Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Mein schöner Kelte war noch ganz zerzaust, genauso wie wenn er morgens neben mir den Kopf aus den Kissen gehoben hatte. Ein bisschen lädiert vom Vorabend schien er... Ich goss ihm einen Becher kühles Wasser ein und bereitete ihm gutgelaunt ein Katerfrühstück, mit sauer eingelegtem Schwertfisch, Oliven und gebratenen Eiern. Es machte mir Freude, auch einmal etwas für ihn zu tun, und mit einem breiten Lächeln setzte ich ihm den Teller vor.
    Dabei fing ich... nur aus den Augenwinkeln... auf, wie einer unserer Sklaven, der ziemlich nichtsnutzige Vincetius, sein Gesicht zu einer spöttischen Grimasse verzog. Nur kurz. Als ich ihn anblickte, guckte er schon wieder ganz unschuldig und stach den Löffel in den Puls. Doch stutzig geworden, war mir mit einem mal, als sähe ich auch bei anderen Mitgliedern der Hausgemeinschaft hinter harmlosen Minen so etwas wie... verborgenen Spott oder Geringschätzung.


    Meiner Saturnalienleichtigkeit beraubt, zog ich mich alsbald aus der Küche zurück – den Abwasch machten meine Freigelassenen – und grübelte über diese Episode. Wenn es etwas gab, was ich hasste, dann war es, andere über mich spotten zu sehen... Unglücklich musste ich mir eingestehen, dass mein goldener Kelte mir für einen Sklaven viel zu wichtig geworden war. Ich hatte es ihm durchgehen lassen, dass er mir öffentlich Widerworte gegeben hatte, und ich hatte ihn noch immer nicht in die Gladiatorenschule geschickt, einfach weil er mir so ungemein viel Freude bereitete. Das untergrub meine Autorität.


    Notgedrungen entschied ich mich dann schlussendlich doch für die vernünftige Lösung, und ließ Angus nach dem Ende der Saturnalien zur Gladiatorenausbildung in den Ludus bringen, so wie ich es bei meinen beiden anderen neuen Arenakämpfern in spe schon anfangs getan hatte. Doch der herrliche Kelte hinterließ eine traurige Leere in meinem Bett. Ich war einsam, des nachts, und vermisste ihn heftig.

    Ach Angus...

    Ob es anders hätte laufen können, wenn wir uns nicht unter so verkorksten Voraussetzungen begegnet wären? Das fragte ich mich bisweilen.... doch es war eine müßige Frage.



    ~ ~ Ende ~ ~

    Alle Augen waren auf den Kaiser und seinen Pontifex gerichtet, so konnte auch ich meinen Blick bewundernd auf Manius ruhen lassen, ohne mir Zwang anzutun. Seine unnachahmliche patrizische Würde - die mir im privaten bisweilen ganz schön auf die Nerven ging - umgab ihn hier und heute wie eine lichte Aura, die ihn von uns gewöhnlichen Sterblichen schied. Ich war nahe genug am Altar, um zu sehen, wie Manius' Mund sich ein wenig bewegte, und wusste, dass er dem mächtigsten Mann der Welt die Worte der Litanei eingab, die jener sodann kraftvoll ertönen ließ...
    Manius' ruhige, vollkommen gewisse Bewegungen mit denen er die Opferhandlungen vollführte, hatten, untermalt von der monotonen kultischen Musik, für mich etwa beinahe hypnotisches. Und auch das Schlachten der Tiere verlief so glatt und mühelos als würden lediglich Blumen gebrochen, anstatt diese großen, vitalen Kreaturen ins Jenseits zu schicken. Würden doch die Feinde Roms ebenso widerstandslos ihr Leben aushauchen!
    Ich entspannte mich, als das Widderopfer in aller Perfektion vollbracht war. Noch größere Kunst erforderte natürlich der Stier... einmal, da hatte ich eigenhändig einen Stier geopfert, beim Blemmyerfeldzug, und dabei Blut und Wasser geschwitzt. Wobei meine Gedanken kurz zu der Frage schweiften, ob es eine Art von Weiter-Existenz auch für Tiere gab... es hing wohl davon ab, wen man fragte. (Meine edlen Rennpferde jedenfalls waren ohne Zweifel beseelt.)
    Auch wenn ich es noch nie erlebt hatte, dass beim Armilustrium keine Litatio und Entsühnung verkündet wurde, so waren die Augenblicke davor doch jedes Jahr aufs neue voll gespannter Erwartung.

    Ich nahm den Trinkschlauch aus der Hand des Tribuns und trank nach bäuerlicher Art, in dem ich mir den Strahl direkt in den Mund spritzte. Mir schien es eine Geste der Kameradschaft, und eigentlich hatte ich nichts gegen den Mann. Wir fuhren ja nicht jeden Tag Wagenrennen gegeneinander.

    Jetzt grinste ich sogar und gab Serapio den Weinschlauch zurück:

    "Hispanisch? Ausgezeichnet!", fragte ich in Bezug auf den Wein. Dann nickte ich in Richtung Sufenas:
    "Stilles Wasser, jedoch tief.", bemerkte ich. Der Goldschmied wäre wirklich nicht mein Favorit gewesen, eher der vom Ehrgeiz getriebene Victorius oder Serapio selbst.

    Trotz der Menschenmasse und dem Opfer, das ja noch vollzogen werden musste, überkam mich eine friedliche, ganz und gar elysische Stimmung, die auch meiner plötzlich spürbaren Erschöpfung geschuldet war. Es hatte mir Freude gemacht, mich so richtig zu verausgaben. Alles was nun kommen würde, sah ich mit Gelassenheit.


    "Tarraconensische Spätlese." bestätigte ich das fachkundige Urteil des Saturninus und folgte seinem Blick zum Sieger. "Er hat seine Kräfte lange geschont, ließ uns kämpfen, bevor er sein wahres Können zeigte." fachsimpelte ich. "Gewiss hat sich auf dem feuchten Untergrund auch ausgezahlt, dass er mit geriffelten Radbeschlägen fährt..." Ich bevorzugte ja – für die Rennbahn - glatte, wie die meisten heutzutage.
    Mars hatte jedenfalls seine Wahl getroffen, und auch wenn es mich ein wenig wurmte, einem alten Goldschmied unterlegen zu sein, so sagte ich mir: nächstes Jahr!
    Wir tranken noch ein paar Schluck Wein und diskutierten fachkundig das Rennen, dann verabschiedete ich mich von meinem hübschen Rivalen.


    Eine Lacerna um die Schultern gelegt, gab ich meinen beiden tapferen Kyrenäerinnen ein paar Apfelstücke, die sie mit weichen Nüstern von meiner Hand nahmen. Ich vergewisserte mich, dass es ihnen an nichts fehlte, dann begab ich mich zur Tribüne, um Manius zu sehen (und den ungewohnten Anblick meines distinguierten Geliebten mit Goldfähnchen zu genießen) doch er war leider schon wieder gegangen.
    So gesellte ich mich zu Valentina, gab ihr einen Kuss auf das von goldenen Bändern geschmückte Haupt, und verfolgte an ihrer Seite den Fortgang des Spektakels. Sufenas' langbeiniger Schimmel wurde dem Mars zum Opfer gebracht, und dann brach der Tartarus los, als der Straßenkampf um den blutigen Schweif begann. Da alles voll johlender Horden war, geleitete ich Valentina noch sicher nach Hause. Später erfuhr ich dann, dass die Subura sich (mal wieder) den Sieg erkämpft hatte.



    ~ ~ ENDE ~ ~

    In einer Neumondnacht | Nieder mit den falschen Götzen! + Ein Schrei in der Nacht + das Imperium schlägt zurück


    In gebührendem Abstand beschatteten wir die dunklen Gestalten. Zeitweise trennte sich deren Gruppe – wir verfolgten den hinteren Trupp – doch zuletzt trafen sie sich wieder.
    Der Centurio und ich verharrten in einem Torbogen, als die Gestalten sich hinter einem massigen Tempelbau herumdrückten und die Köpfe zusammensteckten. Durch das hin und her in den dunklen Gassen war mir kurzzeitig nicht ganz klar, wo genau wir gerade herausgekommen waren. Doch dann erkannte ich die Silhouette des Giebel und die Form des Platzes...
    "Bei Plutos Pesthauch! Diese Schweinebande will den Flaviertempel beschmieren." schloß ich, mich an die blasphemischen Parolen auf der Mauer des Claudiertempels erinnernd. "Diesmal erwischen wir sie auf frischer Tat."
    Dicht am Tempelsockel, geduckt in dessen Schatten, verfolgte ich das Tun der Kultisten. Es war ein Lichtschein zu sehen... doch nicht von einer Laterne, die Tempeltüre hatte sich geöffnet, die Gestalten schlüpften hinein. Gleich darauf drang gedämpft von innen ein markerschütternder Schrei an unsere Ohren, dann trappelten Füße. Ich gab Octavius ein Zeichen, lockerte den Gladius in der Scheide, und eilte die Treppe zum Tempeltor hinauf, alle Sinne bis zum Bersten gespannt. Eigentlich war es ja meine Devise, im Vorfeld eines Zugriffs stets gute Aufklärung zu betreiben... doch manchmal musste man eben improvisieren. Das Tor einen Spalt öffnend lugte ich hinein, verständigte mich mit knappen Gesten mit dem Centurio, dann stießen wir die Torflügel mit solcher Wucht nach innen, dass sie dröhnend gegen die Wand krachten, während wir zugleich mit blanken Schwertern hineinstürmten.
    "Garde! Keine Bewegung! Sofort Waffen fallen lassen!" brüllte ich in dabei in Exerzierplatz-Lautstärke, hoffend dass die Überraschung uns gegen die Übeltäter in die Hände spielen würde. (Waffen im Tempel waren zwar nicht die feine römische Art, aber gegen das götterlästerliche Lumpengesindel, da würden die vergöttlichten Kaiser, so hoffte ich zumindest, bestimmt ein Auge zudrücken.)

    Das gesetzgeberische Geschäft bedurfte wirklich einer Masse von Abwägungen und Subtilitäten. So viele Zwischentöne war ich aus meinem Soldatenleben nicht gewöhnt, und war in dem Augenblick ganz froh, dass ich mich, auch damals nach der Adrogation, als mein Vater mir dies vorgeschlagen hatte, dagegen entschieden hatte den Cursus honorum zu beschreiten.
    "Ich muß euch zustimmen," ruderte ich auf Valerius' und Manius' Bedenken hin zurück, "In diesem Lichte betrachtet ist es sinnvoller, als ersten Schritt lediglich die Pflicht zur Wahl eines Oberhauptes einzuführen. Und das Kaiseropfer erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sie mal wieder Ärger machen."


    Auf Manius' Frage hin schüttelte ich den Kopf: "Dafür ist ihre Struktur zu lose. Sie haben Hausgemeinden, Gruppen die sich irgendwo draussen treffen, Wanderprediger, Einzelgänger. Und auch die harmlosen unter ihnen sind vorsichtig und halten sich bedeckt." Was nach verschiedenen zum Teil doch sehr radikalen Verfolgungswellen ja auch verständlich war. Und auch wenn meine Leute natürlich umfangreiche Listen zusammengetragen hatten, so war doch ganz klar:
    "Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen!" erklärte ich mit ernstem Gesicht.


    Milder als "offensiv"? "Durch aktives Predigen ihrer Lehren vielleicht? Das Beispiel Straßenfest wäre damit unbedenklich. Zielgerichtete Bekehrungsversuche von Bürgern aber verboten."


    Nachdenklich fügte ich später noch hinzu: "Es ist schon eine Weile her, dass ich mit unserem Imperator über das Thema sprach. Er fasste damals seine Linie etwa so zusammen: Sie dürfen ihren Praktiken nachgehen, solange sie sich eben bedeckt halten und die Götter nicht beleidigen. - Das war allerdings noch vor den letzten... öffentlichen Schmähungen."

    Kurz darauf erblickte Großtante Drusilla eine bekannte Matrone, die sie herzlich-affektiert begrüßte. Deren Haarpracht war ebenso imposant aufragend wie die meiner Großtante. Wie zwei Schiffe unter vollen Segeln zogen die beiden Damen dann plaudernd ihre Bahn Richtung Triclinium, ihre Männer unterfassend. Ich atmete auf und knusperte an den Bilchen, darüber sinnierend, dass Großtantes Ornatrix wirklich exzellent war. Sie verstand es, zwanzig Jahre wegzuzaubern. Ich sollte Narcissus wohl mal zur Weiterbildung zu ihr schicken...


    Lächelnd durchquerte ich sodann das Atrium auf der Suche nach meiner Braut, grüßte hier und dort, freute mich an den angeregten Gesprächen der Gäste. Ich fand Valentina, die ausgesprochen energisch dreinblickte und bot ihr vertraut den Arm.
    "Ah, da bist du. Ist das schreckliche Ding hinüber? Den Göttern sei Dank sei Dank hat sie nichts gemerkt. "
    Wir tauschten uns dann leise aus und kamen zu den Schluss, es gut sein zu lassen. An unserem großen Tag wollten wir nicht kleinlich sein, und so ließen wir den tollpatschigen fremden Sklaven einfach laufen.


    Gemeinsam gesellten wir uns dann zu meinen Cousin Sagitta aus Athen.
    "Salve Sagitta! Na?" fragte ich ihn launig, und hob meinen Becher um ihm zu zu trinken. "Was sagst du als Stoiker eigentlich so... zur Ehe an sich?" (Sagitta war rasend gebildet, worum ich, der ich es niemals bis nach Griechenland geschafft hatte, ihn nicht wenig beneidete. )


    ~ ~ ~


    Das Hochzeitsopfer im Peristyl

    Ein wenig später war es an der Zeit für die Opferzeremonie. Unsere Vilica machte mir Zeichen.
    "Carissima, es ist soweit. Bist du bereit?" fragte ich meine Braut, den Kopf zu ihr geneigt. Dabei hatte ich selbst so ein unschönes flaues Gefühl im Magen, und meine Hände waren auch etwas klamm. Aber es war ja zu spät.... viel zu spät... um noch irgendwas anders zu machen. Ich legte ein glückliches Lächeln auf mein Gesicht und erhob das Wort:
    "Verehrte Gäste! Wir werden nun zum Segen unserer Ehe das Opfer an die Matres Iuno, Tellus und Ceres vollziehen. Wenn ihr uns ins Peristyl begleiten möchtet? Mag es auch etwas frisch sein, aber für heißen Würzwein ist gesorgt!"
    Das war das Signal an die Sklaven, die ihn sogleich in bunt glasierten Bechern ausschenkten.
    So kühl war es auch gar nicht, denn das Peristyl war ja von den "purpur"farbenen Planen zum Großteil überspannt, zudem spendeten Feuerschalen Wärme. Auch hier leisteten üppige Blumengirlanden dem Winter Widerstand, spendeten Farbe und Duft. Bunt mit Hochzeitsszenen bemalte Oscillae schwangen leise klimpernd zwischen den Säulen.
    Vor der (restaurierten) Statue des Rossebändigers war der würdige Altar aufgebaut, auch das Opfertier stand geschmückt bereit, und die Musiker sowie Opferhelfer waren auch in Position. Ich überließ Valentina ihrer Pronuba und suchte Manius' Blick. Dass er eingewilligt hatte, das Opfer für uns zu vollziehen, das war natürlich ungemein großmütig von ihm.

    Die Muskeln arbeiteten unter dem schwarzbraunen Fell, als mich mein Jagdpferd leichtfüßig über die Wege und Pfade an den Flanken des Albanus Mons trug. Den Olympos von Roma hatte Kyriakos ihn getauft.
    "Es ist wahr, Iuppiter Latiaris hat dort oben seine Heimstatt." meinte ich, zum stumpfen Gipfel emporweisend, der sich grün gegen den blassblauen Himmel abzeichnete. Der altehrwürdige Iuppitertempel dort oben war aber fern zwischen den Bäumen verborgen, und nur an einer Spur aufsteigenden Rauches zu erahnen. "Wenn sich ein Wild bis aufs Tempelgelände flüchtet wird es sakrosankt... meinem Onkel ist auf diese Weise mal ein prächtiger Hirsch durch die Lappen gegangen."
    Die Zweige einer knorrigen Korkeiche streiften meine Schulter. Wir ritten durch einen Hohlweg, dann über eine steile Wiese voll verblühtem Lavendel, der unter den Hufen knisterte... Ich genoss den elastischen Schwung der Tritte meines Pferdes, die angenehme frische Luft, all die verschiedenen Töne von Grün...
    Aber vor allem konnte ich die Augen kaum von meinem Jagdgefährten lösen. Ja, ich musste mich wirklich zusammenreißen, um ihn nicht pausenlos anzugaffen wie ein Stultissimus.... aber er war einfach zu vollendet! Was soll man als ästhetisch empfänglicher Mensch denn machen, angesichts solch atemberaubenden Schönheit??!! Außer zu staunen, und dankbar zu sein, dass es so etwas Schönes überhaupt gab. Ach, ich hätte ihn stundenlang einfach nur ansehen können, und die Linie seines Kinnes bewundern, die geschmeidige Art, in der er zu Pferde saß, und den jägerischen Glanz in seinen Augen...
    Dabei war mir, zuvor bei der Mühle, nicht entgangen, dass er hinkte. Doch es war, als würde dieser eine Makel lediglich den Kontrapunkt bilden, um alles andere um so betörender erstrahlen zu lassen...


    Meine Gedanken waren also alles andere als aufs Waidmannswerk gerichtet, und ich wäre glatt an dem Wildwechsel vorbeigeritten, wenn Kyriakos ihn nicht bemerkt hatte. Es verschlug mir den Atem, als er sich kurzerhand auszog... und alles, was ich aus schummrigem Feuerschein in herrlichster Erinnerung hatte, völlig unbefangen im hellen Licht des Tage zeigte.
    Ich schluckte trocken und nickte stumm, und verbiss mir die Frage: Ist dir denn nicht kalt? Ich hatte die Geschichten vom spartanischen eisenhart-abgehärtet-Sein immer für Überbleibsel der Sage gehalten, und war völlig fasziniert, hier Zeuge davon zu werden, dass es so was anscheinend auch heute noch gab. (Eine ähnliche Taktik hatte ich einmal bei einem nabataeischen Jäger gesehen, als wir wilde Kamele für Sospitos eingefangen hatten, aber der hatte zumindest ein bisschen was anbehalten.)

    In seiner erdigen Tarnung, mit dem Speer in der Hand, da erschien mir der rätselhafte Grieche mehr denn je wie ein archaisches Wesen, ein Waldsatyr, Gefolgsmann uralter Berggötter, des schreckenerregenden Pan, des rasenden Dionysos, aus einer Zeit bevor diese ihr schroffes Antlitz in menschenfreundliche Masken gehüllt hatten.
    "Gute Jagd, Erdgeborener." wünschte ich ihm mit einem schiefen Lächeln. Dann war er im Dickicht verschwunden.


    Ich band mein Pferd neben dem seinen an, schnallte mir den Köcher um die Hüften und legte einen Pfeil locker auf die Sehne bereit. Leise pirschte ich mich dann so etwa entlang der Höhenlinie in den Wald, der hier mal lichter war, mit alten Pinien, die einen intensiven Harzduft verströmten, mal durchwuchert von dornigem Gestrüpp, das ich geduckt umging. Nach einiger Zeit vernahm ich ein Rascheln und Brechen von Zweigen, das mich innehalten ließ. Hastig hob ich den Bogen und spannte ihn, als ich zwischen den Bäumen ein Reh in hohen eleganten Sprüngen auftauchen sah. Doch bevor mir ein vernünftiger Schuss möglich war, war es, so schnell wie es aufgetaucht war, auch schon wieder davon geschnellt...

    Kaum war die furchtbare Vase uns aus den Augen, da war ein Klirren zu vernehmen, und sofort kam mir das Ding wieder in den Sinn. Valentina dachte wohl das gleiche wie ich, so verschreckt wie sie in Richtung Großtante Drusilla blickte. Ich drückte beruhigend ihre Hand und murmelte ihr verstohlen zu: "Sieh mal nach, ich lenke sie derweil ab."
    Gesagt getan. Valentina würde das Ding schon schaukeln. Sie war ja ab heute die Domina des Hauses. Mit neffenhaftem Charme lotste ich Großtante Drusilla zu einer Platte mit besonders interessanten Vorspeisen.
    "Hast du die hier schon probiert, Großtante? Das ist Candaces neueste Kreation: Bilche süßsauer mariniert, an geröstetem Gazellenkäse."
    Ich nahm mir selber einen Spieß – hmm, ganz köstlich. Ja, Bilche kann man wirklich in verschiedenster Form und zu jeder Mahlzeit essen.

    Io Saturnalia


    Traditionen muss man in Ehren halten, so pflegte meine iberische Großmutter zu sagen. Und so stand ich eines schönen Saturnalienmorgens in der Küche der Casa und kochte unseren Sklaven den Frühstückspuls. Ich trug den Pileus, eine schlichte Tunika, und rührte pflichtbewusst in dem großen Topf mit dem Körnerbrei. Meine Liberti – zum Glück hatte ich ja eine Menge, das entspannte die Lage an den Saturnalien - halfen mir beim Frühstück machen: Icarion schälte Äpfel, Styrkar schlug Sahne, Akadios hatte frisches Fladenbrot vom Bäcker geholt, Pelias knackte Nüsse, Caluconius tranchierte Schinken in hauchdünne Scheiben, Damon deckte den Tisch, Rhea legte die Zweige mit den Saturnaliengeschenken bereit, und Narcissus verteilte alles auf dem Tisch solange neu hin und her, bis es seinem ästhetischen Empfinden genügte.

    Unsere Köchin, die gute Candace, war vom Herd verbannt, saß an dem großen Holztisch, an dem die Sklaven gemeinsam zu essen pflegten, und beäugte mich misstrauisch.
    "Aber nicht anbrennen lassen, Dominus. Und vergiss nicht, dass sich der Geschmack erst mit einer Prise Salz richtig entfaltet."
    "Pah, wenn ich eines beim Militär gelernt habe..." setzte ich an zu entgegnen, und Icarion nahm mir das Wort aus dem Mund: "...dann ist es Puls kochen." Er kannte eben alle meine Sprüche schon in- und auswendig. Wir lachten, und servierten der Sklavenschaft ein luxuriöses Saturnalienfrühstück. Sie trudelten aber erst nach und nach ein, denn viele hatten am Vorabend lang gefeiert und schliefen heute aus.


    Jeder bekam dann einen grünen Zweig, der mit süßem Gebäck und einem Beutel mit Münzen behangen war. Unsere Vilica Rhea hatte auch für jeden noch irgendein Geschenk besorgt: besondere Leckereien, gutes Werkzeug, schlichter Schmuck, Stoff zum Schneidern, oder Spielzeug für die Kinder...

    Ich fand den Rollentausch zur Abwechslung mal ganz witzig, und erfreute mich daran, unser treues Gesinde zu beschenken. Doch so locker wie in früheren Jahren war es dieses Mal nicht, bei vielen war eine gewisse... Scheu oder Reserviertheit zu spüren. Ich nahm schwer an, dass das an der kürzlichen Bestrafung des Silas lag, doch ich sagte mir, dass ich nur die notwendige Disziplin hier im Haus gewahrt hatte und tat einfach so als wäre alles in bester Ordnung – überreichte die Geschenke zusammen mit unserer Vilica, schöpfte Puls, rührte Sahne darunter und streute Nüsse darüber.


    Mit einer gewissen... besonderen Erwartung harrte ich Angus.
    "Io Saturnalia, Angus!" begrüßte ich meinen schönen Kelten, als er schließlich erschien. "Was möchtest du frühstücken?"

    Eben sah ich noch Manius, seinem Sohn und dessen auffällig reizloser Gemahlin hinterher und überlegte, ob sie mit dem Ulpiermörder Cornelius verwandt war – nicht dass ich wüsste, trotzdem hatte mich allein der Name indigniert. Und diese Zähne, wirklich nicht schön. Sie erinnerten mich an die freimütige Aussage der Iulia Graecina, die mir gestanden hatte, dass es ihre größte Sorge war, einen Greis mit schlechten Zähnen zu heiraten. Hoffentlich entging sie diesem Schicksal auch ohne mich...


    Ich zurrte das fröhliche Festtagslächeln wieder auf meinem Gesicht fest, und fuhr fort, an der Seite meiner holden Braut die Gäste zu begrüßen und Glückwünsche entgegen zu nehmen. Was mir überaus schmeichelte: sogar der Patriarch der Claudier war der Einladung gefolgt! Flavier und Claudier gaben sich unter unserem Dach die Ehre, vornehmer konnte es kaum werden.


    Einen schon gut angeheiterten Gast stellte mir Valentina freudestrahlend als ihren Verwandten vor. Ich trat geistesgegenwärtig einen Schritt zurück, als er so schwungvoll das Glas schwenkte, und bewahrte meinen Amethysttoga somit vor Weinflecken.
    "Eine Freude dich kennenzulernen, Quintilius Clemens." Vor allem, weil Valentina damit auch einen Vertreter ihrer Familie auf dem Fest hatte. Und ein fröhlicher Gesell schien er auch zu sein. Ich schmunzelte jovial, bei der Geschichte von der Wette.
    "Na, dann hast du hoffentlich auf den Sufenas gesetzt?!" scherzte ich und trank Clemens zu.



    Kurz darauf traf meine Großtante Drusilla im Atrium ein. Sie war schon vor zwei Tagen vom Albaner See hierher zu uns gekommen, und hatte unsere Sklaven alle ganz kirre gemacht. Ihren hübschen (nur recht klein gewachsenen) jungen Gemahl am Arm, formvollendet geschminkt, und eine rotbraune Perücke von ungeheuren Ausmaßen auf dem Kopf, so trat sie würdevoll auf uns zu. Bei jedem Schritt funkelte und glitzerte irgendetwas an ihr. Zum Glück war sie mir nicht mehr böse, dass ich keine ihrer Kandidatinnen erwählt hatte.
    "Ach Kinder, ich freue mich so für euch!" Großtante Drusilla hauchte mir Küsschen auf die Wange, wobei mich ihr Veilchenparfum fast erstickte. "Dass ich das noch erleben darf!" Auch Valentina erhielt Küsschen. "Iunos Segen, ihr beiden! Auf dass bald ein paar kleine Racker hier im Atrium herumtoben." Großtante Drusilla seufzte nostalgisch. "Ja, die erste Ehe, die ist doch immer etwas ganz besonderes. Nicht wahr, Bubu?"
    Bubastus zeigte sein göttliches Grinsen. "Ganz recht, Schätzchen." Auch er gratulierte, dann winkte Großtante Drusilla herrisch und einer ihrer Sklaven trat heran, mit einer gigantischen minoischen Vase in den Armen. Sie war... gewöhnungsbedürftig... der bauchige Corpus von einem Scheusal von Octopus geschmückt, alles in Braun- und Gelb-Tönen, wie es vor Jahrzehnten mal angesagt gewesen war. Die Henkel standen wie zwei große Ohren davon ab.
    "Für euch, meine Lieben. Ein Original aus Knossos."
    "Oh, vielen Dank, was für ein außergewöhnliches Stück!" heuchelte ich, um meine gute Großtante nicht zu kränken. "Großtante, du bist zu großzügig. Sie bekommt einen Ehrenplatz..."

    Ich winkte dem nächstbesten Sklaven - das war der junge Silas der heute zum Fest ausnahmsweise aus den Hypokausten erlöst war und wieder als Mundschenk dienen durfte – und wies ihn an sich um das kostbare Geschenk zu kümmern.

    "Ich sagte: fang an!" befahl ich finster unserem Grobknecht. Wenn ich jetzt Schwäche zeigte, würden mir die Sklaven nur noch auf der Nase herumtanzen. Warum nur passierte so was bloß mir?! Unter meinem Vater hatten immer alle gespurt, dabei war er auch nicht sonderlich streng gewesen....
    "Ja Dominus! - Aber..." Der Syrer sah verwirrt vom Delinquenten zu den drei Vorlauten und dann unschlüssig wieder zu mir. "...mit wem?"
    "Schafskopf." Es reichte mir endgültig. Ich nahm ihn die Peitsche aus der Hand und schwang sie selbst, um die Sache endlich zu erledigen. In meiner Zeit als Centurio hatte ich hin und wieder pflichtvergessene oder aufsässige Soldaten mit der Vitis disziplinieren müssen. Dies hier war doch auch nicht so anders.
    Verbissen versetzte ich dem Rücken des Jungen den ersten Hieb. Die geflochtene Lederschnur klatschte auf seinen Körper, Silas zuckte, ein wehklagender Laut entwich ihm, und ein roter Striemen zog sich quer über den hellen Jünglingsrücken. Es ekelte mich an, aber ich schlug weiter zu, und zählte die Hiebe bis zum zehnten. Eine Masse roter Striemen zeichnete dann seinen Rücken, und einzelne Blutstropfen, die daraus hervorquollen.
    Zornig verließ ich den Hof, ohne ein weiteres Wort. Unsere Vilica wies ich später an, für den Halsreif des Fugitivus zu sorgen, und ihm, wenn er wieder arbeiten konnte, fürs erste nur niedrige Aufgaben zuzuweisen.

    Wohlig erschöpft schloss ich die Augen. Ein leichtes Lächeln strich über mein Gesicht bei seiner Antwort. Es war schön, seine Arme um mich zu spüren, und ich erlaubte es mir, meinen Kopf an seine Schulter zu legen, ganz so als wären wir beide einfach nur Menschen und er mein Geliebter. Was tat es schon, dass dies eine Illusion war, was tat es, dass er gar nichts anderes hätte antworten können. Ich wollte eben nicht alleine sein. Die Kerzen brannten herunter, eine nach der anderen verlosch, und es wurde dunkel in meinem Cubiculum. Ich merkte, das ich schon halb eingeschlafen war... richtete mich aber noch einmal auf, und griff nach einer zweiten Decke. Die zog ich über Angus, dann rollte ich mich zur Seite, bis ich dicht an der Wand lag, um ihn nicht zu stören. Ich war ein unruhiger Schläfer, träumte oft vom Krieg... Zwar schlief ich besser, wenn ich nicht allein war, aber Icarion hatte sich mehrfach darüber beschwert, ich habe ihn getreten oder geweckt, darum verbrachte er die Nächte nicht mehr bei mir.


    Erfüllt von den Eindrücken meines herrlichen goldenen Barbars sank ich in den Schlaf. Am nächsten Tag dann, da ließ ich ihn, trotz seines tollkühnen Auftrittes auf dem Hof, doch wieder zu mir kommen. Und auch die folgenden Nächte wollte ich nicht ohne ihn sein. Ich war ganz verrückt nach ihm, und ich wünschte ich mir, er könnte mehr sein... ein richtiger Gefährte eben.... der mich mit wahrer, mit ungezwungener Leidenschaft umarmte. Aber er war eben doch mein Sklave, und mir nie ganz greifbar, nie ganz durchschaubar...
    Tagsüber hieß ich ihn mit meinen Leibwächtern trainieren. Ihn in ein Ludus zu geben, wo er geschliffen - und vielleicht gebrochen... - würde, dazu konnte ich mich noch nicht durchringen. Ich wollte damit warten, bis er mir langweilig geworden war. Das geschah mir bei neuen Gespielen ziemlich regelmäßig, dass ich ihrer nach ein paar Wochen überdrüssig wurde. Doch irgendwie... wurde Angus mir nicht langweilig.


    Erst als meine Hochzeit dann näherrückte, da erklärte ich meinen hinreißenden Britannier – mit großem Bedauern – dass er eine Zeitlang nicht mehr mein Bett teilen würde. Denn ich wollte einigermaßen vorbereitet sein, um meine Braut nicht allzu sehr enttäuschen zu müssen. Darum frischte ich vor der Hochzeitsnacht meine diesbezüglich doch sehr überschaubare Erfahrung mit Hilfe unserer aparten Haussklavin Scybale etwas auf.


    Zu den Saturnalien dann, da mußte ich leider einsehen dass es mit Angus so nicht weiter ging, und ich sah mich zu einer schweren Entscheidung gezwungen.