Beiträge von Flavia Leontia

    Sie war zweifellos anwesend. Denn durch das schön gemaserte Holz der Türe war, gedämpft, ihre Stimme zu vernehmen, die sehr erbost klang, und dann auch die ihrer Leibsklavin:
    „Das nennst du eine Frisur?! Das ist…-“
    „Domina, es hat gekl…-“
    „Unterbrich mich nicht! Ein Krähennest ist das! Wie - wie eine Vogelscheuche sehe ich aus!“
    „Domina, an der Türe...-“
    „Schweig still, du liederliches Ding! Herumpoussieren ist alles was du kannst! Da!“
    „Autsch. Es hat geklopft, Domina.“
    „Oh. Warum sagst du das denn nicht gleich?
    Einen Moment bitte! “


    Als der Moment verstrichen war, öffnete Salambo die Türe und neigte den Kopf vor Gracchus. Aus einer kleinen Stichwunde an ihrer Hand perlte ein einzelner Blutstropfen, als sie die Türe ganz aufzog, und den Blick in das lichte Gemach freimachte, in dem sich soeben Leontia von ihrem Frisiertisch erhob. Sie trug eine fließende weiße Tunika, und ihr Haar war im Nacken nur flüchtig zu einem Knoten geschlungen. Unauffällig schob sie eine blutige Haarnadel beiseite und trat sodann mit aufgeräumtem Lächeln auf ihren Vetter zu.„Manius, was für eine freudige Überraschung! Komm doch bitte herein.“


    Sonnenstrahlen fielen durch die großen Bogenfenster, und versahen die anmutig gerafften Vorhänge mit kleinen Glanzlichtern. Ein harmonischer Reigen von Blautönen beherrschte das Gemach, von den Wandbehängen über die Draperien des Bettes bis hin zu der Blumenschale mit Schwertlilien neben der Türe. Den Boden deckte ein weicher Teppich aus weissem Ziegenfell. Einladend wies Leontia auf eine Mamorbank in einer Nische, direkt unter einem Fenster, und räumte noch schnell eine Schriftrolle von Herodot, sowie einen Berg von Stickzeug, feinen Tüchern und bunten Garnen zu Seite. „Setz dich doch.“ bat sie lächelnd.


    Die Türe, die zu dem kleinen Balkon auf den Garten hinausging, öffnete sich einen Spalt, und geschmeidig betrat die kleine Tempelkatze Sphinx den Raum. Sie reckte sich, zeigte beim Gähnen ihre rosa Zunge, und stiefelte direkt auf Gracchus zu, um ihm zutraulich um die Beine zu streichen.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus


    Milos Auftauchen versetzte Leontias Saturnalien-Heiterkeit einen gewaltigen Dämpfer. Ihre Miene verdüsterte sich, als er den Raum betrat, sie ignorierte ihn geflissentlich, und griff mit schmalen Lippen nach ihrem Becher. Ihrem gekränkten Stolz nachhängend, saß sie eine Weile schweigend und am Wein nippend, setzte auch beim Verteilen der Geschenke aus, und sann darüber nach, wie sie Milo wohl am empfindlichsten treffen könnte.


    Gracchus’ Zitat vom Guten riss sie aus diesen bösen Gedanken. Mit großen Augen sah sie ihn schuldbewusst an. Wie hatte er das denn ahnen können? Aber die Ermahnung war angebracht, sie nickte reuig und war froh, dass sie ihn als Lehrer, und er sie als Schülerin auserkoren hatte. „Hab Dank, Manius.“ sagte sie kleinlaut, und griff etwas zögerlich nach dem Geschenk. Seltsam, einen Moment lang schien es ihr, als wären seine Hände nicht ganz ruhig.


    Andächtig nahm sie die Schriftrollen entgegen, fuhr sanft über die weiche Lederumhüllung hinweg, und schlug sie dann auseinander. Mit einem glücklichen Lächeln sah sie die Schriftrollen an, genoss den typischen Geruch des feingegerbten Leders, den Duft der Weisheit. Neugierig zog sie die erste Schrift aus der schützenden Rolle, entrollte sie – oh, wie sie dieses Knistern dabei liebte! – und vertiefte sich in die ersten Zeilen.


    „Das Symposion des Xenophon! Das ist wunderbar, oh Manius, vielen Dank!“ Sie strahlte und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, war sich aber bewusst, dass solch Überschwang, bei den albernen und unschönen Gerüchten, die über sie beide möglicherweise noch immer im Umlauf waren, nicht ratsam war. „Ich freue mich über die Maßen.“, fügte sie also ruhig hinzu, holte das für ihn bestimmte Geschenk aus dem Korb und reichte es ihm lächelnd. „Und das ist für dich, teuerster Vetter. Bona Saturnalia!“


    Unter dunkelblauem Linnen und einer kunstvollen Schleife aus silbern schimmernder Seide verbarg sich - wer hätte es gedacht? – eine Schriftrolle. Dunkles Hirschleder, mit labyrinthartigen Mustern verziert, bildete das eher schlichte Behältnis, darin befand sich der „Prometheus in Ketten“ von Aischylos. Unter dem Titel sah man, in griechischem Stil gehalten, eine ausdrucksstarke Illustration des Feuerbringers, der sich kraftvoll gegen seine Bande auflehnte. Dieses Bild hatte Leontia als so ästhetisch empfunden, dass es sofort ihre Bedenken zerstreut hatte, zu den Saturnalien eine Tragödie zu verschenken.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    .... Da Aristides den Raum verlassen hatte, wandte sich Gracchus mit dem nächsten Geschenk an Furianus und mit einem tadelnden Blick an seine Base.
    "Leontia, meine Liebe, hast du auch darauf geachtet, dass dein Neffe ein Saturnaliengedicht aufsagt? War es nicht immer so, dass die Kinder erst hernach ihre Geschenke bekamen? Zumindest in unserer Zeit war dies so, wenn ich mich recht daran erinnere."
    Jene Zeit war natürlich auch die Kindheit Furianus' gewesen, während Leontia zu dieser Zeit wahrscheinlich noch kaum dazu in der Lage gewesen war Gedichte zu rezitieren. Doch die Verschiebung der Generationen in den einzelnen Zweigen der Flavia, teilweise sogar in den einzelnen Familien, war für Gracchus schon immer ein Grund zur Erheiterung gewesen - vorausgesetzt, sein Neffe, der älter war als er, fing nicht damit an, ihn Onkel zu nennen.
    "Nachdem dein Vetter mit solch vortrefflichen Worten vor- und dein Onkel nicht weniger elegant nachgelegt hat, wird es für dich schwer werden, Furianus. Ich hoffe, du findest deine Mühe angemessen entlohnt."
    Ohne ein Gedicht abzuwarten schob Gracchus ein unförmiges Paket zu Furianus hinüber. Es war eine in weichen Stoff verpackte, kleine, bronzene Statue der Wölfin und den beiden Zwillige Romulus und Remus, welche Gracchus mit großer Sorgfalt und Umsicht tatsächlich selbst für seinen Vetter, der eigentlich sein Neffe war, ausgesucht hatte.


    Leontia lachte auf, silberhell, und legte den Spiegel beiseite, da sie sich nun genug bewundert hatte. Aber bestimmt würde er auf diesem Fest noch häufiger zum Einsatz kommen. „Ja, zu unserer Zeit, Manius, da wäre das undenkbar gewesen! O tempora, o mores. Aber er wird es sicher gleich nachholen….“ Neugierig spähte sie, was Furianus da auspackte, und schritt dann selber erneut zur Tat. Mit einem großen roten Päckchen mit Goldschleife bewaffnet kam sie auf Serenus zu. So ein kleines Geschenk vorneweg konnte dem Jungen doch sicher nicht schaden.


    „Serenus, mein kleiner Spatz! Bona Saturnalia!“ Ohne ihm eine Chance zur Gegenwehr zu lassen, schloss sie ihn überaus herzlich in die Arme, wuschelte ihm ausgiebig durchs Haar und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Du hast das vorhin so gut gemacht, ich bin so stolz auf dich! Schau mal hier…“ , sie zwinkerte ihm zu und drückte ihm verstohlen das Päckchen in die Hand, „damit du auch schon ein bisschen was zum Auspacken hast.“


    Unter dem roten Stoff verbarg sich zum einen ein rundes Mühle-Spielbrett aus glänzendem Kirschholz mit Steinen aus weißem und schwarzem Mamor, außerdem eine große Schachtel mit feinem Konfekt, und ein bestickter Lederbeutel, gefüllt mit vielen großen und kleinen Murmeln, geschliffen aus Achat, Jaspis, Malachit und anderen bunten Schmucksteinen. Erst als Leontia dies alles überreicht hatte, fiel ihr mit einem mulmigen Gefühl auf, wie wunderbar sich diese Murmeln auch als Geschosse für Serenus’ Schleuder eignen würden.


    „Perlen! Ich liebe Perlen!“ Leontia ließ die Kette lächelnd durch die Finger gleiten, begeistert von ihrem matten Glanz, der Regelmäßigkeit und der Harmonie der verwendeten Elemente. „Ein wunderschönes Stück, ich danke dir von Herzen, Lucius!“ Und wie gut es zu der Tunika passte, die sie heute gewählt hatte, als hätte er es geahnt. Sie strich sich eine duftige Locke aus dem Nacken, löste den Verschluss ihrer Tigeraugen-Kette, und legte sie achtlos zur Seite, um das neue Geschmeide gleich zu tragen. Kühl schmiegten sich die Perlen an ihre blasse Haut, und lächelnd fuhr sie mit den Fingerspitzen über sie hinweg, wandte sich dann an eine Bedienstete. „Hol mir bitte einen Handspiegel.“ Und als die es wagte, erst noch ihren Krug zur Seite zu stellen, schob sie ein herrisches „Sofort!“ hinterher.


    Serenus hochtrabende Pläne ließen sie milde schmunzeln. Auch sie hegte keinerlei Zweifel daran, daß er es mal sehr weit bringen würde. „Die große Grüne…“ wiederholte sie leise Furianus’ Worte. „Woher stammt dieser Ausdruck eigentlich?“ Cassius hatte ihn auch benutzt. Verklärt erzählte sie: „Einmal bin ich, auf einer Bootspartie, in einer Bucht mit ganz klarem Wasser über einen Wald von Seetang hinweggefahren. Er wogte im Wellengang, wie ein richtiger Wald, und man konnte die perlmutternen Muscheln auf dem Grund blitzen sehen, die Seeanemonen und die bunten Fische… da war es wirklich ganz grün, das Meer. Dann wiederum prangt es in den herrlichsten Blautönen, die – zu meinem Bedauern - kein Färber jemals nachahmen können wird. Oder es droht uns mit seinem bleiernen Grau, und manchmal ist es wirklich weindunkel wie bei Homer…“


    Nachdenklich spielten ihre Finger mit der Perlenkette. „Bisweilen frage ich mich, ob es wirklich das Meer ist, das seine Farbe ändert, oder ob es vielleicht nur wir sind, die immer wieder einen anderen Eindruck davon gewinnen… - ah, da ist ja endlich der Spiegel.“ Sie betrachtete sich in der silbernen Scheibe, und freute sich an dem Zusammenspiel der rubinroten Akzente der Kette mit der dunkelroten Rohseide ihrer Tunika und den goldenen Stickereien. Als Gracchus seine Stimme erhob, blickte sie kurz neugierig zu dem gerügten Sklaven, und gerührt hörte sie wie Serenus sein kleines Gedicht aufsagte. Wie schön, wie in Baiae. Nur Tante Agrippina fehlte.

    "Eine Christin…" wiederholte Leontia tonlos, mit schreckgeweiteten Augen. Wie furchtbar! Arme Minervina! Armer Gracchus! Die Enthüllung erschütterte sie zutiefst. Gegen einen begründeten Selbstmord war wenig einzuwenden, aber sich so einer obskuren Sekte zu verschreiben, unvorstellbar! Was musste es für eine Last sein, dieses schlimme Geheimnis stets mit sich herumzutragen. Dagegen war ihr Vater ja harmlos. Doch, der hatte schon recht: Abgründe taten sich in allen Flaviern auf, mal besser, mal schlechter verborgen - gähnende Abgründe!


    Mit tiefem Mitgefühl sah sie Minervina an. "Es tut mir so leid für dich... Und mir scheint, ich verstehe jetzt besser, warum du so … so selbstständig an die Dinge herangehst, wenn deine Mutter eine Frau war, die in der Öffentlichkeit für das Gemeinwesen, für den Staat, so aktiv war. Es ist beklagenswert, daß uns dies heutzutage nicht mehr gestattet ist." Sie hatte den Impuls, Minervina in den Arm zu nehmen, fühlte sich jedoch durch ihre Nacktheit gehemmt. "Sei gewiss daß ich dieses Geheimnis stets bewahren werde."


    "Ach, über Cassius gibt es nicht viel zu sagen…" begann sie zaghaft, doch vielleicht war es der Wunsch Minervinas Offenheit zu erwidern, der sie mit einem Mal redseliger machte. "Nicht gemocht… nun ja, um ehrlich zu sein habe ich ihn verabscheut. Er war ein durchweg primitiver Mensch. Zwar recht … ansehnlich von Gestalt, und nicht mal so viel älter als ich, lediglich zehn Jahre, und auf seine Weise manchmal auch charmant – aber ohne jedes Verständnis für die edlen Dinge des Lebens. Für ihn ging es immer nur um Erfolg, und ums Essen, und ums … um die Frauen. "


    Einmal ins Klagen gekommen, hörte Leontia gar nicht mehr auf. "Kein vernünftiges Wort war mit ihm zu wechseln. Laut und grob war er. Und zudringlich außerdem, obwohl wir noch nicht verheiratet waren. Einmal hat er mich einfach geküsst, einfach so!" Sie schauderte, als sie daran dachte wie bedrohlich seine drängenden fleischigen Lippen sich auf den ihren angefühlt hatten. "Es war scheußlich. Ich wünschte ich müsste so was nie wieder tun. Am liebsten möchte ich Vestalin werden. Aber Papa ist da leider nicht dafür."

    Eingehakt bei Minervina steuerte Leontia auf ihren Vetter Marcus zu, der ob seiner Größe gut in der Menge auszumachen war. „Danke,“ erwiderte sie geschmeichelt auf das Kompliment ihrer Cousine, „deine Tunika steht dir auch wirklich sehr gut zu Gesicht, dieses helle Blau harmoniert vortrefflich mit deiner Augenfarbe. Ich fürchte aber, ich habe mich bei der Wahl meines Gewandes leider ein bisschen vergriffen, weißt du, die letzten Jahre war ich zu den Saturnalien meist in Baiae, und da hat das Wort schlicht eine ganz andere Bedeutung als hier. Ich hoffe, man hält mich jetzt nicht für hoffärtig.“


    Die Begrüßungsworte ihres Vetters zauberten ein fröhliches Lächeln auf ihr Gesicht. Sie mochte seine herzliche, zuweil überschwengliche Art, und sein raumgreifendes Lachen gehörte für sie zum Saturnalienfest irgendwie dazu. „Lieber Marcus, es ist schön dich zu sehen! Papa geht es gut, er ... er genießt sein Leben in vollen Zügen, wie immer. Er lässt dich grüßen, und lädt dich herzlich ein, ihn einmal wieder zu besuchen. Von Mantua aus ist es ja nicht so weit.“ Als der Tumult um den Saturnalienkönig losbrach, wurde ihr unbehaglich zumute, obwohl ihr Custos noch immer sein Bestes gab, ihr den Rücken freizuhalten. Solche großen lärmenden Mengen waren nichts für sie, und beklommen trat sie noch näher an Marcus und Minervina heran. „Ich glaube, ich würde jetzt gerne zu den Sänften zurückgehen...“


    Im Gegensatz zu ihrer Herrin, fühlte sich Salambo in einer fröhlichen Menge wie ein Fisch im Wasser. „Königin? Oho! Bekomme ich auch eine Krone?“ sie schenkte dem feschen Keksverteiler ein strahlendweißes Grinsen, und zierte sich nur anstandshalber noch ein bisschen. „Eigentlich habe ich ja schon eine Einladung... in der Villa Flavia.“ prahlte sie. „Aber warum nicht. Wenn du mit deiner Königin auch tanzen gehst, forscher Unbekannter, dann treffen wir uns doch nachher da drüben an der Säule da...“ Sie zwinkerte keck - das schien ansteckend zu sein - und fragte noch schnell, bevor ihn die keksgierige Menge ihr womöglich wieder entriss: „Wie heißt du eigentlich? Mich nennt man Salammbô.“

    Ein kleiner Tropfen sammelte sich auf Leontias Stirn, und als sie leicht nickte, perlte er an ihrer Schläfe hinunter. Es kitzelte ein wenig, und sie wischte ihn mit einer gemächlichen Handbewegung beiseite. „Hast du deine Mutter denn gekannt?“ fragte sie Minervina leise, und etwas wehmütig fügte sie hinzu: „Ich kann mich an meine gar nicht erinnern...“


    „Mein Verlobter? Ach, nein, es ist mir keineswegs unangenehm. Uns verband eigentlich nichts, ich meine nichts bis auf das Verlöbnis eben. Er hieß Cassius und war Offizier bei der Flotte... Papa mochte ihn, aber mir ist es nie gelungen, etwas liebenswertes an ihm zu finden.“ Sie zuckte mit den Schultern und dankte den Göttern, die ihr Flehen erhört hatten, und sie von diesem Grobian erlöst hatten.


    „Vor einem Monat kam er ums Leben, durch eine Muräne.“ Sie berichtete ohne eine Miene zu verziehen. „Er erstickte an einer Gräte. Er war immer ein unmäßiger Esser.“


    Wer freut sich nicht über ein schönes Kompliment? „Ach nein, du übertreibst...“ wehrte Leontia sittsam ab, während es ihr wie Honig auf der Zunge zerging. Auch wenn ihre Ornatrix ihr vorhin nicht beim Herrichten behilflich gewesen war - weil sie ja unbedingt in der Stadt mit fremden Männern herumschäkern mußte, man stelle sich das mal vor! - sah sie, Leontia, offenbar trotzdem nicht wie eine Vogelscheuche aus. Glücklicherweise. „Es wäre mir sehr lieb, wenn du mich Leontia nennen würdest.“ lächelte sie, denn bei „Tante“ wäre sie sich trotz ihrer siebzehn Jahre alt vorgekommen. „Und wie ist es dir deinerseits am liebsten? Mit Milo habe ich es immer so gehalten, daß ich ihn einfach Vetter nannte, und er... - Huch!!!“


    Mit einem Sprung hinter eine Kline brachte sie sich vor dem purzelbaumschlagenden Hund in Sicherheit. „Aber Serenus!“ Was für eine unflätige Wortwahl der Kleine hatte. Doch irgendwie drollig, auch sie mußte lachen, und kam, als die Luft wieder rein war, schnell wieder hervor. „Du meine Güte, was für ein Wildfang!“ Wenn er nur nicht ihre Lieblingskatze zur Beute auserkor. Auch wenn ihre Sphinx natürlich tadellos erzogen war. Da mußte sie wohl mal ein erstes Wort mit Serenus reden.


    Federleicht legte sie ihre schmale weiße Hand in die von Furianus, ließ sich zu Tische geleiten, und bemerkte dabei ganz überrascht, daß ihre Nichte Arrecina auch anwesend war. „Bona Saturnalia, Arrecina!“ rief sie ihr mit einem freudigen Lächeln zu, und überlegte dabei schon hin und her, wie sie am besten mit den Geschenken umdisponierte... da Gracchus‘ Angetraute bisher nicht erschienen war, könnte das für sie bestimmte Geschenk ja vielleicht Arrecina bekommen... aber es wäre natürlich fatal, wenn die Claudia danach überraschend doch noch auftauchte!


    Bei den Liegegelegenheiten angekommen streifte sie ihre Sandalen ab und ließ sich so formvollendet auf einer Kline nieder, daß dabei nichts, nicht mal ein Fingerbreit, ihrer Knöchel zum Vorschein kam. Gracchus‘ kleiner Ansprache lauschte sie mit sichtlichem Genuss, wie jedesmal verzaubert vom Wohlklang seiner Worte. Bei Sciurus zu Beginn eher trister Darbietung runzelte sie anfangs leicht die Stirn, doch sein treffendes Zitat ließ sie stillvergnügt und zugleich anerkennend schmunzeln. Daß das Opfer so rasant über die Bühne ging, verblüffte sie, aber nicht unangenehm, denn so würde sie gleich mit ihrer liebsten Beschäftigung, dem Verteilen der Geschenke, fortfahren können.


    Die Musik begann zu spielen, sie nahm einen der angebotenen Becher, prostete zuerst leicht dem Rex Bibendi zu, dann Furianus. „Auf die Familie!“ Den ersten Schluck vergoß sie für Saturn, den zweiten nahm sie selbst, dann kramte sie schon wieder in ihrem Geschenkekorb nach dem Passenden. „Ich hörte, daß du eine Yacht besitzt,“ meinte sie dabei im Plauderton zu Furianus, „bist du viel damit unterwegs?“. Oh ja, sie hatte ihre Erkundigungen eingezogen... man konnte ja nicht immer nur Öllampen verschenken, auch wenn sie vor zwei Tagen einen Stand mit ganz entzückenden, vielfältigen Exemplaren ausfindig gemacht hatte, und im Affekt beinahe leergekauft hatte. Endlich hatte sie das richtige Päckchen in der Hand.


    „Erlaube mir doch, dir diese Kleinigkeit hier zu schenken.“ bat sie Furianus vergnügt, und überreichte ihm einen runden Holzkasten aus aromatisch duftendem Zitrusholz. Er war ganz flach, blankpoliert, und mit Elfenbeinintarsien verziert, die ein Schiff unter Segeln darstellten. Eine große leuchtendblaue Schleife war liebevoll darum gebunden. Der Kasten wog recht schwer in der Hand, denn darin lag, weich gepolstert, eine Sternenscheibe, auf der die Sternbilder kunstvoll in Silber vor einem tiefblauen Lapislazuli-Hintergrund dargestellt waren. Je nach der Zeit des Jahres ließen sie sich verstellen, um das Firmament stets akkurat wiederzugeben.

    „Ich weiß es sehr zu schätzen, lieber Manius, daß du mir von deiner knapp bemessenen Zeit so großzügig offerierst. Und natürlich ...“ sie zögerte kaum merklich, da es in ihren Ohren beinahe vermessen klang, „ ... natürlich werde ich dir meine, sicherlich sehr viel großzügiger bemessene Zeit, auch jederzeit mit Freuden widmen - wenn du möchtest.“ Sie lächelte schüchtern, und ihr feingliedriger Zeigefinger ließ wieder den Ohrring hin und her schwingen.


    „Heißt es nicht auch bei Seneca, daß es nicht etwa wenig Zeit ist, die wir zur Verfügung haben, sondern viel, die wir nicht nutzen? Obwohl ich mir das bei dir kaum vorzustellen vermag...“ Wieder unbefangener trat sie noch einmal an ihn heran, und drückte herzlich seine beiden Hände. „Ich danke dir für dieses Willkommen, Manius. Dann also bis später...“ Sie wandte sich zu Gehen, drehte sich nach einigen Schritten noch mal zu ihm um und fügte mit einem - nicht vollkommen - scherzhaften Lächeln hinzu: „...mein Sokrates.“


    Leichten Trittes verließ sie das Atrium, raffte im Gehen etwas den Saum ihrer Tunika, und stieg beschwingt die Treppen in das Obergeschoß empor. Und zu ihrer Freude hatten ihre umsichtigen Sklavinnen wieder das hübsche Gemach mit dem entzückenden kleinen Balkon für sie organisiert. Rundum zufrieden zog Leontia ein.

    In der Tat hatte Leontia noch so manch spontane Idee, wie man die Schönheit des Atriums noch besser zur Geltung bringen könnte, doch sie wollte nicht mit der Türe ins Haus fallen. Zudem gebot es die Höflichkeit solche Einfälle zuvor mit der Frau des Hauses abzuklären - das wäre dann wohl Gracchus Ehefrau - die sie sich um keinen Preis zur Feindin machen wollte.


    „Dich nach so langer Zeit wieder zu sehen, Manius, ist mir Labsal ohnegleichen.“ erwiderte sie ehrlich. „Danke, du bist sehr aufmerksam, doch ich möchte im Moment nichts zu mir nehmen.“ In der Sänfte hatte sie aus der Langeweile heraus heute schon viel zu viel Honiggebäck genascht. „Etwas ausruhen und frisch machen würde ich mich jedoch gerne.“ Und ihre Zehen verlangte es nach einem warmen Fußbad.


    Etwas verlegen fuhr ihre Hand wieder zum Ohrgehänge, spielte leise damit. Es klimperte hell und die kleinen Saphire warfen blaue Lichtfunken. „Sicher hast du sehr viel zu tun, gerade jetzt vor den Saturnalien natürlich. Ich freue mich schon so auf die Zeremonie, und auf das Fest...“ Es würde ganz bestimmt nicht einfach werden, für jeden ein passendes Geschenk zu finden. Die Zeit war knapp, doch die römischen Märkte groß und Leontia fest entschlossen.


    Noch immer überwältigt, und zugleich ein wenig eingeschüchtert von der Aussicht ihn jederzeit, oder jedenfalls häufig, sehen zu können, trat sie lächelnd einen Schritt zurück. „Dann werde ich mich jetzt fürs erste zurückziehen, wenn du erlaubst, lieber Vetter.“

    Wohlwollend nahm Leontia die, in ihren Augen, schüchterne Zurückhaltung des Sklaven zu Kenntnis, und dachte zugleich indigniert an ihre Salambo, die sich heute, auch für Saturnalien-Verhältnisse, ein bisschen zu viel herausgenommen hatte. Nur daß Sciurus nicht gleich auspackte, fand sie etwas schade. Dann trat Furianus heran und grüßte, sie wandte sich ihm sogleich zu, und der Sklave war vergessen.


    Ein höfliches Lächeln auf den Lippen hörte sie mit leicht geneigtem Kopf seine Vorstellung, sogleich wurde das Lächeln wärmer, und ihre nachtblauen Augen strahlten in ehrlicher Freude. „Bona Saturnalia! Es freut mich, daß wir uns auch einmal kennenlernen! Ich bin Flavia Leontia, die jüngste Tochter von Gnaeus Flavius Aetius. Erst vor kurzem traf ich aus Ravenna ein.“ Aber was Gracchus wohl mit „unbotmäßigen Ämtern“ gemeint hatte? Auf den ersten Blick jedenfalls war an Furianus nichts Unbotmäßiges zu entdecken, im Gegenteil.


    Ein kleines schalkhaftes Funkeln trat in ihre Augen, als sie weitersprach. „Ich bin also deine Tante. Nun ja, genaugenommen deine Tante zweiten Grades.“ Sie schmunzelte, da er sicherlich viel älter als sie war. Schon mit Milo hatte sie sich immer darüber amüsiert - vor dem Zerwürfnis. Unwillkürlich schweifte ihr Blick kurz zum Eingang, und erleichtert stellte sie fest, daß kein Milo in Sicht war, dafür aber ihre Cousine, der sie ein herzliches Lächeln zuwarf.

    Träge waberten die Dampfschleier um die beiden Cousinen, verwischten jede scharfe Kontur, drehten und wanden sich, zerrissen, und flossen wiederum ineinander, während sie langsam in die Höhe trieben, bis unter das zu einer Kuppel gewölbte Dach. Das Caldarium war erfüllt vom Geräusch fallender Tropfen und rieselnder Rinnsale. Die feuchtigkeitsgeschwängerte Luft lag schwer auf der Brust.


    Langsam steckte sich Leontia lang auf der Bank aus, reckte sich wie eine Katze, spürte wie der Wärme sie vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen herrlich durchfloss. Sie stützte die Ellenbogen auf, legte den Kopf auf die verschränkten Hände, und sah Minervina aufmerksam an. „Mhm....“ Sie nickte, obwohl sie immer noch nicht wußte, wovon ihre Cousine nun sprach. Kaum vorstellbar daß man mit Gracchus überhaupt einen Zwist haben konnte... wo er doch ein so durch und durch ausgeglichener, sanftmütiger Mensch war...


    „Ja, die Familie...“ murmelte sie. „Man liebt sie, und zugleich...“ Zugleich konnte sie einen zur Weißglut treiben, verlangte sie, daß man sich mit Haut und Haar unterordnete, sein Glück in den Wind schoß und dazu noch ein heiteres Lächeln zur Schau trug... "zugleich hat man seine Differenzen. - Habt ihr euch denn ... gestritten?“ fragte sie vorsichtig.

    Inbrünstig stimmte Leontia in die „Io Saturnalia!“- Rufe ein. „Io Saturnalia, Salambo!“ wünschte sie freudig auch ihrer Sklavin, und reichte ihr schnell einen kleinen Beutel mit roter Schleife. Auch Hamilkar bekam einen, denn die Geschenke hatte sie glücklicherweise nicht vergessen. „Danke! Bona Saturnalia, Leontia!“ Salambo strahlte, und nestelte an dem Band. Als sie wieder aufblickte, stand der schneidige Kerl von eben vor ihr. Sie blinzelte überrascht, und strahlte noch viel mehr als sie - sie! - den ersten Keks bekam. Und noch dazu mit so charmanten Worten garniert!


    „Danke sehr...“ schnurrte Salambo, ließ ihre dunklen Finger einen Moment lang über der Schale schweben, bevor sie sich für einen entschied. Mit einer geschmeidigen Handbewegung führte sie das Gebäck zum Mund, wobei sie Victor sehr tief in die Augen sah. Schon wollte der Keks hinter den weißen Zähnen verschwinden, da hielt sie inne. „Wollen wir nicht teilen?“ fragte sie kokett, brach den Keks entzwei, und streckte ihm eine Hälfte entgegen, um sie ihm direkt in den Mund zu stecken. Die andere verschlang sie selbst, und leckte sich mit der Zunge ein paar Krümmel aus dem Mundwinkel.


    Das alles sah Leontia zum Glück nicht mehr. Mit zusammengepressten Lippen hatte sie sich abgewandt, als dieser unverschämte Tempeldiener, oder was-auch-immer, sie - sie! - glattweg ignorierte. Saturnalien hin oder her, das ging zu weit. Doch ganz im Sinne der Stoa beschloß sie, sich von so jemandem nicht ihre Euthymia verderben zu lassen, und als sie dann auch noch ihre Cousine ganz in der Nähe entdeckte, strebte sie freudig auf sie zu. Hamilkar flankierte sie weiterhin, denn er wußte ganz genau, daß Leontias Vater ihn bei lebendigem Leibe rösten würde, wenn seinem Töchterchen etwas zustieße - ob an den Saturnalien oder nicht. Außerdem war er Freizeit nicht gewöhnt.


    „Minervina! Io Saturnalia!“ Da die Sitten nun erheblich weniger streng waren, scheute sich Leontia nicht, ihrer Cousine herzlich um den Hals zu fallen. „Was für eine erhabene Zeremonie, nicht? Was für schöne Worte! Oh, sieh mal, da ist Vetter Aristides! Laß uns zu ihm gehen!“ Sie hakte sich bei Minervina freundschaftlich unter, und winkte Marcus ausgelassen zu, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. „Vetter Aristides! Hier sind wir!“ Als ein anderer Keksverteiler des Weges kam, griff sie schnell zu. So kam auch Leontia noch zu ihrem Saturnalienkeks.

    Ein seliges Lächeln erschien auf Leontias Gesicht, als sie in den geschmückten Raum hineintrat, und in honigfarbenes Licht tauchte. Ein Blick in die Runde sagte ihr, daß sie wohl früh dran war, aber das war kein Wunder, denn solche familiär-festlichen Anlässe konnte sie immer kaum erwarten. Und vor allem brannte sie darauf, die Geschenke zu verteilen, bei deren Beschaffung sie große Aktivität entwickelt hatte. Teils schon lange vorbereitet, teils erst in letzter Sekunde ergattert, lagen sie nun alle, hübsch in bunte Stoffe eingeschlagen, in dem Weidenkorb, den sie in der Hand trug.


    Bei ihrer Kleidung hatte sie heute Kompromisse gemacht, denn ihre bevorzugten Blautöne hätten mit der Dekoration des Raumes - auf den sie vorher vorsorglich einen heimlichen Blick geworfen hatte - nicht harmoniert. So trug sie heute ausnahmsweise einmal rot, wenn auch in einem gedeckten Ton, an einer langen rohseidenen Tunika, die sie an den Rändern selbst mit einer goldschimmernden Akanthus-Stickerei eingefasst hatte. Ebenso bestickte Bänder fielen kreuzweise geschlungen locker um ihre Taille herum.


    An ihrer Flechtfrisur hatte sie vorsichtshalber nichts verändert, denn sie traute der freien Dienerin, die Salambo über die Feiertage vertat, nicht zu, etwas apartes zustandezubringen. Beim Schuck hatte sie lange gezögert, doch dann alle Perlen verbannt, und sich statt dessen für eine schlichte Kette mit geschliffenen Tigeraugen entschieden, deren ovale Steine im Kerzenschein goldbraun glommen.


    Da Leontia sah, daß ihre beiden Vettern auf der anderen Seite des Raumes gerade die Köpfe zusammensteckten, trat sie erst einmal auf Sciurus zu und wünschte fröhlich: „Io Saturnalia!“. Schnell griff sie dann in ihren Korb - sie konnte sich einfach nicht mehr beherrschen - und zog eines der Allzweck-Geschenke hervor, von denen sie für die Sklaven einige eingepackt hatte. Lächelnd hielt sie ihn einen kleinen Beutel hin, aus blauem Leinen mit einer roten Schleife zugebunden. Darin befand sich eine schön gearbeitete kleine Öllampe aus blankpoliertem Messing, in Form eines Phönix, der gerade die Schwingen ausbreitete, und den Schnabel aufsperrte. Wenn man die Lampe entzündete, würde er eine Flamme atmen.

    Auch auf Leontia kam ein grünbekränzter Helfer zu, und sogleich griff sie nach ihrem seidenbestickten kleinen Täschchen, um einige Münzen hervorzuziehen. Doch erschrocken stellte sie fest, daß sich darin keine Börse befand. Hatte sie sie denn vorhin nicht eingepackt? Lag sie vielleicht noch in der Sänfte? Oder hatte gar jemand es gewagt, sie zu bestehlen? „Künd, du würdest deinen eigenen Kopf vergessen, wenn er dir nücht fest auf den Schultern säße.“ schalt ihre Amme sie des öfteren. Und tatsächlich neigte Leontia dazu Dinge zu verlegen oder zu verlieren, wenn ihre Sklaven sie ihr nicht hinterhertrugen.


    Peinlich berührt sah sie in die Augen des Mannes, der ihr erwartungsvoll die Holzdose hinstreckte. Keine Spende für Saturn zu geben wäre gewiss ein schlechtes Vorzeichen - und wie blamabel zudem! Mit einem Hauch von Röte auf dem alabasterblassen Antlitz zog Leontia sich die perlenbesetzten Nadeln aus dem Haar, und fragte ganz leise: „Geht das auch?“. Bedauernd schüttelte der Mann den Kopf: „Es müssen schon Münzen sein.“


    Widerstrebend wandte Leontia sich an ihre heute-nicht-Sklavin, und flüsterte verlegen: „Könntest du...“ Salambo strahlte sie unschuldig an, und machte den Anschein gar nichts zu verstehen. „...mir vielleicht aushelfen?“ „Aber natürlich.“ Salambo verzog keine Miene und drückte ihrer heute-nicht-Herrin liebenswürdig ein paar Münzen aus ihrem eigenen Geldbeutel in die Hand. Erst als diese sich abwandte, und erleichtert das Geld in das Sammelgefäß klimpern ließ, huschte ein spitzbübisches Grinsen über das Gesicht der Nubierin. Weiß blitzten ihre Zähne, als sie mit schelmischem Lächeln wieder zu dem feschen Kerl bei den Statuen sah, der ihr schon seit einer Weile schöne Augen machte, und vergnügt zwinkerte Salambo zurück. Es lebe die Saturnalia!

    Leicht sank Leontias Stirn an die Schulter ihres Vetters, ein leises Seufzen kam über ihre Lippen und hing einen Moment lang kaum hörbar in der Luft. Die Anspannung, die während ihres Geständnisses ihren schmalen Körper fest im Griff gehabt hatte, wich in der Umarmung, und erleichtert flüsterte sie „Ich danke dir, Manius...“


    Seine nächsten Worte entlockten ihr schon wieder ein Lächeln. „Ja, da bin ich auch sicher.“ Und mit einem vergnügten Funkeln in den Augen verriet sie ihm: „Weißt du, ich habe nämlich gar nicht vor der Schwermut zu verfallen. Es wird für mich ein übergroßer Luxus sein, jederzeit die Möglickeit zu haben, mich mit dir auszutauschen. Es erscheint mir noch ganz ... unwirklich. Aber ich werde mich schon noch daran gewöhnen.“


    Sie lächelte verschmitzt, obwohl sie zugleich einen zarten Anflug von Besorgnis verspürte: ob Gracchus nicht, wenn er sie so häufig vor Augen hätte, ihre Unzulänglichkeiten unangenehm auffallen würden? Die - noch immer bedeutsamen - Lücken ihrer Bildung? Ihren manchmal unmäßigen Hang zum Luxus? Oder gar ihre Anwandlungen von Zerstörungsdrang? Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß in ihrer Familie niemand ohne Fehl war, viele gar eine tiefe Düsternis in sich trugen. ‚Flavisches Blut, heißes Blut‘, hätte ihr Vater schulterzuckend gesagt, ‚es treibt uns zu höchsten Höhen genauso wie in die tiefsten Abgründe.‘ - bevor er sich mit Hingabe wieder seinen Abgründen widmete.


    „Jener Mann? Ach so, du meinst Kosmas. Papa erwarb ihn kürzlich, er ist Medicus und Grieche. Er scheint sich gut auf seine Kunst zu verstehen, und Papa bestimmte ihn zu meiner Begleitung, damit er mein Leiden im Auge behält - obgleich es mir zur Zeit sehr gut geht.“ fügte sie schnell hinzu, und fragte sich, ob ihr Vater den Medicus und seine lästigen Mahnungen zu Mäßigung vielleicht einfach nur hatte loswerden wollen.


    „Gelegentlich versuchte ich mit ihm eine Konversation zu führen, um mein Griechisch zu üben, und weil er mir ein gelehrsamer Mann zu sein scheint. Aber er ist ungemein wortkarg. Ich fürchte auch, er hält nicht viel von gebildeten Frauen... ‚Das Weibliche besitzt zwar das planende Vermögen, aber ohne Entscheidungskraft...‘zitierte sie achselzuckend. „Viel mehr war ihm nicht zu entlocken.“


    Sie fasste Gracchus sacht am Arm, führte ihn einige Schritte auf das Impluvium zu, und deutete träumerisch auf die Wasseroberfläche. „Sieh mal. Ich habe den Eindruck einige Seerosen würden dieses Arrangement noch veredeln. Weiße Blüten, an den Spitzen zartrot angehaucht. Oder vielleicht Lotosblüten... Was meinst du?“

    Sim-Off:

    hihi ;) naja, wie man‘s nimmt...;)


    „Gut, gehen wir doch.“ Leontia erhob sich. „Vale, Amessis Vistilia.“ verabschiedete sie sich mit einem reservierten Kopfnicken von der Priesterin. „Ich wünsche dir noch einen angenehmen Aufenthalt.“, dann stieg sie über die flachen Stufen aus dem Becken hinaus. Ihre aufmerksame Leibsklavin Salambo trat sogleich mit einem angewärmten Badetuch auf sie zu. Leontia schlang es sich um, und ging, die bloßen Füße vorsichtig auf den glatten Boden setzend, am Beckenrand entlang.


    „Sicher, wir können auch einen Markbummel machen.“ meinte sie im Gehen lächelnd zu Minervina. „Es freut mich zu hören, daß du auch gerne nähst und stickst. Selbstgefertigte Gewänder sind doch etwas schönes. Ich hoffe nur meine Sklaven haben inzwischen meinen Webstuhl aufgebaut... Mir hat das alles auch meine Amme beigebracht. Sie begleitet mich noch immer, also meistens, heute war sie ... leider unpässlich.“ Und leise vertraute sie Minervina an: „Sie ist sehr engstirnig, weißt du. Ich verstehe schon wie du das meinst: mehr Freiheit...“


    Sie trat in die wogenden Dampfschwaden des Caldariums hinein, und ließ sich auf einer abgerundeten Bank nieder. Wohlig umfing sie die Wärme, schien in jede Pore zu dringen, und schon setzten sich kleine Wasserttröpfchen auf der Haut ab. Leontia wedelte mit der Hand ein paar Dampfschleier beiseite, um ihre Cousine noch sehen zu können. „Ja, unbedingt! Wir setzen uns gemütlich zusammen, mit etwas gewürztem Wein, nähen oder sticken uns etwas schönes, reden in aller Ruhe....“ Und in mehr Abgeschiedenheit... Genau richtig war das, um es sich an diesen kurzen und trüben Tagen gemütlich zu machen, dachte Leontia, und fragte sich mit einem Mal, ob ihr Vater nicht vielleicht doch recht hatte, und sie sich hier möglicherweise ganz gut amüsieren würde... Aber er hatte ja nicht ahnen können, daß sie hier ihre Cousine treffen, und sich mit ihr gleich so gut verstehen würde.


    „Salambo!“ „Domina?“ wie ein Geist tauchte die Sklavin aus dem Nebel auf. „Geh und laß dich ein bißchen massieren, probeweise, und dann schick uns die beiden, die es am besten machen. Mit Gefühl. Kräftig aber nicht grob.“ Das ließ Salambo sich nicht zweimal sagen. „Ja, Domina.“ Schon war sie weg.

    Was für ein Licht! Erfüllt von einer heiteren Leichtigkeit, die dem Tag durchaus angemessen war, legte Leontia den Kopf schräg, und blinzelte einen Moment lang in die Sonne, bevor sie den Blick über die versammelte Menschenmenge schweifen ließ. Die ungeheure Masse an Gesichtern bereitete ihr jedoch ein leichtes Unbehagen, und so wandte sie sich wieder nach vorne, dem Tempel zu. Zum Glück hatte ihr Vetter Gracchus dafür gesorgt, daß sie einen Platz ganz vorne bekommen hatte. Nicht auszudenken wäre es, sich da durch das Gewühl des Plebs drängen zu müssen!


    Aber etwas kühl war es, und sie kuschelte sich in ihren warmen Blaufuchspelz-Mantel. Darunter trug sie eine elegante Kombination aus einer cremefarbenen Tunika mit weiten von Silberfäden durchwirkten Ärmeln und einem weich fallenden strahlenblauen Obergewand. Ein silberbestickter Gürtel raffte es um ihre gertenschlanke Taille herum in anmutigem Faltenwurf. Zu einem Kranz geflochten lag ihr schwarzes Haar um ihren Kopf herum gewunden, von einigen schimmernden Perlen geschmückt. Einzelne Strähnen waren in Asymmetrie herausgezupft - wie es gerade hochmodern war - und schmiegten sich zu Locken gedreht an ihren zarten Hals.


    Beim Herrichten heute morgen war ihr Salambo, ihre Leibsklavin und Ornatrix - den Göttern sei dank - noch behilflich gewesen, aber jetzt stand sie als Gleichgestellte neben Leontia. Die junge Halbnubierin strahlte über das ganze Gesicht, und schenkte allen gutaussehenden Männern in ihrer Umgebung bereitwillig ein unbeschwertes Lächeln - ein viel zu kokettes Lächeln, fand Leontia, durfte sie aber an diesem Tag nicht zurechtweisen. Dagegen benahm sich ihr Custos Hamilkar ganz anständig. Mit verschränkten Armen stand er neben ihr, die Filzkappe auf dem Kopf, und die Umgebung, obgleich er eigentlich ja frei hatte, noch immer aufmerksam im Blick.


    Mit tiefen Genuß lauschte Leontia den wohlklingenden Worten ihres Vetters, und glühte insgeheim vor Stolz, daß er derjenige war, der den Kultakt leitete - was natürlich nur angemessen war. Ihren kleinen Neffen Serenus mit seinem kindlichen Ernst als Opferhelfer zugange zu sehen, rührte sie zutiefst, und sie mußte sehr an sich halten, um ihm nicht verstohlen zuzuwinken.

    „Oh ja, ich denke, ein lichtes Blau muß dir ganz vortrefflich stehen! Vielleicht mit einem warmem Bronzeton als Kontrapunkt, oder auch mit goldenen Akzenten.... Lass uns doch in nächster Zeit mal einen Händler in die Villa bestellen, dann suchen wir uns ein paar schöne Stoffe aus. Und bei den Borten können wir uns ja zurückhalten, man muß schließlich nicht jede kurzlebige Erscheinung mitmachen. Am liebsten besticke ich die Säume außerdem selbst...“


    Sie lächelte freudig bei der Vorstellung, all diese Dinge mit Minervina gemeinsam unternehmen zu können, doch bei den nächsten Worten ihrer Cousine zog zuerst Enttäuschung, dann Bestürzung in ihrer Miene auf. „Oh, das wäre aber schade! Eine kleine ... Diskussion? Warum solltest du denn...-“ Aber das Wissen, daß die privaten Unstimmigkeiten in der Gens Flavia besser nicht in der öffentlichen Therme ausgebreitet wurden, ließ sie ihrer Frage innehalten.


    Zwar wußte sie nicht worum es ging, doch Minervina erschien ihr sehr bedrückt. „Bestimmt kannst du bleiben, sicher klärt sich das...“ versuchte sie zu trösten. „Soll ich mal mit ihm sprechen, vielleicht? Wir haben wirklich ein sehr gutes Verhältnis zueinander.“ Mehr als das, sie sah in Gracchus einen Seelenverwandten und Mentor. Unschön war die Vorstellung einer Streitigkeit zwischen den beiden, und unschön meldete sich in diesem Moment auch die Erinnerung an ihr eigenes Zerwürfnis mit Milo zurück. Beinahe ein Jahr war es nun her, und Leontia mochte gar nicht daran denken, daß sie ihm bei den kommenden Feierlichkeiten vielleicht wieder begegnen würde.


    Mit einem Mal unruhig setzte sie sich auf und wrang das Wasser aus ihren Haare. „Wollen wir uns noch in das Caldarium begeben?“ Der heiße Dampf würde sich gewiß sowohl auf das Gemüt als auch auf den Teint wohltuend auswirken.