Phaeneas kam gerade von einem Ausflug in die Stadt zurück und schritt zielstrebig durchs Atrium, dabei üblich eilenden Schritts, als ihm seitlich eine Katze entgegen kam, geschmeidig, flink, und Phaeneas aus grünen Augen betrachtete. Der junge Bithynier hielt sofort inne und drehte sich zu ihr um. Langsam kam sie näher.
Die schwarz-braun gefleckte Katze hatte sich vor ein paar Tagen in die Domus eingeschlichen und seitdem für viel Entzücken gesorgt. Phaeneas war in letzter Zeit schon öfter in einen Raum gekommen und hatte sämtliche dort beschäftigten Sklaven am Boden und um die Katze herumsitzend vorgefunden. Aber langsam normalisierte sich die Lage von selber wieder. So hatten nun alle etwas von der Katze, zum einen kümmerte sie sich um die Mäuse, die sämtliche Vorratskammern terrorisierten, zum anderen hatten die Sklavenkinder nach wie vor ihre Freude an ihr.
Bisher hatte sich Phaeneas bezüglich der Katze zurückgehalten; er mochte es nicht, sich zusammen mit etlichen anderen auf etwas zu stürzen. Nun, nachdem sich der erste Trubel gelegt hatte, konnte er sich ihr ausführlicher widmen. Katzen faszinierten ihn; mit ihren glitzernden grünen Augen schienen sie direkt durch einen hindurchzusehen. Vielleicht, so überlegte Phaeneas weiter, konnten sie sogar Gedanken lesen – oder direkt in die Seele blicken. Verrückt, auf welche Gedanken man kommen konnte! Aber es gab nichts, was Phaeneas lieber tat als Überlegungen spinnen, auch wenn es verrückte waren. Und – war nicht alles erlaubt, wenn man über die Welt nachsinnierte, über all die Dinge, die man nicht wusste? Wie sonst sollte man der Welt etwas Neues entlocken, wenn man nicht Spekulationen über sie anstellte und es einmal wagte ganz neue Gedanken über etwas zu fassen, solche, an die sich bisher niemand herangewagt hatte.
Luna, der Mond, so hatten die Sklavenkinder die Katze prompt genannt. Phaeneas wusste zwar nicht recht, wie man von einer Katze auf den Mond kam, aber gut.
Jedenfalls musste die Katze jetzt an ihren neuen Namen gewöhnt werden. Aber halt – während er darüber nachdachte, kamen ihm Bedenken. Sie konnten doch dieser Katze nicht einfach einen neuen Namen verpassen. Bestimmt hatte sie schon einen, einen, mit dem andere Katzen sie riefen.
Ein anderer würde an so einer Stelle denken, dass eine Katze solche Sentimentalität doch nicht wert war - es war ja nur eine Katze. Doch drückte man Sklaven nicht auch einfach einen neuen Namen auf und nahm ihnen damit ihre Identität? Es waren ja schließlich nur Sklaven.
Das war der Punkt, den Phaeneas nicht einfach so abtun konnte - und ob Katze oder etwas anderes, niemand hatte seiner Ansicht nach so etwas verdient.
Er streckte die Hand aus und ging dabei in die Hocke. In der Hand hielt er einen kleinen Leckerbissen. „Luna!“, lockte er. „Komm her!“ Während die Katze ihm die Leckerei von den Fingern aß, sprach er leise mit ihr: „Luna, das ist so etwas wie ein Spitzname für dich. Damit rufen wir dich, das ist alles. Ansonsten braucht es dich nicht zu kümmern.“ Sie rieb ihren Kopf an Phaeneas’ Knie und schnurrte, worauf er ihr die Ohren kraulte. Es gab noch einen weiteren Grund, warum Phaeneas Katzen mochte:
Katzen kennen keine Vorurteile und keine Unterschiede zwischen den Menschen, Hauptsache eine streichelnde Hand kümmert sich um sie.