Beiträge von Rutger Severus

    Ein bisschen weich war der Lederbeutel allerdings, den Severus da erbeutet hatte, und nicht gerade gewichtig. Doch dessen Raub liess den Hänfling geradezu ausrasten, und einer seiner zappelnden Tritte traf den Germanen recht empfindlich gegen das Schienbein. Fluchend packte Severus fester zu, bändigte den Kleinen, rüttelte und schüttelte, bis der es endlich ausspuckte: Crannus.
    "Warum denn nicht gleich so.", grinste der Germane höhnisch. Ein Plätschern und der Geruch von Urin zeigten an, dass der Hänfling mehr als nur den Namen nicht hatte bei sich behalten können. Das zerstreute ja nun auch seine Zweifel, ob der Kerl die Wahrheit gesagt hatte. Wenn der so ausser sich war, dass er sich bepisste, dann war er wohl kaum fähig gleichzeitig noch zu lügen. Oder vielleicht doch? Römern lag das Lügen ja im Blut, das sogen die schon mit der Muttermilch ein, wie allgemein bekannt war.
    Jedenfalls liess Severus sein Opfer los, mit einem verächtlichen Auflachen, und trat ein Stück zurück, brachte seine Sandalen vor der dunklen Lache in Sicherheit. Wie jämmerlich. Nein, das war jetzt nicht wirklich befriedigend gewesen.


    Der kleine Brief war ziemlich zerknittert, bei dem kurzen Handgemenge, er betrachtete ihn kurz stirnrunzelnd und steckte ihn ein. Dann öffnete er den Beutel, neugierig welch ein Schatz sich wohl darin verbergen mochte, dass der Kleine ihn so erbittert verteidigt hatte. Haar. Ein dunkler Zopf. Severus hob die Brauen - schade, nichts wertvolles - und seltsamerweise verspürte er auf einmal einen Anflug von... Mitleid? Hm. Komisch.
    Er stopfte den Zopf zurück und warf den Beutel achtlos wieder dem Besitzer zu. Ohne dieser kläglichen Gestalt noch einen Blick zu schenken wandte er sich ab, ging mit langen Schritten die schmutzige Gasse entlang. Einen Moment lang zeichnete seine Gestalt sich dunkel vor deren Mündung ab, dann trat er auf eine breitere Strasse, verliess die sumpfigen Niederungen der Stadt, und begab sich in die höheren und nobleren Gefilde. Die auf ihre Weise natürlich mindestens genauso morastig waren.


    >>

    <<


    Mit den Fingerknöcheln pochte Severus gegen die Türe von Aquilius' Gemächern. Als keine Antwort erklang, pochte er nochmal, öffnete dann die Türe. Dunkel war es dahinter, unordentlich lagen die Papyri kreuz und quer auf dem Schreibtisch. Keiner da.
    Am liebsten hätte Severus den komischen Zettel einfach kommentarlos auf dem Schreibtisch liegen lassen. Aber zu der Botschaft gehörte ja wohl auch die dubiose Weise dazu, in der man sie ihm übergeben hatte. Also wandte er sich ab, ging den Gang entlang, und machte sich pflichtbewusst aber nicht gerade enthousiastisch in Haus und Garten auf die Suche nach Aquilius. Die führte ihn schliesslich sogar die Kellertreppe hinunter, mit einem Windlicht in der Hand. Licht- und Schattenzungen beleckten die nahe aneinander stehenden Wände. Severus Blick wurde starr. War da nicht...? Nein, da war nichts. Nur ein Wasserfleck auf dem groben Mauerwerk. Der Fluch war gebrochen, die Unterirdischen waren fort...
    Die Treppe endete in einem Gang. Rechts ging es zu irgendwelchen Lagergewölben voller Gerümpel. Und auch zum Carcer. Ein kalter Schauer lief dem Germanen über den Rücken, als er wieder die erdig modrige Luft atmete, den klammen Mief einer endlosen Gefangenschaft.


    Aber von links war es, dass er einen Lichtschein sah, und Geräusche hörte. Schnell schlug er diese Richtung ein, folgte ihnen bis zum Eingang des Weinkellers. Hier war die Luft besser, roch nach Holz und nach den edlen Tropfen die hier in unzähligen Fässern und Amphoren lagerten. Und da war auch der Gesuchte.
    Am Eingang des weiten Gewölbes blieb Severus stehen, verschränkte die Arme und betrachtete ihn. Unbewegt war seine Miene, doch der Zorn wegen Bridhe schwelte in ihm, brannte in seinen Augen und hätte sich nun, da er den Flavier vor sich hatte, nur zu gerne einen Weg nach aussen gebahnt.
    "Flavius." sagte er frostig. "Ich habe mich da etwas gefragt. Vielleicht kannst Du mir Antwort geben. Es sind ja bald Saturnalien... Sind wir da wirklich alle gleich?"

    Der Hänfling sah allerdings so aus, als gäbe es bei ihm nichts zu holen, das musste Severus sich leider eingestehen.
    "Grosszügig?" höhnte er, zunehmend gereizt, mit einem Blick auf die schmutzigen Fetzen, die der Mann am Leibe trug. "So grosszügig wie zu Dir?"
    So vages Gerede konnte er nicht abhaben. Hielt der Kerl ihn für bescheuert? Soviel Zorn trug Severus mit sich herum, und er war beileibe nicht darüber erhaben, diesen an einem Schwächeren auszulassen. Mit einem Blick aus den Augenwinkeln versicherte er sich, dass die Luft rein war, dann schoss seine Hand blitzschnell vor, packte den Hänfling vorne an der fleckigen Tunika. Halb hob er ihn, halb stiess er ihn tiefer in die finstere Ecke hinein, drückte ihn unsanft gegen die Hauswand.
    "So Kleiner. Jetzt sagst Du mir wer Dein Herr ist...", knurrte er ihm ins Gesicht, schüttelte ihn grob, als würde die Antwort, wenn er nur genug rüttelte, von alleine zu Boden kullern, "...oder ich prügele es aus Dir heraus."
    Mit der anderen Hand fuhr er dem Fremden flink unter den schmierigen Umhang, tastete an dessen Gürtel entlang, um eine etwaige Waffe gleich zu erspüren und wegzunehmen. Seine Hand fand einen prallen Beutel. Er riss ihn ab, die Lederschnüre zerfetzten mit einem leisen 'Plop'.
    "Was haben wir denn da? Hast Du mich etwa angelogen? Also das kann ich ja gar nicht haben wenn man mich anlügt...", grollte der Germane, ein hartes Glitzern in den Augen, das nun tatsächlich nicht mehr so ganz gesund aussah. Wie ein Peitschenhieb knallte sein Befehl seinem Opfer um die Ohren:
    "Antworte!"

    "So. Dein Herr will also wen anschwärzen, wagt es aber nicht, selbst das Wort gegen ihn zu erheben.", fasste Severus das, was er da verstanden zu haben meinte, zusammen. Angewidert spuckte er in den Staub der Gosse. Diese Römer waren doch einfach zum Kotzen. Um wieviel besser ginge es dieser stinkenden Stadt, wenn man die Angelegenheiten allesamt frei, offen und geradeheraus im Thing klären würde. Aber dafür fehlte ihnen jedes Verständnis.
    "Und damit Dein Herr gemütlich im Schatten hocken bleiben kann, soll ich also die Verleumdung zum Vigintivir tragen?!"
    Severus schnaubte, empört in so eine unappetitliche Praktik reingezogen zu werden. Ob sowas gang und gebe war wusste er nicht ( konnte es sich jedoch nur zu gut vorstellen!) Aber eigentlich konnte es ihm ja egal sein, wenn die Römer sich gegenseitig an die Gurgel gingen. Und jemand hatte sich einen nicht unbeträchtlichen Aufwand gemacht, um ihn hier abzufangen, wollte wohl unbedingt dass der Schmähbrief Aquilius erreichte.... Ein paar Dinge hatte der Germane doch inzwischen gelernt darüber, wie es in dieser Stadt zuging.
    Er hielt die Hand auf.
    "Das kostet." sagte er mit unbewegter Miene.

    In düsterer Zerstreutheit hielt Severus dem fahlen Pferd seinen Monolog. Dass er dabei irgendwann und ohne es zu merken, aus seiner Muttersprache ins Lateinische gewechselt war, fiel ihm erst auf, als der Flavier umgänglichster Spross an ihm vorüber wetzte, schon im Stall verschwunden war.
    "Salve", sagte Severus zu dem dunklen Eingang. Er legte dem Pferd die Hände auf den Widerist, und blickte trübe über dessen Rücken hinweg auf die kahlen Baumkronen des angrenzenden Gartens. Selbst seine Sprache entzog sich ihm jetzt schon. Immer mehr verlor er sich... Stumm weiter mit sich hadernd, vom Liebeskummer gequält, kämmte er dem Pferd die Mähne mit einem grobzinkigen Kamm, Strähne für Strähne. Das war doch alles nichts. Bridhe war ein Miststück. Aquilius ein Lump. Eine tierische Wut würgte den Germanen, tief in der Kehle, wenn er daran dachte, wie der Flavier ihm sogar noch wohlfeile Beziehungs-Ratschläge hatte erteilen wollen.
    'Achte auf sie', hat er gesagt. Heuchlerische Phrasen hat er gedroschen. Diese falsche Schlange. Dabei hat er da sicher schon mit ihr rumgemacht, mit seiner kleinen Bettwärmerin. Seiner Metze. Wie konnte ich ihr nur Glauben schenken, wie konnte ich nur... Ich hätte sie umbringen sollen. Warum nur bin ich bei Frauen immer so weichherzig? Solche wie sie gehören mit Stangen ins Moor gestossen!

    Auf dem bockigen Canus war Severus mit dem Zug geritten. Es war das zweite Mal, dass er nach Ostia, damit auch das zweite Mal, dass er überhaupt an Meer kam, und diese Landpartie hier erinnerte ihn wirklich sehr an die erste. Nur das sein Herr damals einen männlichen Aurelier auf sein Pferd geladen hatte.
    Mir scheint, Aquilius hat zum ersten Mal eine ebenbürtige Gegnerin im Süßholzraspeln erwischt, dachte der Germane spöttisch. Ihm war ausserdem zu Ohren gekommen, dass die Römer (so lasterhaft sie sonst auch waren) es gar nicht schätzen, ihre Frauen hoch zu Ross zu sehen, und so erstaunte es ihn gewaltig, wie unbefangen die Aurelia vor aller Augen und in Aquilius Armen durch die Gegend ritt. Der Flavier musste dem Mädchen das süsse Köpfchen so vollkommen verdreht haben, dass sie weder die Kompromitierung noch einen wunden Hintern scheute, dachte der Germane, und konnte seinem Herrn in dieser Hinsicht seine Anerkennung nicht verwehren. Geschickt. Wenn er sie jetzt noch zügig verführt, spart er sich sogar den Brautpreis...
    Von Zeit zu Zeit liess Severus sich zurückfallen, um nach Verfolgern Ausschau zu halten, Aureliern, die den Brautraub verhindern wollten. Es waren aber keine in Sicht, und ungehindert erreichte der Tross nach langem Ritt die lauschige Bucht. Beim Anblick der Blumen-Umrahmung des Zeltes verzerrten Severus' Lippen sich zu einem schmierigen Grinsen. Er hatte also Recht gehabt. Das reinste Liebesnest.


    Er trieb den Grauen eine Düne hinauf, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Luft schmeckte kühl und salzig, die Möwen kreischten, und der Anblick des weiten, wogenden Meeres sprach von Freiheit, weckte den Wunsch fortzuziehen und niemals wieder zu kommen. Ein wehes Sehnen erhob sich in ihm. Er wollte fort! Verbittert presste er die Lippen zusammen, und sein Blick lag voll Düsternis auf dem fernen Horizont. Er war gefangen. Er würde allsbald wieder in die muffigen Abgründe der flavischen Sklavenunterkunft zurückkehren, hinter dicken Mauern seinen Feinden dienen müssen.
    Mit ausdrucksloser Miene ritt er zurück und schwang sich vom Pferd. Ein Seil wurde zwischen zwei knorrigen Strandbäumen gespannt, die Pferde daran festgebunden und versorgt. Severus wandte sich an den Rest der grosszügigen flavischen Eskorte, die für die Sicherheit der beiden Patrizier sorgen sollte, und bestimmte:
    "Wir verteilen uns drumrum, Diomedes Du postierst dich dort drüben am Wasser, ich auf der anderen Seite, Tekros auf der Dühne dort hinten, und ihr dazwischen. Keiner soll hier hereinspazieren und stören."
    Diomedes schnaubte zwar unwillig, aber er gehorchte, ebenso die anderen, und so verteilte Severus sie als Posten in diskretem Abstand von den beiden Turteltauben, um diesen Abschnitt des Strandes zu besetzen und vor anderen abzuschirmen.


    Steifbeinig von den Stunden im Sattel stapfte er dann selbst über den Sand, ein Stück am Wasser entlang, bis der Rücken einer Düne, scharfgeschnitten im hellen Sonnenlicht, zwischen ihm und der Landpartiegesellschaft war. Der Strand vor ihm war menschenleer. Niemand zum verscheuchen. Er setzte sich in den Sand, an den flachen Hang jener Düne, streckte die Beine aus und sah melancholisch auf das Meer hinaus. Wellen türmten sich auf, brachen auf das Ufer und kippten über, gischtgekrönt, als wären sie Pferde mit wehenden Mähnen, zerflossen, den Sand beleckend zu weissem Schaum und zogen sich wieder zurück, verschmolzen erneut mit dem Meer. Immer wieder und wieder... Severus fasste eine Handvoll Sand, fein und körnig, und liess ihn langsam durch die Finger rinnen.

    Woher, bei Nidhöggs Stachel, kannte der seinen Namen? Severus fasste den Mann genau ins Auge. Dessen magere, dreckige Gestalt und offensichtliches Unbehagen liessen ihn ja nun nicht gerade respekteinflössend erscheinen. Was für ein Hänfling.
    Hatten den etwa die Elefanten zu ihm gesandt? Oder hatte ihn gar Arbogastus Gaunerbande aufgespürt? Er lauschte auf die Umgebung, und spähte misstrauisch die schmutzigdüstere Gasse entlang als irgendwo ein Tongefäss hell klirrend zerbrach.
    "Wer will das wissen?"
    Mit hartem, geradezu durchbohrendem Blick musterte er den Fremden, nahm ihm dann das schmutzige Papyrus aus der Hand.
    "Und woher kommt das?", erkundigte er sich streng, ohne den Blick auch nur ein bisschen abweichen zu lassen. Das ganze war doch wirklich seltsam... Neugier mischte sich in den Argwohn. Was in aller Welt mochte es mit diesem Zettel auf sich haben, so schäbig aber versiegelt, den er hier derart verstohlen gereicht bekam?

    So hochmütig sich der Germane für gewöhnlich gegenüber dem elenden Römerpack gab - es freute ihn doch, dass sich Lucanus ganz selbstverständlich auf den Platz neben ihm geschwungen hatte. Freundlich erwiderte er dessen Begrüssung, bekam dann allerdings einen skeptischen Zug um die Nase, denn bei Wortspielen mit seinem lateinischen Namen, mochten sie auch noch so harmlos sein, war er ziemlich empfindlich. Um ihn herum war es mittlerweile überschaubarer geworden, alle hatten inzwischen Platz genommen, und auch Severus lehnte sich zurück und entspannte sich und seine Wachsamkeit ein wenig. Neugierig war er, zum ersten Mal richtige Ludi zu sehen, und dann auch noch von so nahe.
    Da traf ihn ein Blick, dessen Eindringlichkeit ihn förmlich am Nacken packte, wie eine kalte, klamme Hand... Er wandte den Kopf und fand die Augen des Goden Flavius Gracchus. Der sah ihn starr an, unheildräuend und furchtsam zugleich, ein ganz seltsamer Ausdruck war das. Als würde der Gode einen Geist sehen, so schien es dem Germanen, so blickte der ihn jedesmal an, wenn sie, obwohl er dem Goden meist aus dem Weg ging, zufällig mal aufeinandertrafen. Der Mann war einfach unheimlich. Aber eine gewisse Genugtuung bereitete es dem Germanen durchaus, die Beklemmung dieses finsteren Hexenmeisters zu sehen, der, einer fixen Idee von einem Fluch wegen, damals so gnadenlos die Unterirdischen auf ihn gehetzt hatte. Kalt erwiderte er den Blick, einen kurzen Moment lang, bis der Flavier wieder nach vorne sah.


    Der Germane atmete auf und unterdrückte den Impuls, sich unbehaglich den Nacken zu reiben. Dann fesselten ihn die Löwen. Was für schöne, tödliche Bestien! Begeistert verfolgte er deren Auftritt, die weichen Sprünge, die kraftvolle Gewandtheit dieser Raubtiere, die Leichtigkeit, mit der sie diese albernen Pferdchen mit den Stehmähnen rissen. Das waren also die Tiere, von denen Sciurus so besessen war, und mit denen er ständig drohte. Severus bemerkte einen Seitenblick von Lucanus, den das ganze ebenso zu faszinieren schien.
    "Die sind schön." Versonnen blickte er auf den blutigen Sand. "Woher kommen die eigentlich?", fragte er dann neugierig denn junge Flavier.
    "Ich würde gerne mal einen jagen - in der Wildnis."
    Aber gewiss nicht in der Arena ohne Waffen.
    "Und kannst Du mir sagen, wieso die Ponys angemalt sind; hat das irgendeine... rituelle Bedeutung?"

    Der graue Wallach, der den einfallsreichen Namen Canus trug, war ein mürrisches Tier. Er biss und schlug aus, wann immer ihm etwas nicht passte, und tyrannisierte die anderen Pferde, wenn er mal mit ihnen auf der Koppel ausserhalb der Stadt war. Meistens aber stand er angebunden im Stall, und da war es, fand Severus, doch kein Wunder, dass das Pferd immer schlechte Laune hatte. Er mochte den Grauen, der von sehnigem Körperbau war, zäh und wendig, und war der Meinung, dass dessen Übellaunigkeit auf Charakter hinwies.
    An jenem Vormittag hatte er das Tier aus dem Stall geholt, und es an einem Ast des knorrigen alten Ölbaumes im Hof angebunden, um es zu striegeln - nicht weil das so nötig gewesen wäre, sondern weil diese Arbeit immer einen beruhigenden, entspannenden Einfluss auf ihn hatte. Und den konnte er gerade wirklich brauchen. Er hatte Bridhe aus seinem Herz gerissen, brutal mit Stumpf und Stiel, und die Wunde schmerzte entsetzlich. Aber das konnte er natürlich nicht zugeben.
    Kräftig bearbeitete er das Fell mit der Bürste. Es war dicker jetzt, im Winter, aber nicht zu vergleichen mit dem zottigen Pelz den die Pferde bei ihm zu Hause dann bekamen. Das Grau war fahl, wie von Nebel, mit einem leichten metallischen Glanz wenn ein Sonnenstrahl darauf fiel. Aber die waren rar gesät, heute.


    Mit ruhiger Stimme sprach Severus mit dem Pferd, auf Chattisch, um es von seinen gewöhnlichen Eskapaden abzuhalten, und der Wallach spielte mit den Ohren, hörte zu und war tatsächlich ziemlich brav. Nur von Zeit zu Zeit legte er die Ohren an und keilte ein wenig aus. Severus sprang dann zur Seite, und gab ihm einen Klapps. Canus widersprach nicht, und würde auch nichts weitersagen, und so geriet Severus mit der Zeit ins Erzählen.
    "...Was meinst du, Grauer, wollen wir in die Berge reiten, in den Saturnalientagen...? Ich hab so lange nicht mehr gejagt. Und ich glaube du wärst genauso froh wie ich dieser Stadt mal den Rücken zu kehren... Und dann dieses Fest, der reine Hohn.... Ach wie grossmütig, ach wie huldvoll - nein, ich habe keine Lust dieses lächerliche Spiel nochmal mitzumachen... mit ihnen am Tisch zu sitzen weil dieses degenerierte Pack uns als Kulisse braucht, für ihre heuchlerische Gleichheits-Posse...."
    Das Pferd quittierte das mit einem gleichmütigen Stampfen, und Severus bürstete weiter, und schüttete dazu sein Herz aus.
    "... Wäre ich doch nicht gebunden, durch diese verdammte Schuld... Ich hätte ihnen schon längst das Haus über dem Kopf angezündet, und ihnen für das was sie mir angetan haben allesamt die Kehlen durchgeschnitten - denke ich. Oder vielleicht auch nicht - wegen ihr. Es ist ihre Familie. - Vielleicht will ich deshalb nicht zu dem Fest. Letztes Jahr hab ich sie dort wiedergesehen. Ich hab sie verraten, und dazu noch mit so einem losen Weib. Was ist nur in mich gefahren... Hat mich wahrscheinlich verhext, die Keltin... Ich bin jedenfalls froh, dass ich jetzt ihr wahres Gesicht kenne, ja FROH - ein glatter Schnitt, gut so... diese Metze ist kein Bedauern wert... ach, keinen Gedanken sollte ich mehr an sie verschwenden... keinen einzigen Gedanken..."
    Wenn das so einfach gewesen wäre. Geistesabwesend und mit düsterer Miene begann er, Canus' Mähne mit den Fingern zu entwirren.

    Die Kleine sah aus als könne sie kein Wässerchen trüben, so unschuldig. Tja, vielleicht war's doch nicht als Stelldichein gedacht. Severus beschloss, dass er von Frauen, mochten sie gross, klein, gestanden oder blutjung sein, sowieso die Nase voll hatte.
    Tilla begann auf eine Wachstafel zu kritzeln, und Severus sah sich derweil nach den Männern an der Porta um. Der Nubier schien in der Zwischenzeit einfach stumm in Richtung Atrium verschwunden zu sein. Ein seltsamer Kauz. Vielleicht konnte er ja nicht sprechen, genauso wie Tilla.
    Dafür hatte sie andere Talente. "Wie schnell Du schreiben kannst!", staunte der Germane, als der Stylus über das Wachs sauste, und begann dann wieder mit dem anstrengenden Entziffern, murmelte die Sätze ganz langsam vor sich hin.
    "Ka-annst du dir den ...Ort mer-ken... - ja, sicher kann ich das - zu mit Tag ist...welcher Tag? ..Mit-tag, ach so, ist in Ort..Ord-nun-g... - gut, dann morgen Mittag. Entschuldige,", er lächelte schief, "ich habe erst vor kurzem dieses Lesen gelernt."


    Er bezwang die nächsten Zeilen, und war durchaus geschmeichelt, dass Tilla seine Haarfarbe betonte, ihn gar mit einer 'Siv' verglich! Sein Blondhaar schätzte er nämlich - bei aller Bescheidenheit - sehr an sich, und hatte früher auch hin und wieder mit einer Kalk-Pottasche-Birkenblätter-Arnika-Spülung nachgeholfen, um das natürliche Blond so richtig zum Strahlen zu bringen. Das war nun mal sein Ideal.
    "Ihr habt eine 'Siv' bei euch? Die muss ich unbedingt mal kennenlernen. Von welchen Volk ist sie denn, weisst Du das? Du musst wissen, hier im Süden nennt man uns alle 'Germanen', aber das ist beinahe so als würde man, ähm, Ägypter und Nubier und Römer alle zusammenfassen. Ich bin vom Volk der Chatten, und wir sind himmelweit verschieden von den Langobarden, den Usipeter oder gar den Hermunduren."
    Das Wort 'Hermunduren' triefte natürlich nur so vor Verachtung. Dann kam er richtig ins Erzählen, trotz Nieselregen, denn es freute ihn, dass Tilla sich dafür interessierte.
    "Oh ja, Donar - oder Thor, er hat viele Namen, wenn auch nicht so viele wie Allvater Wodan - ist ein Gott. Und nicht irgendeiner! Er ist der stärkste Kämpfer unter den Asen, und führt den Hammer Mjölnir gegen die Thursen und die Ungeheuer, die unsere Welt bedrohen. Wenn er auf seinem Wagen über den Wolken fährt und den Hammer schwingt, erbebt Himmel und Erde und Du hörst den Donner grollen. Seine Frau Sif aber ist mild und zauberschön, und ihr güldenes Haar leuchtet wie die helle Sonne. Viele ruhmvolle Taten hat der Donnerer vollbracht, wenn du willst kann ich Dir morgen davon erzählen. Wie er nach der Midgardschlange fischte zum Beispiel, oder wie klug er seinen Hammer von den Riesen zurückholte..."

    "Also... der Krug ist der Lastkran. Die Bierlache hier der Tiber. Und der Napf ist der gammlige Kahn, der daneben auf dem Trockenen liegt..."
    In dem verräucherten Schankraum der Spelunke am Ende der Gasse sass Severus in einer dunklen Ecke, zusammen mit Lanius, einem guten Kumpel aus der Gladiatorenschule, und schob Gegenstände über den Tisch hin und her.
    "Ich werde hier warten. Und Du postierst Dich am besten da unter dem Wrack. Früh genug halt. Habs mir gestern nochmal angeschaut, es ist genug Platz drunter."
    Mit der Spitze seines Messers machte Severus kleine Kerben in die schon arg geschundene Tischplatte, um seine Pläne zu verdeutlichen.
    "Du rechnest also mit Ärger?"
    Mit zusammengekniffenen Augen musterte Lanius die Anordnung. Er war zur Hälfte ein Ubier, ebenso blond wie Severus, und ein aufstrebendes Talent im Ludus Illustris.
    Severus zuckte die Schultern.
    "Nur für den Fall dass. Ich traue diesem Kerl nicht. Wir haben gesagt 'jeder kommt allein', aber der hatte so ein verschlagenes Grinsen dabei. Von da kannste ihm, denk ich, ganz gut in den Rücken fallen."
    Eigentlich war Severus auch nicht so wohl dabei, noch jemanden hinzuzuziehen. Aber die Sache war so gewachsen, dass es inzwischen ein bisschen viel für einen einsamen Wolf war.
    Lanius nickte kaltblütig.
    "Und das Ruderboot soll dann dahin, hinter das harte Brot - das Gebüsch meine ich."
    "Genau."
    Das Ruderboot, das Lanius organisiert hatte, war für den Fall, dass sie sich ganz schnell absetzen mussten.
    "Alles klar. Und wenn es schief läuft..."
    "...und ich Dir kein Geld geben kann, schulde ich Dir einen ebensolchen Gefallen."
    "Dann wolln mer mal hoffen dass Du nicht draufgehst.", grinste Lanius fröhlich, verwandelte den Lastkran wieder zum Bierkrug und leerte ihn mit gutem Zug.


    Auch Severus bleckte die Zähne und trank aus. Er steckte das Messer hinten in den Gürtel, liess ein paar Asse auf dem Tisch liegen, und dann brachen die beiden auf, trennten sich vor der Spelunke. Lanius wollte noch seine geheimnisvolle Geliebte - eine angeblich äusserst hochgestellte Römerin - aufsuchen, Severus schritt in Richtung Villa Flavia, und dachte unzufrieden darüber nach, dass er zwar ein Krieger war, ein grosser Krieger natürlich, das Trainieren mit den Gladiatoren aber trotzdem keinen 'Gladiator' aus ihm machte. Der wurde man leider erst, wenn man auch in der grossen Arena kämpfte, und erst dann tauchten wohl auch die Heerscharen unbefriedigter Römerinnen auf, die einen ins Bett zerren wollten. Jammerschade war das...
    Ein wenig angespannt war er schon, seitdem er Arbogastes kaltgemacht hatte, wenn er sich hier in dieser Gegend bewegte. Ihm fiel da so ein Kerl auf, der sich am Rande der Gasse in einer dunklen Ecke herumdrückte, und ihn ziemlich genau musterte. Das weckte seinen Argwohn. Severus warf ihm einen kalten was-guckst-du-willst-du-etwa-Ärger-Blick zu, und wollte an ihm vorübergehen.

    Fasziniert blickte der Germane auf Tillas flinke, wie ein Vogel flatternde Hände, konnte sich aber auf die vielen Gebärden nicht so recht einen Reim machen. Irgendwas mit ihr und ihm und gehen? Das weckte melancholische Erinnerungen daran, wie Bridhe und er sich in der ersten Zeit miteinander verständigt hatten...
    Da hielt Tilla ihm ein Papyrus vor die Nase, und wieder einmal musste er zugeben, dass die Weise, in der die Römer ihre Worte festhielten, schon etwas praktisches für sich hatte. Wenn es auch natürlich schlecht fürs Gedächtnis war, das Wissen so ausserhalb des eigenen Kopfes aufzubewahren.
    Er beugte sich vor und heftete konzentriert die Augen auf den kleinen Text, bekam vor lauter Anstrengung eine ganz tiefe Furche zwischen den Brauen. Dann nahm er von Tilla das Papyrus entgegen, und fuhr mit dem Zeigefinger langsam die Zeilen entlang, während er mühsam, Wort für Wort, das geschriebene entzifferte, und dabei ganz leise vor sich hinmurmelte.
    "...ink-lus-ive-heuda-chbo-den....ba-lan-cie-ren...?"
    Er kratzte sich am Kinn, und war wirklich beeindruckt, was für schwierige Worte das Mädchen zu schreiben wusste. Als er sich dann hindurchgekämpft hatte sah er auf, schmunzelnd über die Ungeduld in ihren Zeilen. Scheu war sie vor ihm zurückgewichen. Hmm... konnte sie es wirklich SO eilig haben, ihm das Geld wiederzugeben?
    "Mit Heuboden also", grinste er, und hatte viel eher das Gefühl, gerade zu einem Stelldichein geladen worden zu sein. Sie war ja schon ein süßes Ding. Aber doch noch sehr kindlich. Allerdings hatte er ja schon mitbekommen, dass sie es faustdick hinter den Ohren hatte. Oder vielleicht tat ihr der Diebstahl leid, und sie wollte ihm einfach im Gegenzug ein gutes Versteck zeigen.
    "Wer würde bei so einer Einladung nein sagen, Tilla-Irrwisch?", antwortete er und zwinkerte ihr zu. "Jetzt geht es nicht, ich hab zu tun, aber morgen habe ich Zeit. Am Mittag. Wenn Dir das passt komme ich dann dort vorbei."
    Fragend sah er sie an, und hielt ihr das Papyrus hin, um es ihr wieder zurückzugeben. Schliesslich war es ein Wegweiser zu ihrem Versteck.

    Wie hatte er sich nur so täuschen können?! Die Sache mit Bridhe musste ihn noch viel ärger mitgenommen haben als er gedacht hatte. Er sah noch einmal genau hin. Keine Frage. Hrannibhal. Ein Mann. Und als wäre sein anfänglicher Irrtum nicht schon verstörend genug gewesen - es wurde noch schlimmer! Severus schluckte und sah Hannibal verunsichert an. Bei Fenris' Fängen, flirtete der etwa mit ihm??!!
    Der Germane wich instinktiv einen Schritt zurück, bis er den Türrahmen im Rücken hatte. Wie der ihn ansah! So einvernehmlich und vor allem gierig! Hier war eindeutig ein schreckliches Missverständnis entstanden. Severus hatte den Impuls zu fliehen. Aber er brauchte doch die Informationen!
    Er räusperte sich, straffte sich, und versuchte seine Würde zurückzugewinnen.
    "Ich hab ihn schon gefunden.", wehrte er spröde ab, wollte sich gar nicht erst auf den spielerischen Tonfall seines Gegenübers einlassen. "Also nicht dass Du etwa denkst... für einen Moment glaube ich wirklich Du wärst... Wegen dem Bart! ...weil Du jetzt keinen mehr trägst, meine ich natürlich. Verändert Dich, äh, sehr."


    Mit einer Art von morbider Faszination näherte er sich dann dem Stuhl, wo das geblümte Gewand hing, griff danach, und hob es mit spitzen Fingern ein kleines Stück an, wie um sich zu vergewissern, dass es so was groteskes wirklich gab. Darunter kam eine golden schimmernde Lockenpracht zum Vorschein, die früher gewiss einmal die Köpfe nordischer Frauen geziert hatte. Unglaublich! Severus' Brauen schienen zu seinem Haaransatz emporklettern zu wollen, und fassungslos schüttelte er den Kopf. Diese Villa war einfach ein Tollhaus, und die Personen hier, die noch am normalsten wirkten, schienen sich früher oder später als die verdrehtesten zu entpuppen...
    "Warum tust Du sowas?", entwich es ihm völlig verständnislos, dann aber hob er schnell abwehrend die Hand. "Halt nein, ich will es lieber GAR. NICHT. WISSEN. - Ich habe ein paar Fragen an Dich. Ob sie profan sind weiss ich nicht. Aber wichtig sind sie. Ich bitte Dich mir Antwort zu geben."
    Er bemühte sich, über das bizarre und beunruhigende an der Situation einfach hinwegzusehen, verschränkte die Arme wie eine Barriere vor sich, und schlug einen betont sachlichen Tonfall an.
    "Du bist doch im Frühjahr zusammen mit Sciurus nach Hispania gereist, oder nicht? Sagt Dir 'die Elefanten' etwas? Ich meine nicht die Tiere mit den langen Rüsselnasen und den Fächerohren sondern Menschen, die sich so nennen."

    Aus dem langen Schlund der Fauces tauchte der Germane Severus auf und gesellte sich zu der kleinen Versammlung an der Porta. Einen neuen Sklaven des Aquilius galt es in Empfang zu nehmen, hatte er gerade erfahren. Verächtlich sah er über die Schergen des Sklavenhändlers hinweg - solche waren doch der allerletzte Abschaum - und musterte Micipsa aufmerksam, versuchte ihn ein wenig einzuschätzen. Schwarz wie die Nacht, und grossgewachsen. Kein Skräling. Angenehm, mal wieder ein Gegenüber auf Augenhöhe zu haben.
    "Salve.", wandte er sich an den Nubier, und nickte ihm zu, während Acanthus und die Schergen des Tranquillus wohl das mit der Empfangsbestätigung noch regelten. Es verwunderte ihn ein wenig, dass der Nubier keine Ketten trug. Schien ein fügsamer zu sein.
    "Komm doch herein.", meinte er zu seinem neuen Kollegen, und unterstrich das mit einer Geste, für den Fall das dieser exotische Mensch kein Latein sprach.
    "Ich werde Severus genannt."


    Er trat einen Schritt zur Seite um Micipsa einzulassen. Dann allerdings erspähte er etwas auf der anderen Strassenseite, das seine Aufmerksamkeit fesselte. Wenn das nicht eine äusserst flinke und langfingrige Bekannte von ihm war. Wie ein kleiner Waldtroll sass sie da, im Nieselregen, in ihrem braunen Umhang auf dem Stein. Und obwohl ihm das Mädchen ja eigentlich Geld schuldete, und obwohl die Sache mit Bridhe ihm schon den ganzen Tag schwer und trübe auf der Seele lastete, verzog sich sein Mund bei ihrem Anblick kurz zu einem kleinen Schmunzeln.
    "He kleiner Irrwisch!", rief er, und winkte ihr rüberzukommen. "Was tust du denn hier?"

    Ein schwerer Atemzug hob und senkte Severus' breite Brust, in der noch immer der Aufruhr tobte. Seine Lippen waren so fest zusammengepresst, dass sie ganz weiss waren, als er den Blick wieder vom Boden hob - hin zu Bridhe, ein verlorenes, völlig aufgelöstes Bündel Mensch. Sie war sein Schwanenmädchen gewesen...
    Sie hat es verdient.
    Mit einem Ruck stiess er sich von der Wand ab. Er raffte seine Sachen zusammen, den blutigen Verband, den Umhang. Noch immer waren seine Hände fahrig, seine Bewegungen abgehackt. Er ging auf den Ausgang zu, wollte einfach nur weg von hier. Aber dann blieb er doch noch mal stehen und sah sich zu ihr um.
    "Römerbuhle."
    Seine Stimme war schneidend kalt. Aber auch etwas kratzig.
    "Ich sage mich los von Dir."
    Und er verliess das Bad der Sklaven. Erschöpft war er, wie immer wenn diese gewaltige Wut über ihn gekommen war, und leer. Sein Schwanenmädchen... sie hatte ihm was vorgemacht. Er hatte sich was vorgemacht.
    "Nie wieder...", murmelte er aufgewühlt, während er mit grossen Schritten den Gang durcheilte ohne zu wissen wohin er eigentlich wollte, mit geballten Fäusten und stierem Blick.
    "Ziu! Wappne mein Herz und lass es zu Stein werden, gegen die Verlockungen der Weissarmigen! - Freya, Frigg! Lasst mich niemals wieder so einem falschen Weib verfallen! Nimmermehr! "


    >>

    Zitat

    Original von Caius Flavius Aquilius


    Durch ein elendes, wimmelndes Menschengedränge hatte der Germane sich hindurchgekämpft, und rabiat einen Weg für seinen Herrn gebahnt. So viele Menschen, so viele Römer auf einmal waren ihm höchst suspekt, ihm war als würden sie ihn erdrücken, und erleichtert atmete er auf, als sie die Ehrentribüne erreichten, und endlich wieder Luft zum Atem hatten. Kühl liess Severus seinen Blick über die versammelte Senatoren-und-Gattinnenschaft schweifen.
    Aquilius nahm Platz und der grosse Germane, der eigentlich besser in die Arena als hier auf die Tribüne gepasst hätte, setzte sich in die Reihe direkt hinter ihm, ein wenig schräg versetzt, um ihn auch beim Betrachten der Kämpfer im Augen behalten zu können. Denn er war ja nicht zum Spass hier. Severus wusste um die Anschläge auf verschiedene hochstehende Persönlichkeiten in letzter Zeit, und auch wenn der Flavier weiterhin völlig sorg- und arglos schien, wie das so seine Art war - er war doch jetzt immerhin ein Magistrat und damit vielleicht auch gefährdet. Ausserdem wäre diese Ansammlung von Senatoren hier für einen Attentäter doch sicher höchst verlockend gewesen... Wenn er selbst es auf möglichst viele Römer abgesehen hätte, hätte er allerdings einfach das hölzerne Bauwerk angezündet, ein paar Fässer Öl und Pech, gut plaziert an den Ausgängen, könnten hier eine heillose Verwüstung anrichten.


    Solche Gedanken gingen dem Germanen durch den strohblonden Kopf, während er mühsam seine langen Beine zusammenfaltete um sie in dem knapp bemessenen Rang unterzubringen. Aufmerksam musterte er dann seine Umgebung, fasste die Menschen in Aquilius' Nähe scharf ins Auge, und verbreitete um sich herum gekonnt eine Atmosphäre von grimmiger Wachsamkeit.
    Die Pompa blendete ihn förmlich, mit ihren Farben, den blitzenden Rüstungen, den wogenden Federbüschen auf den Helmen. Er erkannte den ein oder anderen Gladiator aus dem Ludus Illustris und wünschte ihnen von Herzen Kampfesglück. Das ganze Spektakel drumrum war abstossend, die Zuschauer widerten ihn an - verfettete, in Dekadenz erschlaffte Römer, die selbst keine Ahnung vom Kampf auf Leben und Tod hatten und zu ihrer Belustigung tapfere Krieger gegeneinander antreten liessen. Aber die Kämpfer selbst, die beneidete er tatsächlich. Denn sie hatten immerhin eine wenn auch kleine Chance, sich die Freiheit zurückzuerkämpfen. Was hätte er für so eine Chance gegeben!
    Immer mehr Menschen drängten sich in das Amphitheater und füllten die Ränge bis zum Bersten. Ein wenig bang fragte der Germane sich, wie und ob etwas von Menschen aus Holz gebautes so eine grosse Last überhaupt aushalten konnte. Auf einem Treppenaufgang in der Nähe entdeckte er dann ein bekanntes Gesicht - Flavius Lucanus, der den Aufbruch der ganzen flavischen Bagage scheinbar verpasst hatte. Severus richtete sich auf und legte die Hand an den Mund, rief mit kräftiger Stimme dessen Namen durch den Lärm des Amphitheaters hindurch, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
    "Flavius Lucanus!"
    Er suchte dessen Blick und deutete auf dessen versammelte Verwandschaft in der Reihe vor sich. Dann setzte er sich wieder hin und beugte sich zu Aquilius vor, der so eine winkende Handbewegung gemacht hatte.
    "Ja?"

    Zitat

    Original von Hannibal, bzw. "Chrysantha"


    Eines der Küchenmädchen meinte, Hannibal sei vorhin Richtung Balneum gegangen. Also schlug auch Severus diese Richtung ein. Er drückte die Türe auf - sie schien ein wenig zu klemmen, und bemerkte erst beim Eintreten, dass jemand nachlässig den Riegel ein Stück vorgeschoben hatte, allerdings nicht weit genug um die Türe richtig zuzuhalten.
    Severus Augen wurden etwas schmäler, und seine Züge verhärteten sich, als der Raum - wenn er auch am Tage ganz anders wirkte - gleich die Erinnerungen an die vermaledeite letzte Nacht aufweckte. Dann aber weiteten sich seine Augen wieder, und zwar in einem Ausdruck angenehmer Überraschung, als er das aparte Wesen im Badezuber erblickte. Warum war ihm diese Süße denn bis jetzt noch nicht aufgefallen? War die neu? Volle Lippen nahm er wahr, ein feuerrotes, goldgeblümtes Kleid über dem Stuhl, dann glitt sein Blick anzüglich an einem wohlgeformten, glatten Unterschenkel entlang, und über eine schlanke Fessel. Er lächelte wohlgefällig.
    "Verzeih, ich wollte nicht stören.", sagte er, keineswegs schuldbewusst, eher dreist war sein Tonfall, und blickte dem Mädchen glutvoll in die grossen dunklen Augen, die von verlaufener Schminke umgeben noch grösser wirkten. Zu schade dass das Wasser und der Schaum auf der Oberfläche tiefergehende Einblicke verhinderten. Da wollte man Schwamm sein. Severus warf sich in Pose, lehnte sich lässig gegen den Türrahmen und zeigte sein strahlendestes Lächeln (das immer hart an der Grenze zum Zähnefletschen war), Marke unwiderstehlicher Schürzenjäger, sprühend vor urtümlichem barbarischem Charme.
    "Eigentlich suche ich nämlich..."
    Ein Anflug von Verunsicherung kam über ihn. Diese Kinnlinie war doch recht ausgeprägt für eine Frau.
    "...suche ich...."
    Das Lächeln gefror. Dann rutschte es dem Germanen förmlich aus dem Gesicht und machte einem Ausdruck Platz, den man nur als schafsköpfig bezeichnen konnte.
    "...Hrannibhall."
    Eigentlich neigte Severus überhaupt nicht zum Rotwerden. Aber jetzt überzog, ausgehend von seinen Ohren, eine flammende Röte sein Gesicht. Ungläubig starrte er das Wesen an, das immer noch das selbe war, ihm mit einem Schlag aber gaaanz anders erschien.
    "Potzblitz."

    Ein Rinnsal roten Blutes floss von Bridhes zerschlagener Wange, nahm seinen Weg entlang ihres Jochbeines, tropfte dann seitlich herunter, und hinterliess eine geschwungene Spur auf ihrer hellen Haut, bevor es in ihrem Haar versickerte. Rot auf Weiss. Severus verfolgte es mit den Augen. Schön. Wie Blut im Schnee. Oder auf Schwanengefieder.
    Seine Augen flackerten. Er packte Bridhe am Hals und presste seine Lippen auf ihre. Brutaler noch als zuvor war sein Kuss, er schmeckte ihr Blut, warm und salzig... Eine ungeheure Gier kam über ihn. Zu eigen wollte er sie sich machen, sich in ihr Fleisch vergraben, sie zum Stöhnen und Schreien bringen. Sie ganz besitzen! Seine Hände fuhren gierig ihren Leib entlang, zerrten an der Tunika und schoben sie bis zum Nabel hinauf. Sein Atem ging schwer. Sein Blick war glasig in weite Ferne gerückt.
    "Du bist MEIN...", knurrte er, und zwang grob ihre Beine auseinander. Bebend presste er sich an sie, und wollte sie in seiner blinden Raserei mit Gewalt sich nehmen. An seine Verletzung dachte er dabei allerdings kein bisschen mehr, und als er Bridhe mit dem ganzen Körper schwer hinunterdrückte, meldete sich die Wunde mit einem scharfen, heissen Stich. Der drang für einen Moment durch den Nebel von Wut und Trieb hindurch - ihre Augen... Die Pein, die in ihren blauen, weit geöffneten Augen stand, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Er stockte, war einen Augenblick lang regungslos, blinzelte als würde er aus einem Traum erwachen.


    Mit einem Mal liess er von ihr ab. Ruckartig richtete er sich auf, wandte sich ab von ihr, und schöpfte mit beiden Händen aus dem Eimer das kalte Wasser. Er klatschte es sich heftig ins Gesicht, das eine maskenhafte Starre angenommen hatte. Noch immer war die Wolfswut da, zurückgedrängt, doch darauf lauernd wieder hervorzubrechen. Severus packte den Eimer mit beiden Händen, hob ihn hoch und goss das eisige Wasser einfach über sich. Es floss durch sein Haar, über sein Gesicht, troff in Strömen über seinen bis zum Bersten vom Jähzorn und Gier erfüllten Körper. Und es kühlte den Zorn, ebenso die Lust, die sich sichtlich verabschiedete. Scheppernd fiel der Eimer zu Boden. Der Germane sackte gegen die Wand, und senkte den Kopf. Mit zitternden Händen strich er sich das Wasser aus dem Gesicht.

    Auf einer Steinbank neben einer winterkahlen Hecke fand der Germane ein abgeschiedenes Plätzchen. Er setzte sich und zog ein Bein an. Kurz hielt er sein Gesicht in Richtung der blassen Sonne. Rot schien das Licht durch seine geschlossenen Lider. Die Strahlen waren matt und wärmten kaum. Und kaum liess er von seiner Arbeit ab, da stiegen wieder die Gedanken an Bridhe auf, trostlos und nagend... Severus ertappte sich bei einem schweren Seufzen. Verdammt. Ärgerlich verscheuchte er dieses ganze Wirrwarr aus seinem Kopf. Er musste sich konzentrieren! Nicht einer Frau nachhängen, die es sowieso nicht wert war. Gab doch genug andere auf der Welt! Heute war ein wichtiger Tag, da brauchte er seinen Verstand, klare Sinne musste er haben, und durfte sich nicht dummen Gefühlsduseleien, unnützem Groll oder gar schwachsinnigen Selbstvorwürfen hingeben.
    Entschlossen verbiss er sich wieder in dem Text, den er aus der Bibliothek mitgenommen hatte, eine Abschrift aus der Acta vom Frühjahr. Seine Brauen rückten zusammen, und eine steile Falte grub sich dazwischen, während er sich starrsinnig Stück für Stück durch das Dickicht dieses Artikels vorkämpfte. So viel schwierige Wörter, so viele umständliche Formulierungen... Folgendes war da zu lesen:



    ... Die Verschwörung breitet sich weiter in Hispania aus. Schon lange kann man den Eindruck gewinnen, dass in den Iberern das Potential zu Verrat und Missgunst liegt. Denn immer wieder bahnt sich die unheilvolle Abtrünnigkeit dieser Menschen an die Oberfläche ihres Denkens und Handelns. Und obwohl der gerechte Zorn unseres geliebten und weisen Kaisers den Verrätern von Hispania naht, die Praetorianer haben schon längstens die hispanisches Küste erreicht, wagen die Hispanier weiter sich gegen das große Imperium, den Princeps und den Senat zu erheben. Aus guten Quellen erreichte uns kürzlich ein Brief aus Hispania, der wohl seinen Weg in die Redaktion der Acta finden sollte und als ein weiteres Zeichen der Unverfrorenheit der Hispanier gelten kann. Natürlich möchten wir diese Unverschämtheit nicht dem werten Leser vorenthalten. Möge der Zorn der Römer sich dann gegen die Verfasser dieses Briefes richten. Wie aus dem Inhalt jenes Briefes hervor geht, ist ein unschuldiger römischer Bürger in den Händen dieser Räuberbande und Verräter gelangt. Mögen die Götter ihn beschützen und die Soldaten des Imperiums rechtzeitig diese Halunken stellen.



    An die
    Acta Diurna
    Roma
    Italia
    Ein Leserbrief...


    Sehr geehrte Redaktion der Acta Diurna, sehr geehrte Damen und Herren Senatoren, Bürger!


    Erst vor kurzer Zeit entschloßen sich einige verzweifelte Männer, dem römischen Volke zu zeigen, dass es in seiner Lebensweise falsch liegt und das verachtenswerteste Volk aller Völker ist. Zu diesem Zweck entschlossen sie sich eine Gruppe zu gründen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, dem römischen Staat mit Gewalt zu schaden. Es liegt allerdings nicht in ihrem Interesse, einzelnen Personen zu schaden. Um jedoch Druck auf die Regierung der Provinz auszuüben, entführte sie einen römischen Bürger, Marcus Manlius Vulso, dessen Kopf und Siegelrig diesem Schreiben beigelegt wurde, und verlangte vom Statthalter Agrippa ein Lösegeld. Den und seine Berater interessierte es aber nicht im Geringsten. Sie töteten den Parlamentär und kümmerten sich nicht weiter um den Bürger.


    Doch damit bewies der dekadente und beinahe greise Gesandte Roms nur die Richtigkeit der Ansichten der Entführer. Ihn interessiert nicht der Bürger an sich, sondern nur sein persönlicher Reichtum und seine Ruhe und sein Wein (aus verlässlicher Quelle erfuhr die Gruppe, dass Agrippa einen riesigen Vorrat in seinem Haus lagert -- als angeblich so tugendhafter römischer Beamter...).


    Darum fordern wir:


    - Die sofortige Absetzung der hispanischen Regierung und die sofortige Autonomierung der hispanischen Provinz. Gehen sie durch ein beliebiges Dorf und sie werden davon überzeugt sein, wie unerwünscht die römische Diktatur in Hispania immer noch ist.


    Dieser Bürger kann nicht mehr gerettet werden, doch es kann verhindert werden, dass noch mehr Menschen sterben müssen! Handelt jetzt, bevor es zu spät ist! (In dem Falle, dass dieser Leserbrief nicht veröffentlicht werden sollte, wird der Senat auf anderer Weise von der Existenz des Widerstands erfahren und es wird nicht mehr so sanft zugehen!)


    Warnende Grüße, "DIE ELEFANTEN"


    Das waren Freiheitskämpfer! Überrascht hob Severus die Brauen. Er hatte längst nicht alles verstanden, aber soviel war deutlich geworden. Wie sympathisch dass es nicht nur in seiner Heimat, sondern auch im fernen Hispania mutige Männer gab, die sich der römischen Gewaltherrschaft widersetzten! Aber ob das wirklich etwas mit den 'Elefanten' des Longinus zu tun hatte? Vielleicht hiess dessen Gruppierung nur genauso. Andererseits erinnerte ihn das mit dem Kopf des Manlius Vulso gleich an die Bedingung mit dem Kopf des Arbogastes - Keine Beschädigung. Er muss noch zu erkennen sein.
    Der Germane rollte das Papyrus zusammen und erhob sich, schlug langsam und nachdenklich wieder den Weg zum Haus ein. Er kam an Telamon vorbei, einem Gärtner, der gerade dabei war ein Rosenbeet dick mit Zweigen abzudecken.
    "Telamon? Sag mal - was heisst 'Autonomierung'?", erkundigte sich Severus.
    "Autonormierung", wiederholte der Mann nachdenklich, und zupfte dabei gemächlich ein paar Zweige zurecht. "Selbst normal machen, würd ich sagen."
    "Hm. Ach so."
    So ganz verstand Severus den Sinn immer noch nicht. Egal. Er machte sich auf die Suche nach Hannibal. Vielleicht wusste der ja mehr über menschliche Elefanten. Hoffentlich. Sonst würde er Sciurus fragen müssen, und das würde todsicher mal wieder nicht gut gehen.

    "Ich 'bedeute Dir immer noch sehr viel'...aha...", wiederholte Severus tonlos, verzog angewidert über diese Formulierung das Gesicht, und brüllte auf einmal wutentbrannt los.
    "Was ist das für LAUES, VERLOGENES Geschwätz?! Du hast meine Frage nicht beantwortet! Du hast mich also hintergangen?! - Hast Du nicht gesagt Du liebst mich? Hast Du nicht gesagt wir wären füreinander bestimmt?!"
    Hohl und verächtlich lachte er auf.
    "Alles Lüge! Was war ich für ein Narr Dir auch nur einen Moment lang zu glauben..."
    Zorn, Eifersucht und maßlose Enttäuschung verzerrten sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Seine Finger gruben sich in Bridhes Schultern, er riss sie von den Füssen und drückte sie hinunter auf den umgedrehten Zuber auf dem er gerade noch gesessen hatte. Grob presste er sie mit seinem Körper gegen das Holz.
    "Ich hätte es wissen müssen", knirschte er, "Aquilius hat Dich zu seiner Hure gemacht und jetzt bist Du genau das - eine miese kleine Hure, nichts weiter..."
    Er holte mit der Hand aus und schlug Bridhe brutal ins Gesicht, ohne dabei seine Kraft zu zügeln, und dann in der selben Bewegung nochmal mit dem Handrücken, von der anderen Seite. Wie Gytha... genau wie Gytha damals hatte sie ihn mit einem Römer hintergangen.... ihr Gesicht verschwamm in einem roten Nebel. Wie ein Tier bleckte er die Zähne. Blinde Wut, Lust zu Töten und zu Zerfetzen wollten ihn überwältigen. Aber noch war er Bridhe eine Antwort schuldig.
    "Das Geld.", presste er zwischen den Zähnen hervor, ohne auch nur ein bisschen locker zu lassen, "Für das Geld hab ich einen Mann getötet. Einen Verbrecher. Abschaum. Hab ihn abgestochen."