Beiträge von Flavia Leontia

    „Allerdings, oh mein Sokrates. Etwas noch weit Herrlicheres, gewiß.“ lächelte Leontia, und erleichtert hörte sie, daß in der Zwischenzeit keine größeren Katastrophen über die Familie hereingebrochen waren. Ein wenig starr wurde das Lächeln aber, als der Name ‚Milo‘ fiel, und nur mühsam schluckte sie das aufkeimende Unbehagen herunter. Wenn es nur nicht wieder zu so desaströsen Szenen wie im Vorjahr käme!


    „Lucullus, ja,“ nickte sie, „und Minervina, wie schön. Vielleicht habe ich diesmal die Gelegenheit, sie etwas näher kennenzulernen. Sogar Serenus ist hier, das freut mich aber zu hören! Sicher ist er schon wieder in die Höhe geschossen seit ich ihn zuletzt sah. Das ist doch etwas ganz besonderes, wenn sich die gesamte - nun ja, fast die gesamte - Familie so versammelt.“ Und unbedingt mußte sie sich gleich morgen aufmachen, um ein paar schöne Saturnaliengeschenke zu besorgen.


    Deutlich war ihr Stolz, daß ihr Vetter diese so bedeutsame Zeremonie leiten würde. „Selbstredend werde ich es mir nicht nehmen lassen, dem Kultakt beizuwohnen!“ versprach sie eifrig, obgleich sie für gewöhnlich solche unüberschaubaren Ansammlungen der Massen mied. All zu schnell überkam sie in jenen Situationen ein Gefühl der Beklemmung, und all zu schnell kam es in dem Gedränge zu unerquicklichen Begegnungen mit den unästhetischeren Vertretern des Plebs.


    Wieder schmunzelte sie, als Gracchus ihren Vater und die Bibliotheken im selben Atemzug erwähnte, und meinte leise: „Eine längere Geschichte.“ Bevor sie anhub diese zu erzählen, wandte sie sich zu ihren noch immer wartenden Sklaven um, zu Dido, die ihren Schützling genau im Blick hatte, zu Kosmas, der verdrießlich auf ein Fresko starrte, und zu Salambo, die die Katze Sphinx hinter den Ohren kraulte, daß sie leise schnurrte. „Geht bitte, und kümmert euch mit den hiesigen Sklaven um ein Zimmer für mich. Ich möchte mich gleich etwas ausruhen.“ wies sie die Frauen an, und zu dem Medicus meinte sie bestimmt: „Eine Visite wird erst wieder morgen nötig sein.“


    Zwar wurde Didos strenge Miene noch etwas säuerlicher, doch sie gehorchte, und ebenso die beiden anderen. Als sie aus dem Atrium verschwunden waren, setzte Leontia unvermittelt wieder an: „Du kennst Cassius nur aus meinen Erzählungen...“ Sie hatte ihren Verlobten nie anders als mit seinem Nomen gentile bezeichnet. „Deshalb wirst du dir schwerlich vorstellen können, mit welchem Ungestüm er das Leben lebte, mit welcher ... Gier er es sich einverleibte.“ Unruhig schritt sie während dieser seltsamen Einleitung einige Schritte auf und ab.


    „Nun, es ist jetzt fast vier Wochen her, da waren wir in Ravenna geladen, auf einer Cena des Duumvir, ich wollte nicht hingehen, aber Papa bestand darauf.“ Sie betonte das Wort Papa etwas langgezogen, mit Betonung auf der zweiten Silbe. „Cassius erschien, in seiner Uniform, er machte eine gute Figur, er trank, und aß, und lachte...“ Sie schlang die Arme um sich, sah zögernd, und mit einem seltsam fragenden Ausdruck zu Gracchus, als sie fortfuhr: „Und da passierte etwas merkwürdiges. Ich sah, wie er ein Ei aß, einfach nur ein Ei aß, wie er es hungrig und ... achtlos hinunterschlag... und verspürte einen ganz ungeheuren Widerwillen.“


    Wieder sah sie das Bild vor Augen, wieder erwachte der Ekel, der sie da gewürgt hatte. „Ich ging in den Garten und grämte mich,“ erzählte sie leise weiter, mit einem entschuldigenden Lächeln, „Salambo versuchte mich aufzuheitern, doch ich war ... unangemessen aufgewühlt, und ich muß gestehen, ich wünschte mir mit aller Macht, etwas, irgend etwas würde geschehen, und verhindern, daß ich seine Frau werden müßte... Und stell dir vor...“, sie stand wieder direkt vor Gracchus, und ihre großen nachtblauen Augen waren unverwandt auf sein Gesicht gerichtet, als sie mit einem leisen Ausdruck des Staunens weitersprach: „...stell dir vor, später am Abend, da gab es Muräne, und Cassius, der wie immer gierig schlang, muß eine Gräte in den Hals bekommen haben, er hustete plötzlich wild, wurde ganz blau und starb... Merkwürdig, nicht?“


    Sie schüttelte ganz leicht den Kopf, und sprach unbewegt weiter: „Papa fürchtet, dieser Todesfall könne mein Gemüt zerrütten und mich in die Melancholie stürzen, deshalb schickt er mich hierher. Er meint, daß all die Festivitäten und Zerstreuungen der Stadt mir guttun... ich soll mich amüsieren, sagt er...“ Und auch er kann sich nun ganz ungehemmt amüsieren, dachte sie bitter, wollte ihren Vater aber nicht anschwärzen. Seine Lasterhaftigkeit war ja zu Genüge bekannt.

    Amessis lachte. Diese ... Orientalin lachte einfach über sie, eine Flavia! Pikiert presste Leontia die Lippen aufeinander, und legte sich gerade eine spitze, aber nicht ungebührliche Bemerkung zurecht, holte schon Luft, um diese zu äußern, als ihre Cousine ihr zuvorkam. Erfreut hörte sie, wie Minervina Amessis dezent widersprach, und schnell stimmte Leontia zu: „Ja, belasten wir uns nicht mit diesen schweren Themen, vertrauen wir auf Rom, Roma Aeterna - möge es seine Größe, seine Glorie stets bewahren - und zweifeln wir nicht daran, das es sich jeglicher zersetzender Einflüsse schon zu erwehren wissen wird.“ Sie lächelte überaus sanft.


    „Aber keineswegs bist du mir zu nahe getreten, Cousinchen. Ja, ich frage ihn einfach, wir werden sehen.“ Sie machte sich zwar kaum Hoffnungen, andererseits war ihr Vater unberechenbar. Auf jeden Fall würde sie es vor ihm als Vergnügungsreise deklarieren, keinesfalls als Bildungsreise... Genießerisch streckte sie sich im Wasser, und malte sich aus, was für ein inspirierendes Abenteuer diese Reise sicherlich wäre.


    „Was sagt ihr eigentlich zu den Farben der derzeitigen Mode?“, schnitt sie ein - voraussichtlich - weniger kontroverses Thema an. „Ich für meinen Teil finde die kühlen Töne ja sehr schön, zumal das Blau, und zudem passen sie gut zur Jahreszeit - aber diese breiten Borten, an denen man jetzt gar nicht mehr vorbeikommt, sagen mir wenig zu. Und dazu die floralen Muster, ich weiß nicht... das wirkt schnell bieder, finde ich, was meint ihr?“

    „Manius!“ Ihr blasses Antlitz erstrahlte, als sie schnell auf ihn zu trat. Wie immer wenn sie ihm leibhaftig begegnete, wurde sie von einem weihevollen Gefühl ergriffen, förmlich emporgehoben. „Mein lieber Vetter!“, rief sie tiefempfunden aus, überwand mit fliegenden Schritten den letzten Abstand zwischen ihnen - und fragte sich insgeheim mit einem Mal, ob das Verhalten, das sie gerade an den Tag legte, ihm nicht viel zu überschwenglich erscheinen mußte. Zudem spürte sie den gestrengen Blick ihrer Amme auf sich lasten. So zauderte Leontia kurz, und als sie ihn dann doch umarmte, wurde es eine eher linkische, kurze Berührung.


    „Ich freue mich auch sehr.“ Noch immer strahlend, doch für den Moment um Worte verlegen, sah sie ihn an, mochte ihm nicht von den trivialen kleinen Begebenheiten ihrer Reise berichten, von schlammigen Straßen, erkälteten Sklaven und unkomfortablen Gasthäusern, von kalten Füßen und juckenden Wanzenstichen. Allesamt waren diese Vorkommnisse unbedeutend und banal, und es wäre ihr unpassend vorgekommen, sie vor ihren Vetter auszubreiten.


    Es war Gracchus gewesen, der sie aus der intellektuellen Ödnis gerettet hatte, in die sie das zurückgezogene Leben auf dem Gut, mit einem Vater der ihre Neigungen weder verstand noch guthieß, verbannt hatte. Gracchus‘ Briefe, die Schriften die er ihr sandte und die Ideen, an denen er sie teilhaben ließ, waren ihr Fenster zur Welt, ihr Zugang zu den edlen und ewigen Fragen des Seins geworden. Mit welch drängender Ungeduld hatte sie seine Briefe erwartet, sie so begierig verschlungen wie eine Verdurstende in der Wüste das rettende Nass. Wieder und wieder hatte sie sie gelesen, sich ergötzt an funkelnden Wortkunstwerken, an geistsprühenden Bemerkungen, eleganten Wendungen, und dann wiederum an schlichten Sätzen von anrührender Klarheit...


    Und mit welchem Eifer hatte sie ihre Antworten formuliert, ihren Gedanken Halt und Form gegeben, wie minutiös hatte sie ihre Wortwahl überdacht und ihre Leibsklavin mit der häufigen Forderung, den Brief für einen, um ein weniges ausgefeilteren, Wortlaut neu zu schreiben, beinahe in die Verzweiflung getrieben. Sie erglühte vor Stolz, wenn Gracchus ihre Gedankengänge mit Anerkennung bedachte, sie im Austausch weiterentwickelte und veredelte... Wie ein Heiligtum hütete sie die Rosenholzschatulle, in der sie die empfangenen Briefe aufbewahrte, und hin und wieder spielte sie mit dem Gedanken, ob diese nicht vielleicht eines Tages der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten; es erschien ihr nicht abwegig, daß „Briefe an Leontia“ sich neben Werken wie „Briefe an Lucilius“ durchaus behaupten würde...


    „Meine Reise war ... recht ereignislos. Ich ließ mir viel vorlesen, aus dem Phaidros. Aber sag, wie geht es dir? Und der Familie? Ach, und außerdem muß ich mich wirklich nochmals entschuldigen, daß ich zu deiner Hochzeit nicht kommen konnte, aber Papa... du weißt ja.“

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    In freudiger Erwartung trat Leontia in das Atrium hinein, darauf vertrauend, daß der Ianitor ihre Ankunft schon melden würde, und sehr gespannt, wen von ihrer weitläufigen Verwandtschaft sie als erstes zu Gesicht bekommen würde. Als sie die wohlige Wärme spürte, atmete sie auf, und ließ ihren Mantel achtlos von den Schultern gleiten. Dido, die ihre Herrin inzwischen wieder eingeholt hatte, konnte ihn gerade noch auffangen.


    Sorgfältig strich sich Leontia ihr rabenschwarzes Haar glatt, das sie im Nacken zu einem einfachen Knoten geschlungen trug, und zupfte an ihrer flauschigwarmen blauen Tunika herum, die in der Sänfte einige Falten bekommen hatte. Ein heiteres Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie durch das Atrium schritt, und betrachtete, was sich an der Einrichtung seit ihrem letzten Besuch geändert hatte.


    Nach dem langen Sitzen tat es gut, sich etwas die Beine zu vertreten, und das Atrium war, natürlich, wie immer, tadellos repräsentativ. Doch es schien Leontia, als ob ein paar mehr Pflanzen dem ganzen Arrangement mehr Leichtigkeit gegeben hätten. Sie blieb stehen, und ihre feingliedrige Hand spielte unentwegt mit ihrem filigranen saphirverzierten Ohrgehänge, ließ es leise klimpern, während sie grübelte wo sich was am besten machen würde... hier vielleicht etwas dunkles, dort etwas blühendes, dort am Wasser etwas rankendes - oder nein, noch viel besser -
    „Seerosen...!“

    Etwas bedauernd hörte Leontia, daß Minervina lieber nicht über dieses Thema diskutieren wollte. Vielleicht fürchtete sie, daß sie sich hier sonst undamenhaft die Köpfe heißreden würden? Ja, da hatte sie wohl recht. Aber trotzdem sah sie noch fragend zu Amessis Vistilla, und war neugierig auf ihre Antwort.


    Minervinas scherzhafte Bemerkung ließ Leontia betreten schweigen. Dann schluckte sie, spielte wieder verlegen mit einer Haarsträhne, und murmelte beiläufig: „Ähm, mein Verlobter ist vor kurzem gestorben.“ Sie sprach nicht gerne darüber. Alle meinten dann, ihr Mitgefühl ausdrücken zu müssen, dabei war Leontia von diesem Verlust kaum erschüttert - eher erleichtert...


    „Ich kannte ihn aber kaum.“ ging sie schnell darüber hinweg. „Unsere Familie hält sicher für uns beide schon die Augen nach guten Partien auf.“ Mit Grauen dachte sie daran, daß sich ihr Vater wohl schon diesbezüglich an Vetter Felix gewandt hatte, lächelte aber gleich wieder erfreut, als Minervina sie Cousinchen nannte.


    „Ja, schreiben wir ihm doch. Dann kann ich auch gleich berichten, daß ich gut angekommen bin. Und ich glaube, Papa wird es gerne sehen, wenn ich mit jemandem so lebenslustigen wie du es bist Umgang pflege. Wir brauchen aber noch jemanden der uns begleiten würde, sonst erlaubt er es garantiert nicht. Wen sollen wir fragen? Aristides, Gracchus? Ach, ich fürchte sie haben alle keine Zeit.“

    Skeptisch hob Leontia eine Augenbraue. „Eure Riten sind älter als eure Götter? Dient denn der Ritus nicht eben ihrer Verehrung? Wie ist es denn möglich, daß er bereits war, bevor die so zu ehrenden Wesenheiten in die Welt traten? Hätte er da anfangs nicht jeden Sinnes entbehrt?“ Sie lächelte, wenn auch reserviert, um die Schärfe der Frage abzumildern, und fragte, mit ehrlichem Interesse weiter. „Dann glaubst du nicht, daß die Götter ewig sind?“ Ob ihr Unverständnis vielleicht daran lag, daß Amessis Vistilla als Orientalin eine ganz andere Auffassung von der Zeit hatte?


    „Natürlich liegt es mir fern, die segenbringende Macht der Venus zu leugnen.“ Sie wippte mit den Füßen, sah über die Wasseroberfläche hinweg, und erfreute sich an den vielen schimmernden und ineinander verfließenden Blautönen. „Doch noch lieber würde ich dem Eros begegnen, dem Hohen Eros, meine ich, dem reinen Einklang der Seelen, der um so vieles edler ist als die Liebe auf ... körperlicher... Basis.“ Zudem wäre sie gerne Vestalin geworden, aber sie scheute sich, das in dieser Runde verlauten zu lassen.


    „Und, ohne dir zu nahe treten zu wollen, werte Amessis... wir Römer sind ein Volk der Klarheit und der alten Tugenden, ein Volk, das durch Anspruchslosigkeit und Härte gegenüber uns selbst so, ‚starke Arme‘, wie du es nennst, erlangt hat. Ich denke, die Verherrlichung solch leiblicher Freuden würde uns ausgesprochen schlecht zu Gesicht stehen.“


    Leontia nickte verständig, als Minervina von den familiären Verpflichtungen sprach, und von den guten Schulen.
    „Eine Reise nach Ägypten! Oh, das wäre ganz wunderbar!“ Ein freudiges Lächeln belebte ihr mamorblasses Gesicht. „Mein Vetter Aristides hat immer so viel von diesem Land geschwärmt. Und ich würde für mein Leben gerne einmal das berühmte Museion besuchen...“ Doch dann seufzte sie leise, mit verhaltener Resignation. „Aber wie ich Papa kenne, wird er es nicht erlauben...“


    „Männer? Nein, mir wurde bisher noch keiner vorgestellt.“ Sie dämpfte die Stimme, und vertraute ihrer Cousine flüsternd an: „Und darüber bin ich nicht unbedingt unglücklich. Mein Verlobter, mußt du wissen -“ Aber dann schwieg sie doch lieber, stützte die Arme auf den Beckenrand, und ließ sich von warmen Wasser wohlig umschmeicheln. Mit einem höflichen Lächeln neigte sie leicht den Kopf, als Minervina sie Amessis vorstellte.



    „Ich stamme aus Ravenna,“ antwortete Leontia, und spürte etwas Neid auf die weiten Reisen der beiden anderen Frauen in sich aufsteigen. „eine schöne Lagunenstadt mit bedeutender Kriegsflotte.“, erklärte sie weiter, mit dem plötzlichen Impuls, ihre Heimatstadt in Schutz zu nehmen. Neugierig, aber nicht zu aufdringlich, betrachtete sie Amessis Vistilla. Babylonisch. Wie exotisch!


    Zitat

    Original von Amessis Vistilia


    "Ja ein Ruf kann man es nenne, der Ruf meiner Göttin war es die mich hier her befahl. Und die mich dann auch gleich ins kalte Germaninnen schickte.
    Ich werde in ein paar Tagen die neue Kopta meiner Göttin Ishta sein, sie hier in Rom vertreten. Wie gesagt, Rom breitet seine starken Arme weit aus.


    „Ischtar?“ Leontias Augen wurden groß. Gelinde schockiert sah sie Amessis an, und dann auch Minervina, als diese von einer Einladung sprach. „Ist das nicht... - Ich habe darüber gelesen, bei Herodot, glaube ich... Ist das nicht ein sehr, wie soll ich sagen ... körperlicher.... Kult?“ Die Röte stieg ihr in die Wangen, und verlegen, solche Dinge auch nur anzudeuten, wickelte sie sich eine nasse schwarze Strähne fest um den Finger. Aber vielleicht irrte sie sich ja auch. Die Zeiten Herodots waren schließlich schon lange vorüber.

    „So weit fort war ich noch nie. Ägyptus soll ja landschaftlich sehr reizvoll sein, habe ich gelesen, und voller Anregungen für einen gebildeten Geist... aber das Klima ist sicher nicht leicht zu ertragen, oder? Was, wenn ich fragen darf, hat dich denn bewogen, hier her zu kommen?“ Leontia schlug kleine Wellen mit den Händen, und beobachtete, wie sie sich über die Wasseroberfläche fortpflanzten. Hoffentlich war sie nicht zu neugierig.


    „Bei mir war es die Idee meines Vaters...“ erzählte sie wenig begeistert. „Papa meint, es wäre gut für mich, an den Festen und den mannigfaltigen Zerstreuungen hier teilzunehmen, mich zu amüsieren...naja... Aber auf die Saturnalien freue ich mich natürlich sehr!“


    „Weißt du, meine Reise, die krankte daran, daß ich die falschen Sklaven mitgenommen hatte. Meine Lieblingssänfte ist aus Ebenholz, und da habe ich mir als Träger natürlich Nubier ausgesucht, weil sie farblich am besten passen. Tja, und diesen Dauerregen haben sie wohl nicht vertragen, plötzlich waren sie fast alle erkältet, und wir kamen nur mehr langsam vorwärts.“


    „Außerdem mußten wir zwischendurch noch einen Umweg machen, weil es ein Gerücht gab, die Straße sei nicht mehr sicher. Raubgieriges Gesindel solle sich dort herumtreiben.“ Sie rümpfte die Nase. „Und mein Custos - er ist recht tüchtig - wollte kein Risiko eingehen. So habe ich glücklicherweise keinen Räuber zu Gesicht bekommen...“

    Beflügelt von der Vorfreude trat Leontia schnell in die Villa hinein. Sie schlug ihre weite pelzverbrämte Kaputze zurück, von der kleine Wassertröpfchen stoben, und wurde des Blickes des helläugigen Sklavens gewahr. Einen Herzschlag lang musterte sie ihn, und fragte sich mit milder Verwunderung, warum er sie so eindringlich ansah. Zudem bemerkte sie mit Wohlgefallen, daß ihre Verwandten bei der Wahl des Ianitors Geschmack bewiesen hatte, und sich für einen schönen und höflichen Sklaven entschieden hatten.


    Leontia hielt nichts von der gängigen Praxis, muskelbepackte und narbige Barbaren an die Porta zu stellen, denn dort gewann der Besucher schließlich seinen ersten Eindruck von der Villa oder Casa und ihren Bewohnern. So kräuselte ein beifälliges kleines Lächeln leicht ihre Mundwinkel, als sie mit einem kaum merklichen Nicken an ihm vorbeischritt, und sich in das Atrium begab.


    Ihre gute alte Amme aber, die ihr auf den Fuß folgte, die roch den Braten sofort! Für so etwas hatte sie einen sechsten Sinn, und wenn es darum ging, die Tugend ihres Schützlings zu verteidigen, wurde sie zur Megäre. So trat die kleine Frau angriffslustig ganz dicht an Paris heran, starrte unheilverkündend zu ihm hinauf, und flüsterte giftig: „Junger Mann, wenn dür deine Augen lieb sind, dann würst du sie nie - nie! - wieder so frech auf die Domina richten!“ Sie krümmte die Finger, als wolle sie ihm die Augen gleich eigenhändig auskratzen, schnaubte zutiefst verächtlich, und folgte Leontia schnell.


    Salambo, der diese kleine Szene nicht entgangen war, konnte sich das Schmunzeln kaum verkneifen, und rollte hinter Didos Rücken mit den Augen. Mit verschmitztem Lächeln sprach sie Paris leise an. „Salve, ich heiße Salambo. Du kannst mir doch bestimmt sagen, ob Hannibal aus Baiae noch hier im Hause dient?“ Die kleine Sphinx auf ihrem Arm gähnte, reckte eine Tatze, und begann seelenruhig, sich mit ihrer rosa Zunge zu putzen.


    Verkniffen schob sich der Medicus an ihnen vorbei, Sklaven mit einigen Kisten und Gepäckstücken folgten. Draußen dirigierte Hamilkar derweil Sänfte, Wagen und das Groß des Trosses zum Hintertor, und beaufsichtigte das Abladen. Leontias Webstuhl schenkte man dabei besonderes Augenmerk, hatte sie doch demjenigen, der ihn beschädigen sollte, ein grausames Ende in Aussicht gestellt.

    Leontia stand noch am Rande des Beckens, und tauchte zögerlich die große Zehe ein, während ihre Cousine schon untertauchte. „Ist es nicht zu kalt?“ fragte sie, während sie ihren Blick durch die Therme schweifen ließ, und die Badebekleidung der anderen Besucherinnen musterte. Sie hatte nämlich Bedenken, ob ihre Badesachen - obgleich dieser Schnitt im Ravenna der letzte Schrei war - in Rom nicht vielleicht zu provinziell wirkten. Doch der Rundblick beruhigte sie in dieser Hinsicht.


    So fasste sie sich ein Herz, und folgte Minervina in das Becken. „Herrlich.... genau das richtige jetzt.“ seufzte sie, und ließ sich vom Wasser treiben. Ihr Haar wogte schwarz auf der Wasseroberfläche. „Meine Reise war doch sehr beschwerlich, und das Wetter ganz furchtbar... Aber du bist auch gerade erst eingetroffen, nicht? Mit dem Schiff?“ Neugierig sah sie ihre ältere Cousine an, die sie bisher nur flüchtig kennengelernt hatte.


    „Und nachher müssen wir uns unbedingt noch massieren lassen.“

    Kaum in Rom angekommen schickte Flavia Leontia ihre Sklavin Salambo in die Scola. Die fröhliche junge Frau informierte sich umfassend über das Kursangebot, schrieb ihre Herrin schwungvoll in den laufenden Cursus Res Vulgares ein, und machte sich mit den Unterlagen sogleich auf den Rückweg zur Villa Flavia. Die sie, nach einem kleinen Abstecher über den Markt, wohlbehalten wieder erreichte.

    Rom verschwand hinter einer Wand aus feinem Nieselregen. Die Säulen, die das Tor der Villa säumten, glänzten nass im trüben Licht des Nachmittags, als Flavia Leontia mitsamt Gefolge und Eskorte endlich ihr Ziel erreichte. Die Reise von Ravenna her hatte länger gedauert als geplant, aufgrund des schlechten Wetters, und weil Leontia es sich nicht hatte nehmen lassen, alle Sehenswürdigkeiten, die auf dem Weg lagen, zu besuchen.


    Mit schmaler Hand schob sie nun den schweren blauen Vorhang ihrer extravaganten Ebenholz-Sänfte mit dem vergoldeten Caduceus-Wappen zur Seite, und sah mit feinem Lächeln auf die Villa. Die Vorfreude ihre lieben Verwandten wiederzusehen milderte ihren Groll, daß ihr Vater sie so einfach fortgeschickt hatte, und besonders freute sie sich darauf, das Fest der Saturnalien im Familienkreise zu begehen.


    Sie gab ihrem Custos Hamilkar ein Zeichen. Der stämmige Sklave schritt zum Tor, wischte sich die Nässe aus dem Gesicht, und pochte kräftig dagegen. Höflich nickte er, als die Türe sich öffnete, und sprach mit dunkler Stimme: „Salve. Meine Herrin, Flavia Leontia, ist aus Ravenna eingetroffen. Ihr Kommen müsste angekündigt sein.“


    Mit diesen Worten wies er auf die Sänfte. Die nubischen Trägersklaven setzten sie gerade auf dem Boden ab, einer ging daneben auf Hände und Knie, und Leontia stieg, ihren weiten Blaufuchspelz-Mantel locker über die Schultern gelegt, über seinen Rücken hinweg auf die Straße. Sofort sprang Dido, ihre alte Amme vom Kutschbock des hochbeladenen Gepäckwagens, und eilte zu ihrem Schützling. Mit den Worten: „Künd, du holst dir den Tod!“ , schloß sie schnell Leontias Mantel, und schlug ihr auch die Kaputze über den Kopf. Leontia ließ sich das schweigend gefallen, und trat dann auch auf das Tor zu.


    Die Amme wuselte hinterdrein, aus der Sänfte stieg nun auch Leontias Leibsklavin mit der dösenden Lieblingskatze ihrer Herrin auf dem Arm, und auch der Medicus den ihr Vater ihr mitgegeben hatte, schloß sich mürrisch an. Der Tross der Trägersklaven und Leibwächter aber mußte im Regen warten. Ebenso die Pack- und Reittiere, die melancholisch die Köpfe hängen ließen.

    Endlich trat Leontia aus der Villa, und schritt langsam die Freitreppe hinunter. Sie trug einen weiten dunkelblauen Mantel, reich mit Blaufuchspelz verbrämt, in dem ihre schmale Gestalt fast verschwand. Ihr Vater ging neben ihr, es folgten Salambo und der Medicus. Auf der untersten Stufe blieb Leontia stehen, und sah schweigend ihren Vater an.


    "Nun denn." sagte Aetius. "Ja." war Leontias Antwort. "Die Stadt wird dir mit Sicherheit guttun. Und Kosmas begleitet dich, und behält deine Gesundheit im Auge." "Ja." "Grüß die Familie von mir." "Ja." "Und sag meinen Neffen Aristides und Aquilius, daß sie ruhig mal wieder vorbeischauen sollen. Das sind lustige Gesellen, ganz nach meinem Geschmack."


    "Ja, Papa. Und wann soll ich wiederkommen?" "Du," sagte Aetius, und strich Leontia flüchtig über die Wange, "du kurierst dich erst mal richtig aus. Lass dir Zeit. Dann sehen wir weiter." "Ja." Leontia nickte mit schmalen Lippen. Sicher stand die kleine Syrerin irgendwo verborgen, um frohlockend ihren Abzug zu verfolgen. Leontia wollte ihr den Triumph nicht noch versüßen, indem sie eine Szene machte.


    "Leb wohl, Papa." Sie wandte sich ab, und schritt zu der wartenden Sänfte. Ein Nubier ging sofort vor ihr auf alle viere, und über dieses lebende Trittbrett stieg sie hinein, und ließ sich auf den weichen Polstern nieder. Ihren Mantel schlang sie wie einen Panzer um sich herum und ihr Blick lag starr auf einem Kissen mit goldenen Trodeln. Salambo kletterte hinterher, setzte sich unaufdringlich zu Füßen ihrer Herrin, und legte eine Tasche beiseite, in der sich, um die Reise angenehmer zu gestalten, etwas Lektüre, Spiele, und Naschereien befand. Für später.


    Auch das Körbchen mit der Lieblingskatze wurde hereingereicht. Leontia hob die kleine Sphinx auf ihren Schoß, und kraulte sie hinter den Ohren, während von draußen die Geräusche des Aufbruches zu ihnen hereindrangen. Pferde stampften mit den Hufen. Eine Peitsche knallte. Die Amme zeterte: "Nein, der Kutschbock ist zu eng für drei! Will ein gebildeter Mann sein, und sieht das nicht! Nimm auf dem Gepäck Platz, wenn du nicht laufen willst Herr Medicus!"


    Aetius gab Hamilkar letzte Instruktionen, und endete mit den Worten: "Und sollte ihr etwas zustoßen, Sklave, weißt du was dir blüht." Wagenräder knarrten. Die Träger hoben auf ein Kommando synchron die Tragstangen der Sänfte auf ihre Schultern. Leontia zog nun doch die Vorhänge auf, und winkte ihrem Vater zum Abschied zu. Der winkte milde lächelnd zurück.


    Hamilkar trieb sein Pferd neben die Sänfte. Seine Lederrüstung knarzte leise, seine Waffen blitzten, er strahlte Entschlossenheit und Energie aus, und Leontia fand, das ihr Custos eigentlich eine ganz gute Figur machte. Respektvoll fragte er: "Können wir, Domina?" Als ob das meine Entscheidung wäre seufzte Leontia innerlich, antwortete aber ruhig: "Natürlich."


    Auf seinen Befehl hin setzte sich die ganze Karawane in Bewegung, zog durch das Tor des Landgutes, eine Allee von Platanen entlang, durch Olivenhaine und Felder. Nach Stunden erst hatten sie die Latifundien hinter sich gelassen. Einmal konnte man noch das Meer sehen, grau und ganz glatt lag es da, dann schwenkte der Tross ins Landesinnere, um über die Via Aemilia, und schließlich die Via Flaminica, gen Süden zu ziehen, nach Rom.

    Weiß bereift lagen die Wiesen um die Villa Rustica Flavia, und die Luft war an diesem Morgen von beißender Kälte. Ein gewaltiger Tross hatte sich vor der Villa versammelt, und harrte des Aufbruches. Da waren die Sänftenträger, kraftstrotzende Nubier, die sich frierend die Arme rieben, in ihre Hände bliesen und immer wieder fest aufstampften.


    Die Sänfte hatte sie zwischen sich abgesetzt, ein komfortables Kunstwerk von Ebenholzschnitzereien, glänzenden Beschlägen und goldbestickten meerblauen Stoffen. An der Seite prangte vergoldet das flavische Wappen. Ein kleines Kohlebecken heizte den Innenraum.


    Die Leibwächter, unter dem Kommando von Hamilkar, saßen bereits auf ihren Pferden, die ungeduldig mit den Hufen scharrten. Die Lasttiere standen bepackt in einer Reihe, auf dem Wagen türmte sich hoch das Gepäck, darunter auch Leontias Webstuhl, ihr ein und alles. Neben dem Kutscher saß, dick in wollene Umschlagtücher eingehüllt, Leontias Amme. Sie spähte ungeduldig zur Porta des Hauses. Ihr Schützling ließ auf sich warten. Wo blieb sie denn bloß?

    Auf dem Weg in ihre Gemächer hatte sich Leontia, den Kopf hocherhoben, die Lippen schmal zusammengepresst, noch vorbildlich, geradezu stoisch, beherrscht. Doch kaum dass sich die Türe hinter ihr schloß, kaum dass sie alleine mit ihrer Leibsklavin war, verlor sie ihre Contenance, stieg ihr das Wasser in die Augen. „Er schickt mich einfach fort!“ schluchzte sie verzweifelt. „Die Syrerin, diese kleine Lupa, ist schuld, sie hat ihm das eingeredet, das spüre ich. Sie will mich aus dem Weg haben wenn sie ihn umgarnt! Ich fasse es nicht!“


    Und da kam er wieder über sie: der unbändige Drang etwas Schönes zu zerstören. Jäh riss sie eine aparte Vase an sich, in der weiße und violette Astern zu einem dezenten Herbstblumen-Strauß vereint standen, und warf sie mit aller Kraft gegen die Wand. Ihre Gemächer waren mit Fresken von Diana als Herrin der Tiere ausgemalt. Die Vase traf einen Panther, der gerade um die Beine der Göttin herumstrich, es klirrte, und Scherben, Wasser und Blumen ergossen sich verstreut über den Boden. Heftig schluchzend sank Leontia in einen Sessel vor dem Fenster.


    Salambo war nicht überrascht – sie hatte während des Gespräches aufmerksam an der Türe gelauscht. Zwar neigte sie eher zu der Erklärung, dass der Hausherr seine Tochter zur Zeit nicht um sich haben wollte, weil er sich mit seiner blutjungen Kurtisane vor ihr befangen fühlte, vielleicht auch, weil ihm ihre ständige, stumm zur Schau gestellte moralische Überlegenheit auf den Geist ging. Aber sie wusste es besser, als mit ihrer Herrin darüber zu diskutieren. Gleichmütig räumte sie die Scherben weg, warf einen forschenden Blick auf Leontia – man konnte sich ihr jetzt wohl wieder nähern.


    Salambo war nicht umsonst eine privilegierte Leibsklavin. Sie entstammte einer Sklavenfamilie, die den Flaviern schon seit Generationen diente, „zur Auffrischung“ floss außerdem ein Schuß nubischen Blutes in ihren Adern, und sie verfügte über mannigfaltige Talente. Dazu gehörte auch ein sehr feines Gespür für die Launen, Wünsche und Bedürfnisse ihrer Herrin. So trat sie nun zu ihr, und legte wie eine liebe Freundin tröstend die Arme um sie. Solcherart geborgen weinte Leontia sich aus, putzte sich die Nase, und begann umgehend mit den Reisevorbereitungen.

    „Ich muß gestehen, mein Kind, ich mache mir Sorgen um dich. Das mit Catullus war natürlich ein schwerer Schlag. So eine gute Partie für dich werde ich wohl auch so schnell nicht wieder auftreiben können. Es ist also ganz verständlich, dass du etwas niedergestimmt bist. Bei deinem unguten Hang zur Schwermut sowieso.“ Aetius zeigte hinter sich, auf den Medicus, der sich noch immer unbeirrbar an seinem Rücken zu schaffen machte, und fuhr fort: „Kosmas sagt das auch. Und ich vertraue ihm in dieser Hinsicht, wenn er auch ansonsten ein unnützer Stümper ist, der auf all meine Fragen nur dieselbe, nervtötende Antwort parat hat: 'Diät und Mäßigung'.“ Er schüttelte sich daß die Schröpfköpfe klirrten. Der Medicus, längst an solche Reden gewöhnt, verzog dabei keine Miene.


    „Papa, ich komme gut zurecht. Es war eben der Wille der Götter.“ Leontia zuckte mit den Schultern und verstand nicht so recht, was sie alle hatten. Mit ihrem Verlobten - einem schneidigen Offizier der Flotte, aus bestem Hause und mit solidem Vermögen - hatte sie nicht harmoniert, sich vor seiner forschen Art gar ein wenig gefürchtet, und sein Tod erfüllte sie vor allem mit Erleichterung. „Meine Lektüre der Stoa verhilft mir zu Gemütsruhe auch angesichts dieses... Schicksalsschlages.“


    „Stoa, ich höre von dir immer nur Stoa! Diese langweiligen Schriften sauertöpfischer und lebensfeindlicher alter Männer, das tut einem jungen Mädchen wie dir nicht gut! Überhaupt liest du zu viel!“ Anklagend hob Aetius den Zeigefinger. „Das macht es nicht einfacher, einen Mann für dich zu finden. Und deine Blutarmut, sagt Kosmas, ist auch nicht besser geworden.“ Der Medicus nickte gewichtig. „Nein, du musst mal wieder unter die Leute kommen. Festivitäten, Wagenrennen, Spiele, Zerstreuungen! Das ist es was du jetzt brauchst. Um auf andere Gedanken zu kommen, gibt es nichts Besseres. Deshalb machst du dich schnellstmöglich auf die Reise.“


    Resigniert – ihr Vater verstand sie einfach nicht – nickte Leontia. „Ja, Papa. Wie du meinst. Ich nehme an nach Baiae, zu Tante Agrippina?“ „Wer spricht denn von Baiae?! Da ist doch außerhalb der Saison nichts los. Mir will es nicht in den Kopf, wie meine Schwägerin es dort das ganze Jahr aushält. So eine reizvolle Frau sollte doch… - lassen wir das. Nein, nicht Baiae, ich spreche natürlich von Rom!“


    „Rom?“ „Ja, Rom. Noch heute schicke ich einen Brief an meinen Neffen Felix. Er ist ein umtriebiger Mann mit vielen Verbindungen, vielleicht hat er eine gute Idee wegen eines neuen Verlöbnisses.“ „Aber Papa...“ „Nichts da 'aber Papa'. Du reist in Bälde. Die Stadt hat viel zu bieten, und ich verlange, dass du dich dort ordentlich amüsierst. Nur hüte deinen Ruf, und natürlich deine Jungfräulichkeit.“ Leontia errötete, und mit einem Hauch von Trotz in der Stimme schnitt sie ein heikles Thema an. „Papa, du weißt, dass ich mich zur Vestalin berufen fühle.“ „Papperlapapp! Schlag dir das ein für alle mal aus dem Kopf. Unsereins hat heißes Blut in den Adern, flavisches Blut! Du gehörst nicht zu diesem vertrockneten Haufen, würdest da nur unglücklich werden!“ „Aber meine Cousine ist doch sogar...-“ „Still jetzt. Ich verbiete es dir.“


    Leontia sah, daß die Zornesader an der Schläfe ihres Vaters schon pochte, und schluckte ihre Einwände herunter. „Ja Papa. Ich werde sogleich packen lassen.“ „Warum denn nicht gleich so. Ich gebe dir ein paar zuverlässige Sklaven mit, aus der barkidischen Linie. Hamilkar wird sich sicher gut als dein Custos machen, und... - nun zieh doch nicht so ein Gesicht, Kind.“ Er seufzte. „Also gut, wenn du willst, darfst du die blaue Sänfte mit dem Ebenholz haben, die magst du doch so gerne.“ „Mit den Nubiern?“ „Meinetwegen.“

    Gnaeus Flavius Aetius, ein korpulenter Lebemann, der mit Stolz von sich behaupten konnte, noch nie eine Gelegenheit zur Ausschweifung ausgelassen zu haben, empfing seine Tochter in dem Gemach, das, nach seinen opulenten Fresken, Insel der Kallypso geheißen wurde. Er lag bäuchlings auf einer Massagebank, während ihm sein griechischer Medicus mit ernster Miene den Rücken mit Schropfköpfen bestückte. Auch seine neueste Favoritin war zugegen, eine bildhübsche schwarzäugige Syrerin, etwa in Leontias Alter. Sie kauerte auf dem Boden, und massierte ihrem Herren hingebungsvoll die Hände mit einem Öl, dessen dominante Moschusnote Leontia mißbilligend das Näschen krausen ließ.


    Abgesehen von dieser diskreten Unmutsäußerung, bot sie, wie sie so vor ihren Vater trat, sehr gerade und mit sittsam gefalteten Händen, ein Musterbild töchterlicher Ergebenheit. Den Medicus bedachte sie mit einem ansatzweisen Nicken, denn obgleich er ein Sklave war, schätzte sie seine Gelehrsamkeit hoch. Die Kurtisane indes war Luft für sie. „Papa. Du ließest nach mir schicken?“


    „Meine Tochter.“ sprach Gnaeus Flavius Aetius, „ich habe soeben eine Entscheidung getroffen.“ Er richtete sich auf die fleischigen Unterarme auf, und gebot der Syrerin mit beiläufiger Geste, den Raum zu verlassen. Gazellengleich schwebte sie hinaus, warf jedoch bevor sie verschwand noch einen kurzen Blick über die Schulter zurück auf Leontia, was diese veranlasste sich zu fragen: Welchen Grund mag diese verabscheungswürdige Kreatur haben, mich so triumphierend anzusehen?


    Leontia pflegte, schon seit sie ein kleines Mädchen war, einen unbändigen Hass auf die Gespielinnen ihres Vaters, und ließ keine Gelegenheit aus, diese zu drangsalieren. Im Laufe der Zeit waren ihre Methoden immer subtiler geworden, und schon manch eine der verhassten Frauen war durch ihre kleinen Ränke beim Hausherren in Ungnade gefallen, und vorzeitig beseitigt worden. Was aber eigentlich kaum einen Unterschied machte, denn Aetius war ein wankelmütiger Choleriker, der zwar rasendschnell für eine Frau entflammte, sie dann aber ebenso schnell wieder fallen ließ.
    Danach wurde der Anblick der verflossenen Geliebten ihm regelmäßig ganz unerträglich, und er pflegte sie dann von seinen Leibwächtern erdrosseln und im Meer versenken zu lassen. War auf diese Weise ein Schlußstrich gezogen, so stürzte er sich mit neuem Elan in das nächste Liebesabenteuer. Da es sich - meistens - nur um Sklavinnen handelte, hatte sich bisher niemand dazu bemüßigt gefühlt, dieser Praxis Einhalt zu gebieten. Nur die Fischer, die an der Küste ihre Netze auswarfen, munkelten von einer ganz bestimmten Landspitze, wo es angeblich nicht geheuer war, und die man besser mied – obwohl die Fische dort besonders fett waren.


    Leontia wusste über diese absonderliche Gewohnheit ihres Vaters bescheid, hielt sie für eine liebenswerte kleine Marotte, und tröstete sich, während sie ihm höflich lächelnd weiter zuhörte, mit dem Gedanken: Auch dieses unverschämte Stück wird bald Geschichte sein.

    „Da kommt Salambo.“ bemerkte die Amme nach einer Weile des Schweigens. Leontia wandte den Kopf und erblickte ihre Leibsklavin, die von der Villa Rustica her, über die abgeernteten Stoppelfelder, in schnellem Lauf auf sie zukam. Ihr Mantel flatterte hinter ihr her, und die gekrausten Locken der Halb-Nubierin wippten bei jedem Schritt.


    „Domina,“ brachte die Sklavin, als sie angekommen war, noch recht atemlos hervor, „dein Vater möchte dich sprechen, jetzt gleich.“ Verwundert erhob sich Leontia, und reichte ihre Katze und ihr Stickzeug an die Amme weiter, die das Tier argwöhnisch in Empfang nahm. „Warum?“ Ich weiß es nicht, Domina. Er war in Gesellschaft des Medicus. Vielleicht möchte er, dass du eine neue Kur versuchst?“ „Nicht schon wieder! Salambo, mein Umhang.“ Die Sklavin legte Leontia einen tiefblauen pelzverbrämten Umhang um die Schultern, und gemeinsam machten sich die beiden auf den Rückweg zur Villa.


    Die Amme blieb mit der Katze in den Armen im Pavillon sitzen, und blickte ihnen hinterher. Mit sicherem, federndem Schritt ging die Sklavin über die vom Regen aufgeweichten Wege, während die Patrizierin an ihrer Seite eher zögerlich ausschritt, einmal ausrutschte, und wohl gefallen wäre, hätte Salambo sie nicht am Arm gehalten. Unglücklich schüttelte die Amme den Kopf. Nein, mit ihrem Schützling stand es nicht zum besten. Mechanisch streichelte sie die Katze. Die holte träge mit der Pfote aus, und zog einen tiefen roten Kratzer quer über ihren Handrücken. „Biest!“

    Früh am Tag war ein Regenschauer niedergegangen, hatte den Himmel blitzblank gewaschen, und nun herrschte ein ganz besonderes Licht: klar und kühl, mit einem blassen Wintersonnen-Gelb darin. Ein Licht, das einem den Eindruck vermittelte, man könne, wenn man nur genau hinsähe, alles durchschauen. Immer wieder blickte Leontia von ihrer Stickarbeit auf, betrachtete das Meer und den unendlichen Himmel darüber, in dem heiser schreiend die Möwen flogen. Dann richtete sie den Blick wieder auf die Palla in ihrem Schoß, ließ die Nadel durch den schweren cremefarbenen Seidenstoff gleiten, und verzierte den Saum kunstfertig mit zierlichen grünen Ranken und blauen Kelchblumen.


    Sie saß, gewärmt von glimmenden Kohlebecken, in einem eleganten kleinen Pavillon auf den Klippen. Die Luft schmeckte hier frisch und salzig, und wenn das Meer seine Brecher wild gegen den Felsen warf, meinte man ein leichtes Beben zu spüren. Ihre gute alte Amme leistete ihr Gesellschaft, und las Leontia zu ihrer Erbauung Senecas Briefe über die Seelenruhe vor, wobei sie ihren Schützling immer wieder prüfend-besorgt musterte. Gerade war sie angelangt bei der Frage: „Wie aber erwerben wir uns eine beständige und zuträgliche Gemütsverfassung?“ , als draußen auf See ein schnittiges Schiff sichtbar wurde, das mit geblähten Segeln auf Ravenna zuhielt. Leontia ließ Nadel und Garn sinken, und verfolgte den Segler mit zusammengekniffenen Augen.


    „Ach mein liebes Künd!“ seufzte die Amme da mitleidig, und wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. „Wie muß er dir fehlen! Aber ich bin ganz sicher, er weilt nun in den elysischen Gefilden, und... ach... ach die Wege der Götter! So ein adretter junger Mann!“


    „Lass das Wehklagen.“ erwiderte Leontia ungerührt. „Man könnte meinen, du hättest einen Bräutigam verloren, Amme.“ Sie beugte sich zu einem weichgepolsterten Korb, der neben ihr auf dem Boden stand. Darin lag zusammengerollt ihre Lieblingskatze, eine langgliedrige und über die Maßen verwöhnte Ägypterin, die ein perlenverziertes Halsband trug. Leontia hob die Katze auf ihren Schoß, gab ihr ein Stückchen Konfekt, und streichelte langsam ihr seidiges Fell, während sie mit einem feinen Lächeln auf den Lippen dem Schiff nachsah, das eben hinter einem Kap entschwand.


    Diese weitläufigen Ländereien liegen an der Adriaküste, in der Nähe der Lagunenstadt Ravenna. In den riesigen Kornfeldern, Obstgärten und Olivenhainen schuftet ein ganzes Heer von hohläugigen Sklaven unter der Fuchtel strenger Aufseher, und mehrt den Reichtum des Grundherren. Dieser residiert mit seinem Töchterchen in einer pompösen Villa Rustica, die weiß auf einem Hügel thront, und den Bewohnern einen herrlichen Meerblick bietet.