Sacht nahm seine grosse, schwielige Hand eine Strähne von Sivs Haar auf, und ein kräftiges Gebiss kam zum Vorschein als er sein schönstes Raubtierlächeln zeigte.
    "Wahrlich, mir scheint die Schönste der Schönen, die goldlockige Gemahlin Donnars ist hinabgestiegen aus ihrer Halle, um uns mit ihrem Liebreiz zu blenden."
    Spielerisch bewegte er die Strähne ein wenig hin und her, liess einen goldenen Lichtreflex darüber hinweg wandern, liess sie dann wieder los und grinste schief um den Pathos seiner Worte ein wenig zu mildern.


    Das war doch das gute daran, sagte er sich bestimmt, an dem ganzen Elend mit Bridhe, dass er jetzt wieder schöne Augen machen konnte wem immer er wollte. Und die Frauen seines Volkes waren doch sowieso die Allerschönsten. Er konnte FROH sein, dass er das Keltenweib los war. Es machte ihm GAR NICHTS aus. Unwillkürlich huschte sein Blick durch das Atrium, suchend, beim Gedanken an seine Verflossene. Da sah er sie tatsächlich. Angrbrodas Brut! Wie sah sie bleich und krank aus! Wie der Draug ihrer selbst stand sie inmitten der bunten, vor Freude und Gesundheit strotzenden Feiergesellschaft. Ein dunkler Schatten schien auf ihr zu lasten. Diesmal war sie das Memento Mori des Saturnalienfestes.
    Der Germane verspürte einen Stich, einen wehen Liebesschmerz. Das fröhliche Lächeln erstarrte, seine Augen verschmälerten sich und seine Nasenflügel bebten. Am liebsten wäre er hingelaufen, hätte sie in die Arme geschlossen und... - Schwachkopf! Lass das schön bleiben!


    Er riss seinen Blick von ihr los, und da trat auch schon Minna auf Siv und ihn zu, und begrüsste ihn überschwänglich.
    "Heil Dir Minna!"antwortete er herzlich, "Hat es Dich auch auf dieses Fest der Verlogenheit und Heuchelei verschlagen", und legte ihr zur Begrüssung kurz die Hand auf die Schulter. Streng verwies er die trüben Gedanken in ihre Schranken. In Gesellschaft zweier so strahlender Stammesgenossinnen sollte er wirklich nicht Bridtha hinterhertrauern. Überhaupt. Aus. Schluss. Vorbei.
    "Stell Dir vor - Siv hier ist auch von unserem Volk!", verkündete er ihr die frohe Botschaft, sah von einer zur anderen und hatte auf einmal eine bestechende Idee, mit der er auch gleich herausplatzte.
    "In ein paar Tagen ist doch Mittwinter. Wir könnten das Julfest zusammen feiern! Was meint ihr?"

    "Is'n Wallach", gab der Germane trübe zur Antwort. "Mhm. Da mag er recht haben."
    Missvergnügen und Verdruss - Lucanus sprach ihm aus der Seele. Er nickte düster und knurrte: "Vor allem die Weiber... Tja" - er gab Canus einen Klaps - "diese Sorge bist Du los", sagte er zu dem Pferd.
    "Luca, wenn ich Dir einen Rat geben darf", begann er dann gewichtig, und schwadronierte im Gestus des edlen, von der Welt enttäuschten Weisen: "Frauen. Frauen sind nur was fürs Bett. Nicht fürs Herz. Auf keinen Fall darf da das Herz mit ins Spiel kommen. Frauen sind Bestien. Gibst Du ihnen Dein Herz, dann zerfleischen sie es und verspeisen es..." - sein Blick flackerte, heftete sich fest auf den jungen Flavier - "...roh." schloss er mit Grabesstimme, fixierte Luca dann noch einen Atemzug lang schweigend.
    "Vorsicht er beisst."

    Ihn schrecken? Pah. Er war doch nur... überrascht.
    "Ich werde jetzt anders genannt. Severus.", erklärte er Hannibal, der ja vor kurzem erst wieder nach Rom gekommen war, in einem Tonfall der deutlich machte, dass er das nicht ausführen wollte, nickte dann als Hannibal bestätigte, in Hispania gewesen zu sein.
    "Warum ich das wissen will? Nun, es gibt auch Elefanten hier in Rom...", gab er preis. Aber Hannibal machte ihn nervös. Der verschlang ihn ja förmlich mit Blicken, geradezu als wäre er, Severus, eine holde Jungfer oder so. Severus fand das richtig unanständig und auf eine irritierende Weise verkehrt und funkelte Hannibal bedrohlich an. Der sollte gefälligst mal seine Augen bei sich behalten, sowas gehörte sich doch einfach nicht! Und lenkte ihn ausserdem ab...
    Er war in Hispania... Er kam mit Flavia Minervina zurück... Sie soll angeblich irgendwas mit ihnen zu tun gehabt haben... Es sind Freiheitskämpfer... Sind es aber dieselben Leute wie hier in Rom?... hm... Der Stabmann nennt sich auch der Schächter von Hispania......


    "Ja. Berichte mir was Du über sie weisst. Haben sie womöglich der Sippe der Flavier - Schmach zugefügt? Und hast Du damals vielleicht etwas gehört von einem gewissen 'Stabmann', auch genannt 'Tavernenmörder', 'Schächter von Hispania' oder auch Longinus von Vindobona?", formulierte er die Fragen, die ihm auf den Nägeln brannten.
    "Und wenn Du das tust, gebe ich Dir mein Wort, dass ich über das hier..." er umfasste mit einer kleinen Handbewegung Kleid, Blondschopf und Zuber, "...nie auch nur ein Sterbenswörtchen verlieren werde. Das sollte Dir doch genügen."
    Hoffte er jedenfalls! Wieder wollte er unbehaglich Hannibals verzehrendem Blick ausweichen, doch dann riss er sich zusammen und starrte ihm herausfordernd direkt ins Gesicht.
    "Oder?"
    Noch immer irritierte es ihn gewaltig, dass er - auf den ersten Blick - die Lippen, die er da vor sich sah, durchaus als einladend empfunden hatte. Natürlich nur weil er sie als einer Frau gehörend gewähnt hatte...! Aber trotzdem... stimmte womöglich etwas nicht mehr mit ihm?! Severus, sowieso arg erschüttert durch seinen Liebesschmerz, betrachtete Hannibals Lippen und machte sich Sorgen...

    Zitat

    Original von Siv


    Lächerlich. Dieses Fest war einfach nur lächerlich. Die Römer, deren Sinne längst erschlafft waren von den dekadenten Lustbarkeiten, in denen sie sich den Rest des Jahres suhlten, gaben sich hier einmal im Jahr einen ganz anderen Kick. Sie feierten zügellos wie sonst auch, jedoch vor der Kulisse ihrer Sklaven, sie holten sie zu sich an den Tisch wie artige kleine Haustiere, reichten ihnen Leckerbissen, banden ihnen Schleifchen ins Haar, belächelten sie und ergötzten sich an der unterwürfiger Dankbarkeit der Kreaturen die den Rest des Jahres nur Dreck für sie waren.
    Es fehlt nicht viel und sie platzen alle gleich vor Selbstgefälligkeit, dachte Severus, wie eine angestochene Schweineblase.
    Er hatte wirklich nicht kommen wollen, hatte schon das Pferd gesattelt und alles gepackt um sich für ein paar Tage aus der Stadt zu verziehen. Letztes Jahr war auch er dankbar für das Fest gewesen, weil er da ein einziges Mal aus dem Carcer rauskam, aber für diese verlogene Veranstaltung hier konnte man doch wirklich auch nur dann dankbar sein, wenn die Alternative Einzelhaft in Kälte und Dunkelheit hiess... Ausserdem war er nicht gerade scharf darauf, Bridhe über den Weg zu laufen.


    Aber trotz der Aussicht, endlich mal wieder Wald zu sehen und frische Luft zu atmen, bedrückte ihn die Vorstellung, in ein paar Tagen zu Mittwinter, Jul, ganz alleine zu sein. Und so war er dann doch kurzerhand in das Atrium getreten, in der Hoffnung unter dem Haufen von Gästen vielleicht auch seine Stammesgenossin Minna zu sehen, und ein paar Worte mit ihr wechseln zu können bevor er noch etwas mit Aquilius klärte und dann aufbrach.
    Er trug eine dunkle Reisetunika und den Mantel über dem Arm, alles an seiner Erscheinung, seiner Haltung sprach davon, dass er nicht zu bleiben gedachte. Ein zynisches Lächeln auf den Lippen ging er durch das Atrium und sah sich nach Minna um.
    Fionas rote Locken hatte er jedenfalls schon erspäht. Und dann leuchtete ihm, neben einer Säule am Rande des ganzen Troubles auch ein lichtblonder Schopf.
    "Heilsa!", grüsste er und trat auf dessen Besitzerin zu, ging ein Stück um die Säule herum und erblickte erst dann auch ihr Gesicht. Das war gar nicht Minna. Doch auch sie eine Schönheit - was für eine Schönheit! Stolz und aufrecht, die Haut wie Schnee, mit funkelnden Augen und Haar wie feingesponnenes Gold. Sifgleich dünkte sie ihm. Er dachte an das was Tilla ihm erzählt hatte.
    "Du musst ... Siv sein.", sagte er langsam, etwas zögernd, in seiner Muttersprache, und sah sie fragend an. Und wappnete sich schon dagegen, ein verständnisloses lateinisches Wie bitte? Was ist denn das für eine komische Barbarensprache? Ich heisse Bissula. zur Antwort zu bekommen.

    Versöhnung? Severus verzog das Gesicht. Was für ein weichliches Wort. Rache war die edelste Pflicht eines Mannes.... eigentlich. Aber wieder einmal hatte er das befremdliche Gefühl, dass Aquilius wirklich glaubte was er sagte. Jedem denkenden Menschen musste doch klar sein, dass die Saturnalien die abgeschmackteste Heuchelei waren, die man sich nur vorstellen konnte.
    "Ich verstehe. Einmal im Jahr Austern essen, in dem grotesken Possenspiel das ihr da zu eurer Belustigung veranstaltet, das wiegt natürlich ein weiteres Jahr elender Knechtschaft vollkommen auf. Keine Frage.", gab er zynisch zur Antwort, verbiss sich dann aber weitere Kommentare. Er wusste ja, Aquilius war ein kluger Mann aber leider gefangen in seinem Römer-Horizont, über den er nicht hinausblicken wollte, konnte, wagte oder durfte.
    Und wieder zuckten seine Mundwinkel verächtlich. Du Scheinheiliger., dachte er, Als ob das nicht gewollt wäre, dass in einem Palast wie diesem wir doch im Dreck wohnen und zum Essen die Abfälle bekommen.


    "Gut...", sagte er langsam, angenehm überrascht dass Aquilius sich nicht drückte, aber dann folgte ein langer, doppelbödiger Satz, mit einer Klausel und einer hässlichen Botschaft darin verpackt. Bridtha war zu Aquilius gekommen?? Und so keusch getan hatte sie noch kurz zuvor!
    "Diese niederträchtige kleine..." Der Zorn erstickte seine Stimme. Wie eine dunkle Gewitterfront umwölkte er ihn. Seine Nasenflügel bebten, seine Lippen waren fest aufeinandergepresst. Doch dann wich die Wut, ganz schlagartig, und an ihrer Stelle breitete sich ein hohles, wundes Gefühl in ihm aus. Er atmete scharf ein. Warum traf ihn das so? Er hatte sich doch losgesagt von ihr. Seine Schultern sanken herab. Mit schleppenden Bewegungen setzte er sich auf den Rand eines Fasses, das da aufrecht an der Kellerwand stand.
    "Ändern kann man da gar nichts.", sagte er dumpf. "Getan ist getan. Sie war ein nettes und anständiges Mädchen als sie herkam. Du hast sie zu Deiner Metze gemacht. Jetzt ist sie eine. Rom hat sie verdorben. Oder die Verderbnis in ihr nach aussen gekehrt, wer weiss das schon... Was Treue heisst, das wisst ihr hier im Süden nicht ... Also dann am ersten Saturnalientag."
    Er starrte auf den Boden, und fragte sich, ob man - falls es wirklich wahr war - es Aquilius verdenken konnte, dass er sein "Eigentum", wenn es sich ihm anbot, nicht verschmähte. Wohl kaum. Severus schluckte. Ohne den Zorn war da nur noch eine Masse von schwerer, zäher Traurigkeit und Ausweglosigkeit.
    Den Brief hielt er noch immer in der Hand, fiel ihm auf. Der kam gerade recht, um seine Hände zu beschäftigen. Fahrig glättete er ihn ein bisschen, streckte ihn dann Aquilius hin.
    "Hier. Hat mir einer für Dich mitgegeben. War'n bisschen dubios."

    Es sah ein wenig so aus, als ob der Flavier sich hier versteckt hätte. Mit Wein und einer Schriftrolle... Vor der Verwandtschaft? Vor der Arbeit?
    Nachdenklich legte Severus den Kopf schief und musterte ihn. Seine Finger spielten mit der erhaltenen Botschaft, dem schmutzigen, zerknitterten, noch immer versiegelten Briefchen.
    "Ja. Ich werde in den Apennin reiten. Jagen... - Es gelüstet mich wahrlich nicht, mich zu einem frohen Fest derer zu gesellen, die mich den Rest des Jahres als Dreck unter dem Stiefel Roms ansehen.", fügte er sarkastisch hinzu, zuckte dann die Schultern. Unablässig liess er das Papyrus durch die Finger gleiten, dass er Aquilius gleich geben wollte. Wenn er eine wichtige Sache geklärt hatte.
    "Aber ich frage nicht deshalb. Wir gelten als gleich vor dem Gesetz sagst Du. Hmm... gelten. Aber wie gleich sind wir wohl in diesen Tagen? Nicht gleich genug, dass ihr in dem Dreckloch nächtigt in dem wir schlafen, nicht gleich genug dass ihr den Frass esst, den uns die Küche Tag für Tag vorsetzt."
    Eindringlich richtete er die zornglimmenden Augen auf Aquilius und trat Schritt für Schritt näher an ihn heran, sprach dabei, ohne die Stimme zu heben.
    "Was meinst Du, Flavius - sind wir gleich genug in jener Zeit, dass Du Dich meiner Herausforderung stellst? Am ersten Saturnalientag. Nur wir beide. Auf der Wiese hinten im Garten. Du hast die Keltin gevögelt, als sie noch meine Gefährtin war. Diese verlogene Hure. Dafür schlage ich Dich kurz und klein. So Du kommst."
    Direkt vor Aquilius blieb er stehen. Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen.
    "Wenn Du meinst, dass Du nicht "gleich" genug dafür bist, und es lieber nicht wagst, hab ich dafür natürlich vollstes Verständnis."

    Die dritte Strasse, dann drei Bretter von rechts - aber was war denn die dritte Drei fragte sich Severus. Ach, er würde es schon finden.
    "Bis morgen kleiner Irrwisch."
    Er rieb sich die Augen, die so viel Lesen nicht gewöhnt waren, und sah ihr lächelnd hinterher. Es war schon seltsam, diese stumme Kleine hatte irgendwas an sich, wie einen frischen Wind, der seine Trübsal einfach weggeblasen hatte. Er freute sich richtig auf den morgigen Tag, und überlegte schon, welche Geschichten sie wohl am liebsten hören mochte.

    Tillas Einladung folgend, machte sich der Germane während der Mittagspause im Ludus auf, um sie in ihrem Versteck zu besuchen. Er folgte ihrer Beschreibung, musste allerdings in Roms verwinkelten Strassen eine ganze Weile suchen, bis er schliesslich, drei Strassen hinter dem Forum Romanum, tatsächlich vor einem runtergekommenen Gebäude stand, das wie ein alter Stall aussah. Er schlüpfte durch einen schiefen, zahnlückigen Zaun in den Hof davor, und erblickte, wie beschrieben, einen Brunnen. Ja, hier musste es sein.
    Der Himmel war wieder einmal grau heute, es war nicht besonders kalt - eigentlich war es, dafür dass bald Jul war, seiner Meinung nach sogar unglaublich warm - aber windig. Graue Wolkenfetzen jagten über den Himmel, Fensterläden klapperten, und in den Strassen trudelte der Abfall umher. Das Unkraut, das den Hof überwucherte, bog sich im Wind, als Severus an dem Gebäude entlang ging, bis zu er zu einem mit Brettern vernagelten Eingang kam. Er sah sich nochmal um und wartete bis ein paar Passanten auf der Strasse ausser Sicht waren, dann fasste er an das dritte Brett von rechts. Tatsächlich, es liess sich einfach herausnehmen. Er spähte in den dunklen Spalt dahinter, roch Heu, sah aber erst mal gar nichts. Ein gewisses Misstrauen regte sich jetzt doch. Das Mädchen war gerissen. So unmöglich war es nicht, dass sie ihn hier in eine Falle locken wollte, damit er sie nicht als Diebin verpfiff...
    Dann gewöhnten sich seine Augen an das schummrige Licht. Pferdeboxen erkannte er jetzt, die leerstanden. Auf dem Boden lag schmutziges Stroh. Eine Leiter führte steil hinauf in den Dachstuhl. Nun gut. Severus ruckte an dem Brett daneben, bis es sich ebenfalls löste, und vergrösserte so die Lücke, damit nicht nur kleine Mädchen, sondern auch grosse Germanen da hindurchpassten. Dann quetschte er sich hinein, und zog die Bretter von innen wieder an ihren Platz. Er richtete sich auf, wischte sich ein paar Spinnweben aus den Haaren und blickte sich um. Als er, den Kopf in den Nacken gelegt, auch nach oben sah, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.
    "Salve Tilla!", grüsste er freundlich den Irrwisch oben im Gebälk, und machte sich daran die Leiter zu ihr hinauf zu erklimmen.