Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Die Flammen in der Feuerschale knisterten und zischelten leise, und auf der glatten Oberfläche des Weines in der Opferschale spiegelten sich huschende rote Reflexe. Sonst war es sehr still in dem Tempel - eine feierliche, erhabene Stille. Vom Duft des verbrennenden Räucherwerks sehr angetan, sog ich die Luft tief ein. Hmm! Da war bestimmt Narde dabei.
    Aber woran ich es wohl merken würde wenn der Gott mir tatsächlich einen Wink gab? Aufmerksam betrachtete ich den Rauch, und fand, dass er ziemlich gerade nach oben stieg. Der Blitz hatte mich auch noch nicht getroffen, ob meiner Dreistigkeit. Das nahm ich als ein gutes Zeichen.
    "Großer Mars, erhabener Kriegsherr, hoher Rächer, ich ähm, danke Dir sehr, dass Du mir so geduldig zugehört hast."


    Ich schüttete den Rest der Kräuter auf die Kohlen, stand einen Moment lang vollkommen eingenebelt, und trat dann zur rechten Seite hin vom Altar fort. Und als ich da aus dem Rauch auftauchte, den Überwurf vom Kopf streifend, fühlte ich mich irgendwie... ermutigt. Meine verrückte Idee verfestigte sich, ich spürte förmlich wie sie begann in mir Wurzeln zu schlagen. Und noch etwas erstaunliches geschah im gleichen Moment: ich erblickte, ruhig neben einer Säule stehend, Mars in seiner fleischlichen Inkarnation! (Wenn auch jung, und ohne Bart.)
    Oder jedenfalls glaubte ich das einen verwirrenden Augenblick lang, in dem ich diese Erscheinung überwältigt anstaunte. Auf den zweiten Blick allerdings wurde mir schmerzlich bewußt, dass der Gott doch nicht persönlich zu mir herabgestiegen war, um mir meinen Weg auf dieser Welt zu weisen. Nein, offenbar handelte es sich um einen seiner Priester, einen wahrhaft schwindelerregend maskulinen Mann.


    Ich spürte wie (ganz ohne mein Zutun, wirklich!) ein Lächeln auf mein Gesicht trat, ich schlug die Augen nieder, sah ihn unter halbgesenkten Liedern einen Augenblick lang unverwandt, ja, glühend, an... -
    Halt! Faustus! Ich rief mich zur Besinnung. Lass das! Du bist an einem erhabenen Ort, in einem für Dich bedeutsamen Moment, und das da ist ein Priester!
    Folglich beherrschte ich mich. Aber ansprechen musste ich ihn trotzdem. Und das tat ich dann auch. Höflich.
    "Salve. Dürfte ich wohl eine Frage an Dich richten? Ich glaube ja, dass mein Opfer angenommen wurde - aber ich kenne mich da nicht gerade gut aus..."

    "Wenn Du erlaubst, großer Mars, mächtiger Herr des Krieges, möchte ich eine Frage an Dich richten. Es ist so dass in meiner Familie praktisch alle zur Legion gehen, und tapfer das Imperium verteidigen, und viele fallen auch dabei. Und, nun ja, ich dagegen habe immer gesagt das ist nicht für mich. Aber meine Mutter hat es sich so gewünscht und inzwischen kommt es mir wirklich wie eine richtig gute Option vor, im Vergleich zu... - Ich will ehrlich sein, großer Mars, mein Leben ist völlig verpfuscht! Ich habe meine Mutter ins Grab gebracht, und meiner Familie immer nur Schande bereitet."
    Ich dämpfte meine Stimme zu einem Flüstern, denn meine Geständnisse waren nur für den Gott bestimmt, nicht für etwaige andere Besucher des Tempels.
    "Ich bin ständig auf Opium, und ich bin verliebt in einen Mann (der aber nichts von mir wissen will). Der Stärkste bin ich auch nicht. Aber dafür flink und geschickt! - Ich muss auch zugeben dass ich manchmal Gedichte schreibe. Ich wäre bestimmt kein Vorzeigesoldat. Aber ich habe gehört, dass sie im Krieg so ziemlich jeden nehmen... Und ich weiß dass ich etwas in meinem Leben verändern muss, ich will etwas SINNVOLLES machen auf das ich auch STOLZ sein kann, und ich bin wirklich gewillt das durchzuziehen!"
    Ich atmete tief ein und stellte dem Gott die entscheidende Frage:
    "Großer Mars, kannst Du mit mir etwas anfangen? Ich bitte Dich, gewähre mir diese Einsicht."


    Einen Teil des Weines goss ich in die Flammen wo er verzischte, den Rest füllte ich sorgsam in eine Schale auf dem Foculus, und murmelte, wie ich es von den Priestern schon so oft gehört hatte:
    "Diese Gabe für dich, großer Mars, wie es Dir gebührt."
    Abermals legte ich den Kopf in den Nacken, betrachtete, durch die Rauchschleier hindurch, ehrfürchtig das würdevolle bärtige Antlitz. Ich hoffte inständig, dass ich nichts wichtiges falsch gemacht hatte und vor allem, dass die Gottheit nicht verstimmt war, von jemandem wie mir bemüht zu werden.

    Wie wäre es, dachte ich, wenn ich sie ALLE überraschen würde? (Am meisten wahrscheinlich mich selbst.)
    Auf dem Absatz machte ich kehrt, war aber schon bald wieder zurück - barfuß, dafür jedoch ausgerüstet mit Räucherwerk und einer Amphore guten hispanischen Weines als Opfergabe. (Weil ich so völlig pleite war, hatte ich den Händler davon überzeugt, meine neuen Sandalen dafür zum Tausch zu nehmen.)
    Ich bat einen älteren Tempeldiener um Hilfe, er musterte mich zuerst zweiflerisch, doch dann brachte er - sehr fachmännisch - das Opferfeuer für mich zum Brennen, gab mir noch ein paar gutmütige Hinweise und ließ mich machen.


    Zu Füßen der großen Statue stand ich, zog mir eine Ecke von meinem Überwurf über den Kopf, griff mir dann eine Handvoll von dem Räucherwerk und zerrieb die Kräuter zwischen den Händen. Ein aromatischer Duft stieg auf, ich verteilte sie großzügig auf den glimmenden Kohlen und als der Rauch nach oben stieg, richtete ich mich kerzengerade auf und sprach feierlich:
    "Mars Ultor! Ich heiße Faustus Decimus Serapio. Du wirst mich nicht kennen, aber dafür viele meiner Verwandten, die eifrig und sehr erfolgreich Deine Wege beschreiten. Honor et Fortitudo ist ihre.. ähm, unsere Devise. Deshalb bitte ich Dich mir jetzt Dein Ohr zu leihen, großer Mars, der Du Schutz und Schild bist unserer Stadt und des Imperiums, und, ähm..."
    (Mit kam der Gedanke, dass ich mir meine kleine Ansprach vielleicht vorher hätte überlegen und aufschreiben sollen. Nicht dass ich diesen furchterregenden Gott durch ein unbedachtes Wort erzürnte!)
    "...vor dem alle Feinde erzittern!"
    (Das war bestimmt nicht verkehrt.)

    Die Trauer um meine Mutter war zu schrecklich um sie zu ertragen. Die letzten Tage und Nächte, ich wusste nicht wie lange, war ich genau wie früher zu meinen besten Zeiten in einer schäbigen Bude in der Subura versumpft, wo das Opium nicht so teuer war, und der Besitzer mir wegen einer alten Geschichte sogar Kredit gewährte.
    In einem warmen weichen Nebel war die Zeit verstrichen, und der Schmerz in weite Ferne gerückt. Weder dachte ich daran dass man mich vielleicht in der Casa vermissen könnte, noch verschwendete ich einen Gedanken an Callistus' Sicarii.
    Doch als dann eines Morgens mein Geld endgültig alle war, und mein Kredit mehr als ausgeschöpft, warfen sie mich raus und der Schmerz war unerträglich wie zuvor.


    Es war noch ganz früh am Morgen, als ich übernächtigt durch die Straßen tigerte, die zu dieser Stunde beinahe leer waren. Wie ausgestorben. Gerade erst wich die Nacht der Morgendämmerung. Mir war flau vom Opium, und die Trauer machte mich wahrhaft blind, so dass ich bloß mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte. Schließlich zog die aufgehende Sonne meine Aufmerksamkeit auf sich - es war schon länger her, dass ich um diese frühe Stunde wach gewesen war; ich ließ mich einfach auf die nächstbesten Treppenstufen fallen und sah zu wie die goldene Scheibe langsam über den Horizont stieg und den Himmel mit einem warmen Glanz erfüllte. Aber das konnte mich nicht beeindrucken. Ja, die Sonne ging auf, wie jeden Morgen, egal ob meine Mutter gestorben war, mein Leben verpfuscht war, meine Familie mich verachtete.
    'Wärst Du doch von der Brücke gesprungen, Faustus, dann hättest Du Dir das alles erspart!', dachte ich, wie ich das zur Zeit ständig dachte, und: 'Wie komm ich bloß an Geld für neues Opium? Ich könnte Tante Lucilla fragen ob sie mir Geld gibt.... Oder mal sehen ob Orestes das Zeug für ein paar Gefälligkeiten nicht direkt rausrückt... ja, das versuch ich mal...'


    Und ich erhob mich von den Stufen, um aufzubrechen und diesen Gedanken in die Tat umzusetzen, als mir zum ersten Mal bewußt wurde, wo ich da eigentlich Platz genommen hatte: auf den Stufen des Mars Ultor-Tempels. Da stand ich, und sah wie die ersten Sonnenstrahlen den Marmor des Daches berührten, ihn zu einem strahlend weißem Leuchten erweckten, in dass sich golden das Aufblitzen der Inschriften und des Zierrates mischte.
    Ein seltsames Gefühl von Erhabenheit packte mich, zugleich widerte mich mein Vorhaben von eben ganz extrem an. Ich weiß nicht ob es eine komische Laune war, oder etwas anderes, aber jedenfalls stieg ich die Stufen hinauf und ging auf das Portal des Tempels zu. Er stand offen, obwohl es noch so früh war, und ich trat ein.
    Durch das feierliche Halbdunkel hindurch ging ich langsam an den Säulenreihen vorbei, bis ich vor der majestätischen Statue des Kriegsgottes stand. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte forschend hinauf in sein strenges bärtiges Gesicht, dessen Ausdruck mir zu gleichen Teilen zusammengesetzt erschien aus den Zügen meines Vaters, denen von Onkel Livianus, und denen des Triumphators, Onkel Meridius. Verachtung konnte ich allerdings keine darin lesen. Und da hatte ich eine verrückte Idee!

    Mit verweinten Augen kniete ich vor dem Hausaltar. Neben mir auf dem Boden lag der Brief aus Tarraco, in dem meine Tante Anteia mir in nüchternen und strengen Worten das Fürchterliche mitteilte.
    Ich streute Weihrauch auf die Feuerschale und sah durch den aufsteigenden Rauch hindurch die Figuren der Laren. Die sich kräuselnden Schwaden schienen die Falten ihrer Gewänder wogen zu lassen und die unbewegten kleinen Gesichter mit Leben zu erfüllen.
    Ein heftiges Schluchzen schnürte mir die Kehle zu. Ich schluckte und räusperte mich, aber meine Stimme klang gar nicht als würde sie zu mir gehören, als ich nun das Wort an die Manen richtete.


    "Divi parentes, Schatten der Voreltern, ich spreche zu Euch weil meine Mutter gestorben ist. Der Tod hat sie in Tarraco ereilt - während ich weg war, nicht bei ihr zu Hause gewesen bin. Aber... ich wußte doch gar nicht das sie so krank war!
    Divi parentes, meine Mutter und ich, wir sind im Streit auseinander gegangen, und ich..."

    Mir kamen wieder die Tränen. Ich wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht und sprach mit erstickter Stimme weiter.
    "Ich bitte Euch dass Ihr sie gut aufnehmt und an einen Ort geleitet wo sie Ruhe und Frieden hat. Und dass ihr mir helft sie zu besänftigen, damit sie nicht mehr so zornig auf mich ist, wegen all der Sorgen die ich ihr bereitet habe. Bitte, könnt ihr sie wissen lassen dass es mir leid tut - nein, dass ich alles wirklich von Herzen bereue?!"


    Mit unsteten Händen griff ich nach einem Krug und goss einen Strahl von weißer Milch in die Flammen der Feuerschale hinein. Es zischte und dampfte, viele Flammen verloschen. Ich nahm einen weiteren Krug und ließ goldenes Olivenöl auf die noch brennenden Kohlen rinnen. Heftig loderten die Flammen wieder auf, sie verzehrten das Öl gierig und ich konnte ihre Hitze auf meinem Gesicht spüren.
    "Dies sei euch dargeboten, Divi parentes, wie es Euch gebührt."
    Durch den Rauch- und Dampfschleier hindurch legte ich einen Myrtenkranz auf den Altar, zu Füßen der Laren. Er war von kleinen weißen Blüten übersät. Meine Mutter hatte Myrte sehr gemocht, und im Garten viele schöne große Sträucher davon gehabt, die immer gut geduftet hatten.
    "Und das ist für sie...", schluchzte ich, und wagte es dabei nicht den Schatten meiner Mutter direkt anzusprechen.
    "Ich danke Euch, Divi parentes, für Eure Hilfe.", schloss ich mit einem letzten Rest Selbstbeherrschung mein Gebet, und streute zum Abschluß ein letztes Mal etwas Weihrauch auf die Kohlen - dann legte ich den Kopf auf die Knie und weinte hemmungslos und lange Zeit.

    "Mhm.", murmelte ich und trat zu meiner Tante, dankbar dass sie sich so nett um mich kümmerte, und froh über jeden Aufschub bevor ich dem Triumphator gegenüber treten musste.
    Ein Bad, das klang unglaublich gut. Aber dann schüttelte ich energisch den Kopf und griff schützend in mein langes Haar.
    "Nein, das soll so bleiben. Ich mag das so. Das ist eben mein persönlicher Stil."
    Darüber hatte ich früher so viele endlose Diskussionen mit meiner Mutter gehabt - 'Wie Du wieder aussiehst! Unordentlich, unrömisch, ungepflegt! Du bist doch kein Grieche!'
    (Ich denke oft, dass ich besser als Grieche geboren worden wäre, das würde viel eher zu mir passen. Vielleicht hat man mich ja als Säugling vertauscht, um den Decimern eins auszuwischen oder so.)
    'Aus dem Carcer'? Mit großen Augen sah ich Lucilla erschrocken an. Sie hatte natürlich nur gescherzt, aber... Ich verzog das Gesicht zu einem künstlichen Lächeln, als ob ich den Gedanken urkomisch fände und setzte mich in Bewegung Richtung Bad.


    Aber nach ein paar Schritten blieb ich doch stehen und drehte mich zu dem Legaten um.
    "Onkel Livianus.", sagte ich entschlossen, dann verließ mich schon wieder der Mut.
    "Ich wollte nur sagen dass... - Es tut mir leid! - Aber das weißt Du ja schon. - Ich weiß dass Du jetzt sehr schlecht von mir denkst. Aber ich wollte noch sagen dass ich wirklich versuchen will es wiedergutzumachen!"
    Mit niedergeschlagenen Augen fügte ich leise hinzu:
    "Und ich wünsche Dir auch alles Gute und dass die Götter Dich schützen, im Krieg."

    Diese Frauen hatten es wirklich drauf zu feiern. Es ging hoch her, Lachen und derbe Scherze flogen durch die Luft, und die Becher kreisten. Ich musste gleich noch ein Lied spielen, ein paar von ihnen klatschten den Takt dazu und Gladiola tanzte mit Thalna, der schwarzlockigen Illyrerin, am Beckenrand, so dass es jeden Moment so aussah als würden die beiden gleich ins Wasser fallen.
    Erneut gelang es mir, ein Mundstück der Haschischpfeife zu erobern. Genüsslich schloß ich die Lippen darum und sog den süßen Rauch tief ein. Mir fiel auf, dass ich der einzige Mann im Raum war - ganz allein mit einem Haufen ausgelassener, feierwütiger Meretices... bei dem Gedanken wurde mir ganz merkwürdig zumute. Sie ließen sich durch meine Anwesenheit auch gar nicht stören - ich glaube in ihren Augen bin ich, noch von früher her, einfach so ne Art Schoßhund von Hannibal - und tauschten sich freimütig aus, über ihre Arbeit, ihre Freier, Männer im Allgemeinen und so... Ich spitzte natürlich meine Ohren. Frauen können echt grausam sein.


    Mit halbgeschlossenen Augen streckte ich mich auf dem Boden aus, genoss den himmlischen Hanf.
    "Lass uns auch noch was übrig!"
    Irgendwer nahm mir gemeinerweise schon wieder das Mundstück weg.
    "Seht euch Flosculus an! Der raucht alles weg wenn Du mal nicht aufpasst!"
    Sie lachten über mich, und erklärten, ich müsse noch was spielen wenn ich es wiederhaben wolle. Mit einer Grimasse - aber schon auch geschmeichelt - richtete ich mich auf und setzte wieder die Flöte an die Lippen.
    Dabei fiel mein Blick zufällig auf die Türe - da sah ich die Gestalt von Hannibal! Nur ganz kurz, im Vorübergehen. Schon war er wieder verschwunden. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich es mir vielleicht wirklich nur eingebildet hatte, doch dann zog ich schnell meine Füße aus dem Becken, schnappte meine Sandalen und sprang auf.
    "Bis später!"


    Eilig trat ich in den Gang hinaus. Die Geräusche des Festes verklangen hinter mir. Meine bloßen Füße machten ein leises tapp, tapp auf dem kühlen Boden, und hinterließen nasse Fußabdrücke als ich in Richtung der hinteren Räume ging. Es war ziemlich dunkel, und kein Hannibal in Sicht.
    An einer Aufzweigung blieb ich stehen. Das Lupanar mit seinen verwinkelten Räumen, verzogenen Wänden und dunklen Ecken kam mir plötzlich wie ein großes Labyrinth vor. Stein knirschte. Atmete da nicht jemand? Was wenn hier doch irgendwo Satryus lauerte?
    Vor meinen Augen, die sich langsam an die Dunkelheit gewöhnten, schälten sich jetzt, geduckt in einem Alkoven, die Umrisse eines Menschen aus dem Schatten.
    "Hannibal...?", fragte ich, während ich zögerlich nähertrat.
    "Bist Du das?"
    Doch als er sich bewegte, dann aufrichtete, da erkannte ich: es war es wirklich. Voll Erleichterung und Freude stürmte ich auf ihn zu, und fiel ihm ganz euphorisch um den Hals.
    "Meum Savium!", flüsterte ich atemlos und schlang ihm innig die Arme um den Nacken.
    Ich suchte seine Lippen, fand sie, und drückte ihm einen zärtlichen Kuss darauf.
    "Ich hab Dich so vermisst! Ich hatte solche Angst dass Du TOT bist!!"

    Ich hatte das Gefühl dass meine Fragen ihr nicht gerade angenehm waren. Sie wirkte auch nicht unbedingt abgebrüht - vielleicht schämte sie sich hier zu arbeiten. Das konnte ich gut verstehen.
    "Ja, mich auch.", lächelte ich zurück.
    "Celeste... wie schön! Ähm, also ein schöner Name, meine ich. Er passt sehr gut zu Dir. Ähm. Ja."
    Verlegen rieb ich meine Nase. Irgendwie verwirrte sie mich. Ich hätte jetzt gerne irgendwas geistreiches gesagt, oder etwas richtig charmantes, aber wie das so ist, in dem Moment fiel mir natürlich nichts ein.
    "Also dann..."
    Außerdem wollte ich ja nicht aufdringlich sein.
    "Vielleicht sehn wir uns ja noch..."
    Toll, Faustus, das war ja mal ganz einfallsreich, ganz toll!
    Schnell öffnete ich die Türe, lächelte nur kurz schüchtern über die Schulter zurück und trat wieder auf den Gang hinaus. Puh!


    Schon nach ein paar Schritten lief ich Phyllis und Gladiola in die Arme.
    "Flosculus, Herzchen!"
    Ehe ich's mich versah hatte Phyllis mich an ihren gewaltigen Busen gezogen, und ihr Rosenduft nahm mir fast den Atem.
    "Unser süßer Flosculus!", flötete sie fidel - sie schien mir ziemlich beschwippst zu sein - "wir dachten Du sitzt bei Wasser und Brot im Kerker! - Hat nicht Laelius das gesagt? - Aber da stehst Du, gesund und munter, hach was für eine Freude!"
    Sie dachte gar nicht daran mich loszulassen, sondern hielt mich weiter mit erdrückender Herzlichkeit an ihre, ich sag jetzt mal üppigen, Formen gepresst.
    "Mhm." , bestätigte Gladiola, die eine große Weinamphore in den Armen hielt. "Hat er gesagt."
    Ihr für gewöhnlich blasses Gesicht war gerötet und sie sah für ihre Verhältnisse geradezu fröhlich aus.
    "Quatsch!", wehrte ich ab, während ich mich Stück für Stück aus Phyllis Klammergriff befreite. Sie ist nett aber ihre Fleischmassen machen mir Angst. Die anderen Lupae dort haben mich meistens mehr wie eine Art Maskottchen behandelt. Aber Phyllis! Sobald sie mich sieht verschlingt sie mich mit begehrlichen Blicken, das ist echt unheimlich!
    "Laelius is'n Schwätzer. Mir gehts gut!"


    "Du!" Phyllis strahlte bis über beide Ohren.
    "Komm mit! Wir feiern gerade mit den Mädels was ganz Besonderes!"
    "Was denn?"
    "Meinen Abschied!", jubelte sie.
    "Stell Dir vor, ich werde heiraten!!"
    "Oh." Das verblüffte mich wirklich, und freute mich sehr für sie.
    "Herzlichen Glückwunsch! Wen denn? Das wird aber ein Verlust sein für das Lupanar!"
    "Danke mein Schatz! Einen anständigen Mann, das kannst Du mir glauben! Ach..."
    Sie seufzte. "...es war hier einfach nicht mehr so wie früher seitdem ... Du weißt schon. - Aber los jetzt. Jetzt wird gefeiert! Du musst unbedingt für uns Flöte spielen!"
    Ach so, sie brauchten also einen Musikanten. Lachend zogen die beiden mich einfach kurzerhand mit sich, und ich ließ es mir gefallen. Als wir dann aber an der Türe von Hannibals Büro vorbeikamen sträubte ich mich und protestierte:
    "Ich muss aber noch da rein!"
    "Da ist ne Besprechung gerade.", belehrte mich Gladiola, "Da solltest Du besser nicht stören. Geh doch später."
    Und Phyllis lockte mich mit: "Es gibt auch richtig guten Hanf, haben wir vorhin extra in der indischen Gasse gekauft!"


    Das war ein überzeugenden Argument, das meinen Widerstand im Kern erstickte und ein breites Grinsen auf mein Gesicht zauberte.
    Arm in Arm mit den beiden Frauen gelangte ich in das freskenverzierte Balneum, wo das kleine Fest schon in vollem Gange war. Ich wurde johlend begrüßt - ebenso der Nachschub an Wein - und ging praktisch von Hand zu Hand - genauso der Wein.
    Kaum war es mir gelungen ein paar Züge von dem wirklich ausgezeichneten Hanf zu erwischen, als man mir schon eine Syrinx in die Hände drückte. Ich zog die Sandalen aus, ließ meine Füße in das Wasserbecken hängen, und plätscherte vergnügt darin herum, während ich die Melodie eines feurigen Hirtentanzes aus meiner Heimat anstimmte.

    Gehemmt stand ich am Rand der Szene. Das alles erinnerte mich viel zu sehr daran wie mein Vater damals aufgebrochen war - und nicht wiedergekommen war. Ich musste heftig schlucken und hätte mich gerne den beiden anderen angeschlossen. Aber von MIR wollte Livianus bestimmt nicht umarmt werden. Und daran war ich selber schuld.
    Betreten verschränkte ich meine Arme vor der Brust, richtete den Blick auf einen Punkt am anderen Ende des Atriums und kam mir vollkommen fehl am Platz vor.

    Ich glaube Lucilla könnte JEDEN aus der Reserve locken. Grinsend versuchte ich ihrem Stups zu entwischen, und gab ihr dann schnell einen kleinen zurück. Plötzlich war alles wie früher in Tarraco wenn die Familie auf einem großen Haufen zusammenkam, und alle lebhaft durcheinander redeten und scherzten...


    Ich rückte auf der Tuffsteinbank ein bisschen zur Seite um Platz zu machen und nickte bei den Worten von Mattiacus - Onkel Mattiacus.
    "Ja, ich glaub auch. Salve. Es freut mich Dich kennenzulernen. Ich bin Faustus Serapio... der Sohn von Silanus, Dein Neffe also. Was hast Du denn in Germania gemacht? Warst Du so richtig in der Wildnis?"
    Und zu Lucilla:
    "Nein, nie. - Echt?! - Friert man sich da nicht die Nase ab? - Äh, nein, ich war nicht in Mantua. Ich und die Legio?! Auf keinen Fall!"
    Ich schüttelte herzhaft den Kopf und wiederholte mit einem Unterton von Trotz laut und deutlich in die Runde (damit mein Onkel der Legat es auch gut hören konnte):
    "Ich werde NIEMALS zur Legio gehen!"
    Oh nein! Und wenn sie sich alle auf den Kopf stellen würden!


    Meine Füße scharrten rastlos auf dem Boden, ich musste plötzlich aufspringen und ein paar Schritt hin und her laufen. Und irgendwie war ich schon wieder dabei meinen Pferdeschwanz neu zu binden.
    Bei Lucillas Frage hielt ich aber inne und sah unwillkürlich doch zu Livianus. Das aktuelle Geschehen war in den letzten Monaten ziemlich an mir vorbeigegangen, aber natürlich wusste ich vom Krieg... und mein Onkel war der Feldherr!
    Obwohl ich mich dagegen sträubte beeindruckte mich das doch wahnsinnig. Und am Vorabend des ganzen musste er sich hier mit mir herumärgern... Wieder mal bekam ich den Impuls mich einfach in Luft aufzulösen.

    Sie war echt niedlich! Dieses kecke Lächeln. Bestimmt machte sie ein gutes Geschäft mit ihrer Arbeit hier. Ein bisschen erschrocken schien sie aber auch zu sein, als ich so hereingeplatzt war.
    Bei ihrer Antwort fiel mir ein Stein vom Herzen. Das klang ja so, als ob mit Hannibal alles in Ordnung wäre! Ich atmete auf und fragte schnell nach:
    "Dann geht es ihm gut? Und das hier ist immer noch seins? Weißt Du, ich bin ein Freund von ihm aber ich war 'ne Weile weg und, ähm, hörte er hätte irgendwie Schwierigkeiten gehabt... Aber dann ist ja gut."


    Ich lehnte mich gegen eine Kiste in der sich frische Laken stapelten - sie rochen arg nach Lavendel - und lachte erleichtert. Anscheinend hatte ich mir umsonst Sorgen gemacht. Hannibal war halt ein Überlebenskünster...
    Durch ein schmales Fenster sah man einen Streifen des Himmels draußen. Der Sonnenuntergang hatte ihn in mit einem tiefen, richtig blutigem Rot überzogen, und auch das Licht hier drinnen hatte eine leicht rötliche Färbung angenommen. Sah geheimnisvoll aus. Dämmerstunde.


    "Ich danke Dir. Dann geh ich gleich mal nach ihm schauen."
    Doch das Mädchen interessierte mich, ich hatte sie hier früher nie gesehen, und so fragte ich neugierig:
    "Du bist aber noch nicht lange hier, nicht? Ach, entschuldige, ich heiße Flosculus übrigens."

    Eines heißen Sommerabends - ich war den Fängen meiner liebenden Familie für heute glücklich entronnen - erreichte ich, nach einem verstohlenen Abstecher zum Kräutermarkt, den Venustempel. Eine Zeitlang drückte ich mich unschlüssig im Schatten des Gebäudes herum - war es nicht zu gefährlich an meinem Ziel einfach aufzukreuzen? Der weiße Satyr mit den roten Klauen spukte noch lebhaft in meiner Erinnerung herum, und ich konnte mir vorstellen, dass er auf mich nicht gerade gut zu sprechen war. Andererseits war es sowieso und überhaupt gefährlich für mich in der Stadt, die Sache mit Callistus war auch noch nicht vom Tisch, und ich vertraute nur darauf dass seine Halsabschneider nachdem ich eine Weile von der Bildfläche verschwunden gewesen war, die Suche aufgegeben hatten. Das ganze Leben war gefährlich. Und Rom war groß...


    Schließlich fasste ich mir ein Herz und näherte mich, in einem Bogen durch das Gassengewirr, dem Lupanar das ich so gut kannte. Ich musste einfach erfahren was mit Hannibal war. Ob er überhaupt noch lebte?!
    Was er in dem Tempel getan hatte war schon großartig gewesen. Richtig edel. Und auch... romantisch irgendwie.
    Es hatte mir einfach keine Ruhe gelassen. Und da Hannibal zu mir immer sooo geheimnisvoll gewesen war, war das Freudenhaus nun mal der einzige Anhaltspunkt den ich hatte.
    Wohlweislich nahm ich aber nicht den Haupteingang sondern schlüpfte von der Rückseite her still und leise durch die kleine praktische Hinterpforte. In dem schmalen Flur der daran anschloss blieb ich stehen und lauschte mit schräg gelegtem Kopf. Vereinzelt drang Stöhnen bis hierher, dann mal ein grelles Lachen - anscheinend war heute nicht so viel Betrieb.
    Nervös zog ich meine Tunika zurecht - eine ganz weiße, ordentliche, mit einem dunklen Ledergürtel - und strich mir ein paar lose Strähnen hinter die Ohren. Hoffentlich fand Hannibal mich - falls ich ihn treffen sollte und es ihm gutging, natürlich - in dem Aufzug und ungeschminkt nicht zu brav...


    Leise setzte ich meine Füße voreinander in Richtung auf seine Räumlichkeiten. Jeden Moment fürchtete ich, Satryus aus irgendeiner Ecke springen zu sehen. Auf einmal waren da Schritte im Gang!
    Erschrocken, und plötzlich ganz kopflos, huschte ich schnell zur nächsten Türe, die, wie ich mich entsann, zu irgendeinem Lagerraum führte, zog sie auf - sie war nur angelehnt - schlüpfte hinein und zog sie hinter mir leise wieder zu. Erleichtert wandte ich mich um - und bemerkte dass ich nicht alleine war!
    Nein, ich stand einer sehr süßen Blondine gegenüber. Das war ja nun eigentlich an diesem Ort nichts verwunderliches, trotzdem muss ich sie in dem Moment ziemlich verdutzt angestarrt haben. Die Schritte im Gang draußen kamen näher, was ich mit klopfendem Herzen hörte, dann entfernten sie sich wieder. Ich berappelte mich und grüßte freundlich:
    "Salve!"
    Strahlend lächelte ich das Mädchen an und fragte ganz harmlos:
    "Sag mal - also, ich suche Hannibal - weißt Du zufällig ob er da ist?"

    Es kam wie es kommen musste. Wie ein Wirbelwind sauste auf einmal Tante Lucilla durch das Atrium. Unwillkürlich zog ich den Kopf ein. Sie stürzte sich erst mal überschwenglich auf die anderen. Ach so, das war also - natürlich - nicht Meridius sondern Mattiacus - und er kam aus dem freien Germanien ?! Was in aller Welt hatte ihn wohl an so einen fürchterlichen Ort verschlagen?
    Bevor ich darüber weiter nachdenken konnte, hatte sie mich erspäht und kam direkt auf mich zu. Ich lächelte verlegen.
    "Salve Tante Lucilla."
    Und dann kniff sie mich einfach in die Wange! Als ob ich ein Kleinkind wäre!
    "Aber Tante Lucilla!", protestierte ich und verzog das Gesicht.
    "Ich bin doch nicht mehr... also ich bin jetzt achtzehn Jahre alt! Ob du's glaubst oder nicht..."


    Aber sie hatte so was Vergnügtes an sich, dass ich trotz meines ganzen Elends auch grinsen musste. Lucilla ist schon eine Wucht, ich mag sie furchtbar gerne, und, obwohl mir alles so peinlich war, freute ich mich dann doch trotzdem sehr sie zu sehen.
    Früher - also ganz, ganz früher - hat sie immer tolle Sachen mit mir gespielt, und auch mit den anderen Kindern, einmal haben wir zum Beispiel alle zusammen aus Schilf eine Riesen-Hütte am Strand gebaut, das war fabelhaft. Aber am liebsten, das weiß ich noch genau, wollte ich sie immer für mich alleine haben. Mein absolutes Lieblingsspiel war: Alexander und Bukephalos. (Ich war Alexander.)
    Sie erschien mir damals immer sooo groß und erwachsen. Aber inzwischen bin ich größer als sie, was mir, als es mir da im Atrium auffiel, ziemlich komisch vorkam.


    "Äh... Nein."
    Schon wieder hatten sich meine Hände selbständig gemacht und rieben verlegen meine Nase.
    "Ich bin, äh, mit Livianus gekommen..."
    Scheu sah ich zu ihm rüber. Und dann, bei dem Wort 'verlottert' spürte ich wie ich ganz rot wurde.
    "Das ist 'ne längere Geschichte...", stotterte ich und verknotete meine Finger, die verräterisch zitterten. Schnell setzte ich mich deshalb wieder auf meine Hände und fragte ganz harmlos:
    "Und wie geht es DIR?"

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    Wie ein schäbiger Bettler kam ich mir vor, als ich im Windschatten des Legaten in die Casa, und dann in das schöne Atrium hineintrat. Es war angenehm kühl, alles so sauber und harmonisch... eben eine ganz andere Welt als die aus der ich gerade kam. Livianus ging zu den Ahnenmasken und beachtete mich nicht weiter.
    Dieses Schweigen! Dieses verächtliche Schweigen raubte mir den letzten Nerv! Da wäre es mir echt lieber gewesen, er hätte einen Wutanfall gehabt, oder so. Glaube ich zumindest.
    Ich bekam Lust laut zu Schreien oder eine Vase zu zerdeppern, um der drückende Atmossphäre in dem Raum, einer trauten Allianz von gediegener Häuslichkeit und stummen Vorwürfen, zu entkommen... oder ihr wenigstens einen Kratzer zu versetzen!


    Aber ich tat es nicht. Statt dessen setzte ich mich artig auf eine geschwungene Tuffstein-Bank und wartete darauf, dass das Familiengericht tagte. Mir war schlecht, ich sehnte mich nach meinem Opium, und meine Hände, flatterig und nervös, schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben; mal strichen sie über die Oberfläche des glatten Steines, mal über meine Stirn, mal rieben sie meine Nase, mal versuchten sie (vergeblich) die Falten in meiner zerknitterten Tunika zu glätten.
    Als ich mich dabei ertappte wie ich zum dritten mal das Lederband, das meine langen Haare im Nacken zusammenhielt, neu knotete, setzte ich mich mit hochgezogenen Schultern kurzerhand auf meine Hände drauf. Das half ein bisschen, aber jetzt merkte ich erst wie unruhig meine Füße waren...


    Überrascht sah ich zu dem neu Eintretenden und fragte mich im ersten Moment ob das etwa der Triumphator war? Mutter hatte eine Büste von ihm im Atrium, vor der sie mir manchmal lange Vorträge über seine Siege und Tugenden gehalten hatte. Da sah er aber ganz anders aus.

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    Kein Wort hatte mein Onkel der Legat zu mir gesprochen, auf dem langen Fußmarsch von der Castra der Urbaner bis hierher. Und ich hatte weiterhin, wie befohlen, meinen Mund gehalten. Wenigsten hatte ich an einem Brunnen endlich meinen Durst löschen können, ansonsten ging es mir weiterhin miserabel. Mein Körper verlangte heftig nach der Droge, und mit dem Tempo des Legaten und seiner Leibwachen hatte ich kaum mithalten können. Heiß war es und das Schweigen lastete schwer und drückend als wir dann endlich vor dem Haus der Familie ankamen.


    Einer der Leibwächter klopfte auch gleich kräftig an die große Türe. Ich lehnte mich in einem Fleckchen Schatten erschöpft gegen die Hauswand. Meine Hände zitterten als ich mir den Schweiß aus dem Gesicht wischte. Ich verschränkte sie fest ineinander damit es nicht so auffiel, vermied es meinen Onkel anzusehen, und starrte auf den Boden vor der Türschwelle. Ich wollte da nicht rein!
    Seit dem großen Krach mit meiner Mutter in Tarraco hatte ich meine ganze Familie gemieden, hatte wirklich versucht auf eigenen Beinen zu stehen und meine eigenen Wege zu gehen – meine eigenen Wege hatten mich, zugegebenermaßen, in die Verließe der Urbaner geführt, aber trotzdem fand ich das das unerträglich jetzt hier so als Delinquent nach Hause geleitet zu werden. Außerdem war ich völlig verdreckt, ziemlich zerschlagen, und schämte mich, irgendjemandem da drin so unter die Augen zu kommen. Zum Beispiel Tante Lucilla… hoffentlich war sie nicht da! Wie peinlich wenn sie mich so sähe!

    Von meinen guten Vorsätzen erfüllt, folgte ich schleunigst dem Legaten. Ich war wirklich heilfroh den Urbanern zu entkommen. Wenn auch vielleicht nicht alle Gerüchte über sie stimmten - ihre Gastfreundschaft konnte ich jedenfalls nicht weiter empfehlen.
    Dem Princeps Prior, der mit verschränkten Armen neben der Türe stand warf ich im Vorübergehen noch einen finsteren Blick zu - ach wie gerne hätte ich ihm doch seine Gehässigkeiten heimgezahlt! Vielleicht konnte ich ihn ja irgendwie anschwärzen, dachte ich hoffnungsvoll. Bei Gelegenheit. Im Moment schien mein Onkel ziemlich ungehalten... verständlicherweise... und sein Kommando zum Aufbruch erinnerte mich lebhaft an die Befehle eben jenes Princeps Prior bei meiner Verhaftung. Fehlte nur, dass er mir ebenfalls einen Strick um die Hände band!


    Natürlich folgte ich ihm auch ohne Strick auf den Fuß, und verließ die Castra - zum einen voll Erleichterung, zum anderen voll Furcht vor dem legatischen Donnerwetter, das ich dunkel und schrecklich da über mir am Himmel dräuen sah. (Und dessen bange Erwartung für den Moment sogar den Gedanken an die Droge aus meinem Kopf verdrängte!)

    'Mach jetzt keinen Mist mehr, Faustus!' , schärfte ich mir selbst dringlich ein, als mein Onkel der Legat wirklich und wahrhaftig, und ohne zu zögern, in die Bresche sprang und für mich bürgte. Das war doch einfach großartig von ihm! Ich selbst hätte mir das durchaus zweimal überlegt, bevor ich für mich gebürgt hätte.
    Es tat mir in diesem Moment noch viel mehr leid, dass ich so eine fleischgewordene Enttäuschung für ihn sein musste, und sehr kleinlaut stand ich neben ihn, sah erleichtert wie die Türe geöffnet wurde, und wäre am liebsten gleich losgestürmt in die Freiheit.
    Ich beschloss außerdem für mich, dass mein Onkel seinen Großmut in dieser Sache nicht bereuen sollte! In Zukunft würde ich anständig sein, ja, mustergültig, kein Herumtreiben mehr, überhaupt, nichts Anstößiges mehr, keine Orgien, keine Gedichte, außerdem keine Männergeschichten, keine Drogen... naja, weniger Drogen... wenn möglich... jedenfalls würde ich es ernsthaft versuchen...!

    Ein verängstigtes Weibstück! Pah! Das traf mich hart. Beleidigt presste ich die Lippen zusammen, schluckte die Tränen runter und richtete mich trotz zittriger Knie möglichst gerade auf. Was konnte denn ich dafür, dass die Generationen der Decimer vor mir allesamt Heldenmut und Courage im Überfluss abgekriegt hatte? Für unsereins war da halt einfach nicht mehr viel davon übrig geblieben...
    Außerdem hatte mein Onkel der Legat doch keine Ahnung was für mannigfaltige Qualen ich gerade erst ausgestanden hatte! Und zwar pausenlos seit dem Moment als ich in dieser scheußlichen Bruchbude in Trans Tiberim aufgewacht war! Ich holte schon Luft um zu einer geharnischten Erklärung anzusetzen, aber, naja, er hatte ja gesagt, ich solle den Mund halten. Das tat ich dann auch. Sah verstockt aus dem Fenster, dachte schon wieder sehnlich an Opium und schwieg, während die Erwachsenen über mich verhandelten. Ein paar Soldaten sah ich draußen in der Ferne in einer Reihe stehen und exerzieren. Ziemlich albern sahen sie dabei aus, wie kleine Marionetten oder so.


    Doch so unerträglich die ganze Situation auch war, erfüllte es mich doch mit großer Erleichterung und Dankbarkeit, dass der Legat wirklich gedachte, mich mitzunehmen. Und sein Wunsch war natürlich Befehl. Wie höflich und beflissen sich diese Urbaner doch auf einmal gebärdeten, wie verwandelt.
    "In Obhut des Senators Decimus Meridius", das klang allerdings ziemlich unheilsschwanger. Wollte Livianus mich gar ins eisige Germanien schicken? Außerdem würde der große Triumphator Meridius, der lorbeerbekränzte Bezwinger der Feinde des Imperiums, bestimmt ganz und gar nicht erfreut sein über so jemanden wie mich.
    Aber noch mal in diesen schauerlichen Kerker zurück zu müssen hätte mir echt den Rest gegeben. Hauptsache raus hier, Hauptsache irgendwie wieder an Drogen kommen! Schnell trat ich von den Urbanern weg zu meinem Onkel hin, ungeduldig diese Mauern endlich wieder zu verlassen.

    Unter den Dokumenten der Decemviri fand sich - so ziemlich in letzter Sekunde - auch ein gesiegelter Brief, der schon vor langer Zeit aus Tarraco eingetrudelt war:


    An die
    Decemviri litibus iucandis
    Basilica Ulpia
    ROMA
    ITALIA


    Salvete,
    hiermit ersuche ich, Faustus Decimus Serapio, darum, das Erbe meines Vaters, Lucius Decimus Silanus antreten zu dürfen. Ebenso nehme ich meinen Anteil am Erbe meines Großvaters, Quintus Decimus Mercator, an, und danke ergebenst für die Bemühungen.


    Vale bene,
    Faustus Decimus Serapio

    Mein Onkel der Legat zeigte weder Wut noch Überraschung. Er würdigte mich keines Wortes und nicht mal seines Zornes - er seufzte nur. Ein ganz leiser Laut war das, und doch so vernichtend, durchdrungen von Resignation und abgrundtiefer Missbilligung.... - und er drückte wohl auch ganz gut aus, was meine Familie so im allgemeinen von mir hielt. Wenn das überhaupt möglich war, schämte ich mich in diesem Moment noch viel, viel mehr, ich krallte meine Finger in den Stuhlrücken vor mir und hatte das Gefühl gleich vor Reue und Elend zu sterben. Doch wie das so ist, ich blieb am Leben und musste mitanhören wie der Centurio meine Schandtaten brühwarm berichtete.


    "Es war aber wirklich nur so ein ganz winzig kleines..."
    versuchte ich schwach zu protestieren,
    "...und überhaupt gar keine Waffe..."
    Doch unter dem Blick des Legaten fing mein Gesicht erneut an zu glühen. Ich wünschte sehnlich, ich hätte auch den Diebstahl abstreiten können! Warum nur, warum bloß hatte ich mich ausgerechnet jetzt so idiotisch erwischen lassen?! Ich rieb meine Nasenspitze, strich mir furchtbar verlegen das Haar hinter die Ohren, und hätte alles dafür gegeben, jetzt woanders zu sein.


    "Bitte Onkel Livianus, bitte hol mich hier raus!"
    flehte ich dann doch und hob verzweifelt den Blick vom Fußboden zu meinem Richter empor. Und schon wieder mit den Tränen kämpfend beschwor ich ihn händeringend:
    "Bitte hilf mir, bitte! Die machen mich fertig hier drinnen, völlig fertig!"
    Ich fuhr mir über die feuchten Schläfen, schniefte, und begleitete meine Worte mit einem anklagenden Deuten auf den Centurio und ganz besonders auf seinen fiesen Handlanger, den Princeps Prior neben der Türe.