Dass Plotina bisher von ihrem Wein noch nicht einmal genippt hatte, reihte sich nahtlos ein in die Phalanx der Unhöflichkeiten, die sie bisher hier bei ihrem "Dankes-Besuch" aufgestellt hatte. Es wollte ihr aber einfach nicht gelingen, ihre Augen vom Bäuchlein des Alexandriners zu lösen; zuviel Spaß machte ihr die Vorstellung, wie er wohl als kleiner schwarzhaariger Junge umhergetollt war und sich einiges - zweifellos nur sehr Geistreiches - hatte einfallen lassen, um einen Löffel Teig zu bekommen. Und vielleicht auch noch einen.
Die Sergierin schmunzelte vor sich hin und freute sich, als Theodoros leise ihre Vermutung bestätigte, dass er als kleiner Junge gerne genascht habe. Aber was war das für ein Ton, in dem er das gesagt hatte? Plotina wurde aus ihren Träumereien gerissen und fuhr auf. Sie sah Theodoros an, sah dass er zwar lächelte, doch dass sein ganzer Kopf bis zum Halse hin sich rötete.
Nun war es an Plotina, rot zu werden. War sie ihm etwa doch zu nahe getreten? Aber sie hatte doch nur ... In ihre ganze Gestalt auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch kam Bewegung. Stammelnd brachte sie hervor:
"A, ich meinte eigentlich nur ... Ich sehe, dass du gerne Kuchen isst, und ich auch als Kind, und Kinder essen doch gerne Teig ... und solche Sachen, oder? Du nicht auch? Doch, bestimmt!"
War damit alles gesagt? Plotina wurde erst jetzt bewusst, dass Theodoros sofort nach ihrer Frage nach seiner kindlichen Nascherei an sich herunter geschaut hatte, und zwar irgendwie beschämt, so kam es ihr jetzt vor. Dabei hatte er doch nun wirklich keinen Grund, sich für sein Aussehen zu schämen, im Gegenteil.
Aber vielleicht hatte sie hier bei ihm doch eine Art wunden Punkt erwischt. Sie hätte sich gar nicht vorstellen können, dass jemand wie Theodoros wunde Punkte hatte; er war ihr bis jetzt immer so überlegt und selbstsicher vorgekommen. Zum Beispiel doch auch damals in der Taberna - und da war das Bild wieder, ganz kurz, das die Sergierin seit jenem Tage immer wieder heimsuchte. Oder beglückte.
Sie sah den Alexandriner verwirrt an. Jetzt sah er anders aus, entsprach nicht ganz dem Bild von den Parilia. Jetzt sah er fast noch schöner aus. Plotina selbst traute sich gar nicht, diesen Gedanken zu denken. Sie saß nur da und schaute, schaute, wie sich die Röte seines Gesichts wie Purpur unter seinen Bart legte und wie wunderschön seine roten Lippen sich von den schwarzen Haaren abhoben. Ganz bestimmt hatten ihm schon viele gesagt, wie schön er war, sehr viele, und auch Frauen.
Plotina wandte ihr Gesicht ruckartig ab und biss sich auf die Unterlippe, denn ein Stich ging in diesem Augenblick durch ihr Herz. Sie versuchte, sich zu beruhigen, schalt sich, wie sie sich so etwas überhaupt nur überlegen konnte: Was ging es sie denn an, was er mit Frauen hatte?
Und doch marterte es sie. Es gelang ihr, Theodoros wieder anzusehen, nun aber nicht mehr lächelnd, sondern verkniffen und voller Trauer. Sie holte kurz Atem und sagte dann:
"Ich freue mich wirklich, dass mein Kuchen dir schmeckt! Nun beunruhige ich mich aber darüber, dass ich dir hier deine wertvolle Zeit stehle. Der Kuchen läuft dir ja nicht weg, lass ihn dir schmecken, wie du willst! Aber für mich ist es jetzt wohl Zeit zu gehen."
Immer noch stand das Glas Wein unberührt vor der Sergierin auf dem Schreibtisch.