Beiträge von Aurelia Prisca

    Freude und Erleichterung erfüllten Prisca nun, da alles wieder in Ordnung war. Die Freude resultierte zum einen daraus, dass es eine Erklärung für das seltsame Verhalten ihres Sklaven gab. Zum anderen wahr Prisca sehr froh darüber, dass Lyciscus nicht fort gegangen war, obwohl er ein zweites Mal die Möglichkeit dazu gehabt hatte. Er war geblieben und hatte damit freiwillig das Dasein als Sklave gewählt. Aber nicht nur das! Lyciscus bereute aus tiefsten Herzen sein Verhalten - wie er nochmals glaubhaft versicherte. Daran zweifelte Prisca keinen Augenblick mehr und sie spürte, dass ihr verloren geglaubtes Vertrauen in ihren Leibwächter endlich zurück gekehrt war.


    Erleichtert war Prisca wiederum, dass sie in einem Punkt recht behalten hatte: Wenn etwas zerstört wird, dann soll man daran nicht verzweifeln sondern vielmehr die Chance nutzen um aus den Trümmern etwas neues und beständigeres aufzubauen Das war in Priscas Augen gerade geschehen und darauf vertraute sie. Die negativen Erinnerungen an Antium würden bald schon verblassen und zurück würden nur die schönen Erinnerungen bleiben. Und wer weiß, vielleicht gäbe es ja bald schon die Möglichkeit daran anzuknüpfen, bei einer weiteren Reise nach Antium. Ja, Prisca dachte ernsthaft darüber nach bald wieder dorthin zu reisen, um die Renovierungsarbeit vor Ort höchstpersönlich zu beaufsichtigen. Von ihren Reiseplänen erzählte Prisca aber noch nichts, denn zuerst galt es eine letzte Sache zu vollenden.


    In dem Augenblick ergriff Lyciscus ihre Hände und Prisca konnte ein angenehmes Kribbeln unter der Haus spüren als sein inniger Blick sie traf. Zwar konnte Prisca keine Gedanken lesen, aber sie glaubte zu spüren wie es ihn innerlich drängte, sie einfach näher an sich heran zu ziehen und zum Dank für das Geschenk und für ihre "Vergebung" zu umarmen. Damit hätte Lyciscus natürlich ein absolutes Tabu gebrochen. Allein schon das unaufgeforderte Ergreifen, Halten und Streicheln ihrer Hände wäre ihm eigentlich nicht gestattet da es Sklaven selbstverständlich verboten war die Herrschaften ohne Erlaubnis zu berühren. Üblicherweise durften das nur die Leibsklaven wenn sie ihre zugedachten Aufgaben erfüllten, wie zum Beispiel im Bad oder beim anziehen.


    Prisca war ihren Sklaven aber weder böse noch zog sie ihre Hände zurück und sie dachte gar nicht daran ihn zurecht zu weisen. Vielmehr genoss sie es, als Lyciscus sanft ihren Handrücken streichelte während er sprach. Sein größtes Geschenk war also mein Lächeln am Strand gewesen? Seine Worte zauberten ein ehrliches und offenes Lächeln auf Prisca´s Lippen, in Erinnerung an die schöne Zeit am Strand: "Ja, ich hatte sehr viel Spaß an diesem Tag, so ganz fern von allen Zwängen … und ich habe die Zeit und den Wettkampf mit dir sehr genossen", bestätigte Prisca nickend: "Aber egal, ob nur zum Spaß, oder nicht, … es ging um Sieg oder Niederlage … und wichtig dabei ist, dass man beides mit Würde und Anstand ertragen kann.", hier hatte Prisca so ihre Prinzipien und sie war nun Mal sehr ehrgeizig, wenn es um´s Gewinnen ging (insbesondere wenn sie sich mit Männern maß). "Ich hätte nicht schummeln dürfen. Deshalb habe ich diesen Lorbeerkranz für dich gemacht. Zum Zeichen meiner Anerkennung deines Sieges!"


    Mit diesen Worten hob Prisca den Kranz hoch, platzierte ihn vorsichtig auf dem Haupt des Thrakers und rückte ihn zurecht, indem sie mit den Fingern die Haare ein wenig zurecht strich: "Für uns Römer ist das eine sehr hohe Auszeichnung. Sieger und selbst Imperatoren tragen diese Kränze als Zeichen ihres Triumphes. Deshalb solltest du ihn besser nicht in der Öffentlichkeit tragen, denn nicht jedem Römer mag es gefallen, wenn ein solches Statussymbol das Haupt eines Sklaven ziert., erklärte Prisca derweil augenzwinkernd. Als der Kranz endlich perfekt saß, strichen ihre Finger wie zufällig über seine Wangen als sie einen Schritt zurück trat um ihr "Werk" zu betrachten: "Er steht dir sehr gut! … Und wie es sich für den Sieger gebührt, hast du nun einen Wunsch frei!" Prisca war froh, dass alles zu einem guten Ende gefunden hatte und eine kleine Belohnung hielt sie durchaus für angebracht nach all dem Trubel ...

    In den letzten Tagen hatte Prisca sehr viel nachgedacht, aber auch sehr viel geredet. Mit Mara, ihrer Leibsklavin, die ihr sozusagen bei der "Aufarbeitung" der Erlebnisse von Antium behilflich gewesen war. Der Vorfall mit dem Verwalter hätte an sich ja schon genug Gesprächsstoff gereicht, aber darum ging es Prisca gar nicht. Vielmehr hatte es sie beschäftige, dass ihr Leibwächter sich aus heiterem Himmel wie ein Verrückter aufgeführt hatte. Wie ist er nur auf diese absurde Idee gekommen? Diese Frage hatte Prisca immer und immer wieder gestellt. Und immer wieder hatte Mara darauf entgegnet, dass es eben vorkommen konnte, dass die Augen und Ohren dem Verstand einen Streich spielten. Das war an sich nicht ungewöhnlich und das konnte Mara auch mit verschiedensten Beispielen unterlegen: Eine Fatamorgana zum Beispiel, bei der man in der flirrenden Hitze der Sonne plötzlich Dinge am Horizont zu sehen glaubte, die gar nicht da waren. Oder im Opiumrausch! Wenn die Realität einer bunten Märchenwelt glich und man glaubte, sich ganz und gar seinen Phantasien hingeben zu können. Nicht selten kam danach die Ernüchterung, wenn nicht gar ein "böses Erwachen" ohne sich daran erinnern zu können, was genau eigentlich vorgefallen war. Jener "Zustand" war Prisca nur zu gut bekannt, schließlich probierte sie selbst gerne diese bewusstseinserweiternden Mittelchen aus (insbesondere wenn sie mal wieder schlechte Laune hatte).


    War also die Sonne der Grund für das "verrückte Handeln" ihres Leibwächters gewesen? Das hatte Prisca ja bereits angenommen, aber so ganz überzeugt war sie nicht. Und Drogen? Nein, wann hätte Lyciscus die denn nehmen sollen? Prisca war doch die ganze Zeit über bei ihm gewesen! Die ganze Zeit? Nicht ganz! Zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, als Lyciscus beim brennenden Anwesen auf den "verrückten" Verwalter getroffen war. Ja genau da! Als es brannte und das ganze Haus voller Qualm und Rauch gewesen war Und hatte sich nicht auch Azita sehr seltsam verhalten, als sie sich wie eine "Verrückte" auf den Verwalter stürzen wollte?


    Prisca war sehr überrascht als Mara ihr davon erzählte und mehr noch angesichts der plausiblen Erklärung, welche die junge Griechin ihr lieferte: In dem Qualm und Rauch musste irgendetwas gewesen sein. Ein im Feuer gelöstes Opiat, welches durch das Einatmen Halluzinationen hervor rief. Hatte nicht die Sklavin selbst erzählt, dass der Verwalter sich immer seltsamer benommen hat? So als stünde er unter Drogen? Das passt zusammen und wahrscheinlich hatte Varro irgendein Pulver in das Feuer gestreut! So muss es gewesen sein! Denn genau bei den Dreien, die im Haus gewesen waren als es brannte, traten Anzeichen von "Irrsinn" auf - dem Verwalter, Azita und eben Lyciscus. Bei dem Thraker hatte die Droge nur etwas später gewirkt, weil er nicht so lange dem Rauch ausgesetzt war und zudem sein Körper stärker war und was dann geschah, hatte Prisca ja selbst gesehen und gehört.


    Mara hatte Prisca absolut überzeugt. Zumindest hatte sich Lyciscus danach nicht mehr sonderbar verhalten. Und die Sklavin? Nun, die hatte Prisca bis dato hier noch nicht zu Gesicht bekommen. Den Aussagen der anderen Sklaven nach, musste sich die Perserin aber bislang völlig unauffällig verhalten haben. Blieb noch der Verwalter übrig. War Varro am Ende auch wieder bei klarem Verstand? Das bliebe noch zu klären, sobald Prisca Kenntnis über den Verbleib des Alten hatte. Aber darum wollte sie sich später kümmern. Zuerst wollte Prisca mit Lyciscus reden. Um ehrlich zu sein hatte sie Angst, dass er ihrem Befehl zufolge wirklich gehen würde. Für immer! Das wollte Prisca auf keinen Fall riskieren und so schickte sie sofort den Sklavenjungen zu Lyciscus Kammer. Gleichzeitig sollte Mara sich auf die Suche nach Azita machen, wo auch immer die Perserin gerade stecken mochte.


    In der Zwischenzeit machte es sich Prisca im Garten auf der Kline bequem. An jener Stelle, wo sie bereits einmal voller Ungeduld und Hoffnung auf die Rückkehr ihres Leibwächters gewartet hatte. Um ihre Gedanken abzulenken, vollendete Prisca den Lorbeerkranz und als sie damit fertig war, überfiel sie plötzlich eine starke Müdigkeit. Kein Wunder, nachdem sie tagelang kaum geschlafen hatte. Nur ein bisschen die Augen zu machen, bis Lyciscus da ist, dachte Prisca als ihre Augenlider schwer wie Blei wurden und ehe sie sich versah, war sie bereits tief und fest eingeschlafen. Wie lange sie schlafend da lag, wusste Prisca nicht. Erst als sie eine sanfte Berührung spürte und die Stimme des Thrakers ganz nah an ihrem Ohr vernahm, kehrte ihr Bewusstsein langsam wieder zurück.


    Prisca streckte Arme und Beine genüsslich räkelnd von sich. Dann drehte sie sich langsam von einer Seite auf die Andere und öffnete die Augen. Ihr erster Blick fiel auf den Korbsessel, wo Lyciscus saß und ihr anscheinend schon länger beim schlafen zugesehen hatte. Zumindest vermutete Prisca das in dem Moment als sie in seine Augen blickte und diese wie fixiert auf sie wirkten. Die Freude darüber, dass Lyciscus hier war und er nicht fort gegangen war, ließ spontan ihre Mundwinkel nach oben zucken während ihre Augen weiter in den Seinen ruhten.


    "Ich freue mich, dass du da bist …", kam es leise über Prisca´s Lippen und ein weiteres Lächeln folgte. Die Worte und das Lächeln waren ehrlich gemeint, auch wenn sie vielleicht überraschend kamen. Prisca hatte lange überlegt, wie sie sich Lyciscus gegenüber nun verhalten sollte - wie sie quasi einen "Neuanfang" zwischen ihnen schaffen konnte. Hierzu hatte ihr Mara leider keinen Tipp mit gegeben. Natürlich hätte Prisca nun gleich wieder die strenge Herrin spielen können, die ihrem Sklaven zwar verziehen hatte aber immer noch sauer auf ihn war. Sie hätte Lyciscus auch nur beiläufig mitteilen können, dass er seine alten Aufgaben sofort zurück bekäme und damit die Sache erledigt wäre. Aber wäre damit die neue Basis für ein gegenseitiges Vertrauen geschaffen? Prisca bezweifelte das. Andererseits - was durfte ein "einfacher" Sklave schon großartig von seiner Herrschaft erwarten? Etwa eine Entschuldigung?


    Obwohl er "nur" ein Sklave war, hatte Lyciscus durchaus einen besonderen Platz in ihrem Leben eingenommen. Er war ihr ständiger Begleiter, dem sie ihr Leben anvertraute und womöglich würde er irgendwann sein Leben für sie opfern. Lyciscus hatte also mehr verdient als manch anderer "einfacher" Sklave und deshalb tat Prisca nun das, was ihr Herz ihr befahl. Einmal atmete Prisca tief durch und dann erhob sie sich von der Kline. Mit zwei Schritten war sie bei dem Tisch mit dem Lorbeerkranz, den sie aufhob und zwischen ihren Fingern drehte während sie folgende Worte suchte und fand:


    "Lyciscus, … als du mir in Antium gesagt hast wie leid es dir tut und, dass du dein Handeln selbst nicht erklären kannst, da … da habe ich dir nicht geglaubt …"Prisca schluckte, denn es fiel ihr nicht leicht ihren Fehler zuzugeben. Aber sie fühlte sich augenblicklich besser und so sprach sie weiter: "Ich war wütend, enttäuscht und fühlte mich verletzt … Aber ich habe mich wohl getäuscht. Nachdem Mara mir erzählt hat, dass auch Azita sich wie eine Irre aufgeführt hat ist mir klar geworden, dass das alles kein Zufall sein kann. … Du, der Verwalter und sie, … ihr habt wahrscheinlich in dem Rauch etwas eingeatmet das eure Sinne völlig vernebelt hat. Deshalb habt ihr diese absurden Dinge getan." Mit dieser Erklärung konnte (und wollte) Prisca gut leben und mal ganz ehrlich: Wer konnte schon mit Sicherheit sagen, dass das nicht am Ende gar der Wahrheit entsprach? Prisca erwartete jedenfalls keinen Widerspruch und daher sprach sie direkt weiter:


    "Ich … ich wollte dir das schon in Antium geben. Ich habe ihn gemacht zum Zeichen der Anerkennung für deinen Sieg und … weil ich doch geschummelt habe." Mit etwas zittrigen Händen und einem unsicher wirkendem Lächeln hob Prisca den Kranz hoch und zeigte ihn Lyciscus …

    Ja, Mara kannte die Herrin lange und gut genug, um zu wissen was sie tat. Deshalb blickte die junge Griechin zuversichtlich in Lyciscus´ Augen als dieser ihr nochmals für ihre Hilfe dankte. Anschließend begab sie sich zu ihrer Herrin und ab diesem Zeitpunkt bekamen weder Lyciscus noch die übrigen Seeleute die beiden Frauen mehr zu Gesicht. Lediglich nach der Ankunft in Ostia sah man die beiden kurz, wie sie das Schiff verliesen und in einen bereitstehenden Reisewagen umstiegen, um darin das letzte Stück bis Rom zu fahren. Vom Stadttor aus ging es dann in der Sänfte weiter bis vor die Haustüre und schließlich verschwand die Aurelia, gemeinsam mit Mara, in ihrem cubiculum. Dort blieb die junge Griechin die ganze Nacht und auch den folgenden Tag über wich Mara kaum von der Seite der Aurelia. Was die beiden Frauen die ganze Zeit über mit einander besprachen oder sonst taten, bliebe wohl für immer ein Geheimnis. Niemand bekam die Aurelia so recht zu Gesicht. Weder Lyciscus, noch die anderen Hausbewohner (selbst diese Azita ließ die Herrin nicht rufen und das, obwohl die Sklavin ja mit einem Auftrag hierher nach Rom gekommen war).


    Am Morgen des zweiten Tages war es dann soweit. Ein kleiner Sklavenjunge rannte durchs Haus, auf der Suche nach Lyciscus um ihm zu sagen, dass seine Herrin im Garten auf ihn wartete. War es Zufall oder Absicht, dass es genau die selbe Stelle war wie damals?


    Mara hätte es vielleicht sagen können, doch an diesem Morgen war die junge Griechin nirgendwo zu finden. Angeblich hatte die Herrin sie zum Markt geschickt, doch so genau wusste das niemand von den Sklaven. Ebenfalls Zufall, oder Absicht?


    In jedem Fall würde Lyciscus die Aurelia an besagter Stelle vor finden. Auf einer Kline liegend, mit geschlossenen Augen und dem Anschein nach schlafend. Neben der Kline stand ein Korbsessel und daneben wiederum ein kleiner Tisch, auf dem eine Obstschale, ein Krug mit Wasser und zwei Becher drapiert worden waren. Aber noch ein weiterer Gegenstand lag auf dem Tisch bereit. Auf den ersten Blick mochte es wie ein simpler Dekorationsgegenstand wirken, doch bei näherer Betrachtung würde es sich als ein (fertig geflochtener) Lorbeerkranz herausstellen …

    Die Herrin wollte Lyciscus also wegschicken, ihn gehen lassen, damit er seine Entscheidung treffen konnte. Zum zweiten Mal! Wann bekam ein Sklave schon eine solche Chance selbst zu enscheiden: Freiheit oder Sklaverei? Eigentlich wäre es DIE Gelegenheit, also was gäbe es da lange zu überlegen? Tja, so einfach war das wohl auch nicht, oder? Mara glaubte durchaus nachvollziehen zu können, weshalb Lyciscus deswegen so verzweifelt erschien. Wäre sie an seiner Stelle und die Herrin würde sie einfach wegschicken, dann wäre Mara - ehrlich gesagt - mehr als verzweifelt! Wohin sollte sie auch gehen und welchen Zweck hätte ihr Leben noch? Wer würde sie beschützen? Wahrscheinlich würde sie irgendwo in der Gosse landen oder an noch schlimmeren Orten, an die Mara gar nicht denken wollte. Im Gegensatz dazu erschien ihr das Leben als Sklavin weitaus weniger schrecklich. Sie bekam saubere und gute Kleidung, täglich zu essen und sie lebte in einem beschützten Haus! Sich dafür täglich den Launen der Herrin unterwerfen zu müssen war für Mara jedenfalls das weitaus kleinere Übel. Und die Strafen? Nun, in dieser Beziehung hatte Mara noch nie ernsthaft fürchten müssen, geschlagen oder gar ausgepeitscht zu werden. Ab und an warf die Aurelia mal einen Gegenstand nach ihr, aber das kam selten vor und das war´s auch schon.

    Nun konnte Mara ihr Leben natürlich nicht mit dem von Lyciscus vergleichen. Er war ein in Freiheit geborener Mann, der stark war und der sich mit Sicherheit besser zu helfen wusste, als sie. Oder etwa nicht? Irgendwie hatte Mara aber den Eindruck, dass auch Lyciscus das Leben als Sklave dem Leben in Freiheit vorzog, vielleicht aus dem einen Grund, dass nichts und niemand mehr dort draußen auf ihn wartete. Spätestens als Mara aber sah, wie Lyciscus vor ihr auf die Knie ging und er ihr mit einem Handkuss für ihre Hilfe danke, war sie sich sicher, dass er nicht gehen wollte. Gleichzeitig spürte die junge Griechin ihre Wangen nun richtig glühen während sie die Stelle auf ihrem Handrücken einen Moment lang versonnen betrachtete.


    "Es wird bestimmt klappen … und ich mach das gerne für dich, Lyciscus", lächelte Mara dem Thraker immer noch leicht verlegen zu, wobei ihre Augen zuversichtlich strahlten: "Ich werde am besten gleich zur Herrin gehen. Wenn ich sie frisiere ist immer ein günstiger Zeitpunkt. Da muss sie still halten und ist meistens in Plauderlaune. … Und auf der Fahrt von Ostia nach Rom wird ebenfalls genügend Zeit zum Reden sein. … Du hältst dich am besten im Hintergrund und wartest, bis sie dich rufen lässt. Es wird vielleicht ein, zwei Tage dauern, aber du darfst nicht ungeduldig werden, ja? …Vertrau mir!", verriet Mara ihren Plan und wie sie vorgehen wollte. Es war sicher viel verlangt, dass er ihr vertrauen sollte aber Mara kannte die Herrin und sie wusste, dass die Aurelia spätestens bis zur Ankunft in Rom umgestimmt wäre. Nur würde sie natürlich nicht sofort auf Lyciscus zugehen, sondern ihn bei einer passenderen Gelegenheit rufen lassen und das könnte durchaus noch ein bisschen dauern.


    Mit diesen Worten erhob sich Mara und sie blickte Lyciscus noch einmal lächelnd und aufmunternd an. Sollte Lyciscus die Chance auf seine Freiheit in letzter Sekunde doch dem Dasein als Sklave vorziehen wollen, so hätte er jetzt die Gelegenheit sie noch aufzuhalten. Ansonsten würde Mara tun was sie versprochen hatte und das Schicksal nähme seinen Lauf … so oder so …

    Zeit zum reden hatten Sklaven wirklich nicht oft, da musste Mara Lyciscus recht geben: "Stimmt! … Wenn wir erst wieder in Rom sind, haben wir mit Sicherheit weniger Zeit wie hier auf dem Schiff. Hier können wir ja nicht viel tun, außer herum sitzen und warten", vollendete Mara seinen Satz in dem Glauben Lyciscus hatte damit die Zeit gemeint. Damit wich auch der fragende Blick aus Mara´s Gesicht und sie wandte sich wieder den beiden Händen des Trakers zu, die es noch zu verbinden galt. Nebenbei hörte sie aufmerksam zu, was Lyciscus von dem gestrigen Tag zu erzählen wusste, denn seiner Variante würde sie am meisten Vertrauen schenken. Die Seeleute hatten zwar ungefähr das Gleiche erzählt aber, dass die Sklavin auf den Verwalter losgehen wollte, war neu für Mara. Das hatten die Seeleute wohl nicht mitbekommen, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren und diese Azita hatte überhaupt nichts gesagt und war nur ganz geschäftig um den ohnmächtigen Verwalter herum geschwänzelt. Das war Mara aufgefallen und etwas seltsam vorgekommen, doch weiter hatte sie nicht darüber nachgedacht.


    "Naja, auch Verwirrte können gefährlich sein und du musstest schnell handeln. Schließlich ist es deine Aufgabe jede Gefahr von unserer Herrin abzuwenden. Da darfst du nicht zimperlich sein, auch wenn dein Gegner dabei ernsthaft verletzt wird. … Besser es trifft ihn als dich. Von wegen armer Kerl! ", verteidigte Mara die Vorgehensweise von Lyciscus und zuckte nur mit den Schultern, als dieser sich sorgen um den verrückten Verwalter machte. So wie Mara dies sagte und ihm dabei aufmunternd zu lächelte war ihr durchaus anzumerken, dass sie sich um Lyciscus sehr sorgte.


    Verrückt! Ja das schienen tatsächlich alle geworden zu sein. Mara stand die Verwunderung buchstäblich ins Gesicht geschrieben als sie weiter zu hörte: "Und diese Azita wollte tatsächlich den Verwalter angreifen? … Na die hat Nerven. Ich wäre wahrscheinlich nur dagestanden und hätte vor Angst gezittert", kommentierte Mara kopfschüttelnd die Aktion der Perserin, denn selbst würde sie nie so mutig handeln. Richtig groß wurden ihre rehbraunen Augen allerdings erst bei der abschließenden Beichte des Thrakers. "Du dachtest … sie wolle dich vergiften?", hauchte Mara nur und mehr fiel ihr dazu im ersten Moment nicht ein. Wie die Herrin darauf reagiert hat, konnte sich die junge Griechin gut vorstellen, schließlich hatte sie noch mitbekommen wie die Aurelia wütend zum Reisewagen marschiert ist. Oh weh! Durchaus verständlich, dass Lyciscus etwas verzweifelt war.


    Ehe Mara weiter darüber nachdenken konne, hatte Lyciscus sie schon hoch gehoben und zurück auf das Bett gesetzt. Irgendwie fand Mara das süß, dass Lyciscus das so selbstverständlich tat. Schon im atrium hatte er sie herum gehoben und immer wieder nannte er sie "Liebste" … Jetzt hatte es Lyciscus endlich geschafft, dass ihre Wangen eine leichte Färbung bekamen und wie so oft fuhr Mara mit der Hand durch ihr strubbeliges Haar, auf der vergeblichen Suche nach einer Strähne, die sie zur Seite wischen könnte.


    "Nein …bleib, bitte! Und lass uns reden. …Wir müssen uns etwas überlegen, damit unsere Herrin nicht mehr sauer auf dich ist", wisperte Mara und schnell lenkte sie ihre Gedanken ab, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Was konnten sie also tun und vor allem: Wie könnte sie Lyciscus helfen?! Mara wollte helfen und sie tat es gerne, denn sie mochte den Thraker. Er war viel netter als die Leibwächter vor ihm und in seiner Nähe fühlte auch sie sich beschützt. "Ich weiß was! Ich werde nachher mit unserer Herrin reden, wenn ich ihr beim ankleiden und frisieren helfe. Ich werde ihr erklären, dass es nach so einem seltsamen Ereignis wie mit dem Verrückten schonmal vorkommen kann, dass man für kurze Zeit selbst wirre Dinge zu sehen glaubt. Vertrau mir! Sie wird mir bestimmt glauben." Mara war fest davon überzeugt, denn sie kannte die Aurelia nun schon eine geraume Zeit und sie wusste, dass unter der harten Schale der Herrin eigentlich ein weicher Kern saß.

    Wäre Mara in dem Moment hellwach gewesen, hätte die Bemerkung über ihren "schönen Körper" mit Sicherheit ein zartes Rot auf ihre Wangen gezaubert. So aber ging das Gesagte leider unter, oder eigentlich zum Glück, denn Komplimente war Mara überhaupt nicht gewohnt. Es war zwar nicht so, dass Mara keine Komplimente mochte, nur fühlte sich die junge Griechin dadurch jedes Mal in den Mittelpunkt gerückt und herausgerissen aus ihrem gewohnten unscheinbaren Sklavendasein, welches die meiste Zeit aus dienen, gehorchen und funktionieren bestand. Daran war Mara gewohnt und nach all den Jahren machte es ihr auch nichts mehr aus, dass sie nur als eine Sklavin (unter vielen) wahrgenommen wurde und nicht als Frau. Naja, nicht ganz. Manchmal war Mara schon sehr traurig darüber, aber sie hatte gelernt ihre Gefühle für sich zu behalten.


    So wie jetzt, da Mara mit dem Wechseln der Verbände beschäftigt war! Wieder erfüllte sie (nur) ihre Funktion, wobei sie das bei Lyciscus natürlich sehr gerne tat. Mara fand den Thraker sehr sympathisch und deshalb prüfte sie sehr gewissenhaft die Verletzungen, nachdem sie seine Hände von den Verbänden befreit hatte. Was er mit seinen Händen großartiges anstellen sollte? So ein Schelm! Als ob sie ihm das erklären müsste …


    Eine passende Antwort lag Mara bereits auf der Zunge, doch da überraschte Lyciscus sie mit einer Frage, mit der sie gar nicht gerechnet hatte. Welchen Eindruck sie von ihm hätte und ob er seine Aufgabe als Leibwächter gut mache? Hatte das etwas mit den gestrigen Ereignissen auf dem Landsitz zu tun? Verwirrt und fragend blickte Mara hoch zu Lyciscus. Da sie persönlich nicht mit dabei gewesen war, kannte Mara nur die Version der Seeleute (also nur das von dem Verwalter). Aber Mara hatte das Gefühl, dass da noch etwas anderes vorgefallen sein musste. Kurz vor ihrer Ankunft (auf der Terrasse) - aber danach hatte sie Lyciscus ja nicht fragen dürfen. Und nun?


    "Ehm, warum fragst du mich das ausgerechnet jetzt?", kam Mara nicht umhin diese Gegenfrage ihrer Antwort voran zustellen:"Ich …ich finde dich sehr nett und sehr hilfsbereit, Lyciscus. … Und ich denke schon, dass du deine Aufgabe als Leibwächter sehr gut machst … ", davon war Mara sogar überzeugt, denn:"denn die Herrin hatte - vor dir - immer mindestens 12 Leibwächter auf ihren Ausflügen mit dabei, von denen sie aber keinem so richtig vertraut hat. Das hat sie mir gegenüber öfters erwähnt … und hast du nicht gestern erst bewiesen, dass du unsere Herrin beschützen kannst, vor diesem Verrückten, der den ganzen Landsitz abfackeln wollte? Mit einem deutlichen Nicken bekräftigte Mara ihre Worte, während ihr Gesichtsausdruck immer noch leichte Verwirrung signalisierte.

    "Ehm, ja … ja, ich hab seeeeehr gut geschlafen *gähn*… und du? … ach so, ja, der Verband … *gähn* mmh, ja stimmt, wollte ich wechseln… *gähn*" Noch völlig schlaftrunken und gähnend starrte Mara auf seine Hände, die Lyciscus vor ihren Augen herum schwenkte. Ein Schmunzeln huschte über Mara´s Lippen, welches aber prompt wieder verschwand als sie mit der Hand durch ihre verwuschelte Kurzhaarfrisur strich. Kein langes Haar mehr da! " Oh! Wo sind denn meine schönen langen Haare hin?", murmelte Mara enttäuscht auf ihre Hand blickend, ehe sie gleichgültig mit den Schultern zuckte und nochmal ausgiebig gähnte. Zeit zum Aufstehen, hatte Lyciscus gesagt. Und Umkleiden sollte sie sich auch noch. Sollte er bleiben oder gehen? Stirnrunzelnd blickte Mara zu Lyciscus und sie wunderte sich, warum er sie das fragte und ihr dabei grinsend zuzwinkerte. Da ihr Verstand immer noch im Aufwachmodus war dauerte es noch bis Mara begriff, dass sie ja nur ihren dünnen Chiton trug. Und dieser war vom herumwälzen im Schlaf obenherum etwas verrutscht und bot somit einen tieferen Einblick als sonst üblich.


    "Ups …" Wo war denn nur die schützende Decke, wenn man sie einmal brauchte? Schnell richtete Mara ihr Gewand mit flinken Fingern wieder zurecht, doch wenn Lyciscus nun geglaubt hatte sie würde vor Scham im Boden versinken, dann hätte er sich getäuscht. "Schon in Ordnung. Du darfst bleiben … Sofern du brav da sitzen bleibst und deine Hände schön bei dir behältst", entgegnete Mara dem Thraker nun ebenfalls grinsend und augenzwinkernd. Noch einmal streckte sich Mara genüsslich, um die letzte Müdigkeit aus ihrem Körper zu vertreiben, dann stand sie auf und ging zu einer Kiste, auf der eine Schüssel und ein Krug mit Wasser stand.


    Mara goss etwas Wasser in die Schüssel und schöpfte dieses mit beiden Händen sogleich wieder heraus, um damit ihr Gesicht zu benetzen. Das musste vorerst reichen. Ausgiebig waschen und anziehen konnte sie sich auch noch später. Auf der Kiste lag des Weiteren ein kleiner Beutel, in dem Mara die Salben und Verbände für Notfälle aufbewahrte. Diesen hob sie auf und ging damit zu Lyciscus, um sich vor ihm auf die Knie nieder zu lassen. "So nun lass mal sehen, wie es deinen Händen heute geht. Hattest du in der Nacht noch Schmerzen? … Und wie ist es mit dem Gefühl in den Fingerspitzen. Fühlt es sich taub oder normal an, wenn du etwas greifst?" Mit diesen Worten griff Mara vorsichtig zuerst nach der rechten Hand des Thrakers, um diese von dem Verband zu befreien.

    Erschöpft von dem Hin- und Her zwischen Schiff und Landsitz war Mara recht früh zu Bett gegangen. Die Herrin hatte ihre Ruhe haben wollen und Lyciscus hatte auch keine große Lust gehabt, ihre Neugier und ihre Fragen zu stellen, also blieb für Mara nichts weiter zu tun, als endlich einmal richtig schön auszuschlafen. Oh ja, das tat gut und so schlief Mara die ganze Nacht durch, ohne auch nur ein einzige Mal wach zu werden. Selbst bei Sonnenaufgang wurde Mara nicht (wie sonst üblich) von selbst wach und wenn niemand sie wecken würde, dann würde sie wahrscheinlich bis zur Mittagsstunde tief und fest schlafen.


    Zunächst spürte und hörte Mara nichts von all dem was Lyciscus da tat, doch das sanfte Streicheln und das leise Rufen bewirkten durchaus eine Reaktion in ihrem Kopf.


    Mara begann zu träumen, wie sie über eine Wiese lief. Mit wehenden langen Haaren ... So ein Quatsch! ... Ihre Lippen kräuselten sich im Halbschlaf zu einem Schmunzeln, denn ihre Haare waren zuletzt so lang gewesen, als sie noch ein Kind war. Doch halt! Ein Runzeln regte sich auf Mara´s Stirn und ihre geschlossenen Augen begannen leicht zu flattern. Ja sie träumte sie war wieder Kind und sie lief über eine Wiese auf jemanden zu, der ihren Namen laut und deutlich gerufen hatte. Wer war das nur?


    Mama! Wieder bewegten sich Mara´s Lippen und formten stumm jenes Wort das sie so viele Jahre schon nicht mehr laut ausgesprochen hatte. Da stand ihre Mutter ... unter einen Baum und rief nach ihr! Mama! Mara begann in ihrem Traum auf den Baum zu zu laufen, während sie sich in Wahrheit auf dem Bett zu wälzen begann. Zuerst nach rechts, dann nach links, wobei sie haarscharf kurz vor der Bettkante wieder umdrehte und mit den Beinen lediglich die Decke vom Bett herab schubste.


    Fast hatte Mara ihr Traumziel erreicht und schon streckte sie beide Arme nach ihrer Mutter aus. Nur noch ein paar Meter, doch da war plötzlich etwas im Weg. Mara kam nicht weiter und sie spürte etwas an ihrer Wange und gleich darauf auf ihrer Nase. Es kitzelte! Was konnte das nur sein?


    Mara´s Augen begannen sich zu öffnen und kurz vor dem Aufwachen sah sie den Grund, weshalb sie nicht weiter kam. Sie war direkt in ein riesiges Spinnennetz gelaufen, mit dem Gesicht voraus und nun klebten die dünnen Fäden überall auf ihrem Gesicht ...


    "mmmmh ...mmmmmh..buuuu ...wäääähh ...wweg! pfui...bääähhh", undeutlich murmelnd kämpfte Mara in den letzten Sekunden vor dem Erwachen mit dem Spinnennetz in dem sie sich verfangen hatte und als sie endlich los kam, schoss sie im Bett regelrecht hoch.


    Es war nur ein Traum! Mara blinzelte und es dauerte ein paar Sekunden bis sie realisierte wo sie war. ...Und wer bei ihr war!


    "Lyciscus!!! ...Wie ... was ... was ist los? ist was passiert? warum... ehm... und wie jetzt ....sitzt du denn da schon lange herum?", stammelte Mara völlig verwirrt und noch ein wenig orientierungslos. Es war nur ein Traum gewesen ! Nur ein Traum ...

    Lyciscus hatte anscheinend verstanden, was Prisca ihm in Bezug auf das Vertrauen hatte sagen wollen. Seine Worte halfen Prisca aber nicht wirklich. Wenn es also nicht am mangelndem Vertrauen lag, was - bei allen Göttern! - war dann auf der Terrasse in ihn gefahren? Ein Sonnenstich ... dann muss es so gewesen sein, dass ihm die Sonne an dem Tag nicht bekommen war. Eine andere (bessere) Erklärung glaubte Prisca nicht mehr zu finden.


    "Ich danke dir für deine Worte, Lyciscus ... und nun geh zu Mara! Mit diesen Worten entließ Prisca ihren Leibwächter. Im Augenblick brachte es Prisca nicht über´s Herz, seine Strafe vorzeitig zu erlassen. In ein paar Tagen, ... vielleicht ... ja, vielleicht wäre die "Probezeit" ganz gut um zu sehen, ob sich dieses seltsame Veralten wiederholen würde. Wobei Prisca innig hoffte, dass dem nicht so wäre. Sie sah in Lyciscus noch immer den Leibwächter, dem sie ihr Leben anvertrauen wollte. Ihm und niemandem sonst ...


    Prisca ließ ihre Augen wieder über die spiegelnde Oberfläche des Meeres wandern und in Gedanken zog sie das Resümee dieser ereignisreichen Reise:


    Es begann mit einer schönen etspannten Überfahrt auf der Nordwind - Von dem Orakel erhielt ich eine Antwort, die ich noch immer nicht gelöst habe - In Antium gab es dann die größte Überraschung, im negativen wie im positiven Sinne - Und nun endet es also, mit einer schönen und entspannten Rückfahrt auf der Nordwind.


    So schloss sich also der Kreis und am Ende würde alles gut! ...Würde es das wirklich? ...

    Die Gedanken wie auch die Blicke ihres Sklaven (mit denen er sie und nicht den Sonnenaufgang bedachte) blieben Prisca verborgen. Erst als sie Lyciscus ansah und er auf ihre Worte etwas unsicher (wenn nicht gar verlegen) reagierte, glaubte Prisca zu ahnen, dass ihn die Sache immer noch sehr beschäftigte. Da ginge es ihm nicht anders als ihr, auch wenn Prisca mittlerweile glaubte zu wissen, weshalb Lyciscus so seltsam reagiert hatte. Sein Vertrauen, dass zerstört worden war von Römern, die ihn und seine Familie schändlich hintergangen hatten. Nun war es wie es war, daran konnte Prisca nichts ändern. Lyciscus müsste lernen ihr zu vertrauen, genauso wie sie darauf vertrauen musste, dass er ihr Leben mit dem Seinen schützen würde. Ohne gegenseitiges Vertrauen ginge es nunmal nicht.


    Einen Wimpernschlag lang war Prisca versucht die Strafe zurück zu nehmen, in der Hoffnung damit sein Vertrauen zu gewinnen, doch dieser Gedanke verflog sogleich, als Lycisus ihr eine ganz andere Frage stellte.


    "Ich ... denke, ... wir werden zur Mittagszeit den Hafen von Ostia erreichen", entgegnete Prisca kurz blinzend und mit einem Blick auf seinen Hände fügte sie nickend hinzu: "Ja, tu das!" Mit einem leisen Seufzer richtete Prisca die Augen wieder auf den Horizont, auf die Stelle, wo noch vor wenigen Minuten der blutrote Feuerball der Sonne das Meer geküsst hatte.


    Prisca hoffte, dass die nächsten beiden Wochen so schnell vergehen würden wie dieser flüchtige schöne Augenblick, den sie und ihr Sklave gemeinsam genossen hatten. Und sie hoffte auch, dass nach dieser Zeit es wieder so sein könnte wie zuvor, auch wenn man nichts ungeschehen machen könnte. Aber der Eine schloss das Andere ja nicht aus, oder?


    "Wenn ...", begann Prisca plötzlich laut zu denken, den Blick immer noch auf das Meer gerichtet und dennoch waren die Worte für Lyciscus bestimmt: "... Etwas zerstört wird, dann ... mag das schlimm erscheinen. ... Doch sollte man daran nicht verzweifeln sondern vielmehr darin die Chance sehen, etwas Neues aus den Trümmern zu errichten, das mehr Bestand haben wird als das zuvor Zerstörte. ... Darauf sollten wir vertrauen. Dann werden die schönen Erinnerungen immer überwiegen." Mit einem leisen Seufzer verstummte Prisca. Sie war überzeugt von dem, was sie gesagt hatte ohne zu wissen, ob Lyciscus verstand, was sie ihm - in Bezug auf das verloren geglaubte Vertrauen - hatte sagen wollen. ...

    Die Nervosität war Gracchus unschwer anzumerken, an seinen unruhig umher schweifenden Blicken und seinen leicht zitternden Händen an denen Prisca ihn zu der Kline führte. Prisca war allerdings auch ziemlich nervös. Sie wollte ihren Gemahl nicht drängen, ihn aber auch nicht "bremsen", hinsichtlich der Erfüllung der ehelichen Pflichten, weswegen sie hier zusammen gekommen waren. "Eheliche Pflichten" Wie schrecklich sich das anhörte! Zumindest in Prisca´s Ohren. Womöglich hätte sie anders darüber gedacht, hätte sie einen Mann heiraten müssen, den sie weder attraktiv noch sonst wie begehrenswert gefunden hätte. Also genau das Gegenteil von dem, was sie in Gracchus sah. Seine wundervollen Komplimente, seine tadellose und anmutige Erscheinung, sein markantes - oft nachdenklich - wirkendes Gesicht, mit den niedlichen Grübchen auf den Wangen (wenn er lächelte), seine tiefgründigen Augen und seine (versteckte aber vorhandene) liebenswerte Art … all das faszinierten Prisca ungemein.


    Selbst der Altersunterschied machte ihr überhaupt nichts aus. Männer mit Lebenserfahrung! Oh ja, da wurde Prisca gerne schwach und deshalb galt ihre ganze Aufmerksamkeit nun ihrem Ehemann, dem sie tief und versonnen in die Augen blickte, während er neben ihr saß und … und? … Oh weh!! "Gewiss" … "Prisca" … "Ich möchte ehrlich zu dir sein" Dieser Anfang ließ Prisca augenblicklich aufhorchen und ihr Körper spannte sich unmerklich. Das klang gar nicht vielversprechend sondern eher wie ein Rückzieher. Suchte Gracchus gar nach einer Ausrede, um seinen "Pflichten" zu entkommen?


    Die folgenden Worte ihres Mannes zerstreuten Prisca´s Befürchtungen jedoch mehr und mehr und man konnte ihr deutlich ansehen, wie glücklich sie über das Gehörte war. Ihr Gemahl wollte - ihr zuliebe - lernen sie zu lieben! Oh wie schön er das gesagt hat!! Prisca war hin und weg nach diesen Worten und als Gracchus ihr seine Lippen zum Kuss anbot, schloss auch sie die Augen und genoss die zärtliche Berührung ihrer beider Lippen, die einen wohligen Schauer über ihren Rücken jagte. Ihr ganzer Körper war angespannt und entspannt zugleich und Prisca verspürte das Verlangen ihrem Mann ganz nah zu sein, während sie den Kuss voller Zuneigung und Liebe erwiderte.


    Erst nach einer gefühlten Ewigkeit trennten sich ihre Lippen wieder und Prisca nahm den Kopf ein wenig zurück, um ihrem Gemahl verliebt in die Augen zu sehen: "Ich danke dir, Gracchus. … Ich bin sehr, …sehr glücklich deine Frau zu sein und ich könnte mir keinen besseren und lieberen Ehemann vorstellen", hauchte Prisca tief berührt lächelnd und mit der rechten Hand streichelte sie dabei zärtlich über die Wange ihres Gemahls. Prisca hoffte so sehr, dass dieser Wunsch in Erfüllung ginge und Gracchus tatsächlich lernen würde sie sprichwörtlich mit "Leib und Seele" zu lieben. So wie sie ihn lieben wollte! Und wer weiß, vielleicht würde ihr sehnlichster Wunsch am Ende doch wahr werden, irgendwann. … Mochte auch sonst niemand mehr daran glauben - die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.


    Prisca´s Finger glitten sanft über seine Wange hinweg, verspielt sein Ohrläppchen streifend bis in den Nacken, wo sie ihn am Haaransatz zärtlich zu kraulen begann. Ihre Augen ruhten derweil in den Seinen, ihn aufmerksam betrachtend und auch jede seiner Reaktionen achtend. Vielleicht konnte sie ja herausfinden, was ihrem Mann gefiel und was er genießen konnte, auch wenn eine Frau es wäre, die ihn so berührte. Ob Gracchus auch lernen könnte sich ihr gegenüber zu öffnen und seine geheimsten Wünsche und Sehnsüchte mit ihr zu teilen? Prisca wünschte sich nichts sehnlicher als ihrem Gemahl etwas zurück geben zu können, sofern es in ihrer Macht läge und so wagte sie einen weiteren Schritt …ganz vorsichtig … und darauf hoffend, dass ihr Gemahl sie gewähren lassen würde.


    "Schließ die Augen … Liebster!, forderte Prisca mit sanfter leiser Stimme während sie mit der linken Hand nun den gleichen Weg wählte, wie kurz zuvor mit der Rechten. Über die andere Wange und das Ohr hinweg, streichelnd, bis in seinen Nacken, wo sich ihre Finger sanft massierend vereinten. Wieder achtete Prisca auf jede Regung ihres Gemahls, bereit weiter zu machen, oder aufzuhören, falls sie den Eindruck bekäme es wäre ihm unangenehm.

    Langsam erwuchs die Sonne aus dem Meer. Stück für Stück und unaufhaltsam bahnte sie sich den Weg nach oben und tauchte die glitzernde Wasseroberfläche des Meeres dabei in ein orange-goldenes Lichterspiel. Das Blau des Himmels änderte sich derweil stetig und wurde heller und heller, während die Sterne verblassten, um der Sonne für einen weiteren Tag den Himmel zu überlassen. Ein schönes und beruhigendes Spektakel das niemals seinen Zauber verlor, obwohl es Tag für Tag das Gleiche war.


    Beim Anblick der aufgehenden Sonne erschien es Prisca fast so, als hätte es die Geschehnisse auf ihrem Landsitz nie gegeben. Weder der Vorfall mit dem verrückten Verwalter, noch das Bad im Meer und auch nicht die völlig abstruse Reaktion ihres Sklaven, als er sie beim flechten des Lorbeerkranzes beobachtet hatte. Alles wirkte wie ein Traum und dennoch konnte Prisca noch immer nicht begreifen, warum Lyciscus dachte sie wolle ihn vergiften. Im Gegensatz zu gestern schwangen allerdings keine Wut und kein Groll mehr in ihren Gedanken mit - was blieb war lediglich die nagende Frage nach dem "warum".


    Plötzlich erklang neben ihr die Stimme ihres Leibwächter. Eine Sekunde dachte Prisca daran ihn zu fragen, doch sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder um diesen schönen Moment nicht zu zerstören.


    "Das werden wir … ", bestätigte Prisca stattdessen nur mit leiser und sanft klingender Stimme die Hoffnung ihres Leibwächters. Ja, sie beide bekamen einen wundschönen Sonnenaufgang zu sehen, den Prisca ihrerseits sehr genoss und das, obwohl sie unweigerlich wieder an den Vorfall denken musste. Langsam glaubte sie zu verstehen, warum Lyciscus so reagiert hatte, beziehungsweise redete sie es sich ein (mangels besseren Wissens). Wahrscheinlich sitzt sein Misstrauen uns Römern gegenüber sehr tief und das wohl zurecht nach all dem, was ihm und seiner Familie durch den Verrat einiger schlechter Menschen widerfahren ist Zumal diese schlechten Menschen ausgerechnet Römer gewesen waren.


    Mit einem tiefen Seufzer löste Prisca nach einer gefühlten Ewigkeit den Blick von der aufgehenden Sonne und richtete die Augen auf Lyciscus. Prisca glaubte ihm anzumerken, dass er aufrichtig bereute was er getan hatte und er es am liebsten ungeschehen machen würde. Dass das nicht ginge, wussten er und sie nur zu gut, aber sollte das wirklich das Ende allen Vertrauens sein. Nach all dem, was sie bereits gemeinsam erlebt hatten?


    "Von allen Sonnenaufgängen, an die ich mich erinnern kann …" , begann Prisca unvermittelt zu sprechen und ihre Augen spiegelten ein wenig Versonnenheit wieder, während ein versöhnliches Lächeln über ihre Lippen huschte: "ist das Einer der schönsten. … Wir sollten ihn in guter Erinnerung behalten, findest du nicht auch?" Mit diesen Worten stand Prisca auf und machte ein paar Schritte auf Lyciscus zu. Langsam holte Prisca die Müdigkeit ein, welche sie in der Nacht vermisst hatte, aber an Schlaf wollte sie im Augenblick nicht denken.


    Über den Vorfall von gestern wollte Prisca allerdings auch nicht sprechen und so blieb sie einfach neben Lyciscus stehen und begrüßte mit ihm gemeinsam den neuen Tag. Lange würde es ohnehin nicht mehr dauern bis die Sonne wieder genügend Kraft gesammelt hatte und damit jeder direkte Blick auf ihren strahlenden Glanz unmöglich würde

    ### Nordwind | Auf dem Heimweg nach Ostia ... ###


    Die ganze Fahrt über (von ihrem Landsitz kommend) hatte Prisca stumm und nachdenklich in ihrem Reisewagen gesessen und gleich nach ihrer Ankunft in Antium, war sie wortlos in ihrer Kabine verschwunden. Dort blieb sie, bis die Nordwind endlich den Hafen verlassen- und Kurs auf Ostia genommen hatte. Prisca´s Wut auf Lyciscus war längst verraucht und je länger sie darüber nachgedacht hatte, um so lächerlicher kam ihr der ganze Vorfall auf der Terrasse vor. Ein Sklave der panische Angst davor hat, dass seine Herrin ihn vergiften wolle!! Für gewöhnlich hatten eher die Herrschaften Angst davor, dass ihre Dienerschaft ihnen nach dem Leben trachtete, doch irgendetwas musste Lyciscus dazu veranlasst haben, diese absurden Gedanken zu fassen. Nur was?


    So sehr Prisca auch hin- und her überlegte, ihr mochte einfach keine plausible Erklärung für das seltsame Verhalten ihres Sklaven einfallen. Weder am Abend, noch in der Nacht und auch nicht am frühen Morgen, als Prisca (müde und erschöpft von der schlaflosen Nacht) auf das Deck der Nordwind ging, um wenigstens den Sonnenaufgang zu genießen, auf dieser mehr als ereignisreichen Reise, die so viele Fragen und so wenige Antworten aufgeworfen hatte.


    Ein Sonnenaufgang am Meer hatte Prisca schon lange nicht mehr gesehen und umso gespannter erwartete sie die ersten Anzeichen der aufgehenden Sonne. Für dieses einzigartige Spektakel nahm sie selbst eine nicht standesgemäße Sitzgelegenheit in Form eines Fasses in Kauf, auf dem Prisca (mit übereinandergeschlagenen Beinen) Platz genommen hatte.


    So saß Prisca ganz vorne am Bug der Nordwind und ihr Blick ruhte auf dem fernen Horizont, auf jener Stelle, wo sich das orangerote Licht der Sonne sich langsam in das Hellbau-grau des Morgenhimmels brannte. Ein herrlicher Moment und fast zu schade, um ihn allein zu genießen …

    Energischen Schrittes verschwand die Aurelia in dem Haus, um es - kurze Zeit später - auf der anderen Seite wieder zu verlassen. Vorbei an den verdutzten Seeleuten (die eigentlich dachten sie könnten bereits ihr Nachlager aufschlagen) und hinein in den mitgebrachten Reisewagen, dessen Türe sie mit donnernder Wucht hinter sich zu schlug. Der Befehl lautete zum sofortigen Aufbruch und schulterzuckend machten sich die Matrosen daran, die Pferde wieder anzuspannen. Auf dem Schiff fühlten sie sich ohnehin wohler als in der Nähe dieses Anwesens, das ihnen nicht ganz geheuer war. Ja, die Geschichte von dem verrückten Verwalter, der das Feuer gelegt hatte (um eine Sklavin zu verbrennen) machte gerade die Runde unter der Besatzung und keiner von den Seeleuten war sehr erpicht darauf, länger als unbedingt nötig hier zu bleiben.


    Ganz anders Mara. Sie hatte sich durchaus gefreut, ein paar Tage hier bei ihrer Herrin zu verbringen zu dürfen, doch daraus wurde nun leider nichts. Wenn sie nur wüsste, was genau vorgefallen war, doch Fragen stellen durfte sie auch nicht.


    "Ja, ja, … ich halte ja schon meinen Mund", entsprach Mara leise seufzend Lyciscus´ Wunsch und drängte ihn nicht weiter mit ihren Fragen. Sie war Lyciscus nicht böse, dass er nicht reden wollte obwohl sie schon sehr neugierig war, was denn nun hier vorgefallen war. Von dem Brand hatten ihr die drei Seeleute (die dabei gewesen waren) erzählt und den verrückten Verwalter und diese Azita hatte sie ja bereits gesehen - wenn auch nur flüchtig. So ganz geheuer war Mara die Geschichte aber nicht. Da sie aber gelernt hatte ihren Mund zu halten, tat sie das auch und kümmerte sich stattdessen um die Wunden des Thrakers. Beide Handflächen bestrich Mara sorgfältig mit einer Kräutersalbe und verband diese anschließend jeweils mit einem sauberen Tuch. Über die Tücher wickelte Mara wiederum dünne Lederstreifen, sodass die Hände geschützt wären, falls Lyciscus mit ihnen zupacken müsste.


    "So das war´s. … Morgen früh werde ich deine Verbände nochmal wechseln und in zwei Tagen sollte eigentlich alles verheilt sein." Seufzend erhob sich Mara und mit einem wehmütig wirkendem Lächeln kommentierte sie die Worte des Thrakers: " Na eigentlich hatte ich schon gehofft, dass die Reise etwas länger dauern wird und wir uns hier ein paar schöne Tage machen können. Aber gut, wenn die Herrin unbedingt heute noch zurück will, dann müssen wir ihr wohl oder übel folgen, nicht wahr …?" Mit einem resignierten Schulterzucken drehte sich Mara anschließend zum Gehen, da nichts und niemand sie mehr aufhalten würde....


    Das war also das Ende einer schicksalhaften Reise, … doch - so es das Schicksal wollte - war es noch lange nicht das Ende von allem …

    Immer und immer wieder ging Prisca im Gedanken die Szene auf der Terrasse durch, ohne jedoch ergründen zu können, weshalb sich Lyciscus derart aufgeführt hatte. Diese panische Angst vor ihr und die absurde Anschuldigung ich wolle ihn vergiften. Was sollte das? War es wirklich nur ein einfacher Sonnenstich? War er gar plötzlich verrückt geworden so wie Varro? Dann läge womöglich ein Fluch auf diesem Haus. Die einzige Erklärung dafür, dass an einem einzigen Tag gleich zwei Männer in den Wahnsinn getrieben wurden. Oder lag der Grund für sein unerklärbares Handeln in Wahrheit ganz wo anders? Lag es am Ende gar daran, dass Lyciscus (in seinem tiefsten Inneren) noch lange nicht den Verrat jener Römer überwunden hatte, der ihn in die Sklaverei gebracht hatte und er deshalb seiner domina böse Absichten unterstellte?


    Keiner dieser Erklärungsversuche mochte Prisca so recht gefallen und die Tatsache wie sehr es Prisca innerlich beschäftige machte deutlich, dass Lyciscus ihr sehr viel mehr bedeutete als andere Sklaven. Als ihr Leibwächter hatte er schließlich eine ganz besondere Funktion und in dieser war letztendlich gegenseitiges Vertrauen das Allerwichtigste. Und dieses Vertrauen war nunmehr erschüttert worden und auch wenn es nicht völlig verloren war, so wusste Prisca auch, dass sie dieses Verhalten nicht einfach dulden oder ignorieren durfte. Nur was sollte sie jetzt tun?


    Nur in einem Punkt war Prisca sich sicher, dass sie eine einfache Entschuldigung keinesfalls akzeptieren durfte. Sklaven entschuldigten sich andauernd für alle möglichen Fehler, egal ob nichtig oder gravierend. Sie taten das wohl meist aus Angst vor Strafen oder aber sie gewöhnten sich daran sobald sie merkten, dass sie damit ihre Herrschaften besänftigen konnten. Keines von beiden wollte Prisca. Sie wollte nicht, dass Lyciscus Angst vor ihr hatte aber sie durfte auch nicht riskieren, dass er ihr irgendwann "auf der Nase herum tanzen" würde.


    Als Lyciscus schließlich den Raum betrat und sich zu ihr setzte, ließ Prisca ihn stumm gewähren. Auch seine Entschuldigung und seine Erklärungsversuche, die er kleinlaut vorbrachte, nahm sie stumm und regungslos zur Kenntnis. Nein, sie durfte jetzt nicht schwach werden und seine Entschuldigung direkt annehmen - nicht so schnell, auch wenn seine Worte aufrichtig und ehrlich klangen und seine Verzweiflung dahinter deutlich zu spüren war. Warum …warum nur?, fragte sich Prisca zum wiederholten Male, als sie ihm hinterher sah. Hatte sie ihm nicht die Chance gegeben zu fliehen? Warum hatte er diese nicht genutzt? Reichte dieser eine Vertrauensbeweis womöglich nicht aus und bedurfte es eines weiteren?


    Prisca blieb noch einige Zeit liegen und überlegt hin und her, was sie nun tun sollte. Wieder galt es eine Entscheidung zu treffen, die es zwischen Verstand, Bauchgefühl und dem abzuwägen galt, was ihr Herz ihr sagte. Schlussendlich fiel ihr nur ein einziger Weg ein um das verloren geglaubte Vertrauen wieder zu gewinnen, auch wenn es kein leichter Weg werden würde.


    Langsamen Schrittes betrat Prisca die Terrasse und sie hatte keinen Blick mehr übrig für die zauberhafte Kulisse vor der sie sich bewegten. Ihre Augen ruhten auf Lyciscus und sie vermied es bewusst, sich ihm von hinten zu nähern um nicht zu riskieren, dass er erneut vor ihr zurück schrecken würde. Erst als sie sicher war, dass er ihre Anwesenheit zur Kenntnis genommen hatte, begann sie ruhig und mit leiser Stimme ihre Entscheidung kund zu tun:


    "Ich … " Prisca war in dem Moment mindestens ebenso nervös wie Lyciscus vorhin und es war unschwer zu erkennen, dass diese Worte ihr nicht leicht fielen: "ich habe entschieden, dass es das Beste sein wird, wenn vorerst ein anderer Sklave deine Aufgaben übernehmen wird, sobald wir in Rom sind.", leise seufzend rang Prisca damit, nicht in letzter Sekunde einzuknicken, denn immer noch sah sie in Lyciscus den Leibwächter, den sie sich immer gewünscht hatte: "Du wirst bis auf weiteres normale Arbeiten erledigen. Davon gibt es in der villa genügend und in ein paar Wochen sprechen wir uns wieder."So der Plan, sofern es je dazu kommen würde, denn nun stieß Prisca - bildlich gesehen - ein zweites Mal die Käfigtüre für Lyciscus auf:


    "In dieser Zeit darfst du gehen wohin du willst. Niemand wird dich daran hindern und ich werde dich auch nicht suchen lassen. … Ich … "nun folgten die Worte die Prisca wohl am schwersten fielen und ihre Lippen regelrecht zum beben brachten: "Ich möchte dich nicht verlieren, aber … ich kann auch keinen Leibwächter gebrauchen der mir nicht vertraut, so wie ich ihm … und wenn der Grund dafür jener sein sollte, dass die Römer dir einst so viel Leid angetan haben, dass du nun kein Vertrauen mehr zu mir fassen kannst, dann soll es so sein …" und ich werde dich frei lassen.


    Mit einem leisen Seufzer drehte sich Prisca sogleich zum Gehen. Sie wollte nicht, dass Lyciscus sah wie ihre Augen verräterisch glitzerten. Zum Glück trafen - wie bestellt - in diesem Moment Mara und die Matrosen ein, denn man konnte deutlich das Trampeln von Hufen und Schritten von der anderen Seite des Hauses her hören. Und schon tauchte Mara in der Türe auf und noch ehe die Sklavin zur Begrüßung ansetzen konnte, erhielt sie von ihrer Herrin auch schon den nächsten Befehl: "Sag den Matrosen, dass wir sofort aufbrechen. Wir bleiben nicht länger hier. Und kümmere dich um Lyciscus, seine Hände müssen verbunden werden. Na los!", sprachs und ließ Mara damit einfach stehen, die verwundert und fragend zuerst ihrer Herrin nachblickte und dann schulterzuckend zu Lyciscus gewandt:


    "Was …ist denn los mit ihr? … Ist was? Hat sie geweint oder warum glänzen ihre Augen so? … Und was ist mit dir, Lycsicus, was ist mit deinen Händen? Lass mich mal sehen." Mara war natürlich völlig ahnungslos und so wunderte sie sich nur, während sie sich um die Wunden des Thrakers kümmern wollte.

    Geschah das gerade wirklich? Oder träume ich? Vor ihr am Boden saß zitternd ihr Leibwächter und behauptete allen Ernstes, dass sie ihm nach dem Leben trachten würde. Ich ihm??? … Das muss ein Traum sein, wahrscheinlich bin ich auf der Terrasse eingeschlafen und träume das hier nur Prisca konnte nicht glauben, was sie da hörte und das Gehörte wiederum machte sie langsam aber sicher wütend. Sehr wütend. Hatte sie ihn etwa nicht gut behandelt, ihm gezeigt wie sehr sie ihm vertraut? Und nun das! Wozu hatte sie sich eigentlich all die Mühe gemacht mit dem Lorbeerkranz? Ach ja, ich wollte ihn ja damit vergiften … Allein die Vorstellung war derart absurd, dass Prisca ihren Sklaven am liebsten erwürgt hätte!


    Jawohl, erwürgt hätte Prisca ihren Leibwächter am liebsten für diesen Schwachsinn, den er da von sich gab und sie begann ernsthaft zu zweifeln, ob sie ihm jemals wieder soviel Vertrauen würde schenken können, wie sie es bis vor wenigen Minuten noch getan hatte.


    "Ooooh, du hast mich also beobachtet, wie ich giftige Kräuter gemischt habe? Ja natürlich, … damit vergifte ich andauernd meine Sklaven", platze Prisca schließlich der Kragen. Kopfschüttelnd und die Hände in die Hüften gestemmt stand sie da und konnte immer noch nicht glauben, dass Lyciscus das allen ernstes von ihr angenommen hatte. Aber er hatte es gewagt und nun redete sich Prisca immer weiter in Rage um die langsam aufgestaute Wut wieder los zu werden: "Ich mache das auch nicht nur wegen Kleinigkeiten, wie ins Wasser werfen, oh nein, … ich vergifte alles und jeden einfach nur aus Spaß und weil mir den ganzen Tag so langweilig ist. Übrigens war schon das Wasser, das ich dir damals auf dem Sklavenmarkt reichen ließ vergiftet … So jetzt weißt du´s! … " Prisca schnaubte vor Wut. Würde Lyciscus ihre absichtlich frei erfundenen Aussagen für bare Münze nehmen? Oder würde er endlich erkennen, wie absurd sowohl ihre Worte als auch seine Anschuldigungen im Grunde waren?


    Glaub doch was du willst, dachte Prisca nur und machte auf der Stelle kehrt und marschierte die Stufen zur Terrasse hinauf. Oben angekommen schnappte sie den fast fertigen Lorbeerkranz, kehrte damit zur Brüstung zurück und schleuderte ihn von oben herab, direkt vor die Füße ihres Leibwächters.


    "Hier! Vergiss nicht deine Giftration zu essen, schließlich habe ich mir so viel Mühe damit gegeben und extra einen Lorbeerkranz für dich daraus geflochten! Das waren die letzten Worte, die Prisca im Moment für ihren Sklaven übrig hatte. Enttäuscht und verletzt blickte Prisca noch einmal von er Terrasse herab, dann begab sie sich ins Haus, wo sie zunächst ziellos durch die Gänge lief, ehe sie sich erschöpft auf einer Kline im tablinum nieder ließ. So blieb sie erst einmal mit geschlossenen Augen liegen, während sie gedanklich versuchte zu begreifen, was nur in ihren Sklaven gefahren sein mochte.

    Erleichtert atmete Prisca auf als Lyciscus endlich die Augen wieder aufschlug. Doch schnell merkte sie, dass etwas mit ihm nicht stimmen konnte. Seine Augenlider flatterten leicht und er schien orientierungslos und immer nicht ganz bei Bewusstsein. Bendis … seine Göttin … "Nein ich bin nicht deine Göttin … Du bist gestürzt und warst bewusstlos … alles ist gut!", versuchte Prisca noch zu erklären, ehe seine folgenden Reaktionen sie völlig entgeistert drein blicken ließen. Von wegen, alles ist gut …


    Als Lyciscus drohend den Finger auf sie richtete, wich Prisca irritiert einen Schritt zurück. So langsam bekam sie es mit der Angst. Dieser irre Blick und seine Worte! Ich ihn umbringen? … Nur weil er mich ins Wasser geworfen hat? Prisca wusste beim besten Willen nicht was sie davon halten sollte und spätestens jetzt war sie absolut davon überzeugt, dass die Sonne Lyciscus den Verstand versengt hatte. Gleichzeitig wurde das mulmige Gefühl in ihrem Bauch immer stärker, denn wie sollte das jetzt weiter gehen? Schließlich war sie hier ganz allein, mit ihrem Leibwächter, der womöglich gerade dabei war verrückt zu werden … so wie … Varro, der Verwalter.


    "Lyciscus! … Bei allen Götter, wie kommst du nur auf diese völlig absurde und schwachsinnige Idee, dass ich dich umbringen will? Ausgerechnet ich?" Mit großen verständnislos wirkenden Augen starrte Prisca ihn an:"Was ist denn nur mit dir geschehen? Hast du gar etwas gegessen oder getrunken, dass deinen Verstand völlig vernebelt? … Du wirst jetzt sofort damit aufhören, dich wie ein Verrückter aufzuführen! … Hörst du mich?" Prisca versuchte so ruhig und beherrscht wie möglich zu sprechen, ohne dabei einen Zweifel daran zu lassen, dass einzig und allein sie hier das Sagen hätte. Mit ernster Miene sah Prisca ihrem Sklaven tief in die Augen und sie hoffte inständig, dass er schnell wieder zur Besinnung käme …

    Ganz in Gedanken versunken saß Prisca auf der Kline und ein versonnenes Lächeln um spielte ihre Lippen während sie die Zweige zu einem Kreis flocht und sorgfältig jedes einzelne Blatt zurecht zupfte. Noch war nicht genau zu erkennen, dass das Gebilde ein Lorbeerkranz werden solle, aber bald schon wäre Prisca mit ihrer Arbeit fertig. Sie gab sich alle Mühe, denn so ein Lorbeerkranz war durchaus eine bedeutsame Insignie und ein Zeichen des Sieger, dessen Haupt damit bekränzt wurde. Sklaven blieb eine solche Auszeichnung verwehrt, doch hier konnte sich niemand daran stören. Es war auch nur eine kleine Geste, die zeigen sollte, das Prisca ihrem Leibwächter den Sieg wirklich gönnte. Ob Lyciscus weiß, was uns Römern dieses Kranz bedeutet. Ob er sich freuen wird? …


    Diese Frage könnte man mit einem spontanen "Nein" beantworten, bei dem was nun folgen sollte.


    Ein Geräusch direkt hinter ihr riss Prisca urplötzlich aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr sie herum und erstarrte regelrecht bei dem Anblick ihres Sklaven. Nicht, weil sie sich fürchtete sondern, weil sie glaubte den Wahnsinn in seinen Augen zu erkennen: "Lyciscus …was ..ist denn?" Er reagierte überhaupt nicht sondern torkelte panisch rückwärts davon, als hätte er gerade in das Antlitz der Medusa geschaut.


    Fassungslos starrte Prisca ihren Sklaven an und erst als dieser über die Brüstung der Terrasse fiel und ein dumpfer Aufschlag zu hören war, löste sich ihre Starre.


    "Bei allen Göttern! Was ist nur in ihn gefahren" Prisca sprang auf und rannte die wenigen Stufen der Terrasse hinab bis zu der Stelle, an der Lyciscus lag. Die Terrasse war zum Glück nicht sehr hoch, um einen schnellen Zugang zum Strand zu haben, aber durch das rückwärts Fallen konnte man sich natürlich durchaus weh tun.


    "Du meine Güte!" Etwas hilflos und verwirrt kauerte sich Prisca neben ihren Sklaven und suchte mit den Augen nach Verletzungen an seinem Körper. Atmete er überhaupt noch? Ja, der Brustkorb bewegte sich zum Glück. "Lyciscus!!!, rief Prisca seinen Namen und tätschelte mit der flachen Hand seine Wange, ohne aber eine Reaktion zu bemerken. Das fehlte ihr noch, dass ihr Leibwächter sich ernsthaft verletzt hätte.


    Das muss die Sonne gewesen sein. Genau! Er hat einen Sonnenstich!, kam Prisca nach kurzer Bedenkzeit zu der Erkenntnis, dass seine panische Reaktion nur davon stammen konnte. Die Sonne musste ihm quasi das Gehirn "verbrannt" haben. Hilft dagegen nicht Kühlung? ...ja genau! Schnell rannte Prisca wider die Stufen hinauf zu der Kline, wo sie einen Krug mit Wasser bereit gestellt hatte. Diesen packte Prisca nun und kehrte damit zurück zu Lyciscus, um sich wieder neben ihm hin zu knien.


    "Lyciscus …wach auf!!, rief Prisca wider seinen Namen und träufelte dabei ein paar Wassertropfen auf seine Lippen. Half das? Es sah im ersten Moment nicht danach aus und langsam begann Prisca zu verzweifeln. Niemand war hier der ihr helfen konnte und ihr Beschützer lag hier und rührte sich nicht.


    "Lyciscus!!!! Wieder tröpfelte Prisca etwas Wasser auf seine Lippen und lauter: "LYCISCUS!!!!!!" In ihrer Verzweiflung packte Prisca den Krug und schüttete schließlich das gesamte Wasser, in einem Schwall, über seinen Kopf aus ….

    Leise seufzend musste Prisca erkennen, wie schnell der Zauber dieses einzigartigen Momentes vergangen war und wie ernüchternd die Worte ihres Cousins in ihren Ohren klangen. Baden und die Haare richten .. . Habe ich etwas anderes erwartet? Nein - aber gehofft! Ja , gehofft hatte Prisca durchaus auf andere Worte als auf einen simplen (wenn auch logischen) Vorschlag als nächstes zu baden und sich die Haare zu richten. "Sicher, das wird das Beste sein.", entgegnete Prisca trocken und ohne jeden Groll in ihrer Stimme. Sie fühlte sich nicht gut, aber auch nicht schlecht, im Grunde fühlte sie gerade gar nichts. Sie war nicht einmal wütend auf Lupus, wie könnte sie auch, schließlich hatte sie DAS hier ja selbst geradezu heraufbeschworen. Und das Schlimmste daran war: Ich habe es genossen, sehr sogar. Oh ja, was die Befriedigung ihrer Lust betraf, so hatte Lupus wahrlich sämtliche Vorstellungen übertroffen.


    Doch leider meldete sich langsam ihr Verstand zurück und fragte, was sie sich eigentlich dabei gedacht hatte und wie es nun weiter gehen sollte. Eine einmalige Sache endet hier … Wenn du etwas anderes willst, dann musst du es sagen … Nein, Prisca glaubte nicht daran, dass dieser einmalige Zauber wiederholt oder gar übertroffen werden könnte und so schüttelte Prisca nur leicht den Kopf, ohne ein Wort zu erwidern. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass es so schön gewesen war und sie es immer wieder gerne mit ihm treiben würde? Nein - sagte ihr Verstand. Also endet diese Sache hier und jetzt und was bleibt, wird nur eine süße Erinnerung daran sein. Willst du das? Nein - sagte ihr Bauch. Dann liebst du Lupus am Ende gar und du begehrst ihn? Mehr als deinen Ehemann Gracchus? Nein - sagte da ihr Herz …


    Prisca spürte einen kleinen Stich in ihrer Brust und eine verlorene Träne rann über ihre Wange. Glücklicherweise sah Lupus das nicht, denn er war bereits aufgestanden und zog sich wieder an. Schnell wischte Prisca die Träne beiseite und erhob sich nun ebenfalls aus dem Bett, um sich anzuziehen. Eigentlich wollte sie so schnell wie möglich weg von hier, doch das Angebot mit dem Bad und dem Haare richten machte durchaus Sinn.


    "Ich danke dir, Lupus …" Mit einem einfachen Danke "für alles" und einem Lächeln verabschiedete sich Prisca von Lupus. Und zum Zeichen, dass es zwischen ihnen nicht anders wäre als vorher, gab sie ihm zum Abschied einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Prisca glaubte nicht, dass Lupus ihr noch etwas sagen- oder er sie gar aufhalten wollten, also wandte sie sich langsam zum Gehen, um das balneum aufzusuchen … Anschließend würde sie zurück in die villa Flavia kehren und alles wäre so wie immer … wie immer? … nein, eine schöne und gleichzeitig wehmütige Erinnerung würde sie wohl für immer mitnehmen …