Die Casa Annaea lag dicht gedrängt im Zentrum der altehrwürdigen Metropole Baeticas in einem unscheinbaren Gässchen, das man leicht übersehen konnte. Es war ein Tag wieder andere im September des Jahres DCCCLVI A.U.C. Der Lärm spielender Kinder drang vom Hof durch die offenen Fenster des Hauses, eine kühle Brise rauschte durch den Blätterwald und verschaffte so eine angenehme Kühlung von den Temperaturen, welche hier im südlichen Teil der Provinz Hispania teilweise herrschen.
Mein Name ist Publius Annaeus Domitianus. Ich bin der Sohn des Marcus Annaeus Mela und ein Neffe des legendären Lucius Annaeus Seneca. Trotz meiner Abstammung, dessen Stolz ich natürlich nicht verhehlen kann, habe ich von dem berümtesten aller Aenneer nicht viel erfahren. Er starb kurz nach meiner Geburt wie der Rest meiner Familie, mein Vater und mein Bruder, von dem ich ebenso wenig mitbekommen habe.
Nichtsdestotrotz war es mir natürlich eine Pflicht und Freude, die Werke meines Onkels und die meines Großvaters eingehend zu studieren, ebensowie das Schicksal meines Onkels und die mysteriösen Umstände seines Todes.
Das Haus, in dem ich nunmehr seit über 30 Jahren lebe, ist dasselbe, in dem einst mein Großvater schon geboren wurde. Es gehörte über viele Jahre dem ehemaligen Hausverwalter der Aenneischen Sippe, dem alten Corax, bis dieser vor gut fünf Jahren im greisen Alter verstarb. Seitdem pflege ich den Hausvorstand und gebe mir alle Mühe, das Ansehen der Familie in der Stadt hochzuhalten.
Soeben kam ich von einer cena bei einem Decurionenmitglied, jenen ehrenhaften Männern, welche dem Rat der Stadt angehören und mit ihrer Stimme die Politik derselbigen bestimmen. Eines Tages, so hoffte ich, wenn das Ansehen und der Einfluss der annaeischen Sippe wieder an den vergangener Tage gereichen würde, so hoffte ich, würde ich auch meinen Platz finden, inmitten dieser Stadtväter und das Wort eines Annaeus würde wieder Gewicht bekommen in dieser Stadt.
Das Essen war nicht von ausschweifender Dauer, als daß man es als eines jener Gelage bezeichnen könnte wie sie Petron in seinen Werken karikarisiert. Der Hausherr kredenze uns andalusische Muscheln in einer würzigen Soße, dazu wurden als Beilage gebratene Fenchel serviert.
Als Freund des Sohnes der Familie war ich auch geladen und befand mich darauf in einer illustren Runde aus Stadträten, Priestern und einflussreichen Grundbesitzern. Mein eigener Status und meine angeborene Zurückhaltung geboten mir, mich dezent im Hintergrund zu halten und nur wenn man mir eine direkte Frage stellte, darauf höflich und bestimmt zu antworten. Bei diesen Essen war es ohnehin nur von Wichtigkeit "dabei" zu sein und daß die einflussreichen Bürger einen in Erinnerung behielten.
Ich öffnete die porta und betrat das Atrium und sofort empfing mich Mephisto, ein freigelassener Sklave, der meinen Hausstand besorgte, wenn ich nicht da war. - Achja, ich sollte vielleicht noch sagen, worin mein Auskommen derzeit besteht. Nun, ich arbeite zur Zeit als Tempeldiener und Opferhelfer in den Tempeln der Stadt. Ich assistiere den sacerdotes und bereite alle für das Opfer vor.
"Salve Domitiane !" begrüßte er mich mit den Worten. "Wie war die cena ?" Ich entledigte mich meines palliums und nickte Mephisto zur Begrüßung zu. "Die ewig sinnlosen Gespräche, die ewig selben Personen. Es hielt sich im Rahmen." Mephisto schien begierig davon, mehr zu erfahren, doch mehr vermochte ich nicht zu berichten und das gab es auch nicht. "Ich bin in meinem cubiculum und brauche meine Ruhe. Ich muß einen Brief aufsetzen. Bitte störe mich nicht !" Mephisto nickte. Er hatte offensichtlich auch besseres zu tun, als mich zu behelligen und so machte ich mich das enge Treppenhaus rauf in mein privates Reich.