Beiträge von Aurelia Helena

    Helena sah Priscas eindringlichen Blick durchaus und es fiel ihr schwer ernst zu bleiben. Schon lange hatte sie nicht mehr so viel Spaß gehabt, auch wenn sie wusste, dass sie sich damit ziemlich in Schwierigkeiten bringen konnte. Aber was wäre das Leben langweilig ohne ein bißchen Risiko? Und allem Anschein nach schien Prisca das ähnlich zu sehen, denn das breite Grinsen auf ihren Lippen schien dem warnenden Blick zu wiedersprechen. Helena zwinkerte ihr zu, geradenoch rechtzeitig, bevor sich Octavius Dragonum zwischen ihnen niederließ. Schon kurze Zeit später öffneten sich die Tore und die ersten Gefangenen betraten die Arena. Helena reckte ihren Hals ein wenig und ließ ihre Blicke über die Männer schweifen. Alle sahen sehr verängstigt aus. Kein Wunder bei dem was ihnen bevorstand. Als hätten die Tiger ihre Gedanken gehört stürmten sie plötzlich in das Oval. Die Begeiserungsstürme der Zusschauer nahmen zu, doch Helena hatte nur noch Augen für die Tiger. Nicht umsonst waren es ihre Lieblingstiere und selbst von ihrer Position aus konnte sie die Anmut dieser Tiere erkennen.
    "Sind sie nicht wunderbar?" Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Tilla sich wieder auf ihr Kissen setzte und eine Schale Früchte in ihrer Nähe abstellte. Helena beugte sich hinüber und griff nach ein paar Weintrauben, bevor sie der Sklavin kurz zunickte. Dann wanderte ihr Blick sofort wieder auf das Geschehen unter ihr. Auf Priscas Aufforderung hin wanderte ihr Blick zu dem Mann, der schon in den Klauen eines Tigers gefangen war. Erneut beugte sie sich ein wenig vor, um auch ja nichts zu verpassen. "Ich glaube kaum, dass ihm jemand helfen wird. Die meisten Gefangenen kämpfen doch für sich selbst oder haben viel zu viel Angst."
    Bei Octavius Dragonums Worten nickte sie zustimmend und folgte dann seinem Blick zu der Dreiergruppe. In diesem Moment gruben sich die Fangzähne in die Kehle eines Mannes. Helena fiel in das begeisterte Raunen der Menge mit ein. Sie hatte noch nie Probleme damit gehabt Blut zu sehen. Viel eher fand sie die Bewegungen der Tiger faszinierend. An die Menschen verschwendete sie kaum einen Gedanken. Sie ließ sich von der Begeisterung anstecken. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihr Herz klopfte schneller. Helena nahm einen Schluck aus ihrem Becher und sah dann kurz zu ihrem Begleiter. Zu gerne hätte sie gewusst, wie er über dieses ganze Spektakel dachte. Als sich ihre Blicke kurz begegneten lächelte sie und sah dann wieder in die Arena hinunter.

    "Wieder etwas, wofür wir Frauen euch Männer beneiden." Helens seufzte gespielt dramatisch, bevor sie weitersprach. "Das was du gerade erlebt hast passiert wirklich sehr selten. Normalerweise kann ich Stunden in so einem Laden verbringen ohne mich entscheiden zu können. Vielleicht sind wir einfach zu wankelmütig. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass es die meisten Männer graust mit einer Frau einkaufen zu gehen. Du bist also wirklich sehr mutig." Ein kurzes Grinsen huschte über ihre Lippen. "Aber du solltest dir wirklich überlegen ob du mich öfter begleiten willst. Wie gesagt, das war eine Ausnahme und beim nächsten Mal kann es ganz anders laufen." Plötzlich wurde ihre Miene wieder ernst und sie sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an. "Auch wenn ich mich wirklich sehr freuen würde." Ihre Wangen röteten sich leicht, wenn das auch nichts im Vergleich zu dem Rot war, indem Flavius Lucanus' Wangen glühten. Helena beschloß das zu ignorieren und sah sich stattdessen nach ihrem Leibwächter um, der ganz in ihrer Nähe stand. Mit einer kurzen Handbewegung schickte sie ihn vorwärts, damit sie ungehindert ihren Weg fortsetzten konnten.


    Das was er über Glück gesagt hatte beschäftigte Helena. Man kann sich die Sorte Glück aussuchen... Gerade die letzten Wochen hatten ihr gezeigt, dass das eben doch nicht so einfach war. Sonst wäre das mit Marcus nie passiert. Gegen ihren Willen hob sie eine Hand und fuhr damit über die schmale Narbe an ihrem Handgelenk. Hätte sie es sich aussuchen können, dann wäre alles ganz anders gelaufen. Aber vielleicht hatten die Götter einfach beschloßen, dass sie kein Glück verdient hatte. Hatte sie sie irgendwie erzürnt? Andererseits, wenn dem so wäre, hätte sie dann Flavius Lucanus kennengelernt? Einen jungen Mann, der sie zum Lachen bringen konnte und ihr zeigte, dass das Leben nicht ganz so düster war wie sie es in den letzten Wochen erlebt hatte? Helena schüttelte kurz den Kopf und lächelte dann. Sie machte sich schon wieder zu viele Gedanken. "Du hast Recht mit dem was du sagst. Die meisten Menschen sind mit dem was sie haben nicht zufrieden. Immer muss es etwas Besseres sein. Ich muss zugeben, das es mir manchmal selbst schwerfällt mich an dem zu erfreuen was ich schon habe. Obwohl es ja bei Männern, was Macht und Karriere angeht noch einmal was ganz anderes ist." Er wollte also keine Karriere machen? Helena fragte sich, was Flavius Lucanus sich für seine Zukunft vorstellte und da sie nunmal recht neugierig war beschloß sie, ihn einfach zu fragen. "Wie siehst du dich denn in, sagen wir mal, zehn Jahren?" Auf seinen Vorschlag hin was ihren nächsten Zielort betraf lachte sie leise. "Zu Tiffanius? Meinst du nicht ich habe heute schon genug Geld ausgegeben? Aber naja, wenn du versprichst mich zurückzuhalten, dann können wir gerne dorthin gehen."

    Helena lächelte dankbar als er ihre Einladung zum Essen annahm und ihr beteuerte, dass er gerne mit ihr in die Stadt gehen würde. Am Liebsten wäre sie sofort aufgesprungen und hätte diesen Plan in die Tat umgesetzt, aber sie wusste genau, dass sie wohl nur ein paar Schritte schaffen würde, bevor die Schwäche erneut zuschlug. Sie würde sich wohl oder übel noch ein wenig gedulden müssen. Als er von seiner Schwester berichtete horchte Helena interessiert auf. Sie hatte Aurelia Minervina bis jetzt noch nicht kennengelernt, aber es war immer schön ein neues weibliches Familienmitglied zu bekommen. Dann gab es endlich jemanden mit dem man sich über die neuste Mode und die letzten Feste auslassen konnte. Prisca würde das sicher ebenfalls freuen.


    "Oh ich denke, du wirst dich ziemlich wundern. Wenn ich mich an meine Heimkehr erinnere. Marcus Worten nach habe ich mich sehr verändert, so das er mich kaum wiedererkannt hätte. Ich denke, das wird dir mit deiner Schwester ähnlich gehen. Aber ich freue mich sehr sie bald kennenlernen zu dürfen."


    Das was nun folgte war weniger schön. Ursus schien sich richtig in Rage zu reden und man konnte die Erbitterung deutlich aus seinen Worten heraushören. Helena schwieg und hörte sich alles genau an ohne ihn zu unterbrechen. Sie hatte das Gefühl, dass es ihm mal ganz gut tat sich das Ganze von der Seele zu reden. Das es um Marcus ging machte es für Helena nicht gerade leicht. Aber nun war sie an der Reihe zumindest zu versuchen zu helfen, also musste sie ihre Gefühle aus dem Spiel lassen. Ursus schilderte Marcus in einem Licht, das sie nicht kannte. Sie wusste, dass er unerbittlich sein konnte, aber da sie sich mit ihm noch nie über politische oder familiäre Dinge unterhalten hatte wusste sie nicht, wie er dazu stand. Sie lehnte sich ein wenig nach vorne und legte Ursus eine Hand auf das Knie.


    "Titus, wenn ich gewusst hätte, dass es dir so schlecht geht, dann hätte ich dich doch viel früher darauf angesprochen. Es tut mir Leid! Wie selbstverliebt ich doch war!" Helena seufzte und zog dann ihre Unterlippe zwischen die Zähne um nachdenklich darauf herumzukauen. "Wie du dir bestimmt denken kannst weiß ich nicht viel über die Politik und noch weniger darüber, wie Marcus zu solchen Dingen steht. Das ist kein Thema, das man in der Gegenwart einer Frau anschneidet." Helena lächelte leicht bevor sie weitersprach. "Aber ich weiß, dass Marcus sehr viel Wert auf die Familie legt. Deswegen kann ich mir eigentlich kaum vorstellen, dass er dich so benachteiligt. Versteh mich nicht falsch. Natürlich glaube ich dir. Aber...hat es irgendeinen Grund gegeben, der dieses Mißtrauen erklären könnte? Hattet ihr Streit?" Helena schwieg einen Moment. Es kam ihr widersinnig vor, das gerade sie Marcus verteidigte oder zumindest versuchte ihn zu verstehen. Wer verstand schon diesen Mann?! "Es kann natürlich möglich sein, dass er dich aus irgendeinem Grund einfach nicht leiden kann. Ich kann mir zwar keinen vorstellen, aber wer weiß. Ich denke, du bist ein sehr fähiger Mann und es gibt meiner Meinung nach keinen Grund, warum er dich aus den Familienangelegenheiten würde heraushalten wollen. Hast du ihn mal direkt darauf angesprochen?"

    Helena schwieg während Decimus Mattiacus sein kurzes Gebet sprach. Warum war er hier? Wollte er sich wirklich nur davon überzeugen, dass es seiner Patientin besser ging? Immer mehr zweifelte sie an dieser einfachen Erklärung, aber das würde sich sicher herausfinden lassen. Bevor sie ihn jedoch darauf ansprechen konnte überraschte er sie mit der Aussage, dass er in Germanien gewesen war. Helena beugte sich wieder ein wenig vor und musterte ihn neugierig.


    "Du warst in Germanien? Wann denn? Ich selbst bin bis vor einiger Zeit noch dort gewesen. Es wäre zu schade, wenn wir beide dort gewesen sind ohne es gewusst zu haben. So manch langweilige Tage hätte ein Spaziergang in angenehmer Gesllschaft sicher versüßt." Helena lächelte leicht bevor sie weitersprach. "Und du hast Recht. Das Essen dort ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Glücklicherweise hatten wir einen Koch in der Villa, der uns mit heimischen Speisen verwöhnt hat. Sonst hätte ich es dort sicher nicht so lange ausgehalten. Wo genau in Germanien bist du denn gewesen?"


    Erneut griff sie nach einer Weintraube und kaute bedächtig darauf herum. Schon als Kind hatte sie diese Früchte am Liebsten gegessen und das hatte sich bis heute nicht geändert. Nachdenklich ließ sie einen Finger über die Kante des Tisches wandern. Normalerweise war sie nicht so direkt, aber sie hatte sich geschworen, dass sie sich ändern würde. Also warum nicht gleich damit anfangen? Ihr Blick, mit dem sie Decimus Mattiacus musterte wurde mit einem Mal bohrend.


    "Widmest du eigentlich jeder Patientin soviel Aufmerksamkeit?"

    Helena nickte zufrieden als sie Flavius Lucanus' Worte hörte. Was würde er wohl für Augen machen, wenn er sie wirklich in so einem Kleid sah? Vielleicht schon auf dem nächsten Fest? Ob es ihm gefallen würde? Helena schüttelte kaum merklich den Kopf. Über soetwas sollte sie nicht nachdenken! Sie hatten sich doch heute erst kennengelernt. Um sich von diesem Gedanken abzulenken sah sie wieder auf das Kleid hinunter. Und obwohl sie ihre Blicke noch einmal über die anderen Exemplare schweifen ließ, hatte sie ihre Entscheidung eigentlich schon längst getroffen. Dieses Kleid würde es sein! Als wenn er Gedanken lesen könnte kam in diesem Moment ein Angestellter des Ladens auf ihn zu. Bevor er zu Wort kommen konnte hielt Helena ihm das Kleid entgegen und lächelte freundlich.


    "Das soll es werden. Ich erwarte, dass morgen Nachmittag jemand in die Villa Aurelia kommt, um meine Maße zu nehmen. Sag, dass Aurelia Helena nach einem Schneider geschickt hat."


    Sie gab ihrer Stimme einen bewusst arroganten Ton, doch als sie kurz zu ihrem Begleiter hinüber sah, zwinkerte sie schelmisch. Der Mann selbst nickte nur ein wenig überrascht. Erst jetzt bemerkte Helena, dass sie sich überhaupt nicht nach dem Preis erkundigt hatte. Aber sie war sich sicher, dass sie es sich würde leisten können. Mit wenigen Worten verabschiedete sie sich und zog Flavius Lucanus dann wieder aus dem Laden heraus. Draußen angekommen lachte Helena fröhlich auf.


    "Hast du sein Gesicht gesehen? Herrlich! Du hast übrigens Glück gehabt. Normalerweise kann ich mich nie so schnell entscheiden. Vielleicht sollte ich dich öfter mit zum Einkaufen nehmen?" Für einen Mann musste das wie eine Drohung klingen, das wusste Helena. Dann tat sie plötzlich etwas, was Marcus sicher hätte in Ohnmacht fallen lassen, hätte er es gesehen. Sie beugte sich vor und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. "Danke! Der Tipp war wirklich super! Hier werde ich ab heute öfter hingehen."


    Glücklicherweise waren die vorbeigehenden Pasanten viel zu sehr damit beschäftigt sich die Auslagen anzusehen als das sie die schnelle Bewegung bemerkt hätten. Helena trat auch sofort wieder einen Schritt zurück und brachte den gebührenden Abstand zwischen sich und Flavius Lucanus. Jetzt fielen ihr auch wieder seine Worte ein, die er ihr kurz vor Betreten des Ladens ins Ohr geflüstert hatte. Jetzt, nachdem sie ein passendes Kleid gefunden hatte konnte sie auch darauf antworten.


    "Die meisten Männer, die ich bisher kennengelernt habe, konnten es kaum erwarten Karriere zu machen. Es hat sicher etwas faszinierendes Macht ausüben zu können. Aber Macht kann auch einsam machen. Gerade in hohen Positionen. Man weiß nicht, wem man trauen kann oder wer hinter deinem Rücken Intrigen spinnt. Vielleicht ist das Leben eines Fischers wirklich einfacher und möglicherweise sogar glücklicher. Ich weiß es nicht." Helena verstummte kurz und wirkte seltsam nachdenklich, bevor das fröhliche Lächeln auf ihre Lippen zurückkehrte. "So und wohin führst du mich jetzt? Das Kolosseum?"

    Helena sah Ursus mit einem fast liebvollen Ausdruck in den Augen an. Sie war ihm so dankbar, dass er für sie da war. Sie hatte das Gefühl, dass er, abgesehen von Prisca, der Einzige war mit dem sie wirklich sprechen konnte und ja, dass er der Einzige war, der sich wirklich für sie interessierte. "Naja, deine Hilfe brauch ich jetzt vielleicht nicht unbedingt, aber ich würde mich sehr freuen, wenn wir in der nächsten Zeit vielleicht mal zusammen in die Stadt gehen könnten. Ich meine, ich weiß ja, dass du viel zu tun hast, aber eine Pause kannst du sicher auch mal gebrauchen. Und vielleicht kann ich dich ja zum Essen einladen? So als kleines Dankeschön." In der Stadt war momentan wahrscheinlich noch mehr los als sonst. Immerhin war der Kaiser gestorben und wo konnte man besser die neusten Gerüchte erfahren als auf dem Markt und in den Straßen? Aber darum ging es Helena eher weniger. Ihr war es wichtig endlich mal wieder aus der Villa herauszukommen.


    Das Ursus' Miene sich plötzlich verdüsterte fiel ihr natürlich sofort auf. Sie bereute es schon, dass sie ihn auf diesen speziellen Abend angesprochen hatte. Scheinbar gab es wirklich etwas, das ihn sehr beschäftigte. Doch als er ihr den Grund dafür nannte, wusste sie im ersten Moment nicht was sie sagen sollte. Er hatte also Probleme mit Marcus. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Irgendwie war sie davon ausgegangen, dass die Beiden sich sehr gut verstanden. "Einen vertrauensunwürdigen Taugenichts? Wieso sollte er dich so einschätzen? Das kann ich kaum glauben." Wieder wurde ihr bewusst, wie wenig sie eigentlich von ihrer Familie wusste. Helena seufzte leise und schüttelte dann den Kopf. "Entschuldige, wenn du nicht darüber reden möchtest ist das vollkommen in Ordnung."

    Helena lachte amüsiert auf als sie die Worte ihres Besuchers hörte.


    "Nun, solange er dann nicht mir die Schuld gibt, dass er warten musste kann es mir nur Recht sein."


    In diesem Moment klopfte es zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit an ihrer Tür. Nach einem kurzen "Herein!" seitens Helena trat Marina rein und balancierte dabei ein Tablett, auf dem ein Krug Wein, ein Krug Wasser, zwei Becher und eine Schale Weintrauben stand. Nachdem sie ihre Fracht auf dem Tisch abgestellt hatte verschwand sie wieder. Helena füllte einen Becher mit Wein und reichte ihn an Decimus Mattiacus weiter.


    "So, hier ist der Wein. Lass ihn dir schmecken."


    Helena griff nach einer Weintraube und ließ sich dann wieder in ihrem Sessel zurücksinken. Während sie ihren Besucher beobachtete verschwand die kleine Frucht zwischen ihren Lippen.

    Helenas Blick ruhte auf dem Gesicht ihres Begleiters und bei seinen Worten huschte ein kurzes Schmunzeln über ihr Gesicht. Sie würde ihm nicht sagen, dass man ihm das bäuerliche Umfeld nur zu gut anmerkte, denn das würde ihn sicher verletzten. Auch wenn sie es eigentlich gar nicht negativ meinte. Denn wahrscheinlich hatte diese Erziehung ihn zu dem gemacht was er nun war und sie musste zugeben, dass seine offene und fröhliche Art ihr sehr gefiel. "Ich frage mich manchmal, was aus uns geworden wäre, wenn wir unter anderen Umständen geboren worden wären. Ich weiß, es ist müßig darüber nachzudenken, aber manchmal, in einsamen Momenten...Meine Kindheit ist nicht so verlaufen wie ich es mir gewünscht hätte. Meine Mutter ist früh gestorben, meinen Vater habe ich fast nie gesehen. Ja, es fehlte mir an nichts, aber wie heißt es so schön? Mit Geld kann man nicht alles kaufen." Helena seufzte kurz, doch dann zuckte sie mit den Schultern wie um eine lästige Fliege zu vertreiben. "Aber lass uns von etwas anderem reden. Der Tag ist viel zu schön um ihn sich mit solch finsteren Gedanken zu verderben."


    Noch immer folgten sie der schmaleren Seitenstraße und obwohl es auch hier die verschiedensten Läden gab bemühte Helen sich, sich nicht allzu sehr ablenken zu lassen. Sie wusste, dass es für Männer meistens nur furchtbar langweilig war mit einer Frau zusammen einkaufen zu gehen. Und auch wenn Flavius Lucanus erfrischend anders war als andere Männer teilte er diese Abneigung sicher trotzdem. Wahrscheinlich bereute er es schon, ihr von diesem Laden erzählt zu haben. Wie auf ein Stichwort hin wies er plötzlich auf ein Haus und bedeutete ihr, dass sie dort diese ominöse Coco finden würde. Helena nickte erfreut und griff dann nach seiner Hand, um ihn schlichtweg hinter sich her zu ziehen. Ohne groß nachzudenken trat sie ein und blieb erst mitten im Geschäft stehen. Neugierig sah sie sich um und fast sofort blieb ihr Blick auf einem Kleid hängen. Wie magisch angezogen trat sie näher und ließ ihre Finger über den weichen Stoff gleiten. Es war fast schon schlicht zu nennen. Beiger Stoff, mit Goldfäden durchwirkt. Auf den Schultern wurde das Kleid von zwei schmalen Ringen gehalten. Helena trat einen Schritt zurück und betrachtete es einen Moment nachdenklich. Dann griff sie danach, drehte sich zu Flavius Lucanus um und hielt es sich vor den Körper. "Sieh mal! Ist das nicht wunderschön? Was meinst du? Würde es mir stehen?" Es war ein wenig zu lang und wohl auch etwas zu weit, aber es ging ihr auch erstmal nur um den Gesamteindruck. Sollte sie sich dazu entscheiden dieses Kleid zu nehmen, würde sie den Schneider (oder die Schneiderin) in die Villa bestellen, damit man dort ihre Maße nehmen konnte.

    Helena sah kurz auf die Hand hinunter, die auf ihrer lag. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glauben, dass Decimus Mattiacus mehr für sie empfand als es ein Arzt normalerweise gegenüber seiner Patientin tun sollte. Allerdings hatte sie gerade in den letzten Tagen gemerkt, dass sie sich auf ihre Gefühle nicht verlassen sollte. Wahrscheinlich bildetet sie sich das einfach nur ein. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen während sie ihm antwortete. "Nun wenn dem so ist, dann werde ich das so hinnehmen. Aber ich stehe in deiner Schuld. Wenn es also irgendwann etwas gegen sollte, dann scheu dich nicht es mir zu sagen." In diesem Moment klopfte es an der Tür. Helena richtete sich ein wenig auf, in der Erwartung, dass Marina mit dem Wein zurückkam. Aber es war nicht Marina, sondern Brix, der eine kurze Nachricht von Marcus überbrachte. Helena verzog kurz die Lippen. Irgendwie war es egal was sie tat, Marcus war immer auf die ein oder andere Art und Weise anwesend. Wie sollte sie ihn da vergessen? Von diesen gedanken ließ sie sich natürlich nichts anmerken. Decimus Mattiacus hatte seine Hand mittlerweile zurückgezogen. Helena lehnte sich zurück und seufzte dann leise. "Den Hausherrn sollte man wohl nicht warten lassen, nicht wahr? Aber ich fände es schade, wenn dein Besuch damit schon beendet wäre. Wenn es deine Zeit erübrigt würde ich mich freuen, wenn du nach dem Gespräch zu mir zurückkommen würdest. Dann ist sicher auch der Wein da."

    "Denkst du das weiß ich nicht?" Helenas Stimme wurde mit einem Mal laut und als sie das bemerkte verstummte sie schlagartig. Sie schloß kurz die Augen und lächelte entschuldigend. "Tut mir leid. Marcus hat mir genau das Gleiche gesagt und an sich bin ich mir dessen auch bewusst. Aber können wahre Gefühle denn so falsch sein? Ich meine, wieso lässt die Natur, oder die Götter oder wer auch immer es zu, dass ich mich in ihn verliebe, wenn es so nicht vorgesehen ist?" Sie sah Ursus fast herausfordernd an, doch dann senkte sie den Blick wieder und stellte den Becher auf dem kleinen Tisch ab. "Aber das ist mittlerweile auch egal. Ich weiß, dass es nicht geht. Zum einen, weil wir zu nahe verwandt sind, zum anderen, weil er meine Gefühle nicht erwiedert. Es tut immer noch weh, aber es wird vorbeigehen. Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass ich stark genug bin um darüber hinweg zu kommen." Das Lächeln, das nun ihre Lippen zierte war durchaus zuversichtlich zu nennen. Das lag aber eher daran, dass Helena genau wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie musste nach vorne blicken, egal was ihre Gefühle ihr auch sagen wollten. Auf Emotionen zu hören konnte gefährlich werden, dass hatte sie nun selbst erlebt. In Zukunft würde sie eher auf ihre Vernunft hören. "Und was den nächsten Mann betrifft..ich denke ich hab erstmal genug davon. Noch so einen Reinfall will ich mir ersparen. Ich denke es ist besser wenn ich erstmal alleine bleibe. Und euch noch ein bißchen länger zu Last falle." Nun war auch das amüsierte Funkeln in ihren Auge wieder da. Sie hatte lange genug gelitten. "Wenn Marcus mit mir reden will soll er kommen. Oder ich gehe selbst zu ihm. Da bin ich mir aber noch nicht so sicher. Ich will ihn ja nicht zu etwas zwingen wozu er noch nicht bereit ist. So und nun lass uns von etwas anderem reden. Es gibt da etwas, was ich dich eigentlich schon lang fragen wollte." Helena rutschte auf ihrem Sessel ein Stück nach vorn und sah Ursus direkt in die Augen. "Vielleicht kanst du dich noch an unser Abendessen mit Philonicus erinnern? Es ist schon eine Weile her. Ich hab an diesem Abend das Gefühl gehabt, dass dich etwas bedrückt. Und da wir bis jetzt nur über mich geredet haben, denke ich ist es an der Zeit, dass mal zu ändern. Gibt es etwas, was dich bedrückt?"

    Unter normalen Umständen hätte Helena es sicher interessant gefunden was Ursus da über Macht sagte. Immerhin erzählte das sehr viel von seiner Einstellung zu Politik und Kariere. Sie hörte seine Worte auch, war aber viel zu sehr damit beschäftigt die Gefühle, die immer noch irgendwo in ihr schlummerten unter Verschluß zu halten. Marcus wusste also Bescheid und er hatte sie nicht besucht. War sie ihm so egal? Das hättest du nicht verkraftet! Ob das vielleicht der Wahrheit entspach? Sie wusste darauf keine wirkliche Antwort. Sicher fürchetet sie sich vor dem Gespräch, aber andererseits hatte sie das Gefühl, als ob sie ohne ein Gespräch nicht damit würde abschließen können. Und das wollte sie! Helena schwieg einen Moment bevor sie langsam den Kopf hob.


    "Du hast den Brief also gelesen. Das ist mir jetzt irgendwie peinlich. Sicher hälst du mich für ein zickiges kleines Mädchen." Helena stockte kurz, zwang sich dann aber weiterzusprechen. "Ich kann dir nicht genau erklären warum ich es getan habe. Ich fühlte mich so...ungeliebt? Unverstanden? Ich kann es nicht wirklich ausdrücken. Weißt du, wir haben uns geküsst..." Helenas Blick wurde ein wenig verträumt als sie daran dachte, doch schnell kehrte sie in die Wirklichkeit zurück. "Nein, ehrlich gesagt habe ich ihn geküsst, aber er hat meinen Kuss erwidert. Und dann hat er....naja er hat ungefähr das gleiche gesagt was du mir gerade auch gesagt hast. Heute versteh ich es, auch wenn es immer noch weh tut. Aber damals..." Helenas Worten nach schien es schon ewig her zu sein, auch wenn es erst ein paar Tage waren. Schließlich seufzte sie und richtete sich wieder ein wenig auf. "Ich erwarte doch gar nichts von euch! Wie sollte ich auch, immerhin bin ich diejenige, die einen großen Fehler gemacht hat. Marcus...wenn es ihm besser damit geht, dann werden wir über dieses Thema einfach nicht mehr reden. Das kannst du ihm gerne ausrichten. Und von dir? Du hast schon genug getan und das du nun hier bist reicht mir vollkommen." Helena versuchte zu lächeln und griff nach dem Becher Wasser um einen Schluck zu trinken. Schließlich senkte sie den Becher wieder und drehte ihn in den Händen. Es gab noch eine Frage, die sie ihm eigentlich nicht stellen wollte, doch sie rutschte ihr trotzdem über die Lippen. "Was..hat er denn gesagt?"

    Das triclinium schien Helena, die schon seit Tagen in ihrem Zimmer eingesperrt war wie das Paradies. Der Garten wäre natürlich noch besser, aber wie sie ihre Aufpasser kannte, würde man ihr wohl nicht erlauben alleine dort hin zu gehen. Vielleicht konnte Ursus sie ja begleiten? Helena wollte schon den Mund öffnen um ihn zu fragen, doch dann hielt sie sich zurück. Er hatte so schon wenig Zeit und kam so oft zu ihr wie es ihm möglich war. Da schien e ihr unverschämt ihn auch noch damit zu belasten. Vielleicht hatte Prisca ja ein wenig Zeit. Oder, wenn es gar nicht anders ging, würde sie sich eben mit einer der Sklavinnen begnügen. Während Ursus sich um ihr Handgelenk kümmerte ließ Helena ihre Gedanken schweifen. Mittlerweile wusste wohl jeder in der Villa was sie getan hatte. Bis jetzt war sie nur freundlich behandelt worden, eher wie ein rohes Ei, wenn sie ehrlich war. Was man wirklich über sie dachte wusste sie nicht. Und Marcus...er hatte sich noch kein einziges Mal blicken lassen. Helena presste ihre Lippen aufeinander, lächelte dann aber, als Ursus auf den Kaiser zu sprechen kam.


    "Ja, ich habe davon gehört. Marina hat es mir erzählt. Ich kann mir gut vorstellen, dass das an der Stadt nicht spurlos vorbei geht. Hatte man denn nicht eigentlich die Hoffnung, dass er sich wieder erholen würde? Nunja, ich denke, dass sich die Wogen schnell wieder glätten werden, nicht wahr? Immerhin sollte sein Sohn ein würdiger Nachfolger sein."


    Helena wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. Sie kannte sich nicht sonderlich gut mit Politik aus. Ihr Problem war, dass sie viel zu sehr auf ihre Emotionen achtete, als ihren logischen Menschenverstand einzusetzten. Zumindest war das bis jetzt so gewesen, aber das sollte sich ändern. Sie wusste, dass sie von vielen noch als kleines Mädchen angesehen würde. Als naives kleines Mädchen, besonders nach ihrer Verzweiflungstat. Das würde sich jetzt ändern. Doch vorher musste sie noch etwas klären. Helena rutschte auf ihrem Sessel ein Stück nach vorne und sah Ursus kurz an, bevor sie den Blick auf ihren Verband senkte. Ihre Finger spielten nervös mit der Nadel.


    "Titus, ich...ähm...ich habe mich noch gar nicht richtig bei dir bedankt. Wärst du nicht gewesen und hättest du mich nicht aus dem Wasser gezogen....Wahrscheinlich fragst du dich immernoch, warum ich das getan habe. Wenn du es möchtest werde ich es dir erklären, aber...sag, hast du Marcus von der ganzen Sache erzählt?"

    "Ja, es geht mir schon viel besser. Ein bißchen schwach vielleicht noch, aber ansonsten fast wieder wie früher. Nur kann ich es kaum erwarten das Zimmer endlich wieder verlassen zu können. Mir fällt hier die Decke auf den Kopf." Helena seufzte, doch Ursus schaffte es, sie von den unschönen Gedanken abzulenken, indem er ihr das Körbchen in die Hand drückte. Helena sah neugierig hinein und ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen als sie den Inhalt sah. Was Süßigkeiten betraf war sie wohl immer noch ein kleines Mädchen. Dementsprechend griff sie auch sofort zu und ließ etwas davon zwischen ihren Lippen verschwinden. Ursus war mittlerweile zu dem kleinen Tisch hinüber gegangen. Während Helena sich die Finger ableckte folgte sie ihm und warf einen Blick auf die Schachtel. "Mühle? Wie lange hab ich das schon nicht mehr gespielt. Wenn du also haushoch gewinnen willst, bist du bei mir genau richtig." Helena ginste, doch das Grinsen verschwand als sie sah, wie Ursus' Blick auf den Verband viel. Bei seinen nächsten Worten seufzte sie erneut und verdrehte gespielt genervt die Augen. "Jaaa, ich weiß! Ich wollte mir die Narbe auch nur mal ansehen. Außerdem juckt er!" Sie bemerkte selbst, dass sie sich wie ein kleines verwöhntes Gör anhörte. Um dem entgegen zu wirken lächelte sie entschuldigend und ließ sich dann auf einen der Sessel nieder. "Die Salbe steht neben dem Bett. Siv hat aber heute schon etwas davon aufgetragen. Vielleicht reicht es, wenn du nur den Verband wieder drumwickelst?" Sie stellte das Körbchen neben die Schachtel auf den Tisch und streckte dann ihren Arm aus, damit Ursus ihn problemlos erreichen konnte. Währenddessen musterte sie ihn nachdenklich. Bis jetzt hatten sie nochnicht über die Ereignisse an jenem Abend gesprochen. Vielleicht wollte er sie schonen? Doch Helena hoffte irgendwie, dass er irgendwann auf dieses Thema zu sprechen kommen würde. Sie wollte ja darüber reden, traute sich aber nicht, den ersten Schritt zu machen.

    Helena grinste kurz und zwinkerte ihrem Besucher dann schelmisch zu. "Also ich denke ich sollte bei Wasser bleiben. Ich glaube in meinem geschwächten Zustand wäre auch schon ein Becher Wein zu viel für mich." Wie durch ihre Gedanken herbeigerufen klopfte es plötzlich erneut an der Tür und Marina trat ein. Helena wunderte sich immer wieder darüber, dass ihre Leibsklavin zu spüren schien, wenn sie einen Wunsch hatte. Aber sie hatte gelernt das nicht zu hinterfragen. Nachdem sie den Befehl bekommen hatte für den Gast einen guten Wein zu holen ließ sie die Beiden wieder alleine. Helena lehnte sich in ihrem Sessel zurück und faltete die Hände in ihrem Schoß.


    "Siv, die blonde Sklavin, die auch an jenem Abend anwesend war ist für meine Pflege eingeteilt. Sie nimmt das sehr ernst, auch wenn ihr Pflichtgefühl sonst zu wünschen übrig lässt. Das heißt, selbst wenn ich verhindern wollte, dass die Salbe täglich aufgetragen wird, ich hätte keine Chance." Ein etwas bitteres Lächeln erschien auf ihren Lippen, bevor sie sich plötzlich vorbeugte und Decimus Mattiacus eine Hand auf das Knie legte. "Ich möchte mich noch einmal bedanken. Bis jetzt hatte ich ja noch gar keine Möglichkeit dazu. Wärst du nicht gewesen...Gibt es vielleicht etwas, womit ich dir meine Dankbarkeit zeigen kann? Worte scheinen dem irgendwie nicht angemessen zu sein."

    Helena saß schon längere Zeit an ihrem Frisiertischchen. Siv war kurz zuvor da gewesen und hatte den Verband erneuert. Es waren nicht viele Worte zwischen den Beiden gefallen und nachdem die Sklavin wieder gegangen war, hatte Helena aus einer Laune heraus den Verband wieder entfernt. Nun saß sie vor dem Spiegel, sah aber nicht hinein, sondern musterte vielmehr die Narbe an der Unterseite ihres Handgelenks. Decimus Mattiacus hatte die Fäden noch nicht entfernt, aber die Wunde sah gut aus. Das Fleisch war zwar gerötet, aber nicht entzündet und wenn sie Glück hatte, würde nur eine dünne Narbe übrigbleiben, die man hinterher kaum noch sehen konnte. Ihre Finger spielten mit den Enden der Fäden, als es plötzlich an der Tür klopfte. Helena zuckte zusammen und griff hastig nach dem Verband, doch schon nach wenigen Augenblicken wurde ihr bewusst, dass sie es nicht schaffen würde die Leinenbandage rechtzeitig wieder anzulegen, bevor der Besucher ungeduldig wurde. Schließlich seufzte Helena und drehte sich auf dem Stuhl so, dass sie zur Tür sehen konnte.


    "Herein!" Als der Besucher eintrat röteten sich ihre Wangen leicht und sie schaute ertappt zwischen dem Verband in ihren Händen und Ursus hin und her. "Titus, welch Überraschung. Ich muss zugeben, ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Aber ich freue mich das du hier bist."


    Sie stand auf und während sie auf ihn zuging ließ sie den Verband möglichst unauffällig auf einen der Sessel fallen. Bei ihm angekommen umarmte sie ihn kurz und lächelte dann. Er war schon öfter hier gewesen, aber seine Zeit hatte immer nur für sehr kurze Besuche ausgereicht. Doch so wie es aussah würde er heute länger bleiben. Helena musterte die Dinge auf seinen Armen neugierig.


    "Was hast du denn da mitgebracht?"

    Helena lachte bei seinen Worten amüsiert auf und beugte sich dann nahe an Flavius Lucanus heran, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Bei der Lautstärke auf dem Basar war das eigentlich nicht notwendig, aber sie wollte ihn ein wenig aufziehen und da passte es einfach. "Das ist eine sehr interessante Einstellung. Aber das solltest du nicht zu laut sagen, sonst kannst du dich vor heiratswilligen jungen Frauen nicht mehr retten." Helena zwinkerte ihm spitzbübisch zu und entfernte sich dann wieder auf einen angemessenen Abstand. Kurz danach spürte sie, wie Flavius Lucanus an ihrem Ärmel zupfte und sie auf eine kleinere Gasse hinwies, an der Helena fast vorbeigegangen wäre. Er hatte den Weg also doch nicht vergessen. Sie schmunzelte bei diesem Gedanken und lenkte ihre Schritte dann in die angegebene Richtung. Bei seinen nächsten Worten allerdings schüttelte sie kurz den Kopf.


    "Nein, ich bin keine Hispania, da hast du mich falsch verstanden. Ich habe nur die letzten vier Jahre bei meiner Tante gelebt. Aus erziehungstechnischen Gründen, wie mein Vater damals sagte. Da meine Mutter schon früh gestorben ist hielt er es wohl für angebracht mich einer anderen weiblichen Fürhung zu unterstellen. Ob es etwas gebracht hat ist fraglich..." Helena setzte eine Unschuldsmiene auf und klimperte galant mit den Wimpern, bevor sie fröhlich grinste. "Meine Tante stellte sich als ziemlich herrschsüchtige Matrone heraus, aber nichtsdestotrotz habe ich mich dort recht wohlgefühlt. Hispania ist sehr schön und das Gut auf dem ich gelebt habe, hat mich sogar ein wenig an zu Hause erinnert. Trotzdem bin ich froh jetzt hier in roma zu sein. Gegen diese Stadt kommt einfach nichts an."


    Sie fühlte sich so gut wie lange nicht mehr. Flavius Lucanus schaffte es mit seiner Art sie zum Lachen zu bringen und dafür war sie ihm sehr dankbar. Er wusste wahrscheinlich noch nicht einmal, dass sie sich in den letzten Wochen in einem Tief befunden hatte, aus dem es nur schwer einen Ausweg gab. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass er nichts davon wusste, denn möglicherweise hätte er sie sonst anders behandelt. Als er Flavius Furianus erwähnte umwölkte sich Helenas Stirn allerdings wieder ein wenig. Sie schwieg einen Moment und nickte dann.


    "Ich weiß was du meinst. Ich war nur vier Jahre weg und habe trotzdem den Anschluß an meine Familie fast verloren. Ich war in dieser Zeit vielleicht zwei Mal zu Hause und als ich schließlich wirklich wieder zurück kam, sind wir kurze Zeit später nach Germanien aufgebrochen. Von meiner Familie kenn ich kaum jemanden. Ich bin bemüht diesen Mißstand zu beseitigen, aber ich treffe immer wieder jemanden, den ich nicht kenne. Es ist ein komisches Gefühl. Man fühlt sich irgendwie, als würde man nicht dazugehören." Es war schwer das was sie in der Anwesenheit ihrer Familie fühlte richtig auszudrücken, aber vielleicht verstand er sie ja auch so. "Bei deinem Onkel kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen. Ich weiß nur, dass er proconsul in Hispania ist. Aber das ist er auch erst geworden, als ich schon nicht mehr dort war."

    Da Helena nun schon seit einigen Tagen an ihr Bett gefesselt war, kannte sie den Raum nun in und auswendig. Es ging ihr schon besser. Die Wunde verheilte gut und die Salbe, die Decimus Mattiacus ihr verschrieben hatte, hatte die erhoffte Wirkung gebracht. Zwar hieß das jedes Mal aufs Neue, dass sie sich mit Siv abgeben musste, die zu ihrer Pflege eingeteilt war, aber da musste sie durch. Spätestens seit dem Abend ihrer Rettung konnte sie die Sklavin nicht leiden. Helena wusste, dass es auch Sivs Reaktion zu verdanken war, dass sie überhaupt noch lebte, aber sie konnte das Verhalten der Blonden nicht vergessen. Bis jetzt hatte sie das Ganze noch nicht zur Sprache gebracht, aber das würde noch kommen. Zuerst hieß es wieder vollkommen gesund zu werden.


    An diesem Morgen hatte sie Marina angewiesen ihr ein bequemes Kleid herauszusuchen, in dem sie sich auch problemlos hinlegen konnte. Ihre Haare fielen ihr offen über die Schulter, denn obwohl Helena versuchte so oft wie möglich aufzustehen, war ihr Körper doch immernoch so geschwächt, dass sie sich oft ausruhen musste. Zumindest ein wenig Schminke hatte sie auftragen lassen. So fühlte sie sich schon ein wenig menschlicher. Auch aufgrunddessen konnte sie den Besucher, der von Caecus angemeldet wurde sofort empfangen. Als er eintrat richtete sie sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Ein ehrlich erfreutes Lächeln erschien auf ihren Lippen, bevor sie kurz den Kopf neigte.


    "Decimus Mattiacus! Welch eine Freude dich zu sehen. Bitte, setzt dich doch!" Sie wies auf einen der Sessel, der in der Nähe des Bettes stand. "Zum größten Teil dank deiner Hilfe geht es mir schon wieder sehr gut. Ich kann es kaum erwarten endlich mal wieder hier raus zu kommen. Kann ich dir vielleicht etwas bringen lassen?"


    Ihr Blick ruhte auf Decimus Mattiacus und plötzlich fiel ihr ihr erstes Treffen ein. Sie hatten sich bei dem Fest kennengelernt, aber ihr Gespräch war nur sehr kurz gewesen. Noch immer fragte sie sich, was er wohl von ihr dachte.

    Helena grinste ihre Freundin frech an, setzte dann aber eine Unschuldsmiene auf, die jeden anderen wohl durchaus überzeugt hätte. "Ich meine natürlich das Spektakel! Etwas anderes würde mir doch gar nicht in den Sinn kommen..." Während Prisca sich wieder von der Brüstung entfernte blieb Helena noch einen Moment stehen und ließ ihre Blicke über die Arena schweifen. Sie konnte sich ungefähr vorstellen, wie das Spektakel ablaufen würde und eine leichte Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Es war schon so lange her, dass sie hier gewesen war, dass es für sie durchaus noch etwas Besonderes war. Erst als Prisca sie erneut ansprach wandte Helena sich von diesem Anblick ab und ging zu ihrer Freundin hinüber, die sich schon die besten Plätze ausgesucht hatte. Mit einem kurzen Seitenblick zu Octavius Dragonum, der sich gerade noch mit einem der Sklaven unterhielt, ließ sie sich direkt neben ihr nieder. Dann jedoch, nachdem sie Prisca kurz zugezwinkert hatte, rutschte sie ein Stück zur Seite und ließ somit genug Platz, das der Tribun sich zwischen ihnen niederlassen konnte. Ihm würde das sicher gefallen und irgendwie machte es Helena Spaß ihn herauszufordern. Und wenn sie das Funkeln in Priscas Augen sah, dann ging es ihr genauso. Der arme Mann konnte ihr schon fast leid tun!


    Den kurzen Wortwechsel zwischen Prisca und Tilla beachtete sie nicht weiter. Da sie nicht hinsah bemerkte sie auch die Fragen nicht, die die Sklavin stellte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Octavius Dragonum, der mittlerweile wieder zu ihnen getreten war und auf Priscas Frage antwortete. Sie musste zugeben, dass die Vorstellung ihn in der Arena zu sehen durchaus seinen Reiz hatte. Doch bevor sie ebenfalls etwas dazu sagen konnte erklangen die Fanfaren und Helenas Herz machte einen freudig erregten Satz. Sie sah zu Octavius Dragonum hoch und klopfte dann mit einer Hand auf den freien Platz zwischen Prisca und ihr.


    "Bitte setzt dich. Wir haben dir extra einen Platz freigehalten."


    Sie schmunzelte, denn es war durchaus klar, dass es auf dieser Tribüne noch reichlich andere Plätze gab. Aber Helena war sich ziemlich sicher, dass er dieses Angebot nicht ausschlagen würde. Galant schlug sie die Beine übereinander und beugte sich dann ein wenig vor, als sich unten in der Arena die ersten Tore öffneten. Die Lautstärke nahm zu und Helena war schon jetzt so fasziniert, dass sie den Sklaven fast übersehen hätte, der ihr einen Becher Wein anbot. Ihr Blick huschte nur kurz zu ihm, während sie ihm den Becher abnahm, doch dann hob sie ihn in Richtung Prisca und Octavius Dragonum und lächelte.


    "Auf einen wundervollen und aufregenden Tag!"

    Helena sah den Blick den Flavius Lucanus seinem Onkel hinterher warf. War es ihm etwa unangenehm jetzt mit ihr alleine zu sein? Das konnte sie sich bei seinem bisherigen Verhalten eigentlich gar nicht vorstellen. Sicher, er schien von vorne herein ein wenig nervös gewesen zu sein, aber das hatte nicht dafür gesorgt, dass er seine lockere Art verloren hatte. Doch genau das schien jetzt der Fall zu sein. Von jetzt auf gleich fing er an zu stottern und schien nicht mehr zu wissen was er sagen sollte. Helena schmunzelte kurz, wandte dann aber ihren Blick von ihm ab. Es war ihm bestimmt nicht gerade angenehm, dass sie ihn so sah, also wollte sie ihm einige Augenblicke geben um sich zu fangen. Sie ließ ihren Blick über die verschiedenen Stände schweifen und blieb schließlich vor einem Händler stehen, der Schmuck verkaufte. Eine Art Perlenkette fiel ihr besonders auf. Wenn Flavius Lucanus recht hatte, und diese Coco wirklich zumeist helle Stoffe verkaufte, dann würde diese Kette wunderbar dazu passen. Natürlich hatte Helena Perlenketten. Mehrere sogar. Aber noch keine in dieser Länge und von dieser Machart. Doch bevor sich der Händler seiner neuen potentiellen Kundin zuwenden konnte, wandte Helena sich wieder ab und sah mit einem Lächeln zu ihrem Begleiter.


    "Wieso hat die Natur es eigentlich so angelegt, dass sich Frauen immer neue Sachen kaufen müssen? Egal ob es Schmuck, Kleider oder ähnliches ist. Wir können nur schlecht daran vorbei gehen. Und das, obwohl wir uns der Falle, die diese Stände darstellen durchaus bewusst sind. Vielleicht stimmt es ja und ihr Männer seid uns in einigen Belangen doch überlegen."


    Helena zwinkerte Flavius Lucanus schelmisch zu und trat dann wieder an seine Seite, damit sie ihren Weg fortsetzten konnten. Da sie immer noch nicht genau wusste wo es hingehen sollte musste sie sich auf ihren männlichen Begleiter verlassen. Sie konnte nur hoffen, dass er neben seinem Sprachvermögen nicht auch noch seine Erinnerung vergessen hatte. Hatte sie denn wirklich so einen Eindruck auf ihn gemacht? Sie warf ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zu und überlegte dabei, über welches Thema sie sprechen könnten, um ihm seine Befangenheit wieder zu nehmen. Plötzlich fiel ihr etwas ein, das sie ganz am Anfang ihrer Begegnung angesprochen hatten.


    "Wusstest du, dass ich selbst die letzten vier Jahre in Hispania gelebt habe? Genauer gesagt in Taracco, bei meiner Tante. Es wäre doch wirklich ein großer Zufall, wenn wir uns dort mal begegnet wären. Allerdings bin ich mir sicher, dass ich dich in Erinnerung behalten hätte."


    Wobei sie zugeben musste, dass sie während ihrer Zeit bei ihrer Tante eigentlich kaum Augen für Männer gehabt hatte. Ihre Tante hatte viel ihrer Zeit in Anspruch genommen und neben ihrer Ausbildung zu einer guten Ehefrau hatte sie kaum noch Zeit gehabt ihre wenige Freizeit zu genießen. Das war hier nun anders und Helena musste zugeben, dass sie es sehr genoß sich frei bewegen zu können. Hätte sie sich heute nicht dazu entschloßen einen Spaziergang auf dem Markt zu machen, hätte sie Flavius Lucanus wahrscheinlich erst wesentlich später kennengelernt, wenn überhaupt.

    Helena konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen als Ursus die blonde Sklavin anfuhr. Wenn sie ehrlich war versuchte sie es noch nicht einmal, denn sie hatte es eindeutig verdient. Lernte man denn in ihrer Heimat keine Manieren? So wie sie aussah kam sie aus Germanien und Helena wusste ja nur zu gut, dass die Dinge da ein wenig anders liefen. Die Sklabin sollte sich schnell an ihre neue Umgebung gewöhnen, denn ansonsten würde sie sich eine Menge Ärger einhandeln. Helena konzentrierte sich wieder auf ihr Essen. Sie ließ sich Zeit und aß langsam, den Geschmack des Fisches voll auskostend. Die gute römische Küche hatte sie in ihrer Abwesenheit sehr vermisst. Zwar hatte es auch bei ihrer Tante gutes Essen gegeben, aber es war doch etwas anderes hier zu sitzen und es sich schmecken zu lassen.


    Das Gespräch der Männer wandte sich nun Philonicus' Zukunft zu. Helena hörte mit halbem Ohr zu, denn obwohl es sich um ihre Familienmitglieder handelte war das nicht ganz das Thema das sie sich für ein entspanntes Abendessen wünschte. Wahrscheinlich würde ihre Meinung zu dem Thema von den Männern eh nicht wahr genommen, also schwieg sie. Der Fisch war mittlerweile von ihrem Teller verschwunden, doch als einer der Sklaven ihr nachfüllen wollte winkte sie ab. Die nächsten Minuten verbrachte sie damit ein paar Weintrauben als Nachtisch zu verzehren. Ein Bad würde ihr gut tun. Ja, das war eine gute Idee. Und vielleicht....ihr Blick huschte zu der Blonden hinüber und ein gemeines Lächeln lag auf ihren Lippen. Dann stand sie auf und neigte leicht den Kopf um sich bei den Männern zu verabschieden.


    "So ich wünsche euch noch einen schönen Abend. Ich werde mich jetzt zurückziehen. Philonicus, vielleicht sieht man sich bald mal wieder. Ich würde mich freuen."


    Sie sah kurz zu Ursus und war kurz davor ihm noch etwas zu sagen, doch dann entschied sie sich dagegen. Stattdessen ging sie zu den Sklaven hinüber und blieb vor der Blonden stehen.


    "Komm mit, ich will ein Bad nehmen. Vielleicht bist du wenigstens dazu fähig Wasser in eine Wanne zu füllen."


    Ohne auf eine Reaktion zu warten wandte sich Helena um und verließ den Raum, gefolgt von einer äußerst missmutugen Sklavin.