Beiträge von Sergia Plotina

    Dass Plotina auch nach dem zwischenzeitlichen Abgang des Germanicus Sedulus auf dem Forum Romanum verblieb, sollte sich tatsächlich noch bezahlt machen, auch wenn zunächst eine weitere Enttäuschung auf die Sergierin wartete. Denn nach und nach begann sich der Platz um die Rostra nun doch zu füllen, und so dauerte es nicht lange, bis Plotina von gleichermaßen kräftigen wie rücksichtslosen Männern bzw. deren Leibsklaven in die hinteren Reihen abgedrängt wurde.


    Dieses nun größere Publikum schien es auch wohl einfach nur gewesen zu sein, auf das Germanicus Sedulus gewartet hatte. Denn jetzt erschien er wieder und machte sich erneut auf den Weg zur Rostra, wobei er an Plotina vorbeikam und diese zu ihrer eigenen Überraschung mit Namen ansprach und grüßte. Selbstverständlich fühlte die Sergierin sich darob sehr geehrt und ließ es ihrerseits an Höflichkeit nicht fehlen:


    "Auch ich grüße dich, Quintus Germanicus Sedulus! Ehe wir deinen politischen Untergang miterleben, müsste erst die große Pyramide zu Staub zerfallen sein."


    Diese in sehr freundlichem Ton vorgebrachte Bemerkung Plotinas konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Misstrauen der Sergierin jetzt geweckt war: Warum um alles in der Welt sollten sie nun dem politischen Untergang des angesehenen Politikers beiwohnen? Oder hatte es während ihrer Abwesenheit in Aegyptus etwa Unregelmäßigkeiten um Germanicus Sedulus gegeben, von denen sie in Alexandria nichts mitbekommen hatte?


    Jedenfalls spitzte Plotina bei der nun folgenden Rede des Quaestors pro praetore die Ohren, konnte aber zunächts nicht Verdächtiges feststellen. Dies änderte sich jedoch, als nun Titus Aurelius Ursus - wie bestellt - auf der Bildfläche erschien. Ihn hatte Plotina von weitem auf jenem berüchtigten Weinfest der Gens Aurelia kennengelernt und dann seinen Werdegang verfolgt. Er hatte bislang ja eine glänzende Karriere hingelegt, wirkte dabei aber nichts weniger als karrieristisch.


    Gleich als sie ihn sah, begann Plotina damit, sich in seine Nähe durchzukämpfen, um ihn genauer in Augenschein nehmen zu können. Die zahlreichen Püffe und Stöße, die sie dabei einzustecken hatte, bedauerte sie jedoch nur zu bald, denn Aurelius Ursus begann nun seinerseits seine Stimme so vernehmlich zu erheben, dass es gar nicht nötig gewesen wäre, so nahe an ihn heran zu kommen. Schlimmer aber war der Inhalt seiner und des Germanicus Sedulus' Reden, die nun folgen sollten. Beide entblödeten sich nämlich nicht, sich gegenseitig in den höchsten Tönen für ihre gemeinsame Arbeit in Germanien zu loben. Instinktiv schaute sich Plotina nach einem etwaigen Dritten im Bunde um, der das sich hier möglicherweise anbahnende Triumvirat vervollständigt hätte, konnte aber so auf Anhieb niemanden entdecken. Und obzwar ihre lange Abwesenheit ihr eigentlich nicht gestattete, substantielle Fragen an die beiden Politiker zu stellen, hielt sie es doch für ihre Pflicht, nun auch ihre Stimme zu erheben und eine kritische Frage zu stellen, um Essig in den allzu süßen Wein zu gießen, mochte es sie auch ihren Ruf als talentierte politische Beobachterin kosten. :D


    "Das römische Volk und die Mattiaker sind euch, Germanicus Sedulus und Aurelius Ursus, zu großem Dank verpflichtet! Wie schätzen denn die beiden gerade aus Germanien Heimgekehrten die Notwendigkeit des Bau eines Limes ein - wo doch das römische Volk so treue Verbündete hat wie den so viel gepriesenen germanischen Stamm? Braucht es da diese Bauarbeiten überhaupt?"


    Plotina stellte sich darauf ein, faules Obst und Gemüse in ihrem Gesicht willkommen zu heißen.

    Seit Plotina nicht mehr für die Acta Diurna arbeitete, war ihr oft ein wenig langweilig. Ihr Rücktritt aus der Redaktion hatte jedoch keineswegs irgendetwas mit einem erlahmenden politischen Interesse zu tun. Und so hatte es die neugierige Sergierin an diesem Tage einmal mehr in aller Frühe zum Forum Romanum gezogen, wo sie hoffte, dies und das vom politischen Geschehen des Imperiums oder mindestens der Urbs aufzuschnappen.


    In dieser Hinsicht schien nun in der Tat Plotinas Glückstag angebrochen zu sein, als sich ein ihr wohl bekannter Politiker der Rostra näherte: Quintus Germanicus Sedulus. Gespannt nahm Plotina Aufstellung, voller Freude darüber, dass ihr angesichts der ziemlichen Leere auf dem Platz heute endlich einmal weder riesige junge Männer noch schwabbelige alte Sicht und Akustik nehmen würden.


    Doch wie sollte sich die Sergierin hier getäuscht sehen! Zunächst schien sich Germanicus ausgerechnet durch einige Milites der Corhortes Urbanae gestört zu fühlen, was umso seltsamer war, als er doch selbst einmal dieser Einheit angehört hatte. Und dann schien er doch tatsächlich wieder Kehrt machen zu wollen. Plotina war nun extra gespannt, was als Nächstes passieren würde.

    Nun begann Plotina, sich doch ein wenig über ihren Gesprächspartner zu verwundern. Soweit ihre Erinnerungen reichten, war sie doch immer gut mit Peregrini und auch mit Sklaven ausgekommen - und beileibe nicht nur mit Theodoros; außerdem hatte sie sich, bei allem Stolz auf ihre römische Bürgerwürde, Peregrini und selbst Sklaven gegenüber nie als etwas "Besseres" gefühlt. Und nun sollte sie auf diesen, nach seinen eigenen Worten "armen und bescheidenen" Peregrinus hier vor ihr so erschreckend wirken, wie sie es ganz offensichtlich tat und aus seiner Anrede an sie und seiner Verbeugung vor ihr entnehmen konnte? Diese Beobachtungen machten nun wiederum Plotina selbst ganz betroffen; vielleicht war jedoch das Ganze auf ihre eigene mangelnde Höflichkeit zurückzuführen:


    "Es würde mich sehr freuen, zusammen mit dir das Forum zu besichtigen, wenn ich auch bestimmt keine gute Fremdenführerin abgeben werde, ich bin nämlich selbst nicht aus Rom, sondern aus Alexandria. Wenn wir aber schon miteinander gehen, wird es Zeit, dass ich mich endlich vorstelle: Mein Name ist Sergia Plotina."


    Dabei lachte die Römerin ihren neuen Bekannten fröhlich an und hoffte, seine Sorgen ein wenig zerstreut zu haben.

    Obwohl sie sich vorher so sehr geschworen hatte, vor den wachhabenden Milites keine Anzeichen von Nervosität zu zeigen, konnte Plotina doch nicht ganz an sich halten und knabberte unruhig an ihrer Unterlippe, während einer der Soldaten ihren Vetter herbeiholte. Da endlich erschien Lupus - und seiner Cousine fiel ein Stein vom Herzen, als die erste, spontane Miene, die sich in seinem Gesicht malte, nicht eine des Vorwurfs oder des Spottes, sondern eine fröhliche war. Augenblicklich hellte sich auch ihr Gesicht auf, und sie erwiderte seinen Gruß:


    "Salve, Lupus! Ich freue mich so, dich wiederzusehen! Und danke, mir geht es gut! Ich hoffe, bei dir ist auch alles in Ordnung?"


    Während Plotina dies sagte, bemühte sie sich, Lupus durch unauffällige Körperbewegungen und Gesten dazu zu bringen, sich so schnell wie möglich von der Castra zu entfernen. Das nun anstehende etwas ernstere Gespräch wollte sie auf keinen Fall unter den Ohren der Wachsoldaten führen, deren Blicke ihr durchaus nicht entgangen waren.

    Wieviel Publikumsverkehr gerade um diese Tageszeit auf dem Forum herrschte, musste Plotina alsbald nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Selbst ihr durchaus kräftiger Körperbau konnte dabei kaum verhindern, dass sie gehörig ins Straucheln geriet, als sie mit einem jungen Mann zusammenstieß und so aus ihren impressionistischen Meditationen gerissen wurde. Nur das sofortige tatkräftige Eingreifen des anderen am Zusammenstoß Beteiligten bewahrte die Sergierin davor, nun auch noch mit dem Pflaster des Forum Romanum eine haptische Bekanntschaft zu machen.


    Nachdem Plotina sich von ihrem ersten Schrecken erholt und auch sonst soweit berappelt hatte, dass sie sich von dem jungen Mann lösen konnte, in den sie sich beim ersten Gleichgewichtsverlust gleichsam gekrallt hatte, wurde ihr die willkommene Gelegenheit zu einem herzlichen Lachen gegeben. Es war die Anrede als "edle Dame", welche Plotina im allerersten Moment für einen üblen Scherz gehalten hatte; eine genauere Begutachtung des jungen Mannes vor ihr, der einen sympathischen Eindruck auf sie machte, überzeugte sie dann jedoch davon, dass er diese Formulierung wohl schlicht ehrlich gemeint hatte.


    "Daran, dass wir zusammengestoßen sind, habe ich ja mindestens genauso viel Anteil wie du. Ich hoffe, du verzeihst mir deswegen auch, und du hast dir genauso wenig wehgetan wie ich."


    Lachend fügte Plotina hinzu:


    "Ich habe zwar von meiner Jugend an immer sehr großen Wert darauf gelegt, achtbar auszusehen, aber als 'edle Dame' hat mich wirklich noch niemand angesprochen. Ich nehme das als Kompliment!"


    wobei sich die Sergierin spielerisch-huldvoll verneigte - und sich gleichzeitig fragte, ob der junge Mann vor ihr vielleicht noch nicht lange in Rom weilte. Immerhin - das war ihr gleich aufgefallen - sah er gar nicht römisch aus, sondern eher wie jemand aus ihrer eigenen Heimat, in der sie ja erst vor kurzem wieder gewesen war. Oder war er gar - nein, daran mochte Plotina nicht einmal so richtig denken. Und doch war eine gewisse äußere Verwandtschaft mit dem Volk Theodoros' nicht von der Hand zu weisen. Einen Moment noch brauchte sie, dann gab sie sich endlich einen Ruck:


    "Wenn uns denn die weise Vorsehung schon hier auf dem Forum so unmissverständlich zusammengeführt hat, darf ich vielleicht fragen, ob dir deine Zeit eine Unterhaltung mit mir erlaubt. Wir könnten auf unseren Schreck auch etwas trinken."


    Die Sergierin konnte ja nicht ahnen, dass ihr neuer Bekannter sich bereits vor diesem Schrecken Flüssigkeit zugeführt hatte. Ebensowenig Ahnung hatte sie davon, ob diese vom Schicksal bewirkte Begegnung ein Ausdruck von Fortunas Güte oder von ihrer Missgunst war. Doch nach dem ersten Eindruck war Plotina in dieser Hinsicht voller Zuversicht.

    Ein bisschen geknickt und verschämt sah Sergia Plotina schon aus, als sie an diesem Vormittag ironischerweise die heimische Casa verlassen musste, um bei einem Familienmitglied hoffentlich ein wenig Zuspruch zu finden - und natürlich auch, um sich für ihre plötzliche Abreise und lange Abwesenheit zu entschuldigen.


    Es war Lupus, ihr Vetter und nächster Verwandter, mit dem sie von allen ihren Familienangehörigen als erstem ein längeres Gespräch führen wollte. Ihr Weg führte sie daher zur Castra Praetoria, wo sie ihren Cousin abholen sollte. Mit Hilfe eines kurzen brieflichen Kontaktes hatten die beiden so eng verwandten Sergier ein Treffen für den heutigen Tag vereinbart, so dass Plotina wenigstens nicht fürchten musste, sich umsonst an der Torwache der Cohortes Urbanae eingefunden zu haben, an der sie gerade anlangte. Hier fiel ihr ein, dass sie trotz all der vielen Begegnungen mit Lupus noch nie persönlich zur Castra gekommen war, sondern lediglich einmal den Sklaven Mereb geschickt hatte - ein Gedanke, der die Sergierin einen Moment lang schmunzeln ließ.


    Sofort aber wurde Plotina wieder ernst, denn schließlich galt es nun, den wachhabenden Miles in einer Weise anzusprechen, die bei ihm auch nicht den geringsten Zweifel an der Entschlossenheit der Sergierin aufkommen ließ, jetzt und jetzt gleich ihren Cousin zu sehen. Plotina hatte diesen wachhabenden Miles schon die ganze Zeit aus ihren Augenwinkeln heraus beobachtet; nun marschierte sie direkt auf ihn zu, nahm Haltung an und sagte in geradezu feierlichem Ton:


    "Salve! Mein Name ist Sergia Plotina. Ich möchte mit meinem Cousin, dem Capsarius Titus Sergius Lupus, sprechen."


    Schließlich galt es ja, in der Castra Praetoria den guten Ruf der Gens zu wahren, den Lupus aufgebaut hatte.

    Jeden Tag noch vor dem Aufgang der Sonne begann sich auf dem Forum Romanum, dem politischen Mittelpunkt der zivilisierten Welt, das Leben zu regen. Erst liefen nur Einzelne eiligen Schrittes über den Platz, meist schwer bepackt mit Waren, die schon vor dem Morgengrauen irgendwohin geliefert werden mussten, um den Kreislauf der Wirtschaft nicht stillstehen zu lassen. Je näher der Tagesanbruch aber rückte und je heller es mit dem Steigen der Sonne wurde, desto belebter wurde der riesige Platz im Herzen der Ewigen Stadt. Nicht mehr nur Einzelne, getrieben von Befehl und Notwendigkeit, hasteten über das Pflaster; ganze Gruppen von Menschen standen jetzt zusammen, denen das gütige Schicksal eine glückliche Geburt in persönlicher Freiheit und sicheren materiellen Verhältnissen gewährt hatte. Diejenigen jedoch, denen Fortuna gar nichts gewährt hatte, waren bei Tageslicht nicht auf dem Forum zu finden, sondern drückten sich erst in der Dämmerung oder des Nachts in seinen Ecken herum.


    Jeder aber, der das Forum überhaupt betrat, aus welchen Gründen auch immer, begann mit seinem Erscheinen einen Faden in das Geflecht dieser Stadt zu weben, den ein Erzähler weiterverfolgen könnte und der auf die Lebensspur dieses jeweiligen Menschen führen würde - einfach deshalb, weil er nichts anderes ist als der Lebensfaden dieses Menschen, den dieser mit seinem Erscheinen über das Forum Romanum zu spannen unternimmt.


    Um ihren - unter großen Anspannungen ein wenig brüchig gewordenen - Lebensfaden in der Ewigen Stadt weiterzuspinnen, hatte sich auch Sergia Plotina an einem strahlenden Hochsommertag keine andere Bühne gewählt als das Forum Romanum selbst. Eben betrat sie, von der heimischen Casa her kommend, mit der bei ihr so wohlbekannten Energie und doch ein wenig zaghafter als sonst, den Platz. Höchste Zeit also, den stilus wieder hervorzuholen, den Erzählfaden der temperamentvollen Sergierin weiter zu verfolgen und auf ihre neuen Abenteuer in der Hauptstadt des Erdkreises gespannt zu sein!


    Noch ganz erfüllt von Erinnerungen an zahlreiche und zum Teil schicksalhafte Begegnungen auf dem Forum in ihrer Vergangenheit, sah Plotina sich schon wieder nach neuen und ähnlichen Erlebnissen um - und vor allem nach Personen, die ihren Lebensfaden, und sei es nur für Minuten, mit dem der Sergierin verknüpfen würden.



    Sim-Off:

    Wer mag, gerne! :)

    So, jetzt muss ich mich erst einmal ganz gramgebeugt bei allen für meine unangekündigte Abwesenheit entschuldigen. :(
    Am Donnerstag erhielt ich die Nachricht, dass ich für einen erkrankten Mitarbeiter eine Wochenend-Veranstaltung übernehmen musste, über die ich vorher nur grob informiert war. Von da an habe ich mich ganz darauf vorbereitet und das Wochenende selbst dann internetlos, aber dennoch schwer kreativ verbracht. :D
    Da ich nun auch noch für die Nachbereitung zuständig und MO und DI unterwegs bin, werde ich wohl erst wieder ab Mitte der Woche einsteigen können.


    Bei den vielen guten Wünschen, die Stella nun aussprach, wusste Plotina gar nicht, wo sie anfangen sollte mit einer eigenen Erwiderung. Und da ihre Bekannte alles auch schon so übersichtlich zusammengefasst hatte, war der Sergierin auch diese Form der Entgegnung versperrt. Daher sagte sie nur noch:


    "Dank dir geht es mir wirklich schon viel besser! Und ich freue mich darauf, wieder von dir zu hören. Vale, Stella, ich werde jetzt gehen!"


    Ein Vorhaben, das Plotina in die Tat umsetzte, indem sie sich nun umwandte und zur Tür hinausging. Als sie diese wieder hinter sich geschlossen hatte und auf dem Gang vor dem Officium des Curator Libris stand, ging ihr durch den Kopf, dass es doch vielleicht auch ganz heilsam gewesen war, dieses Bureau wieder zu betreten, gerade dieses. Und sie, Plotina, hatte das überstanden, fühlte sich jetzt eigentlich rundum wohl, draußen schien die Sonne, und sie dachte an Theodoros und wünschte ihm von Herzen alles Glück der Welt in Alexandreia.


    Zu Furia Stella aber trat bereits der nächste Besucher.

    Wild klopfte das Herz in der Brust der jungen sergischen Heldin, als sie gewahr wurde, wie viele Anwesende in diesen Momenten, da das Theaterstück die Bühne verlassen hatte und immer chaotischer zu werden drohte, offenbar der Stärkung und Hilfe bedurften. Drei Brennpunkte im Besonderen waren es, die die Aufmerksamkeit der Sergierin auf sich zogen:


    Zum ersten fragte sie sich natürlich bis aufs Höchste gespannt, ob es denn die Sklavin Camylla und der Curator Mulierum später wirklich so machen würden wie immer.


    Zum zweiten beschäftigte sie intensiv die Sorge, dass gerade dies die kleine Sisenna mitbekommen könnte.


    Und weil dies eine Frage war, die auch Tilla zu quälen schien, wie Plotina entsprechenden Gesten zu entnehmen glaubte, war damit auch gleich der dritte der Brennpunkte benannt.


    Beim ersten dieser Brennpunkte würde die Sergierin in keiner Weise helfend eingreifen, das stand für sie gleich fest; und sie hätte auch kaum gewusst, wo sie da zuerst hätte Hand anlegen müssen. Beim zweiten dieser Brennpunkte schien ihr zumindest ein sofortiges Eingreifen ihrerseits nicht erforderlich; sie würde die Lage jedoch weiterhin im Auge behalten. Der dritte Brennpunkt jedoch saß unmittelbar neben ihr, blickte sie angstvoll an und signalisierte diese Angst auch durch Gesten, hatte Plotina sogar schon am Ärmel festhalten wollen und hielt nun stattdessen die Sitzbank krampfhaft mit den Händen umklammert. Tilla wandte Plotina sich nun zu, indem sie sich zu ihr hindrehte.


    "Ach du ... du hast ja solche Angst. Ich finde ja auch, dass es hier ein bisschen hoch her geht, aber bis zu uns wird die Aufregung nicht schwappen. Wir sind hier sicher. Und wenn jemand uns hier doch etwas will, dann werde ich ihm mal meine Meinung sagen."


    Mit einem Blick auf die verkrampften Hände Tillas fügte Plotina an:


    "Soll ich vielleicht wieder deine Hand nehmen? Oder lieber doch nicht? Komm ruhig näher, wenn du dich dann besser fühlst; ganz wie du magst."


    Und mit einem prüfenden, aber zugleich auch liebevollen Blick fragte sie noch:


    "Meinst du, du kannst es noch ein kleines bisschen hier aushalten? Ich bin sicher, das Theaterstück dauert nicht mehr lange."


    Dem Blick der Sklavin folgend, richteten sich Plotinas Gedanken noch auf Sisenna:


    "Na ja, dass Sisenna hier ist ... Ich meine ja auch, für ein Kind ist das vielleicht doch nicht das Richtige. Aber ich habe keine Kinder und weiß es nicht so genau, Claudia Callista aber schon, und die passt auf die Kleine auf."


    Und außerdem natürlich noch die Sklavin der Claudierin, Benoh´e, wenn Plotina das richtig gehört hatte, eine kräftige Frau, möglicherweise gar Nubierin, und offensichtlich sehr einfühlsam.

    Schon in aller Frühe, es dunkelte noch, hatte Plotina an diesem Tag nach einem kurzen Gebet die Porta der Casa Sergia hinter sich geschlossen und sich auf den weiten Weg nach dem Aventin hin begeben. War sie erst noch - von den um diese Zeit üblichen Laufburschen abgesehen - ziemlich alleine auf der Straße gewesen, hatte die kühle Luft eingesaugt und das ein oder andere Blatt von den Bäumen fallen sehen, so war sie, je näher sie dem Aventin kam, von immer mehr Menschen umgeben, die entweder wie sie selbst zu diesem Hügel wollten oder aber einen Platz am Rande des Weges einnahmen, den die Salier vom Comitium auf dem Forum Romanum aus bis zum Aventin zurücklegen mussten in ihrer Rüstung heute, am Fest des Armilustrium. Plotina sputete sich wegen der Kühle, die ihr an diesem Tage schon halbwegs winterliche Züge anzunehmen schien, aber auch, um nicht noch von den zweifellos trainierten Saliern vor dem Aventin eingeholt zu werden.


    Dies gelang, denn Plotina hatte vielleicht nicht genügend bedacht, dass die Salier ja Patrizier waren und unter ihnen gewiss einige, die der körperlichen Betätigung bis auf ihre Sodalitäten-Pflichten recht entwöhnt waren. :P Rings um den Platz, an dem die Sodales ihre rituellen Tänze darbieten würden, hatten sich allerdings schon so viele Zuschauer eingefunden, dass die alleinstehende Sergierin es schwer hatte, selbst noch an einen Ort zu gelangen, an dem sie nicht nur den Gesang des Carmen Saliare würde hören, sondern auch den Tanz würde sehen können. Schließlich war ihr aber auch dies vergönnt, wenn sie dabei auch ziemlich abseits zu stehen kam.


    Nun aber kamen auch die Salier heran, denen ihre Schläge auf ihre Schilde von weitem schon als Herold dienten. Plotina stellte sich auf ihre Fußspitzen und reckte den Hals, und da! konnte sie die ersten erkennen, die sich im Gleichschritt dem Festplatz näherten. Hatten die Zuschauer auch hier im Rund bisher hauptsächlich Gespräche über Klatsch und Tratsch bewegt, so schien es der aufmerksamen Sergierin, als kehre nun doch eine ehrfüchtige Spannung ein, die noch dichter wurde, als die Salier auf dem Platz das Carmen Saliare anstimmten und mit stampfenden Schritten tanzten.


    Die ganze Zeit über war die fromme Sergierin sehr andächtig gewesen, und immer wieder lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Ihren Augen entging allerdings nicht, dass einer der offenbar ältesten Teilnehmer des patrizischen Festzuges bei seiner Ankunft auf dem Platz zusammenbrach. Besorgt verfolgte sie die Szenerie, doch konnte sie mitansehen, wie man sich sofort aufmerksam um den Mann kümmerte und ihn zu einem Schemel führte, wo er offensichtlich langsam wieder Kraft zu schöpfen begann. Empört registrierte Plotina hinter sich das ein oder andere gehässige Wort aus dem Munde von Zuschauern zu dieser Begebenheit; sie selbst war im Gegenteil der Ansicht, dass jede der beiden Sodalitäten, die hier tanzten, hätte stolz auf diesen würdigen Greis sein können, der es sich nicht hatte nehmen lassen, trotz seines Alters Mars bzw. Quirinus Ehre zu erweisen.

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    "Jetzt aber schnell!",


    raunte die energische Sergierin ihrem Schützling Tilla mit einem verschwörerischen Lächeln zu, nachdem sie deren Hand genommen hatte. Plotina selbst war kaum noch zu halten; fast hätte sie Tillas Hand geradezu an sich gerissen, konnte sich jedoch noch im letzten Augenblick beherrschen. Ihre Selbstbeherrschung verhinderte es auch, dass sie sich gleichsam wie vier kräftige Zugochsen auf einmal vor das selbst doch so wieselflinke Sklavenmädchen spannte.


    Sich immer wieder mit einem Schmunzeln zu Tilla umblickend, trieb sie dennoch zur Eile, denn sie konnte es gar nicht mehr abwarten, endlich einen Blick auf das Stück, für das sie Aurelia Prisca verantwortlich machte, zu erhaschen. Als es Plotina dann jedoch endlich vergönnt war, ihre ehrfurchtgebietende Nase in den abgedunkelten Raum zu stecken, merkte sie gleich, dass hier etwas nicht stimmte. Eine Spannung lag über den Zuschauern, deren lichte Haarstellen bzw. Frisurungetüme die Sergierin überblickte, wie sie wohl in Pompeji geherrscht haben mochte an jenem unheilvollen Tag des Endes dieser Stadt. Wieder drehte sich Plotina zu Tilla um und hob bedeutungsschwer ihre Hand, wobei sie über die präzise Bedeutung dieser Geste selbst keine Auskunft hätte geben können. Jedenfalls aber wollte sie in diesem Moment noch nicht einmal flüstern, denn zunächst musste sie herausbekommen, was für ein Spiel hier gespielt wurde. Doch das würde ihr, Sergia Plotina, ganz sicher gelingen.


    Der erste Schritt auf dem Weg musste naturgemäß darin bestehen, einen Platz in diesem Raum zu ergattern, der es der investigativen Sergierin und ihrer Assistentin Tilla ermöglichte, mehr von dem Stück mitzubekommen als einige Wortfetzen und mehr von den Zuschauern zu sehen als deren - teils im Verschwinden begriffene - Haarpracht. Dabei kam es Plotina nun sehr entgegen, dass nur noch an den Seiten des Raumes überhaupt Plätze zu haben waren, sollten doch gerade diese es ihr ermöglichen, auch einen Blick auf die entgeisterten Zuschauer zu werfen. Wieder zu Tilla gewandt, deutete sie auf zwei freie Plätze am Rand und setzte sich schon in Bewegung, um diese einzunehmen - also, für sich natürlich nur einen der beiden Plätze. Sie hoffte aber, dass Tilla ihr folgen würde, würde doch auch diese wichtige Informationen aufnehmen und auch liefern müssen, die am Ende womöglich zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden konnten.


    Noch auf dem Weg zu den anvisierten Plätzen konnte Plotina dann das kurze, aber zielorientierte Gespräch mitanhören zwischen "Aquarus" und - "Priscilla"? Wie angewurzelt blieb die stämmige Sergierin stehen, so dass für einen Moment lang die Gefahr bestand, Tilla könne auf sie auflaufen. Dann blickte sie sich, nun ja schon einige Schritte weiter als eben noch, um und schaute so unauffällig wie möglich in die Gesichter derjenigen Zuschauer, die sie nur sehen konnte. Ja, kein Zweifel, auf den Gesichtern gerade der hochgestellten Persönlichkeiten malte sich angesichts des Theaterstückes eindeutig persönliche Betroffenheit ab! Entschlossen setzte die Sergierin nun ihren Gang nach den beiden ausgeguckten Plätzen fort. Sobald sie sich gesetzt hatte, konnte sie jedoch nicht mehr an sich halten und wandte sich flüsternd an Tilla:


    "Sag' mal, werden in dem Stück etwa eure Herrschaften karikiert?"


    Doch diese Frage hatte in den Augen der Sergierin selbst eigentlich nurmehr rhetorischen Charakter; sie war schon fest davon überzeugt, dass dies der Fall sein müsse, und innerlich bereits einen Schritt weiter. Denn sie konnte ein Schmunzeln darüber nicht verbergen, dass ihre Bekannte Prisca sich offenbar selbst im wahrsten Sinne des Wortes derart in Szene gesetzt hatte, dass sie nun auf solch charmante Art Bewerber auf sich aufmerksam machte - so jedenfalls deutete Plotina all ihre bisherigen Eindrücke. Ganz schön durchtrieben, diese Patrizierin ... :D


    Doch schon wurde auf der Bühne die nächste Szene gegeben, und Plotina wusste, dass es jetzt darauf ankam, nicht ein Wort zu verpassen. Doch ein neuer Schreck fuhr in die Glieder der Sergierin, als sie die folgenden Sätze hörte: “Ohren? Nasen? Die Nasen und die Ohren kohärieren de facto sogar sehr damit! Wie sagt man? nam vitiis nemo sine nascitur. Kein Mensch wird ohne Defekt geboren und gleichwohl kann man an ihm bei der Geburt meist kein Defizit an Nase und Ohren konstatieren.“ Damit war doch wohl nicht etwa sie selbst gemeint?! Instinktiv fasste sich die Sergierin an ihr Riechorgan, an dem die Natur es in der Tat an nichts hatte fehlen lassen. Doch nein! Eine so wichtige Persönlichkeit war sie nun wirklich nicht, schalt Plotina sich selbst und fahndete jetzt umso intensiver unter den ZuschauerInnen nach jemandem, der es in puncto Nase mit ihr würde aufnehmen können und deshalb wohl auch mit dieser szenischen Anspielung angezielt war. Dort vielleicht? Dieser hagere Mann - aber nein, seine Nase war in Wirklichkeit gar nicht so groß, sondern sah in dem abgezehrten, hohlwangigen Gesicht nur so riesig aus. Aber da hinten, die Dame mit dem Zinken! Hah, die könnte es sein - dachte Plotina triumphierend, während ihre Hand allmählich vom Nasenrücken zu ihrem Mund wanderte, wo ihre Zähne nur darauf warteten, sich in die Finger zu beißen - so nämlich ärgerte sich die Sergierin darüber, dass sie die Leute einfach nicht zuordnen konnte, weil sie sie nicht kannte.


    Viel Zeit zum Ärgern war Plotina jedoch nicht vergönnt, denn schon kam eine neue Szene auf die Bühne. Und hier hatte die Sergierin wieder einmal die Gelegenheit, sich selbst innerlich für ihre Beobachtungsgabe und Kombinationsfähigkeit auf die Schulter zu klopfen. Denn der Dialog bewies ihr, dass einiges, womit sich gewisse heilige Tiere in Ägypten die Zeit vertrieben, auch auf Menschen übertragbar war. Bei einem eher touristischen Besuch in einem dieser Heiligtümer zusammen mit ihrem Lehrer in ihrer Kindheit war Plotina nämlich einmal Zeugin dieses Zeitvertreibs gewesen und hatte aus dieser Begebenheit für sich bestimmte Rückschlüsse gezogen - richtige, wie sie hier belehrt wurde. Aber ach, für Kinderohren waren solche Dialoge eigentlich nicht das richtige, dachte sich die besorgte Sergierin, und fuhr unwillkürlich ein wenig von ihrem Sitz hoch: Ihre Augen suchten Sisenna. Was tun, wenn das Kind sie vielleicht eines Tages so etwas fragen würde?

    Zitat

    Original von Tilla Romania


    Instinktiv hatte Plotina sich mittlerweile in die Hocke begeben, um der kleinen Sklavin näher zu sein, die sich nun ihre Tränen trocknete. Von irgendeinem vorbeihuschenden Sklaven erhielt die kauernde Sergierin einen unabsichtlichen Tritt, doch den bemerkte sie kaum, denn ihre Aufmerksamkeit war jetzt ganz und gar auf das gerichtet, was nun von - Tilla, so hieß die Sklavin also - kam. Voller Konzentration verfolgte Plotina jede Geste Tillas, ihr Schreiben auf dem Boden, mit dem sie sich ihr vorstellte und ihr mitteilte, dass sie stumm war, dann ihr Deuten auf die eigene Brust und all die Zeichen, die sie mit ihren schönen Händen in die Luft zeichnete. Sorgsam suchte Plotina, sich jede Einzelheit einzuprägen, denn noch war sie sich nicht ganz schlüssig, worauf Tilla hinauswollte. Langsam aber setzten sich diese Einzelheiten im an Aristoteles geschulten Kopf der Sergierin zu einem sinnvollen Ganzen zusammen; der Prozess der Hermeneutik lief ab und ergab schließlich ein stimmiges Bild, welches Plotina sofort in diese Äußerung umzusetzen vermochte:


    "Angst ... Du hast Angst da drinnen mit den vielen Leuten!"


    Einen Moment stockte sie, denn sie spürte nun selbst in ihrer Brust einen leichten Stich, das Gefühl der Enge, das Tilla eben mit ihren Händen dargestellt hatte. Um sich Erleichterung zu verschaffen, seufzte Plotina auf. Dann sah sie Tilla intensiv an:


    "Tilla! Ich habe auch Angst hier, den ganzen Abend schon, wenn auch vielleicht vor anderen Dingen als du."


    Nachdenklich blickte die Sergia vor sich hin; wenn sie nun formulieren müsste, wovor sie eigentlich Angst hatte? Nicht, dass sie es nicht gewusst hätte, aber sie wagte kaum, sich das wirklich vorzustellen, denn allein diese Vorstellung ängstigte und beschämte sie schon zu sehr - dass gleich, im nächsten Moment schon, jemand auf sie zukommen würde und zu ihr sagte: "Raus mit dir! Du hast hier nichts verloren! Sieh' zu, wo du bleibst!" Einen Moment lang kämpfte nun auch Plotina gegen ihre Tränen, doch kam sie sich zum Weinen schon zu alt vor, und im Grunde war dieses bittere, beschämende Gefühl für sie ja auch nicht neu; es war nicht das erste Mal, das sie es spürte, es würde nicht das letzte Mal sein, doch zum Weinen war sie nicht hier. Ein Lächeln breitete sich wieder auf ihrem Gesicht aus; sie sah Tilla an und sagte:


    "Aber diese Angst, die wird uns jetzt nicht davon abhalten, Spaß zu haben!"


    Mit diesen Worten bot die resolute Sergierin Tilla ihren Arm an, um sie mit sich hochzuziehen und um ja nicht noch etwas von der Vorstellung zu verpassen. :D

    Gerne hätte die zupackende Sergierin dem kleinen Mädchen Aurelia Sisenna in diesem Moment beigestanden, denn auch wenn sie eine heranwachsende Patrizierin war, so war sie jetzt noch ein Kind, das der Hilfe und Fürsorge bedurfte. Als Plotina jedoch schon einen weiteren, letzten Schritt auf Sisenna zu machen wollte, bemerkte sie erst so richtig das Gespräch, welches jene Patrizierin mit dem Kind angeknüpft hatte, die Plotina zuvor noch vor dem betrügerischen dacischen - äh, syrischen Händler in Alexandreia hatte warnen wollen. Die taktvolle Sergierin zog augenblicklich zurück, um sich auf keinen Fall in dieses Gespräch hineinzudrängen; da sie sich aber auch nicht überwinden konnte, sich ganz von Sisenna zu entfernen, hörte sie einiges von dem Gespräch zwischen der großen und der kleinen Patrizierin mit an.


    Zu Plotinas großer Freude stellte sich dabei zunächst heraus, dass es sich bei der kleinen Patrizierin in der Tat um niemand anderen als Aurelia Sisenna handelte; ein Lächeln gemischt aus fast diebischem Übermut wegen dieser ihrer richtigen Vermutung und ganz naivem Entzücken malte sich jetzt auf den Zügen Plotinas ab. Bei aller Kinderliebe fühlte sich die Sergia nun aber auch, je länger das Gespräch währte, seltsam zu der großen Patrizierin hingezogen, deren Namen sie nun auch mitanhörte: Claudia Callista. War diese ihr eben vielleicht doch ein wenig der Welt entfremdet vorgekommen, so war Plotina nun ganz und gar überrascht, an dieser verschlossenen und gleichsam über den Dingen schwebenden Frau nun Mutterliebe zu entdecken und eine Zärtlichkeit, welche die Patrizierin selbst fast zu überwältigen schien. Ganz angetan von dieser sie verblüffenden Wendung, konnte Plotina sich nicht enthalten, Claudia Callista längere Zeit anzuschauen, in vollem Bewusstsein, dass sich solches für sie eigentlich nicht gehörte. Doch die fremde Dame schien es ihr nicht übel zu nehmen; sie richtete vielmehr eine Frage an die Sergierin, die diese nun vollends nicht erwartet hatte: Ob sie Sisennas Amme sei? Eigentlich war diese Frage ganz berechtigt, dachte sich Plotina später; doch in jenem Moment war sie einfach nur erstaunt und blickte instinktiv an sich selbst herunter hin auf das, was eine Amme für ihren Dienst unverzichtbar brauchte. Ein kleines Seufzen entrang sich den Lippen der Sergierin, wies das Ziel ihres Suchens doch wohl bei weitem nicht die Prallheit auf, die hier wohl angestanden hätte. Errötend sah sie wieder zu Claudia Callista auf und wusste nicht recht, was sie antworten sollte:


    "Die Amme Sisennas bin ich nicht, nein. Ich bin ..."


    Ja, was war sie eigentlich? Als Bekannte Aurelia Priscas wollte sie sich jetzt nicht bezeichnen, um diese nicht zu kompromittieren. Und sich als Subauctrix der Acta Diurna vorzustellen, war an dieser Stelle und im Angesicht dieser Dame wohl ebenso unpassend wie einfach ihren Namen zu nennen. Fand Plotina, denn sie war in so etwas ganz ungeübt und wusste eigentlich selbst nicht, warum man sie eingeladen hatte.


    In diesem Moment aber verlangte mit Bestimmtheit Sisenna, nun zu dem angekündigten Theaterstück gebracht zu werden, und bitteschön in die erste Reihe. Diese Bestimmtheit prägte sich die aufmerksame Sergierin schon einmal sicherheitshalber als einen Charakterzug ihres möglichen Schützlings ein und dachte sich ihren Teil dazu. Natürlich überkam sie auch hier wieder das Bedürfnis, dem Kind emporzuhelfen, wobei ihr ihr kräftiger Körperbau natürlich ganz entgegengekommen wäre. Allerdings schien es nun, dass sich eine Sklavin Claudia Callistas nun des Kindes annehmen würde, der Plotina selbstverständlich den Vortritt ließ.


    Alles machte sich nun auf den Weg zu diesem Drama, und auch die kunstsinnige Sergierin folgte mit großen Erwartungen, schien doch immerhin Aurelia Prisca hier maßgeblich ihre Hände im Spiel gehabt zu haben. Dass nun sie, Sergia Plotina, dort nicht mit Sisenna und den anderen in der ersten Reihe sitzen würde, war ihr bewusst, und so ließ sie sich auf dem Weg zu dem Theaterstück ein wenig zurückfallen, nicht ohne der Gruppe um Aurelia Sisenna und Claudia Callista noch ein Lächeln geschenkt zu haben und noch mehr:


    "Ich wünsche euch allen viel Freude bei dem Stück!"


    Als sie wieder allein war, fiel ihr Blick jedoch gleich auf den wieselflinken Pegasus im Sklavengewande der Gens Aurelia (Tilla), der eben noch so resolut das Theaterstück angekündigt hatte und dann Plotinas Augen entschwunden war. Die Sklavin hockte nun tatsächlich zusammengekauert in einer Ecke, und der sensiblen Sergierin schien es, als schimmerten Tränen in ihren Augen. Dies war der Moment, in dem sich all die aufgesparte Zärtlichkeit Plotinas, die sie Sisenna gegenüber eben nicht zu zeigen gewagt hatte, betätigen konnte. Augenblicklich beugte Plotina sich zu der jungen Sklavin und steckte ihr wortlos ein Taschentuch zu. Dann erst sagte sie zu ihr:


    "Salve! Ich heiße Sergia Plotina! Willst du nicht auch zu dem Theaterstück gehen - mit mir vielleicht?! Ohne dich hätte ich ja vielleicht gar nicht mitbekommen, dass es anfängt!"


    Lachend sah Plotina die Sklavin an, und erst jetzt fiel ihr auf, wie jung diese eigentlich noch war.

    Die Person vor ihr in der Schlange der Opferwilligen, eine ältliche Dame, schien den Rempler der quadratisch gebauten Sergierin aufgrund eigener Körperfülle gut weggesteckt zu haben. Natürlich drehte sie sich unmittelbar nach Plotinas Fauxpas zu dieser herum und bestrafte sie mit einem indignierten Blick; da sie aber von Plotina mit strahlendstem Lächeln empfangen wurde und in dieser wohl auch die Plebejerin vom unteren Ende der sozialen Skala erkannte, drehte sie sich auch schnell wieder herum und ließ die Sache auf sich beruhen. Plotina ihrerseits nutzte die ihr noch verbleibende Zeit bis zum Opfer dazu, den Rücken der vor ihr Stehenden genau zu inspizieren, ob sich dort nicht etwa eine unschöne Dunkelfärbung ihres Stoffes zeigte, die von dem Wein aus Plotinas Amphore stammte. Offenbar aber war es der akrobatischen Sergierin gelungen, den Wein bis zum letzten Tropfen für Meditrina aufzubewahren und nicht schon vorher über andere Gäste zu ergießen. Da Plotina in der Warteschlange nun auch immer näher an die Opferschale heranrückte, standen die Chancen gut, dass es ihr tatsächlich gelingen würde, den Inhalt ihrer Amphore vollständig dieser Schale zu übereignen. Doch noch eine weitere Prüfung hatten die Götter für die tapfere Sergierin vorgesehen. Hilflos musste diese nämlich jetzt mitansehen, wie der Gastgeber persönlich, Marcus Aurelius Corvinus, eben denselben Sklaven, dem sie ihren leeren Weinbecher auf das Tablett gedrückt hatte, wieder zu ihr schickte, um ihr erneut einen vollen Weinbecher anzubieten. Auch dem Sklaven war das sehr unangenehm; sobald er das Gesicht von seinem Herrn abgewandt hatte und von diesem nicht mehr gesehen werden konnte, warf er Plotina einen dieser tödlichen Blicke zu, welche die kühne Sergierin jedoch noch nie hatten umwerfen können, sondern sie stets nur stärker machten. Plotina ihrerseits empfing den Sklaven mit einem liebevollen Lächeln, mit dem sie sein Angebot "leider" ablehnen musste - nicht ohne vorher noch dem Decemvir freundlich zugenickt zu haben.


    Nach all diesen bestandenen Prüfungen war Plotina nun recht zuversichtlich, dass die Götter gnädig auf ihr Opfer schauen würden. In einem kurzen Gebet gedachte sie aller ihrer Verwandter, besonders Curios, der im fernen Alexandria verweilte, und natürlich Annaea Soranas, deren Tod sie nun zu beklagen hatte. Als sie dann den Wein in die Opferschale gegossen hatte, stellte sich allerdings die Frage: Wohin mit der Amphore? Plotina wähnte sich bereits in einem üblen Deja-Vue, als sie vor sich wieder die kleine wieselflinke Sklavin von eben sah, welche sie nun freundlich anlächelte. Diesem Lächeln konnte die Sergierin keineswegs widerstehen und lachte belustigt zurück; richtig froh aber wurde sie, als sie endlich bemerkte, dass sich just diese Sklavin um die leeren Amphoren zu kümmern schien. Freudestrahlend drückte Plotina ihr ihre leere Amphore in die Hand; denn die Amphore quasi einfach so aus der Villa Aurelia "mitgehen" zu lassen, hätte dann doch zu billig gewirkt. :P


    Plotina wandte sich nun von der Opferung und für einen Moment lang auch von der kleinen Sklavin ab, denn ein bekannter, lieblich-vertrauter Name traf ihr Ohr: Alexandria. Auf der Stelle fahndeten die Augen der investigativen Sergierin nach der Quelle dieses Klangs und machten sie schließlich in einer Patrizierin aus, die ihr schon vorhin aufgefallen war, weil auch sie auf eine merkwürdige Weise fremd in all dem Treiben hier wirkte. Plotina suchte, unauffällig in ihre Nähe zu kommen, und lauschte aufmerksam weiter, was diese einer älteren Patrizierin erzählte:


    Zitat

    Original von Claudia Callista
    "Superb. Ein formidabler Einfall, liebe Ofella. Unbedingt musst Du mich in Alexandria besuchen. Ich werde Dir alles zeigen. Die Sphinx. Die Pyramiden südlich des Nils. Die Krokodile. Und wir fahren dann auf meinem Schiff."
    Sollte es noch dort sein, Callista. Diese Geier werden es sich geholt haben.
    Hoffentlich nicht.
    Zuversichtlich. Strahlend. So ist Callista. Keine Spur von Entsetzen zeigt sich bei der jungen Frau.
    "Die Märkte von Alexandria. Die darfst Du nicht verpassen. Die schönsten Stoffe findest Du dort. Die edelsten Geschmeide."


    Die Märkte von Alexandria, ja, dachte Plotina, das war so ein Thema für sich. Hoffentlich war diese Patrizierin dort nicht auch wie schon so viele vor ihr auf diesen syrischen Händler hereingefallen, der sich als Daker ausgab und soviel goldenen Schmuck verkaufte, der angeblich der nördlichen Steppe entstammte - alles gelogen, wie jeder Einheimische wusste, aber wieviele waren ihm nicht trotzdem auf den Leim gegangen. Und gerade Patrizier waren in solchen Dingen oft so unkundig. Nein, nein, was die Märkte und gute Einkaufstipps anging, da musste man schon die richtigen Leute kennen. Plotina war jedenfalls stolz darauf, dass sie hier in Rom die Bekanntschaft von Eurydike gemacht hatte und diese auch an Aurelia Prisca hatte weiterempfehlen können.


    Aber was machte jetzt eigentlich Prisca? Plotina sah sich nach ihr um, und entdeckte dabei Unglaubliches: In diesem Atrium schien es nämlich einen Ort zu geben, an dem im Gegensatz zu allen anderen ein Frauenüberschuss herrschte. Der Galan der Prisca war jetzt nämlich sowohl von dieser als auch von Aurelia Helena umgeben - und wer da wem den Hof machte, war Plotinas Meinung nach auch nicht mehr so einfach zu sagen. Schade, dass sie nicht wusste, wer der so umschwärmte Mann war ...


    Sobald die Sergierin aber wieder von der Sphinx und Krokodilen reden hörte, erhellte sich ihr Gesicht und sie nahm wieder ihre patrizische Landsfrau in Augenschein. Ja, ein bisschen was von einer Sphinx hatte die, jedenfalls, was die geheimnisvolle Aura betraf, die sie umgab. Eine echte Begegnung mit einem Krokodil aber würde Plotina ihr lieber nicht wünschen - und sich selber auch nicht.


    In diesem Moment aber bemerkte die Sergierin in der Nähe eben dieser geheimnisvollen Patrizierin ein Kind - ein Kind, ein Mädchen; ja, das konnte nur Aurelia Sisenna sein! Instinktiv bewegte sich Plotina nun in ihre Richtung und ließ sich keine Regung des Mädchens mehr entgehen; so wurde sie auch Zeugin eines kleinen Patzers des aurelischen Sonnenscheins:


    Zitat

    Original von Aurelia Sisenna
    Sie drückte die Amphore der Sklavin an den Bauch und ließ sie umgehend los - hoffend, die Sklavin würde schnell genug zufassen. Gewohnheitsmäßig streifte sie anschließend die Hände am Bauch ab. Der Schreck war ihr anzusehen, als ihr bewusst wurde, dass sie damit womöglich ihr Kleid ruinierte und außerdem nicht mehr schick aussah. Sie traute sich nicht nachzusehen, kniff verschämt die Lippen zusammen und ließ den Blick, ohne dabei die Kopfhaltung zu verändern, von rechts nach links schweifen, um zu überprüfen, wer diesen Patzer eventuell beobachtet hatte.


    Ohne genau zu wissen, warum, ging die Sergierin nun entschlossen auf Sisenna zu, um ihr irgendwie Hilfe zu leisten. Seltsamerweise tauchte dabei in ihr die Frage auf, ob vielleicht die Pegasus-Sklavin von eben ihr nicht auch diesmal zuvor kommen würde?!

    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    "Keinesfalls", erwiderte ich postwendend und mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Zügen. Diese Feier sollte zwar ausgelassen und fröhlich sein, doch zwei Tage der anschließenden Regeneration sollten mehr als ausreichend sein.


    Mit einem ebensolchen Schmunzeln auf ihren Zügen erwiderte Sergia Plotina das Lächeln des Aurelius Corvinus; was sie über diese Zeitplanung in Wirklichkeit dachte, behielt sie derweil für sich - na ja, schaden konnte es ja nicht, wenn sie in zwei Tagen einmal vorsichtshalber bei der Villa Aurelia vorbeischaute, sofern diese dann noch stehen würde. :P


    Kurz darauf begann aber auch schon das Opfer, an dem auch alle Gäste die Gelegenheit haben sollten teilzunehmen; daher ja die Weinamphoren, die am Eingang verteilt worden waren. Plotina hatte die ihre mangels Sklaven die ganze Zeit in der Hand gehalten; jetzt, da auch sie zum Opfer schreiten wollte, hätte sie ihren inzwischen leeren Apfelsaft-Becher gerne bei einem der bedienenden aurelischen Sklaven auf ein Tablett gestellt, und hielt daher nach einem solchen dienstbaren Geist Ausschau. Und schon schien auch einer gefunden, eine Sklavin, ihrem Outfit nach zu urteilen unzweifelhaft aus der Phalanz aurelischer Meditrinalia-Sklaven, ihrem Gang nach eher ein zweiter Pegasus. Diese Serva trug nun zwar kein Tablett in ihren Händen, aber ihre leeren Hände übten auf Plotina einen ähnlichen Reiz aus, hoffte sie doch, in eine dieser Hände ihren Becher vertrauensvoll geben zu können. Sie setzte ein Lächeln auf, das durchaus ehrlich gemeint war, sah die Sklavin an, und hob bereits ihren rechten Arm, in dessen Hand sich der ominöse Becher befand, doch vergebens: Pegasus flog an Plotina vorbei und schien sie nicht einmal zu beachten. Enttäuscht ließ die Sergierin ihren Arm wieder sinken und lächelte ein bisschen verschämt zu Annaea Minervina. Doch schon keimte neue Hoffnung auf, denn nun schien es, als habe Pegasus ihr sein gütiges Auge zugewandt: Die Sklavin kehrte zurück, und zwar immer noch mit leeren Händen, von denen Plotina jetzt eine zu füllen gedachte. Wieder die Hoffnung, wieder das Lächeln, wieder der erhobene Arm, und wieder die Enttäuschung, als Pegasus davoneilte. Diesmal aber war es noch schlimmer, nicht nur, weil alles sich so wiederholte und Plotina allmählich begann, sich vor Annaea Minervina zu genieren, sondern auch, weil Pegasus nun wirklich sein Auge auf die Sergierin gerichtet hatte mit einem entschuldigenden Lächeln, so jedenfalls war es Plotina vorgekommen. Den Becher jedenfalls hielt sie immer noch in der Hand und sah sich jetzt auch dazu gezwungen, mit diesem in der rechten und der Amphore in der linken Hand ihren Opfergang anzutreten. Sie nickte Annaea Minervina noch einmal zu und wandte sich dann um, sich in die Schar der Opferwilligen einzureihen.


    Da! eilte da nicht gerade ein anderer aurelischer Sklave, vielleicht sogar der, von dem sie den Becher ursprünglich erhalten hatte, an ihr vorbei? Diese Gelegenheit würde sich Sergia Plotina auf keinen Fall entgehen lassen, nein! Mit einer waghalsigen, uneleganten Bewegung gelang es ihr, sich dermaßen zu strecken, dass sie dem eigentlich schon vorbeigeeilten Sklaven doch noch ihren Becher auf sein Tablett stellen konnte. Missbilligend sah der Sklave sich um, hatte die Sergierin durch ihre Kühnheit doch die Gefahr heraufbeschworen, dass er das Tablett fallen lasse. Entschuldigend schaute Plotina ihn an und murmelte auch eine Bitte um Verzeihung. In diesem Moment fiel ihr Blick auch wieder auf die Pegasus-Sklavin von eben, die nun in der Nähe einer Frau saß, die während der Opferzeremonie Flöte spielte. Plotina wollte der Pegasus-Sklavin einen triumphierenden Blick zuwerfen, doch wie so oft in solchen Momenten wurde daraus schließlich ein freundliches Lächeln. Neugierig betrachtete Plotina die Sklavin eine Weile, denn sie hatte das Gefühl, dass diese sich hier irgendwie fremd vorkam. Und das war etwas, was sie mit Plotina teilte.


    Über all dem hatte die Sergierin gar nicht bemerkt, dass sie bei ihrer akrobatischen Becher-Entsorge-Aktion von eben die Person, die vor ihr in der Reihe der Opferwilligen stand, angerempelt hatte.