Ich hielt den Atem an, und biss mir fest auf die Lippen um keinen Laut von mir zu geben, als dieser Wahnsinnige mir seinen Fingernagel in den Hals bohrte. Es tat verdammt weh, aber ich wagte es nicht, vor ihm zurückzuweichen, sah statt dessen wie gebannt auf den einzelnen Bluttropfen, mein Blut, das dunkelrot seinen knochenweißen Finger entlang floß.
Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben, der Moment dehnte sich ins Unermessliche - das Blut, sein eisgrauen Augen, die mich gebannt hielten, sein böses Flüstern... - dann löste sich der Tropfen, fiel in die rot verkrustete Rinne, in der sich zu früheren Zeiten das Blut vom Altar her gesammelt hatte. Das leise Geräusch als der Tropfen auftraf, schien in meinen Ohren zu dröhnen, und ich hatte wirklich das Gefühl, dass die verwitterte Fratze des uralten Götzenbildes sich zu einem zufriedenen Grinsen verzog.
Ein kalter Schauer überließ mich, und ich bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich Satryus Schlangenstimme auf einmal dicht an meinem Ohr hörte, und seinen Atem spürte.
'Blut und die reine Unschuld des Todes'?
Der war ja vollkommen durchgedreht. Mein Wille, mich für Hannibal einzusetzen, wankte und verflüchtigte sich vor der schwindelerregenden Angst, die mir dieser böse weiße Satyr einflösste. Panisch starrte ich an seiner Schulter vorbei, und sah verwundert einen Zitronenfalter, völlig unpassend in dieser Umgebung, der sich seelenruhig dort auf dem weißen Stoff niedergelassen hatte. Er war so nah, dass ich das Geflecht der feinen Adern sehen konnte, die, wie bei einem Blatt, seine hauchzarten Flügel durchzogen. Sie schimmerten wunderschön, als er sie langsam auf und ab bewegte - bis Satryus ihn urplötzlich mit einem Schlag seiner Klaue zerquetschte.
Ich zuckte zusammen, entsetzt vor dem unheilverkündenden Funkeln in Satryus' Augen, und überzeugt, dass er als nächstes mich umbringen würde, als kleines Spiel, um Hannibal zu quälen. Doch der war noch nicht am Ende! Meine Augen wurden groß, als ich sah, wie er sich auf einmal unerwartet zur Wehr setzte, einen der Männer einfach erstach!
Der Satyr wandte sich von mir ab, und Hannibal rief, ich solle verschwinden - einen Wimpernschlag lang zögerte ich, und erwog, mein kleines Messerchen zu ziehen und es Satryus in den Rücken zu stoßen, den er mir gerade zuwandte. Es wäre sicher eine gute, löbliche Tat gewesen, doch ich zauderte zu lange, und als der Riese in der Türe erschien, wandte ich mich instinktiv zur Flucht. Ich glaube, ich könnte das auch gar nicht... jemanden richtig verletzen oder umzubringen, einfach so, meine ich. Da bin ich nicht der Typ dafür.
Ich stürzte auf eine schmale Fensteröfnung zu, schwang hastig ein Bein hinaus, und sah schnell noch mal zurück. Der Riese Brutus näherte sich gerade, den Totschläger in der Hand schwingend, Hannibal, der mit dem anderen Wächter kämpfte...
'Ich bin ein Feigling.', schoß es mir durch den Kopf.
'Hannibal wollte mir helfen. Die machen ihn fertig. Andererseits, er hat gesagt ich soll abhauen, und was bringt es, wenn wir beide sterben? Nein, nein, dann wäre sein Opfer ja ganz umsonst!'
Diese Logik fand ich bestechend. Doch um nicht ganz und gar untätig zu sein, bückte ich mich schnell zum Boden, und schloß mein Hand um ein noch halbwegs heiles Tongefäß, das da zwischen den Scherben lag. Hastig richtete ich mich wieder auf, und schleuderte das Ding weitausholend gegen den Riesen. Und ich traf ihn auch, das Gefäß zerschellte klirrend an seiner Schulter, und Scherben flogen in alle Richtungen. Der Mann fuhr wild zu mir herum, richtete die mordlustigen Augen auf mich... und ich sprang endgültig aus dem Fenster, stand plötzlich in praller Sonne, und rannte so schnell ich konnte davon. Ich sprang über geborstenen Säulen, und matschige Gräben, spürte kaum die Brennesseln, die mir um die Beine schlugen, und war plötzlich wieder zwischen hohen Insulae. Hinter mir knackten Äste, ich meinte schwere Schritte zu hören, und stürzte, ohne einen Blick zurück zu riskieren, in eine schmale Gasse, dann in eine andere, und immer tiefer in das Wirrwarr der Subura hinein.
Irgendwann, lehnte ich, völlig außer Puste, an der Wand in einem schmutzigen Innenhof, durch den kreuz und quer Wäscheleinen hingen, und lauschte angespannt. Doch von einem Verfolger war nichts mehr zu hören, und auch als ich vorsichtig, mit weichen Knien, den Hof wieder verließ, blieb ich unbehelligt. Furchtbar erleichtert, dass ich entkommen war, ging ich weiter, in Richtung meines Unterschlupfes, noch immer auf der Hut, und dachte traurig an Hannibal.
Ob er jetzt tot war? Wie edel er mich beschützt hatte! Wie mutig er gegen Satryus' Wächter vorgegangen war. Aber wie kaltblütig er den einen erstochen hatte... bei dem Gedanken an das Blut, und an das Röcheln des Mannes, wurde mir ganz schlecht. Ich hoffte jedenfalls inständig, dass Hannibal irgendwie gelungen war, das ganze zu überstehen!
Doch selbst wenn, in der Geschichte mit Callistus konnte nur noch ich selbst mir helfen. Mir fiel jetzt nichts anderes mehr ein, als zu versuchen, die Summe zusammenzuklauen. Normalerweise war mir das viel zu riskant, aber heute hatte ich dabei nicht unbedingt viel zu verlieren. Und nach einem kurzen Zwischenstopp in meiner Behausung, und etwas Hanf gegen den Schrecken, machte ich mich, getrieben vom Mut der Verzweiflung, auf zum Forum Romanum...