Endlich waren sie vom Markt wieder zuhause angekommen und Albina betrat völlig erschöpft ihr Zimmer. Während des ganzen Weges hatte sie geschwiegen, nur damit beschäftigt dem kleinen Taranis ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Nun, da sie die Villa erreicht hatten, hatte Quintus ihr den Kleinen abgenommen und sie fürsorglich und nicht bestrafend in ihr Cubiculum geschickt.
Dort stand sie nun. Aesara, die gerade dabei war ihre Kammer aufzuräumen schickte sie mit einer leichten aber entschiedenen Geste hinaus. Jetzt war sie allein. Völlig allein.
Doch noch war sie nur die leere Hülle ihrer Selbst, die den Schmerz nicht spürte. So ging sie ganz langsam auf ihr Bett zu und setzte sich langsam auf die Kante.
Sie atmete tief durch, doch sie spürte nichts. Garnichts.
Sie rekapitulierte einfach die Geschehnisse nacheinander.
Ihre erste Begegnung mit Verres hier in dieser Kammer die ihr schon eine Warnung hätte sein müssen. Er hatte sie schon dort verunsichert und gereizt. Doch sie war schwach gewesen und hatte nicht auf ihre innere Stimme gehört.
Sie dachte an Verres und sie im Park. Ihre Hilflosigkeit und Angst aufgrund all der Geschehnisse hier in Rom und wegen dem Verhalten ihres Cousins. Sie dachte an Verres offenes und ehrliches Wesen, an seine liebevollen Worte und Berührungen. Sie dachte daran, dass sie es war, die ihre Hand nach Verres ausgestreckt hatte und daran, dass sie es war die empört gehen wollte, als er meinte es täte ihm leid. Er hatte sie gebeten nicht zu gehen. Und in diesem Moment hatte sie diese fatale Entscheidung getroffen. Sie war geblieben...
Und dann war ihnen Cato begegnet, ohne dass einer der drei wusste, welche Katastrophe das hätte bedeuten können.
Sie dachte an die darauffolgende Nacht, in der sie nicht hatte schlafen können und daran, dass Verres dann auf einmal in ihrem Cubiculum stand. Sie erinnerte sich, wie wundervoll er gewesen war. Wie herrlich das Gefühl seiner Nähe und wie liebevoll sein Verständnis für ihre Ängste. Wie glücklich war sie in dem Moment, als sie auf seiner Brust eingeschlafen war. Würde sie das je wieder sein können? Sie glaubte es nicht.
Sie dachte an den Moment mit Quintus im Tablinum als er ihr die Kette geschenkt hatte...
Und sofort bei diesem Gedanken fasste sie die Kette an, die sie im Moment gerade um den Hals trug. Sie hatte das Gefühl, die Kette würde sie erdrücken.. Sie stand ruckartig auf, nahm die Kette ab und legte sie weit nach unten in eine der Kisten.
Wie hatte ihr Cousin die Kette begründet? Weil sie sich wie eine Dame verhalten hatte? Bei dem Gedanken daran wurde ihr schlecht. Schnell schloss sie die Truhe. Albina war von sich selbst angewidert. Wie hatte sie ihren geliebten Cousin so hintergehen, so verletzen können. Und dass er ihr das auch noch verzieh und sich um sie sorgte, machte es nicht besser. Sie kam sich schäbig vor...
Sie dachte daran, wie Cato dann das Tablinum betreten hatte und sie gedacht hatte alles sei aus. Wie sie ihrem Cousin direkt ins Gesicht gelogen hatte und anschließend mit Cato in seiner Kammer darüber gesprochen hatte.
Er hatte sie gewarnt... Oh ja, das hatte er.
Bei diesen Gedanken ging sie im Zimmer auf und ab und fuhr sich immer wieder mit den Händen durch ihre Haare.
Sie dachte an das mulmige Gefühl, dass ihr die Erkenntnis , dass Quintus sowohl Verres als auch Titus als Begleitung mit auf den Markt hatte nehmen wollen, beschert hatte. Es war eine böse Vorahnung gewesen und sie hatte sich bestätigt.
Soviele kleine Unachtsamkeiten, solch kleine Streiche des Schicksals... Warum hatte Verres zusammenbrechen müssen? Warum hatte sie seinen Namen rufen müssen? Warum war ihr bei Verres Worten schwarz vor Augen geworden? Doch auf all diese Fragen gab es keine Antworten. Sie hatte sich doch schon entschieden das ganze zu beenden... Mit allem Schmerz der Welt zwar, aber sie hatte sich entschieden...ihrem Cousin und natürlich auch Verres zu liebe. Doch es hatte nichts geändert.
Die Götter hatten sie bestraft. Doch noch immer wusste sie nicht, wofür. War es so falsch einen Menschen zu lieben. Und ja, sie liebte Verres... sie liebte ihn auch jetzt noch. Sie dachte an die liebevollen Blicke von Verres und an den eiskalten Blick im Gesicht ihres Cousins , als er erkannte was geschehen war. Sie dachte an die eiskalte Frage "Seit wann?" ihres Cousins und auch an den resignierenden Blick von Verres.
In genau diesem Moment brachen all die Gefühle von vorhin erneut auf sie ein. Der ganze Schmerz, die Angst , die Trauer...
Verres, dachte sie, wo bist du? Was geschieht jetzt mit dir? Sie malte sich die schrecklichsten Dinge aus und ihre Gedanken überschlugen sich beinahe. Sie würde ihn nicht wieder sehen, dass hatte Quintus vorhin unmißverständlich klargestellt. Ihn nie wieder sehen? Niemals? Sie hatte sich nicht einmal von ihm verabschieden können. Ihr wurde übel vor Schmerz. Bei diesen Gedanken zog sich ihr Magen zusammen und sie hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Sie ging zurück zum Bett und kugelte sich darauf zusammen.
Verres, dachte sie, bitte verzeih mir... Bitte vergib mir!
Ihr nächster Gedanke gehörte Quintus... Ich habe diese Gnade nicht verdient, wollte sie schreien. Doch kein Ton kam über ihre Lippen. Tränen überströmten ihr Gesicht.
Mit angezogenen Knien und den Händen in eines der Kissen gekrallt lag sie auf ihrem Bett und litt Qualen die schlimmer waren als Alles , was sie sich je hatte vorstellen können.
"Warum?" schrie sie in ihr Kissen, sodass nur ein gedämpftes Geräusch von dem Ton übrig blieb. Und dann begann sie sich einfach dem Schmerz hinzugeben, schluchzte und jammerte, schrie und schlug auf ihr Kissen ein, weinte und wimmerte.
Doch kaum etwas davon durchdrang die Wände ihres Zimmers und niemand schien mitzubekommen, dass Albina in diesen Momenten den schwersten Kampf ihres Lebens führte...