Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Und Stoss, und Stoss.... Hart traf die Lanze auf den Pfahl. Ich fasste nach, der Schwerpunkt lag hier anders als beim Pilum, holte Schwung aus der leichten Drehung, und führte die Stösse gegen den unbelebten Feind, ungelenk zuerst, dann klarer und schneller. Diese Waffe war mir sympathisch, alleine schon deswegen weil man sie nicht warf.
    "Und jetzt die Scuta dazu!", bellte Trebius nach einer Weile, und liess uns mit dem zusätzlichen Gewicht noch eine ganze Weile lang die Pfähle beharken, wobei er hin und her ging und die Soldaten freigiebig mit kleinen aufmunternden Kommentaren bedachte:
    "Scutum höher du Schwächling! - Mehr Wucht hab ich gesagt! Taube Nuss! - Auf den Torso zielen, auf den Torso du Trottel! - Hornochse! Nicht den Hintermann aufspiessen!"
    Wenigstens wurde ich davon verschont. Die Sonne stieg höher während wir da auf die Pfähle eindroschen.
    "Der zweite Stoss", erklärte Trebius schliesslich, "geht von oben seitlich schräg nach unten. Über den Schild hinweg. So!"
    Er zerrte einem Soldaten den rechten Arm empor und demonstrierte die Bewegung. Wer sich aber davon eine Atempause erhoffte wurde enttäuscht, denn schon schnarrte Trebius wieder über den Platz: "Scuta sursum! Hasta sursum! Supra Ictus! Supra Ictus! Latus Ictus! Supra Ictus!", er liess uns den Stoss von oben üben und immer wieder mit dem seitlichen abwechseln. Das Knallen von Holz auf Holz und Splittern von Spänen erklang überall um mich herum, das Scheppern der Rüstungen, dazu das Keuchen der Soldaten. Der Schweiss lief mir übers Gesicht, die ungewohnte Bewegung machte den Arm schwer, und so langsam kam ich mir vor als wäre ich wieder in der Grundausbildung.

    Es war zu heiss zum Essen. Lustlos kratzte ich mit dem Löffel die letzten Körner aus der Schale, grübelnd ob Cotius mit diesen Schwarzmalereien wirklich recht hatte. Vielleicht machten die sich ja einen Spass daraus, den Neuen solche Schauergeschichten zu erzählen, während es in Wirklichkeit nur halb so schlimm war?
    Träge schlug ich nach einer Fliege, die ständig um mich herumsummte. Diese Mittagshitze... jetzt wäre eine Siesta das richtige gewesen. Aber Schritte näherten sich, stramm, geschäftig. Ich sah auf, blickte in ein missmutiges Gesicht. Ein Kollege offenbar, der durch die Tabula in seinen Händen gleich so was offizielles an sich hatte. Ich nickte und stand auf. Das sah mir stark nach einem Ende der Mittagspause aus.
    "Ja?"

    Drückende Hitze lag über der Castra. Die Sonne brannte auf die Dächer der Baracken, und die Luft darin war schwer und stickig. Darum suchten sich so gut wie alle einen Platz draussen, im Schatten. Auch ich hatte mich mit meiner Schale Puls hinausbegeben, und zu einer Gruppe meiner neuen Kollegen gesetzt, auf einer Bank im Schatten eines der Lagergebäude. Ein ganz leichter Wind ging hier, der etwas Kühlung brachte, aber auch den stinkigen Dunst der aus der Stadt zu uns hinaufstieg.
    Immer noch vermisste ich die Prima, aber ich fand mittlerweile, dass auch die Urbaner gar nicht soo übel waren. War halt eine Frage der Perspektive... Anfangs hatte ich echt davor gezittert, dass mir jeden Moment der fiese Princeps Prior über den Weg laufen und mich "entlarven" würde, aber inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass der Mann nicht mehr hier arbeitete - und war deshalb ein gutes Stück entspannter. Ich löffelte den körnigen Brei und hörte mit halbem Ohr den Unterhaltungen zu.
    "....und da kommen wir so das Argiletum entlang, und sehen einen Trupp, der zerschlägt dem Krämer da, diesem kleinen Gallier, am hellichten Tag das Mobiliar. Die werden immer frecher, diese Melker. Haben sich dann gleich verpisst."
    "Hab ihr sie verfolgt?", fragte ich kauend den Sprecher, Cotius, einen kräftigen Mann der irgendwie "zerknittert" wirkte, fahl, mit traurigen Augen und grossen Tränensäcken.
    "Nein, die sind Richtung Viminal-West abgezogen, und in das Viertel gehen wir nicht unter einer Stärke von einem Dutzend Mann. Wimmelt von Banden da. Vorigen Monat erst haben sie einen von uns erwischt, haben ihn abgestochen."
    Er nickte schwermütig, und es erhob sich ein Gemurmel das bezeugte, der Verblichene sei ein feiner Kerl gewesen, Familienvater und ein guter Kamerad, ein Säufer zwar aber nur weil er's im Leben verdammt schwer gehabt hatte. Pietätvoll hielt ich im Essen inne.
    "Merk Dir das besser, Decimus." Cotius richtete die wässrigen Augen eindringlich auf mich. "Das da draussen ist auch ein Krieg! Nur ohne feste Front. Und auf Ruhm kannst du hier auch lange warten, oder auf Dankbarkeit, kannst froh sein wenn Du nicht ein Messer zwischen die Rippen bekommst und in einer schmutzigen Gasse verendest. Wie die Maden aus den Dreck kriechen hier die Verbrecher aus den Eingeweiden dieser Hure von Stadt! Und egal wie viele Du einbuchtest - es kommen immer neue. Tag für Tag kämpfen wir gegen eine Übermacht, reiben uns auf um die guten Bürger hier zu schützen, die das alles einen Dreck interessiert...."
    "Aber", wandte ich betreten ein, "das würde ja heissen dass man die Arbeit gleich ganz lassen kann."
    "Dann wäre ja alles noch schlimmer", meinte der Kollege mit einem Ausdruck tiefster und schwärzester Resignation. "Die Menschen sind nun mal schlecht..."

    Das schmissige Salutieren des Rekruten, das vertrieb gleich meinen Gedanken daran, ihn noch irgendwie zusammenzustauchen. Ein wohlgefälliges Lächeln zuckte kurz um meine Mundwinkel, dann verzog ich sie wieder zu der wir-sind-hier-nicht-zum-Spass-Miene, die besser zum Exerzierplatz passte. Ich nickte knapp, befand das damit ausreichend geklärt und wandte ich mich wieder der Allgemeinheit zu.
    "Dazu ist zu sagen, dass man natürlich auch eine Hasta werfen kann, es ist bloss nicht effizient. Im Nahkampf gegen feindliche Kavallerie ist sie dagegen sehr praktisch."
    Mein Blick ging in die Ferne, über den Sand des Platzes hinweg, der vor meinem inneren Auge dem Sand der partischen Ödnis wich, über dem die Hitze flirrte, während zwei gewaltige Armeen sich aufeinander zu bewegten.
    "Vor Edessa", erzählte ich denen die nicht dabeigewesen waren, "da hatten wir eine Cohorte britannischer Hasta-Träger unter den Auxiliaren. Halbwilde, bemalte Männer, die den anstürmenden Panzerreitern im letzten Moment mit einem einzigen Kriegsschrei entgegengerannt sind, und den Pferden die Bäuche aufgeschlitzt haben..."
    Nur hätten wir mehr von der Sorte haben sollen. - Das schrille, schmerzerfüllte Wiehern dieser monströsen Pferde klang mir in den Ohren... die Hufe wirbelten und zuckten... später dann die Kadaver, aufgetrieben in der Gluthitze, das Wimmeln der Fliegen, die nackten Hälse der Geier, die grosse Brocken von Aas herunterwürgten...
    Ich blinzelte, verscheuchte das, es gehörte nicht hierher, und versuchte mich wieder ins hier und jetzt zurückzurufen.
    "Ähm. Wobei die Reiterabwehr der Legionäre aus einem Pilum-starrenden doppeltem Schildwall besteht", fügte ich der Vollständigkeit halber hinzu. Ich hatte mir ein Handbuch für die Ausbildung hier besorgt, und war ganz überrascht, dass darin die Reiterabwehr kaum erwähnt wurde. Was wenn der Erzfeind im Osten eines Tages hier vor der Türe stünde, mit seinen schwergepanzerten Reiterhorden?! Man musste doch auf alles vorbereitet sein.


    Zurück zur Hasta. Gerade näherte sich der Kollege, der Experte, der uns heute die Lektionen erteilen würde - Trebius Venno, ein hagerer alter Knochen, der nur aus vortretenden Sehnen, tiefeingegrabenen Falten und einem prominenten Adamsapfel zu bestehen schien. Sowie einem stechenden Adlerblick.
    "Salve Princeps Prior Trebius", grüsste ich, und
    "Salve Princeps Prior Decimus", schnarrte er zurück. Ganz schön sperrig dieser Titel, (wenn auch schick, er klang so ein bisschen nach Centurio fand ich) - 'Optio' ging doch viel leichter von der Zunge.
    "Die Männer - und ich - sind bereit für das Hastatraining."
    Trebius nahm das mit einem abgehackten Nicken zur Kenntnis, und ratterte los:
    "Dann auf ihr müder Haufen, los, los, schnappt euch die Übungswaffen hier und dann da rüber zu den Pfählen!"
    Ich schloss mich an, da ich das Training ebenso nötig hatte wie die anderen Neu-Urbaner, nahm mir eine der hölzernen Lanzen, deren Spitzen stumpf aber beschwert waren, und stellte mich einem schartigen Übungspfahl gegenüber. Schon hagelte es Befehle.
    "Am Schwerpunkt fassen! In die Grundstellung! Einhändig führen! Arm anwinkeln, Hasta rechts eng am Körper halten! Und Stoss! Und Stoss! Mehr Wucht! Und den Körper leicht dabei drehen!"

    "Genau so ist es", lobte ich. Hm, wenn schon die Probati hier so auf Zack waren, dann konnte ich mir das Theorie-Frage-und-Antwort-Spiel eigentlich sparen. Etwas anderes missfiel mir wiederum - eine Kleinigkeit, aber sind nicht die Kleinigkeiten die Grundlage der Disziplin?! Ist nicht Akkuratesse, Korrektheit bis ins Detail, strikte Befolgung der militärischen Formen ein Stützpfeiler der Ordnung, die unsere Legionen gross gemacht hat? Mögen diese Dinge auch von unwissenden Zivilisten als übertrieben, penibel, ja kleinlich abgetan werden, mag ich selber auch vor langer Zeit einmal hoffärtig darüber gespottet haben - inzwischen wusste ich es besser.
    "Du hast trotzdem etwas vergessen, Probatus." Ich verschränkte die Arme hinter dem Rücken, so dass ich die Hasta jetzt waagrecht hielt, und musterte den Mann scharf. "Wenn Du mit einem Vorgesetzten sprichst, hast Du ihn stets mit Rang anzureden. Oder mit Rang und Gentilnomen. Verstanden, Probatus?"

    Ich freute mich über Onkel Meridius' Worte... Anerkennung von der Familie war etwas wunderbares, und ganz besonders von ihm, der in Reinform all das verkörperte was mir wechselweise begeisterte Bewunderung einflösste oder abgrundtiefe Verzweiflung dem niemals gerecht werden zu können. Wie ein Schwamm sog ich durstig jedes Quäntchen davon auf. Ich nickte inbrünstig. Alles war klar. Und es war gut wieder zurück zu sein!
    Das starre, strenge, ferne Mamorbüsten-artige Bild dass ich von meinem Onkel gehabt hatte, war jetzt sehr viel lebendiger geworden. Dass Mantua allerdings so langweilig sei, das hatte ich von den Kameraden schon gehört - besonders Silio beschwerte sich ja immer über den Mangel an Vielfalt dort - selbst hatte ich das bisher noch nicht erproben können. Aber Hauptsache wieder zurück.
    Ich - der ich heute noch tief ins Nachtleben einzutauchen gedachte - sagte mir, dass es für mich ruhig erstmal eine Weile lang ruhig und ländlich und langweilig zugehen durfte - dann krauste ich die Nase, als Onkel Matticus mich einen 'Burschen' nannte.
    "Danke Onkel Mattiacus. Und Dir viel Spass mit den Schriften", grinste ich burschenhaft. Einen Moment lang stand ich dann einfach so da, erwartungsvoll, bis mir deutlich bewusst wurde, dass ich hier ja nicht auf ein "Wegtreten Miles!" zu warten hatte. Oh je, der Drill hatte echt Spuren hinterlassen.
    "Dann werde ich mal meine Schwester besuchen gehen. Bis bald! Vale Onkel Meridius, und einen schönen Abend noch! Vale Onkel Mattiacus!"
    Mit diesen Worten verliess ich das Officium, und machte mich auf den Weg zu Seianas Zimmer.

    "Mmhm stimmt, wir haben uns alle verändert...", pflichtete ich Seiana bei. "Aber Du warst immer schon unser Fels in der Brandung."
    Ich fand nicht dass Seiana sich soo sehr verändert hatte - zum Glück. Aber vielleicht merkte man - ich - es ihr auch bloss nicht an. Früher hatte sie jedenfalls nichts für Jungs übrig. Glaube ich. Vielleicht irre ich mich auch, und ich kleiner Bruder hatte es bloss nicht mitgekriegt.
    "Ägypten muss toll sein, ach, das Land würde ich gerne mal sehen. Vor allem auf das grosse Serapeion in Alexandria wäre ich neugierig. Und die Märkte sollen ja noch bunter sein als in Syrien!"
    Grossonkel Ocrea (der nicht ganz richtig im Kopf war) hatte mir mal anvertraut, dass mein Vater (angeblich) einen Hang zum Serapis-Kult gehabt hatte, und mich deshalb so genannt hatte. Seitdem regte das meine Phantasie an. Meine Mutter hatte mir das Thema aber streng verboten, denn sie hatte es unrömisch gefunden.
    "Klingt nett. Und ehrgeizig."
    Ausserdem erinnerte ich mich wohl, dass Seiana mir von einem Aelier geschrieben hatte. Klang schon nach einer guten Partie.
    "Aber beim Cursus Publicus, also ich weiss nicht..." mäkelte ich, "das muss doch eine total öde Arbeit sein.", und schlug (nur halb-scherzhaft) vor: "Willst Du nicht lieber einen strammen Soldaten - naja, besser Tribun Dir anlachen?"
    Ich fand ja mittlerweile, dass ein echter Römer gedient haben sollte.


    "Jaaa..." Ich beugte mich runter, zog das Band fest, das sich durch die Lederriemen meiner Caligae schlang, und gestand, den Kopf halb unter dem Tisch: "Ich hab noch eine Verabredung."
    Dann tauchte ich auf. "Ähm. Wir haben uns auch geschrieben, als ich im Krieg war, und jetzt kann ich, uh, die Person endlich richtig treffen. Also, wir haben uns schon ganz kurz in Ravenna gesehen, aber das war nur flüchtig, total gehetzt... Ich bin ganz aufgeregt..."
    Ich lachte leichthin, spürte aber wie meine Wangen heiss wurden und zog eine Grimasse um das zu überspielen.
    "Ja. So ist das. Frag nicht..." Schnell Faustus! Ein anderes Thema! "....ah, was eigenes, naja, Deine Entscheidung, ich dachte nur für Frauen ist das viel schwieriger, deshalb, ähm, aber wenn Du das so nicht willst werden wir halt Partner, das klingt auch gut, also wenn du ein Geschäft eröffnen willst sag mir Bescheid, ich darf offiziell ja nicht... Aber was ich irgendwann mal, nach dem Militär eröffnen will ist ein Theater! Ein kleines Theater, mit ausgesuchten Mimen und einem anspruchsvollen Programm."
    An dem Traum hielt ich fest, auch wenn er weder solide noch gut angesehen war. Aber man könnte dort bestimmt auch patriotisch wertvolle Stücke inszenieren!
    "Also dann!"
    Ich stand auf, lächelte meine Schwester liebevoll an, und schloss sie zum Abschied kräftig in die Arme.

    Rot und weiss. Das Blut strömte aus dem Leib des Opfertieres auf den mamornen Vorplatz, schwallartig zuerst, dann in stetem Fluss, dann versiegend. Der selbe Rythmus wie bei einem niedergestreckten Soldaten. Es dampfte in der kühlen Luft, und ich meinte den metallischen Geruch auf der Zunge zu schmecken. Wie es sich ausbreitete, tastend rote Fühler ausstreckte, dunkle Rinnsale über den reinweissen Stein flossen, sich verästelnd wie die Arme eines Flusses - sehr ästhetisch. Warum musste ich ausgerechnet jetzt an Mohn denken, an die blutroten Blütenblätter des Schlafmohns?
    Vieles ist bei den Tieren uns Menschen doch sehr ähnlich... auch wie die Eingeweide aus dem aufgeschlitzten Bauch drang, so voluminös dass man sich fragte wie alles eben noch darin Platz gehabt hatte, so verschlungen wie ein inneres Labyrinth. Ich betrachtete den Priester, der in diesem spiegelnden Wirrwarr seinen Weg suchte, und hoffte, dass Mars uns gewogen sein würde, wurde immer angespannter je länger die Inspektion andauerte. Schliesslich sprach der Priester das erlösende Wort Litatio! Erleichterung machte sich in mir breit, ich blickte zu Licinus und lächelte befreit. Auch für die Hoffnung um Livianus war das ein gutes Zeichen!
    Einen Moment lang blieb ich noch da stehen, und sah andächtig über Rom, während die besondere, vom Alltag losgelöste Atmospäre, die während des Opfers hier geherrscht hatte, wieder verflog. Die Umstehenden nahmen ihre Gespräche wieder auf und gingen weiter, ein paar rückten aber auch näher, die hofften wohl ein Stück von dem Opferfleisch zu ergattern, dass ein Opferhelfer gerade routiniert von den Knochen löste und zerlegte.
    "Gut! Ich bin wirklich erleichtert. Vielen herzlichen Dank für Deine Hilfe, Sacerdos."
    Vor allem für die kraftvolle Anrufung. Ich strahlte den aparten Flavier an und meinte: "Wir müssen jetzt wieder ins Lager zurückkehren. Aber wenn es mich einmal wieder nach Rom verschlägt, dann würde ich mich gerne für ein Ientaculum vor langer Zeit revanchieren. Bis dahin Vale!"

    Alles stand in Reih und Glied. Zufrieden stiess ich den Optiostab in den Sand, und ging zu einem Waffenständer, der dort am Rande des Campus aufgebaut war. Hölzerne Übungswaffen harrten dort ihres Einsatzes, aber auch eine Hasta mit echter, scharfer Spitze, die ich nun zur Hand nahm.
    "Die Hasta", begann ich dann vor den Soldaten zu dozieren, "war früher, zu Zeiten der Republik, eine Legionärswaffe" - ich hob das Anschauungsobjekt in meiner Rechten - "und zwar wurde sie, wie der Name schon sagt, in den Manipeln der Hastati getragen. Heute wird sie noch bei den Auxilliaren verwendet, und von Legionären an Strassenposten. Und von uns natürlich. - Diese hier ist, wie ihr sehen könnt, etwa zweieinhalb Gradi lang, mit einer Spitze die zwei Handbreit misst, beidseitig geschliffen."
    Ich blickte die Reihe der Soldaten, entlang, von denen manche so einen abwesenden Ausdruck im Gesicht hatten. Kam das von dem winzigen bisschen Theorie? Oder von dem frühen Morgen? Vielleicht sollte ich mal eine Frage stellen.
    "Wer kann mir sagen wie die Kampfweise damit ist, im Unterschied zum Pilum?"
    Ein Murmeln an Ende der Reihe liess mich den Kopf wenden. Mein Kamerad Luscius Silio meinte gerade leise was zu seinem Nebenmann, breit dabei grinsend.
    "Miles Luscius!" bellte ich. "Was gibt es da zu quatschen? - Eine Runde extra!"
    Ich gab mich streng, auch wenn es mir nicht leicht fiel, gerade bei den alten Kameraden, die mich noch als Grünschnabel kannten. Sollten die mich ruhig verfluchen - ich hatte mir die Worte meines über alles verehrten Praefectus Castrorum hinter die Ohren geschrieben.
    Silio verstummte und sah mich gekränkt an. "Ja Optio." Mit mürrischer Miene trabte er los, um ein weiteres Mal den grossen Campus zu umrunden.
    "Ähm" - wo war ich gewesen? Ach, die Frage. Ich deutete auffordernd auf den nächstbesten, einen Rekruten wenn ich mich recht erinnerte. ;)
    "Probatus?"

    ~ Übung macht den Meister


    Früh am Morgen war es, die ersten Sonnenstrahlen tasteten gerade zögerlich nach den Hügeln der ewigen Stadt, als ich einen Trupp Soldaten hinaus auf den Exerzierplatz führte.
    "Consistite!", befahl ich, und wandte mich den Männern zu. Es waren vor allem die Neuankömmlinge von der Prima, da sich heute alles um die Hasta drehen würde - eine Waffe mit der wir denkbar wenig Erfahrung hatten - aber auch einige Männer von der vierten Centurie der ersten Cohorte, die schon länger bei den Urbanern waren, und denen dieses Extratraining auch nicht schaden konnte, sowie eine Handvoll Probati die diese Waffe ganz neu kennenlernen würden.*
    "Zum Warmwerden vier Runden um den Platz. Milites, ad dextram! Cursim!"
    Ich trabte selber mit. Der Sand stob auf unter den genagelten Sohlen, die Rüstungen klirrten im Takt, und der Dauerlauf vertrieb das letzte Bisschen Schläfrigkeit aus mir.
    "Schneller! Das ist kein Marktbummel hier!", fuhr ich einen Miles an, der es arg gemächlich angehen liess. "Auf! Laevum, laevum, laevum...!"
    Gleichzeitig zu brüllen und zu rennen, war allerdings auf die Dauer nicht ratsam. Ich war schon ziemlich ausser Atem, als ich nach der letzten Runde Halt machen liess.
    "Liegestütz! Dreissig! Age!", führte ich das Aufwärmprogramm fort, und stürzte mich selber eifrig in den Sand um die möglichst vorbildlich zu vollführen.
    "In aciem dirigite!", befahl ich anschliessend, und stolzierte mit dem Optiostab, dem Zeichen meiner Würde, die Reihe entlang. Hier und dort fand mein kritisches Auge auch noch was auszusetzen, vor allem bei den Rekruten, was ich dann durch ein energisches Antippen mit dem Optiostab korrigierte. Mit strenger Miene natürlich, dabei machte mir das richtig Spass.


    Sim-Off:

    *D.h. jeder der mag kann hier mitschreiben. :)


    Hatte ich was verpasst? Mir war so, als sähe Appius Seiana jetzt ganz anders an, so intensiv irgendwie. Und schon machte er sich wieder auf, und verabschiedete sich abrupt. Es war ein Abgang, der einem dramatischen Bühnenstück alle Ehre gemacht hätte.
    "Mach's gut Appius, viel Glück in Germanien!", rief ich ihm hinterher, blickte noch einen Moment lang fragend die Türe an, nachdem sie sich schon wieder geschlossen hatte. Ich war schon ein bisschen beleidigt, dass er keine Notiz mehr von mir genommen hatte, und mürrisch murmelte ich:
    "Was war denn da jetzt auf einmal los?"
    Mich wieder in dem ungemein bequemen Sessel zurücklehnend, leerte ich meinen Becher und taste mit den blossen Füssen nach den Caligae, die ich vorhin abgestreift hatte.
    "Mhm, in Ägypten? Ganz schön weit weg..."
    Ein Postdienstler aus der Provinz, das klang erst mal nicht gerade beeindruckend. Aber, so überlegte ich, wenn Seiana sich entschieden hatte, mit ihm eine Korrespondenz zu pflegen, über so eine weite Distanz, dann musste der Mann schon was besonderes an sich haben.
    "Also, so langsam muss ich mich dann auch wieder aufmachen, weil ich... ähm... also ich muss nochmal in die Stadt. - Aber was sagst Du denn zu meinem Angebot? Ich bestehe darauf, wirklich."

    "Jawohl, Onkel Meridus! Was allerdings den Sklaven angeht - ich denke der ist nicht vertrauenswürdig genug um ihn bei dieser Mission dabeizuhaben."
    Ich hatte das so das dumpfe Gefühl, dass Ziaar uns, sobald wir in seiner Heimat wären, mit Vergnügen in die Pfanne hauen würde. Die Besprechung war zu Ende, mein Onkel erhob sich, und schnell stellte ich das Glas auf den Tisch zurück, sprang zackig von meinem Stuhl auf und antwortete:
    "Morgen früh muss ich wieder im Lager auf dem Marsfeld sein. Und in ein paar Tagen geht es nach Mantua zurück."

    Wie einfach es ist, wenn man alles was man braucht auf dem Rücken trägt. Ich setzte die Sarcina ab, reckte meine müden Schultern, und sah mich in der Stube um, die jetzt mein neues Zuhause sein würde. Wir Neuen waren nach unserem Eintreffen über die Centurie verteilt worden, ich denke mal damit wir uns besser einfügten, und ich war gespannt auf mein neues Contubernium (und nervös bei der Vorstellung dass es alles grobe, abgestumpfte Urbaner-Flegel sein würden, vor denen ich mich würde bewähren müssen). Noch war die Stube jedenfalls leer.
    Ich räumte Schild und Waffen in den Vorraum, hängte die Paenula an den Nagel, verstaute meine paar Kleidungsstücke und breitete meine Decke über eine von zwei freien Pritschen. Meine Flöte, und die Papyrusrollen mit den Gedichten versteckte ich erst mal tief in meinem Strohsack, denn die passten natürlich gar nicht zu einem hartgesottenen Optio.
    So, fertig. Der Raum unterschied sich kaum von dem in dem ich in Mantua gehaust hatte. Nur die Aussicht war besser, dadurch dass das Kastell oben auf einer Anhöhe lag, konnte man, wenn man den Kopf ganz nach rechts wandte, auf die Stadt sehen. Ich stützte mich einen Moment lang auf das Fensterbrett und liess den Anblick auf mich wirken. Hügel, Täler, ein Meer von Dächern, dunstverschleiert, darüber milchig trüber Himmel. Rom, der Sumpf des Verbrechens. Vielleicht war es gar nicht so absurd dass ich jetzt hier war, vielleicht würde ich ja sogar was bewirken können? Gegen so Leute wie Callistus das Schwein, oder den 'keine-Panik'-Sicarius, oder 'Blut-und-die-reine-Unschuld-des-Todes'-Satryus... oder die Puppenspieler dahin, solche grausamen Ungeheuer wie Nerva oder der legendäre Vogelmann...
    Ich rückte meine Rüstung zurecht und wischte etwas Straßenstaub davon ab. Dann spritzte mir an einer Waschschüssel Wasser ins Gesicht, zog meinen Kamm aus der Tasche, tauchte ihn ins Wasser und kämmte mir meine Haare, die schon wieder viel zu unordentlich waren. Auf eine gepflegte, militärisch-strenge Erscheinung, da legte ich in letzter Zeit sehr viel Wert - seitdem ich erkannt hatte, dass das einer der Grundpfeiler der Disziplin war! Wenn ich an meine frühere, geradezu verlotterte Erscheinung dachte, dann stand mir wirklich die Haare zu Berge - metaphorisch gesehen, in Wirklichkeit lagen sie jetzt wieder sehr akkurat.
    Soweit, sogut. Voll Tatendrang machte ich mich wieder auf, um mir einen Überblick zu verschaffen, und um den Custos Armorum der Centurie ausfindig zu machen, und die Waffenkammer, damit wir uns dort für den Dienst in der Stadt mit der Hasta ausrüsten konnten.

    Es war nicht zum ersten Mal, dass ich dieses Kastell betrat. Jetzt, als ich als letzter in der kleinen Kolonne der von der Prima versetzten Soldaten durch das Tor marschierte, lagen mir die Erinnerungen an damals schwer im Magen. Bei jedem Schritt fühlte ich mich ein Stück kleiner und ein Stück schuldiger... Verdammt, warum ausgerechnet zu den Cohortes Urbane?! Ich schluckte und hielt unwillkürlich Ausschau nach dem fiesen Princeps Prior, der mich seinerzeit bis in meine Albträume verfolgt hatte - aber die Wachen am Tor musterten uns eigentlich eher interessiert.
    Reiss Dich zusammen, Faustus! Ich straffte meine Gestalt, umfasste fest den Optiostab, wie einen Talisman, und kämpfte gegen die Nervosität, die einem Optio von der Legio Prima Traiana Pia Fidelis, einem schlachterprobten Soldaten aus des Kaisers Legion sozusagen, schlecht zu Gesicht stand. Dann hatte das Kastell uns verschluckt, und wir marschierten zu dem Bereich der Stadtkohorten. Der Centurio verschwand in der Principa, und wir setzten derweil das Marschgepäck ab, und spülten uns die staubigen Kehlen mit Posca aus den Feldflaschen. Wir hatten echt schon ärgeres hinter uns als diesen Marsch im linden Frühling quer durchs lieblichen Italia, trotzdem waren die Soldaten natürlich froh endlich angekommen zu sein. Ich achtete aber penibel darauf, dass während des Wartens alle in Reihe blieben, schliesslich sollten die Urbaner gleich sehen, dass bei der Prima Disziplin grossgeschrieben wurde... auch wenn wir jetzt offiziell auch Urbaner waren, fühlte ich mich doch immer noch als Vertreter unserer glorreichen Legion. Nach einiger Zeit erfuhren wir dann wohin man uns zugeteilt hatte, ich befahl das Gepäck wieder aufzunehmen, und führte den Trupp geordnet zu der zugewiesenen Baracke, um dort unsere Unterkünfte zu beziehen.

    Wenigstens hatte der Regen aufgehört, aber wir würden bestimmt bald bis zu den Knien schlammverkrustet sein. Wie befohlen hatte ich den kleinen Trupp in aller Frühe antreten lassen. Das germanische Bier von gestern hatte ich ein bisschen unterschätzt, und mir brummte der Schädel. Mit kleinen Augen aber in glänzender Rüstung und mit höchst akkurat gekämmtem Haar sah ich dem Centurio entgegen, und hoffte dass ich nicht wichtiges vergessen hatte. Zeit so wirklich sentimental zu werden hatte ich nicht, schon schwang das Tor auf, ich lud mein Marschgepäck auf den Rücken und rückte die Stange zurecht, reihte mich am Ende der Kolonne ein und es ging los. Der Schlamm des aufgeweichten Weges spritzte auf unter unseren Caligae, die Rüstungen klirrten im Takt des Marsches.
    In einiger Entfernung drehte ich mich nochmal um, und warf einen letzten Blick auf die Castra, die jetzt, im blanken Licht des heraufziehenden Morgens wirklich schön und stolz aussah, und ungeheuer einladend, besonders wenn man bedachte wohin wir unterwegs waren. Ja, die Prima war mir eine Heimat gewesen, sie hatte mich zum Mann gemacht, mich von so einigen wirren, unausgegorenen Ideen kuriert und mir dafür gezeigt worauf es wirklich ankam: auf die Pflicht, auf den Dienst für Imperator und Patria! Mit einem Klos in Hals wandte ich mich ab und marschierte weiter, auf dem Weg nach Rom und zu neuen Ufern.

    Vor kurzen erst hatten wir Sparsus verabschiedet, und Macro, da hätte ich nicht gedacht dass ich ihnen so bald nachfolgen würde. Aber jetzt packte ich meine Kleidung in den Sack und schnürte ihn an die Tragestange, knotete das Proviantnetz fest, schob die Lederhülle über meinen Schild und stellte den Tragegurt ein, damit morgen früh das Marschgepäck schon bereit war - ausserdem brachte ich meine Rüstung mal wieder zum Glänzen. Auch den anderen hatte ich den Befehl dazu gegeben. Von meinem Contubernium kamen Musca, Silio und Rupus mit, bei dieser überraschenden Versetzung zu den Urbanern.
    Wir stellten unser Gepäck in den Vorraum, und die Stube wirkte auf einmal sehr leer. Tja. Draussen fiel stetig der Regen vom Himmel. Das war mieses Marschwetter, hoffentlich würde es morgen besser werden. Für eine richtige Abschiedsfeier hatten wir auch keine Zeit mehr, bei dieser überstürzten Abreise. Aber etwas hatte ich noch in Reserve! Und zwar unter meiner Pritsche. Ich kroch darunter, und holte das Fässchen hervor, das Sparsus mir geschickt hatte, zusammen mit seinem Brief. Ich hatte mich wahnsinnig gefreut von ihm zu hören, und das Fass für eine besondere Gelegenheit aufbewahrt. Jetzt stach ich es an, ziemlich ungeübt. Sprudelnd füllten sich die Becher.
    "Bedient euch", forderte ich meine Kameraden auf, "ist echtes germanisches Bier, von Sparsus."
    Wir tranken, und wischten uns den Schaum vom Mund. Eigentlich mag ich ja Wein lieber, aber dieses Bier war echt schön mild, da konnte man sich dran gewöhnen.
    "Nicht schlecht!", meinte auch Rupus, und füllte sich nach, "Und, was treibt er so da im Norden?"
    "Na, es geht ihm gut, er ist noch nicht erfroren und bei der Secunda wie geplant. Die haben die städtische Therme gleich neben der Castra!"
    Kein Vergleich zu der Auswahl wenn wir in Rom sind." Rupus schien sich zu freuen über die Versetzung.
    Und Silio auch. "Und erst die Lupanare!" , schwärmte er, "Hier in Mantua kenn ich schon jede Hure, aber Rom wird meinem, hehe, Ego gut tun."
    Musca war weniger begeistert, er diente ja auch schon ewig in der Prima und ging wohl nur ungern weg. Nach und nach überfüllte sich die Stube mit den Kameraden der Centurie, die uns verabschiedeten und was mittranken. Alte Geschichten machten die Runde, und mir wurde immer wehmütiger ums Herz. Später machte ich noch einen Kontrollgang, alles war gepackt, alles war ordentlich so dass mein Nachfolger wer immer das werden würde sich nicht beschweren konnte. Sogar das Werkzeug und die Ziegelsteine für die Reparaturen am Dach standen in Reih und Glied.
    Und was mich früher bei den Optiones immer genervt hatte, das tat ich jetzt selbst: ich schickte die Männer früh ins Bett, damit wir am nächsten Morgen vor Tau und Tag aufbrechen konnten.


    Per omnes deos! Zu den Urbanern?! Das konnte doch nicht wahr sein! Die Bestürzung stand mir deutlich ins Gesicht geschrieben. Schon hatte der Centurio sich wieder abgewandt, er sah hinaus in den strömenden Regen, und ich starrte auf die Liste, ein weisser Fleck in dem trüben Licht des Raumes. Ich zu den Urbanern! Und so plötzlich das ganze... das war echt ein Schock! Aber die abweisende Haltung des Centurios lud nicht gerade zum Widerspruch ein, überhaupt, Befehl war Befehl.
    "... Jawohl Centurio" kam es über meine Lippen. Ich nahm das Pergament, führte die Faust zur Brust, und machte kehrt, verliess das Quartier des Centurios, vorbei an dem hübschen orientalischen Sklaven für den ich in dem Moment aber keinen Blick übrig hatte. Draussen vor der Tür blieb ich stehen. Ich rief mir die Stirn, besah mir unglücklich die Liste, und seufzte einmal schwer. Dann machte ich mich auf, ging die Männer informieren die mit uns abkommandiert waren, und unsere Abreise vorbereiten. Es gab natürlich eine Menge zu tun, was ganz gut war, denn so kam ich erst mal gar nicht mehr zum Nachdenken.