Den Seelenschmerz ihres geliebten Vetters zu sehen, wühlte Leontia bis ins Innerste auf. Sie biss sich leicht auf die Unterlippe, und bemühte sich, ihm gleich bleibend ruhig und gefasst zu lauschen. Jedoch blieb es nicht aus, dass, als er Worte wie Vollzug der Ehe und Samen aussprach, eine keusche Röte Einzug auf ihren Wangen hielt, und sie verlegen die Augen niederschlug. Doch da er seinen Blick, während die Worte förmlich aus ihm hervorbrachen, auf die Wand gegenüber gerichtet hielt, entging es ihm wohl, und als er sie wieder ansah, erwiderte sie dies gesammelt und ruhevoll.
In ihrem Inneren dagegen brodelte es. Wie konnte diese … Frau es nur wagen ihrem lieben, empfindsamen Vetter so etwas anzutun?! Ihn derart mit Missachtung zu strafen, mit Verachtung, gar mit Hass, wie grausam musste diese Claudia sein, um ihn willentlich in diese tiefe Verzweiflung zu stürzen! Sie hatte nicht übel Lust, in ihr Gemach hineinzustürzen, sie zu packen und mit einer spitzen Haarnadel zu bearbeiten, bis sie sich ihrer Pflichten erinnerte. Ein diabolisches, flavisches Funkeln trat bei dieser Vorstellung in ihre klaren blauen Augen, wich jedoch schon eine Herzschlag später wieder der gebannten Aufmerksamkeit. Oder, fragte sie sich dann, konnte es sein, dass die beiden einfach nicht harmonierten?
„Ich bin empört, zutiefst empört, dass deine Ehefrau sich derart der Pflichtvergessenheit ergeben hat.“, machte sie ihrem Herzen Luft. „Sie scheint nicht zu wissen, was sie an dir hat. Schon bei unserem wunderschönen Saturnalienfest war ich, gelinde gesagt, bass erstaunt, dass sie sich doch offenbar verleugnen ließ.“ Doch ihre Entrüstung half ihrem Vetter sicherlich nicht weiter, deshalb bedachte sie ernsthaft die gestellte Frage - die nicht unbedingt einfach zu beantworten war. Sie schürzte leicht die Lippen, die Finger der rechten Hand wanderten unwillkürlich zu ihrem silbernen Ohrgehänge, spielten sacht damit, während ihr Blick in die Ferne schweifte, und sie konzentriert nachsann.
„Nun, zum einen erwarten wir natürlich eine angemessene Verbindung, die vorteilhaft und der Gens von Nutzen ist. Aber das ist bei euch Männern ja nicht anders, denke ich. Des Weiteren hoffen wir natürlich, mit Respekt und Freundlichkeit in die neue Familie aufgenommen zu werden, schließlich muss man so vieles, was bisher das Leben ausgemacht hat, zurücklassen…“ Leontia graute schon davor. „Und was den Gatten betrifft…“, fuhr sie etwas unschlüssig fort, „so wünscht man sich für gewöhnlich einen erfolgreichen und aufmerksamen Mann, weder zu alt noch zu jung, mit guten Manieren und einem gefälligen Äußeren.“
Es kam ihr auch in den Sinn, was Minervina neulich in den Thermen erzählt hatte. „Jemanden, dem man vertrauen kann, und den man vielleicht sogar zu Lieben lernen wird. Auch sollte er, wenn er andere Liebschaften verfolgt, dies diskret tun, und den Anstand haben, Bastardkinder nach außerhalb des Hauses zu verbannen. Und natürlich wünschen wir uns eigene Kinder... Das sind selbstverständlich alles nur Idealvorstellungen, ich spreche auch bloß vom allgemeinen Fall, welche Wünsche Claudia im Speziellen hegt, kann ich natürlich nicht ahnen."
"Wenn ich also von mir ausgehe… - so Papa nicht einlenkt, und ich heiraten muß - so wäre ich glücklich, einen feinsinnigen und gebildeten Mann ehelichen zu dürfen. Also mein Idealbild wäre…“ Sie überlegte. Der Ohrring klimperte silbrighell, das Kätzchen haschte auf dem Boden nach einem Knäuel von Seidengarn, Salambo schien mit der Wand verschmolzen zu sein, und die lichtblauen Vorhänge kräuselten sich sacht. „…mein Ideal wäre genauso wie du, Manius.“, stellte Leontia selber etwas überrascht fest.
„Die Claudier sind nun mal eine alte Familie, äußerst hochstehend, aber mit dem Hang zur Extravaganz, Hoffart und anfällig für, nun ja…, so heißt es jedenfalls. Wenn du mich fragst“, schloss Leontia streng, „so würde es deiner Frau nur gut tun, wenn du mal entschieden ein ernstes Wort mit ihr redest, damit sie wieder zur Besinnung kommt.“