II. DAS ICH – Der Charakter ist dein Werkzeug für spannendes Spiel. Charaktere brauchen Schwächen. Ein Backrezept.
Es gibt Charaktere, mit denen fließt das Spiel wie von selbst, und die Herzen der Mitspieler fliegen dir zu. Es gibt andere, die mühselig zu schreiben sind, und kein Schwein interessieren. Wie man das Spiel erlebt hängt zu einem guten Teil davon ab, was für einen Charakter man sich erstellt hat. Manche Spieler schreiben gerne anfangs schon lange Steckbriefe, andere überlassen mehr der Improvisation. Das ist Geschmacksache, zumindest sollte man sich den Charakter anfangs in seinen Grundzügen skizzieren.
Hier ein praktisches Backrezept, für einen Charakter mit Potential.
Man nehme:
1.Konzept
Eine Grundidee. Die sollte kurz und prägnant zusammenfassbar sein. Zum Beispiel: "großmäuliger Soldat" oder "Matrone in der midlife crisis", "abgebrühter Straßenjunge" oder "intriganter Jungpolitiker", "vergeistigte Gelehrte" oder "lasterhafte Femme fatale", "schwarzes Schaf der Familie, "galanter Hochstapler oder "märtyrerhafte Christin"....
2.Persönlichkeit
Skizziere dem Charakter ein paar Eckpunkte seiner Persönlichkeit. Trenne simoff und simon, also Realität (dein wahres Ich) und Spiel (dein Rollenspielcharakter)
Spiele nicht dich selbst. Ansonsten geschieht es viel zu schnell, dass man sich von im Spiel gegen den Charakter gerichteter Kritik oder Unfreundlichkeit auch simoff angegriffen fühlt. Langweilig ist es obendrein.
Schreibe ein paar zum Charakter passende Persönlichkeitszüge auf, und/oder orientiere dich an Vorbildern und Archetypen. Filmfiguren, literarische Figuren, reale Personen können dazu dienen. Ausserdem Aufstellungen von Persönlichkeitstypen, seien die Temperamente der Viersäftelehre (Choleriker/Sanguiniker/Melancholiker/Phlegmatiker), oder das Big-Five-Model der Persönlichkeiten (introvertiert-extrovertiert, praktisch-theoretisch, hart-kooperativ, spontan-geplant, resistent-sensitiv) oder ganz banal die Eigenschaften, die bestimmten Sternzeichen zugeschrieben werden.
Bsp: Unser "großmäuliger Soldat" könnte weiter ausdefiniert werden, indem wir sagen, er sei... ein Macho mit dem Herz am rechten Fleck, Modell Han Solo. Oder indem wir sagen, dass er ein Choleriker ist, der mit Worten aufbraust. Oder im Big-Five-Modell ein "Macher" (extrovertiert, praktisch, hart, spontan). Oder im Sternzeichenmodell ein Löwe, der sich selbst gern brüllen hört.
3.Ziel
Suche ein Ziel für deinen Charakter aus, etwas das ihn in Bewegung bringt. Gute Ziele lassen Charaktere aus ihrer Komfortzone ausbrechen, schaffen Interaktion mit anderen, schaffen Entwicklung, und führen dazu, dass unterwegs gute Geschichten entstehen. Das IR ist ein sehr langfristiges Spiel. Ein gutes Ziel, für das der Charakter brennt, hilft dir am Ball zu bleiben, auch wenn du mal länger auf deine Mitposter warten mußt. Manche Ziele sind so groß, dass sie nicht erreichbar sind ("das Prinzipat stürzen und die Republik zurückbringen" z.B.), das macht aber nichts, der Weg ist das Ziel.
Also: Was will dein Charakter erreichen, und was ist er bereit dafür zu tun? Ziele können selbstsüchtig oder altruistisch, persönlich oder gesellschaftlich sein. Und hinter dem Ziel steht immer auch ein Bedürfnis – Warum eigentlich will dein Charakter dieses Ziel erreichen?
Beispiele möglicher Ziele:
"Ich will mächtig werden, so mächtig, dass keiner mich mehr schief anguckt / dass alle Mädchen auf mich stehen / dass ich den verfaulten Staat reformieren kann."
"Ich will .... (Name einer unerreichbaren Person einsetzen) unbedingt zur Frau/zum Mann gewinnen."
"Ich will ein ehrenhaftes Leben führen. "
"Ich will mich unendlich amüsieren."
"Ich will ein Kunstwerk von großer Schönheit erschaffen."
"Ich will Ruhm erringen. Ich will, dass mein Name die Zeiten überdauert."
"Ich will das Geheimnis der menschlichen Existenz/des perfekten Staates/der Unsterblichkeit der Seele ergründen."
"Ich will mich aus meinem Elend emporkämpfen / reicher als Krösus werden / meiner Mutter ein eigenes Häuschen bauen."
"Ich will eine glänzende Partie machen und meinen Söhnen den Weg zum Konsulat ebnen."
"Ich will meine Freiheit zurückgewinnen und zu Frau und Kind zurückkehren / es den Römerschweinen so richtig heimzahlen / als Freigelassener in Rom aufsteigen."
"Ich will, dass mein Vater stolz auf mich sein kann."
"Ich will als die beste Köchin der ganzen Stadt bekannt werden."
"Ich will das Leid der Welt lindern."
"Ich will Rom zum wahren Glauben bekehren."
"Diese Stadt ist von Dreck überschwemmt, und ich, ja ich, bin derjenige der sie säubern wird."
4. Drei Schlüsselreize
Charaktere sollten wie lebendige Wesen wirken. Auch mal spontan und in ihren Reaktionen bisweilen unkontrolliert.
Lege drei Dinge fest, Trigger auf die dein Charakter ganz unmittelbar und intensiv reagiert.
Wut: Was macht deinen Charakter so richtig wütend? Wann sieht er rot?
Bsp. Sarkasmus / Verschwendung / wenn jemand ein Pferd quält / Schlampigkeit / die-hohen-Herrn-da-oben-die-auf-uns-kleine-Leute-runterschauen...
Furcht: Wovor fürchtet sich dein Charakter am allermeisten, was macht ihn panisch?
Bsp. Sich vor anderen blamieren / Brände / enge Räume / alt und grau werden / die Laster auf dem Grund seiner Seele / Kontrollverlust / Flüche und die Geister der Unterwelt...
Edelmut: Was weckt unweigerlich seinen Edelmut? Was bringt das allerbeste in ihm zum Vorschein?
Bsp. Gäste haben und ihnen Gastfreundschaft erweisen / echte Freundschaft / Familie / die Wissbegierigen lehren / Schwächere beschützen / für das Wohl des Römischen Reiches kämpfen / die ehrwürdigen Senioren ehren / das Schöne in der Welt vermehren...