Die beiden jungen Frauen scheinen sich nicht bewusst zu sein, was dort hinter dem Gang liegt. Es ist mehr als nur eine Höhle im Fels, mehr als ein Kultraum, es ist das Orakel und doch nur Teil dessen, nichts ohne die Sibylle, nichts ohne die Götter. Es ist das Tor zur Welt, das Tor ins Elysium und das Tor in den Hades, das Tor in jeden einzelnen Menschen und aus jedem Gedanken heraus. Es ist ein Raum wie es Zeit ist, es ist Vergangenheit und Zukunft, Gegenwart und Traum, Anfang und Ende. Blass ist die Erinnerungen der alten Priesterin, voller lebendiger Farben, jede Sekunde, in der sie selbst Teil des Orakel war ist tief in ihr verankert und doch nur nebulöses Andenken an ein fernes, längst vergangenes Leben. Wissend nickt sie Aurelia Prisca auf ihre erstaunte Frage zu und nimmt dann die Tafel der Sklavin entgegen.
Die Worte Tillas über ihre Vergangenheit gleiten an der Alten vorbei wie ihre eigene Erinnerung. Nichts von alledem ist bedeutend für das Orakel, nur die Frage, die sie in ihren Händen trägt.
"Wartet hier, ich werde dem Orakel deine Frage überbringen."
Ohne einen Blick zurück verschwindet die Priesterin in dem Gang, welchen sie schon so oft mit Fragen betreten hat. Der dunkle Schatten der Felsen verschluckt sie, nur dass das helle Tageslicht, das durch die Öffnungen im Stein fällt, sie danach wieder einhüllen kann. Licht und Schatten, Frage und Antwort, Schatten und Licht, Frage und Antwort, bis dass das Orakel die Alte verschluckt.
Während Prisca und Tilla im nun leeren, gewölbeartigen Raum warten, ertönt vom Ende des Gangs her ein leises Pfeifen, dann ein Summen und Surren, vielleicht von menschlichen Stimmen erzeugt, vielleicht von merkwürdigen Instrumenten. Heulend zieht ein Windhauch durch den Gang zu ihnen, vielleicht ist es auch das Klagen einer Frau, doch was immer es ist, die Flammen in den Feuerschalen, die den Raum erhellen, flackern in seinem Luftzug.