Beiträge von Phaeneas

    Nun gut, er sprach nicht nur mit Akzent, seine Grammatik ließ ebenfalls zu wünschen übrig – und zwar immens. Ein solcher Fall war Phaeneas noch nicht allzu oft begegnet.
    Geduldig lauschte er dennoch den etwas stockend vorgebrachten Worten.
    Phaeneas jedenfalls sah sich nicht dazu verpflichtet freundlich zu sein, zu niemandem. Das gegenüber seinen Herrschaften war keine Freundlichkeit, sondern schlicht Gehorsam und die für einen Sklaven gebührende Achtung. Irgendwelche des Weges kommenden Fremden hatten erst recht nichts zu erwarten. Und auch bei Lucianus war das keine Freundlichkeit, das war ... na ja, irgendetwas anderes.


    Wer etwas von ihm wollte, davon ging Phaeneas eiskalt aus, der würde schon seine Gründe dafür haben und musste dementsprechend selber wissen, worauf er hinauswollte – und wie er zurechtkam. Phaeneas hatte generell nicht vor, sich für Fremde übermäßig viel Mühe zu machen. Im Prinzip war somit von seiner Seite mit nicht übermäßig viel Entgegenkommen zu rechnen ... es sei denn, man hieß Marcus Vinicius Lucianus. Es gab immer Ausnahmen, für die geltende Grundsätze auf einmal nicht mehr galten.
    Phaeneas dachte an vorhin zurück. Zuerst, als er beschlossen hatte zum Hafen zu gehen, dann, als er hierher gekommen war. Er hatte nicht einmal eingerechnet, dass ihm jemand begegnen könnte, die Möglichkeit hatte für ihn schlicht nicht existiert. Er war einfach losgegangen, um den Rhenus zu sehen, um dort am Fluss zu stehen und an ihm entlang zu gehen. Andere Personen hatten in seinen Überlegungen gar nicht existiert. Dabei war es logisch betrachtet sogar sehr wahrscheinlich, früher oder später irgendjemandem über den Weg zu laufen.
    Und jetzt stand er diesem Mann gegenüber, der ihn rundheraus angeredet hatte.


    „Das kann gut sein“, ging Phaeneas darauf ein. „Bist du öfter hier?“

    Phaeneas selbst bemühte sich zur Tür. Dort sah man ihn nämlich nur noch selten. Er befand nämlich, dass es, wenn schon große Verantwortung auf seinen Schultern ruhte, wichtigere Dinge gab, die seiner Aufmerksamkeit bedurften - davon abgesehen, dass er nachwievor nach dem Prinzip "Größtmögliche Selbstständigkeit für Sklaven" verfuhr.
    Er schob die Tür auf. Am Rande erwähnt hatte der Bithynier beschlossen an der Tür niemanden zu kennen. Phaeneas für seinen Teil war zu dem Schluss gekommen, dass es für einen Türsklaven nicht nötig war ein Gedächtnis zu haben. Es reichte vollkommen, alle Besucher nach sklavischer Art unpersönlich zu behandeln.
    "Salve", ließ er verlauten, "was wünschst du?"

    Gefangen von der eigenartigen Atmosphäre ließ der Bithynier weiter die Eindrücke des Flusses auf sich wirken, das Wasser, die Weite, die Dunkelheit, alles zusammen.
    Die Augen auf den Fluss gerichtet, bemerkte Phaeneas, dass der Mann zu ihm kam. Er riss sich wieder vom Wasser, vom Rhenus, los und sah auf. Der Germane, der ihm jetzt gegenüberstand, kaute auf etwas herum, fiel dem bithynischen Sklaven auf.
    Was er dann an Phaeneas richtete, waren stark mit Akzent durchsetzte Worte, quasi dadurch noch einmal besonders akzentuiert ( 8o ). Es war dieser typische Klang, den germanisches dem Lateinischen gab (Für Phaeneas’ Ohren klang es sowieso so gut wie gleich, wenn ein Ubier oder ein anderer Germane aus welchem Stamm auch immer redete, davon abgesehen, dass er sich die meisten Namen der germanischen Stämme sowieso nicht merken konnte, allein schon weil er’s nicht wollte.). An solche Töne hatte sich Phaeneas mittlerweile auch längst gewöhnt, jeder Germanischstämmige hier in Mogontiacum schließlich, dem das Lateinische noch nicht ganz so vertraut war und der es vielleicht nicht allzu häufig brauchte, klang so. Wer wusste schließlich, wer der Mann hier vor ihm war? Na ja, jedenfalls hatte Crinon es insofern gut, er hatte genug Übungsmöglichkeiten.


    Hm, natürlich, inhaltlich war der Anknüpfungspunkt der Fluss vor ihnen, den sie beide gerade eben noch eingehend betrachtet hatten. Was lag näher, als gerade dieses Thema in diesen knappen Satz hineinzunehmen, eines dieser vier Wörter ‚Rhenus’ sein zu lassen.
    Diese vier Worte, so schlicht, so germanisch gesprochen, dass Phaeneas sich nur eines denken konnte:
    „Warum sagst du mir das?“, antwortete er, ohne ein Zögern, sicher in fließendem Latein gesprochen – die Großstadt Rom lässt grüßen.
    Er sah ihn dabei weiter ausdruckslos an, neutral.
    Neben ihnen der Fluss, gleichmäßig dahinfließend, durch nichts zu behindern, scheinbar ewig während ...

    Vielleicht mochte Phaeneas gerade das, wenn die Welt vor den Augen verschwamm, wie in Nebel und Dunst verlief und irgendwann ganz anders aussah, als sie wirklich war. In Gedanken ließ er sie oft verschwimmen, in Gedanken, in denen alles möglich war, dort ließ sich diese Welt sogar gegen eine ganz andere austauschen. Als kleiner Junge hatte er sich manchmal in den langen Haaren seiner Mutter versteckt, als er noch klein genug dafür gewesen war, um sie nicht mehr sehen zu müssen, die Welt, sie zu vergessen, in diesem kurzen, geborgenen Moment, und möglichst von ihr vergessen zu werden.
    Außerdem mochte er Dunkelheit. Dunkelheit, wenn braunes Haar verhinderte, dass allzu viel Licht von außen her hereindrang. Und die Dunkelheit, die von dort drüben über den Rhenus her herüberschimmerte.
    Seltsam, Kälte konnte er nicht ausstehen, aber von Dunkelheit umgeben zu sein war ihm gar nicht unangenehm. Sie gab ihm Sicherheit. Sein sonstig scheinbar selbstsicheres Auftreten entstand schließlich nur dadurch, dass er kaum Emotionen zeigte. Dunkelheit aber weckte in ihm ein Selbstvertrauen, das sonst nur aufkam, wenn er ganz von Wasser umgeben war.


    Das ruhige und doch mächtige Fließen des Flusses, die ständige Bewegung des Wassers und wie weit die Wasserschichten wohl nach unten reichen mochten ... Wenn er nicht allein schon vom Hinschauen den Kältetod sterben würde, wäre er glatt versucht ins Wasser zu wollen – davon abgesehen, dass es da noch einige Vernunftgründe gab, es zu lassen. Wenn es nur nicht so köstlich aussehen würde ... Der Blick wurde verklärt.
    Da bewegte sich etwas in Phaeneas’ Blickfeld. Er musste seine Aufmerksamkeit erst einmal vom Wasser weg zum Steg hin lenken. Die Gestalt, die da stand, hatte sich umgedreht, stand also nun dem Bithynier zugewandt da. Durch die entstandene Situation veranlasst befasste sich der Sklave überhaupt erstmals wirklich mit dieser Person. Ein Germane war es. Ein Germane wie in Mogontiacum tausende herumliefen. Bildlich gesprochen. - Tja, das Schöne an Crinon war für Phaeneas, dass er eine überschaubare Größe hatte; das hier war ein Germane wie er leibt und lebt – von der Größe her. Und er stand da und schmunzelte – was Phaeneas irritierte. Er war sehr leicht irritiert, genauso wie er schnell misstrauisch wurde.
    Für diesen kurzen Moment der Beachtung sah Phaeneas den Mann mit nichtssagendem Gesicht an, wobei immer eine Spur Misstrauen darin lag und der Bithynier den Betrachter stets ein wenig skeptisch und kühl musterte – nur nicht, wenn er vollkommen wirklichkeitsvergessen vor sich hinträumte.
    Prompt wurde dem Mann die Aufmerksamkeit wieder entzogen und Phaeneas wandte sie erneut dem Fluss zu.
    Was der Sklave grob über den Fremden dachte, ließ sich in etwa so zusammenfassen: Was starrte der Kerl ihn so an?

    Sie hatten das Geschäft kaum verlassen, da erklang eine Stimme, vorne bei der Gattin des Herrn, und sie klang irgendwie so als käme sie von etwas weiter unten. Eine flehende Stimme, in unterwürfiger Manier um Zuwendung bettelnd.
    Dann sah auch Phaeneas die ganze Szene. Der Bettler hatte so nicht viel gefährliches an sich, so erbärmlich und abgerissen wie er auf Lucianus’ Gemahlin zukroch.
    Der Bithynier ließ sich von Crinon zur Seite drängen und achtete dabei darauf, dass die Ergatterungen der Gattin des Herrn nichts abbekamen.
    Inzwischen hatte sich die kniefällig gebetene Dame selbst des flehentlich winselnden Bettlers angenommen. Ihre schrille Stimme ließ Phaeneas’ Ohren sausen, sodass er eigentlich nicht wirklich darauf hörte, was sie sagte. ‚Per omes deos deasque’, schoss es Phaeneas durch den Kopf, ‚bei allen Göttern und Göttinnen.’ Anders wusste er seinem Entsetzen über das an den Nerven zehrende Kreischen nicht Ausdruck zu geben. Männliche Wutanfälle, das war sicher, waren ihm vertrauter.

    Tja, Beamtenkrankheit, jede Gelegenheit am Schopf packen zu wollen, um möglichst alles gleich zu erledigen.


    So gab Phaeneas Lucianus einen Überblick über das Leben in Mogontiacum, einer geschäftigen, sich ständig verändernden Stadt - meistens erzählte er einfach, die Stimme ein wenig beiläufig, während er ein Schicksal neben das andere reihte. Nur sagte er es nicht nur sachlich herunter, sondern er ließ auch zu, dass die Worte lebendig wurden, wenn es zur Situation passte. Bisher hatte Lucianus von Mogontiacum nämlich nur sachliche Lageberichte gehört.


    „Tja, Herr, bei den Ducciern hat sich wieder einiges getan und tut es sich nach wie vor“, begann Phaeneas seine Ausführungen. „Zwei sind vor einiger Zeit nach Germania Magna gegangen, wo Duccius Germanicus inzwischen umgekommen ist.“ Nichts Neues, dass Duccier in Magna starben. „Ein weiteres Familienmitglied, das sein Glück in Hispania versuchen wollte, ist wieder zurückgekehrt und hier zur Legion gegangen. Zwei Duccier hat es nach Rom verschlagen, den einen zu den Praetorianern, der andere lässt sich zum Priester ausbilden. Von jenseits des Limes kamen auch wieder zwei, Brüder, sie werden jetzt langsam ins Leben hier eingebunden. Von dort aus fand auch ein junges Mädchen zu den Ducciern, das als Haushälterin angestellt wurde. Nach geraumer Zeit, in der sie ihren Dienst versehen konnte, ist sie nun verschwunden ... Man vermutet, dass sie entführt worden ist.“ Kurze Pause. „Ansonsten hat sich Duccius Lando die Taberna Silva Nigra zugelegt, samt Grundstück.
    Der Praefectus Portuensis lässt sich ein Haus bauen, Petronius Crispus hat sich eines gekauft und lässt es renovieren. Darüber hinaus hat er einen Steinbruch in Vicus Novus übernommen. Außerdem ist seine Ehefrau gestorben.“
    Eine weitere kurze Pause.
    „In Mogontiacum wird eine Verlobung erwartet, angeblich will sich Hadrianus Capitolinus“ – von den Hadrianern gab es im allgemeinen eher weniger in Mogontiacum – „mit einer Duccia verheiraten.
    Und Germanicus Sedulus hat jetzt inzwischen eine kleine Tochter.
    Dann gibt es gerade noch eine besonders nette Geschichte, wie die meisten finden: Eine Frau fand ihren totgeglaubten Mann in Mogontiacum wieder, bei der Legion.“
    Der Vollständigkeit halber fügte Phaeneas an: „Diese beiden haben nun zur Zeit eine Iulia zu Besuch.“


    Und das war wahrhaft nur das Wichtigste, mit ein paar auflockernden, weniger ausschlaggebenden Geschichtchen zwischendrin (einfach das Leben der Leute hier eben) – und da sollte jemand sagen, Mogontiacum sei eine ruhige, überschaubare Provinzstadt.


    Phaeneas betrachtete Lucianus. Dass er von dieser Wucht an Worten und Informationen nicht erschlagen wurde, wunderte den Bithynier jedes Mal wieder.

    Worum Phaeneas nicht herumkam war die Erkenntnis, dass er leicht fror. Unbeirrbar schritt er trotzdem weiter, er wusste, wohin er wollte. Ein Ort von Mogontiacum, an dem er schon oft gewesen war, immer wieder mal, als besonderes Zuckerl sozusagen.
    Er rieb sich die Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben, und strebte dabei ungeduldig weiter. Erst als er dort war, wo er hinwollte, wurden seine Schritte bedachter.
    Der Hafen. Wichtige Einnahmequelle einer Stadt, entscheidendes Zentrum der Wirtschaft, Sinnbild für Handel überhaupt. Was kümmerte es Phaeneas?
    Hin zum Fluss, dahin zog es ihn, zum Wasser. Dieser Fluss, der Rhenus, war eine der ganz großen Besonderheiten von Mogontiacum, eines von den Dingen, die ihm hier am meisten gefielen. Der Fluss brachte ihm Wasser, in großen Mengen, und Phaeneas liebte es auf die sich bewegenden Wassermassen zu schauen.
    Fröstelnd ging er weiter und versuchte sich an den letzten Tag zu erinnern, an dem man verdient von schönem Wetter hätte reden können. Natürlich übertrieb Phaeneas, als er sich betont spitzfindig auf die Suche nach dem ach so fernen Tag machte, aber genau das wollte der Sklave ja.
    Nun denn, der Sommer verabschiedete sich dieses Jahr auch schon wieder. Sommer, pf, Sommer, konnte man diese flüchtige Wärmeperiode überhaupt als Sommer bezeichnen? Eigentlich sollte man ja meinen, dass Phaeneas sich langsam daran gewöhnt hatte, nun wusste, wie es um die Jahreszeiten in Germania stand. Aber das wollte er allein schon nicht. Wenn er wollte, gewöhnte er sich an alles, wenn nicht, dann konnte man die Sache von vornherein vergessen, denn er war stur.
    Wasser, viel Wasser! Den Blick auf den Rhenus ging Phaeneas den Fluss entlang. Sattsehen konnte er sich an Wasser grundsätzlich nie. Egal ob aus der Nähe oder der Ferne, diese durchsichtige klare Flüssigkeit war immer Blickfang schlechthin.
    Ihm fiel ein Steg auf. Am Ende eine Gestalt, die der Bithynier nur insofern beachtete, dass er ein Stück vom Steg entfernt stehen blieb. Er betrachtete den Fluss vor sich, gebannt von dem, was seine Augen ihm offenbarten. In so einem Anblick konnte Phaeneas verstehen, was Crinon ihm gesagt hatte. Wenn die Weite so vor einem lag, der unendliche Fluss und die Ferne irgendwann alles verschluckte, sodass das Auge ab einer bestimmten Entfernung leer ausging. Wenn man nahezu glaubte die ganze Welt vor sich zu haben, unter dem Himmel von Mogontiacum, hier an diesem Fluss, am Rhenus.

    Obwohl Lucianus den Text nur schnell durchging, konnte man ihm beim Lesen die Überraschung ansehen.
    Dann wandte er sich Phaeneas zu; in Zusammenhang mit einer Formulierung, die er oft benutzte.


    „Du fragst so, als würde die Welt aus Notwendigkeit bestehen, Herr ...“, stellte er sinnierend und leicht schmunzelnd fest.


    Dann machte er ihm doch noch einen sehr vernünftigen Vorschlag, der die Nähe zur Notwendigkeit schlecht leugnen ließ:
    „Falls du wieder etwas von Mogontiacum hören willst ... Das heißt, sage einer in einer Provinzstadt sei nicht viel los ...“ Die Einschränkung zu ‚etwas’.

    Phaeneas verfolgte die Worte der Gattin seines Herrn immer irritierter. Das Lächeln passte so gar nicht zwischen die bedrohliche Miene und schließlich den gefrorenen Gesichtsausdruck. Nun gut, den Mittelteil kannte er ja schon; welche Einstellung sie zu den Germanen und Germania an sich hatte war ja bekannt.
    Schlussendlich gab sie Phaeneas auf, ihre eingekauften Sachen zu nehmen. Kommentarlos nahm er es dem Verkäufer ab. Im Haushalt musste man oft dieses und jenes hin- und hertragen, aber konkret für Einkäufe der Herrschaften war er noch nie hergenommen worden. Was nach Phaeneas’ Ansicht auch einen berechtigten Grund hatte: irgendetwas tragen konnte schließlich jeder.
    Als die Angetraute seines Herrn das Handelshaus verließ, folgte der Bithynier ihr und ihren Mädchen hinaus ...

    Ein Brief. Ein banaler Grund, der Phaeneas zu Lucianus lotste. Banal, für ihn, wusste er doch aus eigener Erfahrung tausend andere, teilweise spannendere Gründe dafür.


    Während des Weges hierher jedenfalls hatte sich Phaeneas’ Miene mehr und mehr aufgehellt. Zu Lucianus zu gehen war schließlich kein Grund ein missmutiges Gesicht zu machen.
    Seit letzter Zeit ging das jetzt so, dass Phaeneas Lucianus ein unbeschwerteres Gesicht zeigte.
    Und so kam es auch, dass er den Herrn mit einem freudigen Lächeln begrüßte. Es ließ die dunklen Augen leuchten, vertrieb die Kälte und ließ sie wärmer erscheinen.


    „Ein Brief“, ließ er, wie beiläufig, verlauten und reichte Lucianus die Schriftrolle.



    An Marcus Vinicius Lucianus
    Regia Legati Augusti pro Praetore
    Mogontiacum, Germania


    Salve, mein Bruder,


    lange schon hast du nichts mehr von mir gehört, was allerdings auch daran lag, daß es kaum etwas zu erzählen gab. Und doch vermute ich, daß du meine Neuigkeiten schon längst in der Acta gelesen hast, dennoch möchte ich dich persönlich unterrichten. Zum einen hat der Senat beschlossen, mich als Proconsul nach Hispania zu entsenden. Da etliche meiner Freunde und Parteigänger mich schon Wochen zuvor ordentlich bearbeitet haben, habe ich mich halt dazu bereit erklärt. Es ist allerdings schon sehr lange her, daß ich Rom für eine längere Zeit verlassen habe, vielleicht erklärt sich dadurch mein früherer Widerwille. Wie dem auch sei, ich werde - sobald ich all meine Angelegenheiten erledigt habe - in den nächsten Tagen nach Tarraco abreisen. Ich war ja schon einmal dort, nette Gegend, soweit ich mich erinnere. Meine Tochter und den Großteil des Haushaltes nehme ich natürlich mit. Zum anderen, auch das wirst du vermutlich schon aus der Acta wissen, habe ich mich endlich dazu entschließen können zu heiraten. Es ist eine Tochter von Licinius Calenus, du kennst ihn sicher. Hübsch ist sie, und nicht allzu jung, nicht, daß sie mir so wie Livia beim ersten Kind wegstirbt. Die Hochzeit wird dann in Tarraco stattfinden, ich weiß, daß es dir nicht möglich sein wird zu kommen. Solltest du es dennoch einrichten können, würde es mich freuen. Zum Schluß habe ich noch eine Nachricht, und die hast du sicher nicht aus der Acta. Vor ein paar Tagen kam ein Jüngling zu mir, der sich als Sohn von Marcellus ausgab. Er konnte seine Identität auch mit einem Ring beweisen. Es ist mir unerklärlich, warum Marcellus eine Heirat und ein Kind verheimlicht hat. Oder wusstest du davon? Sabinus heißt unser Neffe, und hat sozusagen gerade erst die Männertoga angelegt. Ich werde ihn auch mit nach Hispania nehmen. Ein adolescenter Junge allein in Rom, nein, er würde nur Unsinn anstellen. Dies waren im großen und ganzen die Neuigkeiten aus Rom. Ansonsten war es sehr ruhig in letzter Zeit. Der Kaiser ist noch immer nicht gesundet, was zu denken gibt, aber andernorts schon merkwürdige Blüten treibt. Neulich hörte ich von einem Ritter, der sein gesamtes Geld auf das frühe Ableben des Kaisers verwettet und - da der Kaiser ja noch immer lebt - verloren und daher Selbstmord begangen haben soll. Ob es stimmt, weiß ich nicht, die Geschichte ist aber dennoch amüsant. Ich hoffe, dir und deiner Frau geht es gut.


    Vale bene,
    M. Vinicius Hungaricus

    Dass Crinon zu reden anfing, war allein schon zu viel ... aus Phaeneas’ Ermessen heraus. Als Sklave tat man einfach, was ihm aufgetragen wurde, extra etwas zu erwidern war nun wirklich nicht nötig.


    Nur, bald begriff der Bithynier, was genau Crinon sagte.
    Wie Phaeneas das, was Crinon sagte, befand, darauf zu kommen war nicht schwer: frech war es, das der Gattin des Herrn einfach so ins Gesicht zu sagen. Zu versuchen auf diese Weise um diesen Dienst herumkommen - er mochte Recht haben, aber das zählte nicht, wenn sie sich in Gefahr bringen wollte, war das ihre Sache - , sich Gedanken zu machen und die noch laut auszusprechen.


    Er sagte ihr hier quasi seine Meinung, seine – persönliche – Meinung, und die lautete, dass ihm ihre Einkäufe nur hinderlich waren. Das war sehr frech, von Phaeneas aus gesehen, der bei der Gemahlin seines Herrn nur kuschte und ihr in allen Dingen bereitwillig gehorchte.


    Plunder ... das war hart - und direkt. Dazu diese Unschuldsmiene, die Verbeugung ...

    Es war ein verrücktes Gedankenspiel. Es war die Vorstellung, für eine, diesen Moment jemand anderes zu sein, einmal anders zu handeln als sonst. Alle Vernunft über Bord zu werfen und etwa so unsinniges zu tun, nur um des kurzen Spiels willen. Es wäre gefährlich
    und so naiv, aber für diesen Moment verlockend ...


    Als Phaeneas die Herrin sich über den Preis echauffieren hörte, gönnte er sich ein leichtes Lächeln, das unscheinbar über sein Gesicht glitt. Wenigstens sie reagierte vernünftig, wenn schon Phaeneas es nicht getan hätte.


    Nach ein wenig hin und her zwischen dem Verkäufer und der Ehefrau seine Herrn, einigten sich die beiden verhältnismäßig schnell. Gut ... das sollte es dann gewesen sein, nicht wahr?

    Immer intensiver standen Phaeneas die drei übrigen Kleider vor Augen. Sie verhandelten jetzt schon über diese eine Kette, während die Gattin seines Herrn die drei anderen Gewänder noch gar nicht einmal angehabt hatte. Man bemerkte den Stellenwert, den dieses Schmuckstück einnahm.
    Der Verkäufer hielt einen Vortrag über den Wert der Kette – die einzigen, die besser auftragen konnten, waren Sklavenhändler. Aber nein, die hatten in seinen Gedanken ja nichts verloren. Sklaven und Ketten, das war schließlich ein grundlegender Unterschied.
    Zurück zur Ausgangssituation. Und das war der Preis für den Schmuck.
    Wenn er jetzt Paulina wäre, würde er sagen, dass er etwas so billiges nicht kaufe. 8o
    Wie gut, dass er es nicht war. Denn ein Phaeneas wäre viel zu vernünftig, um mit Geld solche Spielchen zu treiben.

    Letztlich war Phaeneas sehr dankbar für die Worte des Verkäufers, denn er hatte ihm recht gegeben und somit seinen „Sinn“ für Schönheit und Mode bestätigt. Darüber hinaus sah Phaeneas großzügig darüber hinweg, dass er ihn jetzt erst unterstützte.
    Sofort kam die Überleitung zum Schmuck. Phaeneas dachte an die drei Gewänder, die noch in der Kabine lagen.
    Dann überlegte er weiter: Ob der Verkäufer für die wohl auch zu jedem ein passendes Schmuckstück hatte? Na ja, es wäre verwunderlich wenn nicht.

    Vorerst einmal atmete Phaeneas innerlich auf. Dann fuhr die Gattin seines Herrn fort. In Phaeneas kam mehr und mehr ein „Hilft mir denn niemand?“ auf. Der Verkäufer, konnte er nicht mit Preisungen auf das Gewand einfallen, in den höchsten Tönen darüber schwärmen, wie perfekt es ihre Schönheit zur Geltung brachte? Phaeneas wäre im Moment alles recht gewesen, aber nein, gerade dann wenn man diese Süßholzraspler brauchte, schwiegen sie.
    In Situationen, mit denen man nichts anfangen konnte und die einen möglicherweise verwirren könnten, war es das Beste nicht weiter darüber nachzudenken und einfach stur so fortzufahren, wie es die Situation akut erforderte.
    Er beobachtete ihre Bewegung, wie sie aus einer flüssigen Regung heraus ihre Körperhaltung änderte. Und so etwas dann noch in diesem Kleid!
    Phaeneas glaubte naiverweise, dass eine schöne Frau in jedem Kleidungsstück schön sein sollte, solange es nicht gerade direkt ein Fetzen war.
    „Ja, Herrin“, antwortete der Sklave fest, auf ihre möglicherweise rhetorische Frage. Doch wer wusste das schon?
    Zu sehr aufgetragen? Phaeneas dachte, gerade das wäre es gewesen, was sie gewollt hatte. Tja, und zu grell ... er verengte die Augen. Nein, der Bithynier befand nicht, dass irgendetwas an ihr übertrieben oder zu grell war. „Nein, Herrin, nichts davon“, gab er also bereitwillig Auskunft.

    Der Germane mit dem hellbraunen Haar, der mit ihnen unterwegs war, erzählte gerade vom letzten Mal Armdrücken in der Taberna Silva Nigra: „ .... da meldet sich doch glatt so `n junger Kerl, dem man die Schreibtischarbeit schon aus ein paar Meilen Entfernung ansah - inmitten von `ner Menge Kraftprotze, bei denen alle überzeugt waren, dass die die Sache unter sich ausmachen.“ Euselius hing gebannt an seinen Lippen, als er erzählte, wie der junge Bursche doch noch alle besiegt hatte.


    Es war nachmittags, die Sonne schien großzügig und Phaeneas war mit Euselius, dem schon genannten – freien – Germanen und einem relativ unscheinbaren Kerl, Sextus Macro – das Nomen gentile hatte Euselius Phaeneas gleich gar nicht genannt – unterwegs. Es waren alles Freunde von Euselius, auch in etwa das gleiche Alter, und Phaeneas’ Bekanntschaft hatte ihn dazu überredet, mit ihnen zusammen einen Streifzug durch die Stadt zu machen.
    Manchmal nahm der blonde Sklave - das Einverständnis des Bithyniers vorausgesetzt - Phaeneas kurzerhand mit, wenn er sich mit ein paar anderen traf und so war es nun gekommen, dass der sich inmitten dieser bunten Truppe befand. Phaeneas war alles, was über ein Gegenüber hinausging, zu viel, aber eine Gruppe von vier Leuten war immerhin gerade noch überschaubar.


    „Mensch, das hätt ich gern gesehen“, ergriff Macro das Wort. „Aber da war ich zu Hause eingespannt.“ Und ließ offen, womit.
    „Beim nächsten Mal hast du sicher Zeit!“, bekräftigte Euselius.
    „Na ja, aber dann wird sich mir wahrscheinlich kein Wettkampf mit solch einer Wende bieten ...“
    „Ach, beim nächsten Mal besiegst du sie alle“, warf Phaeneas ein. Macro warf ihm einen vernichtenden Blick zu und dann grinste er auch.


    Sie hielten sich bei ihrer Tour immer in Nähe des Stadtkerns. Gerade kamen sie an einem Haus vorbei, das sichtlich renoviert wurde. „Zur Zeit legt sich ja die halbe Beamtenschaft wieder irgendwo Häuser zu“, meinte der Germane mit Blick auf den vipsanischen Wohnsitz. :P


    Euselius schielte zu einem Mädchen rüber. In diesem Moment schlug der Germane mit dem hellbrauen Haar vor: „Am Forum – da ist was los, gehn `ma mal hin.“ Alle waren sofort dabei, bis auf einer – „Nein, ich muss nach Hause“, schüttelte Phaeneas den Kopf. „Mensch, Phaeneas, ein bisschen noch, das wird doch noch drin sein“, meinte Macro. Euselius, der dem Bithynier von den dreien noch am nächsten stand, versuchte ihn umzustimmen und legte ihm dazu in vertraulicher Geste den Arm um die Schulter. „Komm schon, Phaeneas. Nach diesem klasse Nachmittag wär es doch schade, wenn du jetzt einfach so verschwinden würdest.“ Der römische Bürger nickte bekräftigend. Eines musste man Euselius lassen, er wusste wann es Zeit war einen beruhigenderen Tonfall anzuschlagen. Aber er konnte nicht wissen, was Phaeneas gerade in diesem Moment vehement störte. Euselius’ Hand auf seiner Schulter.
    Phaeneas konnte derartige Übergriffe nicht ausstehen. Auch wenn es nichts weiter als eine freundschaftliche Geste war, befand er das nicht als Rechtfertigung dafür, dass alle Welt ihn einfach betatschen durfte. Seit damals, seit jenem, bestimmten Herrn hatte er einen großen Teil an Unbeschwertheit im Umgang mit anderen verloren und war seither bei fremden Berührungen empfindlich.
    Phaeneas machte sich von Euselius los und der blonde Sklave wurde sich seines Fehlers bewusst. Betreten zog er den Arm zurück. „Ich werde nicht mit zum Forum kommen“, wiederholte Phaeneas. „Es ist wirklich Zeit für mich zu gehen.“
    „Nun denn ...“, gab sich Euselius geschlagen. „Dann ziehen wir drei mal alleine los ...“, meinte er an die anderen gewandt.

    Phaeneas blickte auf, als erneut Worte im Raum standen.
    Warum sah die Ehefrau seines Herrn ihn an? Glaubte sie, er, Phaeneas, fand den Unterschied, ob sie jetzt dieses oder ein anderes Gewand trug? Jeder andere im Raum (na ja, Crinon war die einzige Ausnahme) konnte ihr ein besseres Urteil abliefern, egal ob ihre Sklavinnen – die in Anbetracht der Garderobe ihrer Herrin ja schon fast zwingend von Mode Ahnung haben mussten – oder der Verkäufer, der ja von Berufs wegen mit Damenbekleidung zu tun hatte. Nur eine Parallele gab es zwischen dem Verkäufer und dem Bithynier, nämlich dass von beiden eher schwer etwas negatives zu erwarten war. Von ersterem nicht, weil er ja seine Waren verkaufen wollte, und von Phaeneas nicht, weil ein Sklave seiner Herrin nicht sein Missfallen ins Gesicht sagte – erst recht nicht vor den Augen Fremder.
    Phaeneas betrachtete sie. Figurbetonend, nun das war es wirklich, das rote Seidenkleid – und in der Öffentlichkeit unmöglich zu tragen.


    „Es erzielt genau die Wirkung, die du beabsichtigt hast, Herrin“, äußerte Phaeneas.
    Eine praktische Bemerkung, denn es war weder erheuchelt noch Schmeichelei. Sprich, durch und durch ehrlich.


    Sim-Off:

    Edit: Rechtschreibfehler