Beiträge von Flavia Leontia

    Es war ein Graus heute mit Leontias Haaren! Wie hingebungsvoll ihre Ornatrix sie auch gespült und geölt, gelockt, geflochten und kunstvoll frisiert hatte - Leontia fand ihre Haarpracht heute spröde und glanzlos, und überhaupt ganz unmöglich! Lange hatte sie geschwankt, ob sie sich an solch einem Tag überhaupt auf die Straße wagen konnte - ohne zur Perücke zu greifen - und viele Stunden lang hatten ihre Sklavinnen ihr bestes gegeben, um ihre zunehmend entnervte Domina einigermassen präsentabel zu gestalten... Es hatte Tränen gegeben, Peitschenhiebe und blutige Stiche mit der Haarnadel, doch schließlich urteilte Leontia, zur Erleichterung aller Beteiligten, grollend: 'Das muß gehen.'


    Und spät, viel zu spät, machte sie sich dann doch auf zum Marcellustheater, hetzte ihre nubischen Sänftenträger aber so erbarmungslos, so dass sie schließlich nur mit einer kleinen Verspätung dort anlangte. So kam es, dass Leontia während des ersten Dialoges zwischen den Töchtern des Oedipus das Theater betrat, und, von ihren Leibwächtern natürlich sorgsam abgeschirmt vom Plebs, leichten Schrittes auf die flavischen Plätze zuhielt. Die tiefblaue Seide ihres langen Gewandes, dessen reicher Faltenwurf von goldbestickten Bändern aufs anmutigste gerafft wurde, raschelte leise, und einige Worte des Unmutes über die zu spät kommende wurden vernehmbar getuschelt.


    Leontia scherte sich nicht darum. Mit einem stolzen Aufwerfen des Kopfes ließ sie die kunstvoll gedrehten Locken in den Nacken gleiten, und ein feines Lächeln spielte sacht um ihre Mundwinkel, als sie auf ihren liebsten Vetter zutrat. "Manius." flüsterte sie erfreut, und neigte grazil den Kopf zur Begrüßung, "Antonia. Es ist mir stets eine Freude.", bevor sie sich leise auf dem Sitz an der Seite ihres Vetters niederließ, und - nur kurz und ganz diskret - voll Zuneigung seine Hand drückte. Gut sahen die beiden aus, fiel ihr auf, und so einträchtig. Ob es Manius womöglich in der Zwischenzeit gelungen war, seine Gemahlin zur Raison zu bringen?


    Leontia richtete ihre Aufmerksamkeit zur Bühne, und bemerkte erleichtert, dass sie kaum etwas verpasst hatte. In Denkerpose stützte sie ihr zartes Kinn in die Hand, und verfolgte aufmerksam und konzentriert den Fortgang des Stückes.

    Glücklich, dass ihr liebster Vetter sich offenbar so über die Blumen freute, plazierte Leontia die Vase auf dem Schreibtisch, und arglos lächelnd sah sie seine Annäherung, die von Serenus' Ankunft unterbrochen wurde. Auch sie wandte sich Serenus zu. "Salve, mein Spatz, schön dass... - Also nein, dieses Tier!" Ihre Augen weiteten sich, und erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund, bei Neros bedrohlichem Gebaren. "Was ist bloß in ihn gefahren? Kusch! Oh du meine Güte, er ist wirklich eine unberechenbare Bestie." Sie nickte beifällig, als Tullius die Bestie des Raumes verwies, und hoffte heimlich, dass dieser Auftritt endlich Anlass sein würde, dieses haarige Ärgernis ein für alle mal in den Zwinger zu verbannen. Wenn nur Serenus nicht so an ihm hängen würde!


    "Wir - Serenus und ich - haben etwas für Dich, Manius.", eröffnete sie anschließend, und bedeutete Salambo mit einem nahezu unmerklichen Wink mit zwei Fingern näher zu treten. "Nur eine Kleinigkeit, die wir neulich auf den Trajansmärkten fanden, als wir uns zusammen mit Antonia und ihrer Base dort ein wenig umgeschaut und die Zeit vertrieben haben. Ein recht ergötzlicher Tag war das, nicht wahr mein Spatz? - Nun, das ist es." Lautlos und geschmeidig trat die Nubierin vor, trug in den Händen das prächtige Ludus Latrunculorum, eingeschlagen in ein schweres weinrotes Seidentuch. Gesenkten Hauptes trat sie vor Quintus Tullius, um ihm das besagte Mitbringsel mit Demut und Grazie zu überreichen.

    "Oh, dieses Tier!" Mit spitzen Fingern griff sich Leontia geziert an die Schläfen, als das Geheule losging, und nutzte die Gelegenheit, ihren lange schwärenden Unmut über den Hund auszudrücken: "Serenus, die ständige Aggressivität Deines Hundes ist mir schon längst ein Dorn im Auge. Zuvörderst diese anhaltenden Übergriffe gegenüber meiner armen kleinen Sphinx. Das ist kein Spiel; ich zweifle nicht daran, dass Dein Nero sie zerfetzen würde, wenn er sie zu fassen bekäme. Und auch so ist sie sehr verstört. Sphinx ist ein edles und sensibles Tier, und mir sehr lieb. Darum bitte ich Dich ganz vernünftig: halte Deinen Hund in Zukunft davon ab, sie zu drangsalieren. Sollte Dir das aber nicht gelingen und er ihr etwas zu leide tun, so sei dir sicher, dass ich dafür zu sorgen weiß, dass seine Existenz diesen Tag nicht überdauern wird."


    Diese kleine Drohung ernst und streng ausgesprochen, lehnte sie sich wieder in die Kissen zurück, nippte an ihrem Granatapfelsaft, und bemerkte lächelnd: "Ich hoffe sehr, wir haben das damit geklärt. - Es geht Dir nicht gut, sagst Du?" Bestürzt und fragend sah sie ihren kleinen Neffen an, und hörte sich mit verständnisvollem Nicken sein Dilemma an.
    "Oh, mein armer Spatz!", seufzte sie schließlich betroffen, stellte ihren Kelch zur Seite und nahm Serenus tröstend in die Arme. Man war ja schließlich unter sich. "Komm, magst Du Dich auf meinen Schoß setzen, wie früher als Du noch klein warst? Ich hatte ja keine Ahnung, dass es Dir so schlecht geht. Du wirkst immer so fröhlich und lebhaft... Aber es ist gut, dass Du mir davon erzählt hast, wir werden uns schon etwas einfallen lassen gegen Deinen Kummer."


    Voll Tatendrang drückte sie ihn ans Herz, sah kurz irritiert zur Türe, von wo wieder Neros dumpfes Wehklagen erklang, dann zu Dido, die gerade ein großes Stück Melone verspeiste. "Du solltest Deine Sklavin nicht mit Dir speisen lassen, damit verdirbt du sie im Handumdrehen.", bemerkte sie nebenbei milde, bevor sie sich wieder dem eigentlichen Problem zuwendete. "Ich verstehe, Serenus, wirklich. Dein Papa fehlt Dir sehr, nicht? Vielleicht sollten wir ihn einfach mal besuchen fahren? Um zur Legio zu gehen, bist du nun einmal noch zu jung. Pirat und Meuchelmörder, ja, das wären sicher ausgefallene Karrieren, aber auf Dauer, denke ich, wohl etwas einseitig, meist Du nicht? Ich könnte mir vorstellen, dass die Sache nach dem ersten Dutzend Morden rapide an Reiz verliert. Gibt es denn nichts anderes, das Dir Freude bereiten könnte? Studien vielleicht, Reisen, oder Gladiatorenspiele?"


    "Weißt Du, mein Spätzchen, Du bist so ein kluger Junge, und schon jetzt so verständig und charmant, und wenn Du einmal groß bist, werden Dir sicher die Herzen im Sturm zufliegen. Das ist in der Politik sehr von Vorteil. Du hast das Zeug zu einem ganz großen Staatsmann, da bin ich mir ganz sicher, und mit unserer Gens im Rücken, wird Dir sicher eine glanzvolle Karriere bevorstehen. Das ist abwechslungsreicher als die von Dir genannten Optionen, und natürlich standesgemäßer - und möglicherweise auch nicht weniger blutig." Mit einem aufmunternden Lächeln zauste Leontia ihrem kleinen Neffen, dem Hoffnungsträger der Gens Flavia, liebevoll das Haar. "Lockt Dich das nicht?"

    Im höchsten Maße erfreut, dass ihr liebster Vetter offenbar im Hause weilte, streckte Leontia die Hand aus, wollte schon die Türe öffnen, als ihr noch etwas anderes in den Sinn kam. "Salambo, lauf geschwind und hole das Ludus Latrunculorum herbei, das wir jüngst auf den Trajansmärkten erstanden. Und sieh nach, ob mein kleiner Neffe zugegen ist, dann können wir es gemeinsam überreichen." - "Sehr wohl Domina." Beflissen eilte die Nubierin von dannen.


    Ein feines Lächeln umspielte Leontia Mundwinkel, ließ eine Ahnung zarter Grübchen auf ihren blassen Wangen entstehen, als sie in das Cubiculum schwebte. "Manius.", sprach sie voll Wärme. "Wie schön Dich anzutreffen. Wie geht es Dir?" Über die Wolke duftiger weißer Blüten richteten sich ernste, nachtblaue Augen voll sanfter Zuneigung auf den Piraten.


    "Am Arbeiten wie ich sehe?", bemerkte sie respektvoll. "Verzeih wenn ich störe, doch - eben da Du stets von den Pflichten Deines honorablen Amtes in Anspruch genommen bist - hoffte ich, Dich mit Hilfe dieses Straußes eines Anfluges der epheremen Frühlingspracht, die zur Zeit in unserem Hortus prangt, teilhaftig werden zu lassen. Ich habe die Zweige im Frühtau mit einer silbernen Schere geschnitten. Gefallen sie dir? Wo meinst du, machen sie sich am besten...?"


    Leise raschelte das pastellige Gewand, als Leontia zur Fensterbank trat und den Strauß dort probeweise plazierte. Sie rückte ihn hin und her, schüttelte dann leicht den Kopf und murmelte: "Nein, das harmoniert nicht mit dem phrygischen Mamor..." Und mit einem liebreizenden Lächeln kam das junge Patrizierfräulein direkt auf den blutrünstigen Wolf im Schafspelz zu, hielt die silberne Vase dabei mit schlanken Alabasterhänden zierlich umfasst. Drei zarte weiße Blütenblätter lösten sich aus den Zweigen, schwebten herab, fielen federleicht auf die polierte Tischplatte.
    "Auf dem Schreibtisch vielleicht?"

    Lautlos schwang die Türe auf. Ein feiner Lavendelduft drang hinaus, und Salambo stand auf der Schwelle. "Dominus." Sie neigte den Lockenkopf vor Serenus. "Komm rein, Serenus.", ertönte Leontia Stimme. "Aber der Hund bleibt bitte draußen." Einladend wies Salambo ins Innere, ließ Serenus und Dido hinein, und schloß Nero schnell die Tür vor der Nase.


    In eine luftige malvenfarbene Tunika gewandet, ruhte Leontia inmitten des liebevoll Blau-in-Blau dekorierten Gemachs in einem von Kissen überquellenden Korbsessel. Sie hatte eine Schriftrolle auf dem Schoß, einen Pokal mit Granatapfelsaft in der Hand, und die bloßen, ölglänzenden Füße gemütlich auf einen gepolsterten Hocker hochgelegt. Da sie soeben eine ausgiebige Fußmassage genossen hatte, war ihre Miene äußerst entspannt und gelöst.


    "Na, mein Spatz? Wie geht es dir heute? Sag, ich habe gehört, dass du neulich einen griechischen Paedagogus ganz heillos in die Flucht geschlagen hast, ist das wahr?" Sie schmunzelte, und schob mit einer trägen Handbewegung eine Schale mit Naschwerk in Serenus Richtung. "Hier, probier mal die kandierte Melone, sie ist nicht schlecht."


    Salambo indes rückte unaufdringlich einen weiteren Sessel zurecht, klopfte die Kissen auf, und versorgte Serenus ebenfalls mit einem Kelch Fruchtsaft. Mit jeder unaufdringlichen, mühelosen Servilität, die ihrer Linie in Generationen des Dienens zu eigen geworden war, ließ sie sich dann wieder zu Füßen ihrer Herrin nieder, bereit und willens, auch dem kleinsten und unscheinbarsten Wink Folge zu leisten.


    Sieh! Die Kirschblüte,
    verstreut über den Himmel,
    verführt Erde und Sonne.



    Begleitet von einem Schwarm ihrer Sklavinnen wandelte Leontia leichtfüßig durch die lichten Gänge der Villa. In den Händen hielt sie einen großen Strauß lieblicher Kirschblüten. Die Zweige hatte sie soeben im Garten mit eigenen Händen geschnitten, und auf den duftigen weißen Blüten, in die sich ein Hauch keuscher Röte mischte, lagen noch funkelnde Tautropfen. Auch ihre Begleiterinnen trugen Blumengebinde in den Händen, aus Veilchen und Narzissen, Anemonen und Blaustern, die sie nach Leontias Anweisungen harmonisch über die Räume der Villa verteilten. Mit einem besonderen Augenmerk auf farbliche Ausgewogenheit, versteht sich.


    Auch Leontia selbst war an diesem Morgen in helle Frühlingsfarben gehüllt. Ihre zartblaue Tunika trug eine blassgoldene Stickerei von Blüten und Schmetterlingen, und raschelte leise bei jedem Schritt. In ihr tiefschwarzes Haar, das seitlich kunstvoll zurückgeflochten war, hatte ihre Ornatrix zur Zierde einige reinweiße Kirschblüten gesteckt. Hier und da legte auch Leontia mit Hand an, rückte eine Vase zurecht, oder arrangierte die Blumen noch ein wenig um. Den Schrein der Laren schmückte sie höchstselbst, voll Ehrfurcht, und besah sich dann mit einem heiteren Lächeln ihr Werk.


    Jetzt blieb nur noch der Kirschblütenstrauß. Leontia entließ ihre Sklavinnen bis auf Salambo, und wählte eine passende Vase - eine schlanke, aus feinornamentiertem Silber. Frohgemut lenkte sie dann ihre Schritte zum Gemach ihres liebsten Vetters, und kündigte sich mit einem sanften Pochen an seiner Türe an…

    Wohlwollend hatte Leontia ihrem kleinen Lieblingsneffen bei dessen Erscheinen durchs Haar gewuschelt, und belustigt geschmunzelt als er den Vorschlag machte, die Wände selbst bunt anzumalen - sie zog es gar nicht in Betracht, dass er das ernst meinen könnte… - "Salve Antonia!", begrüsste sie dann ehrlich erfreut ihre Schwägerin, als diese sich hinzugesellte. "Halb Rom, ja beinahe, aber es ist ja auch eine Menge zu tun, nicht wahr? Hast du dir schon die neuen Vasen angesehen? Ich kam noch nicht dazu. - Russata-Rot?" Sie schmunzelte. "Aber Serenus. Wir sind doch nicht im Circus. Nein, ich dachte eher an ein durchgehendes Motiv minoischer Stilelemente - nicht zu dominant, mehr ein Anklang…" Zunehmend begeistert stellte sie Antonia ihre Ideen vor, und übersah dabei vollkommen das sich anbahnende Desaster.


    "Also keine radikale Veränderung, eher eine behutsame Umgestaltung unter dem Motto 'solenne Leichtigkeit'! Und der etruskische Stil hat sich inzwischen gar zu weit verbreitet…" - sie rümpfte das Näschen - "…ich meine, jeder Parvenu oder neureiche Libertus, der renommieren will richtet doch inzwischen sein Atrium mit etruskischen Anklängen ein! Zustände sind das. Findest du nicht auch? - Wo war ich stehengeblieben? - Ach ja, das Motto. Die minoische Kunst, mit ihren heiteren - jedoch keinesfalls seichten, oder nur gefälligen - Darstellungen empfand ich bei der Planung als sehr inspirierend. Gerade das Lilienmotiv schafft eine hervorragende Überleitung, eine harmonische Brücke, scheue ich mich nicht zu sagen, zu dem anderen Schwerpunkt, den - äh…" - es klapperte in ihrem Rücken, und Salambo schien sie mit dringlichen Gesten auf irgendetwas aufmerksam machen zu wollen, aber Leontia ließ sich in ihrem enthousiastischen Redeschwall nicht stören - "…Pflanzen. Da dachte ich hier an eine Zierpalme, und hier an eine Säulenberankung von Passionsblumen, zudem natürlich Lilien, versteht sich, bei den Seerosen würde ich dann auf purpurne umschwenken, und…-"


    Ein lautes Krachen schnitt ihr das Wort ab. Leontia fuhr herum, und blickte mit weitaufgerissenen Augen auf das im wahrsten Sinn des Wortes bunte Durcheinander von Farben, Leitern, Sklaven, und Kindern. Tiiief holte sie Luft, wischte sich einen blauen Farbklecks von der Stirn, und setzte gestreng an: "Lucius Flavius Serenus. Weder Orgien noch Ziegenrennen, noch dies hier…-" Weiter kam die Schimpftirade nicht, denn beim Anblick von Nero, der, in allen Regenbogenfarben gescheckt aus dem wilden Haufen auftauchte, mit dem Schwanz wedelte und drollig die Ohren spitzte, verlor Leontia die Contenance - und brach in herzliches Lachen aus. Silberhell erfüllte das Geräusch das ganze Atrium, fröhlich und ansteckend, Leontia bog sich, ihre Schultern zuckten heftig, sie beruhigte sich, prustete beim Blick auf Nero gleich wieder los, und wischte sich zuletzt erschöpft die Tränen aus den Augenwinkeln.


    "Bitte verzeih", meinte sie dann, mühsam wieder beherrscht, zu Antonia, "Ich konnte nicht anders." Aufs neue wandte sie sich den Sklaven zu. "Ihr da wischt die Farbe auf, du beseitigst die Trümmer und du den Gestürzten, damit hier nichts mehr im Weg liegt. Und ihr drei da säubert den Hund, damit er die Farbe nicht weiterträgt. Serenus, unterstütze bitte dieses Unterfangen. Die anderen…" - sie drehte sich um sich selbst, durchmaß das Atrium mit gestrengen Blicken und klatschte herrisch in die Hände - "Zack zack, wieder an die Arbeit!"

    "Ja, ich habe auch das meiste gefunden.", stellte Leontia fest, bei der sich nun langsam die wohlige Erschöpfung nach dem ausgedehnten Kaufrausch bemerkbar machte. Zudem brannte sie darauf, die neu erworbenen Gewänder und Accessoires zu Hause ausgiebig anzuprobieren, und nicht zuletzt war da noch ein bedeutsamer Brief nach Baiae zu diktieren.


    "Lass uns lieber zurückkehren, den Sklavenmarkt können wir ja auch ein anderes Mal besuchen. Und auch den Tiermarkt… ach, so einen süßen kleinen Löwen hätte ich schon auch gerne. Oder einen jungen Panther. Oder ein putziges Bärchen. Aber am liebsten einen Löwen. Es würde auch so gut zu meinem Namen passen. Papa hat das leider nie eingesehen. Er meint, sie werden zu schnell groß und gefährlich. Aber Minervina hat schließlich auch einen zahmen Geparden…" Um den Leontia ihre Cousine nicht wenig beneidete.


    "Das ist eine gute Idee!", stimmt sie zu, als Serenus vorschlug, Gracchus etwas mitzubringen. "Nur was? Ich glaube, er würde sich nicht über ein Raubtier freuen, und Schriftrollen wollen bei ihm äußerst sorgsam ausgewählt sein…" Gemächlich schlenderte sie den anderen hinterher zu dem Stand mit dem roten Stoffdach. "Ach, deshalb seid ihr alle so schnell verschwunden.", lächelte sie, und "Oh wie reizend! Das gefällt mir." Sie hatte das Ludus Latrunculorum mit den floralen Elfenbein-in-Zeder Intarsien erblickt, nicht ahnend, dass Epicharis gerade schweren Herzens darauf verzichtet hatte. "Das wäre doch ein hübsches Mitbringsel, nicht wahr, mein Spatz?" Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die makellose Glätte des Spielbrettes, ließ sich dabei die aus funkelndem Granat und schimmerndem Opal geschliffenen Spielsteine zeigen, und erwarb das schöne Stück kurzerhand.


    Das war dann auch ihr letzter Kauf an diesem Tag. Höflich verabschiedete sich Leontia von Minervina und von Epicharis. (Und von Antonia, so diese sich nicht den Heimkehrern anschloss.) "Die Idee eines flavisch-claudischen Festes, die du vorhin geäußert hast, erscheint mir sehr ansprechend.", meinte sie dabei noch zu Epicharis. Und passend, außerdem. Schließlich gab es, außer den Claudiern, nur noch wenige Gentes, mit denen sich standesgemäßer Umgang pflegen ließ. "Lass uns das im Auge behalten." Und nicht ohne Hintergedanken fügte sie lächelnd hinzu: "Ein Anlass findet sich bestimmt. Oder vielleicht habt ihr" - das war in die Runde gerichtet - "wenn das Wetter es anbietet auch einmal Lust auf eine kleine Landpartie? Nun denn, Valete, und ich hoffe, auf bald. - Komm, mein Spatz."


    In den weichen Polstern der Sänfte angenehm gewiegt, kehrte Leontia nach diesem schwer (aber nicht unmöglich) zu überbietenden Einkaufsmarathon, zurück in die Villa Flavia. Genüsslich knabberte sie ein paar kandierte Maronen. Mit der Ausbeute des heutigen Tages war sie sehr zufrieden.

    Ein leises Seufzen entfleuchte Leontias Lippen, als die Türe ihres Cubiculums sich wieder geschlossen hatte, und einen Augenblick lang verweilten ihre Augen auf der feinen Maserung des Holzes. Dann drehte sie sich, musterte kritisch den Fußboden - das Gewölk schien sich mit Gracchus' Hinaustreten verflüchtigt zu haben -, und schließlich ihre Sklavin.


    "Was hätte ich denn sagen sollen!?" - Die Nubierin heftete ihre dunklen Augen mit ungeteilter Aufmerksamkeit auf ihre Herrin. - "Einen Brief zu verfassen wäre mir gewisslich leichter gefallen!", klagte Leontia. - Salambo nickte verständnisvoll. - "Und was meinst du zu meinen Ratschlägen, Salambo?" - "Sie waren sehr überlegt und geschickt, Domina.", schmeichelte die Sklavin mit ruhiger Stimme. "Zielstrebig umgesetzt werden sie gewiss einen segensreichen Einfluss entfalten."


    "Ja, findest du?" Leontia fasste sich in den Nacken und löste ihr zum Knoten geschlungenes Haar. Sie schüttelte den Kopf, und ließ die nachtschwarze Fülle frei über ihren Rücken fließen. Dann nahm sie wieder an ihrem Frisiertisch platz, sah in den Spiegel und betrachtete dort tief in Gedanken versunken ihre Ornatrix, die nun hinter sie trat, um mit einem Elfenbeinkamm, sanft wie eine Liebkosung, Strähne um Strähne zu glätten. Mit flinken Fingern flocht die Sklavin dann das Haar und steckte die schweren Flechten zu einer eleganten Hochfrisur auf, die sie zuletzt mit einem feinen Perlengespinst krönte.

    Der Frühling war mit ganzer Macht gekommen, brachte milde Düften und frisches Grün. Knospen öffneten sich über Nacht, der Mandelbaum im Garten stand in voller Blüte und der Rasen war allerliebst getupft mit violetten Veilchen, sonnengelben Himmelsschlüssel und weißen Märzenbechern. Eine sanfte Brise wehte durch den Garten, und sacht rieselten ein paar Mandelblüten zu Boden… doch im Inneren der Villa, da wehte ein ganz anderer Wind.


    Einem Frühlingssturm gleich, einem Wirbelwind gar, fegte Leontia schon seit dem frühen Morgen durch das Haus und koordinierte eine unübersehbare Schar von Sklaven zum großen Frühjahrsputz – in Verbindung mit der lange geplanten Neudekorierung der Villa, versteht sich. Da sie bei diesem Projekt in ihrer lieben Schwägerin Antonia eine Verbündete gefunden hatte, war ihres Tatendranges nun kein Halten mehr. Alle Familienmitglieder, derer sie in den letzten Tagen hatte habhaft werden können, hatte sie informiert, sie gewarnt, damit sie sich beizeiten in Sicherheit bringen konnten - oder, sofern sie sich ebenfalls als Dekorateure berufen fühlten, sie herzlich zum Mitwirken eingeladen.


    Das Herz der ganzen Aktion, die Kommandozentrale sozusagen, war das Atrium. Gerade trug eine Abteilung von Sklaven wohlgeordnet die Möbel auf einer Seite zusammen, um auf der anderen Platz zu schaffen für ein paar von Leontia herbei bestellte Freskenmaler. In eine schlichte roséfarbene Tunika gewandet, die mit weißen Bändern geschnürt war, das Haar gerade zurückgeflochten, schritt Leontia energisch auf die Künstler zu, um ihnen ihre Anweisungen zu geben, während die Sklaven den Mamorboden bereits mit Segeltuch abdeckten. Alsbald standen die Maler auf ihren Leitern, hatten die Pinsel gezückt, und waren damit beschäftigt, die leicht verblassten Farben eines oben an der Wand entlanglaufenden Freskenbandes von Göttern und Mythengestalten sorgsam wieder aufzufrischen.


    Leontia stemmte die Hände in die Seiten, und gönnte sich eine kurze Atempause, während sie den Fortgang der Arbeit überblickte. Da erblickte sie unter den Frauen, die gerade dabei waren, das trockengelegte Impluvium zu scheuern eine die schwatzte, und nur langsam arbeitete. Wie ein Raubvogel, wenn er die Beute erspäht, richtete Leontia die Augen auf die Übeltäterin, und gab ihrer Leibsklavin, die sie wie ein Schatten flankierte, mit einem Fingerschnippen einen Wink. Salambo, die sich auf die Wünsche ihrer Herrin verstand, reichte ihr unverzüglich eine geschmeidige lange Gerte, aus schwarzem und rotem Leder in schönen Mustern umflochten, und mit einem eleganten Griff aus nachtschwarzem Onyx, von dem lange Trodeln herunterhingen.


    Ein schönes Stück!, dachte sich Leontia wieder einmal – sie setzte die Gerte heute nicht zum ersten Mal ein. Und wie gut sie in der Hand liegt, ein wahrer Glückskauf! Lächelnd trat sie zum Rande des Impluviums und sah hinunter zu der Sklavin, einer verhärmten mittelalten Frau, die jetzt erschrocken aufblickte. „Tz, tz, tz…“, Leontia schüttelte tadelnd den Kopf und schlug lächelnd mit der Gerte drein, zog sie der Sklavin kräftig über die Hände. „Arbeiten sollst du.“, belehrte Leontia die Geschlagene von oben herab. „Merk dir das. Beim nächsten Mal lasse ich dir vielleicht die Zunge herausschneiden.“ Verächtlich wandte sie sich ab und reichte die Gerte wieder an Salambo zurück. „Unverbesserlich, Schlingel und Taugenichtse allesamt.“, seufzte Leontia blasiert, und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass um sie herum nun alle stumm und eifrig den Anschein zu erwecken versuchten, tief in die Arbeit versunken zu sein.


    Mit schwerem Schritt trat in diesem Moment ihr Custos Hamilkar ins Atrium, er trug eine große Holzkiste – zerbrechlich! – stand darauf, und kündigte laut an: „Die minoischen Vasen sind da, Domina!“ „Sehr gut.“ Leontia freute sich schon aufs Auspacken. „Stell sie einstweilen im Chrysotriclinium ab, bei den neuen Pflanzen. Ich seh sie mir gleich an… Und sag Claudia Antonia bescheid, falls sie sie auch begutachten möchte. Außerdem sieh nach ob Daphnus schon zurück ist, er soll uns dann gleich die Stoffproben für die neuen Klinenbezüge vorlegen.“ „Ja, Domina.“ Hamilkar trat samt Kiste ab und Leontia, eine zarte Gestalt in rosé, schritt hochaufgerichtet durch den ganzen Trouble, um weiter alles mit Argusaugen zu überwachen und gutgelaunt die wehrlosen Sklaven herum zu kommandieren - und zu traktieren.



    Sim-Off:

    Über Gesellschaft dabei würde ich mich freuen. ;)

    Leontia öffnete den Mund, um auf die Worte ihres Vetters etwas passendes zu erwidern, und hatte auf einmal das hässliche Gefühl zu plappern. Unverrichteter Dinge schloss sie den Mund wieder, verlegen und wie gelähmt von der Atmosphäre bedrückender Befangenheit, die sich in den letzten Minuten im Raume ausgebreitet hatte. Beinahe meinte sie, die Missklänge in ihrem Gespräch körperlich vor sich zu sehen, als zähe, schwefelgelb tingierte graue Schwaden, die träge und gierig zugleich über den Boden krochen, ihre Ausläufer wie Tentakel um ihre Beine schlangen, unaufhaltsam an ihr aufstiegen und beharrlich danach trachteten ihr die Worte, die Formulierungen, die Sätze von den Lippen hinweg zu saugen, und sie sprachlos zurückzulassen.


    Nervös sah sie zu Boden, verfolgte mit den Blicken dieses Gespenst, das sie so unbedacht heraufbeschworen hatte, und machte sich Vorwürfe vorhin nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. Bei einer brieflichen Korrespondenz wäre ihr das bestimmt nicht passiert! - Mit einer mächtigen Willensanstrengung riss sie sich von der gebannten Betrachtung ihres schaurigen Hirngespinstes los, sah stattdessen wieder ihrem Vetter ins Gesicht und nickte. „Aber das ist doch selbstverständlich. Sei gewiss, dass Dein Besuch mir stets mehr als willkommen ist, Manius.“ Sie erhob sich ebenfalls, um ihn die paar Schritt durch das Gemach hindurch bis zur Türe zu begleiten, und musste sich beherrschen um nicht schon wieder auf den Boden zu starren, um zu sehen, ob ihre Schritte das Gespenst nun entzwei geteilt hatten.


    Neben der Schale mit den blauen Schwertlilien blieb sie stehen, verschlang linkisch ihre Hände ineinander und lächelte schüchtern. „Ich wünsche Dir wirklich viel Glück mit Claudia.“ Ziemlich leise fügte sie noch hinzu: „Und... ich danke Dir sehr für Dein Vertrauen.“

    Wohlwollend sah Leontia, dass auch ihr kleiner Neffe schon in seinem zarten Alter der Leidenschaft zum Sammeln schöner Marterinstrumente verfallen war. Es war ja auch eine Liebhaberei, die viel Freude machte. "Mein neuer Eunuche? Nun ja, eigentlich will ich nicht, dass er beschädigt wird. Er dient ja nicht zuletzt auch dekorativen Zwecken…" - Salambo, die gerade dem Händler aus einem Lederbeutel Münzen auf den Tisch zählte, merkte auf, und ein hoffnungsfroher Blick streifte ihre Herrin.


    "Such dir doch lieber einen von denen dafür aus.", schlug Leontia vor, und machte eine unbestimmte Geste zu den Trägersklaven. War ihr nicht gerade vorhin einer von ihnen ziemlich naseweis vorgekommen? Nur welcher? - "Also gut…", seufzte sie schließlich, und sah nachsichtig auf ihren süßen Neffen hinunter. Wenn er unbedingt etwas zu Spielen haben wollte… Sie konnte ihm einfach nichts abschlagen."Du darfst dir Daphnus ausleihen, wenn du magst, Serenus. Und wenn er sich schlecht benimmt - aber nur dann - darfst du ihn auch züchtigen. Aber nicht, das ihn entstellt, das musst du mir versprechen." Und schmunzelnd bat sie sich aus: "Sieh also davon ab, ihm die Nase zu brechen, mein Spätzchen."

    Mit vor Erstaunen geweiteten Augen hörte Leontia, wie Gracchus vom Handel sprach, vom Schachern um Sesterzen, von Spekulation gar? Ihre Finger, die eben noch mit dem Ohrring gespielt hatten, erstarrten, das Klimpern verklang, es war wieder ganz still im Raum, bis auf Gracchus' Worte, die von höchst befremdenden Aktivitäten kündeten… Je weiter er sprach, desto mehr wurde Erstaunen zu Schock. Jeden anderen, der ihr solch unerhörte Geschichten über ihren Vetter erzählt hätte, hätte Leontia empört des Raumes verwiesen - aber aus seinem eigenen Munde, da musste es wohl wahr sein… Selbst als er von den Drohungen gegen ihn, untermalt vom Tod seines Leibsklaven sprach, konnte dies sie nur unwesentlich mehr erschüttern, als die Tatsache, dass er sich so hatte vergessen können! Unglaublich.


    Sprachlos richtete sie den Blick auf eine Kristallvase auf der Fensterbank, versuchte ihre Fassungslosigkeit hinter einer Maske der Ruhe zu verbergen. Matt nickte sie, als er davon sprach, seine Lektion gelernt zu haben. Niemand ist vor solch einem Fehltritt gefeit, versuchte sie sich zu sagen, einmal einen Irrweg einzuschlagen, das kann jedem passieren, schneller als man denkt, das wichtigste ist doch, den rechten Weg wieder zu finden, mag so etwas doch sogar zur Reife und Besonnenheit beitragen… Sei nicht albern, Leontia, dass er dir das überhaupt anvertraut, kannst du ihm nicht hoch genug anrechnen… - Aber es war nicht zu leugnen: Sie war enttäuscht.


    Ihr Manius, die Lichtgestalt aus seinen Briefen und ihrer schwärmerischen Phantasie, ihr Manius, der hätte so etwas nie gemacht. Und tief drinnen war sie dem Manius, der da vor ihr saß, ziemlich böse, dass er ihren Manius so en passant überging, ganz so als wäre er nur ein Wunschbild, eine kraftlose Chimäre, eine Fata morgana, die bei näherer Betrachtung einfach verging…
    Sie schwieg. Lange. Meinte dann etwas schwunglos: "Es ist gut, dass du all dies Furchtbare heil überstanden, und hinter dir gelassen hast.", und lächelte auch, als er von nach-vorne-blicken sprach.


    "Deplorabel ist das, in der Tat.", stimmte sie ihm dann zu. "Es geht eben jeder seine eigenen Wege, denke ich. Wir sind nun mal eine Familie von, ähm, Individualisten, nicht? - Die Lemuren?!" Erschrocken presste sie die Hand auf den Mund. "Im Ernst? Hat Felix sie denn nicht ausreichend besänftigt, letztes Jahr? Oh du meine Güte, neulich nacht, als ich lange am Webstuhl gesessen habe, da habe ich auch so ein seltsames Raunen gehört, irgendwie… ungut, du verstehst? Beinahe als würde es aus dem Fußboden aufsteigen, klang das, als würde etwas darunter zu mir sprechen wollen!" Sie schauderte, es war auch wirklich unheimlich gewesen, zuckte dann die Schultern. "Nun ja, vielleicht war es auch bloß die Fußbodenheizung."

    Leontia musterte eingehend die patrizischen Riemchensandalen, nickte dann überzeugt. "Ja.", urteilte sie, "Unbedingt! Das wird mit Sicherheit ein sehr apartes Ensemble ergeben." Und lächelnd meinte sie zu Antonia, über die da so fröhlich hinwegbestimmt wurde: "Ich bin schon sehr gespannt, die Sachen einmal an Dir zu sehen, liebe Schwägerin."


    Epicharis' schwungvolle Art empfand Leontia als sehr angenehm. In Gedanken formulierte sie schon das Dossier an Tante Agrippina: "Claudia Epicharis ist von einnehmendem Wesen, aufgeschlossen und überaus freundlich…" - oder besser: "Claudia Epicharis, wie ich sie erleben durfte, etc." - all zu sehr wollte sich Leontia mit ihrem Urteil nun auch nicht exponieren. Oder vielleicht: "wie sie sich mir präsentierte" ?


    Das war nun wiederum sehr zaghaft formuliert. Immerhin war so ein Einkaufsbummel ein kleines Drama in sich, ein Spiegel des Lebens geradezu, mit Elementen wie Begehren und Verführung ("Oh, wie hinreißend!" ), weitreichende Entscheidungen waren zu treffen ("Die oder die?" ), bittere Enttäuschungen zu verkraften ("Zu klein?! Oh nein!" ), man hatte sich gnadenlos dem Urteil der anderen zu stellen ("Findet ihr, das geht das so?" ), Willensstärke und Entschlussfreudigkeit zu beweisen ("Die nehmen wir." ) Ja, es war wirklich eine Gelegenheit, bei der viele Charakterzüge offen an den Tag traten.


    Ob Epicharis, falls aus den Plänen etwas würde, auch Vetter Marcus so energisch einkleiden würde? Verkehrt wäre das sicher nicht. "Sie ist geschmackssicher und dezidiert, womöglich ein wenig überschwänglich…" Nicht zu vergessen den Knüller: "Ihr Vater sucht derzeit nach einem passenden Ehemann." Da hieß es nicht säumen, Leontia beschloss noch heute einen schnellen Boten nach Baiae zu schicken.


    In diesen Gedanken versunken winkte Leontia etwas abwesend ihre Leibsklavin herbei, um sich die weißen Sandalen anprobieren zu lassen. Sie stellte ihren Fuß auf einen kleinen Schemel, Salambo kniete sich auf das Pflaster, löste flink die Riemen ihrer alten Sandalen und zog ihr die neuen über. Hübsch waren sie, und passten gut zu Leontias meerblauer Tunika, saßen aber nicht gut. Leontia gab ein maßgeschneidertes Paar, natürlich mit Halbmond, in Auftrag, und während eine Ladendienerin, neben Salambo kniend, mit einem Schnürchen ihre Füße vermaß, beriet Leontia ganz hingebungsvoll Minervina bei ihrer Wahl.


    "Darf ich mal fühlen? - Ja, sie sind wunderbar weich, sorgfältig vernäht, und sicher sehr strapazierfähig. Ich glaube die dort drüben würden aber auch sehr gut zu dir passen…" Sie deutete auf ein etwas extravaganteres Paar, mit schmalen rötlichen Riemen, die durch jadegrüne Schmucksteinplättchen geflochten waren. "Die musst du unbedingt mal anprobieren. - Findet ihr nicht auch? Oder die hier..." Da fiel ihr noch etwas ein. "Ach übrigens Minervina, Epicharis kommt auch aus Mantua." Und schon sprang ihr ein weiteres Paar ins Auge, und es blieb nicht bei der einen Bestellung…


    Während die Frauen mit den Schuhen beschäftigt waren, hatte, schon seit einiger Zeit, eine gewisse Unruhe die begleitende Sklavenschaft erfasst. "Gerade eben war er doch noch da…" murmelte ein bulliger Kerl, hochbeladen mit adrett eingewickelten Paketen mit dem letzten Schrei aus Lutetia darin, beklommen zu einem anderen Sklaven. "Dieser Dreikäsehoch bringt uns noch ins Grab…", orakelte der andere düster. "Ich will aber nicht derjenige sein, der's den Damen sagt." - "Ja denkst du etwa ich?!"


    Das Los traf schließlich einen, im Vergleich zu den anderen eher schmächtigen jungen Mann, der unglücklich dreinschauend vortrat, und gerade bang Luft holte, um Serenus' Verschwinden zu melden - als ihm, im letzten Moment, auffiel, dass sich der Junge mitsamt seines Hundes in der Zwischenzeit schon wieder zu der Gruppe dazugesellt hatte. Erleichtert atmete der Sklave auf und trat diskret wieder zurück. Glück gehabt.



    Laaange Zeit später - das Grüppchen hatte endlich doch die Schuh-Stände hinter sich gelassen, der Bummel war inzwischen eindeutig zum Marathon geworden, und die Sklaven trugen schwer an ihrer Last - erblickte Leontia einen Stand, der sie bis über beide Ohren strahlen ließ. Es ging hier schon Richtung Sklavenmarkt, und die Auslage passte zum Thema. Mit einem Laut des Entzückens beugte sie sich über die Auswahl edelster Geißeln und Peitschen, Gerten, Stöcke und anderer Marterinstrumente, die dort, auf anmutig gerafftem dunkelrotem Stoff, für das Auge sehr ansprechend präsentiert wurden.


    "Was für ein wunderschönes Stück!" Mit einem begeisterten Glänzen in den Augen drehte sie ein Flagrum in den Händen, dessen Ebenholzgriff mit kunstvollen Schnitzereien der Leiber gequälter Sklaven verziert war. In den tiefschwarzen Lederkordeln waren blanke beinerne Dornen eingeflochten, deren mattes Schimmern mit dem dunklen Griff effektvoll kontrastierte. "Wunderhübsch…", seufzte Leontia. "Das schenke ich Papa… - Und dann nehme ich noch das und das… wofür sind denn die Wiederhaken hier gedacht?" - Der Händler erklärte es ihr bereitwillig. - "Ach so. Was für eine nette Idee. - Mein Spatz, komm doch mal!" Lächelnd winkte sie Serenus herbei. "Magst du nicht noch eine neue Peitsche haben, passend zu deiner neuen Sklavin? Komm, such dir doch auch was aus."

    Teil II - Süßigkeiten und Sandalen


    "Ja, ein herrlicher Tag, wie wahr!", stimmte Leontia gutgelaunt zu. "So frisch und klar, man bekommt geradezu Lust auf eine Landpartie." Unauffällig schielte sie nach den Schuhen der Annaea, ob die wirklich soo abgenutzt waren. Sie konnte es aber nicht genau erkennen. "Sandalen! Das habe ich ja ganz vergessen, ich brauche auch ein paar neue. Wollen wir gleich einen kleinen Abstecher zu den Schuhverkäufern machen?"


    Leontia überließ es ihrer Leibsklavin, das Finanzielle zu regeln, und deckte sich noch schnell mit einer Auswahl kandierter Früchte und Pistazien ein. Die kleinen Leinenbeutel mit den Leckereien drückte sie ihrem Custos Hamilkar in die Hand, der ihr, finster dreinblickend, stets auf den Fuß folgte und getreulich den Pelzmantel hinterhertrug. Auf Serenus' Wunsch hin, zog der Tross quer über die Märkte in Richtung des Geschäftes des gallischen Modemachers, doch keineswegs geradlinig, es war mehr ein Zickzack, manchmal gar ein Mäandermuster, zwischen den verlockenden Markständen. "Habe ich recht verstanden, dass du auch nicht aus Rom stammst?", erkundigte sich Leontia neugierig bei Minervina, während sie da entlangbummelten. "Ich bin ja aus Ravenna, ursprünglich."


    "Oh, da haben wir doch schon etwas." Vor den Auslagen eines noblen Schuhgeschäftes blieb sie stehen und besah sich das Angebot. "Hmm… diese sind recht hübsch…" Sie ergriff ein Paar aus feingegerbtem weißem Leder, mit kunstvoll verschlungenen Riemen und blassen Goldprägungen, betrachtete es prüfend. "Was meinst du dazu?", fragte sie Minervina, und erzählte bedauernd. "Ich hatte so ein ähnliches Paar, aber es kam dem Schuhputzsklaven leider abhanden. Und als ich ihn zur Rede stellte, da - stell dir nur vor! - da behauptete er glatt, der Hund habe es gefressen!" Sie schmunzelte, belustigt bei der Erinnerung daran, wie komisch der Sklave ausgesehen hatte, als er um Gnade gefleht hatte.

    Zufrieden nahm Leontia zur Kenntnis, dass ihr neuer Besitz sich offensichtlich bewusst war, welche Ehre es war, der Flavia zu dienen. Mit einem "Nun gut. Du darfst dich entfernen.", überließ sie ihn Salambos Obhut, und wandte sich wieder ihren Schriftrollen zu. Doch sobald die Tür der Bibliothek sich hinter den beiden geschlossen hatte, sah sie vom Schreibtisch auf, ihr Blick schweifte nachdenklich über die Regale, blieb an der Büste des Homer hängen, und gedankenverloren spielten ihre Finger mit ihrem Mondsteinohrring…


    Dieser Sklave hatte etwas an sich… sie musste nur an seinen selbstsicheren, geradezu selbstgefälligen Auftritt in all seiner Nacktheit denken, da wurde ihr schon wieder ganz anders… Zudem hatte sie das Gefühl, dass sie nicht wirklich all das von ihm erfahren hatte, was sie wissen wollte; ja, je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer schien es ihr, dass er etwas verheimlicht hatte, sich vielleicht gar insgeheim über sie mokiert hatte?
    Ärgerlich kühlte sie ihre Wangen mit dem Handrücken. Wie konnte sie sich denn nur von einem Sklaven so aus dem Konzept bringen lassen! Möglicherweise hatte Serenus ja recht, wie hatte er noch gesagt, Daphnus sähe zu gut aus, das würde Ärger bedeuten… aber ihm die Nase zu brechen war natürlich vorerst keine Alternative. Seinen Willen zu brechen, das vielleicht schon eher…


    Wozu überhaupt soviel Gedanken daran verschwenden?! War doch nur ein Sklave. Und damit griff Leontia wieder zu Stylus und Wachstafel, und vertiefte sich erneut in das Gastmahl des Kallias. Doch die Begegnung mit diesem germanischen Tadzio war ihrer Konzentration auf die Schriften gar nicht zuträglich. Alsbald verließ auch sie die Bibliothek, um sich ein wenig im Garten zu ergehen, und an der frischen Luft hoffentlich auf andere Gedanken zu kommen.

    Impressionen eines Einkaufsbummels - noch immer Teil I - Bei den Tuniken


    Gerade hatte Leontia auf eine, wie sie fand, sehr raffinierte Weise die Sprache auf das Thema gebracht, zu dem sie Epicharis gerne ein wenig aushorchen mochte, als eine Stimme sie mit Namen ansprach. Nanu? Sie sah von den Stolen auf und erblickte Annaea Minervina. "Salve!" grüßte sie überrascht zurück. "Es freut mich, dich wieder zu treffen, Annaea. Ja, welch Zufall, sprachen wir in den Thermen nicht genau von diesen Märkten hier?"


    Leontia lächelte ehrlich erfreut. Das Hochzeits-Thema konnte man immer noch später vertiefen. Hier eben mal so eine, wenn auch flüchtige Bekannte auf dem Markt zu treffen, das zeugte doch von Weltgewandtheit, und davon, dass sie nicht erst gestern aus der Provinz gekommen war. Zudem meinte sie sich zu erinnern, dass die Annaer eine ehrbare Gens waren, mit der man auch als Patrizierin bedenkenlos Umgang pflegen konnte.


    "Und, wenn ich fragen darf, wonach bist du auf der Suche? Wir haben gerade eine kleine Leibsklavin eingekleidet, und sehen uns nun noch ein bisschen um, vor den anderen Besorgungen. Wenn ich vorstellen darf…" Leontia wandte sich lächelnd hin und her, um alle Frauen miteinander bekannt zu machen, "dies ist meine Schwägerin Claudia Antonia - ihre Base Claudia Epicharis - Annaea Minervina. - Wir haben uns neulich bei einem ganz himmlischen Thermenbesuch kennengelernt… Magst du uns vielleicht ein Stück begleiten, Annaea? Ich würde mich freuen."
    Einen Abstecher über den Sklavenmarkt könnten sie auch noch machen, fiel Leontia außerdem ein. Sie brauchte doch unbedingt auch so einen Eunuchensklaven zum Massieren.


    "Und dies ist mein kleiner Neffe… ", wollte sie mit der Vorstellung fortfahren. Stockte. Sah sich suchend um. "Wo ist er denn?" Unheilverkündend funkelte das zarte junge Mädchen einen der riesigen, massigen Trägersklaven an. "Sagte ich nicht, ihr sollt ein Auge auf ihn haben? Solltet ihr ihn verloren haben, werdet ihr etwas unschönes zu… - was?" Sie folgte mit dem Blick der deutenden Hand des Sklaven. Er wies auf einen Süßigkeitenstand schräg gegenüber, wo Serenus und Dido gerade eifrig am kosten waren. "Ach so. Nun gut." Sie spähte hinüber. Das Sortiment schien äußerst verlockend. "Wollen wir auch hinübergehen? Ein paar kandierte Maronen wären jetzt fein..."