Ich versuchte ein Mann zu sein, jeden Tag, seitdem ich hier in der villa Aurelia in Roma angekommen war, versuchte ich nun schon ein Mann zu sein, die Klarsicht eines Mannes zu zeigen, die Durchsetzungsfähigkeit, die Selbstbeherrschung. Gerade meine ersten Tage hier hatten mir in dieser Hinsicht einiges abgefordert, vor allem, was die Sorge um Sisenna und ihre Betreuung anging. Aber auch mein eigener Weg war ja noch so ungewiss, und ich war keineswegs sicher, dass ich die in mich gesetzten Erwartungen würde erfüllen können.
Vielleicht war es deshalb, dass ich mich in dieser absonderlichen, "schlammigen" Situation gegenüber einer Sklavin wieder wie ein kleiner Junge benahm und mich stark schüttelte, so dass ich sie erneut mit Dreck vollspritzen konnte. Als ich mir wieder meiner Rolle und ihrer Rolle bewusst wurde, hörte ich natürlich sofort damit auf, obwohl es mir gut getan hatte, einmal wieder so albern sein zu können. Ich wurde wieder ernst, wie ich es meistens war, und zu dieser ernsten Stimmung tat das, was Cadhla mir nun über sich erzählte, ein Übriges.
Kämpferin war sie in ihrer Heimat gewesen, Reiterin; also wirklich so etwas wie eine Amazone, wie ich es schon einmal kurz über sie gedacht hatte, als sie mir an ihrem Ankunftstag vorgestellt wurde. In einem ruhigen Ton erzählte sie davon, wie ihr Dorf von römischen Truppen besiegt worden war, dass viele ihrer Genossen getötet worden waren und sie selbst - das sagte sie nicht, aber ich konnte es mir natürlich denken -, und sie selbst in die Sklaverei verschleppt worden war.
Dass die Dinge in der Welt unterhalb des Mondes so gingen - wer wusste das nicht. Auch ich wusste, wie man zu Sklaven kam, wenn diese Ware knapp wurde; keiner hatte es mir so richtig erzählt, jeder wusste es einfach. Ich hatte mir darüber auch nie Gedanken gemacht, mir höchstens gesagt, dass ich mir keinen solchen Ruf zu erwerben gedachte, jeden Morgen nach dem ientaculum erst einmal einen Sklaven auszupeitschen als munteren Start in den Tag. Nun stand diese Sklavin hier vor mir, und ihre Geschichte ging mir ein wenig zu Herzen. Etwas aber ließ mir doch einen kalten Schauer den Rücken hinunter rinnen: der sachliche Ton, in dem sie das alles geschildert hatte. Empfand sie denn keine richtige Trauer mehr? Oder Wut? Oder war sie etwa so eiskalt, dass sie Rachepläne schmiedete? Sie war Kriegerin, konnte nach eigenen Angaben - im Gegensatz zu mir - mit Speeren umgehen und mit anderen Waffen. Würde sie sich eines Tages, gewandt wie eine Katze, von hinten anschleichen und mir ein Messer, und sei es eines aus der culina, in den Rücken rammen? Schwebte etwa Sisenna in Gefahr?
Die Gedanken in meinem Kopf überstürzten sich, und es machte mir große Mühe, nicht vollends den Überblick zu verlieren und in Panik zu verfallen. In diesem Moment keimte in mir die Erinnerung auf an dieses Gefühl, das ich kurz zuvor gehabt hatte, als Cadhla noch im Wasser des Teichs gesessen hatte, offenbar voller Angst und Misstrauen mir gegenüber - das Gefühl oder besser der Gedanke, es könne mir noch von Nutzen sein, wenn ich über die Fähigkeit verfügte, anderen Respekt vor mir einzuflößen. In dieser Situation mit all den bedrängenden Fragen in meinem Kopf schien es mir unabdingbar, diesen Zug nun auszuspielen. Ich trat einen Schritt von Cadhla zurück, sah sie stechend an und fragte mit kalter, zynischer Stimme:
"Wir Römer haben dir nichts Gutes getan. Hasst du uns? - Hasst du mich?"
Bei der letzten Frage fiel meine Maskerade. Würde ich diese Rolle vielleicht eines Tages virtuos spielen können - in diesem Augenblick vor Cadhla konnte ich es nicht. "Hasst du mich?", und meine Stimme war weich geworden, ein bisschen höher im Ton, zögernd; meine Augen, fragend sicherlich, doch auch hoffend.
Ich wartete gar nicht auf die Antwort, sondern wandte meinen Blick von der Keltin ab. Die Sonne war fast untergegangen, es dämmerte, und die Vögel ließen nurmehr ihr monotones Krächzen hören wie an jedem Abend. Meine Haut fing an zu jucken, weil der Schlamm an mir allmählich trocknete; ein Blick auf Cadhla zeigte mir, dass es ihr genauso erging. Ein Lachen zuckte um meine Mundwinkel, denn nun sah sie wirklich immer mehr aus wie ...
"eine gorgo. Du wolltest noch wissen, was eine gorgo ist."
Ich erklärte nun mit Armen und Beinen, so dass der trocknende Schlamm nur so von mir abbröckelte:
"Eine gorgo hat Flügel. Ihre Haare sind Schlangen. Sie ist sehr hässlich. Wer sie anschaut, wird zu Stein. Du siehst jetzt aus wie eine gorgo."
Bei diesen Erklärungen und den Verrenkungen, die ich dabei machte, musste ich selber schon wieder schmunzeln, wurde aber ernst, als ich daran dachte, dass Cadhla mich ganz und gar nicht in einen Stein verwandelt hatte und dass sie auch nicht hässlich war - und dass wir uns außerdem schleunigst waschen mussten, woran die gewissenhafte Sklavin mich nun selbst erinnerte. Waschen ja, nur wo und wie? Wir waren beide eigentlich viel zu schmutzig, um direkt in die villa zu gehen, selbst wenn wir beide den Eingang für die Sklaven benutzten. Es rächte sich jetzt also doch, dass ich Maron ausgerechnet heute einen freien Abend gegeben hatte.
Nein, ich konnte noch soviel überlegen; mir fiel nichts ein. Vielleicht aber wollte mir auch nichts einfallen; von einem weiblichen Sklaven war ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewaschen worden, aber ich sah jetzt keine Alternative, zumal Cadhla sich ebenfalls reinigen musste. Unsicher sah ich sie an - von Respekt-Einflößen war keine Rede mehr. Mir kam es so vor, als sei sie stark errötet, aber das mochten auch ihre Sommersprossen sein, die in der Dämmerung so aussahen; bei solch schwachem Licht hatte ich die Sklavin schließlich noch nie gesehen. In der Kindersprache, die ich keineswegs Sisenna gegenüber, wohl aber bei Cadhla gebrauchen musste, obwohl die wahrscheinlich in meinem Alter war, sagte ich zögernd:
"Wir müssen uns waschen, aber wo? Wir sind so schmutzig ..."
Dabei strich ich mir noch einmal lächelnd durch die Haare und streifte zwischen meinen Fingern verklumpten Schlamm heraus.