Beiträge von Rutger Severus

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    "Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer."


    In der Bibliothek. Langsam glitt Severus' Finger über die Zeilen hinweg. Wort für Wort entzifferte er mühsam, entriss es den toten schwarzen Zeichen auf dem Pergament, murmelte es vor sich hin, suchte die richtige Aussprache bis er verstand was es bedeutete. Worte fügten sich zu Sätzen, stockend und mühsam.


    "Es war-en einmal fünf weisse... nein.... weise... Gelee... Ge.... leer?....Gelehrte, ach so... Sie alle wa-ren blind. Diese Ge-lehr-ten wurden von ihrem.... Kö-nig - Kunigaz... - auf eine... Reise ge-schickt und sollten herausfinden, was ein E-le-fant ist. Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach in... die... - was? nach oder in? - ...in-di-en."


    Ach ja, das Land. Severus sah von dem Pergament auf und blickte über die Regale und Schriftrollen der Bibliothek zu der grossen Weltkarte an der Wand, zwischen den Büsten zweier strenger bärtiger Herren. Das war ein Land Indien verzeichnet, ein grosses Reich weit im Osten.
    Der Germane rieb sich die Augen. Lesen war wirklich verdammt anstrengend. Er sah hinaus durch die grossen Fenster. Ein wechselhafter Tag war es, vorhin war ein Regenschauer niedergegangen, jetzt stand wieder eine blasse Sonne am Himmel, schien durch den Dunst wie durch Milchglas. Es war noch früh am Vormittag. Das Training im Ludus hatte er heute geschwänzt, denn er musste unbedingt Nachforschungen anstellen. An der Sache mit den Elefanten war mehr dran als er zuerst gedacht hatte, und es hatte möglicherweise sogar etwas mit den Flaviern zu tun. Ausserdem lenkten ihn diese Nachforschungen hervorragend von seinen trüben, sehr trüben Gedanken zum Thema Frauen im Allgemeinen und ganz speziell im Besonderen ab. Und wieder vergrub er sich in der Schriftrolle und entzifferte hartnäckig, Stück für Stück, die Fabel von den fünf Gelehrten, die den Elefanten alle ganz unterschiedlich gesehen, nein wahrgenommen hatten, bis zum Ende.


    "Die Ge-lehr-ten senkten besch...beschää...besch-ämt - ach 'beschämt'! - ihren Kopf, nachdem sie er-kan-nten, daß jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten... ertastet hatte und sie sich zu schnell damit... zu-frie-den...ge-ge-ben hatten....puh...."


    Eine seltsame Geschichte. Es erinnerte Severus irgendwie an das merkwürdige Thema Erfahrungs-Erlebnis-Horizont, über das er manchmal noch nachdachte. Grübelnd stützte er den strohblonden Kopf, dem man all diese tiefsinnigen Gedanken gar nicht ansah, in die schwielige Hand und überlegte, welche Weisheit in der Geschichte verborgen war. Aber er verfing sich immer an der Frage: Warum hatte der König ausgerechnet blinde Gelehrte losgeschickt? Und wenn der König es schon gewusst hatte, wie ein Elefant aussah, warum hatte er sie überhaupt ausgesandt? Um ihnen klarzumachen, dass man sich nicht mit dem ersten Eindruck begnügen sollte? Oder vielleicht um ihnen zu zeigen dass er sowieso alles besser wusste. Musste ein Römer gewesen sein, dieser verschlagene König, der um so viele Ecken herumdachte...


    Ja, interessant, aber leider half es ihm nicht weiter. Er stand auf und trug die Schriftrolle zurück zu Mago, dem alten Bibliothekar, der gerade penibel seine Schreibrohre sortierte - nach Länge, Dicke und Typ, in akkuraten Reihen auf dem Schreibpult. Severus hielt den bärbeissigen alten Mann für einen wahren Weisen, und hatte sich deshalb hilfesuchend zuerst mal an ihn gewandt.
    "Werter Mago, in dieser Schrift geht es um echte Elefanten. Ich meinte aber doch Menschen, die sich als Elefanten bezeichnen. Eine Vereinigung, Bande oder Gefolgschaft."
    "Warum sagst Du das nicht gleich, hm?! Hm?! Immer diese Leser, die nicht wissen was sie wollen."
    Ungnädig fixierte der Bibliothekar den Germanen.
    "Aber ich habe das doch gesagt."
    Ein knochiger Finger wackelte erbost hin und her.
    "Wiedersprich mir nicht, junger Mann."
    Dann furchte sich die hohe Stirn des Bibliothekars.
    "Das war doch was... einmal hat da etwas in darüber der Acta Diurna gestanden. Im Bezug auf Hispania."
    Er zeigte auf eine Kiste, in der sich die Abschriften der Imperialen Zeitung stapelten.
    "Die kannst Du Dir einmal durchsehen. Oder frag die Domina Flavia Minervina, sie soll angeblich deren Bekanntschaft gemacht haben. Aber sieh Dich vor und hüte Deine Zunge vor der Domina, junger Germane, Renitenz kann Dich da schnell den Kopf kosten."
    Das war ja geradezu rührend wie der kauzige alte Mann ihn warnte. Er schien doch einen weichen Kern zu haben. Severus nickte.
    "Ich hatte dieses Gerücht auch schon mal gehört. Aber Flavia Minervina ist nicht in der Villa zur Zeit."
    "Hm... Anfang des Jahres war diese Geschichte", murmelte Mago, dessen Ehrgeiz Auskunft zu geben langsam wach wurde. "Da warst Du eingesperrt, was?"
    "Mhm."
    "Kannst Du also nicht wissen... Aber Hannibal und Sciurus sind damals nach Hispania gereist - gemeinsam, die beiden, wo sie doch wie Katz und Hund sind..." - der Bibliothekar gab einen trockenen, brüchigen Lachlaut von sich - "...und mit der Domina Flavia Minervina wieder zurückgekommen. Ich an Deiner Stelle würde da mal nachfragen. - Und jetzt stör mich nicht weiter, ich habe zu Arbeiten."


    Der befremdliche Anflug von Heiterkeit war vorüber und Mago wandte sich wieder seinen Schreibutensilien zu, und dann dem Katalog der Bibliothek, den er minutiös (und für nicht Eingeweihte vollkommen unverständlich) führte.
    Hannibal oder Sciurus... Keine schwere Entscheidung. Aber da er nun schon mal hier war, und die Luft in der Bibliothek auch gerade Flavier-rein war, wandte Severus sich erst mal den Acta-Stapeln zu. Er ging sie der Reihe nach durch und suchte immer unter 'Hispania' nach dem Wort 'Elefanten'. Eine wahre Tortur war das. Nein, soviel Lesen konnte einfach nicht gesund sein. Sein Kopf schmerzte, seine Nase juckte und die Buchstaben tanzten schon vor seinen Augen, als er dann schliesslich doch fündig wurde. ELEFANTEN stand da, schwarz auf weiss. Na endlich. Er stibitzte sich das Blatt, und begab sich hinaus in den Garten, um es an der frischen Luft in aller Ruhe zu lesen.

    "Moschus."
    Der Name war ihm wieder eingefallen. Er spuckte ihn aus wie ein verdorbenes Stück Fleisch.
    "Das passt gar nicht zu Dir meine Süsse... Zu Dir passt viel eher etwas leichteres... unschuldigeres... der Duft von Sommerblumen... oder der Geruch frisch geschnittenen Grases..."
    Er griff nach Bridhes Schultern, und hielt sie fest, liess es nicht zu dass sie vor ihm zurückwich. Jede Heiterkeit war aus seinem Gesicht gewichen.
    "Merk Dir eins." Seine Stimme war leise, erfüllt von bebendem Zorn. "Ich bin Dir keine Rechenschaft schuldig, mein Herz. Du gebärdest Dich undankbar und voller... seltsamer Launen. Das reicht jetzt!"
    Schwer hing der Geruch ihm in der Nase, schien ihn gar nicht mehr loslassen zu wollen. Warum nur schmierte man sich mit sowas ein? Ihm war als wolle es ihm den Atem rauben, und mehr und mehr stieg Argwohn in ihm auf. Er dachte an den Samhainabend, als Bridhta sich dem Römer in die Arme geworfen hatte. Er dachte an all die Nächte, die sie im Bett des Flaviers verbracht hatte, und an die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war.
    "Du willst es also wirklich wissen, ja?", widerholte er nachdenklich. Eisenhart war sein Griff um Bridhes Schultern, und ein unstetes Flackern hielt in seinen Blick Einzug, als er sie anstarrte. Seine Züge waren hart und kalt geworden.
    "Frage um Frage, Antwort um Antwort Bridtha Schmiedstochter. Willst Du wissen woher das Geschmeide stammt, so sage auch Du mir die Wahrheit. - Bist Du mir treu?"

    So viele Fragen.
    "Bridtha, ich hab Dir doch gesagt, in zwei Tagen kann ich Dir erst mehr sagen.", antwortete Severus bemüht ruhig.
    "Und nein, ich werde nicht einfach so abhauen. Ich schulde diesem verdammten Römer Treue, auch wenn er es weder verdient noch etwas damit anzufangen weiss."
    Er zog sie näher, und beugte sich schon vor, ihre Lippen suchend, als sie auf einmal wieder mit dem Halsreif anfing. Severus stockte in der Bewegung.
    "Der ist ein Geschenk, min Skaz. Da fragt man nicht 'wie hast Du es bezahlt'.", erwiderte er dann, ein zorniges Blitzen in den Augen. "Freu Dich daran oder lass es bleiben aber hör mal auf mir ständig Löcher in den Bauch zu fragen!"
    Mit einem Ruck zog er Bridhe unerbittlich an sich heran.
    "Ich weiss da ausserdem eine viel bessere Beschäftigung.", hauchte er ihr ins Gesicht und presste gierig seine Lippen auf ihre. Zorn lag in diesem Kuss, und der urtümliche Hunger, der in dieser Nacht beim Jagen und Töten in ihm erwacht war. Hitzig schmolz er ihre Lippen mit der Zunge auf, drang in ihren Mund vor und verbiss sich lustvoll in ihrer Unterlippe.
    Doch unangenehm stieg ihm ein Geruch in die Nase, ein Duft mit einer tierischen Note, künstlich und aufdringlich in Severus' Nase. Ein Geruch den Aquilius manchmal an sich hatte.
    Der Germane krauste die Nase und wich ein Stück zurück, leckte sich über die Lippen auf denen das Echo des Kusses noch brannte. Wie ein Tier schnupperte er an Bridhes Hals, dann an ihrem Haar.
    "Du riechst nach Aquilius."

    "Ich hatte bloss ne kleine Auseinandersetzung.", erklärte Severus, lächelte grimmig und sehr zufrieden, als er an seine erfolgreiche Jagd zurückdachte. Verwundert legte er dann den Kopf schief - warum machte Bridhta denn so viel Aufhebens um eine harmlose Fleischwunde? Sie weinte ja beinahe. Das fand er übertrieben - aber schon auch schmeichelhaft.
    "Aber Bridtha - ich werd's überleben.", grinste er, wurde dann wieder erst. Sie wollte sich mit ihm versöhnen? Sie wollte wieder vernünftig sein? Er nickte. Das war ganz in seinem Sinne.
    Er setzte sich auf den Rand eines umgedrehtem Zubers, und liess bereitwillig Bridhe die Wunde versorgen. Frauen hatten ja von Natur aus ein Händchen für so was. Er biss die Zähne aufeinander, seine Wangenmuskeln spannten sich an und sein Blick wurde starr, ansonsten liess er sich während der Prozedur nichts anmerken. Nur Skrälinge zeigten ihren Schmerz, und er hatte wahrlich schon schlimmeres erlebt, wie seine Narben bezeugten.


    "Es ist so", begann er dann zu erklären, "ich bin da an einer Sache dran, die sehr ... vorteilhaft für uns sein könnte. Weisst Du, ich hab es so satt hier den Wachhund zu spielen, für dieses grosskotzige, degenerierte Römerpack... vielleicht ist das ein Ausweg. Oder jedenfalls der Anfang eines Ausweges, für uns beide natürlich. Aber ich weiss noch nicht genau. Übermorgen kann ich Dir mehr sagen, meine Süsse."
    Er steckte die Hand aus, berührte sanft Bridhes Haar, spreizte dann die Finger und strich geniesserisch durch die dunkle volle Flut. Kurz spielte er mit einer einzelnen lockigen Strähne, dann langte seine Hand in ihrem Nacken an, wo sie warm und rauh verharrte.
    "Bridtha min Skaz, lass uns wieder vertragen. Aber mach mir nicht nochmal Vorschriften was ich anziehen soll, ja?"
    Der Druck seiner Hand verstärkte sich. Sein wölfisches Lächeln trat zutage, spielte unbeschwert um seine Mundwinkel, und tief sah er Bridhe in die Augen, während er sie langsam aber bestimmt näher an sich heranzog.

    "Caeleste", wiederholte Severus lächelnd, "die Himmlische, wie passend. Sag, bist Du nordischer Herkunft?"
    Einen Akzent konnte er zwar nicht heraushören, aber so schönes Blondhaar gedieh doch gewiss nicht hier im Süden. Er lehnte sich behaglich gegen den Rand des Verkaufstisches, und liess nicht davon ab, die süsse Kleine zu mustern, so als ob er gleich den Rachen aufreissen und sie ganz und gar verschlingen wollte.
    Wie niedlich war doch ihre Verlegenheit. So harmlos mit einem netten Mädchen zu flirten tat ihm, nach dem ganzen Ärger, richtig gut. Und offenbar stand sie auf ihn! Ja, es zeigte sich eben immer wieder, dass die Mädels, die nur die verweichlichten Stadtrömer kannten, dem rauhen Charme eines wahren Mannes einfach nicht widerstehen konnten. Dann allerdings glitt ein Schatten über sein Gesicht, bei der Frage nach dem Namen.
    "Nicht mein Wahrer Name, aber doch mein Name", entgegnete er leichthin, so als wäre es eine kleine Rätselfrage.
    "Und was führt Dich hier auf den Markt, Caeleste?"


    Aber schon im nächsten Moment prallte auf einmal ein irgend so ein Trampel gegen ihn.
    "Tölpel."
    Unwirsch entfernte der Germane die vertraulich klopfende Hand von seiner Schulter, und gab dem Kerl einen Stoss von sich weg, als der sich arg überschwänglich entschuldigte, plapperte, und schier nicht weichen wollte.
    "Verzieh Dich!", knurrte der Germane, und wollte sich wieder seiner reizenden Bekanntschaft zuwenden. In dem Moment tauchte allerdings Bridhe auf und wollte Geld. Brr, dieser Tonfalls war ja ganz entsetzlich. Kommentarlos griff er nach dem Beutel an seinem Gürtel. Und griff ins Leere. Tastete...
    Da war nichts mehr. Verdammt. Erst vor kurzem hatte ihn ein junges Mädchen, Tilla, übertölpelt und bestohlen. Und jetzt hatte man ihn schon wieder beklaut!
    "Garms Grimm!", fluchte der Germane empört. Der Mann von gerade eben, natürlich! Zornig wandte er sich in die Richtung, in die der Kerl sich davongemacht hatte, und spähte über die Köpfe der Menschenmenge. Nur ein paar Augenblicke waren seit dem Zusammenstoss vergangen, und tatsächlich sah er noch kurz dessen schwarzen Schopf, als der Mann durch einen der Bogengänge am Rande der Halle den Markt verliess.


    "Haltet den Dieb!", brüllte Severus wutentbrannt.
    "Aus dem mach ich Kleinholz", gelobte er grimmig, warf die Tuniken zurück auf die Auslage und setzte dem Dieb nach, ohne sich noch mal zu den beiden Frauen umzudrehen. Rabiat bahnte er sich den Weg durch die Menge, rannte dem Übeltäter geschwind hinterher. Aufruhr entstand nach seinem Ruf, Menschen fassten erschrocken an ihre Börsen, andere schlossen sich johlend der Hatz an.
    Mordlust stand in Severus' Augen, als er durch den besagten Bogengang hinaus aus der Halle schoss, und mit einem grossen Satz über die nassen, glitschigen Stufen setzte. Eine schmale Seitengasse lag vor ihm, ziemlich lang, doch es war niemand zu sehen. Vielleicht war der Dieb irgendwo abgebogen. Oder hatte sich versteckt.
    Der Regen war stärker geworden inzwischen, er fiel in dicken Tropfen platschend in den Schlamm der Gasse. Severus verlangsamte seine Schritte und sah sich aufmerksam in alle Richtungen um, die Sinne geschärft. Den Bastard würde er grün und blau schlagen, wenn er ihn erwischte!
    Er ballte die schwielige Faust dass es knackte, dann verweilte sein Blick auf dem Boden. Hmm... waren das nicht ganz frische Fussabdrücke da im Schlamm? Ihnen folgend bog er in die Nische zwischen zwei Häusern ein, angespannt, bereit, jeden Moment loszuschlagen...

    "In Ordnung", stimmte Severus schliesslich zu, riss seinen Blick von ihren Augen los, und löste seinen Arm von ihrem. Hier draussen war es wirklich zu dunkel, ausserdem fror er in der klatschnassen Tunika ganz erbärmlich.
    "Aber mach bitte keinen Aufruhr. Das gibt bloss Sklaventratsch."
    Er schöpfte einen Eimer Wasser und kippte ihn über die Steine neben der Zisterne um etwaige Blutspuren wegzuspülen, und dann noch einen zweiten, um ihn mit ins Haus zu nehmen. Schweigend ging er über den Hof und hinein in den Sklaventrakt. Aus einer Nische in der Wand griff er eine Öllampe, und begab sich direkt in das Balneum servorum, glücklicherweise ohne dabei einem der Hausbewohner zu begegnen.
    Dort angekommen stellte er den Eimer auf den steinernen Boden, die Öllampe auf ein Bord. Dem Umhang legte er ab, warf ihn über den Rand des leeren Zubers, zog sich dann die Tunika über den Kopf. Eine gut fingerlange Schnittwunde kam zum Vorschein, die sich schräg, ein wenig gebogen, über die rechte Seite seines Brustkorbs zog. Geronnenes Blut klebte an den Rändern, und frisches sickerte nach, glänzte tiefrot im Lampenschein. Severus biss die Zähne zusammen und griff nach den Wundrändern, spreizte sie mit der linken Hand, um zu sehen wie tief der Schnitt war. Kurz war auch die rote Bisspur an seiner Hand direkt im Licht, dann zog er sie zurück und meinte beruhigend zu Bridhe:
    "Siehst Du, es ist nichts."
    Jetzt erst sah er wirklich, wie apart das Kleinod sich um ihrem Schwanenhals schmiegte. Matt glänzte das Gold, tiefblau funkelten die Saphire auf ihrer schneeigen Haut. Dazu das hochgesteckte Haar, die hübsche Tunika. Schön. Würdig der Braut eines Drichtensohnes wäre ihre Erscheinung gewesen - wäre. Sie war nicht seine Braut und er war nur noch ein Sklave. Er fragte sich was in ihr vorgehen mochte.
    "Warum hast Du es angelegt?"

    Um eine gute Anwort verlegen, auf die Frage was er da machte, schwieg Severus lieber, während Bridhta zielstrebig auf ihn zukam. Ihre Berührung, so vertraut als ob der Streit nie gewesen wäre, kam unerwartet; er presste die Lippen zusammen, und griff nach ihrer Hand, um sie davon abzuhalten, unter den Umhang zu gleiten, aber es war schon zu spät. Ganz kurz zuckte er zusammen, als sie den Schnitt streifte, und seine Nasenflügel bebten, als er ein wenig schärfer die Luft einsog, dann hatte er sich wieder im Griff. Unschlüssig was er sagen sollte hielt er ihre Hand, deren Fingerkuppen dunkel benetzt waren, und war einen Moment lang seltsam froh wie besorgt ihre Stimme klang. Wenn sie wegen ein bisschen Blut gleich solche Angst um ihn hatte, dann war ja noch nicht alles verloren.
    "Keine Sorge, ist nur ein Kratzer, wirklich.", wehrte er mit rauher Stimme ab und zuckte wegwerfend die Schultern. Dann verharrte sein Blick auf ihrem Hals, und Erstaunen spiegelte sich in seinen Zügen. Sie trug das Geschmeide!
    "Steht Dir gut", murmelte er - ehrlich, obwohl man in der Dunkelheit nicht viel sehen konnte - und verzog einen Mundwinkel zu einem halben, fragenden Lächeln. Unverwandt sah er ihr in die Augen, hielt noch immer ihre Hand fest, und rührte sich nicht. Nur zwei Handbreit kalte Nachtluft war zwischen ihnen, aber die schienen ihm zu einem gefährlichen Niemandsland geworden zu sein - ähnlich dem Weg durch ein Moor, wo der feste Grund jeden Moment sich als trügerisch erweisen und den Wanderer verschlingen konnte - und er wagte es nicht, sie zu überwinden. Auch wenn er es gerne getan hätte.

    "Bridtha? Was machst Du denn mitten in der Nacht hier draussen...?", fragte Severus unschuldig, und zermarterte sich das Hirn, was es für gute Gründe gab, was er mitten in der Nacht hier draussen machte. Nackt an der Zisterne. Mit gemischten Gefühlen, aber vor allem angespannt, sah er zu ihr hinüber. Ihre Gestalt war von ihm aus nur ein Schemen, ihr Gesicht ein etwas hellerer Fleck in der dunklen Nacht.
    Er wandte sich zur Seite, damit sie die Wunde an seiner Brust nicht sah, und wrang die Tunika aus, zog sie sich dann schnell wieder über. Eiskalt klebte das nasse Ding an ihm. Nur an der Brust, wo das hervorsickernde Blut gleich wieder den grauen Stoff tränkte, da war es warm. Severus legte sich den zerschlissenen Umhang über die Schulter, um diesen dunklen, sich langsam ausbreitenden Fleck zu verdecken, und erhob sich, blieb gegen die Zisterne gelehnt stehen, und sah Bridhe ruhig entgegen. Jetzt hiess es ganz natürlich bleiben.

    Trotz des langen Vorgeplänkels überraschte ihn Bridhes Ausbruch. Automatisch fing er die zugeworfenen Tuniken auf, sah ihr dann völlig perplex nach, wie sie davonstolzierte.
    "Frauen...", murmelte er verständnislos in seinen (Dreitage-)Bart, schüttelte den Kopf. Diese Hallen voller Warenüberfluss, der Streit und dieser ganze Tag überhaupt, machten ihm langsam Kopfschmerzen. Etwas das er sonst gar nicht kannte. Er verspürte den Drang nach frischer Luft, nach Wald, nach Raum um sich herum.
    Bestimmt wollte sie, dass er ihr nachlief. Aber da hatte sie sich geschnitten! Sie würde schon wiederkommen, spätestens wenn sie wieder etwas wollte. Denn er hatte das Geld, und war auch wirklich froh darüber, dass er es vorhin gleich an sich genommen hatte.


    Überrascht blickte er auf die Blonde von eben, als die auf einmal neben ihm stand. Eine sanfte Stimme, ein freundliches Lächeln. Wie wohltuend. Er lächelte - noch immer etwas gequält - zurück.
    "Ja genau. Du hast genau recht.", stimmte er zu, erleichtert über diesen Zuspruch. Er nahm die Tunika, die sie vorgeschlagen hatte, in die Hand. Ja, die ging. Oder die darunter - sie war olivgrün, schön warm, und hatte nur eine dezente dunkle Borte. Er hielt sie sich vor und sah seine Beraterin fragend an.
    "Geht, oder?"
    Kurzentschlossen legte er das Kleidungsstück zu den beiden anderen über den Arm. Er machte der Verkäuferin ein Zeichen - sie war aber gerade noch woanders beschäftigt - und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder der süssen Blonden zu.
    "Hab Dank für die Beratung. Bei so viel Auswahl..."
    Er machte eine Geste, die die Gesamtheit dieses Einkaufstempels umfasste, grinste dann schief und musterte das Mädchen ein bisschen eingehender. Und grinste noch ein bisschen breiter. Ein kräftiges Gebiss kam zum Vorschein, und etwas Wölfisches trat in seinem Blick zutage.
    "Dein Haar ist wie Gold. Es gleisst und leuchtet an einem trüben Tag wie diesem. Ich werde Severus genannt. Wie heisst Du?"

    Argwöhnisch biss Severus in das Gold. Ja, war echt. Unter seiner schmuddeligen Oberfläche schien dieser Longinus ein vermögender Mann zu sein. Damit waren der Worte genug getan. Er nickte entschlossen, liess das Geld unter seinem Umhang verschwinden, und dann gingen die beiden Galgenvögel, die der Zufall zusammengeführt, und eine fixe Idee zu Geschäftspartnern gemacht hatte, wieder auseinander - einer zufriedener als der andere.
    Severus lächelte. Jetzt konnte er Bridtha endlich eine Morgengabe kaufen. Allein nur mit dem Vorschuss! Hätte er gewusst was daraus entstehen würde, so hätte er das Gold wahrscheinlich lieber im hohen Bogen in den Tiber geworfen. Aber da er es nun mal nicht wusste, schlug er ohne Zögern den Weg zu einem Schmuckhändler (und -hehler) nahe des Argiletum ein, und konnte dort tatsächlich ein schönes Stück für seine Liebste erstehen. Ein wahres Brisingamen. Er freute sich schon auf den nächsten Morgen, wo er es ihr dann überreichen würde.


    2.Akt: Eine Sica im Dunkeln
    3.Akt: Nach dem Mord
    4.Akt: Recherche...
    5.Akt : Es wird abgerechnet

    Draussen ertönten Getrappel und Stimmen, und es wurde hektisch gegen die Türe gepocht. Schnell schlug Severus die grausige Trophäe in ein Tuch ein. Er öffnete den Ledersack auf seinem Rücken, zog ein Seil hervor, und verstaute dafür den Kopf darin. Dann stiess er die Fensterläden auf, sah hinaus auf die menschenleere Strasse tief unter ihm, und liess ein Seilende hinausfallen. Es rollte sich auf, reichte aber nicht ganz hinab. Das andere Ende knotete er gerade um einen massiven Schrank, als er urplötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel sah. Instinktiv warf er sich zur Seite, so dass die Sica des Arbogastes, geschwungen von der jungen Frau, nur seine Brust ritzte, anstatt ihm zwischen die Rippen zu fahren, wie das wohl beabsichtigt gewesen war.
    "Schlampe!", fluchte Severus, als er den brennenden Schmerz spürte, rechts seitlich an der Brust, wo sie ihn erwischt hatte. Ein Riss klaffte in seiner Tunika, darunter hatte er einen ordentlich blutenden Schnitt davongetragen. Verdammt, sein Fehler, hätte er mal besser auf das Mädel geachtet. Still und leise mußte sie aus der Ohnmacht erwacht sein. Oder hatte sie die nur geheuchelt?
    Es wurde gegen die Türe gehämmert, dann stieß von Außen etwas schweres dagegen. Ein Riss zog sich durch das Holz. Schnell jetzt!
    Sica voran stürzte er sich auf die mutige - oder dumme - junge Frau. Hell stiessen die Klingen zusammen. Mit brutaler Kraft schlug er ihr die Waffe aus der Hand. Sie wich zurück, bis sie an die Wand stiess und nicht mehr weiter konnte.
    "Nein", flehte sie, "bitte nicht!", aber ohne Gnade holte er aus, wollte ein Ende machen. Sie hatte ihn angegriffen, da hatte er keine Skrupel mehr, und zudem war sie nur eine Römerin. Gross und dunkel waren die Augen in ihren blassen Gesicht. Die zarten Züge. Das dunkle Haar. Als würde sich ein Bild über das andere schieben, wandelte sich auf einmal ihr Gesicht. Nun sah ihm Arrecina entgegen, traurig und leer. Er starrte sie an, vollkommen erschüttert, und hielt inne. Die Sica sank herab. Arrecina...


    Das Bersten der Türe brach seine Starre. Männer strömten in den Raum, viel zu viele um sich den Weg freizukämpfen. Severus machte einen Satz zum Fenster, packte das Seil und schwang sich hinaus. Hand über Hand liess er sich hinuntergleiten. Ein Messer flog ganz dicht an ihm vorbei, ein anderes zerfetzte ihm den Umhang. Immer schneller rutschte er das Seil hinab, seine Handflächen glühten von den rauhen Fasern, und dann fiel er plötzlich - mit dem Seil, sie mussten es durchgeschnitten haben - und landete unsanft im Dreck des Gosse. Zum Glück war er nicht weit gefallen. Alles schien noch dran zu sein. Über sich sah er den Nachthimmel, über den schnell die Wolken trieben. In der Insula waren viele Fenster hell geworden, laute Rufe und Flüche ertönten. Natürlich verfolgten sie ihn. Severus rappelte sich auf und stürzte in die nächste Gasse hinein. Durch ein Gewirr von schmalen Strassen und Gässchen, Treppen und Höfen rannte er, auf seiner wilden Flucht, bis er schliesslich unter einer Brücke haltmachte und lauschte - keine Verfolger waren mehr zu hören.
    Er hatte es geschafft! Er hatte die Beute erjagt und zur Strecke gebracht. Wilde Freude erfüllte ihn. Arbogastus, Geissel des Quirinal war Geschichte, und wenn alles gut lief würde er schon bald ein reicher Mann sein. Vielleicht sogar bald wieder ein freier Mann... Mit einem Fetzen verband er sich den Schnitt an der Brust, klopfte sich den Dreck ab, wischte die Sica sauber, und rückte den Umhang so, dass er die Blutflecken verbarg. Dann machte er sich auf den Rückweg durch die schlafende Stadt.


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    "… die Kleinigkeiten, die Kleinigkeiten, die sind die Hauptsache!
    Gerade diese Kleinigkeiten verderben immer alles … "


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    Still und heimlich durch das Gartentörchen stahl Severus sich in die Villa zurück, nachdem er die Zeugnisse seines Mordes - den abgeschnittenen Kopf und die Waffen - in einem Versteck am Tiberufer, nahe des geplanten Treffpunktes mit dem Stabmann, gelassen hatte. Es hätte zu Missverständnissen führen können, wenn jemand den Kopf des Arbogastus in der Villa Flavia gefunden hätte, und er wollte ja schliesslich weder erwischt werden noch jemanden in seine zwielichten Aktivitäten mit hineinziehen.
    Windig und kalt war es, und auch der adrette und gezähmte Garten der Villa atmete in dieser finsteren Nacht eine Art von Wildheit. Der Wind pfiff durchs Geäst, rüttelte die Zweige und bog knarzend die Wipfel der Bäume. Es wisperte im Gesträuch, und ungestüm griff der Wind auch in Severus' Haar und zauste es, während der Germane das versteckte kleine Törchen, durch das er gekommen war, sorgfältig wieder verschloss, und den Schlüssel gut verstaute. Den hatte ihm der Gärtner für einen horrenden Preis ausgeliehen. Ja, wenn man Geld hatte, taten sich auf einmal ganz neue Möglichkeiten auf. Für seine nächtlichen Aktivitäten war das jedenfalls eine wichtige Voraussetzung gewesen, und er hatte diese Pforte in den letzten Nächten weidlich genutzt. Jetzt, wo der Auftrag erledigt war, würde er hoffentlich wieder etwas mehr Schlaf bekommen.
    Oder nein - ganz erledigt war es natürlich erst wenn er das Geld in der Hand hielt. Und ein paar Sachen nachforschen musste er auch noch... Aber morgen. Alles morgen.


    Leisen Schrittes ging er durch den Garten, hin zu der Zisterne neben den Stallungen. Langsam ebbte die fiebrige, alles verdrängende Freude der Jagd in ihm ab, und liess Raum für andere Gedanken. Mit Bridtha lief es nicht gut. Eigentlich hatte er diese ganze Sache doch nur begonnen, um ihr eine gebührende Morgengabe zu schenken, dann hatte es sich ausgeweitet, und jetzt schien es ihm, dass sie sich gerade deswegen immer weiter voneinander entfernten. Seit dem Streit hatten sie nicht mehr richtig miteinander geredet, er war ja auch immer so beschäftigt gewesen. Aber morgen würde alles vorbei sein, er würde das Geld in den Händen halten, und sie würde hoffentlich verstehen...
    Er stemmte den Deckel der Zisterne auf. Dunkel lag die Oberfläche des Wasser unter ihm, und noch etwas schwärzer zeichnete sich sein Umriss darauf ab. Severus legte die Hände auf den steinernen Rand und sah auf sein Spiegelbild. Ein Schatten nur, tiefschwarz und leer wie der Abgrund, der immer wieder nach ihm greifen wollte. Eine hohle Form. Was war von ihm eigentlich noch übrig, was von dem was er jetzt war, war noch er... Wie gebannt beugte sich vor, immer näher an die ölig schimmernde Schwärze heran. Dann ging ein Windstoss durch den Garten, kräuselte die Oberfläche, und liess sein Spiegelbild in Wellen auseinanderfliessen.
    Severus richtete sich auf. Müssiges Grübeln. Er schöpfte sich einen Eimer Wasser, legte den Umhang ab, auch die blutbefleckte Tunika. Der grobe Fetzen, den er sich um die Brust gebunden hatte, war von getrocknetem Blut durchtränkt. Mit zusammengebissenen Zähnen riss er ihn ab, worauf der Schnitt wieder leicht zu bluten begann. Er wusch sich das Blut ab, wrang auch die blutige Tunika im Wasser aus, und riss gerade einen Streifen davon ab, um sich den Schlenz erneut zu verbinden, als ein Geräusch, vom Hof her, ihn aufhorchen liess. Garms Grimm. Da war jemand...

    "Halt still.", knurrte Severus, und hielt die zappelnde Frau in eisernem Griff. Er zerrte sie mit sich in das Zimmer, stiess hinter sich die Türe mit dem Fuss zu, und fand sich in einem opulenten Schlafgemach. Stickig war es in dem Raum. Die Fensterläden waren geschlossen. Viele Öllampen brannten, und beleuchteten das breite Bett, wo zwischen zerwühlten Laken Arbogastus, Geissel des Quirinal, gerade eine Sica unter dem Kopfkissen hervorfischte. Es musste Arbogastus sein, die Visage war von oben bis unten zernarbt, genauso wie der Stabmann es beschrieben hatte. Kalt wandte er die kantigen Züge zu Severus, und schien durch dessen Auftritt nicht allzu sehr beunruhigt zu sein.
    "Ungebetener Besuch. Das schätze ich gar nicht."
    "Messer loslassen", befahl Severus, und setzte der Frau seine Sica an die Kehle, "oder ich schlitze deinem Liebchen die zarte Kehle auf."
    Doch unbeeindruckt stieg der Bandenführer aus dem Bett, und kam splitternackt und selbstsicher, die Waffe in der Hand, auf den Germanen zu. Verdammt! Eigentlich wollte er diese Drohung doch gar nicht wahrmachen.
    "Du Unhold!", kreischte die zitternde Frau - wobei Severus nicht wusste, ob sie ihn oder Arbogastus damit meinte - und brach ohnmächtig in seinen Armen zusammen. Puh! Er warf ihren zierlichen Körper seinem Gegner einfach entgegen, und schob, in dem dadurch gewonnenen Moment hastig den schweren Riegel an der Türe vor. Das würde die Kumpanen hoffentlich etwas aufhalten...


    Alles ging blitzschnell. Achtlos stiess Arbogastus den Körper der Frau zur Seite, und lies die Sica gegen Severus vorschnellen. Der duckte sich gewandt zur Seite. Ein harter Schlag - die Klinge drang in das Holz der Türe, und im selben Moment packte der Germane flink zu und umschloss Arbogastus Waffenhand. Mit einem Ruck riss er den Römer an sich heran, und stiess ihm das Schwert tief in den Wanst. Weich glitt die gebogene Klinge hinein, Severus drehte sie herum und spürte, wie sie dem Mann die Eingeweide zerfetzte.
    "Grüsse von den Elefanten."
    Röchelnd taumelte der Verwundete zurück, presste die Hand auf den Bauch und starrte ungläubig auf das hervorquellende Blut. Seine Waffe fiel zu Boden. Einen Augenblick noch hielt Argobastus sich an einem Pfosten des Bettes aufrecht, dann brach er, sich krümmend auf dem Boden zusammen.
    "Hurensohn...", keuchte er, "stichst mich ab wie ein Schwein... sei verflucht...."
    Hasserfüllt hefteten seine Augen sich auf den Germanen. Der trat zu ihm, wo bei er acht gab, nicht in die Blutspur zu treten, und sah triumphierend auf seine Beute hinab. Da lag das Wild, von ihm erlegt und zur Strecke gebracht.
    "Scheiß-Elefanten..... sag Longinus, diesem Lumpen, ich erwarte ihn im Tartaros... nur zu bald... das gibt Rache... damit kommt ihr nicht durch... das gibt Krieg...."
    "Ich richte es aus.", versprach der Germane und setzte dem Sterbenden die Klinge an die Kehle, zog durch, und versetzte ihm damit den Gnadenstoss. Ein Schwall von Blut ergoss sich auf den Boden, versickerte in dem dicken Teppich, der ihn bedeckte. Gleichmütig aber zügig säbelte Severus weiter, bis der Kopf vom Körper getrennt war. Den brauchte er noch.

    "Arbogastus? Dux?"
    Sie standen in einem überreich und protzig ausgestatteten grossen Wohnraum, und Severus Führer durch die Insula pochte - mit ziemlich banger Miene - gegen eine massive Türe.
    "Er is mit seinem neuen Liebchen zusammen.", erklärte er mit einem Seitblick zu Severus. Eine Frau? Das verkomplizierte die Sache.
    "Aber die Nachricht, die ich ihm bringe, eilt!", betonte der Germane, und dachte beim Anblick der prunkvollen Möbel, der feudalen Teppiche und des glänzenden Geschirrs, das hier geschmacklos zusammengewürfelt herumstand, dass sich das Rauben und Morden in dieser Stadt wirklich zu lohnen schien... WIRKLICH zu lohnen! Mit dem Erlös für diesen ganzen Kram hier könnte man eine stattliche Gefolgschaft von Kriegern ausrüsten... die dann noch mehr rauben könnten... für eine noch grössere Gefolgschaft... für den Freiheitskampf in der Heimat natürlich...


    "Dux?! Es gibt Neuigkeiten von den Elefanten!"
    Ein ungnädiges, herrisches: "Reinkommen!" war das erste, was Severus von dem berüchtigten Bandenführer zu hören bekam. Sein Lotse fasste nach dem Türgriff, wandte ihm dabei den Rücken zu. Das war die Gelegenheit. Blitzschnell packte der Germane ihn von hinten, presste ihm die Hand auf den Mund, und donnerte ihm den Knauf der Sica mit bösartiger Wucht gegen die Schläfe.
    Der andere keuchte, seine Zähne gruben sich in Severus' Hand und seine Gliedmassen zuckten. Kurz kratzten seine Hände über das Holz, schienen einen Halt zu suchen, dann sackte er zusammen wie ein nasser Sack. Langsam liess der Germane ihn zu Boden gleiten. Er verzog kurz das Gesicht angesichts der roten Bisspuren an seiner Hand, und schwankte einen Herzschlag lang, ob es wirklich nötig war, den Mann abzustechen - war es wohl - doch bevor er zustossen konnte, schwang mit einem mal die schwere Schlafzimmertüre auf.


    Auf der Schwelle stand eine junge Frau, die nur ein dünnes Hemdchen trug, und eine Fülle schwarzen Haares, das weich um ihre schlanken Schultern fiel.
    "Was ist denn... AAAAAAAHHHHHH!!! "
    Mit schreckgeweiteten Augen wich sie vor dem mörderischen Germanen zurück. Der setzte nach und packte sie grob, doch da hatte sie schon einen gellenden Schrei ausgestossen. Schrill und alarmierend hallte er durch die Insula.
    Zu Hel! Jetzt musste es schnell gehen.

    "Lieber ein Wegelagerer als ein Hanswurst!", knurrte Severus, und bekam grösste Lust, doch die graue zu nehmen. Das war ja kaum mehr auszuhalten. Wütend funkelte er Bridhe an, als sie ihn so erpresste. Um der Sache endlich zu entrinnen, streckte er die Hand nach der blauen Tunika aus, wollte sich schon zähneknirschend damit abfinden, aber als er sie anhob, sah er, dass der Stoff im Licht changierend - also völlig unmöglich - schimmerte.
    "Nein.", stellte er fest, ganz entsetzt dass er sich beinahe für so was schwules entschieden hätte, "Ausgeschlossen. Und die grüne ist noch schlimmer. Siehst Du nicht was das Muster darstellt?! Das sind Blümchen!"
    Wie konnte sie ihm nur ernsthaft unterstellen, er würde sowas tragen. 8oX(
    "Und die braune geht ja mal gar nicht. Der Rand sieht aus wie... wie die Verzierung von irgendwelchem Süßkram. Nein. Oh nein. Bei Fenris' Fängen, da geht ich lieber nackt, als das ich SO WAS anziehe!"
    Er nickte bekräftigend, schob ein wenig das Kinn vor, und starrte Bridhe herausfordernd ins Gesicht. Vielleicht waren ja die Männer in Bridhes Heimat alles Skrälinge, die so mit sich umspringen liessen. Aber nicht mit ihm!

    "Sie schläft, Fyonha.", erwiderte Severus auf Fionas Frage. Noch immer war sein Blick unstet und in sich gekehrt, sein Gesicht starr. Er kniete neben Bridhe, horchte auf ihren Atem und zog sie dann hoch, wieder in seine Arme, wobei sie jedoch nicht aus ihrem tiefen Schlaf erwachte. Er würde sie nach Hause tragen müsse.
    "Sie hat eine weite Reise getan, ist durch die Schleier hindurchgeschritten, und hat Zwiesprache gehalten mit der jenseitigen Welt. Mit der Mhorikan. Ihr Geist ist erschöpft, sie braucht Ruhe. Ich werde sie jetzt nach Hause bringen."
    Genervt schüttelte er den Kopf, als der aufdringliche Römer sich schon wieder mit irgendwelchen schwachsinnigen Ratschlägen einmischte. Das sah doch ein Blinder, dass dies der Heilschlaf nach der Vision war. Aber sowas sprengte eben das Begriffsvermögen dieses profanen, in jenseitigen Dingen so ungeheuer beschränkten Volkes. Über den Störenfried hinwegsehend, wandte er sich an die Keltinnen.
    "Ich danke euch, es war mir eine Ehre dieses Fest als euer Gast mit euch zu begehen. Aber natürlich werde ich nicht das Feuer mit einem Römer teilen, in dieser Nacht. Das wäre Hohn gegenüber meinen Toten."
    Und so wie es ihm schien, war es das nicht nur bei seinen. Aber das musste wohl jeder selbst wissen. Um den Bräuchen noch genüge zu tun, hob er vom Boden Bridhes erloschene Kerze auf und seine, die bei dem ganzen Durcheinander vorhin umgefallen waren, und entzündete sie neu an den Flammen des Opferfeuers. Dann steckte er sie nebeneinander in den Boden, nahm Bridhe mühelos auf seine Arme hoch und erhob sich.
    "Lebt wohl. Möge der Winter euch Heil bringen."
    Er sah noch einmal in die Runde, nickte Minna achtungsvoll zu, und trat dann mit Bridhe aus dem Lichtkreis des Feuers heraus. Den Ausgang würde er schon selber finden. So verschwand er in der Dunkelheit des Gartens.

    "Na gut. Aber wieso bitte trägt Aquilius Dir auf, mir was zu kaufen? Glaubt er etwa ich bin ein Kind? Oder hast Du ihm das gar vorgeschlagen?"
    Sauer schüttelte Severus den Kopf. Das war doch die Höhe. Ungnädig starrte er die moosgrüne Tunika an, die Bridhe vorgeschlagen hatte und mäkelte:
    "Nein. Die hat da so komische Fransen, das sieht doch völlig albern aus. Ich nehm lieber die schlichte graue da."
    "Anthrazit.", flötete es aus dem Hintergrund.
    Severus griff sich die Tunika und hielt sie sich vor. So, jetzt würde er Bridhe mal zeigen, wie man so was ruckzuck erledigte, kurzentschlossen und im Handumdrehen.
    "Nein. Die ist zu kurz.", musste er feststellen. Die nächste war völlig unmöglich bestickt. Die darauf spannte an den Schultern. Wieder die nächste war ihm zu grell, die darauf folgende zu seltsam geschnitten, die danach zu weibisch, die danach zu extravagant, die danach zu weit, die danach zu rot.
    "Eine ganz normale Tunika", murmelte er verdrossen, "warum nur haben die denn keine ganz normalen Tuniken, ohne Schickschnack und Kram und komische Borten und so...?"
    Auch Severus hatte nun mal sehr genaue Vorstellungen.

    Grosse dunkle Augen, in einem Gesicht, so blass dass es ganz durchscheinend wirkt. Ihre weichen Lippen sind blutig gebissen. Sie bewegen sich, doch kein Laut dringt an sein Ohr. Strähnig hängt das lange Haar herab. Sterne haben ihm einst in ihren Augen geschienen, jetzt steht in ihnen nur noch Traurigkeit. Und Leere. Ein gähnender Abgrund sieht ihn daraus an, und gebannt, wie hypnotisiert, blickt Rutger hinein, in die kalte, gierige Tiefe, der er schon mal nur um Haaresbreite entronnen ist. Schwindel überkommt ihn. Der Boden wird ihm weggerissen unter den Füssen. Er fällt in die Leere...


    "Nein."
    Seine Hände, von Bridhes Schultern gerutscht, krallten sich um einen Stein und in das Gras auf dem Boden, haltsuchend, so dass die Knöchel ganz weiss wurden.
    "Nein...", flüsterte er und senkte erschüttert den Kopf, schloss die Augen. Das war nicht wahr. Das durfte nicht sein. Das war nur Einbildung. Sein Geist war zerrüttet. Er sah Dinge die nicht wirklich waren. Wie im Kerker. Alles Trug.
    Severus schüttelte den Kopf. Dann öffnete er wieder die Augen. Ein unstetes Flackern stand darin, als er unverwandt auf die Stelle starrte, wo er sie eben gesehen hatte. Nichts. Nur Zweige im Nachtwind, nur tanzende Schatten. Alles Trug. Fahrig fuhr er sich durchs Haar, noch immer schreckensbleich, und reagierte erst jetzt auf Bridhes Worte.
    "Nichts.", sagte er mit kratziger Stimme. "Nichts. Da war nichts."
    Er atmete tief ein. Sein Blick huschte über die Umgebung. So ein Irrsinn.
    Reiss Dich zusammen, verdammt.
    "Ich werde jetzt gehen.", sprach er dann mühsam beherrscht. "Sowieso werde ich bei diesem Fest nicht das Feuer mit einem Römer teilen. - Kommst Du... auch mit, Bridtha?"

    Es war zum Haareraufen. Warum konnte sie sich denn nicht einfach entscheiden?!! Völlig entnervt stand Severus neben ihr, während sie sich mit ungebrochenem Enthusiasmus durch Berge von Tuniken wühlte. "Ja", sagte er immer automatisch, wenn ein Kommentar gefragt war, "Sehr schön" oder "Mhm, ganz genau". Aber es nahm einfach kein Ende! Gequält wandte er sich schliesslich ab, seufzte schwer, und massierte sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger.
    Nie wieder. Niiiieee wieder!!!, schwor er sich, während die Zeit zäh und immer zäher voranschlich.
    "Hmm?"
    Trübe sah er auf, als sie ihn wieder ansprach. Was, sie hatte sich entschieden?! Allen Asen und Wanen sei Dank.
    "Sehr schön. Ah. Ja. Hab ich doch gleich gesagt. - Für mich? - Oooh nein. Ich hab schon genug Sachen zum Anziehen. Wirklich. Und die hier sind mir eh zu klein. Die Römer sind alle so schmächtig. Schau..." - er deutete auf die nächstbeste Männertunika - "...das passt mir nie im Leben. Ich bezahle dann mal, und dann können wir ja gehen, ja?"
    War da ein Unterton von Flehen in seiner Stimme?

    Was brummelte sie denn da? Und dann dieser geradezu angewiderte Blick. Severus verdrehte die Augen, und hoffte inständig, dass die neue Zickigkeit, die seine Liebste da an den Tag legte, bald wieder ihrer natürlichen sanften Lieblichkeit weichen würde.
    Eine Tunika nach der anderen hielt sie ihm dann unter die Nase; er blinzelte, überwältigt von der Vielzahl. Da war doch kaum ein Unterschied zu sehen, wie konnte man daraus nur so eine grosse Sache machen.
    "Ja. - Ja. - Ja. - Sehr hübsch. - Ja. - Weißt Du, wirst in jeder davon wunderschön aussehen, min Skaz."
    Er kratzte sich am Kinn, und fühlte sich überfragt. Aber es musste doch mal vorangehen. Also deutete er auf eine der Kandidatinnen und heuchelte Interesse.
    "Die hier ist schön. Blau wie das Meer. Ist das Türkis?"
    "Das ist 'AZUR'.", warf eine schicke Verkäuferin, die gerade eine andere Kundin umschmeichelte, sehr bestimmt ein.
    "Ah. Azur. Ja, also ich denke die passt sehr gut zu Dir. Zu Deinen Augen. Und die erste da - die 'Nachtblaue' auch. Dann hast Du eine dunkle und eine etwas hellere. Die ganz hellen find ich nicht so gut. Wird doch gleich dreckig."