„Allerdings, oh mein Sokrates. Etwas noch weit Herrlicheres, gewiß.“ lächelte Leontia, und erleichtert hörte sie, daß in der Zwischenzeit keine größeren Katastrophen über die Familie hereingebrochen waren. Ein wenig starr wurde das Lächeln aber, als der Name ‚Milo‘ fiel, und nur mühsam schluckte sie das aufkeimende Unbehagen herunter. Wenn es nur nicht wieder zu so desaströsen Szenen wie im Vorjahr käme!
„Lucullus, ja,“ nickte sie, „und Minervina, wie schön. Vielleicht habe ich diesmal die Gelegenheit, sie etwas näher kennenzulernen. Sogar Serenus ist hier, das freut mich aber zu hören! Sicher ist er schon wieder in die Höhe geschossen seit ich ihn zuletzt sah. Das ist doch etwas ganz besonderes, wenn sich die gesamte - nun ja, fast die gesamte - Familie so versammelt.“ Und unbedingt mußte sie sich gleich morgen aufmachen, um ein paar schöne Saturnaliengeschenke zu besorgen.
Deutlich war ihr Stolz, daß ihr Vetter diese so bedeutsame Zeremonie leiten würde. „Selbstredend werde ich es mir nicht nehmen lassen, dem Kultakt beizuwohnen!“ versprach sie eifrig, obgleich sie für gewöhnlich solche unüberschaubaren Ansammlungen der Massen mied. All zu schnell überkam sie in jenen Situationen ein Gefühl der Beklemmung, und all zu schnell kam es in dem Gedränge zu unerquicklichen Begegnungen mit den unästhetischeren Vertretern des Plebs.
Wieder schmunzelte sie, als Gracchus ihren Vater und die Bibliotheken im selben Atemzug erwähnte, und meinte leise: „Eine längere Geschichte.“ Bevor sie anhub diese zu erzählen, wandte sie sich zu ihren noch immer wartenden Sklaven um, zu Dido, die ihren Schützling genau im Blick hatte, zu Kosmas, der verdrießlich auf ein Fresko starrte, und zu Salambo, die die Katze Sphinx hinter den Ohren kraulte, daß sie leise schnurrte. „Geht bitte, und kümmert euch mit den hiesigen Sklaven um ein Zimmer für mich. Ich möchte mich gleich etwas ausruhen.“ wies sie die Frauen an, und zu dem Medicus meinte sie bestimmt: „Eine Visite wird erst wieder morgen nötig sein.“
Zwar wurde Didos strenge Miene noch etwas säuerlicher, doch sie gehorchte, und ebenso die beiden anderen. Als sie aus dem Atrium verschwunden waren, setzte Leontia unvermittelt wieder an: „Du kennst Cassius nur aus meinen Erzählungen...“ Sie hatte ihren Verlobten nie anders als mit seinem Nomen gentile bezeichnet. „Deshalb wirst du dir schwerlich vorstellen können, mit welchem Ungestüm er das Leben lebte, mit welcher ... Gier er es sich einverleibte.“ Unruhig schritt sie während dieser seltsamen Einleitung einige Schritte auf und ab.
„Nun, es ist jetzt fast vier Wochen her, da waren wir in Ravenna geladen, auf einer Cena des Duumvir, ich wollte nicht hingehen, aber Papa bestand darauf.“ Sie betonte das Wort Papa etwas langgezogen, mit Betonung auf der zweiten Silbe. „Cassius erschien, in seiner Uniform, er machte eine gute Figur, er trank, und aß, und lachte...“ Sie schlang die Arme um sich, sah zögernd, und mit einem seltsam fragenden Ausdruck zu Gracchus, als sie fortfuhr: „Und da passierte etwas merkwürdiges. Ich sah, wie er ein Ei aß, einfach nur ein Ei aß, wie er es hungrig und ... achtlos hinunterschlag... und verspürte einen ganz ungeheuren Widerwillen.“
Wieder sah sie das Bild vor Augen, wieder erwachte der Ekel, der sie da gewürgt hatte. „Ich ging in den Garten und grämte mich,“ erzählte sie leise weiter, mit einem entschuldigenden Lächeln, „Salambo versuchte mich aufzuheitern, doch ich war ... unangemessen aufgewühlt, und ich muß gestehen, ich wünschte mir mit aller Macht, etwas, irgend etwas würde geschehen, und verhindern, daß ich seine Frau werden müßte... Und stell dir vor...“, sie stand wieder direkt vor Gracchus, und ihre großen nachtblauen Augen waren unverwandt auf sein Gesicht gerichtet, als sie mit einem leisen Ausdruck des Staunens weitersprach: „...stell dir vor, später am Abend, da gab es Muräne, und Cassius, der wie immer gierig schlang, muß eine Gräte in den Hals bekommen haben, er hustete plötzlich wild, wurde ganz blau und starb... Merkwürdig, nicht?“
Sie schüttelte ganz leicht den Kopf, und sprach unbewegt weiter: „Papa fürchtet, dieser Todesfall könne mein Gemüt zerrütten und mich in die Melancholie stürzen, deshalb schickt er mich hierher. Er meint, daß all die Festivitäten und Zerstreuungen der Stadt mir guttun... ich soll mich amüsieren, sagt er...“ Und auch er kann sich nun ganz ungehemmt amüsieren, dachte sie bitter, wollte ihren Vater aber nicht anschwärzen. Seine Lasterhaftigkeit war ja zu Genüge bekannt.