Dass Plotina auch nach dem zwischenzeitlichen Abgang des Germanicus Sedulus auf dem Forum Romanum verblieb, sollte sich tatsächlich noch bezahlt machen, auch wenn zunächst eine weitere Enttäuschung auf die Sergierin wartete. Denn nach und nach begann sich der Platz um die Rostra nun doch zu füllen, und so dauerte es nicht lange, bis Plotina von gleichermaßen kräftigen wie rücksichtslosen Männern bzw. deren Leibsklaven in die hinteren Reihen abgedrängt wurde.
Dieses nun größere Publikum schien es auch wohl einfach nur gewesen zu sein, auf das Germanicus Sedulus gewartet hatte. Denn jetzt erschien er wieder und machte sich erneut auf den Weg zur Rostra, wobei er an Plotina vorbeikam und diese zu ihrer eigenen Überraschung mit Namen ansprach und grüßte. Selbstverständlich fühlte die Sergierin sich darob sehr geehrt und ließ es ihrerseits an Höflichkeit nicht fehlen:
"Auch ich grüße dich, Quintus Germanicus Sedulus! Ehe wir deinen politischen Untergang miterleben, müsste erst die große Pyramide zu Staub zerfallen sein."
Diese in sehr freundlichem Ton vorgebrachte Bemerkung Plotinas konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Misstrauen der Sergierin jetzt geweckt war: Warum um alles in der Welt sollten sie nun dem politischen Untergang des angesehenen Politikers beiwohnen? Oder hatte es während ihrer Abwesenheit in Aegyptus etwa Unregelmäßigkeiten um Germanicus Sedulus gegeben, von denen sie in Alexandria nichts mitbekommen hatte?
Jedenfalls spitzte Plotina bei der nun folgenden Rede des Quaestors pro praetore die Ohren, konnte aber zunächts nicht Verdächtiges feststellen. Dies änderte sich jedoch, als nun Titus Aurelius Ursus - wie bestellt - auf der Bildfläche erschien. Ihn hatte Plotina von weitem auf jenem berüchtigten Weinfest der Gens Aurelia kennengelernt und dann seinen Werdegang verfolgt. Er hatte bislang ja eine glänzende Karriere hingelegt, wirkte dabei aber nichts weniger als karrieristisch.
Gleich als sie ihn sah, begann Plotina damit, sich in seine Nähe durchzukämpfen, um ihn genauer in Augenschein nehmen zu können. Die zahlreichen Püffe und Stöße, die sie dabei einzustecken hatte, bedauerte sie jedoch nur zu bald, denn Aurelius Ursus begann nun seinerseits seine Stimme so vernehmlich zu erheben, dass es gar nicht nötig gewesen wäre, so nahe an ihn heran zu kommen. Schlimmer aber war der Inhalt seiner und des Germanicus Sedulus' Reden, die nun folgen sollten. Beide entblödeten sich nämlich nicht, sich gegenseitig in den höchsten Tönen für ihre gemeinsame Arbeit in Germanien zu loben. Instinktiv schaute sich Plotina nach einem etwaigen Dritten im Bunde um, der das sich hier möglicherweise anbahnende Triumvirat vervollständigt hätte, konnte aber so auf Anhieb niemanden entdecken. Und obzwar ihre lange Abwesenheit ihr eigentlich nicht gestattete, substantielle Fragen an die beiden Politiker zu stellen, hielt sie es doch für ihre Pflicht, nun auch ihre Stimme zu erheben und eine kritische Frage zu stellen, um Essig in den allzu süßen Wein zu gießen, mochte es sie auch ihren Ruf als talentierte politische Beobachterin kosten.
"Das römische Volk und die Mattiaker sind euch, Germanicus Sedulus und Aurelius Ursus, zu großem Dank verpflichtet! Wie schätzen denn die beiden gerade aus Germanien Heimgekehrten die Notwendigkeit des Bau eines Limes ein - wo doch das römische Volk so treue Verbündete hat wie den so viel gepriesenen germanischen Stamm? Braucht es da diese Bauarbeiten überhaupt?"
Plotina stellte sich darauf ein, faules Obst und Gemüse in ihrem Gesicht willkommen zu heißen.