Unmittelbar nach dem Opfer und noch vor dem ersten Gladiatorenkampf bewegte sich Serenus im Beisein seiner beiden Molosserkampfhunde Nero und Domitian zielsicher zu dem Raum, wo die Gladiatoren ihre letzten Vorbereitungen trafen. Ein alter Sklave, welcher quasi schon zum Betriebsinventar des flavischen Theaters zählte, versuchte keuchend Schritt zu halten.
„Dominus, ihr solltet da nicht reingehen. Die sind gefährlich, die sind unberechenbar. Das sind wilde Tiere. Bestien auf zwei Beinen und sie haben Waffen.“
Serenus winkte ab. Gladiatoren kannte er aus Baiae und dem Wirkungskreis seiner Oma schon von Klein auf. Und er hatte zu „Bestien“ ohnehin eine Sichtweise, die von der Norm abwich. Ausgebildete Molosserhunde waren seine beiden „Jungs“, Gladiatoren waren stets seine Leibwächter gewesen, Krokodile waren doch auch nur große Eidechsen und sein Löwe Leontius war einfach nur putzig. Da konnte er einfach nicht verstehen, wieso Onkel Gracchus und Tante Antonia den nicht im Garten der Villa haben wollten. Dabei war der bestens ausgebildet worden und hörte sehr gut auf seinen Namen, meistens zumindest.
Und den Leoparden von seiner verstorbenen Tante Minervia hatte er als kleiner Junge auch schon mal am Schwanz quer durch die Villa geschleift und versucht die Flecken von ihm runter zu bürsten, weil er es damals noch nicht besser wusste. Das hatte dem Tier nicht gefallen. Er war weggelaufen und hatte sich eine Woche vor Serenus in Minervinas Cubiculum versteckt. Katzen waren irgendwie doof, das hatte er damals wieder einmal bestätigt bekommen.
Er betrat den Raum und musterte die Gladiatoren nacheinander und schaute jedem in die Augen. Insbesondere einem Subjekt, das er kannte und welches den heutigen Tag ganz sicher nicht überleben würde. Zum einen, weil er ihn nicht leiden konnte, zum anderen weil er 5 Sesterzen auf seinen Tod gewettet hatte.
„Mein Name ist Flavius Serenus. Was ich jetzt sage sollte jeder von euch eigentlich wissen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß es selten schaden kann wirklich wichtige Dinge kurz vorher noch einmal zu wiederholen.
Es finden heute Kämpfe auf Leben und Tod statt. Das heißt, daß die Hälfte von euch diese Arena nicht lebend verlassen wird. Eventuell werden wir dann entscheiden, ob wir die Sieger der Kämpfe noch einmal gegeneinander antreten lassen. Den Sieger erwarten eine Menge Gold, den Leibarzt der Gens Flavia für seine Wunden und unsterblicher Ruhm. Das Theater ist bis zum letzten Platz besetzt. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß der Augustus noch kommt. Sein Terminkalender ist zwar voll, aber man weiß ja wie wankelmütig die Herrschenden sein können, wenn sie hören, daß das Volk zusammen läuft und sie nicht dabei sind oder keiner sie zu vermissen scheint. Und auch zahlreiche Senatoren wurden bereits gesichtet. Mit den anwesenden Eques und Neureichen unter unseren Klienten und den Bürgern könnte man eine Legio aufstellen. Wer heute siegt kämpft vielleicht schon das nächste Mal bei den Spielen eines Aedils oder des Augustus. Die Toten erwartet ein ehrenvolles Begräbnis mit allem Drum und Dran, daß eure Ahnen im Hades vor Neid erblassen.
Wir erwarten saubere Kämpfe. Kein Gefuchtel, kein schnelles Ende, keine Tricksereien. Also vergesst die üblichen Tricks mit gefüllten Schweineblutblasen, Kampfabsprachen, Schmierenkomödien, kleinen Kratzern, Gejammer und der Hoffnung auf Begnadigung durch die Zuschauer. Zwei Gladiatoren gehen rein, ein Gladiator geht lebend raus.
Wer von euch meint uns verarschen zu können, der wird feststellen, daß sowohl mein Vater, wie auch mein Onkel, die niederträchtigsten Schinder sein können, die euch je unter die Augen gekommen sind. Sonst würden sie ja keine erfolgreichen Politiker werden. Dann werdet ihr euch wünschen, daß ihr in der Arena verloren hättet.“
Letzteres war eine fette Lüge. Während Serenus bei Sklavenbestrafungen eher ein Hardliner wie Onkel Senator Flavius Felix oder Oma Flavia Agrippina war, so fielen sein Vater und Onkel Gracchus eher in die Rubrik "Hab-mich-lieb-Bärchen". Aber für die Fälle gab es dann ja noch Serenus als Zünglein an der Waage um harte Bestrafungen zu gewährleisten. Obwohl beide sicher sehr böse werden konnten, wenn sie es wollten.
Er kannte die Quoten der Buchmacher, er kannte seine eigenen Wetten, er wusste um die Wettleidenschaft des Publikums. Da gab es hier und heute klare Gewinner und Verlierer und kein Unentschieden. Außerdem war man als Flavier und Patrizier nun mal Traditionalist.
Serenus nickte den Gladiatoren zu und verließ den Raum ohne sich darum zu kümmern, was diese noch als letzte Worte zu sagen hatten. Er begab sich in Richtung Ehrenloge, wobei er sich auf dem Weg dorthin noch umzog.
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