Beiträge von Rutger Severus

    Kurz schien es dem Germanen, als ob die junge Frau gleich umkippen würde. Diese zartbesaiteten Stadtmenschen! Aber sie fing sich wieder. Schade, so ein süsses Ding hätte er gerne aufgefangen. Aber nein, ermahnte er sich, er war ja mit seiner Freundin hier. Auch wenn die zur Zeit interessierter an irgendwelchen Klamotten als an ihm zu sein schien.
    "Gut.", sagte er freundlich, und strich seinen Umhang zurecht, wobei zwischen den schweren Falten kurz der wohlgefüllte Lederbeutel an seinem Gürtel sichtbar wurde. Gutgekleidet war Severus, ebenso wie Bridhe, und die breiten Lederbänder an seinen Handgelenken verbargen die Narben der Ketten, auch trugen sie beide keineswegs ein Brandzeichen auf der Stirn, so dass auch ein aufmerksamer Betrachter den beiden ihren Stand nicht an der Nasenspitze ablesen konnte.


    Mit einem halben Lächeln nickte er der blonden Maid nochmal zu, als die sich bedankte und dann weiterging. Auch er wandte sich ab, kehrte aber nicht zu der Säule zurück, sondern sah sich um, wo eigentlich Bridhe inzwischen war. Über die Köpfe der Menge hinweg spähte der grosse Germane, erblickte schliesslich die Gesuchte und bahnte sich den Weg durch das Gedränge bis zu ihr hin. Er fand sie, einer gewaltigen Auswahl von bunten Tuniken gegenüber. Hatte sie sich denn immer noch nicht entschieden?
    Er verbiß sich das Seufzen, und auch das Quengeln, und trat von hinten an sie heran, berührte sie sanft an der Schulter. Vielleicht sollte er die Sache mal strategisch angehen. Sonst würde er sie wahrscheinlich bis Sonnenuntergang nicht von diesem Markt weglotsen können. Welch grausame Vorstellung.
    "Nimm doch die, ähm, farn-grüne da.", schlug er vor, und deutete wahllos auf eins der Gewänder. "Die da, mit den Mustern drauf. Die steht Dir bestimmt gut."

    Na also, die Runen hatten geholfen, und seiner Bridtha ging es wieder besser. Severus legte den Kopf schief und lauschte gebannt, als sie ihm so bedeutsam und leise von ihrer Vision berichtete. Sie waren wirklich füreinander bestimmt? Sein Gesicht leuchtete auf. Solch ein mächtiges Zeichen in dieser Nacht zu erhalten, das war...
    "...schön.", sagte der Germane leise und strich seiner Liebsten zärtlich über die Stirn. Eine grosse Zuversicht und schier überwältigende Freude stieg in ihm auf. Einen Augenblick lang wagte er es sich eine Zukunft auszumalen, gemeinsam mit ihr, eine leuchtende Zukunft, in der sie beide wieder frei sein würden... Er half ihr sich aufzusetzen, und hielt die Arme um sie geschlungen, blickte ins Feuer und hing diesem Traum nach.
    Den elenden Römer schien Cadhla inzwischen mit Charme gebändigt zu haben. Dass der Mann sich so besorgt um den kleinen Irrwisch zeigte, sprach tatsächlich ein bisschen für ihn, musste der Germane sich - widerwillig - eingestehen, trotzdem fand er's schade, dass der Kerl sich nicht den Hals gebrochen hatte, und hoffte, dass er jetzt endlich mal wieder verschwinden würde, damit sie weiter in Ruhe feiern konnten.


    Wieder wandte er den Blick zu Bridtha, und betrachtete ganz versonnen das Spiel der Flammen, das Huschen von Schatten und Lichtschein auf ihrem Antlitz. Wie war sie schön. Da konnte der Rest der Welt ihm doch gestohlen bleiben.
    "Bridtha...", flüsterte er ihr verliebt ins Ohr, und schloss die Arme fester um sie, "Wer auch immer die Mhorikan ist... ich glaube ihr das gern..."
    Er fasste sacht ihr Kinn und hob es etwas an, sah ihr träumerisch in die Augen und beugte sich langsam vor, um ihre Lippen zu suchen für einen innigen Kuss - doch auf halbem Weg hielt er plötzlich inne. Sein Blick flackerte von Bridhe zu etwas hinter ihr, und seine Augen weiteten sich in namenlosem Schrecken.
    "Kleines... was machst du denn hier...?", fragte er mit bebenden Lippen. Seine Stimme war brüchig geworden und tonlos, kaum übertönte sie das Knistern des Feuers. Kreidebleich starrte er in die Dunkelheit. Zweige schwankten im Wind, Blätter raschelten. Doch sonst war da nichts zu sehen.

    Dann war man sich ja einig. Mürrisch verschränkte Severus die Arme und sah betont unbeteiligt an Bridhe vorbei auf das bunte Treiben. Der Regen schien stärker geworden zu sein, er trommelte auf das gewölbte Dach der Markthalle, und immer mehr Leute suchten hier Unterschlupf. Forschend schweiften Severus' Augen umher - gab es hier drin nicht vielleicht irgendwo eine Taverne? Da könnte er dann in aller Ruhe und gemütlich abwarten, während Bridhe ihre Besorgungen machte. Nichts in Sicht. Resigniert lehnte er den Kopf an die Säule zurück, und machte sich auf eine lange Zeit des Wartens gefasst. Müssig beobachtete er die Vorbeigehenden, und wurde auf eine zierliche junge Frau aufmerksam, deren lichtblondes Haar aus der südländischen Menge herausstach wie ein Sonnenstrahl an diesem Regentag. Schön.
    Direkt vor ihnen stolperte sie, wohl über eine gesprungene Steinplatte und knallte auf den Boden. Sie schien sich das Knie an- oder aufgeschlagen zu haben. Eine Maid in Not - ganz von allein löste Severus sich von der Säule, und war mit zwei Schritten neben ihr.
    "Alles in Ordnung?", fragte er mit seinem rauhen germanischen Akzent. Aufmerksam musternd lag der Blick seiner graugrünen Augen auf der jungen Frau, während er sich herunterbeugte, und ihr eine kräftige Hand zum Aufstehen bot.

    Ignoranz schützt vor Strafe nicht, dachte sich gehässig der Germane. Er malte sich aus wie die Totengeister dem Eindringling, der ihr Fest mit lästerlichen Reden entweiht hatte, das Leben gehörig vergällen würden, und quittierte dessen Worte nur mit einem zutiefst abschätzigen Kopfschütteln. Sollten sich die beredsamen Frauen dieses römischen Ärgernisses annehmen, er hatte gerade ein grösseres Problem - seine besessene oder jedenfalls panische Liebste.
    "Schscht Bridtha, hab keine Angst", sprach er mit tiefer, ruhiger Stimme auf sie ein, "Ich gebe auf Dich acht, sie werden Dir nichts tun, komm beruhige Dich meine Liebste."
    Kurzerhand hob er sie einfach hoch, und trug sie auf seinen Armen zum Feuer zurück. Morrigan - was war das? Düster und bedrohlich klang der Name. Direkt neben den Flammen liess er sich mit Bridhe auf den Boden nieder. Der rote Feuerschein spiegelte sich in ihren Augen, in denen ein ungesunder Glanz stand. Winzig waren die Pupillen. Das selbe hatte er tatsächlich schon bei Goden gesehen, die von Wodans Fleisch - dem Fliegenpilz - gegessen hatten, und von der jenseitigen Welt überwältigt wurden. Er legte Bridhe die Hände auf die Wangen, und blickte ihr eindringlich in die Augen.


    "Ganz ruhig, meine Liebste, ganz ruhig...", murmelte er, "Runen weiss ich, Dir zu helfen", und versank in tiefer Konzentration. Leise summte er vor sich hin, und strich ihr über die Stirn, auf der kleine Schweisströpchen standen, während die Zeichen vor seinem inneren Auge Gestalt annahmen. Wie feurige Formen tauchten sie aus der Dunkelheit. Zeichen der Macht, vom Ersten der Asen gefunden und gegeben.
    "Ansuz, Asgards wortgewaltiger Fro", hub er an,
    "Den Wind fesseln keine Ketten.
    In des Hohen Halle, des Hohen Lied ist gesungen.
    Wohl ihm der es kann. Wohl ihm der es kennt -"

    Mit rauhen Fingern zeichnete er die Ansuz-Rune auf Bridhes hohe Stirn, dann Dagaz und Sowilo. Raunend und urtümlich klang sein chattisches Runenlied, mischte sich mit dem Prasseln des Feuers und dem Aufheulen des Windes zu einem rätselhaften Gesang von archaischer Kraft.
    "Sowilo, Sunna, strahlender Morgen,
    Des Tals helles Tor, vereint sich der Nacht,
    Es weichen die Schatten von schöner Stirn,
    Hel-Runen-fest, jenseits von Midgard, sind sie gebunden,
    So spreche ich, Rutger, des Thidrik Sohn, von den Hallvardungen,
    Und so soll es sein... - Erwache Schläferin."


    Langsam strich er Bridhe über die Augen, und hoffte inständig, dass die Worte der Macht genügen würden, damit sie den Bann der Toten abschütteln konnte. Er fror. Die Kälte der Toten war ihm bis ins Mark gedrungen, und die Wärme der Flammen kam da nicht dagegen an. Ein Metkrug stand noch neben dem Feuer, den nahm er und setzte ihn Bridhe an die Lippen.
    "Hier min Skaz, trink einen Schluck."
    Met war schliesslich allemal gesünder als Wasser.

    Im zweiten Obergeschoss verlor er das Licht aus den Augen. In irgendeiner der vielen Wohnungen hier mussten die beiden Halsabschneider verschwunden sein. Langsam ging der Germane den Gang entlang, lauschte, überlegte, wo in diesem gigantischen Haus er als Bandenführer sich wohl einquartieren würde. Ganz oben? Aber da waren die Zimmer angeblich winzig und schäbig, hatte er mal gehört. Er war noch nie ganz oben in einer Insula gewesen. Oder im Zentrum, wo man seine Leute am besten um sich scharen konnte?
    Und dann geschah es. Wieder Schritte, die näherkamen. Severus wich zurück, suchte eine Abzweigung, doch der Gang ging schnurgerade hinter ihm weiter. Sackgasse. Er versuchte die nächste Tür zu öffnen - verschlossen. Und dann bog schon ein Mann um die Ecke, gross und breit auch er, mit einer Sica an der Seite und einem Windlicht in der Hand, das sein fleischiges, ein wenig einfältiges Gesicht von unten seltsam anstrahlte. Verdammt.


    "N' Abend.", grüsste der Kerl, und wollte schon vorübergehen. So viel Glück, dachte der Germane, kann ein Mensch doch gar nicht haben! - und nickte höflich zurück. Doch dann verharrte der Mann und betrachtete Severus genauer Das Windlicht blendete den Germanen, er blinzelte und erwiderte den Blick so harmlos er nur konnte.
    "Wer bist Du?", fragte mißtrauisch der andere.
    "Ja - kennst Du mich denn nicht?" Severus hob pikiert die Brauen, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit ihn nicht zu kennen.
    "Nein. Wie ist die Parole?"
    Der Germane zermarterte sich das Hirn wie er den Kerl lautlos beiseite schaffen könnte, und flunkerte drauf los, dabei mit der linken lebhaft gestikulierend um von der rechten abzulenken, die langsam die Sica zog.
    "Ich kenn nur die alte. Die ganz alte. War 'ne Weile weg, die Elefanten ausspionieren. Infiltrieren, Du weisst schon. Ham's mir leicht gemacht. Möchtegerns, pah!"
    Er spuckte verächtlich aus und lauerte auf den Moment zuzustossen. Doch der Argwohn des anderen schien tatsächlich nachzulassen. Dummkopf!
    "Und was planen sie?"
    "Naja... das is eigentlich für die Ohren des Dux bestimmt, Du verstehst sicher. Wo isser denn? Er muss es natürlich dringend erfahren."
    Severus beugte sich ein wenig vor, und sah seinem Gegenüber eindringlich in die leicht vorquellenden Augen.
    "So wie's aussieht" - er dämpfte verschwörerisch die Stimme - "haben sie nämlich einen Attentäter auf ihn angesetzt. Einen echten Profi."
    "Schon wieder.", stellte der andere fest, nicht ganz so beindruckt wie Severus sich das gewünscht hätte. "Komm, das solltest Du ihm wirklich selbst berichten."
    Und er setzte sich in Bewegung.


    Wenn man erst einmal mit dem Lügen angefangen hatte, stellte der Germane fest, war es auf einmal gar nicht mehr so schwer. Und auch wenn der Kerl nun wirklich nicht wie der Hellste wirkte, dünkte Severus sich ungeheuer durchtrieben heute, ja, schon beinahe so listenreich wie der Utgard-Loki....

    So viele Menschen. So viele Farben, Stimmen, Gerüche. Hektik und Handel allenthalben. Tapfer begleitete Severus seine grausame Liebste, als sie ihr Vorhaben wahrmachte. Sich alles ganz genau angucken, bei allen Fylgien, das würde ja Tage dauern... Standhaft ging er an ihrer Seite, versuchte sich von der Fülle der Eindrücke nicht überwältigen zu lassen, stemmte sich gegen den Widerwillen, hier so viel Zeit mit so belanglosen Dingen zu verbringen...
    Stunden vergingen. Oder jedenfalls schien es Severus so, als ob sie schon den halben Tag hier in diesem verwirrenden Labyrinth zwischen den Ständen und Geschäften zugebracht hätten. Grell und aufdringlich sprangen die Waren ihn an, unschön tönten die Anpreisungen der Händler, das Klimpern der Münzen in seinen Ohren. Er war jetzt schon zermürbt. Und dabei hatte Bridtha noch nicht mal eine einzige Tunika erstanden! Severus ertappte sich bei einem tiefempfundenen Seufzen. Er riss sich zusammen, wollte keine Schwäche zeigen.
    "Dies alles", sagte er dann abschätzig, "all diese Waren die hier feilgeboten werden, dieser groteske Reichtum, den Rom hier so stolz zur Schau stellt - das haben sie alles den unterworfenen Völkern abgepresst."
    Nach diesem vernichtenden Urteil lehnte er sich an eine der Säulen am Rande der grossen Halle, in der sie sich gerade befanden, und sagte trotzig:
    "Es reicht mir. Ich warte hier auf Dich."
    Neben ihm auf einer Stufe hatten sich zwei Römer niedergelassen, die ebenso erschöpft wie er aussahen. Anscheinend waren sie auch auf der Strecke geblieben.
    "Ich versteh das einfach nicht", seufzte der eine, und stützte das breite Doppelkinn in die Hand, "sie hat sicher schon fünf Paar grüne Sandalen! Aber dann gibt es ja nicht nur grün, sondern es gibt laubgrün und grasgrün, tannengrün und moosgrün, blaugrün und wassergrün und giftgrün und froschgrün, und sie will jetzt unbedingt noch ein Paar in mintgrün. Passend zur Stola.... mintgrün..."
    Er sah aus als ob er gleich weinen würde, und Severus verspürte prompt einen Anflug von Solidarität. Mit einem Römer! Garms Grimm, er war wirklich schon ziemlich am Ende.

    Bei allen Asen und Wanen... Alles ging drunter und drüber auf einmal. Begierig das Blut des Römers zu vergiessen, lauerte der Germane auf eine zustimmende Geste der Gastgeberin. Blind für die Gefahr in die er sich begeben hatte, schien der Feind sich in typisch römischer Vermessenheit ausgesprochen sicher zu fühlen. Beste Voraussetzungen ihn lautlos zu töten. Vielleicht waren es die dunklen Götter der Kelten, die die Schritte des Römers hier her geführt hatten, oder die rachegierigen Schatten der Verstorbenen, die in dieser Nacht zu ihren Ehren nicht ohne ein Menschenopfer sein wollten.
    Da kam auf einmal seine Liebste herangetanzt, überschwänglich und ausgelassen. "Leannán" rief sie und warf sich - nicht ihm sondern dem Römer an den Hals! Grams Grimm!
    Eine Woge der Mordlust schlug über ihm zusammen. Das war sein Mädchen! Es war doch nicht möglich, dass sie einen Römer, einen Südländer und Skräling, IHM, dem gestählten nordischen Krieger vorzog!
    Nein, was nicht sein konnte, das durfte nicht sein, erkannte Severus messerscharf - es war sicherlich alles nur ein Ablenkungsmanöver. Seine Bridtha wollte den Römer so fesseln und verwirren, damit er, Severus, ihn um so leichter erschlagen konnte. Kluges Mädchen. Nun gut.
    Mit einem grimmigen Lächeln spannte der Germane sich zum Sprung an. Doch Cadhlas beschwörender Blick, ihr abgedeutetes Kopfschütteln hielt ihn zurück. Was denn? Glaubte sie wirklich den Römer beschwatzen zu können?
    Wenigstens in einem war Severus mit dem Aurelier ganz und gar einer Meinung. Mehr als absurd wäre es gewesen, wenn dieser Kerl sich einfach zu ihnen in den Kreis gesetzt hätte. Geradezu aberwitzig.


    Seine Stammesgenossin Minna zog ihn ein Stück zur Seite, versuchte ihm die Sache zu erklären. Fliegenpilz?
    "Oh."
    Dann war das keine List? Aber nein, Severus hatte noch ein bessere Erklärung.
    "Bei Fenris Fängen!", rief er erschrocken auf Chattisch aus, und formte das Zeichen des Mjöllnir in die Luft.
    "Ich glaube gar, es ist ein Totengeist in sie gefahren!"
    Das kam davon, wenn man die Toten zu Gast lud, ohne einen Goden zur Seite zu haben, der sie im Notfall auch zu bändigen verstand. Die Sorge um seine Liebste überschattete erst einmal alles andere. Schnell trat er zu ihr. Cadhla versuchte bereits sie zu bändigen. Resolut griff Severus Bridhes Hände und löste sie von dem elenden Römer.
    "Bridtha!", sprach er eindringlich, zog sie an sich und redete beschwörend auf sie ein. "Bridtha min Skaz, komm zu Dir! Erkennst du mich nicht, ich bin es, Severus!"
    Er hielt sie ganz fest in den Armen, um sie zu beruhigen und damit sie keinen Unsinn machen konnte, und hoffte inständig, dass der Geist von selbst wieder weichen würde, dass es kein zu bösartiger Wiedergänger war, der da von ihr Besitz ergriffen hatte.


    Ein heftiger kalter Windstoss fuhr über sie alle hinweg, im Feuer knackte es, als die Scheite ineinander fielen und ein Schwall von Funken stob in den schwarzen Himmel empor. Severus sah Tilla frösteln und spürte selbst, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Sie waren hier. Und sie waren nicht erfreut über den Aufruhr auf ihrem Fest.
    "Die Toten sind zornig!", warnte er mit fester Stimme, und kalt sprach er zu dem Römer:
    "Frevelhaft hast Du ihr heiliges Fest gelästert. Nun wird der Zorn der Unterirdischen Dich verfolgen."

    Stockdunkel war's. Nach dem leisen Hall seiner Schritte her zu schliessen, war er in einem sehr grossen Raum. Severus wagte es nicht ein Licht zu entzünden, tastete sich ganz langsam an der Wand entlang. Der schwere, kupferige Geruch von Blut lag in der Luft. Wo war er hier gelandet? Seine Hand stiess gegen eine kalte, elastische Masse, die leicht hin und her zu schwingen begann. Totes Fleisch? Ein Erhängter? Der Germane musste heftig schlucken, und die Schauergeschichten, die er über Arbogastus, Geissel des Quirinal, gehört hatte, standen ihn auf einmal sehr lebhaft vor Augen.
    Mit dem Rücken zur Wand blieb er stehen und wartete bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Eine Reihe von Schemen zeichneten sich nun ab, an grossen Haken hingen sie von der Decke herunter. Der eine, den er angestossen hatte, schwankte noch immer ganz leicht hin und her, und der Haken knirschte leise dabei. Sonst war es ganz still. Nur dieses nervenaufreibende kleine Geräusch. Hin und her und hin und her...
    Langsam näherte der Germane sich wieder dem Objekt, besah es sich genauer. Rippen. Schultern. Schweineohren. Bloss Schweinehälften waren es, die hier von der Decke hingen, erkannte er mit einem erleichterten Aufatmen. Er war in einer Schlachterei.


    Vorsichtig ging er zwischen den toten Tieren hindurch, durchquerte den Raum, und sah einen Durchgang sich abzeichnen wo es etwas heller wurde. Leise und gewandt wie ein Wolf der chattischen Wälder schlich er weiter, erreichte dann den Innenhof der Insula. Gerade pfiff ein heftiger Windstoss durch den Hof, liess die Fensterläden klappern und riss Severus die Kaputze vom Kopf. Er huschte durch den Innenhof, auf einen grösseren Eingang zu, als er auf einmal aus dem Augenwinkel direkt neben sich eine Bewegung sah. In einer fliessenden Bewegung fuhr er herum und zog die Sica - und sah sich Auge in Auge mit einem borstigen fetten Schwein. Das Tier wackelte ein bisschen mit dem Rüssel als es ihn beschnüffelte, dann trollte es sich und marschierte mit schlackernden Ohren zu einem Verschlag unter den Arkaden am Rande des Innenhofes.
    Garm Grimm! Langsam ebbte der Schreck ab. Diese Schweine machten ihn noch ganz fertig!
    Jetzt erkannte er auch, dass sich da in dem Verschlag noch mehr von den Tieren aufhielten. Ihr warmer Mief zog unverkennbar zu ihm herüber. Die Kapuze wieder über den Kopf ziehend, strebte er weiter auf den Eingang da zu, hatte ihn fast erreicht als in dem Gang auf einmal Schritte laut wurden. Männerstimmen erklangen, ein schleifendes Geräusch dazu, und ein flackerndes Licht warf die verzerrte Schatten gebückter Gestalten an die Wände.


    Hastig fuhr Severus zurück, schlug den grauen Mantel um sich und presste sich hinter einem Mauervorsprung in den Schatten. Der Gang spuckte zwei Männer aus, einer von ihnen trug eine Öllampe, und zwischen sich zogen sie einen Dritten, dessen Beine schlaff über den Boden holperten.
    "Uuund hopp!", kommandierte der eine, dann wuchteten sie den leblosen Körper hoch, und warfen ihn über den Zaun hinweg in den Schweinekoben hinein. Quieken und Grunzen war zu hören, als die Schweine erwachten, ihre dunklen Leiber drängten sich um den Leichnam herum und verdeckten die Sicht auf das was da geschah. Doch ihr Schmatzen und Kauen war deutlich zu hören. Severus biß die Zähne zusammen und presste sich gegen die Mauer. Jetzt wusste er was ihm blühte wenn er hier versagte.
    "Tja...", sagte der mit der Öllampe lakonisch.
    "Wie hat der Dux das nur rausgefunden?", fragte der andere schleppend, und stützte sich grüblerisch auf den Zaun.
    "Der kann das riechen.", meinte der erste, "Der hat klipp-und-klar nen Riecher für Verrat. Sich kaufen zu lassen! Und auch noch von den Elefanten, diesen Halunken, diesen Möchtgerns. Hätten wir ihn nicht abgestochen hätten die das selbst gemacht. Reinen Tisch machen die hinter sich. Mach Dir kein Kopf."
    Er klopfte den anderen auf die Schulter, spuckte verächtlich in die Richtung des Kadavers, und wandte sich zum Gehen. Dabei fiel das Licht der Öllampe in seiner Hand über den Innenhof, entriß eine Regentonne dem Dunkeln, einen Handkarren, zertrampelten Boden, und streifte dann Severus, den die Worte über die Elefanten gerade ein wenig zum Nachdenken gebracht hatten. Mucksmäuschenstill stand er da, wie versteinert, eine Germanen-Statue aus grauem Stein. Und tatsächlich - die beiden gingen einfach an ihm vorbei. Einmal mehr Glück gehabt. Leise heftete der Germane sich an ihre Fersen, folgte in gebührendem Abstand dem Schein des Lichtes, von dem er hoffte, dass es ihn näher an sein Opfer heranführen würde - den Gang entlang, eine Treppe hinauf, und tiefer ins Innere der Insula.

    Und los! Er rieb sich eine Handvoll Dreck ins Gesicht, legte sich einen zerlumpten Mantel um, und ein Tuch, das er vorhin mit billigem Fusel getränkt hatte, so dass es jetzt bis zum Himmel stank. Der Rest von dem sauren Wein war noch in dem Krug, den er nun in die Hand nahm, als er sich aus seinem Versteck begab, und ein Stück in die Gasse dahinter zurückschlich. Dann richtete er sich auf und marschierte ausladenden Schrittes und ziemlich schwankend die Strasse entlang.


    "Wenn Bacchus erst mich heimgesucht,
    Dann schlummern meine Sorgen...",

    sang er dabei mit guter Singstimme aber verwaschen und lallend ein populäres Trinklied vor sich hin, guckte mal in die Sterne, trat mal nach einer Ratte, die nicht schnell genug vor ihm zur Seite huschte,
    "Reich bin ich dann, wie Krö-ö-sus,
    Und singe süße Weisen...."

    Er blieb stehen, trank unkoordiniert aus dem Krug und setzte seinen Weg fort, wohl bewusst, dass der Wächter auf den Sänger süßer Weisen schon aufmerksam geworden war.
    "Bekränzt mit Efeu lieg ich,
    Im Übermute tre-he-t ich.. äh..la la la la
    ah... ja.. Verachtend alles nie-der.
    - Schenk ein! es gilt zu trin-ken!
    La la la la.... Verdammt..."

    Er hatte die Strassenkreuzung an der Insula erreicht. Sein Lied erstarb und mit dem Anschein grosser Verwirrung sah er sich an der Strassenkreuzung um, brummelte vor sich hin, schien erst dann den Wächter zu erblicken.
    "He ho Kamerad!", rief er ihn mit schwerem Zungenschlag an und schlurfte auf ihn zu, zutraulich grinsend.
    "Wo bei allen nackten Nymphen gehts'n hier zur Via Obscura?"
    Verächtlich blickte der Wächter, ein hagerer dunkler Mann, ihm entgegen und machte eine wedelnde Handbewegung.
    "Verpiss Dich Du Suffnase."
    "Pfff... kriegst auch'n Schluck", lallte der Germane und streckte dem Mann grosszügig den angeschlagene Krug entgegen.
    "Reich mir den Becher, Kna-be!", sang er dabei fröhlich weiter, "Na komm schon sei nich so Kamerad, nur ne kleine Auskunft, meine Alte macht mir eh schon die Hölle heiss, Via Obscura, rechts oder links, hm?"
    "Verschwinde.", knurrte der Wächter, wandte demonstrativ das Gesicht von der 'Fahne' ab und griff nach einem Knüppel. Das war der Moment.
    "Aber aber...Viel besser ist es trun-ken..."
    Der Germane wedelte aufdringlich mit dem Krug vor der Nase des Mannes herum, zog mit der anderen unter dem Mantel die Sica. Grob schlug der Wächter ihm den Krug aus der Hand, der zerbrach auf dem Boden. Im selben Moment schnellte die Klinge vor und vergrub sich tief im Brustkorb des Wächters. Rasch presste der Germane ihm die Hand auf den Mund, um sein Todesröcheln zu ersticken.
    "... als tot am Boden lie-gen.", beendete er das Lied.


    Die Augen des Mannes brachen. Severus liess ihn langsam zu Boden sinken und zog die Waffe hervor. Blut quoll hervor. Schnell wischte er die Klinge an der Kleidung des Toten sauber, und zerrte den Leichnam zur Seite, stiess ihn in eine dunkle Nische unter dem Treppenaufgang. Sein zerlumpter Mantel war blutig geworden, er warf ihn ab - er trug ja noch den anderen darunter - und wischte damit das Blut von den Stufen. Auch die Scherben des Kruges trat er zur Seite, hielt kurz angespannt Ausschau ob jemand aufmerksam geworden war. Keiner zu sehen, keiner zu hören.
    Den blutigen Mantel und das stinkende Tuch warf er in die Nische zu dem Leichnam, nahm dem noch ein hübsches blankes Messer und einen handgrossen Schlüssel vom Gürtel, und huschte dann, die Kapuze über den Kopf gezogen, die hölzerne Treppe empor. Da war schon der erste Eingang in die Insula. Er glitt in den dunklen Türbogen. Eine verschlossene Pforte versperrte ihm den Weg. Der Schlüssel passte. Mit einem leise scharrenden Geräusch liess er sich umdrehen. Einen Spalt weit öffnete Severus die Türe und glitt lautlos hinein in die Insula des Arbogastus.

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    "Muse ruft aus Bach und Tale
    Tausend, abertausend Male."



    Ferner hätten die schönen Musen nicht sein können, als in diesem sumpfigen Tal zwischen Quirinal und Esquilin. Trostlose Insulae ragten schwarz in den Himmel, die Strassen waren schlammig und übersät von Abfällen. Ein kalter Wind strich durch die Schluchten zwischen den Häusern, und trieb den Müll vor sich her, in der Nacht, als Severus endlich zuschlagen wollte. Schon seit einer halben Ewigkeit lauerte er in seinem Versteck, im tiefen Schatten hinter einem zusammengebrochenen Karren, und beobachtete den Hintereingang der massigen Insula vor ihm. Insula Batavica hiess das Gemäuer, und war die Residenz des Arbogastus, des berüchtigten Bandenführers der, wenn es nach Severus ging, den nächsten Morgen nicht erleben sollte. Ein Mann ein Wort. Ausserdem winkten Unsummen von Geld.


    Lang genug hatte er in den letzten Nächten das Gebäude beobachtet, um den Rhythmus der Wächter zu kennen. Der, der zur Zeit an dem Aufgang zu der hölzernen Treppenkonstruktion stand, die waghalsig an der Mauer der Insula sich emporhangelte, stand da schon lange, hatte den Umhang um sich geschlungen und gähnte von Zeit zu Zeit. Aber ablösen würde man ihn erst, wenn der Hundsstern die Spitze des Hügels streifte. Severus fragte sich, warum ein Mann, so reich wie Arbogastus, die Geissel des Quirinal, es angeblich war, in solch einem Drecksviertel wohnte. Vielleicht weil sich hier kein Vigil hintraute. Oder solcher Abschaum fühlte sich hier einfach am wohlsten.
    Der Germane griff an seinen Rücken und lockerte vorsichtig die Sica in der Scheide. Wie leicht es gewesen war, trotz des Verbotes an die Waffe zu kommen. Man musste nur wissen wo, und im Ludus gab es einige, die sich nebenher als Sicarii verdingten. Gut war es, dachte der Germane bei sich, dass sein Herr nicht wusste, was in dieser renommierten Gladiatorenschule noch alles so lief.
    Bis an die Zähne war er jetzt bewaffnet, trug verborgen unterm weiten Mantel die Sica, dazu einen Beutel auf den Rücken gebunden, so dass er nicht störte, ausserdem noch ein langes, rasiermesserscharf geschliffenes Schlachtermesser im Gürtel, und Wurfmesser griffbereit unter den Lederschienen an seinen Armen, verdeckt von den langen Ärmeln seiner schäbigen Tunika. Grau in Grau war er gekleidet, verschmolz förmlich mit der dunklen Nacht.
    Der Wächter stand allerdings viel zu frei, um sich an ihn heranzupirschen. Aber Severus hatte sich da schon was überlegt.


    Einmal noch blickte er aufmerksam in alle Richtungen, mit geschärften Sinnen und sog tief die kalte Nachtluft ein. Es stank. Keine Menschenseele war zu sehen. Nur ein paar Ratten wühlten im Müll. Er rieb seine Händen und bewegte die Gelenke, um die Steifigkeit der Kälte daraus zu vertreiben.
    "Wodan, Wallvater...", begann er murmelnd, wollte aus alter Gewohnheit vor dem Kampf den Segen des Rabengottes herbeirufen. Doch halt. Der Erste der Asen hatte mit so was wie hier nichts zu tun. Und überhaupt - Severus würde sich einzig auf sich selbst verlassen müssen. Er lächelte grimmig und spürte, wie das Blut schneller durch seine Adlern floss, er die Kälte der Nacht kaum mehr spürte. Das Wild war da drin, sein Opfer, seine Beute, ein gefährliches Wild, und er würde es zur Strecke bringen. Nie fühlte er sich lebendiger als in solchen Momenten der Jagd.

    Mit unbändiger Verachtung betrachtete der Germane den Römer bei dessen entrüsteter Tirade. Er würdigte ihn keiner Antwort. Doch bei den Worten "an Kreuzen hängend" flackerte eine düstere Glut in seinen Augen auf, und etwas in ihm rastete aus. Seine Lippen wurden schmal, sein Gesicht ganz starr. Dieser Skräling wollte sie ans Kreuz bringen? Nun, dann gab es wohl nur noch eine Möglichkeit.
    Cadhla war vor ihn getreten. Überrascht nahm er zur Kenntnis wie mutig sie versuchte, ihre Gäste zu schützen. Langsam und beiläufig trat der Germane einen Schritt zur Seite, dann noch einen. Und während der Aurelier weiter sprach, während Cadhla ihm den Met in die eine Hand drückte und Fyonha den Honigkringel in die andere, schob er sich langsam noch etwas seitlicher. Jede Faser in ihm war gespannt, lauernd und sprungbereit, jeder Zoll seiner Aufmerksamkeit lag auf dem Römer. Sein erster Griff musste dessen Kehle gelten, damit der Kerl nicht schreien konnte. Dann das Genick brechen oder den Kopf auf den Steinen zerschmettern, die zwischen den Wurzeln des Baumes, auf dem die kleine Tilla gesessen hatte, aus dem Boden ragten.


    Ruhig waren Severus' Augen, verrieten nicht seine Absicht zu töten. Er hatte sich ausserhalb des Blickfeldes der Aureliers geschoben, und suchte nun eindringlich Cadhlas Blick zu erhaschen, die den Römer gerade mit einem Lächeln besänftigen, vielleicht auch in Sicherheit wiegen wollte. Denn sie war die Gastgeberin dieses Festes, und ihr oblag die Entscheidung, ob hier Blut vergossen werden sollte.
    Nur eine ganz minimale Geste vollführte er zu Cadhla, als er ihren Blick auf sich wusste, ein andeutungsweises Deuten mit dem Daumen auf die Kehle, dazu ein fragender Blick auf den Eindringling. Er hoffte, diese beherzte Frau würde verstehen und ihm mit einem Wink die Erlaubnis geben, dieses Problem auf die Weise zu beseitigen, die ihm hier die einzig angebrachte erschien.

    Der heimatliche Geschmack des Mets, der verschworene Kreis um das Feuer, das schöne Mädchen neben ihm - Severus genoss diesen Abend immer mehr. Er grinste über das Feuer zu Aintzane hinüber und prostete ihr zu, trank dann einen langen Zug des herrlichen Mets. Der war zwar nicht so gut wie zu Hause - natürlich nicht - aber unendlich viel besser als der verwässerte Römerwein - natürlich. Das mit Tilla würde er allerdings noch klären müssen - ihm einfach auf den Fuss zu treten, pah - aber nicht jetzt und nicht heute. Wie die Kleine so im Schneidersitz neben Cadhla sass, hatte sie so was niedliches, dass es ihm fast schwerfiel noch böse auf sie zu sein...
    Er nickte ernsthaft als Bridhe ihm die Nüsse zeigte. Ja, er hatte doch gleich gewusst, dass sie über Zaubermacht verfügte, seine Schöne.
    "Ja, natürlich! Lass uns sehen was die Schicksalsweberinnen für uns im Sinn haben."
    Bridhe anlächelnd nahm er gerade eine Nuss aus dem Beutel, als auf einmal unversehens ein weiterer Eindringling am Rande des Feuerkreises erschien. Garms Grimm!
    Der Germane erhob sich und ging, die Nuss noch in der Hand, unerschrocken auf den Mann zu. Nach dessen Gebaren zu schliessen, war das wohl ein Römer, ein Aurelier. Das würde Ärger geben. Ob er ihn besser niederschlagen und mundtot machen sollte?
    Vor dem Römer blieb er stehen und blickte ihm finster ins Gesicht.
    "Dies ist ein Fest zu Ehren unserer Toten und des Wandels der Zeiten.", gab er auf dessen ungehaltene Frage ruhig zur Antwort. "Geh Römer. Lass uns diese Nacht begehen wie es Brauch ist bei unseren Völkern."

    Ein Frösteln überlief ihn bei der Kälte ihres Tonfalls. Ungehalten schnaubend verschränkte er die Arme. Wenn hier einer ein Recht hatte sauer zu sein dann war das doch wohl er! Ein einziger Albtraum dieser Tag!
    "Aha. Nun, Frostprinzessin, dann hast Du hier ja eine grosse Auswahl.", gab er nun auch mit klirrender Kälte und Eiszapfen in der Stimme zurück. Er blickte in das Gewühl der Menschen, und sah haufenweise Stände und Läden die Tuniken oder Schuhe führten. Die würde sie doch hoffentlich nicht alle abklappern wollen... oder?
    Er sagte sich aber, dass er schon schlimmeres durchgestanden hatte. Nein, seine heute-nicht-ganz-so-süsse sollte nicht die Genugtuung haben ihn leiden zu sehen! Er verbannte den gequälten Zug aus seinem Gesicht und stellte sich mit Würde seinem Schicksal für heute, bereit es unerschüttert zu tragen. Vielleicht konnte er ja die Gelegenheit nutzen und gleich einen wasserdichten Sack erwerben. Und Salz.
    Mit einer übertrieben höflichen Handbewegung bedeutete er und wohin bitte die Dame?, um dann loszugehen, und sich unbeirrt in die Menschenmasse zu stürzen. Der Geldbeutel hing an seinem Gürtel unter der langen Paenula, und mit durch das durch das Wiedersehen mit Tilla erneuertem Argwohn behielt er die Umgebung im Auge, wohlwissend wie schnell und unversehens man in Rom seine Sesterzen loswerden konnte. Mit seinen breiten Schultern bahnte der grosse Germane den Weg, so dass Bridhe bequem in seinem Kielwasser folgen konnte, hin zu dem ersten Stand nach der ihr der Sinn stehen mochte.

    Immer besser verstand man sich nun. Der Fremde schien ganz angetan von dem vorgeschlagenen Treffpunkt. Langsam nickte der Germane als der andere sich vorstellte. Der Schächter von Spanien... das war ein beindruckender Titel! Severus beschloss sich beim nächsten Geschäft dieser Art lieber als Die Blonde Bestie vorzustellen, anscheinend durfte man in diesem Milieu sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Er widerholte sich die Liste der Namen im Geiste und prägte sie sich ein. Der Stabmann, das war auch gut... klang fast wie der Titel zu einer dieser spannenden Gaius-Geschichten. Insula Batavica, Quirinal. Damit waren seine Fragen beantwortet. Herzliche Grüsse von den Elefanten.
    Von den 'Elefanten'? Etwas klingelte bei ihm, eine Erinnerung streckte die Hände aus der Dunkelheit empor und wollte an Licht hinauf kriechen. Was war da noch...? Fiel ihm gerade beim besten Willen nicht ein. Aber es hatte definitiv nichts mit den riesenhaften Fabelwesen zu tun, die er einmal auf einer Cena Libera begeistert mit Melonen gefüttert hatte.
    "Gut..." Er wollte jetzt nicht grübeln sondern das Geschäft abschliessen.
    "Alles klor soweit - äh, klar. Herzliche Grüsse von den Elefanten, werd ich ausrichten. Dann bekomm ich jetzt den Teil vom Geld von Dir, und wir sehn uns dann nach getaner Arbeit in einer Woche, Longinus von Vindobona. Hand drauf."
    Er spuckte in selbige und reichte sie dem Stabmann, um den Auftrag wie unter Ehrenmännern üblich mit einem herzhaften Handschlag zu besiegeln.

    Schon von Anfang an hatte dieser Ausflug unter einem schlechten Stern gestanden. Trübe war das Wetter, der Himmel dunkel bewölkt, und als Severus und Bridhe das Trajansforum erreichten, fing es an zu nieseln. Ein beständiger klammer Schleier feiner Regentröpfchen senkte sich vom Himmel herab, überzog alles mit einem kalten Film von Nässe, und trübte die Sicht auf die gewaltigen Bauwerke, die kolossalen Monumente der Ewigen Stadt.
    Alles was das Herz begehrte gab es angeblich auf den Trajansmärkten hier zu kaufen. Schnell traten die beiden in eine der überdachten Passagen zwischen den Läden und Ständen. So leer die Strassen draussen bei dem Wetter waren, so dicht drängten sich nun hier die Leute, Einkaufwillige und Passanten die das Ende des Regens abwarteten.
    Mit einer brüsken Kopfbewegung liess Severus die Kaputze seiner dunkelgrauen Paenula vom Kopf gleiten. Er strich sich mit dem Handrücken ein paar Regentropfen von der Stirn, und sah skeptisch auf die Unzahl feilgebotener Waren an den nächsten Stände, die ihn schon auf den ersten Blick zu erschlagen drohten. Tücher in allen Farben, leuchtend selbst an diesem Regentag, Tuniken aller Arten, seltsam geschnittene, affig gefärbte darunter, und dazwischen die lauten Anpreisungen der Händler, das Geschiebe und Gestosse einkaufswütiger Römer.
    Garms Grimm. Und da sollten sie sich hineinstürzen?


    Skeptisch sah er zu Bridhe. Wortkarg und kühl war er gewesen auf dem Weg, noch immer hing der Streit am frühen Morgen zwischen ihnen wie eine finstere Wolke die ihren Kolleginnen oben am Regenhimmel gut Konkurrenz machen konnte.
    Es kam ihm auch der Gedanke, dass es doch praktisch wäre, wenn man am Eingang zu solchen Einkaufstempeln eine Trinkhalle hinstellen würde, dann könnten die Männer dort, in aller Ruhe und unter sich ausharren, während die Frauen, auch unter sich, ihrem weiblichen Sammlertrieb frönten...
    Aber nein, er musste ja auf Bridhta achten, Rom war schliesslich ein gefährliches Pflaster. Und zum Sachen tragen würde sie ihn wohl auch brauchen. Reserviert erkundigte er sich:
    "Was willst Du denn kaufen?"

    Große Schuld? Befremdet zog er die Brauen zusammen und schüttelte irritiert den Kopf. Nein, einen römischen Halunken abzustechen, das hatte nichts mit Schuld zu tun, das war, wenn man es unter diesem Blickwinkel betrachtete doch wohl eher ein Verdienst! Da hatte er nicht mal den Hauch von Skrupel. Aber womöglich hatte sie da andere Vorstellungen? Er war jedenfalls überaus froh, dass man ihm seine Mordpläne nicht an der Nasenspitze ablesen konnte.
    "Es gibt nichts das Dich umbringen müsste, Bridtha", erwiderte er süffisant. "Du solltest mir lieber trauen anstatt Dir solche Sachen einzureden."
    Auch ihm war das Lächeln vergangen. Ernüchtert hielt er sie in den Armen, war enttäuscht dass sie den Schmuck nicht einmal anrührte, und überhaupt ziemlich ärgerlich, dass sie sich heute morgen für ihn so vollkommen unverständlich gebärdete.
    "Ja, gehen wir", stimmte er brüsk, mit einem knappen Nicken zu, stieß sich vom Fensterbrett ab und setzte sich in Bewegung. Und ihre letzte Ankündigung riss ihn auch nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin.
    "Du sollst mir was besorgen? Aha."
    Das fing ja schon mal gut an...


    >>

    Auf die Füße gesprungen und bereit die armen hilflosen Frauen bis zum letzten zu verteidigen, musste der Germane erkennen, dass dies nicht nötig war. Kein übler Totengeist, kein Draug und auch kein wildgewordener Aurelier sass da oben im Baum. Es war nur die kleine Diebin, die ihn schon wieder an ein Eichhörnchen erinnerte, als sie so flink durchs Geäst kletterte. Oder an ein Kätzchen, dass sich im Baum verstiegen hat und sich nicht mehr herunter traut. Die Frauen lockten sie im Chor. 'Tilla' also.
    Skeptisch beäugte der Germane die kleine Störenfriedin, auf die er noch immer eine wohlverdiente Wut hatte, und trat zum Stamm des Baumes hin. Er hätte nicht übel Lust gehabt, sie herunterzuschütteln wie eine reife Frucht. Aber naja, abgesehen davon dass der Stamm des Baumes dafür zu dick war, hätte sie ihnen dann wohl die Aurelier auf den Hals gehetzt.


    Gute Miene zum bösen Spiel machend, reckte er sich, streckte er ihr die Hand hin, um ihr herunter zu helfen und sie vom Baum auf den Boden zu heben.
    "Komm, kleiner Irrwisch. Kannst mitfeiern."
    Und leise, nur für ihre Ohren bestimmt, raunte er ihr dabei zu:
    "Ich will das Geld wiederhaben. Eine Woche hast Du Zeit."
    Ein unausgesprochenes sonst... schwang düster darin mit, und kalt bohrte sich der Blick seiner graugrünen Augen in ihre dunklen, als er ihr das Ultimatum stellte. Diese durchtriebene Göre sollte wissen, dass er nicht scherzte. So gutmütig er war, ihren Coup und vor allem den Umstand, dass sie ihn so übertölpelt hatte wie einen dummen Thursen, trug er ihr doch nach.


    Einen Moment lang spähte er noch in die Dunkelheit des Gartens, legte den Kopf schräg und lauschte, ob nicht vielleicht noch ein ungebetener Gast mitgekommen war. Er machte ein paar Schritte und hielt Ausschau, doch sonst schien niemand ihre kleine Feier sprengen zu wollen. Ein festlich-freudiges Lächeln zierte wieder seine Züge, als er sich zu den anderen umwandte, keine Spur des Ärgers und der Drohung waren mehr darauf zu erkennen.
    "Zeit für den Met, oder nicht?", grinste er, und begann die Becher allvoll zu schenken und rumzureichen.
    "Auf die Toten! Mögen sie heute mit uns feiern, möge ihr Ruhm nie verklingen. Und mögen die Ungerächten gerächt werden!"
    Er goss den ersten Schluck zu Boden, dann trank er.

    Es kränkte Severus gewaltig, so zur Rede gestellt zu werden. Er schüttelte ihre Hand ab und seine Miene verschloss sich, als er kühl zur Antwort gab:
    "Ganz einfach. Ich hab mir Geld verdient." - er hob die Hand um unwirsch die Nachfrage abzuschmettern - "Hör auf mich auszufragen, Bridtha!"
    Enttäuscht dass das Halsband keinen Anklang fand, sah er hinaus aus dem Fenster, auf das fröhlich bunte Laub und seufzte. Da rackerte man sich ab, und alles was man erntete waren leidige Nachfragen. Frauen!
    "Ja denkst Du denn ich würde was von Aquilius erbetteln um Dir was zu schenken?!"
    Er schüttelte den Kopf, ungläubig und enttäuscht, versuchte dann wieder einen versöhnlicheren Tonfall einzuschlagen.
    "Du sorgst Dich, was? Das musst du nicht, meine Liebste. Das Geschenk ist rechtmässig Dein. Gefällts dir denn nicht?"

    ...und will sich schon verächtlich abwenden, um weiter seines Weges zu gehen, als ihm auf einmal bewusst wird, wie leicht es plötzlich an seinem Gürtel geworden ist. Erschrocken realisiert er: der Beutel ist weg!
    Garms Grimm. Eilig sieht er um sich. Das Mädchen! Gar nicht mehr so elend schaut sie aus wie gerade eben. Ein Messer blitzt in ihrer Hand, spöttisch erweist sie ihm ihre Referenz und schlägt sich ins Getümmel. Na warte!
    Einen derben Fluch auf den Lippen stürzt er hinterher. Das wird die Göre büssen! Doch wo sie geschwind zwischen den Menschen hindurchschlüpft, geschmeidig wie ein kleines Eichhörnchen, muss er sich den Weg durch das Menschengedränge bahnen, wie ein Keiler durch das Dickicht. So hat er sie schnell aus den Augen verloren.
    Wütend bleibt er schliesslich stehen, hustend und ausser Atem, am Fusse einer efeubewachsenen Mauer. Die Kleine ist weg. Übertölpeln lassen hat er sich von ihr, wie der Reifthurse in der Saga vom klugen Skirnir. Zornig über sich selbst, und fluchend über die listige Diebin, macht er sich schliesslich auf den Heimweg. Darauf, Aquilius zu erklären, warum er ohne Buch erscheint, ist er gar nicht scharf. Allerdings kommt ihm, nachdem der erste Zorn verraucht ist, schon auch der Gedanke, dass die Kleine das Geld wahrscheinlich nötiger hat als Aquilius noch ein Buch. Der hat ja schon unzählige, da kommt es auf eines mehr oder weniger wohl nicht so sehr an... Nur dass sie ausgerechnet ihn beklauen musste! Vermaledeite Römerlist!


    ~ Ende der Rückblende ~



    Und wieder verbeugte das Mädchen sich vor ihm. Wutschnaubend machte der Germane eine Bewegung auf sie zu, wollte sie packen und schütteln, doch mahnende Worte klangen ihm auf einmal in den Ohren.
    Ganz ruhig. Keine Katastrophe diesmal. Wir wollen doch einen GUTEN Eindruck machen. Die kleine Sklavin, womöglich die Lieblingssklavin, von Aquilius Auserwählter zu schütteln macht KEINEN guten Eindruck!
    Er verschluckte die Wut, und folgte stumm, als Bridhe geschickt den Weg umlenkte. Die Kleine schien nicht sprechen zu können oder zu wollen, erwies sich ihrem Vorhaben aber als hilfreich. Einen düsteren das-letzte-Wort-ist-noch-nicht-gesprochen-Blick warf er ihr aber zu, als sie so fröhlich schellend davonhüpfte. Ein Irrwisch, ein durchtriebener kleiner Irrwisch war dieses Mädchen. Aber jetzt ging es erst mal in die Culina, und dann zu dem Fest, dass seine Liebste schon so sehnlich erwartete.

    Das Geschenk hatte eine wirklich umwerfende Wirkung. Der Germane lächelte, stolz dass er nun doch etwas angemessenes gefunden hatte. Doch ihr Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht so recht. War das nun Entzücken, Überwältigung oder nicht doch eher - Furcht?
    "Na aus der Stadt natürlich", antwortete er mit einem unbekümmerten und verwegenen Grinsen, "ich wollte etwas dass Deiner würdig ist meine Liebste. - Willst Du es nicht anlegen?"
    Er wollte doch sehen wie sich dieses Brisingamen an ihrem schönen Schwanenhals machen würde. Innig lächelnd blickte er in ihre Augen, die er natürlich unendlich viel schöner als irgendwelche Juwelen fand, und verlor sich einmal wieder in deren Bläue...
    "Und dann können wir ja mal aufbrechen, nicht? Was willst Du denn besorgen?"
    Hoffentlich keine Schuhe!