Beiträge von Flavia Leontia

    Impressionen eines Einkaufsbummels - Teil I - Bei den Tuniken


    Wie bei einem Spiegelbild wölbten sich Leontias feingeschwungene Brauen indigniert in die Höhe, als Serenus die Tunika, die sie ihm hinhielt, so schnöde verschmähte, und beleidigt schürzte sie die Lippen. "Dies ist ein sehr schönes Stück, das deiner durchaus angemessen wäre, Serenus!", sprach sie vorwurfsvoll zu ihm, zuckte dann die Schultern. "Aber wenn du nicht willst… Dieser Gallier macht tatsächlich sehr hübsche Sachen, aber man muss sich deshalb nicht auf einen Lieferanten versteifen." Dieses Kind! War es also auch von dem schlimmen Phänomen ergriffen worden, dass man in späteren Zeiten Markenwahn nennen würde…


    "Sowieso", murmelte sie verdrossen, während sie die Tunika wieder zur Seite legte, "wird die gallische Mode gemeinhin überschätzt. Viel interessantere Impulse kommen doch aus dem Osten zu uns…" Ein leicht besorgter Seitenblick streifte Epicharis; Leontia hoffte, dass das schlechte Betragen ihres Neffen diese, falls Agrippina sich zu einer Verbindung entschloss, nicht abschrecken würde.


    Neidlos musste sie außerdem zugeben, dass das dunkle Rot der Tunika, die Epicharis vorschlug, ihrer Schwägerin sehr gut stand. Noch ein Punkt zu Epicharis Gunsten: sie hatte offenbar Geschmack. Aber was hörte sie da? 'Gracchus wird dir nicht wiederstehen'? Was für eine seltsame Formulierung. Hellhörig geworden schnappte Leontia sich eine elfenbeinfarbene Stola und trat zu den beiden anderen. "Ja, wundervoll dieses Rot, strahlend und doch nicht aufdringlich!", stimmte sie lächelnd zu, und mit einem "Darf ich?", hielt sie probeweise die Stola daneben. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie die Kombination, urteilte dann kopfschüttelnd: "Ich meine diese ist eine Spur zu dunkel. Die hier vielleicht?"


    Leontia wandte ihre Aufmerksamkeit nun ganz den Stolen zu, fand eine schneeweiße mit Perlenstickerei und rief entzückt aus: "Nein, wie hübsch!" Wehmütig seufzte sie dann: "Wie schade, dass es sich vor der Hochzeit nicht ziemt, diese zu tragen…" Das war allerdings ein Argument, das fürs Heiraten sprach. Ganz unschuldig wandte Leontia sich an Epicharis, und erkundigte sich beiläufig: "Bist du schon vermählt, wenn ich fragen darf?"

    "So, ein Sklave kleiner Leute bist du also gewesen.", stellte Leontia herablassend fest. "Nun, Daphnus, lass dir gesagt sein, dass sich in meinen Diensten für dich vieles ändern wird. Zum einen hast du in Zukunft ein Verhalten an den Tag zu legen, das dem Stand dieses Haushaltes angemessen ist… halte dich an die anderen Sklaven und lerne von ihnen, wenn dir ein solches nicht vertraut ist. Zum anderen : diene mir unaufdringlich, geschickt und flink, sei mir ein guter Sklave, und du wirst in diesem Haus ein Heim finden, in dem es dir an nichts mangelt."


    Sie lächelte huldvoll und blickte von oben auf seinen goldenen Scheitel hinab. Was konnte sich ein Sklave denn anderes wünschen, als ihrer glorreichen Gens zu dienen und auf diese Weise ebenfalls eines winzigen Stückchens ihres Glanzes teilhaftig zu werden? In sachlichem Tonfall fuhr sie fort: "Zum dritten: Schlechtes Benehmen, Faulheit, oder gar Aufsässigkeit werde ich in keinster Weise dulden. Solltest du so einfältig sein, mein Missfallen zu erregen, wirst du empfindliche Sanktionen zu tragen haben…" Ein verträumter Unterton mischte sich in diese Androhung, Leontia dachte an die exquisiten Geißeln, die sie eben erst neu erstanden hatte, und noch keine Gelegenheit gehabt hatte, richtig zu testen. Nur Geduld, Leontia, sie kommen schon noch zum Einsatz…


    "Und komm nicht auf den absurden Gedanken zu fliehen.", befahl sie ihm spöttisch. "Wir fangen diese armen Toren alle wieder ein. Immer. Und es würde mir leid tun, dein blondes Haupt auf einem Pfahl stecken zu sehen, zur Lehre und Mahnung…" Zu Hause machte ihr Papa das immer so, und Leontia fand diesen Brauch sehr vernünftig. "… dein Kopf macht sich auf deinen Schultern doch viel besser, scheint es mir. - Hmm…" Sie legte zwei Finger an ihr zartes Kinn, schien zu überlegen, sah auch kurz zu ihrer Leibsklavin, die wieder ihren schweigenden Posten neben der Türe bezogen hatte.


    Schließlich entschied sie sich: "Was deine Aufgaben angeht, so gedenke ich, dich als meinen zweiten persönlichen Leibdiener einzusetzen - so du dich geschickt anstellst - um meine gute Salambo ein wenig zu entlasten…" Sie lächelte dünn. Ein kleiner Dämpfer konnte ihrer Nubierin nun gut tun; unmöglich hatte die sich während der Saturnalien benommen, einfach unmöglich! - Besagte Nubierin konnte bei dieser Eröffnung offensichtlich nur schwer ihre Bestürzung verbergen. Ein eifersüchtiger Blick aus den dunklen Augen des "Kammerkätzchens" traf den Rivalen wie ein vergifteter Dolch, bevor Salambo wieder sittsam die Augen niederschlug.


    "Sie wird dir alles zeigen, damit du dich zurechtfindest, und gleich deinen Pflichten nachgehen kannst. Nicht wahr, Salambo?" - "Natürlich, Domina.", antwortete die Nubierin glatt. - "Gut. Bring ihn zuerst in die Sklavenunterkunft, er soll sich ein wenig zurecht machen und etwas schmuckeres anziehen. Treib etwas in veilchen-, oder nein, besser in azurblau für ihn auf. Die Blumen kann er dann ablegen. Noch etwas, Daphnus - selbstverständlich wirst du, wenn ich deiner Dienste gerade nicht bedarf, die Wünsche meiner Familienmitglieder, oder unserer Gäste, ebenso gewissenhaft und respektvoll befolgen, als wären es die meinigen… Hast du das alles verstanden?"

    In andächtigem Schweigen wohnte Leontia dem Opfer bei. Hochaufgerichtet, umringt von ihren Sklaven, sah sie ehrfürchtig auf die Virgo Maxima, ihre Base. Das fließendes Gewand der jungen Patrizierin war von einem klaren Eisblau, und eine schneeweiße Palla, lag weich um ihre Schultern drapiert. Schwarz wie Ebenholz waren die schweren Flechten um ihr mamorblasses Gesicht, in dem eine glühende religiöse Inbrunst stand.


    Von der Musik ganz und gar ergriffen lauschte Leontia, ließ sich von den Klängen verzücken und emporheben, fühlte sich dem Göttlichen nahe, und gedachte mit Ehrerbietung ihrer glorreichen Vorfahren. Was hätte sie nur dafür gegeben, jetzt da vorne an der Seite ihrer Base zu stehen, und helfend bei der Zeremonie mitwirken zu dürfen - oder vielleicht an der Stelle ihrer Base? - Aber Leontia, rügte sie sich selbst, dieser Ehrgeiz ist wahrlich verfrüht!

    Wie schön er doch die Worte setzte! Wider Willen war Leontia fasziniert, malte sich lebhaft eine Schlacht aus, in der urtümliche, große, blonde Krieger, die alle ein bisschen wie Daphnus aussahen, gegen die glorreichen Legionen des Imperiums anstürmten… und mit Genugtuung sah sie die Barbaren unterliegen und sterben. Siegreich erhob sich der römische Adler über die wilden Lande.


    Und tatsächlich streckte Leontia die Hand nach Daphnus aus, legte ihm sacht zwei Finger unter das Kinn, und ließ ihn das Gesicht emporheben. Ihre großen nachtblauen Augen, so dunkel in ihrem alabasternen Antlitz, richteten sich intensiv, forschend, durchdringend, auf ihn, als suchten sie die klare Bläue seiner Augen zu durchdringen. Und nicht ohne in ihrem Inneren ein Erzittern zu spüren, gestand sie sich ein, dass dieser Mann, so strahlend und schön, wahrhaft seinesgleichen suchte… - Leontia, beherrsche dich! Der Sklave ist recht dekorativ, nichts weiter!


    "Aha." Ein undeutbares Lächeln spielte um ihre Lippen, und ihre zarten Finger fuhren langsam, nachlässig, die Linie von Daphnus' Kinn nach - dann zog sie sie abrupt wieder zurück. In geringschätzigem Tonfall bemerkte sie, mehr zu sich selbst: "Ich möchte mal einen Sklaven sehen, der nicht behauptet, von irgendwelchen Königen und Kriegsherren abzustammen… Diese Schlingel sind doch alle gleich. - Wie auch immer, es ist belanglos. Sprich weiter, Daphnus… berichte mir, wo du gedient hast, und vor allem was deine Qualitäten sind…"

    Nach Epicharis und Antonia entstieg auch Leontia der Sänfte. Sie strich sorgsam ihre Tunika glatt, zog sich die Palla um die Schultern und warf mit gewölbten Brauen einen hochmütigen Blick auf das plebeische Gewimmel, das dichtgedrängt die Straßen bevölkerte.
    "Ja, bummeln wir doch ein einfach wenig hier entlang", stimmte sie zu, "und sehen was wir Schönes finden. Da drüben meine ich bereits ein paar hübsche Tuniken erspähen zu können…"


    Wachsam sah sie zu Serenus - nicht, dass der Kleine in den Menschenmassen verloren ging. Aber die Begleit-Sklaven schienen recht tüchtig zu sein, sie schirmten die drei Frauen, Serenus und ihr Gefolge effektiv vom Rest der Marktbesucher ab, und bahnten ihnen zudem den Weg, indem sie die Passanten rabiat zur Seite drängten.


    "Liebe Schwägerin", fragte sie unterwegs Antonia, "was würdest du eigentlich davon halten, wenn wir gemeinsam die Villa ein wenig umdekorieren würden? Allzu lange hat sie doch vor allem Männern, Junggesellen, als Heimstat gedient, und ich trage mich mit dem Gedanken, dem ganzen einen mehr, wie soll ich sagen… einen Hauch von Leichtigkeit zu geben. Wie mit den Seerosen im Impluvium, zum Beispiel. Hättest du vielleicht auch Lust dazu?"


    Schon ein paar Stände weiter stießen sie auf eine reichhaltige Auswahl edler bunter Gewänder in allen Größen, die am Gestänge des Vordaches aufgehängt, heiter im Wind wehten. Es überwogen hier schon die Frühjahrsfarben, zart und pastellig mit einem Schwerpunkt auf verschiedenen Grüntönen. Und noch immer hielt sich in der Mode hartnäckig der Hang zu breiten Borten, wie Leontia unzufrieden bemerkte.


    "Komm einmal her!" Sie ließ die kleine Dido vortreten und hielt dem süßen blonden Mädchen einmal eine zart-smaragdgrüne, dann eine zart-laubgrüne kleine Tunika vor. "Das ist doch schon ganz nett… Zieh das über. Was meint ihr?" Sie fügte einen bestickten Gürtel hinzu, dann verschiedenfarbige Überwürfe, drehte und wendete die kleine Sklavin wie eine Kleiderpuppe. "Oder die türkisfarbige hier. Sie harmoniert mit ihren Augen, nicht? Und diese Stickereien sind recht apart… - Dann natürlich noch etwas wärmeres…" Der Stapel der zu kaufenden Kleider wuchs schnell.


    "Oh! Das ist etwas für dich, Serenus." Entzückt griff Leontia nach einem wahren Prunkstück: einer gedeckt weinroten Seidentunika mit schiefergrauem Futter und prunkvollen dunkelgoldenen Borten. "Ich bin mir sicher, sie wird dir vortrefflich stehen. Hoffentlich ist sie nicht zu groß - aber du bist ja wieder ordentlich gewachsen. Komm, mein Spatz, probier sie gleich an."

    Sehr erleichtert, und etwas überrumpelt von solch spontaner Herzlichkeit, erwiderte Leontia die Umarmung. "Ja, es ist furchtbar lange her! Ich war noch so…", sie hielt die Hand in Hüfthöhe, "...oder, na ja, jedenfalls so…", sie hob die Hand in Brusthöhe "…klein. Aber jetzt bin ich erwachsen. Wenn ich fragen darf, wie geht es dir, liebe Base? Die ganze Familie ist so stolz auf das, was du erreicht hast!"


    Ehrliche Bewunderung sprach aus ihren Worten. Noch immer ein wenig befangen lächelte Leontia, und schwärmte: "Als ich hier hereinkam, habe ich gleich diese besondere Atmosphäre gespürt, man taucht, von der lärmenden Straße, in einen Hort der Ruhe, der Andacht und der Harmonie… Ich interessiere mich wirklich sehr für euer Leben hier, und für den Dienst an der Göttin."

    "Wie bitte? Ich kann dich kaum verstehen…" Leontia schmunzelte böse, und grub ihre Zehen spaßeshalber tief in die goldene Haarpracht hinein… hmm, das war noch viel schöner als barfuss auf warmem Sand zu laufen! Diese Empfindung ausgekostet, zog sie ihren Fuß wieder zurück und schlug elegant die Beine übereinander.


    "Du musst schon deutlicher sprechen, Daphnus.", erklärte sie ihrem Sklaven in mildem Tonfall, und sah von oben auf ihn hinunter, interessiert, aufmerksam und ebenso wenig mitfühlend, als würde sie gerade ein Insekt betrachten, eines, das sich als schillernder Schmetterling oder Libelle, ebenso wie als Hornisse oder Pferdebremse enthüllen konnte.
    Auf und ab wippte der Fuß. "Ich warte..."

    Kerzengerade und sehr ehrfürchtig stand Leontia ihrer älteren Base gegenüber - es musste ihre Base sein. "Salve," erwiderte sie nervös, und nahm mit einem dankenden Neigen des Kopfes das Wasser entgegen. Die Hände um den Becher geschlossen, spürte sie das glatte Silber und die wohltuende Kühle die davon ausging. "Hab vielen Dank, ehrwürdige Virgo Vestalis Maxima. Mein Name ist… ich bin Flavia Leontia, Tochter des Flavius Aetius." Sie wartete auf ein Zeichen des Widererkennens, und fügte mit einem schüchternen Lächeln hinzu. "Deine kleine Base aus Ravenna..."


    Leontia drehte rastlos den Becher in der Hand und gestand gleich. "Niemand weiß, dass ich hier bin. Papa würde es nicht gutheißen, er hat andere Pläne mit mir, aber… aber als ich von diesem Treffen hier gehört habe, da musste ich einfach kommen, ich konnte nicht anders!" Schnell nahm sie einen Schluck Wasser. Das tat gut, und sie trank gleich noch einen. Wo war nur ihre Gravitas geblieben? Bang und aufgewühlt erwartete sie die Reaktion der Virgo Maxima, atmete ganz tief durch, und hoffte, dass Agrippina ihr nicht zürnen würde.

    Wenn das Papa wüßte! Bestimmt würde er ihr sogleich die Apanage streichen und sie auf der Stelle nach Ravenna zurückzitieren. So ging es Leontia durch den Kopf, als sie, begleitet von ihrer nubischen Leibsklavin, endlich das Atrium Vestae erreichte. Ein aufregender Weg lag hinter ihr. Zuerst einmal hatte sie ihrer Amme entschlüpfen müssen - Leontia war fest davon überzeugt, dass die alte Dido alles, was sie tat oder nicht tat, haarklein an ihren Herren, Leontias Vater weiterleitete. Und der hatte ihr nun mal verboten, sich weiter für die Vestalinnen zu interessieren, für diese 'blutleeren, vertrockneten Jungfern', wie er sie, bar jeder religiösen Ehrfurcht, zu betiteln pflegte.


    Doch als Leontia den Aushang gelesen hatte, war sie sofort wild entschlossen gewesen. Unter dem Vorwand eines Thermenbesuches war sie am Nachmittag mit ihrer treuen Salambo zusammen aufgebrochen, hatte sich dann, um keine weiteren Sklaven des Hauses einzuweihen, eine Mietsänfte genommen, und war so, mit einigen Umwegen, sehr aufgeregt aber wohlbehalten am Hause der Vestalinnen angelangt.


    Noch immer glühten ihre Wangen, belebt von dem kleinen Abenteuer und von ihrem Ungehorsam. Eilfertig nahm Salambo ihr den langen Mantel von den Schultern, es war, der Tarnung halber, eine schlicht gehaltene weiße Paenula. Darunter trug Leontia eine lange, fließende Tunika von blassblauer Farbe, die nur dezent mit kleinen Perlenstickereien am Saum verziert war - Leontia wollte gleich zeigen, dass sie nicht hoffärtig war. Auch ihr Haar war heute ohne Extravaganz zurückgeflochten, und beim Schmuck hatte sie sich sparsam für ein Silber-und-Mondstein-Ensemble entschieden.


    So gewappnet betrat Leontia, erfüllt von Ehrfurcht und Neugierde zugleich, den gewiesenen Raum, grüßte höflich, und sah sich etwas beklommen nach anderen Interessentinnen um. Als sie die hochangesehene Virgo Maxima das letzte Mal gesehen hatte, war sie noch ein Kind gewesen. Ob ihre Base sie überhaupt noch wiedererkennen würde?

    Leontia verfolgte den Auftritt ihres kleinen Neffen indigniert. Der hatte doch bestimmt hinter der Türe gelauert, um solch einen Moment abzupassen. "Sei nicht so frech, mein Spatz.", wies sie ihn hoheitsvoll zurecht. "Und ich würde es vorziehen, wenn du die Erziehung meiner Sklaven mir überließest. Hmm...aber eine interessante Anregung ist das durchaus."


    Ihr zierlicher Fuß, der einen dezenten Duft nach Wasserlilien verströmte, wippte, und eine feine Gänsehaut überhauchte den schmalen Streifen ihres schlanken Schenkels, der unter dem goldenen Saum der tiefvioletten Tunika sichtbar war. Der elfenbeinerne Halbmond an ihrem Knöchel schwang hin und her, als Leontia ungnädig ihre Zehen Daphnus' Lippen entzog, und ihm stattdessen den Fuß fest in den Nacken setzte. Das blassgolden gefärbte Leder ihrer Sandale harmonierte farblich gut mit seiner blonden Mähne, fiel ihr nebenbei auf.


    "Ich habe dich schon einmal gefragt, Sklave, und ich wiederhole mich ungern." Erbost verlagerte sie mehr Gewicht auf seinen Nacken, drückte seinen Kopf hart bis auf den Boden hinunter. "Wie ist dein Werdegang, deine Herkunft, deine Qualitäten? Sprich jetzt, oder ich lasse mich auf der Stelle von dem Vorschlag meines lieben kleinen Neffen inspirieren."

    „Sehr gerne, hab vielen Dank. Ich benötige unbedingt … neues Webgarn.“ Erfreut ging Leontia auf Epicharis’ Vorschlag ein, neigte dankend den Kopf, und war sehr erleichtert, dass sie sich nicht zu penetrant selbst einladen musste - denn mit wollte sie unbedingt! Sie musste doch die Gelegenheit nutzen, sich einen Eindruck von dieser Person zu verschaffen, auf die Tante Agrippina ihr kritisches Auge geworfen hatte. Schließlich ging es hier um sehr viel: Marcus’ Zukunft, und ihr eigener Stand bei ihrer strengen Tante. Es war Leontia sehr wichtig, dass Agrippina, diese kluge, weitsichtige und einflussreiche Marionettenspielerin, gut von ihr dachte.


    Serenus von „existenziellen Einkäufen“ sprechen zu hören, ließ sie wohlwollend schmunzeln. „Wenn es so ernst ist, sollten wir nicht säumen.“ Er war so herzig. Schnell erteilte sie ihren Sklaven ein paar Anweisungen, Salambo reichte die Platte mit der Lockspeise an Dido maior weiter und lief flink, um Geld zum Einkaufen zu holen, Hamilkar lud Dido noch das Katzenkörbchen auf, nahm dafür den Mantel, und die alte Amme zog vollbepackt, und mit einem eifersüchtigen Blick auf die Sklaven, die mit durften, Richtung Garten, um die Suche nach Sphinx weiterzuführen. Gleich war Salambo wieder zurück, und Leontia bestieg mit den beiden anderen Frauen beschwingt die Sänfte, voller Erwartung, was dieser Tag noch bringen würde.

    "Lass uns das etwas später tun, liebe Cousine," antwortete Leontia auf Minervinas Vorschlag, und räkelte sich entspannt auf der Massagebank, "die Masage war herrlich, aber sie hat mich ganz träge gemacht..." Salambo breitete ihr ein feines Tuch über den Rücken, und Leontia blieb liegen, genoss die wohlige Mattheit, sah dann wieder auf, als noch eine Thermenbesucherin eintrat.


    „Sei gegrüßt, Annaea. Mein Name ist Flavia Leontia.“, stellte sie sich mit einer andeutungsweisen Neigung des Kopfes vor, um der Höflichkeit genüge zu tun. Kurz warf sie einen interessierten Blick auf die Badebekleidung, die die beiden neu hinzugekommenen trugen - nein, so anders als in Ravenna war die Bademode hier tatsächlich nicht, glücklicherweise - und legte dann wieder den Kopf auf die verschränkten Hände, schloss träge die Augen.

    Leontia sah. Schluckte. Errötete.
    Ihr Schuss war eindeutig nach hinten losgegangen. Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Mann - dieser Sklave, nein, dieser Eunuche! - komplett die Hüllen fallen liess, die aufreizende Gelassenheit, mit der er seinen fantastischen - nein, begrüßenswert wohlproportionierten - Körper präsentierte… da wurde ihr mit einem mal ganz anders! Eine seltsame Hitze stieg in ihr auf. Verlegen, und doch nicht fähig, den Blick abzuwenden, sah sie ihn an, von Kopf bis Fuß glitt ihr Blick gebannt über ihn hinweg, und sie spürte, wie ihre Wangen heiß erglühten. Wie war er schön !


    War dies die Raserei, die einen im Angesicht wahrhaftiger Schönheit ergriff, war dies eine wilde Reminiszenz an die Zeit, da ihre Seele das Göttliche hatte schauen dürfen? Es fühlte sich ganz so an. Sie blinzelte ergriffen, schluckte noch mal, räusperte sich… hilflos im Angesicht des Schönen. Erst Salambo, die mit einem Becher Wasser in der Hand wieder in die Bibliothek hineinkam, brach, so leise sie auch eintrat, den Bann. Schnell wandte Leontia den Blick ab. „Zieh dich an.“, sagte sie mit wankender Stimme, atmete tief durch und hielt den Blick fest auf ein goldverziertes Schriftrollenbehältnis gerichtet. Aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass der alte Bibliothekar, Mago, mit dem Kopieren innegehalten hatte, er hielt die Feder regungslos in der Hand, sah auf Daphnus und ein feines Lächeln stand auf seinen bärbeißigen Zügen geschrieben.


    Diesen Zeugen ihres Momentes der Schwäche zu sehen, ließ Leontias Gefühle umschlagen, und urplötzlich stieg die Wut in ihr auf. Wie konnte sie sich von einem Sklaven, einem Eunuchen, nur so verunsichern lassen?! Ihre perlweißen, ebenmäßigen Zähne knirschten leise, als sie sie fest aufeinander biss. Salambo, die die verlegene Situation ihrer Herrin diskret übersah, trat, ohne mit der Wimper zu zucken, auf Daphnus zu und reichte ihm den Becher. Kurz ließ auch sie den Blick über seine körperlichen Vorzüge schweifen, nickte anerkennend, sah dann ungeniert dahin, wo ihm etwas fehlte, und zuckte mit ehrlichem Bedauern mit den Schultern.


    Mit einem harten Scharren rückte Leontia ihren Stuhl zurück, drehte ihn etwas zur Seite, Richtung der Fenster. „Komm hierher, Sklave!“, befahl sie herrisch, und wies auf den schwarzweiß gemusterten Marmorboden zu ihren Füßen, der von der Bodenheizung wohlig angewärmt war. „Setz dich da hin. Und dann beantworte endlich meine Fragen!“

    Gerade wollte Leontia auf Minervinas Worte hin eine boshafte Bemerkung über die Gens Tiberia machen, im Stil von ‚eine Familie wirklich tüchtiger und umtriebiger Parvenus’, als die Ankunft einer weiteren Besucherin dem unbeschwerten Lästern ein Ende setzte. „Salve.“, erwiderte sie in höflichem Tonfall deren Gruß, wobei sie den Kopf etwas von der Massagebank hob und gemessen nickte. „Sehr erfreut. Mein Name ist Flavia Leontia.“


    Dem Eunuchen, der gerade mit seinen großen ölglänzenden Händen erneut nach ihrem Nacken griff, gebot sie mit einer Handbewegung Einhalt. „Das genügt. Ich bin sehr zufrieden.“ Sie blickte kurz zu Salambo, die das als Aufforderung verstand, dem Masseur ein überaus großzügiges Trinkgeld zukommen zu lassen. Der verbeugte sich erfreut und widmete sich dann den Wünschen der neu angekommenen Dame.

    „Soso.“ Gnädig gab Leontia ihrer Leibsklavin einen minimalen Wink, sie bewegte dabei kaum den kleinen Finger, und diese machte sich sogleich auf. Leontia verschränkte die zarten Hände auf der blanken Tischplatte und musterte weiterhin ihren Sklaven. Immerhin, er wusste die Worte wohl zu setzen. Ob sie ihm einen anderen Namen geben sollte? Xerxes vielleicht, oder Mithridates? Sie hatte schon immer mal einen Sklaven mit dem Namen Xerxes haben wollen. Ariovist eventuell? Arminius? Aber nein, ‚Daphnus’ war doch ein sehr schöner Name, den konnte man lassen.


    „Du fühlst dich also zum Sprechen noch nicht disponiert, Daphnus? Dann erteile mir in der Zwischenzeit auf eine andere Art und Weise Auskunft über dich. Zieh dich aus.“Mit undurchschaubarer Miene lehnte sich Leontia zurück, innerlich höchst amüsiert, und hielt die Augen unverwandt auf ihre neue Errungenschaft gerichtet. Sklaven waren ja nicht als Menschen, damit auch nicht als Männer, anzusehen. Da durfte man ruhig hinschauen. Wie würde er wohl reagieren?


    Träge hob sie eine Hand, vollführte eine kleine kreisende Geste. „Und dreh dich, damit ich dich von allen Seiten in Augenschein nehmen kann.“

    „Ja, da hast du leider recht, die meisten Sklaven, die nicht aus dem eigenen Haushalt stammen, sind Schlingel und Taugenichtse… aber ich werde mich trotzdem nach einem Eunuchen umsehen, unbedingt.“ Sie nickte bekräftigend, schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen. Es war mir auch leider nicht vergönnt, bei der Hochzeit der beiden dabei zu sein. Aber ich hörte, dass die Claudia eine große Schönheit sein soll. Und von untadeligem Ruf. Nicht zu vergessen den Glanz, der ihrer Familie noch immer anhaftet…“


    Sie dämpfte die Stimme zu einem Flüstern, und fuhr leichthin fort: „…auch wenn sie natürlich längst im Niedergang begriffen sind, und, wie man weiß eine Tendenz zum Wahnsinn und zum Giftmord in der Familie haben. Schließlich waren die letzten Kaiser aus diesem Geschlecht zum einen ein wüster Päderast, dann ein schwachsinniger Pantoffelheld, und zuletzt ein größenwahnsinniger Brandstifter.“ Leontia zuckte lächelnd mit den Schultern, und schloß wieder in normalem Tonfall: „Alles in allem handelt es sich wohl um eine überaus vorteilhafte Verbindung. Ich bin schon sehr gespannt darauf, sie kennenzulernen.“

    Interessiert betrachtete Leontia ihren neuen Sklaven, seine breiten Schultern, sein blondes Haar, die blauen Augen… ja, der machte was her. Und dazu noch Eunuche, das war wirklich schick. Bestimmt würde sie, wenn sie sich mit ihm zeigte, viele neidische Blicke ernten. Doch wie es aussah, brauchte der Sklave zuvor noch etwas Feinschliff. Verwundert blickte sie auf seine geballten Fäuste, hob dann spöttisch eine feingeschwungene Braue, auf eine Art, wie es nur Patriziern gegeben ist…*


    „Neige dein Haupt, Sklave!“, wies sie ihn kühl zurecht, und fühlte dabei eine klammheimliche Freude in sich aufsteigen: er war tatsächlich widerspenstig. Ihn zu zähmen würde bestimmt unterhaltsam werden… Vielleicht sollte sie ihn gleich zu Beginn einmal tüchtig auspeitschen lassen? Oder in die Kammer sperren? Gerüchten zufolge hatte Vetter Felix in der Villa sogar eine richtige Folterkammer eingerichtet, und vielleicht würde er ihr - falls es wirklich stimmte -, wenn sie ihn artig darum bat, erlauben, diese auch einmal zu benutzen? So viele neue Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben, taten sich da auf… Ein strahlendes Lächeln, aus dem unbeschwerte Grausamkeit sprach, kräuselte Leontias Lippen, erreichte ihre Augen, und ließ diese fröhlich funkeln.


    Doch zuerst mußte sie ihre Neugierde stillen. „Berichte mir Daphnus, woher du kommst, welchen Herren du bisher gedient hast, und was deine Aufgaben waren.“, verlangte sie mit täuschend sanfter Stimme. „Bist du als Sklave geboren? Was sind deine Qualitäten? Kannst du lesen, schreiben, musizieren? Und ich hoffe doch, du verstehst dich aufs Massieren. Außerdem möchte ich wissen, warum sich dein letzter Herr von dir getrennt hat.“




    *Original by MFG

    „Oh, entschuldige!“ Leontia lachte sehr verlegen. „Ich wollte doch keineswegs andeuten… nur ein Missverständnis, entschuldige vielmals, wie dumm von mir…“ Sie versuchte, sich vor Augen zu führen, dass nicht alle Männer sich so radikal von ihren Verflossenen trennten, wie ihr Vater es zu tun pflegte, aber es fiel ihr schwer. Sie kannte doch, außer ihm, kaum Männer, eigentlich nur die in ihrem Verwandtenkreis. Außerdem Sklaven, die ja nicht zählten, und Gestalten aus der Literatur, die oft noch extremer handelten…


    Verblüfft hörte sie Gracchus’ Empfehlungen bezüglich ihrer Lektüre. „Die Remedia Amoris, sicher, und – die Ars Amatoria?“ Wirklich? Ihre Amme hatte sie immer vor dieser Schrift gewarnt und ihr eingeschärft dass es ein ganz und gar verworfenes Werk sei… Aber wenn Gracchus es ihr ans Herz legte, würde sie es natürlich lesen! Leontia vertraute ihm in dieser Hinsicht blind. Außerdem hielt sie sich selbst in ihren Tugenden für gefestigt genug, um den Anfechtungen zu widerstehen, die aus einer Schriftrolle möglicherweise auf sie einwirken könnten. „Gut, das werde ich tun.“, beschloss sie. Aber Dido durfte nichts davon merken, sie würde sie sonst bestimmt fürchterlich ausschimpfen. Und auch wenn Leontia die Herrin war, und Dido eigentlich eine Sklavin, lehrten die Schimpftiraden ihrer alten Amme sie noch immer das Fürchten.


    Kurz fragte sie sich, welche Gedanken sich wohl hinter Gracchus’ hintergründigem Lächeln verbergen mochten. Es war schon ein wenig seltsam mit Manius, mal hatte sie das Gefühl, ihn ausgesprochen gut zu kennen, dann wiederum erschien er ihr beinahe mysteriös… Sie legte den Kopf schief und lauschte ihm mit vollkommener Aufmerksamkeit als er begann von seiner Bestimmung zu erzählen, und von seinen Geschwistern… Es fiel ihr schwer, ihn sich als Kind vorzustellen. Ein wenig beneidete sie Aquilius, dass er an der Seite von Gracchus in Achaia hatte aufwachsen dürfen, dass es ihm vergönnt gewesen war, mit ihm zu lernen, und, wie es schien, ihn zu Höherem zu inspirieren.


    Als er von Animus sprach, spukte wieder Minervinas Enthüllung in ihrem Kopf herum. Gerne hätte sie ihn dazu gefragt, doch auf irgendeine Weise erschien es ihr unverschämt, so schwieg sie, und nickte nur betreten. Was hatten diese Sekte bloß an sich, wie gelang es diesen Leuten nur immer wieder, aufrechte Römer vom Glauben abzubringen? Nach allem was sie gehört hatte, musste es sich doch um eine höchst absurde Lehre handeln… was konnte denn bloß so anziehend daran sein? Merkwürdig, sehr merkwürdig… ein Hauch von Neugier regte sich in ihr.


    „Ich kann nicht glauben, dass du nicht mutig bist!“, widersprach sie ihm energisch. „Du bist einfach zu bescheiden, Manius. Den alltäglichen Militärdienst nicht als das Nonplusultra anzusehen, dass hat noch nichts mit mangelndem Mut zu tun. Es soll dort doch wirklich zumeist sehr ennuyant zugehen, für einen gebildeten Geist muss das wie der Tartaros sein. Doch ich bin mir ganz sicher, dass du in einer Schlacht einen mitreißenden Heerführer und glänzenden Strategen abgeben würdest!“ Vollkommen überzeugt lächelte sie ihn warm an, während sie diese Worte sprach. Manius und nicht mutig – so ein Unsinn! Niemand sonst konnte so kühne Gedankengänge verfolgen, furchtlos Hypothesen erstellen und wagemutig glänzende Schlüsse ziehen wie er. Außerdem hatte er sich gegen den Willen ihres Vaters gestellt, als er den Kontakt zu ihr gehalten hatte, und das wagten nur wenige. „Du bist wirklich zu bescheiden!“, wiederholte sie.


    Ein verworrenes Netz? Leben in die Hand Iuppiters? Etwas unheilvolles schwang in diesen Sätzen mit, sie schienen Leontia trübe wie ein aufgewühlter See, dessen Grund man nicht erblicken kann. Sie legte den Kopf noch etwas schräger, lauschte konzentriert, und zupfte dabei an ihrem Ohrring. „Fluchtartig?“, fragte sie vorsichtig. „Aber welche – wenn du mir die Frage erlaubst – welche Gefahr drohte dir denn in Achaia?“


    „Ich gewinne den Eindruck, dass die Götter dich über verschlungene Wege geführt haben, nur um dich am Ende doch deiner wahren Bestimmung zuzuführen.“, sprach sie schließlich nachdenklich. „Und ich glaube, dass du sowohl dem Volk Roms am besten dienst, als auch unserer Familie am meisten Ehre machst, indem du dich dieser widmest. Du … du tust doch wahrlich für beide sehr viel. - Lass mich dir bei dieser Gelegenheit noch mal danken, für das wunderbare Saturnalienfest! Du hast alles so schön ausgerichtet, das Essen und der Wein, und die Dekoration und überhaupt der ganze Ablauf, es war traumhaft, einfach perfekt.“

    Verwundert folgte Leontias Blick Serenus’ deutender Hand, sie beugte sich hinunter und erblickte die schlafende Katze. „Das ist gar nicht meine!“, gab sie patzig zurück, und verscheuchte das Tier mit wedelnden Händen und einem „Ksch! Verschwinde!“. Halb verärgert über seine Widerworte, halb betreten, dass er jetzt so gekränkt von dannen zog, sah sie Serenus hinterher. Aber man musste doch auch mal streng sein mit dem Jungen, oder nicht? Sie konnte sich des Eindruckes nicht verwehren, dass Tante Agrippina mit dem kleinen Spatz gar zu nachsichtig gewesen war. Trotzdem tat es ihr schon wieder beinahe leid. Vielleicht sollte sie Serenus zum Trost ihre alten Sklave-Gaius-Rollen schenken?


    Nun erst geruhte sie das Erscheinen ihrer Sklavin zur Kenntnis zu nehmen. „Musst du immer so herumschleichen!“, fuhr sie Salambo an, und gab ihr mit dem Stylus einen kleinen Schlag auf die Finger. Sie türmte die Wachstafeln übereinander und schob den Stapel zu ihr hin. „Hier, ich will dass du das auf Papyrus überträgst. Und heute noch.“ Dann griff sie zu der Urkunde und studierte sie eingehend und kritisch. Wie wohl die meisten ihrer Mitbürger verachtete Leontia Sklavenhändler zutiefst, und traute ihnen so manche Schandtat zu. Doch mit dem Dokument hier schien alles seine Richtigkeit zu haben. „Nun gut, bring ihn herein.“, befahl sie, und lehnte sich erwartungsvoll zurück.


    Während Salambo sich wieder zu Türe begab, und diese öffnete, um den Eunuchen hineinzubitten, ergriff Leontia wiederum das Schriftstück und vertiefte sich angelegentlich darin. Sie war überaus neugierig auf ihre kostspielige neue Errungenschaft – es war mehr ein schneller Spontankauf gewesen. Aber schließlich mußte man sich auch mal was leisten. Und Papa hatte doch gesagt, dass sie sich amüsieren sollte. Für gewöhnlich war sie von Sklaven umgeben, die der Flavia schon ihr Leben lang dienten, die treu und zuweilen etwas wunderlich waren, und sie war schon sehr gespannt wie sich ein Neuankömmling dazwischen machen würde. Ob er wohl halten würde, was der Händler so vollmundig versprochen hatte? Vielleicht würde er frischen Wind mit sich bringen, vielleicht sich sogar als aufsässig erweisen? Sie hoffte es beinahe, es wäre sicherlich interessant, mal selber einen Sklaven zu zähmen.


    Erst als sie am Klang der Schritte auf dem Mamor erkennen konnte, dass der Besagte vor ihr erschienen war, blickte sie, noch immer schweigend, auf und musterte ihn forschend mit ihren großen nachtblauen Augen – rabenschwarz umrahmte ihr Haar das alabasterblasse Gesicht – ein filigranes junges Mädchen, in einer blauvioletten Seidentunika, hinter einem schweren dunklen Schreibtisch. Beinahe unmerklich kräuselte ein feines Lächeln ihre Mundwinkel, als sie der Blumengirlande angesichtig wurde, wohl eine kleine Aufmerksamkeit des Händlers. Der Anblick dieses nordischen Hünen, wie er da stand, entmannt und mit Blumen dekoriert, war ja geradezu ein Sinnbild für den Sieg Roms, und damit der Zivilisation, über die Barbaren… wie amüsant!

    ‚Sklave Gaius ist der Beste’, das hatte Leontia früher auch sehr gerne gelesen, und sich dabei immer vorgestellt, selber in schlimmen Kriminalfällen zu ermitteln, finstere Verbrecher und üble Verschwörungen zu entlarven… Das es das noch gab… „Ja, die Reihe kenne ich“, meinte sie lächelnd, „am besten fand ich immer die Folgen wo die gerissene Köchin mit von der Partie ist, und dann der böse Praepositus - wie hieß er noch? - als Gaius’ Widersacher… Kennst du die Episode ‚Das Vermächtnis der Eisernen Hand’? Die ist raffiniert!“


    Dass Serenus Dido mit dem Essen wegschickte, nötigte ihr ein zustimmendes kleines Nicken ab, doch seine Widerworte bezüglich des Hundes nahm sie gar nicht gut auf. In der Tat konnte sie solche großen Hunde nicht ausstehen, fand sie plump, hässlich, dumm und schmutzig. Die Vorstellung wie Nero eine der herrlichen Schriftrollen hier mit seinem Geifer betropfte, war ihr unerträglich! „Lucius Flavius Serenus, ich sagte keine Diskussion.“ Ihr Tonfall war kühl und unerbittlich. „Tiere jedweder Art haben in einer Bibliothek nichts zu suchen. Bring ihn jetzt bitte hinaus.“