Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Furchtbar unruhig und zittrig fühlte ich mich, mir war schlecht und auf meiner Haut lag ein klebriger Film von kaltem Schweiß, als ich von dem Soldaten geführt über die Schwelle des Raumes trat. Ich hatte erwartet, wieder dem unausstehlichen Princeps Prior von meiner Verhaftung gegenüberzustehen, und sah, durch die Haare, die mir in Strähnen ins Gesicht hingen, matt zu den beiden Männern, die mich da erwarteten.
    Der eine war der Centurio, der mich so wacker aus dem Verkehr gezogen hatte.
    Der andere war... - ich erstarrte. Fühlte, wie mir das Blut heiß in die Wangen stieg und richtete beschämt den Blick zu Boden. Am liebsten wäre ich auf der Stelle darin versunken. ER hier?! Oh nein! Ausgerechnet er. Ich kam mir vor wie ein schäbiges Insekt, oder wie etwas, das an der Schuhsohle kleben geblieben ist, und nun zu Recht mit Ekel betrachtet wird.


    "Onkel Livianus..." ,
    brachte ich nur flüsternd hervor, den Blick fest auf einen Fleck auf dem Fußboden gerichtet. Blut? Egal.
    "Es tut mir leid...."
    Der Soldat löste mir die Fesseln. Abgrundtief verlegen rieb ich mir die Nase, klammerte die zittrigen Finger dann krampfhaft an einer Stuhllehne fest, und traute mich nicht zu meinem Onkel aufzusehen - der nicht nur mein Onkel war, sondern auch noch mein Pater Familias, außerdem der großzügige Wohltäter an meiner Mutter und mir, und nicht zuletzt der Held, den ich, als ich noch klein und naiv war, zu meinem leuchtenden Vorbild auserkoren hatte. Ein Held dessen riesige Fußstapfen mich später, als ich dann größer und weniger naiv war, schier zur Verzweiflung getrieben hatten.
    Ach wäre ich doch bloß von der Brücke gesprungen!


    "Wirklich... ganz... ganz...furchtbar... leid!"

    Endlich - Schritte. Mir war so elend! Ich hob den Kopf und sah dem Mann trübe entgegen, hoffte sehr, dass er mir etwas zum Trinken mitgebracht hatte. Aber er legte mir nur barsch die Fesseln wieder an und zog mich auf die Füße.
    Zum Verhör also. Wieso eigentlich? War doch klar, dass ich geklaut hatte. Aber ich war inzwischen in der Stimmung so ziemlich alles zu gestehen... den Diebstahl gratis, für einen Becher Wasser hätte ich mir schon einen Raubüberfall ausgedacht, und für eine Messerspitze Opium hätte ich mich durchaus auch zum Kaisermord bekannt.
    Ich verließ die Zelle mit der vagen Hoffnung diesen Schauplatz dunkelster Stunden nie wieder sehen zu müssen, und schlurfte apathisch hinter dem Soldaten her.

    Irgendwann war ich heiser vom Rumbrüllen, und völlig erschöpft von meinem Ausbruch. Außerdem hatte ich mir aus Versehen einen Holzspreißel in die Hand gebohrt. Doch der Gang blieb dunkel und still. Bestimmt hatten sie mich vergessen! Ich würde hier unten elend verrotten, nie wieder das Licht der Sonne sehen!
    Mit einem letzten, verzweifelten, leisen:
    "Lasst mich raus... Bitte!",
    sackte ich am Gitter herunter, von meiner Misere vollkommen überwältigt.
    Was für ein elender Tag! Misere war gar kein Ausdruck! Was für eine unerträgliche Zusammenballung von Unglück!
    Kreuz und quer war ich durch Rom gehetzt, man hatte mich geschlagen, bedroht, verfolgt, verhaftet, mit einem spitzen Fingernagel gequält, gefesselt, verhöhnt, eingesperrt in dieses dunkle Loch... nicht zu vergessen die Brennesseln und mein aufgeschürftes Knie. Und kein Opium weit und breit!


    Völlig fertig, zu erschöpft selbst zum Weinen, kauerte ich mich auf dem Boden zusammen, schlang die Arme fest um meine Beine herum, und legte den Kopf auf die Knie. Stumpf starrte ich in den Gang hinaus, und versuchte, an irgendwas schönes zu denken.
    Aber mir fiel immer nur eines ein - Opium, Opium, Opium... flüsterte es hungrig in meinem Kopf. Stöhnend vergrub ich ihn in den Armen, presste sie fest auf meine Ohren, und hörte doch immer noch die gierige Stimme, tief aus mir selbst heraus, diese Stimme, der ich mich nie lange hatte widersetzen können, die mich, unersättlich und perfide, schon zu so vielen erbärmlichen und widerlichen Dingen getrieben hatte.
    Opium...!

    Ich hielt den Atem an, und biss mir fest auf die Lippen um keinen Laut von mir zu geben, als dieser Wahnsinnige mir seinen Fingernagel in den Hals bohrte. Es tat verdammt weh, aber ich wagte es nicht, vor ihm zurückzuweichen, sah statt dessen wie gebannt auf den einzelnen Bluttropfen, mein Blut, das dunkelrot seinen knochenweißen Finger entlang floß.
    Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben, der Moment dehnte sich ins Unermessliche - das Blut, sein eisgrauen Augen, die mich gebannt hielten, sein böses Flüstern... - dann löste sich der Tropfen, fiel in die rot verkrustete Rinne, in der sich zu früheren Zeiten das Blut vom Altar her gesammelt hatte. Das leise Geräusch als der Tropfen auftraf, schien in meinen Ohren zu dröhnen, und ich hatte wirklich das Gefühl, dass die verwitterte Fratze des uralten Götzenbildes sich zu einem zufriedenen Grinsen verzog.


    Ein kalter Schauer überließ mich, und ich bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich Satryus Schlangenstimme auf einmal dicht an meinem Ohr hörte, und seinen Atem spürte.
    'Blut und die reine Unschuld des Todes'?
    Der war ja vollkommen durchgedreht. Mein Wille, mich für Hannibal einzusetzen, wankte und verflüchtigte sich vor der schwindelerregenden Angst, die mir dieser böse weiße Satyr einflösste. Panisch starrte ich an seiner Schulter vorbei, und sah verwundert einen Zitronenfalter, völlig unpassend in dieser Umgebung, der sich seelenruhig dort auf dem weißen Stoff niedergelassen hatte. Er war so nah, dass ich das Geflecht der feinen Adern sehen konnte, die, wie bei einem Blatt, seine hauchzarten Flügel durchzogen. Sie schimmerten wunderschön, als er sie langsam auf und ab bewegte - bis Satryus ihn urplötzlich mit einem Schlag seiner Klaue zerquetschte.


    Ich zuckte zusammen, entsetzt vor dem unheilverkündenden Funkeln in Satryus' Augen, und überzeugt, dass er als nächstes mich umbringen würde, als kleines Spiel, um Hannibal zu quälen. Doch der war noch nicht am Ende! Meine Augen wurden groß, als ich sah, wie er sich auf einmal unerwartet zur Wehr setzte, einen der Männer einfach erstach!
    Der Satyr wandte sich von mir ab, und Hannibal rief, ich solle verschwinden - einen Wimpernschlag lang zögerte ich, und erwog, mein kleines Messerchen zu ziehen und es Satryus in den Rücken zu stoßen, den er mir gerade zuwandte. Es wäre sicher eine gute, löbliche Tat gewesen, doch ich zauderte zu lange, und als der Riese in der Türe erschien, wandte ich mich instinktiv zur Flucht. Ich glaube, ich könnte das auch gar nicht... jemanden richtig verletzen oder umzubringen, einfach so, meine ich. Da bin ich nicht der Typ dafür.
    Ich stürzte auf eine schmale Fensteröfnung zu, schwang hastig ein Bein hinaus, und sah schnell noch mal zurück. Der Riese Brutus näherte sich gerade, den Totschläger in der Hand schwingend, Hannibal, der mit dem anderen Wächter kämpfte...


    'Ich bin ein Feigling.', schoß es mir durch den Kopf.
    'Hannibal wollte mir helfen. Die machen ihn fertig. Andererseits, er hat gesagt ich soll abhauen, und was bringt es, wenn wir beide sterben? Nein, nein, dann wäre sein Opfer ja ganz umsonst!'
    Diese Logik fand ich bestechend. Doch um nicht ganz und gar untätig zu sein, bückte ich mich schnell zum Boden, und schloß mein Hand um ein noch halbwegs heiles Tongefäß, das da zwischen den Scherben lag. Hastig richtete ich mich wieder auf, und schleuderte das Ding weitausholend gegen den Riesen. Und ich traf ihn auch, das Gefäß zerschellte klirrend an seiner Schulter, und Scherben flogen in alle Richtungen. Der Mann fuhr wild zu mir herum, richtete die mordlustigen Augen auf mich... und ich sprang endgültig aus dem Fenster, stand plötzlich in praller Sonne, und rannte so schnell ich konnte davon. Ich sprang über geborstenen Säulen, und matschige Gräben, spürte kaum die Brennesseln, die mir um die Beine schlugen, und war plötzlich wieder zwischen hohen Insulae. Hinter mir knackten Äste, ich meinte schwere Schritte zu hören, und stürzte, ohne einen Blick zurück zu riskieren, in eine schmale Gasse, dann in eine andere, und immer tiefer in das Wirrwarr der Subura hinein.


    Irgendwann, lehnte ich, völlig außer Puste, an der Wand in einem schmutzigen Innenhof, durch den kreuz und quer Wäscheleinen hingen, und lauschte angespannt. Doch von einem Verfolger war nichts mehr zu hören, und auch als ich vorsichtig, mit weichen Knien, den Hof wieder verließ, blieb ich unbehelligt. Furchtbar erleichtert, dass ich entkommen war, ging ich weiter, in Richtung meines Unterschlupfes, noch immer auf der Hut, und dachte traurig an Hannibal.
    Ob er jetzt tot war? Wie edel er mich beschützt hatte! Wie mutig er gegen Satryus' Wächter vorgegangen war. Aber wie kaltblütig er den einen erstochen hatte... bei dem Gedanken an das Blut, und an das Röcheln des Mannes, wurde mir ganz schlecht. Ich hoffte jedenfalls inständig, dass Hannibal irgendwie gelungen war, das ganze zu überstehen!


    Doch selbst wenn, in der Geschichte mit Callistus konnte nur noch ich selbst mir helfen. Mir fiel jetzt nichts anderes mehr ein, als zu versuchen, die Summe zusammenzuklauen. Normalerweise war mir das viel zu riskant, aber heute hatte ich dabei nicht unbedingt viel zu verlieren. Und nach einem kurzen Zwischenstopp in meiner Behausung, und etwas Hanf gegen den Schrecken, machte ich mich, getrieben vom Mut der Verzweiflung, auf zum Forum Romanum...

    Ich hatte das Gefühl, schon seit einer Ewigkeit hier in der Dunkelheit zu sitzen. Meine Tränen waren versiegt, ich war durstig und fror, und auf meiner Stirn lag so ein ekelhafter Film von kaltem Schweiß.
    Was wenn die mich hier vergessen hatten?! Wenn die mich hier unten einfach verhungern und verdursten lassen würden! So jemand wie ich war für diese brutalen Urbaner doch nur wertloser Abschaum... Vielleicht hätte ich doch meinen wirklichen Namen sagen sollen, kam es mir zum ersten mal in den Sinn. Aber die Schande... aber die Schande... aber war die Schande wirklich schlimmer, als hier elend zugrunde zu gehen?
    Ich war mir nicht ganz sicher. Nur eines wusste ich genau: wenn ich nicht in absehbarer Zeit etwas Opium bekam - oder noch viel besser: Lotus! - würde ich bald schon auf dem Zahnfleisch kriechen.


    Hartnäckig versuchte ich meine Fesseln loszuwerden - überhaupt eine Schikane das, schließlich war ich doch jetzt hinter Gittern, wozu da noch die Fesseln! Schon stundenlang zog und zerrte ich an den Stricken, und versuchte dabei, nicht zu genau auf das unheimliche Rascheln und leise Trip-Trap in den dunklen Ecken der Zelle zu achten. Ratten so groß wie Katzen? Bestimmt nur ein Gerücht. Bestimmt!
    Endlich hatte ich die Stricke soweit gelockert, dass ich, wenn es auch wehtat, eine Hand herauswinden konnte. Erleichtert bewegte ich meine Hände durch und spürte, wie in die tauben Finger Blut und Leben zurückkehrte.


    Ich wischte mir die klebrige Stirn und stand zittrig von der Pritsche auf, trat vorsichtig auf den dunklen, dreckigen Steinboden, und ging in meinem Gefängnis umher, wobei ich die Ecke, wo es vorhin so komisch geraschelt hatte, tunlichst mied. Kein Fenster gab es hier, nur vom Gang her fiel, durch die vergitterte Front der Zelle, ein bisschen schummriger Feuerschein herein.
    Dorthin ging ich, lehnte mich an das Gitter, und schlang fest die Arme um mich. Der Gang war leer. Ich sah andere Zellen, in einer auch dunkel den reglosen Umriss eines Menschen. Von irgendwoher drang ein metallisches Klirren, wie von Ketten, dann ein dumpfer Aufschrei... Ich zuckte zusammen, fuhr mir nervös über die schon wieder feuchte Stirn, und starrte elend den Gang entlang. Kam denn keiner, um mir mal einen Schluck Wasser zu bringen? Mich freizulassen? Wie ich mich nach meinen Drogen verzehrte...


    "Lasst mich raus!!!"
    Es kam einfach über mich, ich packte die Gitterstäbe, rüttelte mit aller Kraft daran, vergeblich natürlich, ich trat dagegegen, warf mich dagegen, und schließlich riss ich sogar das Brett der Pritsche von der Wand und prügelte damit wie ein Irrer auf die Türe ein. Es schepperte und krachte, ein Stück Holz brach ab und flog splitternd durch die Luft.
    "Lasst mich endlich raus hier!!!",
    brüllte ich, und hörte meine Stimme, zusammen mit dem Krach, in dem Gewölbe lautstark wiederhallen.
    "Ihr elenden Schweine, ihr Sadisten, lasst mich gehen, ich hab doch überhaupt nichts getan!!!"
    Was allerdings gelogen war.

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    Zusammengesunken saß ich auf der Pritsche, die nur ein Brett an der Wand war, und hörte, wie die Schritte der Wächter sich wieder entfernten. Ihre fiesen Kommentare und hämischen Bemerkungen noch in den Ohren, sah ich mich langsam in den trostlosen vier Wänden meines 'Gästezimmers' um. Es war, wie nicht anders zu erwarten, ein dunkles Loch, eng und muffig. Aber wenigsten war ich alleine hier, nach den ganzen dummen Sprüchen hatte ich schon Angst gehabt, sie würden mich wirklich zu irgendwelchen ausgehungerten Perversen dazu sperren.
    Mir war kalt und ganz und gar elend. Dies war wirklich der allermieseste Tag in meinem Leben, all meine Bemühungen und Versuche mich zu retten waren im Sande verlaufen, ich war nur vom Regen in die Traufe gekommen.
    Und zu der quälenden Unruhe gesellte sich jetzt nach und nach, zu allem Überfluss, so ein flaues, zittriges Gefühl, das ich als Vorbote von noch viel Schlimmerem kannte...


    Wieder spürte ich meine Augen feucht werden, und wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Ich war so was von fertig! Nicht allein, dass ich hier im Carcer gelandet war, ich hatte außerdem meiner Familie Schande gemacht - oder, genau genommen machte ich ihr schon seit Jahren Schande, aber jetzt würden sie es haarklein erfahren, und mich um so mehr verfluchen!
    Ein leises Weinen stieg in mir auf, wurde zum bitterlichen Schluchzen, und ich presste verzweifelt mein Gesicht in die halbtauben, gefesselten Hände um es zu ersticken. Nur ein Gedanke ging mir ständig im Kopf herum, kreiste penetrant und drängte sich immer wieder auf:
    'Wäre ich doch vorhin bloß von der Brücke gesprungen, dann wäre dieser ganze Mist hier niemals nie passiert!'

    Die Anspannung in dem Raum wurde immer greifbarer, so ähnlich wie die Atmosphäre wenn sich ein Gewitter zusammenbraut, und es immer schwüler, und drückender, und explosiver wird... Ich hatte wirklich nicht den Wunsch, dabeizusein, wenn diese Spannung sich entlud.
    Unter dem kalten Blick des Fremden ließ ich es, wie das Kaninchen vor der Schlange, zu dass er meine Wange berührte, dann mein Kinn anhob, obwohl ich am liebsten schleunigst das Weite gesucht hätte.
    Ich rang mir ein nichtssagendes Lächeln ab, das starr wurde, als er einen seiner gruseligen Fingernägel in meine Haut grub. 'Als hätte er die Fingerspitzen in Blut getaucht', schoß es mir durch den Kopf.
    Ich zuckte zurück bei seinem schroffen 'Du bleibst!', schlang die Arme um mich herum, und war mehr als erleichtert, als er sich wieder Hannibal zuwandte. Aber was die zu bereden hatten, klang gar nicht gut...


    Mit einem flauen Gefühl in der Magengrube erkannte ich, dass Hannibal anscheinend ebenso gewaltige Probleme am Hals hatte, wie ich. Oder noch größere?
    Ich fragte mich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, Hals über Kopf aus der Stadt zu verschwinden, und sehnte mich in diesem Moment, wie so oft, ganz entsetzlich nach der sanften und warmen Umarmung des Opiums.


    Wieder bedachte der Mann in Weiß - Satryus - mich mit seiner Aufmerksamkeit. Für gewöhnlich schmeichelte mir sowas, aber bei diesem eiskalten gespenstischen Exzentriker machte es mir nur Angst.
    Entschädigung? Ich? Mir fiel fast die Kinnlade runter, ich sah ihn groß an, und spürte ein Gefühl in mir aufsteigen, dass man nur als Panik bezeichnen kann. Nur zu gerne wäre ich Hannibals Vorschlag gefolgt, aber Satryus schien etwas dagegen zu habe - erschrocken sah ich, wie seine Handlanger sich Hannibal schnappten.
    Ich atmete tief durch, und versuchte ruhig zu bleiben, nicht vor den Krallen dieses alternden Satyrs zurückzuschrecken. Der mich anscheinend für einen Sklaven hielt. Wie beschämend. War ich wirklich so tief gesunken? Anscheinend.


    Ich überwand mich mühevoll, und versuchte, diese explosive, und zudem absurde Situation, irgendwie ein bisschen zu entschärfen. Es gelang mir, ein kleines Lächeln auf meine Lippen zu zaubern, und mit, anfangs noch etwas unsicherer Stimme flüsterte ich:
    "Oh. Ich bin sehr geschmeichelt... Satryus."
    Mit einem koketten Augenaufschlag legte ich meine Hand ganz sacht auf seine Kralle an meiner Wange.
    "Jedoch - Du missverstehst, ich bin kein Sklave, nur ein Freund von Hannibal. Aber..."
    - ich zögerte, sah kurz zu Hannibal, der gegen die beiden Schränke keine Chance hatte -
    "...aber, werter Satryus, wenn ich Dir möglicherweise mit meiner Gesellschaft eine kleine Annehmlichkeit zu erweisen vermag, so ist es mir eine Freude Deinen Wünschen zu willfahren... hingebungsvoll..."
    Ich blickte ihm in die kalten Augen, grub meine Zähne kurz lasziv in meine Unterlippe hinein und flüsterte schmeichelnd:
    "...und ich hoffe, Dich so zu Milde zu bewegen gegenüber Hannibal, dessen Versäumnisse in der Vergangenheit doch bestimmt nicht unentschuldbar sind..."

    Mist. Immer diese Prüderie. Ich landete unsanft wieder auf dem Stuhl, und zuckte nur die Schultern, als er sich echauffierte. An so was war ich schließlich gewöhnt. Und, naja, er wußte nicht was ihm entging.
    Manchmal denke ich, man sollte nicht glauben, dass Rom die Hauptstadt der Welt ist, von solch fader Doppelmoral und Biederkeit sind die Leute hier. Jedenfalls nach außen hin.


    "Oh, ich dachte ich sollte kooperieren, meintet ihr das nicht vorhin zu mir?",
    fragte ich 'unschuldig' , riss dann 'erschrocken' die Augen auf.
    "Aber Princeps Prior! Glaubst Du etwa... also wirklich, ich meinte doch nicht DAS! Also nein, an was denkst Du nur...?"
    Ich schlug 'schockiert' die Augen nieder und murmelte 'fassungslos' den Kopf schüttelnd:
    "Was für eine überhitzte Phantasie... "


    Schon hatten mich die Wachen im Griff. Ich wehrte mich nicht, versuchte nur, meine Angst hinter einer spöttischen Miene zu verbergen, als sie mich zur Türe zogen, um mich dann, mit der ihnen eigenen Freundlichkeit, zum Carcer zu geleiten.

    Wer mag es schon, ausgelacht zu werden. Mit zusammengepressten Lippen funkelte ich den Soldaten böse an. Ja, der hatte gut lachen. Aber - ich versuchte auch mal das positive an meiner Situation zu sehn - er schien, im Gegensatz zu manchen Kollegen von ihm, ein eher weniger brutales Exemplar zu sein. Immerhin hatte er mich noch nicht geschlagen.
    "Pah. An die Großen Fische, die richtigen Verbrecher, traut ihr Euch doch nicht ran...",
    murmelte ich wegwerfend, und beharrte:
    "Und wenn Du also keine Angst hast, kannst Du ja ruhig meine Fesseln lösen."


    Carcer? So ein hässliches Wort. Ich spürte meine Hände feucht werden, als ich die Schritte hörte, und dachte ängstlich an die riesigen Ratten. Mein Vorsatz nichts (NICHTS!) zu sagen, hielt nicht lange.
    "Nein, warte!"
    Schon war ich aufgesprungen, stand jetzt direkt vor dem Soldaten.
    "Bitte, warte! Nur einen Moment! Ich meine... geht es nicht vielleicht anders, Princeps Prior?"
    Die Augen unverwandt auf ihn geheftet, trat ich noch einen kleinen Schritt an ihn heran, ganz dicht, und sah mit einem kleinen koketten Lächeln zu ihm auf. Abgesehen davon, dass er ein fieser Urbaner war, sah er ja, auch aus der Nähe betrachtet, gar nicht übel aus.
    "Ich werde kooperationsbereit sein...",
    raunte ich ihm mit einem verheißungsvollen, strahlenden Lächeln, zu,
    "...und fügsam... in jeder Hinsicht... alles was Du magst - wenn Du magst - und gerne... Aber bitte nicht der Carcer, bitte..."

    Einen Versuch wenigstens war es schon wert.

    Er ließ sich nicht erweichen. Statt dessen verließ er den Raum. Ich saß da, fragte mich nervös was das zu bedeuten hatte, und zog und zerrte derweil vergeblich an diesen blöden Fesseln herum.
    So langsam kam zu der - völlig natürlichen - Furcht, hier gefangen zu sein, auch noch diese Unruhe dazu, dieses wohlbekannte, mir verhasste Gefühl, des Getrieben Seins, das nur der Anfang war....
    Kein Wunder. Ich war ja, bei der ganzen Aufregung heute, noch nicht dazu gekommen, mir etwas Richtiges reinzuziehen.


    Wieder näherten sich Schritte. Ich legte die Hände in den Schoß, und versuchte, kühl und gelassen auszusehen. Aber bei seinen nächsten Worten war ich ehrlich entrüstet. Es wusste doch jeder, dass sich eh niemand wirklich an dieses Verbot hielt. Und der tat ja geradezu so als ob ich schwerbewaffnet aufgegriffen worden wäre!
    "Das Messer?! Das kleine Ding? Ja, natürlich weiß ich von dem Verbot von Waffen, aber das ist keine Waffe!
    Die Klinge ist ja nicht mal eine Handbreit lang! Ich benutze es um meine Federkiele anzuspitzen. Wenn das ein Verbrechen ist, könnt ihr aber gleich den Großteil der Stadtbewohner einsperren! Überhaupt, in der Subura, da tragen schon die Kinder Dolche mit sich rum, richtige Dolche, dagegen ist mein kleines Messerchen nur ein Witz!"


    Nervös fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen, starrte trotzig zu dem Soldaten hoch und beharrte:
    "Dann glaubst Du das halt. Aber ich bin kein Dieb. Nie gewesen. Das ist Willkür! Willkür der Obrigkeit, einfach nur. Und auch das mit den Fesseln. Glaubst Du vielleicht ich springe Dich an und erwürge Dich mit bloßen Händen, oder was?!! Hast Du Angst?! Seh ich so gefährlich aus?!"
    Ich merkte schon, dass ich mich in Rage redete, und dass das vielleicht nicht so gut war. Aber ich hatte es so satt, den ganzen Tag schon war ich auf der Flucht, und am kuschen, und am betteln, manchmal kochte eben auch in mir das hispanische Temperament auf.


    "Ich bin NICHT Dein Freund! Einsperren wollt Ihr mich, wegen... einer dummen Lappalie, und draußen auf den Straßen die richtigen Halsabschneider, die können machen was sie wollen, Kehlen aufschlitzen und alles! Stört keinen von euch. Ist ja nur Abschaum, an dem sie sich vergreifen!
    Geht doch und greift euch Nerva, oder den Vogelmann, das wäre mal was, statt dessen schleppt ihr MICH hierher, zu diesem sinnlosen Verhör hier! Ich will wissen wie DU heißt, und ich werde nichts mehr sagen. NICHTS!"

    Meine Hoffnung, dass er mir helfen könnte, schmolz unter Hannibals scharfem Blick schon wieder dahin. Unbehaglich wich ich ihm mit den Augen aus, sah auf seine Hände an meiner Tunika. Ja, 'Was hast Du nur getrieben' war eigentlich eine gute Frage....
    "Es war mehr so... Pech, einfach.",
    versuchte ich, matt, mich zu verteidigen, verfolgte dabei ängstlich Hannibals Hin und Her schreiten in dem dunklen Raum. Hoffentlich war er jetzt nicht zornig, dass ich versucht hatte, seine Gutmütigkeit auszunutzen.
    "Ich sollte halt eine Lieferung von dem Zeug überbringen, und die ist mir, äh, geklaut worden, oder... naja, ich weiß es eigentlich nicht mehr so genau, ehrlich gesagt, ich war halt ziemlich berauscht, und... -"
    Ach, ich machte alles nur noch schlimmer! Besser gar nichts mehr sagen...


    'Also gut.' Also gut? Mit großen Augen starrte ich ihn ungläubig an.
    "Wirklich? Oh, Hannibal, Du bist großartig! Du rettest mir das Leben! Ich werde Dir ewig dankbar sein, EWIG!"
    Es war um so großherziger von ihm, als er bestimmt nicht mit der Rückzahlung rechnete. Schließlich hatte das bisher, wenn ich mir sonst etwas von ihm geliehen hatte, auch nie so richtig geklappt. Ich fühlte mich ganz schlecht, dass ich vorhin darüber nachgedacht hatte, ihn vielleicht sogar zu erpressen.
    "Nach dem Treffen, ja, klar. Aber sag mal, was für ein Treffen ist das hier eigentlich...-"


    Ein Schrei.
    Ich fuhr herum, und sah den Mann in Weiß hereinschreiten, königlich geradezu zwischen seinen Leibwächtern. Wer war das? Sicher kein kleiner Straßengauner. Ich bekam eine Gänsehaut, als er sprach, so eine Eiseskälte, so eine bösartige Drohung lag in den wenigen, ruhigen Worten dieser weichen Stimme.
    "Ich?"
    Unwillkürlich hatte ich einen Schritt zurück gemacht, hätte mich am liebsten hinter den Säulen verkrochen.
    "Flosculus. Ist mein Name. Ich... will nicht stören."
    Nervös strich ich meine Haare zurück, sah schnell zu Hannibal und fragte ihn leise:
    "Soll ich gehen?"

    "Ich bin kein Dieb. Ich habe noch NIE etwas gestohlen!",
    log ich ohne mit der Wimper zu zucken und blickte gekränkt zu dem Soldaten auf.
    "Noch NIE. Und ein Halsabschneider schon gar nicht. Bloß Scriba. Nur weil ich nicht gerade wohlhabend bin, und, ja, leider in der Subura wohne, heißt dass noch lange nicht, dass ich ein Verbrecher bin!
    Den Ring, ja also den Ring habe ich vom Trödler, er hat eine Pfandleihe, und da hat jemand ihn wohl versetzt, den Ring, und dann nicht wieder eingelöst schätze ich, und er hat mir gefallen und war auch nicht teuer...
    Und weggerannt - also, das mag vielleicht so ausgesehen haben, aber ich bin nicht weggerannt, ich bin dem Dieb hinterhergerannt! Das ist die Wahrheit, die reine Wahrheit, ich fasse es nicht, dass ihr mir hier daraus einen Strick drehen wollt.
    Zuerst klaut mir einer mein Geld, und dann werde auch noch ICH dafür verhaftet, das ist absurd, ich würde es vielleicht sogar komisch finden wenn nicht ich selbst betroffen wäre..."


    Ich seufzte, und blickte resigniert auf meine gefesselten Hände.
    "Könntest du vielleicht die Fesseln lösen, bitte? Es tut weh. Ich verspreche auch hoch und heilig ich springe nicht aus dem Fenster oder versuche sonstwie abzuhauen. Ich bin ja nicht wahnsinnig. Oder sie wenigstens ein bisschen lockerer machen?"
    Hoffnungsvoll, und fragend zugleich, streckte ich ihm die Hände entgegen, und flehte (mit meinem schönsten Augenaufschlag):
    "Bitte! Ich wäre... sehr dankbar."

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    Wie ein dickbäuchiges Ungeheuer hatte die große Castra mich verschluckt. Die dicken Mauern, die vielen Soldaten... mir wurde langsam klar, wie tief ich eigentlich in der Scheiße streckte.
    Unglücklich betrachtete ich den kahlen Raum, in den mein Häscher mich gebracht hatte, setzte mich dann auf den Stuhl und streckte vorsichtig mein armes geschundenes Knie. Mit den gefesselten Händen strich ich mir die Haare zurück, und musterte den Soldaten unter halbgesenkten Lidern. Was er wohl hören wollte? Und ob er womöglich für meinen Charme empfänglich war?


    "Ich heiße Aulus Anteius Callistus."
    wiederholte ich brav,
    "und wohne in der Wassergasse. Ich bin Scriba. Also, ich schreibe Briefe für die Leute, die das nicht selber können, oder die nicht wissen wie sie sich ausdrücken sollen. Oder auch Verse, für besondere Anlässe, oder romantische Botschaften. So was halt. - Bitte, wäre es wohl möglich, meine Fesseln zu lösen? Meine Finger sind ganz taub."

    Es war scheußlich, so am Strick abgeführt zu werden. Auf der Straße starrten mich alle an und deuteten mit den Fingern auf mich. Schon komisch, meistens fand ich eher, dass die Leute von mir zu wenig Notiz nahmen, aber heute war ich schon zum zweiten mal DIE Attraktion...


    Ich hoffte, dass mich keiner sah, der mich kannte. Den Blick zu Boden gerichtet folgte ich dem Soldaten und versuchte, seine rüden Bemerkungen gleichmütig zu überhören. Ich war schon den ganzen Tag auf den Beinen, meine Füße waren müde, und wurden auf dem langen Weg zur Castra immer müder. Und mein Knie schmerzte. Aber natürlich bemühte ich mich Schritt zu halten, denn ich das Bedürfnis mir 'Beine machen zu lassen' hatte ich gewiss nicht.

    "Das sagst du immer... "
    murmelte ich leise an Hannibals Schulter. Wieder das alte Thema. Aber es tat einfach gut jemandem nahe zu sein, dem ich nicht egal war. (Oder jedenfalls nicht vollkommen egal.) Ich beruhigte mich ein bisschen, schluckte die Tränen runter, und lächelte, als er so zart mein Gesicht streichelte.
    "Vielleicht hast du ja recht, mag sein dass ich nicht das Zeug dazu habe. Aber ich komm da einfach nicht mehr raus, Hannibal, verstehst du... mir würde doch eh keiner mehr eine Chance geben, und, überhaupt, ich will nicht Teil sein von dieser..., dieser blasierten Gesellschaft, in der nur Macht und Geld und Prestige zählt, und ein Regime, das auf Unterdrückung basiert, und Krieg, und banalen Spektakeln für die dummgehaltenen Massen... "
    Noch wesentlicher war allerdings, dass ich einfach nicht ohne Drogen klarkam. Aber das wußten wir wohl beide.


    "Du hilfst mir?!"
    Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, und strahlend, überfließend vor Dankbarkeit, fiel ich meinem Retter um den Hals.
    "Ich danke Dir! Ich bin so erleichtert! Oh, du kannst Dir gar nicht vorstellen wie froh ich bin! Danke, Hannibal, tausendmal Danke!"
    Ich drückte mich enger an ihn, streichelte zärtlich seinen Nacken, und küsste ihn sanft auf den Wangenknochen.
    "Du bekommst es auch sicher zurück, das kriege ich schon irgendwie hin. Ich kann auch für Dich arbeiten... Und alles tun was Du willst sowieso..."
    Meine Lippen wanderten an seinem Hals entlang, und weich, ganz weich küsste ich ihn auf die Stelle ein kleines Stück schräg unter dem Ohr, wo er es immer besonders gerne mochte.
    "...wenn Du willst."
    Was nicht unbedingt ein großes Opfer gewesen wäre. Um ehrlich zu sein, hätte ich mich nicht ungern so bei ihm revanchiert. Ich stehe einfach auf diese Mischung aus zärtlich und unberechenbar. Und dann diese hypnotischen dunklen Augen!
    Aber er schien noch immer recht angespannt, und so kam ich dann doch zum Punkt.
    "Es ist halt schon ein größerer Betrag... Dieses Lotus-Zeug ist verdammt wertvoll..."
    Die Summe war so hoch, dass ich mich richtiggehend scheute, sie laut auszusprechen. Also flüsterte ich sie ihm verschämt ins Ohr, ängstlich wie er wohl drauf reagieren würde...

    "Das da ist mein Kleingeld."
    beharrte ich trotzig, aber als der Centurio mir dann den Ring präsentierte und nach meinem Namen fragte, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken...


    Der Ring meines Vaters... Ich erinnere mich, wie er ihn früher, als ich noch klein war, an seiner kräftigen, sonnengebräunten Hand trug. Und auch an den Tag, als meine Mutter mich zu sich rief, aus dem Garten wo ich gespielt hatte, in das kühle Atrium hinein, wo sie mit einem fremden Soldaten stand, und mit starrem Gesicht den Ring in den Fingern hielt. Der Soldat erklärte mir dann, dass mein Vater tapfer für Rom gefallen war... Und an dem Tag als ich die Bulla ablegte, gab meine Mutter den Ring an mich weiter, sagte er würde jetzt mir gehören und ich solle der Familie Ehre machen...
    Und jetzt hielt dieser Urbaner ihn mir vor die Nase und wollte wissen wer ich war. Ich schämte mich furchtbar.


    "Callistus."
    sagte ich ihm schnell den Namen der mir die ganze Zeit im Kopf herumspukte, und fügte, nach kurzem Stocken, hinzu:
    "Aulus Anteius Callistus heiße ich... Den Ring hab ich, äh, aus der Pfandleihe... Ich bin kein Decimer. Ich meine, schön wärs, aber ich bin keiner! In den Carcer?! Aber ich habe doch nichts getan!"
    Über die Verließe der Urbaner hatte ich eine Menge Schauergeschichten gehört. Angeblich waren die Ratten da unten so groß wie Katzen, die Wärter allesamt Sadisten, und außerdem war es in der Subura allgemein bekannt, dass die CUler sich regelmäßig etwas dazu verdienten, indem sie ihre Gefangenen als Schwertfutter für private Gladiatorenkämpfe verscherbelten...


    Andererseits - vielleicht waren das nur Ammenmärchen? Und in der Castra würde ich immerhin vor Callistus' Meuchelmördern sicher sein.
    "Anteius. Ich komm ja schon! Zieh doch nicht so."
    Der Soldat, der mich fesselte und abführte, schien einen Heidenspaß dabei zu haben. Mit hängendem Kopf folgte ich ihm, und hoffte inständig, dass sie nicht wirklich meine Familie informieren würden - und dass die anderen bei der Suche nach der Beute nicht zu genau im Geäst des Feigenbaumes nachsahen.

    "Autsch."
    Die Soldaten trugen nicht unbedingt Samthandschuhe. Ich verzog das Gesicht, als ich durchsucht wurde, und sah leidend auf mein aufgeschürftes Knie runter. Aber für meine Blessuren interessierten sie sich natürlich nicht, sondern nur für das, was ich bei mir trug...
    "Ja, natürlich war ich auf dem Forum!",
    beteuerte ich, obwohl ich nicht das Gefühl hatte, dass diese Leute gewillt waren, sich auf meine Argumentation einzulassen,
    "Ich bin nur kurz stehengeblieben, wegen der Reden, und da hat mich dieser Dreckskerl beklaut! So ein Dürrer mit schwarzen Haaren war das! Ich bin ihm gleich hinterhergerannt, weil ich mein Geld wiederhaben wollte, das ist doch nicht verboten! Aber jetzt ist er eh über alle Berge... Mist, verdammter! Ich bin nicht der Dieb! Das ist doch absurd, ich wollte doch nur mein Geld wieder!"
    So langsam war ich von meiner Geschichte beinahe selbst überzeugt. Wenigstens einer.
    "So hört mir doch zu! Bei Merkurs geflügelten Sohlen, ich kann doch nichts dafür, dass ich ihm schneller auf den Fersen war als ihr!"


    Unglücklich musste ich mitansehen, wie die Urbaner den Inhalt meiner Umhängetasche genau begutachteten. In dem abgeschabten alten Stoffding fanden sie, nach und nach:
    - Einen Kerzenstummel
    - Einen Kanten Brot, schon ziemlich hart
    - Das kleine Holztäfelchen mit dem Konterfei von Fulvius Invictus, dem besten Gladiator, den die Welt je gesehen hat
    - Einen kleinen Spiegel und einen Kohlestift (das war mir dann doch etwas peinlich)
    - Ein Stück Schnur
    - Einen halbleeren Stoffbeutel mit - herrlich duftenden - getrockneten Hanfblättern...
    - Mein kleines Messerchen mit der halbmondförmigen Klinge, rußgeschwärzt (ich schwieg betreten)
    - Ein zerknautschtes Papyrus mit dem fragmentarischen Entwurf eines Verses, den ich nie zu Ende gebracht hatte ( "Es ist der Tod, das Ziel, das einzig Hoffnung macht... Ein Elixier, das uns berauschend tränkt... Nacht ... schwaches Licht/dunkler Horizont? ... Ein Genius, dessen Schwingen lockend zeigen... den Schlaf und Träume, die uns übersteigen... Tor...Heimat?... Ach, wird wieder nichts!" )
    -Ein kleines Fläschchen mit Öl
    -Meinen Geldbeutel, in dem außer zwei einsamen Sesterzen und ein paar Assen noch mein Serapis-Schutzamulett lag, mit meinen Initialen auf der Rückseite. Und, zuallerletzt, fand sich darin auch mein Siegelring mit dem Decimer-Pferd. (Ich schämte mich, betrachtete meine Fußspitzen und wünschte mir kurzzeitig, ich hätte das Ding damals doch in der Pfandleihe versetzt....)

    Wie ein Lemur trat der Junge aus dem Schatten. Ich erschrak, sah erst auf den zweiten Blick, dass es nur Scaurus war, der wohl mal wieder für Hannibal Augen und Ohren aufsperrte. Ich nickte, und folgte dem kleinen Krüppel ins Innere des Tempels. Scherben zerbröselten knirschend unter unseren Schritten, und grausig ragte das gesichtslose alte Götterbild über uns auf.


    Der Ort macht mir jedesmal eine Gänsehaut. Es ist, als würde man in eine tiefe Höhle hinabsteigen, und mit jedem Schritt weiter zurückgehen in der Zeit, bis zu einem Punkt, als die Welt noch roh und ungeschlacht war, und die Götter grobe und schreckliche Mächte waren, unberechenbare Kreaturen, die im Dunkel wohnten und hungrig darauf lauerten, ihre Gläubigen zu verschlingen. Lange bevor unsere Ahnen die schönen und erhabenen Göttergestalten in dieses Land brachten, die wohlwollend, mit aus Achaia entlehnter Eleganz, und oft auch mit unblutigen Riten zufrieden, die Geschicke Roms so zuverlässig beschirmen.


    Schaudernd und fasziniert zugleich trat ich über die Bodenrinne hinweg. Ob das richtige Blutspuren waren? Dann sah ich Hannibal, wie er da neben dem klobigen Altarstein stand. Er wirkte ziemlich angespannt, und schien doch ganz in diese düstere Umgebung zu passen. Überhaupt umgibt er sich ja oft mit Schatten, dabei ist er, schon von sich aus, unheimlich genug wenn er will...
    Aber ich mag ihn, auch wenn er, glaube ich, ziemlich größenwahnsinnig ist. Ich meine, welcher normale Mensch kommt schon darauf, sich 'Hannibal' zu nennen? Obwohl, besser als mein blöder Spitzname ist das allemal. Ich verfluche echt den Tag, an dem ich mir diese Tätowierung habe machen lassen!


    Erleichtert ihn endlich gefunden zu haben, trat ich schnell zu ihm.
    "Ja, schon eine Weile...."
    Ich legte den Kopf zur Seite, schmiegte meine Wange an seine Hand, und hoffte inständig dass er mir helfen würde. Aber mir war auch unangenehm klar, dass das was ich von ihm wollte, ganz was anderes war, als um ein paar Sesterzen zu bitten, oder um einen Teller Suppe. Zur Not konnte ich versuchen ihn zu erpressen, aber allein bei dem Gedanken wurde mir schon ganz flau...


    "Meum savium, ich... ich bin völlig verzweifelt!"
    Die Tränen traten mir schon wieder in die Augen, ich legte meine Stirn an seine Schulter, und das ganze Elend brach aus mir heraus:
    "Ich bin völlig am Ende, ich weiß einfach nicht mehr was ich tun soll! Ich... bitte, kannst Du mir helfen!? Da sind zwei Sicarii, Leute von Callistus, die wollen mir die Kehle aufschlitzen, weil ich angeblich irgendwelches Lotus verschlampt haben soll, die bringen mich um wenn ich es ihnen nicht bis heute Abend ersetze, aber ich hab doch kein Geld, und weiß auch nicht, und hab keine Ahnung wie... Die werden mich abstechen, einfach so!"
    Ein Schluchzen stieg meine Kehle empor und erstickte meine Worte. Beschwörend umfasste ich Hannibals Hand, sah durch einen Schleier von Tränen gänzlich aufgelöst in seine Augen und und flehte:
    "Bitte, Du bist der einzige der mir helfen kann! Bitte!"

    Ich kam nicht weit. Etwas stürzte sich von hinten auf mich, Hände packten meine Schultern und ich wurde ruppig von den Füßen gerissen. Hart knallte ich auf den Boden, mein Häscher landete über mir. Verzweifelt kämpfte ich gegen seinen Griff, zappelte und versuchte mich ihm irgendwie zu entwinden. Aber er war schwer, mit der Rüstung, und stärker als ich, es war als wäre ich unter einem Felsblock eingeklemmt. Verrückt genug, um mein Messer zu ziehen, war ich dann doch nicht.
    Ich hatte einfach keine Chance, und schließlich hörte ich auf mich zu wehren, lag nur noch da am Rand des Kanals, festgehalten von dem Urbaner. Und bei aller Angst war ich in dem Moment doch irgendwie fast froh dass die Rennerei endlich vorbei war...


    Caligae näherten sich. Einer der Männer sagte irgendwas. Ich sah ängstlich zu ihnen hinauf. Der mich geschnappt hatte war ein Centurio erkannte ich, und dachte im gleichen Atemzug: 'Meine Familie darf das alles NIE erfahren!'
    Ich biss mir auf die Lippen, versuchte die Panik herunterzuschlucken, und richtete meine - wie mir oft versichert wurde - so unschuldigen blauen Augen flehentlich auf den Centurio.


    Was soll das, lass mich los, bitte! Glaubt ihr etwa ich wäre der Dieb?! Aber... ich bin ihn doch bloß hinterher weil er mich beklaut hat! Meinen ganzen Lohn!"
    Mit dem Kinn deutete ich dringlich in Richtung der Brücke vor uns.
    "Er entkommt!"

    Schmutzige Insulae-Blöcke umgaben die Straße, durch die ich auf den alten Tempel zueilte; wie die Wände einer Klamm ragen sie hoch auf, und ließen auch an diesem hellen Frühlingstag keinen Sonnenstrahl auf den Grund der Häuserschlucht dringen. Ich war hier, weil ich einen Mann suchte, von dem ich vage hoffte, dass er mir möglicherweise aus meiner Misere helfen konnte...


    Nachdem mich der unverschämter Zwischenrufer auf dem Pons Cestius vorhin haarscharf vor einer großen Dummheit bewahrt hatte, hatte ich mir verzweifelt das Hirn zermartert, wen ich um Hilfe bitten könnte. Aber alle die mir einfielen waren entweder selber pleite, oder gleichgültig, oder aus diversen Gründen, nicht gut auf mich zu sprechen.
    Zum Beispiel Orestes, völlig angepisst, hatte gleich versucht mir eine zu verpassen und mich angebrüllt, wegen mir sei er jetzt bei Callistus unten durch, und er wolle für neues Lotus von mir erst mal nen Haufen Kohle sehen...


    Tja. Wenn ich mir die Summe nicht zusammenklauen wollte, brauchte ich eindeutig einen Retter. Und da fiel mir nur noch einer ein, den ich anhauen könnte. Wobei ich mir nicht sicher war, ob dieser Mann nicht vielleicht noch viel gefährlicher als die beiden Sicarii von heute morgen war... Oder, genaugenommen, hielt ich das sogar für sehr wahrscheinlich.
    Aber die Zeit rann mir davon. Ich hatte keine Wahl. In dem Lupanar, wo er oft zu finden war, hatte ich vergeblich nach ihm gefragt. Aber eine Freundin, die dort arbeitete, hatte mir verstohlen zugeraunt, dass er gerade vor kurzem zum alten Tempel aufgebrochen war, warum auch immer.


    Und da war ich nun. Wie erdrückt von den hohen Insulae ringsherum lag das alte Gemäuer vor mir. Hinter einem sumpfigen Vorplatz duckten sich zerbröckelnde Mauern an die Flanke des Berges. Geborstene Säulen lagen kreuz und quer, inmitten von Brennesseln und wuchernden Ranken. Was für ein Tempel das war, welchen Gott man hier einst verehrt hatte, wusste keiner mehr. Die Inschriften waren längst verwittert, die Fresken verblasst.
    Einzig die weitläufige, offene Form des Pronaos, der noch zu erahnenden Vorhalle vor dem Tempelinneren, ließ auf einen etruskischen Ursprung schließen.
    Es war ein schauriger Ort. Ganz in der Nähe mussten früher auch die Leichengruben für die Armen gelegen haben, und ich hatte hier in dieser Ecke ständig das Gefühl, dass sich in den allgegenwärtigen Sumpf-Geruch noch immer ein leiser Hauch von Verwesung mischte.


    Beklommen folgte ich einem kleinen Trampelpfad, der sich um Müll und Schutt herum durch die Brennesseln wand, trat dann über schiefe und ausgetretene Stufen ins Pronaos. Mit einem leisen Schaben glitt eine Viper davon, verschwand blitzschnell in ein einer Mauerritze.
    Vorsichtig setzte ich meine Füße, ging leise, Schritt für Schritt, auf den Eingang zur noch erhaltenen Cella zu, trat dann in den schmalen Torbogen. Dunkel war es dahinter, ich konnte nur ein Stück des wasserfleckigen Bodens und der rissigen, terakottaverzierten Wände erkennen...
    "Hannibal?"