Beiträge von Flavia Leontia

    „Das ist ja eine Unverschämtheit, das geht doch nicht. Vielleicht musst du ihn bestechen, oder bedrohen, oder so.“ Leontia hatte höchst nebulöse Vorstellungen, wie es wohl im Geschäftleben zugehen mochte. „Ja, sicher… aber…so ein Geschäft, und selbst Geld verdienen…ich weiß nicht…“ Doch sie wollte ihrer Cousine nicht zu nahe treten. „Also für mich wäre das nichts. Ich interessiere mich aber auch überhaupt nicht dafür.“ Sie gab nur immerzu das Geld ihres Vaters aus.


    Seufzend räkelte sie sich unter den Händen des Masseurs. „Hmm…herrlich… nein tiefer… ja da, genau…“ Der Mann massierte einfach wundervoll, kraftvoll und zugleich mit Feingefühl löste er die Verspannungen an ihrem Rücken, lockerte die Schultern, strich sanft die Arme ganz lang…
    Leontia wurde still und genoss. Irgendwann murmelte sie, vor Entspannung schon ganz schläfrig: „Fantastisch…Ist deiner auch so gut? Ich glaube, Eunuchen sind dafür besonders begnadet… ich muß mir wohl auch mal einen kaufen…unbedingt…“

    Eine kleine Falte stand senkrecht zwischen Leontias elegant geschwungenen Brauen. Sie hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und sah ungnädig auf die Schrift hinunter, die ihr Geheimnis einfach nicht preisgeben wollte. Das Lachen der Kinder war da geradezu eine angenehme Ablenkung. Sie sah auf, und ihre Stirn glättete sich, als sie ihren süßen kleinen Neffen so vergnügt mit seiner Lektüre beschäftigt sah. „Na, was liest du denn da schönes, mein Spatz?“, fragte sie ihn milde lächelnd, doch dann erschien die kleine Falte des Unmuts wieder, und missbilligend sah Leontia auf Nero.


    „Schick bitte deinen Hund hinaus, Serenus.“, bat sie ihn freundlich, aber durchaus mit Nachdruck. „Er hat in einer Bibliothek nichts verloren. Ebensowenig Speisen und Getränke. Entweder es wird gelesen, oder es wird gegessen.“ Mahnend hob sie den Zeigefinger. „Beides verträgt sich nicht miteinander. Allzuschnell hast du eine wertvolle Schrift durch eine kleine Unachtsamkeit ruiniert. Also sag bitte deiner Sklavin, dass sie den Teller fortbringt.“ Resolut winkte sie ab: „Und keine Diskussion.“

    „Es freut mich sehr, dass wir uns auch einmal kennenlernen. Gracchus ist mein Vetter, damit bist du meine Schwägerin zweiten Grades, wenn ich mich nicht irre.“ Freundlich und offen lächelte Leontia die Frau ihres liebsten Vetters an, kein Arg stand in ihren blauen Augen, und doch hätte man ihre Gedanken keineswegs als nett bezeichnen können – das war sie also, die grausame Frau, schön und boshaft, die den armen, feinfühligen Manius mit ihrer Kaltherzigkeit Tag und Nacht quälte! Man sah es ihr gar nicht an. Na warte… - irgendwie, beschloss Leontia, irgendwie, irgendwann würde sie ihr das heimzahlen. „Wir haben es alle sehr bedauert, dass du beim Saturnalienfest nicht dabei sein konntest“, heuchelte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, „aber es ist gut zu sehen, dass es dir besser geht.“


    Claudia Epicharis? Bei Iunos heiligen Gänsen! Was für eine glückliche Fügung! Diese Gelegenheit, Tante Agrippina stolz zu machen, mußte sie sofort beim Schopfe packen. Zudem machte die Claudia auf den ersten Blick durchaus einen sympathischen Eindruck. Ein gutgelauntes flavisches Funkeln in den Augen, nickte Leontia bei ihrer Vorstellung noch einmal höflich grüßend. „Sehr erfreut! Aus Mantua? Da soll es ja sehr schön sein! Mein Vetter – ein anderer Vetter, Aristides, ist dort in der Legio, und hat mir schon viel davon erzählt.“ Das war nicht die Wahrheit. Wenn, dann sprach Marcus doch eher von einem ‚langweiligen Kaff’.


    „Im Garten? Oh, das ist gute Kunde! Ich habe mir schon Sorgen gemacht, ihr wäre vielleicht etwas passiert. Sie hat den Ortswechsel von Ravenna hierher nur schwer verkraftet, die Arme. Fisch… ja, das ist eine gute Idee, das sollten wir noch versuchen. An und für sich bevorzugt sie warme Hühnchenleber, außen ein wenig angegart, innen noch blutig, aber bisher waren wir gänzlich erfolglos, sie damit anzulocken.“ Leontia wandte sich kurz an ihre Amme, und wies sie bedeutungsvoll an: „Fisch. Meeräsche am Besten.“


    Doch so sehr sie sich auch um Sphinx sorgte, die beiden Claudierinnen waren im Moment doch um Längen interessanter. Überhaupt, was war das für ein großer Aufbruch hier? „Darf ich fragen wo es hingeht?“, erkundigte sie sich in höflichem Tonfall, mit einem kleinen entschuldigenden Lächeln ob ihrer Neugierde.

    „Sphinx? Sphinx!? Miez, miez, miez….“ Eine kleine Prozession erschien auf dem Hof, wo die Sänften warteten. Vorneweg marschierte Leontia, sie trug eine meerblaue Tunika mit silbernen Akzenten, hatte das Haar um den Kopf herum zu einem Kranz geflochten, und schlang sich soeben mit einer dynamischen Geste ihre blütenweiße Palla um die Schultern. „Sphinx!“, lockte sie, schnalzte mit der Zunge und spähte mit Adleraugen über den Hof. „Wo bist du denn, meine Kleine, komm her, wir haben hier auch was Feines für dich!“


    Ihr folgte ihre Leibsklavin Salambo, sie trug in den Händen eine silberne Platte, auf der, anmutig angerichtet, eine große Portion dampfender Hühnchenleber lag. Auch Salambo ließ geflissentlich die Augen schweifen, ihre Miene war dabei aber so starr und beherrscht, dass man beinahe hätte meinen können, dass sie sich nur mühsam das Lachen verbiss. Hinter ihr trottete Hamilkar, der in seinen großen Händen Sphinx weichgepolstertes Katzenkörbchen trug, und zuletzt kam Leontias gute alte Amme Dido, oder auch Dido senior, die Leontias Blaufuchspelz-Mantel in den Händen hielt, und immer wieder ansetzte: „Künd, so zieh doch den Mantel über, es ist so küühl!“


    Doch Leontia winkte unwirsch ab, und strebte stattdessen auf die Sänften zu, wo sie soeben Serenus erblickt hatte. „Serenus, mein Spatz!“, begrüßte sie ihn lächelnd, beugte sich in die Sänfte hinein und wuschelte ihm liebevoll durchs Haar. „Warum ist denn dein Haar so naß? Nicht dass du dich erkältest! Sag mal, hast du vielleicht meine Katze gesehen, meine liebe Sphinx? Du weißt schon, die kleine silberne, ich habe sie dir doch gezeigt.“


    Jetzt erst bemerkte sie auch Epicharis’ und Antonias Herannahen. Wer mochte das sein? Noch mehr unverhoffte Verwandschaft? Ein wenig überrascht wandte sie sich ihnen zu, neigte ansatzweise den Kopf, um sich mit einem höflichen Lächeln vorzustellen: „Salve. Mein Name ist Flavia Leontia, Tochter des Flavius Aetius aus Ravenna.“ Die Sorge um ihr kleines Lieblingskätzchen, ließ sie gleich weiterfragen: „Habt ihr vielleicht meine Katze gesehen? Sie ist klein, etwa so…“, sie zeigte die Größe mit den Händen an, „und zierlich, eine Ägypterin, das Fell silbergrau mit schwarzen Tupfen. Ein ganz verspieltes Tier und sehr sensibel.“

    „Nun ja. Sicher, insofern es hochwertig ist. Ich benötige ständig eine große Auswahl an Duftölen.“ Je nach Laune, Jahreszeit und Wetter, Gewand und Anlass musste es das passende sein. „Aber ich habe wohl selten eines selber gekauft. Salambo macht das. Sie mischt auch meine Parfums. Sie hat ein Händchen dafür, kennt sich aus, manchmal sammelt sie sogar selber Pflanzen und extrahiert den Duft.“ Ein wenig stolz war Leontia schon, so eine mannigfaltig begabte Ornatrix ihr eigen zu nennen.


    Sie streckte sich auf einer Massagebank aus, und überließ ihren Rücken den kundigen Händen des Masseurs. „Aaah… mmh… ja, genau hier…“ Träge sah sie zu Salambo, die sich dezent im Hintergrund hielt. Dass sie das Lob aber wohl vernommen hatte, war an ihrer strahlenden Miene unschwer abzulesen. „Woher stammen eigentlich meine Duftöle?“, wollte Leontia wissen. „In Ravenna erstehe ich viele von einem syrischen Händler, der sie aus dem Orient einführt, werte Domina.“, antwortete Salambo beflissen. „Hier in Rom habe ich bereits einen einheimischen Kaufmann ausfindig gemacht, der exquisite Blütenextrakte feilbietet. Er führt auch die feinsten Erzeugnisse der gallischen Lavendelblüte.“


    „Ah so.“ Leontia legte die Stirn auf ihre verschränkten Hände. „Hast du auch vor, eigene Duftkreationen zu lancieren?“, fragte sie Minervina interessiert. „In hübschen Fläschchen, und mit einem klangvollen Namen versehen…“ Eigentlich, fiel ihr da ein, könnte sie zu den Saturnalien auch ein paar Duftöle verschenken. „Die aus dem Osten haben oft so blumige Namen, nicht? ‚Zoroasters Ekstase’, oder ‚Blume des Südens’… - Wie wäre es denn mit ‚Vulkanische Glut’, oder mit ‚Das Geheimnis der Helena’.“, scherzte sie amüsiert. „Oder gleich ‚Hauch der Venus’.“


    „Aber eigentlich schickt es sich für unsereins ja nicht, uns in solche Geschäfte zu involvieren.“, meinte sie dann etwas entschuldigend. „Schließlich ist das Handeln und das Schachern um den schnöden Mammon etwas für den Plebs.“

    Umgeben von hohen Regalen, gefüllt mit Pergamenten und Papyri, saß Leontia an einem schweren Schreibtisch, und studierte schon seit Stunden eifrig das ‚Gastmahl des Kallias’ von Xenophon. Das Kinn in die Hand gestützt, die Augen vor Konzentration leicht zusammengekniffen, war sie gerade in den Redewettstreit vertieft, in dem die Gäste darum wetteiferten, welche ihrer Eigenschaften wohl am löblichsten zu nennen war. Hin und wieder machte sie sich kleine Notizen auf einem Wachstäfelchen, sah dann nachdenklich auf, und ihre schlanken Finger spielten an ihrem silbernen Ohrgehänge, ließen die kleinen Mondstein-Anhänger leise gegeneinander klimpern.


    Sonst war es sehr still in dem großen Raum. Nur die Feder des Bibliothekars, eines verwitterten alten Sklaven namens Mago, der am einem Schreibpult vor dem Fenster ein Werk kopierte, glitt stetig über das Pergament, und erfüllte den Raum mit einem leisen und beruhigenden Schaben. Breite Fenster ließen auch an diesem eher trüben Tag ausreichend Licht ein, um den halbrunden Raum ganz zu erhellen. Ein klares Muster von glänzendem schwarzem und weißem Marmor zierte den Boden und setzte sich als Fries an den Wänden fort, dort prangte auch eine große Landkarte des Imperiums und seiner Grenzgebiete. Daneben standen eine Büste des Homer, sowie eine des Herodot.


    Leontia liebte diese ruhige Atmosphäre, diese Aura des Geistes und der edlen Wissenschaften, die, völlig losgelöst von den banalen und profanen Begebenheiten des Alltags, dazu einlud, die Gedanken in kühne Höhen schweifen zu lassen. Allerdings erreichte sie heute nicht ganz jenes Stadium hochgemuter Kontemplation… - denn etwas irritierte sie: wieder und wieder stolperte sie in dem Werk, inmitten der geistreichen Wortgefechte, amüsanten Sottisen und klangvollen Formulierungen, über unverhohlene, geradezu derbe Anspielungen auf … nun ja, auf die Liebe zu den schönen Knaben. Und ganz eindeutig war hier nicht die Rede vom Hohen Eros.


    Natürlich war Leontia bei ihren Studien der großen griechischen Philosophen bereits des öfteren diesem Thema begegnet, aber doch eher in verklärter und vergeistigter Form - niemals so direkt präsentiert. Worüber sie im 'Phaidros', diesem ergreifenden Hohelied der Schönheit noch mit Leichtigkeit hatte hinwegsehen können – hier sprang es ihr förmlich ins Auge, erregte mehr und mehr ihr Missfallen. Und auch die Darstellung des Sokrates widerstrebte ihr, er war hier reichlich mit menschlichen Schwächen versehen skizziert, trug bisweilen sogar silenenhafte Züge!


    Sie las:


    Das mag gut seyn, sagte Charmides. Aber du, Syrakusier, worauf thust du dir wohl am Meisten zu Gut? Vermuthlich auf deinen schönen Knaben hier? –


    Nein, bey Gott nicht! war seine Antwort; ich bin vielmehr seinetwegen immer in großen Aengsten; denn ich habe bereits ihrer Mehrere ausgespürt, die ihm nachstellen und ihn zu Grunde richten möchten.


    Großer Gott! sagte Sokrates, der dies gehört hatte, was für eine schwere Beleidigung können sie von dem Knaben erlitten haben, daß sie ihn umbringen wollen?


    Sie wollen ihn auch nicht umbringen, sie wollen ihn nur verführen bey ihnen zu schlafen.


    Und du glaubst, wenn dies geschähe, würd' es ihn zu Grunde richten?


    Beym Jupiter ganz und gar!


    Du selbst schläfst also nicht bey ihm?


    Ja wohl, zum Jupiter! alle Nächte, ohne daß er je von meiner Seite kommt.


    Da hast du wahrlich dich eines besondern Vorzugs zu rühmen, wenn deine Haut die Eigenschaft hat, daß du allein deinem Schlafgesellen keinen Schaden zufügst! Wenn auch auf nichts anders, kannst du wenigstens auf ein solches Fell stolz seyn.



    Also nein! Leontia schob die Schriftrolle beiseite, spürte die Hitze in ihre Wangen steigen. Diese … Zote verletzte ganz entschieden ihren Sinn für Anstand und Moral. Warum hatte Manius ihr denn nur dieses Werk geschenkt? Wie konnte sie denn die Weisheiten von Männern hochschätzen, deren Lebenswandel offenbar ein höchst liederlicher gewesen war? Unbedingt mußte sie ihren Vetter dazu befragen, sicher würde er ihr mit seinem klugen Rat ganz andere Dimensionen des Textes eröffnet, und sie zu einer befriedigenden und erhellenden Interpretation des Werkes anleiten. Allerdings wollte sie ihn dann auch wieder nicht mit dummen Fragen behelligen… sich vielleicht blamieren… - was tun?


    Grübelnd saß Leontia über das Werk gebeugt, und versuchte ausdauernd und verbissen, sich den tieferen Sinn, der dieser Darstellung der Verworfenheit ganz sicher zugrunde liegen musste, zu erschließen…

    Darf ich, werter Tiberius Magnus?


    Und die Tore der Villa Flavia schwangen weit auf, um diesen außergewöhnlichen Sklaven zu empfangen… um, sobald er eingetreten war, mit einem lauten Knall hinter ihm wieder ins Schloss zu fallen…


    „Willkommen, willkommen…treten Sie aus freien Stücken ein, und lassen Sie etwas von der Freude hier, die Sie mit sich bringen“….*muhahahaha…* =)

    Dankbar für Gracchus’ Verständnis, lächelte Leontia tapfer und nickte. Wie er es formulierte, klang alles, was ihrem Gefühl nach so vertrackt und verworren war, einfach klar und logisch. „Ja, ich verstehe schon. Du hast sicherlich recht. Dann werde ich Agrippina um Rat bitten.“ Sie beugte sich hinunter, und kraulte ihre Katze, die sich zu ihren Füßen auf dem Teppich räkelte, am Bauch. Dann nahm sie das verschmuste Tier auf den Schoß, und streichelte sie abwesend. Der Gedanke bei Agrippina vorzusprechen bereitete ihr ein wenig Unbehagen. Sie kannte sie kaum, und hatte sie nur als ehrfurchtgebietende, ferne Frau in Erinnerung. Aber es war natürlich das einzig vernünftige.


    Sein Kompliment ließ sie vor Freude erröten. „Danke.“, murmelte sie, und schob sich verschämt eine lose Strähne hinters Ohr. „Das höre ich sehr gerne..“ Sie lächelte ihn verschmitzt an. „Ja, ganz genau so musst du das sagen. Sie wird dahinschmelzen. Und bestimmt kannst du sie mit Poesie anrühren! Ich für meinen Teil lausche dir so ausnehmend gerne, Manius. Aber ‚zu leibeigen’, gleich? Pass nur auf.“ Schmunzelnd wiegte sie den Kopf hin und her.


    „Das mit Ovid ist ein Scherz oder?" Leise lachte sie auf. „Du willst doch nicht behaupten, dass dieser große Poet in seinem, wenn auch wohl sehr skandalumwitterten Werk – ich habe es natürlich nie gelesen – es gewagt hat, Anleitungen zum Mord zu verbreiten? Also nein.“ Von dieser Vorstellung sehr erheitert, lachte sie noch einmal leise in sich hinein, und kraulte Sphinx sanft hinter den Ohren.
    „Wie sagt dir eigentlich deine Arbeit im Cultus Deorum zu, wenn ich fragen darf? Die Zeremonie zu den Saturnalien zu sehen, war für mich überaus erhebend. Mir scheint, dies ist wirklich deine Berufung, nicht?“

    In der Tat hatten die ungewohnte Menge Wein, und die ausgelassene Festlichkeit Leontia bereits gehörig ermüdet. Ganz still war sie geworden, ruhte matt auf der Kline, vor sich einen Teller mit köstlichem Blätterteig-Gebäck, von dem sie immer wieder ein Stückchen abbrach, und es langsam zum Mund führte, während sie neugierig den wilden Geschichten der Männer lauschte. Hier Mäuschen zu sein, das war eine unvergleichliche Chance, Einblick in deren oft fremdartige und bizarre Gedankenwelt zu gewinnen.


    Mit milder Verwunderung registrierte sie, dass sogar Gracchus es sich nicht nehmen ließ, eine wohl recht zügellos verlaufene Episode anklingen zu lassen... Hoffentlich war ihm ihr Geschenk nicht zu banal. Lieber hätte sie ihm den griechischen Medikus geschenkt, denn sie hatte bei ihrer Ankunft den Eindruck gewonnen, dass er kurzzeitig Gracchus' Interesse geweckt hatte – was bei so einem außergewöhnlich qualifizierten Sklaven ja kein Wunder war. Doch da Kosmas leider ihrem Vater gehörte, hatte sie von dieser Idee wieder Abstand nehmen müssen.


    Auch die Datteln mit Pistazien waren ganz exquisit. Aber so nach und nach überkam Leontia eine immer größere Lust, sich endlich der Schrift des Xenophon zu widmen, die so verlockend neben ihr auf der Kline lag. Hier konnte sie sie ja kaum lesen. Aber vielleicht noch einen kleinen Blick hineinwerfen? Ganz kurz? Sie erlag der Versuchung, säuberte sich sorgsam sich die Finger, schob den Nachtisch beiseite, und griff erwartungsvoll nach der Rolle. Andächtig entrollte sie die Schrift ein Stück, las, und flüsterte, sich am Klang der Worte erfreuend, leise vor sich hin: "…bei Anlässen, wo sie sich einer fröhlichen Stimmung und scherzhaften Laune überlassen, meines Bedünkens nicht weniger merkwürdig sind, als bei ernsthaften Gelegenheiten…."


    Schmunzelnd sah sie noch mal zu den sich in Erinnerungen an große Gelage ergehenden Männern, entrollte die Schrift noch etwas weiter, und war kurz darauf vollkommen gebannt. Bis über beide Ohren in ihre Lektüre versunken, ganz in ihrem Element, sah und hörte von der Welt um sie herum rein gar nichts mehr…

    „Ach schade.“ Leontia musste sich eingestehen, dass sie sich ihre Cousine in der Tat nur schwer als Jungfrau der Vesta vorstellen konnte. So kurz sie sie auch nur kannte, hatte Minervina doch den Eindruck einer sehr … lebenshungrigen Frau erweckt. „Tatsächlich? Das freut mich wirklich für dich.“, meinte sie ehrlich, und überlegte, dass ihr lieber Vater mit einer Tochter wie Minervina sicher viel glücklicher dran wäre. „Da magst du recht haben.“, antwortete sie, und ein feines, ein wenig resigniertes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wir werden sehen, nicht?“


    „Nun, Salambo? Hast du es dir gut gehen lassen?“, neckte sie ihre Sklavin jovial. „Goldene Hände also“, wiederholte sie, und musterte die beiden Eunuchen genau, „da bin ich aber gespannt.“ Durchaus neugierig glitt ihr Blick auch unbefangen über die weder männlich noch weiblich zu nennenden Körperformen der Masseure - da Sklaven in ihren Augen nicht wirklich als Menschen zählten, tat sie sich da keinen Zwang an. Ob diese beiden wohl eher auf eine maskulin-tatkräftige oder eine feminin-empfindsame Weise dachten und fühlten?


    „Welchen von beiden möchtest du?“, fragte sie Minervina zuvorkommend, und erhob sich, damit die Badesklaven sie zu den Massageräumen führen konnten. „Wie ist denn dein Name?“, erkundigte sie sich im Gehen aus einer Laune heraus bei einen der Männer, und formulierte auch gleich energisch ihre Wünsche. „Ich wünsche mit dem Öl der Wasserlilie massiert werden. Verspannt bin ich vor allem“, sie reckte sich und bedeutete eine Stelle zwischen den Schulterblättern, hier. Ihr habt doch hoffentlich Wasserlilienöl da? Im Notfall geht auch Passionsblume. Oder meinetwegen Königskerze. Auf keinen Fall Veilchen! Der Geruch ist mir wahrlich unerträglich.“

    Verzagt schüttelte Leontia den Kopf. „Soweit ich weiß nicht… aber vielleicht ist Papa schon wieder dabei etwas Neues anzubahnen. Ich weiß es nicht.“ Sie atmete schwer ein, und hoffte dass er ihr wenigsten eine kleine Schonfrist gewähren würde. „Ach Manius… es ist ja nicht so, dass ich nicht gewillt wäre, meinen Beitrag für das Wohl unserer Gens zu leisten. Aber ich bin mir einfach sicher, dass ich zu anderem berufen bin, als zum Heiraten. Doch Papa… - er hat so profane Ansichten, was das angeht. Sicherlich, es zählt mit deiner Schwester Agrippina bereits die höchste Würdenträgerin des Vesta-Kultes zu unserer Familie, aber… aber es wäre doch trotzdem eine angemessene Laufbahn für mich, meinst du nicht auch?“


    Ihr Blick schweifte über die luxuriöse Einrichtung des Gemachs, über den opulenten Schminktisch und das Bett mit den seidenen Laken, und kurz fragte sie sich, ob es nicht schwer wäre, all diese Annehmlichkeiten zurückzulassen? Und immer nur weiß zu tragen? Diese Farbe machte sie allzu blass. Aber für die Ehre, die heilige Flamme hüten zu dürfen, und maßgeblich zum öffentlichen Heil beizutragen, und – nicht zu vergessen – sich nie auf diese leidigen Körperlichkeiten einlassen zu müssen, würde sie das sicher in Kauf nehmen. Außerdem, wer weiß, vielleicht lebte es sich auch bei den Vestalinnen ganz komfortabel.


    Kontemplativ stützte sie das Kinn in die Hand, und betrachtete ihren liebsten Vetter. Ein seltsamer Gedanke war das, den sie da vorhin gehabt hatte, und dann so unbedacht ausgesprochen hatte – aber es würde wirklich vieles einfacher machen, wenn sie, rein theoretisch natürlich, ihn heiraten könnte. Überhaupt, nicht zum ersten Mal fiel Leontia auf, dass es letztlich immer die Männer ihrer Familie waren, die über unübertroffene Würde, Charme und Geist – nun ja, bisweilen auch Charme oder Geist – verfügten. Bei keinem Vertreter einer anderen Gens hatte sie diese Qualitäten bisher in solchem Ausmaß zu entdecken vermocht. Vielleicht genügte deshalb keiner ihren Ansprüchen?


    „Da fällt mir noch etwas anderes ein.“ , kehrte sie doch noch einmal zu vorherigen Thema zurück. Manius hatte bei ihrem strengen Ratschlag so geknickt gewirkt. „Hast du es schon einmal ernsthaft mit Romantik versucht? Manches Mal lassen sich auch die hartherzigsten Frauen erweichen, wenn du, nun ja, eben ihre verwundbare Stelle findest. Den Schlüssel zu ihrem Herzen. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, wie du sicher weißt, Einfaches wie Musik oder Blumen, Lyrik oder ein wohlgesetztes Kompliment… oder eine kleine Bootspartie zu zweit, zum Beispiel.“ Bei ihr hatten Cassius’ Bemühungen in dieser Hinsicht allerdings nie Früchte getragen. „Es mag banal klingen, und natürlich ist nicht jede von uns für dasselbe anfällig. Am wirksamsten sind diese Mittel sicherlich, wenn sie tatsächlich von Herzen kommen.“ Vielleicht sollte sie einmal versuchen, diese Frau auszuhorchen, um in Erfahrung zu bringen, wie Gracchus sie am besten erobern könnte?


    Verschwörerisch beugte Leontia sich ein wenig vor, um ihren Vetter weise in eines der Geheimnisse des Schönen Geschlechtes einzuweihen. „Und wir lieben es ausnahmslos alle, und über die Maßen, wenn man unserer Erscheinung Beachtung zollt. Schließlich verbringen wir tagaus, tagein Ewigkeiten vor dem Spiegel, um präsentabel zu sein, und, du kannst mir glauben, die Prozeduren, denen wir uns unterziehen, sind nicht immer angenehm. Da ist es Labsal, danach auch zu hören, dass es sich gelohnt hat. Was ich damit sagen will: ihr könnt uns gar nicht oft genug sagen, wie schön wir sind. Das ist mein Ernst. Sagt es ruhig immer wieder.“ Schmunzelnd fügte sie hinzu: „Auch wenn wir es mal nicht sind. Gerade dann.“

    „Oh wie machst du das nur…? Es ist so kalt!“ Dem Vorbild ihrer Cousine folgend, gab Leontia sich einen Ruck und stürzte sich quietschend und japsend schnell in das Becken. Hastig schwamm sie eine Runde, und floh sofort wieder hinaus. Bibbernd wickelte sie sich in ihr Badetuch, setzte sich an den Rand und sah Minervina zu, wie sie unerschrocken dem Element trotzte. „Nein, den Göttern sei Dank! Weißt du, ich glaube wirklich, dass ich zur Vestalin bestimmt bin. Und bei dir ist, wenn ich dich recht verstanden habe, auch noch nichts arrangiert? Hast du denn schon mal über einen Eintritt in den Vesta-Kult nachgedacht?“


    Es wäre sicher schön, überlegte Leontia müßig, sich mit ihrer Cousine gemeinsam dort anzuschließen. Alleine würde sie sicher ihre Familie schmerzlich vermissen. Das tapsende Geräusch von bloßen Füssen auf Stein ließ sie den Kopf wenden. Salambo kam zurück, sie sah bemerkenswert entspannt aus, und hatte in ihrem Schlepptau zwei große und überaus beleibte Männer im Lendenschurz – Eunuchen, wie es schien. „Werte Dominae.“ Die Sklavin senkte kurz den Kopf. „Diese beiden hier haben wahrlich goldene Hände. Ich kann euch ihre Dienste nur wärmstens empfehlen.“ Geschmeidig reckte die Nubierin ihre Schultern, die, von einer feinen Ölschicht bedeckt, goldbraun glänzten.

    Aha. So dachten die Männer also darüber. Zwar nicht überrascht, aber durchaus unangenehm berührt, fixierte Leontia ihren Vetter Marcus, als der seine Ansichten so freimütig darlegte. "Aber Marcus," erhob sie, etwas altklug, ihre Stimme, "du sprachest lediglich vom Begehren. Und dieses ist ein Trieb, der allein auf die Schönheit des Leibes hin zu strebt. Wie es bei Platon heißt: '…wenn uns aber die Begierde vernunftlos zur Lust hinzieht und in uns herrscht, so wird dieser herrschende Trieb Frevel genannt."


    Belebt vom Wein glänzten Leontias Augen, und sie unterstrich ihre inbrünstige Deklaration mit lebhaften Gesten: "Ungleich edler ist der Drang, mit den Augen die Schönheit zu schauen, als Abglanz jeder himmlischen Gesichten, so wie einst unsere Seelen das wahrhaft Seiende geschaut haben. Die Wahre Liebe ist heilige Weihe, ist Erinnerung an die Glücksseligkeit und den reinen Glanz, den unsere Seelen erfahren durften, als sie ungetrübt vom Irdischen einstmals der Gottheit nachwandelten…." Ob es ihr auch einmal vergönnt sein würde, das zu erleben? Fast hätte sie sehnsüchtig geseufzt, besann sich aber, und fügte in nüchternerem Tonfall an: "Jedenfalls postuliert Platon das."


    Außerdem waren da immer noch Geschenke. Als die kleine Debatte einmal pausierte, machte sie sich beschwingt daran, auch diese noch zu verteilen. Heiter lächelnd reichte sie Sica einen grünen Leinenbeutel mit roter Schleife, in dem sich, gut gepolstert, eine ganz außergewöhnliche Öllampe befand: sie stellte eine siebenköpfige Hydra dar, aus rotem Ton gebrannt, und kunstvoll glasiert, die ihre schlangengleichen Köpfe bedrohlich in alle Richtungen reckte, und sieben Flämmchen züngeln würde. "Für den fleißigen Vilicus, der seine Augen stets überall haben muß!", erklärte sie jovial, und ohne jegliche Hintergedanken. "Bona Saturnalia, Sica, nicht wahr?"


    Hannibal überreicht sie eine runde helle Holzschachtel, ebenfalls mit roter Schleife. "Bona Saturnalia, Hannibal!", wünschte sie, in ihrer Saturnalienlaune geradezu herzlich. Sie wusste, dass ihr Vetter große Stücke auf ihn hielt. Auf weicher Wolle gebettet, lag in der Schachtel eine weitere Öllampe, diesmal aus buntem Glas. Wie in einem Mosaik waren die roten, blauen und weißen Formen fugenlos aneinander gekittet, und bildeten phantasievolle Formen. In der Dunkelheit leuchtete sie ganz zauberhaft, Leontia hatte es sich selbst demonstrieren lassen.


    Freundlich lächelnd trat sie auch zu Rutger. Germanische Sklaven waren, jedenfalls wenn sie ihren barbarischen Habitus ablegten, doch immer wieder dem Auge wohlgefällig. "Bona Saturnalia!" Seinen Namen hatte sie zuvor nur mit halbem Ohr mitgehört. "Rutgar, nicht?" Warum hatte man ihm denn keinen anständigen Namen gegeben, fragte sie sich, Xerxes oder Mithridates vielleicht, den Barbarennamen auszusprechen tönte doch, als hätte man Halsschmerzen. Nichtsdestotrotz offerierte sie ihm einen weißen Leinenbeutel mit roter Schleife, dem ein intensiver Duft nach Bienenwachs entströmte. Darin war eine große Kerze aus gelb und rot ineinander fließendem Wachs, die der Form eines aufrecht stehenden Bären nachgebildet war. Sogar das zottige Fell war genauestens wiedergegeben.


    Auch an die anderen anwesenden Sklaven verteilte Leontia nette Kleinigkeiten, vor allem Kerzen und Tonfigürchen. Zuletzt kam sie zu Anaxandra, wünschte auch ihr lächelnd "Bona Saturnalia!", und reichte ihr ein kleines mit Muscheln besticktes Täschchen. Ein Flacon lag darin, gefüllt mit einem goldfarbenen Duftöl, das dezent nach Wildrose duftete. "Wie ist denn dein Name?", fragte sie das Mädchen wohlwollend. "Und woher kommst du? Aus einer Sklavenlinie, oder bist du frisch hinzugekauft?" So eine niedliche junge Leibsklavin hätte sie auch gerne gehabt. Ihre Salambo zeigte in letzter Zeit immer wieder Ansätze von Widerborstigkeit.

    Mit Respekt und Scheu musterte Leontia den Papagei, erfreut über dieses keineswegs alltägliche, kostbare und repräsentative Geschenk, und zugleich besorgt ob seines großen spitzen Schnabels. Er sieht aus, als würde er jeden Moment versuchen, einem die Augen auszuhacken, dachte sie beklommen, und lächelte Aristides strahlend an. „Was für ein apartes und polyglottes Tier!“ Hoffentlich lässt er mir Sphinx am Leben. „Er hat die Physiognomie eines wahren Philosophen. Und der Baum ist auch wunderschön. Hab tausend Dank, lieber Marcus. Ich freue mich schon darauf, mit ihm zu disputieren… Oder ist es ein Weibchen?“ Das musste sie natürlich wissen, um den passenden Namen zu wählen.


    Mutig streckte sie die Hand aus, um den Vogel am Nackengefieder zu streicheln, zog sie jedoch im letzten Moment wohlweißlich schnell wieder zurück. „Ich glaube, er muss erst ein wenig zur Ruhe kommen.“ Sie betrachtete den Papagei eine Weile, und befand, dass in seinen schwarzen Augen große Klugheit stand. „Du bist Sinnbild der Seele?“, fragte sie ihn schmunzelnd, und bot ihm vorsichtig ein Stück Zucchini an.


    Mehr und mehr fasziniert von dem Tier hätte sie fast vergessen, Aristides sein Geschenk zu überreichen - aber nur fast. Es war leider recht einfallslos, würde ihm aber bestimmt zusagen. Es war nämlich ein Schinken. Kein gewöhnlicher Schinken natürlich, sondern eine Keule vom Besten, was das Gut ihres Vaters zu bieten hatte, eine exquisite Köstlichkeit, nach uraltem Rezept mit Wacholder geräuchert, von Schweinen stammend, die in lichten Eichenwäldern freilaufend gehalten und mit Eicheln gemästet wurden, ein deliziöses Geschmackserlebnis, das förmlich auf der Zunge zerging… „Bona Saturnalia, lieber Marcus.“ Sie lächelte, und überreichte ihm einen mit einer großen grünen Schleife geschmückten Korb, in dem das bodenständige Geschenk weich gebettet lag. „Ich meine mich zu erinnern, dass dies deinen Geschmack trifft.“


    Dann war da noch ein Päckchen, das ihr Vater ihr mitgegeben hatte, es fühlte sich an wie ein handliches Kästchen, und war in goldgeprägtes schwarzes Leder sorgfältig eingenäht. Man würde es aufschneiden müssen, um zu sehen was sich darin befand. Was es wohl sein mochte, fragte sich Leontia neugierig. Höchstwahrscheinlich etwas Unanständiges. „Und dies hier sendet dir Papa“, sagte sie in neutralem Tonfall, „mit besten Grüßen, und, ich zitiere eingedenk euerer letzten Konversation’.“


    Als nächstes war Arrecina an der Reihe. Leontia wartete, bis ihre Nichte Gracchus’ schönes Geschenk hinreichend gewürdigt hatte, und bewunderte derweil den jungen Hund. „Ach wie süß!“, rief sie entzückt aus. „Oh, lass ihn mich auch mal auf den Schoß nehmen, Arrecina, er ist ja so niedlich!“ Und sie kraulte den kleinen Kerl hingerissen hinter den Ohren, reichte dann Arrecina eine flache Ebenholzschatulle. Ein elfenbeinfarbenes breites Seidenband war darum zu einer Schleife gebunden. „Bona Saturnalia, meine kleine Nichte!“ lächelte Leontia, die selber kaum älter war. Doch ihr fiel durchaus auf, dass Arrecina keinen sehr fröhlichen Eindruck machte. Was war denn heute nur mit den anderen Frauen der Gens los? Scheinbar war sie die einzige, die sich hier amüsierte.


    In der Schatulle verbarg sich, auf einem Polster von schwarzer Seide, ein eleganter Elfenbeinkamm. Mit filigranen Schnitzereien und Einlegearbeiten von leuchtendroter Koralle verziert, war er zum Krönen einer Hochfrisur bestimmt. „Ich habe gehört, Korallen sind jetzt groß im Kommen.“, plauderte Leontia. „Ebenso wie Perlmutt. Da bist du sicher froh, rot steht dir ja sehr gut. Aber ich bin wirklich froh, dass Perlen etwas Zeitloses sind, findest du nicht auch?“ Sie lächelte ein wenig affektiert, verzog dann das Gesicht. „Nur, stell dir vor, im Frühjahr werden wir uns wohl auf eine Invasion der Grüntöne gefasst machen. Also ich weiß nicht, manchmal ist das Diktat der Mode wirklich gnadenlos…“


    Da kam die Aufforderung des Rex Bibendi, die Becher auszutrinken, und um der Tradition genüge zu tun, gehorchte auch Leontia. Da sie rein gar nichts vertrug, lachte sie bei Gracchus’ Zitat schon übermäßig heiter, und prostete ihm mit dem neuen Falerner beschwipst zu. „Umsonst klopft der Nüchterne an die Pforte des Musentempels.“, erklärte sie dabei gravitätisch in die mehr oder weniger fröhliche Runde.

    Den Seelenschmerz ihres geliebten Vetters zu sehen, wühlte Leontia bis ins Innerste auf. Sie biss sich leicht auf die Unterlippe, und bemühte sich, ihm gleich bleibend ruhig und gefasst zu lauschen. Jedoch blieb es nicht aus, dass, als er Worte wie Vollzug der Ehe und Samen aussprach, eine keusche Röte Einzug auf ihren Wangen hielt, und sie verlegen die Augen niederschlug. Doch da er seinen Blick, während die Worte förmlich aus ihm hervorbrachen, auf die Wand gegenüber gerichtet hielt, entging es ihm wohl, und als er sie wieder ansah, erwiderte sie dies gesammelt und ruhevoll.


    In ihrem Inneren dagegen brodelte es. Wie konnte diese … Frau es nur wagen ihrem lieben, empfindsamen Vetter so etwas anzutun?! Ihn derart mit Missachtung zu strafen, mit Verachtung, gar mit Hass, wie grausam musste diese Claudia sein, um ihn willentlich in diese tiefe Verzweiflung zu stürzen! Sie hatte nicht übel Lust, in ihr Gemach hineinzustürzen, sie zu packen und mit einer spitzen Haarnadel zu bearbeiten, bis sie sich ihrer Pflichten erinnerte. Ein diabolisches, flavisches Funkeln trat bei dieser Vorstellung in ihre klaren blauen Augen, wich jedoch schon eine Herzschlag später wieder der gebannten Aufmerksamkeit. Oder, fragte sie sich dann, konnte es sein, dass die beiden einfach nicht harmonierten?


    „Ich bin empört, zutiefst empört, dass deine Ehefrau sich derart der Pflichtvergessenheit ergeben hat.“, machte sie ihrem Herzen Luft. „Sie scheint nicht zu wissen, was sie an dir hat. Schon bei unserem wunderschönen Saturnalienfest war ich, gelinde gesagt, bass erstaunt, dass sie sich doch offenbar verleugnen ließ.“ Doch ihre Entrüstung half ihrem Vetter sicherlich nicht weiter, deshalb bedachte sie ernsthaft die gestellte Frage - die nicht unbedingt einfach zu beantworten war. Sie schürzte leicht die Lippen, die Finger der rechten Hand wanderten unwillkürlich zu ihrem silbernen Ohrgehänge, spielten sacht damit, während ihr Blick in die Ferne schweifte, und sie konzentriert nachsann.


    „Nun, zum einen erwarten wir natürlich eine angemessene Verbindung, die vorteilhaft und der Gens von Nutzen ist. Aber das ist bei euch Männern ja nicht anders, denke ich. Des Weiteren hoffen wir natürlich, mit Respekt und Freundlichkeit in die neue Familie aufgenommen zu werden, schließlich muss man so vieles, was bisher das Leben ausgemacht hat, zurücklassen…“ Leontia graute schon davor. „Und was den Gatten betrifft…“, fuhr sie etwas unschlüssig fort, „so wünscht man sich für gewöhnlich einen erfolgreichen und aufmerksamen Mann, weder zu alt noch zu jung, mit guten Manieren und einem gefälligen Äußeren.“


    Es kam ihr auch in den Sinn, was Minervina neulich in den Thermen erzählt hatte. „Jemanden, dem man vertrauen kann, und den man vielleicht sogar zu Lieben lernen wird. Auch sollte er, wenn er andere Liebschaften verfolgt, dies diskret tun, und den Anstand haben, Bastardkinder nach außerhalb des Hauses zu verbannen. Und natürlich wünschen wir uns eigene Kinder... Das sind selbstverständlich alles nur Idealvorstellungen, ich spreche auch bloß vom allgemeinen Fall, welche Wünsche Claudia im Speziellen hegt, kann ich natürlich nicht ahnen."


    "Wenn ich also von mir ausgehe… - so Papa nicht einlenkt, und ich heiraten muß - so wäre ich glücklich, einen feinsinnigen und gebildeten Mann ehelichen zu dürfen. Also mein Idealbild wäre…“ Sie überlegte. Der Ohrring klimperte silbrighell, das Kätzchen haschte auf dem Boden nach einem Knäuel von Seidengarn, Salambo schien mit der Wand verschmolzen zu sein, und die lichtblauen Vorhänge kräuselten sich sacht. „…mein Ideal wäre genauso wie du, Manius.“, stellte Leontia selber etwas überrascht fest.


    „Die Claudier sind nun mal eine alte Familie, äußerst hochstehend, aber mit dem Hang zur Extravaganz, Hoffart und anfällig für, nun ja…, so heißt es jedenfalls. Wenn du mich fragst“, schloss Leontia streng, „so würde es deiner Frau nur gut tun, wenn du mal entschieden ein ernstes Wort mit ihr redest, damit sie wieder zur Besinnung kommt.“

    Leontia schlug schockiert die Hand vor den Mund, als sie sich diese Szene vorstellte. Wie peinlich, von der Amme erwischt zu werden! Wenn sie sich vorstellte, wie ihre Dido reagiert hätte – für den jungen Flegel wäre die Sache sicher übel ausgegangen. Etwas unschlüssig sah sie ihre Cousine an, wusste nicht so recht, was sie von diesem Lächeln halten sollte. Immer mehr gewann sie den Eindruck, dass Minervina ziemlich verrucht war.


    Sie lächelte zögernd, richtete sich auf, und wischte sich das Haar aus der feuchten Stirn. „Ich muß jetzt unbedingt ins Frigidarium. Die Hitze hier wird mir zuviel. Kommst du mit?“ Auf leisen Sohlen verließ sie den von Dampfschwaden erfüllten Raum, und trat in den Kaltbaderaum. Am Rande des Beckens blieb sie stehen, und schauderte jetzt schon bei dem Gedanken hineinzutauchen. „Brrr…“ sie fuhr mit der Hand durch das kalte klare Wasser, und zauderte. „Ist das aber eisig…“

    Es schmeichelte Leontia, dass ihr hochgeschätzter Vetter ihre Innendekoration mit Lob bedachte. „Ach, ich habe nur ein paar Stoffe aufgehängt.“, winkte sie ab, und ließ sich ebenfalls auf der Bank nieder. Farben waren ihr seit je her sehr wichtig gewesen, sie wirkten stark auf ihr für Schönheit und Harmonie so empfängliches Gemüt, ebenso konnte eine Geschmacklosigkeit oder Stilwidrigkeit ihr ästhetisches Empfinden wie ein Hammerschlag treffen, und sie zutiefst verstören. Bisweilen meinte Leontia sogar, in bestimmten Personen ihnen entsprechende Farben zu erkennen, nicht mit den Augen, sondern nur mit der Seele wahrzunehmen.


    Ihr Vater hatte zum Beispiel ein hungriges Rot an sich, es leuchtete wie die Glut eines alles verschlingenden Feuers. Salambo trug ein flirrendes Kornblumenblau in ihrem Inneren. Vetter Marcus’ Farbe war ein kraftvoller und zutiefst sympathischer Ton zwischen Rostrot und dem glänzenden Schiefergrau eines Felsens, den eben die Wellen umspült haben. Ein Schiefergrau, das bei Tante Agrippina mal ins Stählerne, mal ins Silberne spielte. Und Manius … das war schwierig. Ein warmer Bronzeschimmer war auf jeden Fall Teil davon. Doch heute war er getrübt.


    Leontia legte den Kopf zurück, lehnte sich an die Fensterbank, und sah zu wie Gracchus das Kätzchen kraulte. Ihre Füße waren bloß, Salambo hätte sie ihr gleich noch massieren sollen, so stellte sie sie auf den Teppich, und grub die Zehen in das flauschige Fell. Aufmerksam wandte sie sich ihm zu, als er zu sprechen begann, und sah bestürzt seine Miene offensichtlicher Verzweiflung. Was war nur passiert? Was war so schlimm, dass es ihm – ihm! – die Worte raubte?


    Voll Zuneigung legte sie ihre Hand auf seine, und drückte sie warm. „Manius, welch dunkles Gewölk auch über dir dräuen mag, ich will alles tun was ich vermag, um dir beizustehen, um dein Regenbogen zu sein.“, gelobte sie tiefempfunden. Den Rat einer Frau? Verblüffung weitete ihre Augen, doch ruhig antwortete sie: „Natürlich. Natürlich… so sprich doch, welche Pein ist es, die so unsäglich auf dir lastet?“

    Bestürzt sah Leontia wie blass ihre Cousine war. Die Arme! Hoffentlich war es nichts Ernstes. „Gute Besserung, Minervina.“, wünschte sie ihr besorgt. Sie selbst bekam langsam Hunger, die Speisen dufteten gar zu köstlich, doch bevor sie nicht ihre Geschenke verteilt hatte, würde sie sich dem Essen nicht in Ruhe widmen können. So steckte sie wieder die Nase in ihren Korb. Das nächste Geschenk wog schwer, sehr schwer, und sie war froh, dass sie es heil bis hierher hatte schaffen können.


    Sorgfältig hielt sie die, nur lose mit einem hellen Tuch überdeckte, große runde Form aufrecht, trug sie achtsam in beiden Händen, als sie auf Lucullus zutrat. Insgeheim befürchtete sie, dass das Geschenk keinen Anklang finden würde. Aber für jemanden, den man kaum kannte, den man zuletzt als kleines Mädchen gesehen hatte, war es nun mal nicht einfach, etwas Passendes zu finden.


    „Io Saturnalia, Lucullus!“ grüßte sie ihn gemessen, lächelte höflich, etwas nervös, und hoffte, dass sie seine Interessen getroffen hatte. Vorsichtig setzte sie das Geschenk vor ihm auf dem Tisch ab, und zog, schwungvoll wie ein Bühnenzauberer, das leichte Tuch zur Seite. Darunter kam ein dickwandiges gewölbtes Glas zum Vorschein, die Wand leicht grünlich mit kleinen Bläschen darin. Es war mit Wasser gefüllt, in dem zwei gedrungene kleine Zierkarpfen von sattroter Farbe mit langen goldgetupften Schleierschwänzen gemächlich ihre Kreise zogen.


    Man hatte ihr versichert, dass diese Art – sie trug den poetischen Namen Sterne der Semiramis - gerade ungeheuer in Mode war, und obwohl sie für gewöhnlich keine Gedanken an das schnöde Geld verschwendete, war doch auch ihr aufgefallen, wie außergewöhnlich kostspielig diese Tiere waren. „Du kannst sie natürlich auch in einen Teich setzen, oder eine Piscina.“ erklärte sie. „Sie sind winterfest.“


    Der Rückweg zu ihrer Kline führte sie an Milo vorbei. Sie schwankte, ob sie ihm ganz die kalte Schulter zeigen sollte. Verdient hätte er es! Doch dann besann sie sich eines besseren, und schenkte ihm ein stählernes Lächeln. „Bona Saturnalia, Vetter Milo.“ wünschte sie frostig, und zog aus ihrem Geschenkekorb zwei weitere Schriftrollenbehältnisse hervor, adrett in taubenblaues Linnen eingeschlagen.


    Sie waren sehr groß, und überaus gewichtig, denn darin befand sich, in zwei Bänden, die gesamte Magna Moralia des Aristoteles. „Nimm doch bitte diese Kleinigkeit an“, bat Leontia ausnehmend liebenswürdig, und reichte ihm das moralschwere Geschenk. „Ich bin sicher, lieber Milo, das Studium dieses Werkes wird dir viele neue Erkenntnisse bringen….“

    Nein, Leontia verstand tatsächlich nicht. Wie konnte einem die Religion, diese wichtige Stütze des Staates, denn nur gleichgültig sein? Aber da Minervina sie so streng ansah, ließ sie das Thema lieber ruhen. „Nun ja…“ nachdenklich zupfte sie an ihrem Ohrläppchen. „Sicher sind wir vielen Zwängen unterworfen. Aber die sind ja nicht willkürlich. Und ich denke, es gibt bestimmt Frauen, denen ein Talent gegeben wurde, segensreich im öffentlichen Leben zu wirken. Zum Beispiel soll noch vor kurzem eine Frau hier zum Aedil gewählt worden sein, habe ich gehört, und sehr gute Arbeit geleistet haben.“


    „Es ist bedauerlich, dass solchen außergewöhnlichen Persönlichkeiten nun der Boden entzogen ist, meine ich. Aber im allgemeinen, denke ich, können sich doch Männer in solchen Positionen besser behaupten. Sie sind nun mal von ihrem ganzen Wesen her eher Handelnde, und außerdem aggressiver. Zudem ist es sicher schwierig, als Frau ein Amt auszuüben, ohne in unschickliche Situationen zu geraten, meinst du nicht?“


    Als Minervina vom Küssen sprach, färbten ihre Wangen sich noch röter, als sie in der Hitze des Caldarium sowieso schon waren. „Glaubst du?“ Sie kicherte verlegen. „Ich weiß nicht…. Sag mal, Minervina, verrätst du mir, ob du, ich meine…“, sie flüsterte jetzt ganz leise und verstohlen, „…hast du mit dem Küssen schon Erfahrung?“