Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Wie zu erwarten - treffsicher sandte Ziaar den Pfeil ins Ziel. Ich war beeindruckt, verbiss mir aber eine derartige Bemerkung, denn der Sklave war eh schon viel zu überzeugt von sich selbst. Dann war es an mir, ich nahm den Bogen, nahm einen Pfeil und legte ihn irgendwie auf die Sehne, doch sobald ich die Sehne spannte, fiel er runter. Beim zweiten Versucht hielt ich den Bogen darum etwas schräg, so dass der Pfeil auf dem Holz auflag, ja so musste es gehen... Habe ich schon erwähnt, dass ich eine Grundausbildung unter Feldzugs-Bedingungen absolviert habe, bei der man froh sein konnte, während des Trainings nicht von einem parthischen Heckenschützen erwischt zu werden, und bei der für solche Extras, wie uns das Bogenschiessen beizubringen, keine Zeit war, und dass ich zuletzt vor vielen Jahren, beim Römer-und-Karthager spielen war das gewesen, einen Bogen in der Hand gehabt hatte, den ich mir selbst gebaut hatte? Nun ja. Wohlweislich hatte ich für diese Übung eine Stunde gewählt, in der der Campus fast leer war.
    Ich kniff probehalber das linke Auge zusammen, dann mal das rechte, dann wieder das linke, und peilte konzentriert den Schädel an.... und liess die Sehne los. Worauf sie heftig gegen meinen Unterarm schnalzte, wo ich zum Glück einen ledernen Schutz trug, während der Pfeil in drei Schritt Entfernung zu Boden fiel.
    "Ups."
    Nein, ich sah nicht zu Ziaar in diesem Moment. Ich versuchte es einfach gleich nochmal. Und diesmal flog der Pfeil! Und flog und flog... bis er fernab des Ochsenschädels ganz am Rande der Bande steckenblieb. Tja. Unglücklich sah ich ihm hinterher. Aber ich war ja hier um das zu lernen, also fragte ich, wenn auch etwas kleinlaut, meinen Parther:
    ~"Was mach ich denn falsch?"~

    Oh je, ich hatte sie nicht kränken wollen, mit meiner Bemerkung, nur necken. Aber da zeigte sich mal wieder, dass ich, was den Umgang mit Frauen angeht, völlig aus der Übung bin. Verlegen winkte ich ab und murmelte etwas von "....nur gescherzt."
    Meine Bedenken mit dem Wein hatte sie offenbar auch durchschaut, und entkräftete sie, indem sie von beiden Bechern trank. Obwohl sie es mit Humor nahm, war mir das unangenehm, und ich spürte wie mir die Hitze in die Wangen stieg - hoffentlich verbarg es mein iberischer Teint. Ich zuckte mit den Schultern, grinste betreten als sie lachte, und spülte die aufkommende Verlegenheit schnell mit einem weiteren Schluck runter. Der zweite schmeckte dann auch nicht mehr ganz so schlecht wie der erste.


    "Redet sich das nicht jeder ein, dass es bloss die anderen trifft, wenn man nur vorsichtig ist, oder maßvoll? Aber Du musst nur einmal im falschen Moment Pech haben, und schon bist Du geliefert... Dagegen ist niemand gefeit", warf ich ein, und meinte das natürlich im Bezug auf Celeste. Dass es auch auf mich zutreffen könnte... ja, das wusste ich schon, aber das war doch was ganz anderes!
    "Ja klar ist meine Aufgabe manchmal auch gefährlich, aber irgend jemand muss das tun! Und ich bin stolz, als Soldat dem Kaiser zu dienen, und meinen Teil dazu beizutragen, dass die Bürger Roms so sicher und friedlich wie möglich leben können." Das brachte ich klangvoll, und im Brutton der Überzeugung vor, daran glaubte ich fest.


    Von meiner Idee sich was Anständiges zu suchen schien Celeste weit weniger begeistert als ich selbst, aber ich gab noch lange nicht auf und redete weiter enthusiastisch auf sie ein:
    "Oh ich bin sicher, auch wenn Du es Dir auf Anhieb nicht vorstellen kannst, Du würdest das fabelhaft hinkriegen. Wer sich, wie Du, in solch harten Verhältnissen durchgeschlagen hat, der schafft das allemal! Natürlich ist es eine Umstellung, man muss sich daran gewöhnen früh aufzustehen, und weniger Geld auf einmal zu verdienen und so weiter, aber dafür ist man diese ständige Anspannung los, muss nicht immer auf seinen Rücken achten und sich verstellen... Ja, und vor allem ist es ein ganz anderes Gefühl wenn man auf das was man tut stolz sein kann, wirklich ein ganz neues, wunderbares Lebensgefühl!"
    Ach wie wäre das schön, wenn man alle Verbrecher Roms von dieser Erkenntnis überzeugen könnte. Ich strahlte Celeste voll missionarischem Eifer an :D und überlegte :
    "Ich könnte mich umhören wenn Du willst, nach jemandem der noch eine Scriba sucht! Vielleicht könnte sogar mein Onkel noch jemanden gebrauchen, er ist Senator und hat immer viel Schreibarbeit. Und meine Tante Lucilla kennt alle Welt, sie weiss ganz sicher jemanden, der Dich einstellen würde. Du solltest es wenigstens einmal versuchen, Celeste! Oder denkst Du, dass vielleicht eine andere Anstellung besser zu Dir passen würde?"

    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator
    "Erst die Christianersekte." bestimmte Potitus mit fester Stimme. Die Beförderungen konnten später besprochen werden.


    Ich wartete, zugegebenermaßen etwas angespannt, was der Praefectus zu meinem Bericht sagen würde, aber er gab nur ein 'Mhm' von sich, aus dem ich leider gar nichts entnehmen konnte. Was mich besonders interessiert hätte war, ob er von der Sache mit dem vergammelten Getreide gewusst hatte, oder ob das allein auf dem Mist des Tribuns gewachsen war. Das war doch eine Sauerei, da konnte man krank davon werden!


    "Wir begannen mit der Observierung von Personen, die sich in der Vergangenheit schon einmal verdächtig gemacht haben, oder beschuldigt wurden, und von ihrem Umfeld", hob ich an, "so haben wir einen Kreis von Verdächtigen ausgemacht. Diese Leute halten sich sehr bedeckt, aber bei einigen konnten wir doch durch genauere Nachforschungen bestätigen, dass sie der Christianersekte angehören.
    Es sind vor allem einfache Leute. Zu den zentralen Figuren gehört ein Freigelassener, namens Cluvianus Madarus, ein Fischer und Netzeknüpfer, der am Tiberufer nahe der Horti Luculliani wohnt, und ausserdem eine alte Witwe, Binah, die aus Judaea stammt. Sie besitzt ein Stockwerk in einer Insula am Fusse des Aventin, dort finden manchmal kleine Versammlungen statt. Es scheint aber nicht der Ort zu sein, an dem sie ihre Kulthandlungen vollziehen. -
    Dann gibt es noch einen Sattler, Veratius, dessen ganze Familie und Gesinde der Sekte angehört. Er ist Römer. Einen anderen römischen Bürger, dieser stammt aus einer angesehenen Gens, haben wir stark im Verdacht, er hat Kontakt zu den anderen, und bei ihm wurde dieser Anhänger gefunden. Marcus Petronius Glabrio ist sein Name."

    Ich zog das kleine Holzkreuz hervor und reichte es dem Praefectus.
    "Da ihr Sektenführer gekreuzigt wurde, hat dieses Zeichen sakrale Bedeutung für sie. Ebenso auch das Zeichen des Fisches, wobei ich da den Grund nicht kenne. - Petronius lebte früher in Germanien, er war eine Zeitlang Duumvir von Colonia Claudia Ara Agrippinensium, hat jetzt aber kein Amt mehr inne. Vor kurzem hat er die Casa Petronia umbauen lassen und in ihr eine Taberna eröffnet... Ich denke, dass dies eine gute Tarnung sein könnte, um Wanderprediger zu beherbergen, und von dort aus diese Irrlehre weiter in unsere Gesellschaft einsickern zu lassen. Deshalb habe ich als nächstes vor, einen meiner Milites speziell auf ihn anzusetzen."
    Ich war wirklich eifrig, meine Ergebnisse zu präsentieren, aber nun machte ich doch eine Pause - falls der Präfekt Fragen hatte - während ich aus meiner Ledertasche die Schriften hervorholte, die Celeste mir besorgt hatte.

    "Danke." Ich nahm den Beutel entgegen, nickte dann kurz und knapp bei der Antwort des Miles, mehr war dazu nicht zu sagen.
    "Das wäre dann...", begann ich schon die Abschlussfloskel, da fiel mir doch noch etwas ein, "...ach nein, da ist doch noch etwas. Die Scola Atheniensis bietet in ein paar Tagen wieder einen Cursus Res Vulgares an, und wenn du die Zeit dazu hast, würde ich dir empfehlen, da teilzunehmen. Das ist kein Befehl, und es geht dabei auch nicht um militärische Themen, aber der Kurs ist eine gute Grundlage für, ähm, na eben für alles mögliche was das öffentliche Leben angeht."
    Ich fand einfach, dass Bildung nie schaden konnte, auch uns Urbanern nicht, und schon gar nicht wenn man vielleicht mal höher hinaus wollte.
    "Das ist dann alles", schloss ich, wegtreten."
    Sobald ich alleine war erging ich mich, die altvertrauten Mühlsteine anstarrend, wieder in Betrachtungen und Überlegungen, wie ich das alles am Geschicktesten anstellen sollte und wie es wohl ausgehen würde. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis unsere Expertin, mittels einer sehr einfallsreichen Botschaft, mit mir Kontakt aufnahm...

    In den letzten Wochen hatte Mettius Gnipho, der für kurze Zeit Princeps Prior meiner Centurie gewesen war, die Ausbildung der Rekruten übernommen, aber jetzt war der Mann ziemlich plötzlich versetzt worden. Er ging zur Ala I Ulpia Miliaria, um dort als Centurio zu dienen, und nahm dabei auch noch den Tesserarius mit, so dass hier auf einen Schlag zwei Principales flöten gingen. Eines schönen frühen Morgens stapfte ich also wieder zum Campus, um mich selbst um die Rekruten zu kümmern. Zuerst wollte ich mir ein Bild machen, was der Optio ihnen denn schon so alles beigebracht hatte. Ich muss sagen, besonders grosses Vertrauen hatte ich in den Mann nicht gesetzt, er erschien mir immer so farblos, und nicht besonders tüchtig, eigentlich war ich sogar ganz froh ihn los zu sein, sollte er doch bei den Hilfstruppen glücklich werden.
    Mit Argusaugen besah ich mir, wie ordentlich oder unordentlich die Jungs dort warteten, während ich auf sie zuschritt, dann baute ich mich vor ihnen auf, die rechte Hand lag lässig auf der Vitis, die ich wie einen Gehstock auf den Boden stützte. Hach, ich liebte meine Vitis, das elegant in sich verschlungene Rebholz, seinen Duft, seine Maserung, die Art wie es leicht elastisch erbebte, fast wie lebendig, wenn ich es bewegte oder Gewicht darauf verlagerte - und die Macht, die in diesem Stück Holz verkörpert war!
    "Probati, ad aciem!", kommandierte ich laut und klar, "State!"

    "Ja, es kann gut sein, dass ich noch einmal auf Dich zurückkomme", stimmte ich mit einem Nicken zu. Mir war so, als ließe sie gerade ihren Charme spielen - bestimmt war der für gewöhnlich hilfreich, um Aufträge an Land zu ziehen, oder ihren Geschäftspartnern das Hirn zu vernebeln, aber mich liess er kalt, und da war ich auch ganz froh drum.
    Wie wir da so sassen, war es einer dieser seltenen Momente, die wie losgelöst vom Fluss der Geschehnisse durch die Zeit treiben - unter gewöhnlichen Umständen hätten wir niemals in aller Ruhe so ein Gespräch miteinander führen können, aber dieses schäbige Zimmer, der fleckige Tisch im Schein der Öllampe, war in dieser Nacht eine Insel, auf der wir beide, weitab von dem was normal war, alltäglich oder angebracht, unsere Gedanken austauschen konnten. Ich mag solche Momente, sie haben etwas befreiendes, ja, inspirierendes.
    Natürlich sagte sie, sie habe nie getötet - ich hätte auch nicht erwartet dass sie mir gegenüber etwas anderes behauptete, aber ich fand doch, das es glaubwürdig klang, und besonders das mit den Prinzipien gefiel mir.
    "Gaunerehre, wie man so sagt", kommentierte ich, erfreut, da es zu dem passte worauf ich hinauswollte. "Hm, Grau, ja so könnte man wohl sagen. Was Du bist - ich schätze, Du bist einfach eine Frau, die versucht über die Runden zu kommen.... Wirklich schlimm sind die Mörder, und Brandstifter, und die, die ohne Skrupel andere ins Verderben stürzen..."
    Mir kam sogar der Gedanke, dass "gut und böse" mit "legal und illegal" nur wenig zu tun hatten, das das vollkommen verschiedene Kategorien waren. Immerhin gingen viele der grausamsten Taten von angesehenen römischen Bürgern aus - Kaiser die Proskriptionslisten schrieben, Prokonsule, die die Provinzen auspressten, Latifundienbesitzer, die ihre Sklaven zu Tode schunden... Soldaten wie wir, die armen Fellachen, die das Pech hatten in Mesopotamien zu wohnen, ihre Vorräte wegnahmen....
    Aber das kam mir auch in so einem besonderen Moment nicht über die Lippen. Zum Hades, solche Gedanken führten doch nur wieder zu Zweifeln an meinem Tun und Hadern mit mir selbst. Wie mein Centurio Flavius zu sagen pflegte: Nicht grübeln! Oder wie der Primus Pilus es ausdrückte: Ich tue meine Pflicht, nichts anderes zählt.


    Hinfort, Grübelei, hinfort, Zwiespalt - ich griff nach dem Wein und trank, obwohl er mehr wie schlechte Posca schmeckte, einen tiefen Schluck, während ich aufmerksam Celeste zuhörte. Sie erzählte recht offen von ihrem Werdegang, der wirklich nicht soo ungewöhnlich klang. Bloss dass solche Frauen für gewöhnlich eher ihren Körper anboten als ihr diebisches Geschick. Früh die Eltern verloren, nach Rom gekommen, hatte sich durchschlagen müssen, hatte ihre Schwester verloren - ich machte ein mitfühlendes Gesicht als sie das erzählte - und stahl aus der Not heraus. Ob ich ihr das zutrauen würde? Ich musterte sie wieder. Klar war ich überrascht gewesen, geradezu verblüfft als Redivivus sie mir beschrieben hatte, aber ich zog es vor so zu tun, als wäre ich mit allen Wassern gewaschen und antwortete grinsend:
    "Ich würde Dir alles zutrauen, Celeste, wenn ich das raffinierte Funkeln in Deinen Augen sehe."
    Alles? Mein Blick fiel auf den Weinbecher, den ich gerade wieder zum Mund führen wollte, und mir fiel auf, dass der Wein eine ganze Zeit lang in ihrer Reichweite gestanden hatte, und ich nicht wirklich drauf geachtet hatte, und sie gut die Möglichkeit gehabt hätte, mir da etwas hineinzumischen... "Das Gesöff rollt einem die Zehennägel auf", beschwerte ich mich darum, und stellte den Becher wieder zurück.


    "Ich frage mich wirklich, wie lange das gut gehen kann,", meinte ich dann wieder ernst, "selbst wenn man sehr fähig ist, irgendwann geht doch etwas schief. Ich sehe das ja ständig. Neulich erst haben wir Drubius Cleptus verhaftet, und der war ein Meister seines Faches. Und selbst wenn man nicht geschnappt wird, ist das Milieu brutal und man muss ständig auf der Hut sein, um nicht mit einem Messer im Rücken in der Gosse zu landen... Gerade für eine Frau wie Dich muss es doch sehr gefährlich sein."
    Ich runzelte die Stirn, fragte mich ob Scopas sie wohl beschützte, verkündete dann voll Optimismus:
    "Es gibt immer einen anderen Weg, wenn man nur wirklich will. Was hält Dich davon ab, Dir eine andere, eine anständige Arbeit zu suchen? Zum Beispiel...hm... als Scriba! Du bist klug, hast eine schöne Handschrift, eine gute Orthographie, Du wärst sicherlich als Scriba sehr erfolgreich!"

    Spätabends kehrte ich von dem Treffen mit Celeste zurück. Ich brannte darauf, die Ausbeute dieses Auftrages zu sichten, und setzte mich gleich an den Tisch in meinem Arbeitszimmer, wo es immer noch leicht sauer nach Mörtel roch. Stück für Stück holte ich die Indizien, oder sogar Beweise der Schuld aus meiner alten Ledertasche und betrachtete sie genau, versuchte einzuordnen auf welchen Bereich der Stadt sich die Karte beziehen mochte, und vertiefte mich in die Schriftstücke. Jedenfalls in die, die ich lesen konnte, zwei waren in dieser komischen hebräischen Schrift verfasst, von der ich natürlich keine Ahnung hatte. Die Lippen skeptisch aufeinandergepresst, die Augen etwas zusammengekniffen, las ich mit grösster Distanz, schon fast mit Abscheu, in einer Schriftrolle, die anscheinend Geschichten aus dem Leben von deren totem Propheten und Sektengründer behandelte, dann in einer mit sakraler Dichtung, überschwänglichen Lobpreisungen von deren anmassendem Gott... und dabei geschah etwas ganz seltsames, denn unmerklich, je weiter ich las, desto mehr berührten mich diese Worte, fesselten mich, und mir war auf einmal, als läge hinter deren Oberfläche etwas viel Grösseres, etwas Leuchtendes, als gäbe es dort etwas Wunderbares zu entdecken.
    "...Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken! so muß die Nacht auch Licht um mich sein. Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht..."
    Eine feine Gänsehaut lief über meine Kopfhaut, als ich diese wunderbaren Worte ganz leise noch einmal vor mich hin sprach. Ich starrte auf das Geschriebene, und spürte wie es in meinem Inneren sacht nachklang... Dann liess ich hastig das Pergament los, zuckte zurück als hätte ich eine giftige Schlange angefasst. Mit spitzen Fingern packte ich die Sachen schnell alle wieder zusammen, und sperrte sie in eine schwere Holztruhe ein, festentschlossen sie so bald wie möglich wieder loszuwerden. Das wäre ja noch schöner, wenn ich mich von diesem komischem Irrglauben beeindrucken liesse!

    "Für mich ist es auch eine neue Erfahrung", gab ich mit einem schiefen Lächeln zu. Dann wunderte ich mich, dass sie das Geld nicht nachzählte, und es kränkte mich ein wenig - wirkte ich denn so harmlos und unbedarft, dass sie mir nicht mal den Versuch, sie zu übervorteilen zutraute?
    Ich griff nach der Beute, stapelte die Schriftstücke, rollte die Karte sorgfältig zusammen, wickelte die Schnur des Kreuzanhängers zusammen, und verstaute alles in meiner Tasche. Es erleichterte mich sehr zu hören, wie Celeste die Sache darstellte, das klang sehr vernünftig, ich hatte - auch wenn ich natürlich nicht sicher sein konnte, auch wenn es vielleicht naiv war - doch den Eindruck, dass sie wirklich schweigen würde, und damit war ich meine grösste Sorge los.
    "Gut, dann sind wir uns ja einig. Keinem von uns würde es gut bekommen, den anderen übers Ohr zu hauen.", wiederholte ich noch mal kühl die Essenz des Gesagten, mit einem stählernen Unterton, der besagen sollte dass ich in dem Fall gar nicht so harmlos und nett sein würde. Also, ich hoffte jedenfalls, dass es stählern rüberkam.


    Damit war das Geschäftliche ja soweit erledigt. Ich verschloss die Schnallen an meiner Ledertasche, und lehnte mich, jetzt um einiges entspannter, auf dem Hocker zurück, bis mein Rücken sich bequem an die Wand stützte. Ruhig bedachte ich Celestes Frage. Das Gute, das Böse, das Gleichgewicht... hm... ich fand es merkwürdig, das so zu bezeichnen. Aber ein spannendes Thema war es allemal, und bevor ich mich versah geriet ich ins Plaudern.
    "Ja, es ist besser wenn wir uns nicht kennen, falls wir uns noch einmal begegnen sollten. - Ähm. Hältst Du Dich wirklich für das Böse, Celeste?" Ich musterte sie skeptisch. "Hast Du schon mal jemanden umgebracht?"
    Kaum hatte ich das gefragt, hob ich schon abwehrend die Hand. "Entschuldige, ist ja kein Verhör... Ich will damit sagen, wer klaut ist deswegen doch noch lange nicht 'böse', es gibt viele Gründe warum jemand abrutschen und auf so einen Weg geraten kann, und es gibt wahrlich schlimmere Verbrechen. Aber in Ordnung ist es trotzdem nicht, es ist zu recht verboten, und wer erwischt wird muss nun mal die Konsequenzen tragen, so sehe ich das."
    Ich rieb mir das Kinn - das leicht stoppelige Gefühl missfiel mir, morgen musste ich unbedingt wieder zum Barbier - und meinte dann schulterzuckend: "Sicher ist es eigenartig, aber das hier ist eben ein besonderer Fall, der besondere Maßnahmen erfordert. Im Krieg habe ich, im Rahmen meiner Pflicht, Dinge getan, die mir wesentlich mehr gegen den Strich gegangen sind."
    Wenn es um Sektierer-Verschwörer und staatsfeindliche Umtriebe ging, wenn Feinde von Innen das Imperium bedrohten, da durfte man eben nicht zimperlich sein, ebensowenig wie wenn man gegen den Parther im Osten zog, und ich verspürte wirklich keinen Funken von schlechtem Gewissen, dass ich Celeste angeheuert hatte. (Ausserdem ging es auch um meine Karriere, ich wollte schliesslich vor dem mächtigen, einflussreichen Praefectus Urbi nicht mit leeren Händen dastehen.)
    "Wie bist Du auf diesen Weg geraten, Celeste, wenn ich fragen darf?", erkundigte ich mich dann, in höflichem Tonfall, ich wollte nicht aufdringlich sein aber es interessierte mich ehrlich. "Ist ja schon ungewöhnlich für eine junge Frau."

    Tröstend drückte ich das zarte Händchen meiner Cousine. Sie wirkte so rein und unschuldig, gewiss war sie im Cultus Deorum, als Priesterin der jungfräulichen Göttin, gut aufgehoben. Wir unterhielten uns noch ein bisschen, ich erzählte was ich bei den CU so machte und von meinen Plänen fürs Equus October, dann verabschiedete ich mich und brach auf, um wieder in die Castra zurückzukehren. Von der Auseinandersetzung mit Flavus, dem plötzlichen Familienzuwachs, und dem Gespräch über Onkel Livianus war ich immer noch ziemlich aufgewühlt - das muss ich gleich Tante Lucilla schreiben dachte ich, und darüber vergass ich ganz den Brief an meinen Bruder, den zu verfassen ich eigentlich in den Garten gekommen war, etwas das ich später noch bereuen würde.

    Flavius Gracchus konnte zwar nicht wissen, ob meine Hände fähig waren oder nicht, aber ich freute mich über die netten Worte, so wie ich mich immer freue, wenn man anerkennend von mir spricht, ob zu recht oder nicht.
    "Danke!", sagte ich lächelnd, "Ja, ich strebe danach, meine Arbeit so gut wie er zu machen."
    Darauf nahm ich das Fläschchen noch einmal zur Hand, und liess wieder ein klein wenig von dem feinen Öl in meine Handfläche rinnen, dann tat ich es dem Flavius ganz selbstverständlich gleich, und ging um ihn herum, um mich seinem Rücken zu widmen, egal ob das nötig war oder nicht. Dieses Vergnügen würde ich nicht dem Sklave, den er bei sich hatte, überlassen. Ein Vergnügen war es auch, ihm zuzuhören, obwohl er manche Worte komisch aussprach, er redete wie eine Schriftrolle, so altertümlich und gepflegt, echt einmalig. Darob wiederholte ich für mich im Geiste, bei jeden anderen hätte sich das affig angehört, bei ihm klang es vornehm.
    Ach, Iuppiter, das hätte ich mir ja fast denken können. Oh, Pontifex, alle Götter zugleich, so betrachtet war das eine ziemlich heftige Aufgabe.
    "Das muss eine schwere Verantwortung sein", meinte ich voller Respekt, "wo die Götter ja so schwer zu verstehen und so leicht zu verärgern sind."
    Aber bei aller Ehrfurcht: er hatte einen schönen Rücken, von nobler Blässe. Ich kippte meine Hand ein wenig, und liess zuerst lediglich einen einzelnen Tropfen über den Rand meiner Handfläche gleiten, und auf den patrizischen Rücken fallen. Am Ansatz des Halses traf er auf, und rann zwischen den Schulterblättern hinab, zog eine glänzende Spur entlang der Wirbelsäule. Dann rieb ich meine Hände gegeneinander, um sie ein wenig anzuwärmen, berührte die Schultern des Flaviers mit den Handflächen und begann das Öl kreisend über seinen Rücken zu verteilen, und es kraftvoll zu den Seiten hin auszustreichen. Ich liess die Hände in die tieferen Regionen seines Rückens gleiten, spürte die leicht angedeuteten Lendengruben, und es war gut, dass er nicht wusste, was ich dabei dachte. -
    "Ja, das ist mein Onkel Decimus Livianus." Absichtlich sagte ich 'ist' und nicht 'war'. "Wir sind eine Familie, bei der es fast alle zum Militär zieht... es ist sozusagen eine Tradition. - So. Wollen wir?"
    Ich zog die Hände zurück, und stellte mich mit einem unternehmungslustigen Grinsen ihm gegenüber in die Grundstellung des Ringens, gespannt wie wir uns schlagen würden.

    "Vale Centurio!"
    Ich salutierte, schluckte, und hatte das Gefühl, dass mit dem Weggang des Centurio Flavius Aristides eine Ära zu Ende ging. Die Ära, in der noch ein jeder sich hatte hocharbeiten müssen im Militär, und die Kommandoposten nicht irgendwelchen ahnungslosen Senatorensöhnchen hinterhergeworfen wurden. Ausserdem war er seit meinem Eintritt in die Prima mein Vorgesetzter gewesen, ab jetzt würde ich mich alleine bewähren müssen... Oder nein, Unsinn, nicht alleine, schliesslich hinterliess er eine disziplinierte Centurie, und ich konnte mich auf die Kameraden verlassen.
    Was die dunklen Punkte in meiner Vergangenheit anging, so war ich diesmal davongekommen, knapp, aber Hauptsache davongekommen, und ich war eifrig und gewillt mich in neue Aufgaben zu stürzen. (Ich hoffte allerdings, dass Aristides dem frechen Lauscher zur Strafe die Zunge herausschneiden würde. In die Villa Flavia würde ich mich jedenfalls nie wieder hineintrauen, wegen der Sklaven.)
    Ich drehte mich einmal im Kreis, bewunderte die grossen, leeren Räume der Centurionenunterkunft und verliess diese dann, um zunächst wieder meiner Princeps-Prior-Pflichten zu walten - und um kurz darauf tatsächlich als frischgebackener Centurio dort einzuziehen.

    Ha! Der Peitschenknauf blockierte einen Augenblick lang das Rad, bevor er auseinanderbrach, lange genug, um den Blauen aus der Bahn zu bringen. Die Bruchstücke der Peitsche fielen in den Sand, und ich machte, dass ich meine Zügel wieder in die Hände bekam, während der Wagen des Blauen zur Seite schwenkte, sich gar ein Stück drehte... Mit einem breiten, hämischen Grinsen zog ich an ihm vorbei, Rache war süß, und ich fühlte mich in diesem Moment wie der König der Rennbahn. Ja, das hatte der Schnösel jetzt von seinen fiesen Tricks!
    In diesem Hochgefühl jagte ich weiter die Bahn entlang, jetzt war niemand mehr vor mir, jetzt schluckten die anderen den Staub den ich aufwirbelte, das Brüllen von den Tribünen schien mich wie eine gewaltige Woge zu erfassen und immer schneller vorwärts zu tragen, ich fühlte mich eins mit meinen kraftvoll stürmenden Pferden und mit dem dahinbrausenden Wagen, wir flogen über den Sand, es war besser als Opium, und ich wusste, dass ich diesen Augenblick nie vergessen würde, und noch meinen Enkelkindern von diesem Tag erzählen würde - falls ich wider Erwarten mal Enkelkinder haben sollte.


    Mein ikarusgleicher Höhenflug nahm ein Ende, als ich, es muss in der fünften Runde gewesen sein, an einer Stelle der Tribüne vorüberraste, wo just in diesem Moment irgend so ein Kerl zwei grosse Metallbecken zusammenschlug. Ich sah das nur einen winzigen Augenblick lang, dann war ich schon vorbei, aber das infernalische Scheppern und Dröhnen drang laut an meine Ohren - und an die viel feineren meiner Pferde, die auf einmal erschrocken zur Seite sprangen, so dass der Wagen heftig schwankte. Da war mir wieder, als stünde ich auf dem Deck der Saltatrix von Ravenna in einem wilden Sturm, und erblassend klammerte ich mich am Rand der Kanzel fest; zu erschrocken selbst zum Fluchen, verlagerte ich das Gewicht, um den Wagen vor allem vor dem Umkippen zu bewahren. Diesen Kerl hatte todsicher mein blauer Rivale dort platziert, und ich hoffte von ganzem Herzen er würde sich heute noch den Hals brechen... Caius Optimus meinte ich, nicht den Trommler - obwohl ich bei dem auch nichts dagegen gehabt hätte.
    Mit schweissnassen Hände führte ich die Zügel, so ruhig und bestimmt ich das jetzt noch vermochte, zügelte Velox, der nach rechts hin ausbrechen wollte, trieb Volucer an, der ein nervöses Wiehern ausstiess, und versuchte meine beiden Hispanier wieder unter Kontrolle und um die nächste Kurve zu bringen, immer schön entlang der Tangente. Jetzt keinen Fehler mehr machen, nicht jetzt wo das Ende schon in Sicht rückte...

    Eine kleine, junge Frau - es wurde immer seltsamer. Ich nahm die Skizze entgegen, und starrte mit zusammengekniffenen Augen darauf, so intensiv als stünde dort die Antwort auf all meine Fragen geschrieben. Oder auf die grosse Frage: Was tun? Vielleicht dramatisierte ich das Ganze ja auch. Man hat mir schon öfter einen Hang dazu nachgesagt, zum Drama und zur Theatralik. Ausserdem fragte ich mich jetzt, ob ich, wenn es wirklich ein Missverständnis gewesen war, die Verantwortung nicht doch eher bei mir zu suchen hatte, und dem Miles Unrecht tat. Aber das konnte ich natürlich nicht zugeben. Schliesslich hat beim Militär grundsätzlich der Vorgesetzte recht, und als ich Miles gewesen war, hatte ich auch so manche Kröte schlucken müssen.
    Ich nickte, als Redivivus von dem vereinbarten Lohn sprach, diesmal angenehm überrascht, dass noch Geld übrig war; da musste er geschickt verhandelt haben.
    "Gut...", sagte ich, lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, und redete mir ein, dass ich doch eigentlich alles unter Kontrolle hatte. "Das ist ja recht preiswert. - Ich muss mir selbst ein Bild von dieser Frau machen. Wenn sie uns kontaktiert, gehe ich selbst zu dem nächsten Treffen." Ich muss zugeben, bei dieser Entscheidung spielte auch meine Neugierde, diese geheimnisvolle Frau auch mal mit eigenen Augen zu sehen, eine gewisse Rolle.
    "Dann gib mir bitte bei Gelegenheit den Rest des Geldes zurück, den gebe ich ihr dann selbst."
    Wenn 'die Expertin' wirklich von sich hören liess. Wenn, wenn, wenn...
    "Ansonsten möchte ich, dass diese ganze Angelegenheit unter uns bleibt. Kann ich mich da auf Dich verlassen, Miles Redivivus?, fragte ich zuletzt, wobei ich meinem Gegenüber sehr ernsthaft in die Augen sah.

    Als sie lächelte, auf diese bittere Art, sah sie gar nicht mehr so süss und unbedarft aus wie sonst. Da konnte ich mir durchaus vorstellen, dass sie sich in der Unterwelt hatte bewähren müssen, und harte Zeiten hinter sich hatte. Ihr so lange es geht klang in dem halbdunklen Raum nach, und ich muss zugeben, es berührte mich... Sie machte sich wohl keine Illusionen, aber trotzdem ging sie den einmal eingeschlagenen Weg weiter, das war eigensinnig, und irgendwie auch traurig... Es berührte mich, mehr als es das hätte tun sollen, immerhin war sie eine Diebin, Einbrecherin und was weiss ich, und unter anderem Umständen - also wenn ich nicht so dringend ihre Dienste gebraucht hätte, weil ich einer ungleich verworfeneren Gruppierung auf der Spur war! - dann hätte ich sie wohl oder übel festnehmen müssen. Eine zwiespältige Angelegenheit, keine Frage.


    Sie liess mir nicht lange Zeit, ihre Beute durchzusehen. Mein Blick wanderte von dem Kreuz - aus der Casa Petronia, wenn ein römischer Bürger mit drinsteckte wurde es natürlich besonders interessant - zur Karte, zu den verschiedenen Schriften, dann sah ich auf und begegnete ihren Augen. Wieder hätte ich nicht sagen können, was darin stand. Ein seltsamer Blick war das. Celeste war, oder schien, in mancher Hinsicht erstaunlich offen, in anderer voller Rätsel. Ich bin nicht Dein Feind wollte ich sagen, aber das wäre auch nicht ganz wahr gewesen.
    "Ich... tue nur meine Pflicht. - Die Sachen sehen interessant aus, ja ich bin soweit zufrieden."
    Womit ich nicht zufrieden war, das war dass sie meine Identität kannte, aber das würde ich ihr natürlich nicht auf die Nase binden, und ausserdem wusste ich nun ja auch ihren Namen, und wie sie aussah. Ihrem Blick erwidernd überlegte ich, wie ich sie beschreiben würde, falls ich einmal in die Situation käme, ihr meine Männer auf den Hals hetzen zu müssen. Welche Farbe hatten ihre Augen... in dem schwachen Licht schwer zu sagen. Ich beugte mich ein wenig weiter nach vorne, um genauer zu sehen.


    "Du hast mir einen Dienst erwiesen", sagte ich dann, und, mit einer Handbewegung zu ihrer Beute: "Diese Leute sind gefährlich, sonst hätte ich nicht zu solchen Mitteln gegriffen. Dein Lohn steht Dir zu. Hier..." - ich klappte meine Ledertasche auf, holte einen Beutel, prall mit Denarii gefüllt, heraus, und stellte ihn vor ihr auf den Tisch - "...der Rest der vereinbahrten Summe. Und für die gute, prompte Arbeit, lege ich noch etwas drauf."
    Das tat ich auch, und stellte einen weiteren Beutel daneben, der noch mal die selbe Summe enthielt. Eigentlich fand ich es sogar fair, sie für gute Arbeit anständig zu bezahlen, auch wenn es alles aus meiner eigenen Tasche kam, das Budget des PU war nämlich schon längst verbraucht. Übertrieben fand ich den Lohn keinesfalls, andererseits waren zwei der Ziele für einen Profi wohl kaum eine Herausforderung gewesen.
    "Ich erwarte natürlich, dass Du über diese Sache Stillschweigen bewahrst. So wie auch ich kein Wort über Dich verlieren werde."
    Grosse Sätze, im Schein einer flackernden Öllampe gesprochen. Mit Genugtuung nahm ich wahr, dass meine Stimme kühl und fest klang - El Cachetero selbst hätte das nicht schöner sagen können - auch wenn dieser Punkt mir Kopfschmerzen, oder viel eher Bauchgrimmen bereitete. Aufregung schlägt bei mir schnell mal auf den Magen.

    Jetzt verspottete sie mich. Oder? Sehnte sie sich womöglich auch nach einem anständigen Leben? Ich konnte es nicht wirklich deuten, ihre Worte, den Ausdruck ihres halb abgewandten Gesichtes, dessen Konturen vom Licht der Lampe scharf gegen die Dunkelheit des Raumes abgegrenzt wurden. Man konnte uns Urbaner wohl kaum ernsthaft als die "gute Seite" bezeichnen. Nicht mal ich hätte das so genannt, dafür wusste ich zu gut, das viele von den Kameraden Schmiergelder nahmen, oder einfach gerne Leute zusammenstauchten, oder wie übel es einem im Carcer der Castra ergehen konnte. Aber war das ein Wunder, bei den Zuständen hier in Rom, wo man, kaum dass man einen Schritt weg von den sauberen grossen Strassen und Foren machte, mitten in einem Morast stand, wo die alltägliche Gewalt und auch das Verbrechen wuchsen und gediehen? Es gab auch viele gute Männer unter den Urbanern, aufrechte Römer, ebenso tapfer wie die Männer von der Prima, und überhaupt, ohne die Stadtkohorten, die taten was sie konnten, und wenigstens (meistens) die schlimmsten Auswüchse verhinderten, wäre alles noch viel schlimmer gewesen, dessen war ich mir sicher... Ich presste die Lippen zusammen, und sagte möglichst ausdruckslos:
    "Danke."
    Von meiner Frage liess Celeste sich nicht provozieren, sie antwortete ganz ernsthaft und ruhig. Ich konnte ihr da nicht widersprechen und nickte leicht. "Naja", gab ich aber zu bedenken, "irgendwann macht jeder aber mal einen Fehler. - Du hast schon einen gewissen Ruf, also nicht Du, Celeste, aber es ist kein Geheimnis, dass Scopas angeblich jemanden sehr fähiges vermitteln kann."
    Meine Stimme klang fast respektvoll, als ich das sagte, das ärgerte mich, und ich setzte kühl hinzu: "Dann will ich mich mal selbst überzeugen", und trat an den Tisch heran.
    Ein Weg in die Unterwelt Romas... Das war ja mal hochinteressant!! Man munkelte doch, diese Leute würden sich in Katakomben treffen, um ihre lichtscheuen Riten abzuhalten! Ich beugte mich über den Tisch, stützte die Hände auf die Platte, und betrachtete die Karte ganz begierig, als wollte ich sie mit den Augen verschlingen. Ja, ich hatte Feuer gefangen, setzte mich nun doch auf den Hocker, hob die Kette ins Licht, und fragte: "Aus wessen Haus stammen diese Dinge?"
    Schriftstück um Schriftstück nahm ich zur Hand, um sie - jedenfalls solange Celeste mir nicht Einhalt gebot - voll brennender Neugier zu überfliegen.

    Was für eine Bruchbude. Ich hatte von der Empore eine Öllampe mitgenommen, die die triste Einrichtung hier beleuchtete, und bei dem Anblick war ich wieder einmal froh, dieser Art von Milieu mittlerweile sehr fern zu sein. Die Lampe stellte ich auf den Tisch, den Wein dazu, dann legte ich den Riegel vor die Tür, damit keiner hereinplatzen könnte.
    Celeste hatte sich hingesetzt, ich dagegen ging zum Fenster, wo ich mich bloss ein wenig auf das Fensterbrett lehnte - aufrecht stehen zu bleiben, schien mir irgendwie hilfreich, um hier bei dieser seltsamen Begegnung die Oberhand zu behalten.
    "Mhm. Das klingt als hättest Du Karriere gemacht." stellte ich fest, während sich meine Perspektive auf unser Zusammentreffen damals einmal um sich selbst drehte. Puh! Wenn sie damals nicht als Hure dort gewesen war, dann wusste sie wahrscheinlich auch nichts pikantes über mich, das war gut. Blieb meine damalige Verbindung mit Hannibal - allein der Gedanke an ihn versetzte mir einen Stich... - aber was solls...


    Wider Willen musterte ich Celeste äusserst nachdenklich. Mir war, als würde ich einen Blick werfen auf 'die andere Möglichkeit', also auf etwas, was womöglich so ähnlich auch aus mir hätte werden können, nicht unbedingt ein Meisterdieb (auch wenn ich durchaus Talent dafür hatte, die Urbaner hatten mich damals doch nur erwischt weil ich an dem Tag völlig kopflos vor Angst vor Callistus' Messerstechern gewesen war, ganz und gar unvorsichtig, und zudem berauscht!), aber mich hätte es wohl eher in die Richtung von Decius oder Drubius Cleptus gezogen, mit Schwindeleien und kunstvollen Betrügereien und so, bei denen man keine Gewalt anwenden musste. Aber letztendlich flogen sie doch alle auf die Nase, da konnten sie noch so gut sein, auch mit Celeste würde es irgendwann böse ausgehen, da war ich mir sicher. Ich dagegen hatte jetzt einen respektablen Posten, eine Centurie, der ich sagen konnte wo es langging, eine schneidige Uniform und verdiente viel Geld. Alles war bestens, alles bis auf... aber lassen wir das.
    "Bist Du denn wirklich so gut?", fragte ich, mit einem leisen, nicht bösen, Beiklang von Spott unsere Spezialistin.
    "Wie ist der Auftrag gelaufen, und was hast Du für mich aufgetrieben?"

    Die erste Klippe schien umschifft zu sein; ich war erleichtert, als wir beide am Tisch sassen. Celeste - wenn sie wirklich so hiess - hatte ihren Platz gut gewählt, ich dagegen sass mit dem Rücken zum Schankraum, und fühlte mich dabei, so ohne meine Rüstung, viel zu ungeschützt. Unbehaglich rückte ich meinen Stuhl ein Stück zur Seite, und spähte über meine Schulter. Die Leute schienen das Interesse verloren zu haben. Es waren schon rauhe Gestalten darunter, und ich fragte mich, ob Celeste wohl unter ihnen jemanden zu ihrem Schutz plaziert hatte. Oder jemanden, der mich überfallen, abstechen, und mir das Geld einfach so abnehmen sollte.
    Ich nickte, als sie ihren Namen nannte, auch wenn ich ihr nicht glaubte, aber ob Name oder Deck- oder Künstlername, das machte eigentlich keinen Unterschied. Es war jedenfalls, wie mir schon damals aufgefallen war - und deshalb war er mir wohl auch im Gedächtnis geblieben - ein wirklich hübscher Name.
    "Schwierigkeiten?", fragte ich nach, weil die Formulierung 'uns in Schwierigkeiten bringen' mir irgendwie auffiel.
    "Ja, es ist seltsam. Vielleicht...", meinte ich scherzhaft, "ist es ja Schicksal. - Damals, nein, damals war ich noch kein Urbaner."
    Das letzte Wort sagte ich besonders leise, damit es ja keinem hier zu Ohren kam. Dabei musste ich tatsächlich ein wenig schmunzeln, denn zu dieser Zeit, als ich Celeste getroffen hatte, hatte ich die Urbaner wirklich gehasst, und hätte mir nicht im Traum vorstellen können, dass ich jemals zu ihnen gehören könnte. Aber damals war ich ja auch völlig verblendet gewesen, hatte mein Leben absolut nicht im Griff gehabt.
    "Ich ging kurz darauf zur Armee, war in Parthien, und nach der Rückkehr bin ich zu den Stadtkohorten gegangen", erklärte ich, denn ich hatte das Bedürfnis, Celeste klarzumachen, dass zwischen Flosculus und mir ganze Welten lagen.


    Sie fragte ob sie mich Serapio nennen dürfte. "Sicher", antwortete ich. Es war so merkwürdig, sie war höflich, sie war hübsch, ich fand sie irgendwie sympathisch, aber ich durfte einfach nicht vergessen, dass sie, auch wenn wir sie diesmal angeheuert hatten, im Prinzip auf der anderen Seite stand, dem entgegengesetzt was ich zu vertreten beschlossen hatte. Wer wusste schon, was sich hinter diesem lieblichen Antlitz verbarg.
    "Und Du Celeste, bist Du damals schon in der ähm, Beschaffung von Auskünften tätig gewesen?", stellte ich die Gegenfrage, verstummte aber, als sich der (eher hagere) Wirt näherte, und sich erkundigte:
    "Was darf's sein?"
    "Zwei Becher Rotwein, aber vom Guten.", bestellte ich, mit einem fragenden Blick zu Celeste, "Und hast du noch ein Zimmer frei, für, ähm, eine Stunde?"
    Ich wollte das Geschäft nicht hier im Schankraum abschliessen, wollte nicht unter dem möglichen Blick der Leute mit dem Geld herumhantieren, ausserdem war es mir einfach zu ungemütlich in der Position wo ich sass, und nicht zuletzt passte es zur Tarnung.
    "Ja, das vierte Zimmer da oben links ist frei.", meinte der Mann gleichmütig, und deutete zu einer ausgetretenen Treppe, die auf eine Empore führte, von der ein paar Zimmertüren abgingen, unter einem Gebälk das fast so schief und krumm war wie der namensgebende Balken. "Macht drei Denarii, aber im Vorraus."
    Ich kramte die Münzen hervor und bezahlte ohne Widerrede. Der Wirt strich das Geld ein und brachte uns gleich darauf zwei angeschlagene Becher mit rotem Wein an den Tisch.
    "Lass uns lieber oben weiterreden", meinte ich zu Celeste, als der Mann sich wieder verzogen hatte, und umfasste schon meinen Becher, um ihn mitzunehmen. Hoffentlich dachte sie jetzt nicht, ich wollte ihr was tun. Oder mich an sie ranmachen - nein, da musste sie keine Sorge haben.

    Flosculus - schon wieder dieser verdammte Name, er verfolgte mich, ich wurde ihn einfach nicht los! Meine geheimnisvolle Informantin schien über dieses Zusammentreffen ebenso überrascht zu sein wie ich, und aus ihrer Haltung zu schliessen machte sie sich fluchtbereit. Es schoss mir durch den Kopf sie zu packen und festzuhalten, aber mir war klar, dass das in dieser Umgebung hier wahrscheinlich ins Auge gehen würde...
    "Ruhig Blut..." Langsam und beschwichtigend hob ich die Hände, und machte einen halben Schritt zurück, um meine Harmlosigkeit zu unterstreichen. "Ja, ich bin ein Decimus, und, ähm, nein, ich heisse nicht Flosculus. Du kennst meinen Namen, Du hast mir ja eine Nachricht geschickt."
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sich nun doch ein paar Köpfe in unsere Richtung gedreht hatten. Ich wollte keine Aufmerksamkeit, absolut nicht, und sprach mit gedämpfter Stimme auf die Frau ein, wie auf ein nervös tänzelndes Pferd, das man mit sanften Worten zu beruhigen versucht:
    "Ich bin überrascht, wirklich überrascht, aber ich schlage vor, Du nimmst jetzt die Blumen, bevor die Leute sich wirklich wundern, und dann setzen wir beide uns ganz ruhig dort an den Tisch, und reden in aller Ruhe über das Geschäftliche. In Ordnung, ja, Celeste? Oder soll ich Dich lieber Livilla nennen, oder irgendwie anders?"
    La Especialista vielleicht... Ich lächelte sie an, allerdings ziemlich starr, denn mir kam gerade der Gedanke, dass sie, wenn sie länger in dem Lupanar am Venustempel gearbeitet hatte, womöglich von den anderen Huren irgendwelchen Klatsch über mich gehört haben könnte.. Nein, das wäre gar nicht gut. Mit einer eher verkrampften als einladenden Geste wies ich auf die Stühle an dem Ecktisch, von dem sie aufgestanden war, und machte Anstalten, selbst dort Platz zu nehmen. Das hier war echt eine vertrackte Situation. An meinem Rücken spürte ich durch die Tunika das Metall meines Pugios, und ich hoffte sehr, dass ich ihn heute nicht brauchen würde.

    Tiefschwarze Nacht lag über den Strassen, als der Mann, den die Unterwelt Roms nur als 'El Cachetero' kannte, ungesehen dem Treffpunkt zueilte, an dem die geheimnisvolle Informantin ihn erwartete. Wie ein Schatten glitt der tollkühne Bravo aus Tarraco durch die Dunkelheit des Häuserlabyrinthes, das Arsenal scharfgeschliffener Klingen an seinem Gürtel verborgen durch die weitschwingende schwarze Cappa. Vor der verruchtesten Spelunke der Stadt, einem Sammelbecken des Abschaums, hielt El Cachetero inne. Mit einer lässigen Bewegung drückte er sich die breitkrempige Kopfbedeckung tiefer in die Stirn, lockerte seinen bevorzugten Stossdolch in der Lederscheide, und stiess schwungvoll die Türe der Räuberhöhle auf. Die Gespräche verstummten, der Raum lag in Stille, als die hochgewachsene Gestalt auf der Schwelle erschien. Ein Windstoss liess die Cappa flattern, der durchdringende Blick des Messerhelden mass die Männer im Raum - Gauner und Halunken allesamt, mit einigen hatte er bereits einen Strauss ausgefochten. Zwei der ehrenwerten Gäste beschlossen angesichts von El Cachetero, den Rückzug anzutreten, und verkrümmelten sich still durch die Hintertür, als der berühmt-berüchtigte Hispanier mit geschmeidigem Schritt in die Spelunke trat. "Komm mir nicht in die Quere", sprach jeder Zoll an dem Mann, und bei seinem Vorübergehen wurden vorsichtig Blicke abgewandt, Stühle beiseitegerückt. Nur langsam setzten die Gespräche wieder ein.
    El Cachetero stützte sich auf den Tresen, beugte sich zum Wirt. Der hielt inne, im Polieren der Becher. Ein Schweisstropfen erschien an seinem fettigem Haarkranz, rollte langsam über die Stirn, als er die leise, seidige Stimme des Bravos vernahm, in der unter dem kultivierten Klang eine tödliche Schärfe lag.
    "Ich suche eine Frau... genannt: La Especialista."
    Die Augen des Wirtes richteten sich auf ein Nebenzimmer. Es bedurfte nicht mehr als dieses Winkes. Wie ein Raubtier trat El Cachetero in den dunklen Raum hinein, und erblickte dort am Fenster stehend die Frau, deren Existenz für viele nur ein Mythos war. Die Züge La Especialistas lagen halb im Schatten verborgen, und doch lag etwas betörendes um diese nur zu erahnenden Formen, etwas Unsagbares, das ein seltsames Sehnen nach Gefahr, nach dem Spiel mit dem Feuer in einem jeden Mann erweckte. Es hiess, die skrupellosesten Verbrecher und Bandenführer, seien dieser Frau in Scharen verfallen - und El Cachetero verstand warum, als sie ihre dunklen Augen auf ihn richtete, und mit rauchiger, etwas träger Stimme die Worte sprach:
    "Ich habe Dich erwartet."



    Und dann? An der Stelle stockte die wilde Räubergeschichte, die meine Phantasie so ersann, während ich auf dem Weg zum Treffpunkt war.
    Also zurück zur Realität. Gestern hatte ich die Nachricht bekommen, und heute würde ich die Urheberin treffen. Ich hoffte dass alles gut gehen würde, und es sich, trotz allem lohnen würde. Ich brauchte Beweise, und ich war durchaus gewillt, tief in den Dreck zu greifen, um dem Praefectus Urbi welche präsentieren zu können.
    Die Sonne war gerade untergegangen, als ich nach kurzer Suche die Taberna zum schiefen Balken - zu erkennen am schiefen Balken - erreichte. Ich war in Zivil, trug eine graublaue wollene Tunika mit einem breiten Ledergürtel, und eine dunkle Lacerna, die meinen Pugio verbarg. Dazu normale Sandalen, und eine Ledertasche, deren schäbiges Aussehen nicht ihren wertvollen Inhalt verriet. In krassem Gegensatz zu meinem sonstigen sehr korrekten Auftreten, hatte ich meine Haare durcheinandergebracht, war nicht frisch rasiert, und achtete darauf, einfach nur zu gehen, anstatt zu marschieren, und nicht diese überaufrechte militärische Haltung anzunehmen, durch die man sich schnell verraten konnte. In der linken Hand trug ich das ultimative Accessoire: einen Strauss Rosen. Die hatten zu dieser Jahreszeit eine Stange Geld gekostet, angeblich kamen sie aus Aegyptus, aber sie waren auch sehr hübsch, die Blütenblätter schimmerten in einem dunklen samtiges Rot und verströmten einen betörenden Duft.


    Ich betrat die Taberna, die schon etwas dubios wirkte, und sah mich um. Die paar Gäste im Schankraum unterhielten sich weiter, Würfel klapperten, Geschirr klirrte, niemand achtete besonders auf mich. Bis auf eine junge Frau, die ich auf den zweiten Blick erst sah, so verborgen sass sie da in einer Ecke, mit dem Rücken zur Wand. Wachsam, aber durchaus mit Freude an dieser kleinen Scharade näherte ich mich ihr, die Blumen in der Hand, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Aber je näher ich kam, desto bekannter kam sie mir auf einmal vor. Das ungewöhnliche blonde Haar....
    "Livilla meine Liebe! Was für eine Freude. Ich hoffe Du musstest nicht zu lange warten", begrüsste ich sie, und überreichte ihr formvollendet den Blumenstrauss. Verdammt, woher kannte ich nur dieses verschmitzte Gesicht.... - mit einem Mal ging mir ein Licht auf, die Erinnerung kam wie ein Blitzschlag, und über die Rosen hinweg starrte ich 'der Expertin' mit weitaufgerissenen Augen vollkommen perplex ins Gesicht. 8o Auch ein Name tauchte irgendwo in meinem Hinterkopf auf, der zu diesem Gesicht dazugehörte.
    "...Celeste...?" ?(
    Bei Mercur und Furrina, jetzt war ich komplett verwirrt. Unsere geheimnisvolle Gestalt war eine Meretrix aus Hannibals Lupanar? Oder war sie eine Betrügerin, oder eine Frau mit vielen Talenten, oder vielleicht nur eine Botin, das Gesicht, hinter dem sich der wahre Meisterdieb verbarg?