Beiträge von Appius Aurelius Cotta

    Ratsch! So war das beim Ringen: Ein Moment der Unaufmerksamkeit, und man liegt im Dreck. Ganz verdutzt saß ich, breitbeinig, auf dem Boden und brauchte einen Moment, bis ich überhaupt begriff, was geschehen war. Meine vielen Überlegungen hatten mich jedenfalls einen schönen Kampf gekostet, denn sooo schnell hatte ich nun auch wieder nicht verlieren wollen. Bedröppelt, immer noch perplex und irgendwie willenlos ließ ich mich von meinem Vetter hochziehen. Dabei brachte ich es zu meiner Schande nicht einmal über mich, ihn anzusehen; außerdem schmerzte mein Hint... Gesäß. Erst als Corvinus damit anfing, mich aufzuziehen, fand ich langsam wieder zu mir und blickte ihn an.


    "Schlecht?? Nun, ich bin sicher kein Olympionik, kann aber mitunter recht zäh sein. Dir erst einmal Gratulation zu deinem Sieg! Das war aber nur die erste Runde."


    Inzwischen hatte ich nicht nur mein Lachen wiedergefunden, sondern auch den Spaß an diesem Kräftemessen. Auch ich ging wieder in die Grundaufstellung für einen neuerlichen Kampf. Wie auch immer dieser ausgehen mochte; sooo schnell würde ich mich nicht wieder zu Boden werfen lassen.


    Die Beobachtung meines Gegners zeigte mir, dass dieser nun offenbar eine abwartetende Haltung einnahm. Eine ganze Weile belauerten wir uns. Ich beschloss, den Längennachteil, den ich gegenüber Marcus hatte, dadurch auszugleichen, dass ich tiefer in die Knie ging und dabei die Füße hintereinander staffelte, um nicht an Stabilität einzubüßen. Dabei fühlte ich mich viel sicherer, als ich befürchtet hatte. Schnell richtete ich mich noch einmal auf, um Corvinus zu täuschen, dann ging ich sofort wieder in die soeben eingeübte geduckte Stellung zurück und fasste meinen Vetter quasi von unten her mit meinem schwächeren rechten Arm - ich war Linkshänder - unter seiner linken Achsel und versuchte, mit meinem linken Arm seine Hüfte zu umfassen, möglichst ein Stückchen tiefer, um ihn auf diese Weise auszuhebeln. Keuchend suchte ich Halt an seinem glitschigen Körper.

    Bei einem Mahl von sechs - ohne Helena jetzt nur noch fünf - Erwachsenen, die sich teilweise seit Jahren nicht gesehen hatten, zuzüglich eines kleinen Mädchens, das den Verlust seiner Eltern noch nicht verarbeitet hatte, gingen wohl allen Anwesenden viele Gedanken durch den Kopf, von denen die ausgesprochenen Worte nur einen trüben Eindruck vermitteln konnten. Vor allem Deandra schien einiges zu beschäftigen, und nach einem ersten gewissensgeplagten Erschrecken kam ich nun mehr und mehr zu der Einsicht, dass es vielleicht doch nicht in erster Linie Lupus' und mein Scherz gewesen war, welcher die Verlobte meines Vetters derart beschäftigte. Prisca, die mir ohnehin eine gute Beobachterin zu sein schien, hatte es als erste bemerkt und Deandra darauf angesprochen; diese hatte auch dankbar darauf reagiert. Auch mein Bruder war dieser Sache jetzt gewahr geworden und fragte vorsichtig nach; ich selbst hielt mich zurück, da mir schien, dass Deandra vielleicht das Bedürfnis haben könnte, mit Prisca alleine darüber zu reden. Und genau diesen Vorschlag machte Prisca nun auch. Wenigstens aß Deandra etwas - meiner Meinung nach immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass noch Lebensgeister in einem steckten; hoffentlich wusste sie auch, dass natürlich auch ich immer für sie da sein würde. - Etwas anderes wollte ich aber auf keinen Fall unwidersprochen stehen lassen, und das war die Bemerkung Priscas zu der gelungenen Wiedersehensfeier.


    "Prisca, es freut mich, dass du dich mit dieser Art der Bewillkommnung nun doch anfreunden kannst! :D Der Dank gebührt allerdings ganz Lucius, vor allem, was diese Gaumenfreuden hier anlangt."


    Ich blickte lachend zunächst zur angesprochenen Prisca und deutete dann auf meinen Bruder. Um ihn noch deutlicher in den Vordergrund zu schieben, was ihm nach all der Arbeit wirklich gebührte, lehnte ich mich auf der Kline ein wenig zurück. Diese Bewegung eröffnete mir auch wieder den Blick auf das Turteltäubchen auf meinem Teller, das ich auch sicher nicht länger so unberührt gelassen hätte, wenn nicht ein neuerliches Lebenszeichen Sisennas mich aufgeschreckt hätte. Sie sprach es nun offen aus: Ja, sie erwartete, dass man ihre Eltern als Geschenk für sie mitgebracht hatte. Betroffen blickte ich verstohlen zu den anderen, zu meinem Bruder, vor allem aber zu Corvinus, für den ich im Stillen betete, die Götter möchten ihm nun die rechten Worte schenken.

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    Original von Spurius Purgitius Macer
    "Die Versorgung der Männer dürfte nicht leicht sein, da die Gegend nicht sehr fruchtbar ist und Nahrung über längere Strecken herbei geschafft werden muss. Sicher kommt den Truppen dabei zugute, dass Armenia und Mesopotamia kein völliges Feindesland sind, sondern zumindest abhängige Protektorate waren. Eine gewisse Infrastruktur und Ortkenntis ist also vorhanden." Was ein nicht zu verachtender Faktor war, denn Nahrung alleine reichte nicht. Man musste sie auch transportieren können und den Weg wissen. "Um das Gelände mache ich mir weniger Sorgen. Das dakische Hochland wird nicht einfacher gewesen sein."


    Dass der Senator derart ausführlich und freundlich auf meine Bemerkung einging, beruhigte mich, hatte ich mir wegen meiner unbedacht vorgetragenen Bemerkung doch schon Sorgen gemacht. Einigermaßen beruhigend klang auch der Inhalt der fachkundigen Auskunft meines Gegenübers.


    "Die zuständigen Kommandostäbe haben sicher all die von dir vorgetragenen Einzelheiten genauestens berücksichtigt. Schließlich haben sie ja alle auch deine Schule durchlaufen. Auch ich hoffe, mich an der Academia demnächst noch weiterbilden zu können - und dann nicht mehr ganz so unbedarft daherzureden wie jetzt."


    Diese meine letzten Worte verband ich mit einem Lächeln. Ich war auch froh, dass der Senator nicht weiter auf meine Bemerkung zu meiner Absicht eingegangen war, zu gegebener Zeit ein Militärtribunat zu absolvieren. Dies hatte nicht hierher gehört, in militärischen Fragen gab es jetzt durchaus Wichtigeres, und überhaupt kamen solche Fragen ja erst wieder auf die Tagesordnung, wenn der imperator - hoffentlich siegreich - vom Feldzug heimgekehrt war. Der praefectus urbi war während der momentanen Abwesenheit des Kaisers sicherlich voll und ganz mit anderen Dingen beschäftigt. - Dieser Gedanke brachte mich auf eine andere Frage, die ich unbedingt noch stellen wollte.


    "Senator Purgitius, macht sich die Abwesenheit des Kaisers eigentlich bei der Arbeit des Senats bemerkbar?"

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    Original von Spurius Purgitius Macer
    "Ich kann zu den Parthern nicht viel sagen", fuhr er dann fort. "Ich kenne sie nicht aus eigener Anschauung und die Namen ihrer Heerführer sagen mir auch nicht viel. Gute Reiter sollen sie sein, das hat ja die Geschichte auch gezeigt. Sicher kein Gegner, den man unterschätzen darf. Aber das tun wir ja auch sicher nicht, bei der Zahl von Legionen, die in den Osten aufgebrochen ist."


    "Deren Versorgung sicher keine einfache Aufgabe sein wird, so denke ich mir. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das Gelände und das Klima eher unseren Feinden zu Pass kommen."


    Ich entsetzte mich über mich selbst, wie ich mich hatte so ungestüm verhalten können. Deshalb sah ich Purgitius in die Augen und fügte sofort hinzu:


    "Entschuldige meine Worte, Senator Purgitius, ich bin weit davon entfernt, dem Kommandeur der Academia Militaris Vorträge halten zu wollen! Es ist nur so, dass ich mich wie die meisten Bürger Roms in diesen Tagen für das Schicksal unserer Truppen interessiere, und mir dazu einiges durch den Kopf geht. Und vielleicht wird es auch mir eines Tages möglich sein, es meinem Vetter Corvinus gleichzutun und einen Dienst als tribunus laticlavius zu versehen."


    Aus den Augenwinkeln heraus blinzelte ich zu diesem hin.

    Mit einer solch ausführlichen Antwort auf meine Frage hatte ich gar nicht gerechnet und nickte Claudius dankend zu. Nicht nur an der schieren Anzahl der Worte merkte man ihm seine kenntnisreiche Begeisterung für das Militärische an, sondern auch an der Ausdruckskraft, mit der er seine Erklärung vorgetragen hatte. Der Inhalt seiner Antwort hatte mich aufs Höchste interessiert, und es war zu hoffen, dass seine Worte schon hier auf dem Forum Romanum von entsprechenden Entscheidungsträgern gehört wurden. Für mich hoffte ich, dieses Thema mit Claudius in nächster Zukunft persönlich weiter erörtern zu können - und ihn endlich auch persönlich kennenzulernen.


    Was das Ulpianum anging, so fehlten mir hier natürlich sämtliche Kenntnisse. Ich fragte mich, ob möglicherweise auch die Ermordung des consuls Prudentius zu einer weiteren Verzögerung dieses Vorhabens geführt hatte. Und natürlich war ich gespannt darauf, ob der gewesene quaestor consulum Octavius Detritus, der immerhin schon mehrfach für verschiedene seiner Dienste ausgezeichnet worden war, in eigenen res gestae Stellung beziehen würde.


    Immer noch aber ging mir der Mann nicht aus dem Kopf, der die Frage nach dem Ulpianum gestellt hatte. So blickte ich wieder zu ihm hin und wieder; und je öfter ich das tat, desto sicherer war ich mir, dass ich, wenn überhaupt, ihn aus Mantua kannte. Möglicherweise war er also sogar ein guter Bekannter der Familie. Da nun leider niemand bei mir war, den ich hätte fragen können, blieb mir nichts anderes übrig, als selber an ihn heranzutreten:


    "Salve! Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns schon einmal begegnet sind, doch du kommst mir bekannt vor. Kennen wir uns vielleicht aus meiner Heimatstadt Mantua? Mein Name ist Appius Aurelius Cotta."


    Gespannt blickte ich dem nicht ganz schlanken jungen Mann in seine Augen.

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    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Schließlich bot ich Sisenna meinen Teller dar, nachdem der Sklave ihn mir gereicht hatte und ehe ich mir selbst etwas nahm. "Jetzt iss erstmal etwas, hm? Deine Geschenke bekommst du später. Es sind drei. Möchtest du vielleicht raten, was wir die mitgebracht haben aus dem kalten Germanien?" fragte ich Sisenna.


    Während ich interessiert den Erzählungen meines Vetters über seine Zeit in Germania lauschte, war mein Blick auf ein Stück Turteltaube gefallen, das eine aufmerksame Sklavin mir auch sogleich kredenzte. Doch mir blieb keine Zeit, mich diesem Stück zu widmen, noch gar, Corvinus zu antworten. Denn als dieser seine Rede mit der Einladung an Sisenna beendete, sie solle doch einmal raten, was er ihr aus Germania mitgebracht habe, fuhr ich auf. Ich wollte schon etwas sagen oder Marcus wenigstens einen Wink geben; doch dann besann ich mich: Vielleicht war dies eine heilsame Schock-Therapie für die Kleine, die das bewirkte, was ich vergebens erstrebt hatte.

    Das Wort des Senators über die fleißigen Sklaven trieb mir ein weiteres Mal ein Lachen ins Gesicht.


    "Wenn schon du, Senator Purgitius, dich eines Sklaven bedienen musst, um dir all diese Einzelheiten merken zu können - was soll ich da erst sagen! Ich bin erst kurze Zeit hier in Roma nachdem ich meine Jünglingszeit in Mantua und meinen Studienaufenthalt in Athen verbracht habe. Ohne das Gedächtnis meines Sklaven und die Unterrichtungen durch meinen Vetter Marcus wäre ich hier völlig verloren."


    Und wenn schon der Senator Purgitius so offen über seine "Gedächtnislücken" sprach, konnte auch ich es wagen hinzuzufügen:


    "Ich muss gestehen, im Augenblick, nämlich ohne die Hilfe meines Sklaven, wäre ich auch nicht in der Lage, all die Ämter aufzuzählen, die du bereits inne hattest. Ich erinnere mich eben hauptsächlich deiner militärischen Ämter, vielleicht weil in unserer gens die enge Verbundenheit mit dem Militär eine gewisse Tradition hat."


    Obwohl nun gegen die Parther niemand von uns im Felde stand. Dies war einerseits zu bedauern, hätte es doch für das entsprechende Gensmitglied die Möglichkeit mit sich gebracht, sich für den Kaiser und das Imperium in ganz besonderer Weise auszuzeichnen. Auf der anderen Seite konnte aber auch ich mich sentimentalerer Anwandlungen nicht erwehren und war froh, dass nach den vielen Todesfällen in unserer gens in den vergangenen Monaten nicht ein weiterer Verwandter in solch unmittelbarer Gefahr schwebte.


    Meine Frage nach einem eventuellen eigenen Engagement im Parther-Feldzug hatte der Senator mit einer Äußerung beantwortet, von der ich nicht recht wusste, ob ich sie als "diplomatisch" deklarieren sollte oder ob sie schlicht den Tatsachen entsprach. Wie ich den Purgitius bis jetzt kennengelernt hatte, sprach jedoch alles für die zweite Variante.


    "Was den jetzigen Feldzug angeht: In Rom sind wir ja in der glücklichen Lage, über eine Vielzahl fähiger Kommandeure zu verfügen. Aber wie sieht es eigentlich mit dem Gegner aus? Senator Purgitius, wie schätzt ihr die Parther ein?"

    Meine Anwesenheit bei den heutigen res gestae des Claudius in seinem Amt als quaestor urbanus war für mich eine freudige Pflicht. Immerhin war dieser Mann der gens Aurelia ja nicht nur durch seinen Stand nahe, sondern auch durch die Adoption Deandras, die ja wiederum mit Corvinus verlobt war. Ich hatte mich zu diesem Anlass, wie ich fand, besonders schmuck in Schale werfen lassen; auch meine Haare waren frisch frisiert worden. Derartig ausgestattet, ließ ich mir von meinen Sklaven einen Weg durch die doch erkleckliche Menschenmenge bahnen, um einen guten Platz zu bekommen, von dem aus ich sowohl Claudius gut hören als auch die Menschenmenge gut überblicken konnte. In ihr fiel mein Blick sofort auf Senator Purgitius, der es sich also auch an diesem Tag nicht hatte nehmen lassen, zur rostra zu kommen. Ich warf ihm ein freundliches Nicken zu.


    Dann jedoch betrat schon Claudius die rostra, und mein Blick richtete sich nach vorne. Ich war etwas erschrocken darüber, dass er so müde aussah; dieser Eindruck erhöhte noch meine Spannung, mit der ich seinen Worten lauschte. Wie ich von ihm gar nicht anders erwartet hatte, war seine Rede klar und übersichtlich gegliedert und dadurch angenehm zu hören. Ebenfalls wenig erstaunlich war die Tatsache, dass der quaestor urbanus die eigentlichen Aufgaben seines Amtes gewissenhaft und zweifellos auch umsichtig und ergebnisorientiert bewältigt hatte. Seine kritische Beurteilung seiner Zusatzaufgaben sowie die Einzelheiten, die er dazu nannte, ließen mich allerdings aufhorchen. Vor allem diese Einzelheiten würden zweifellos Nachfragen provozieren, und so war es auch: Schon bald, nachdem Claudius seine Rede beendet hatte, meldete sich jemand mit einer Frage zu Wort, die sich offenbar auf die Ausführungen Claudius' zum Ulpianum bezog. Darüber hatte ich gelesen; nach den Angaben aus der Acta Diurna zu urteilen, zog sich dieses Vorhaben nun schon wirklich lange hin, und so wartete ich gespannt auf die Antwort des Redners. Den Fragesteller kannte ich nicht, obwohl er mir irgendwie bekannt vorkam.


    Mich persönlich hatte eine andere der erwähnten Einzelheiten zu diesen Zusatzaufgaben noch stärker berührt als das Ulpianum, nämlich der untrainierte Zustand bestimmter militärischer Einheiten. In Zeiten des Parther-Feldzuges war es nicht gerade beruhigend, solche Nachrichten zu hören, noch dazu aus dem Munde von Claudius Menecrates, der sicherlich ein berufener Mann dazu war, solche Dinge zu beurteilen. Ich schloss mich daher gleich mit einer eigenen Frage an:


    "Wie erklärst du dir den von dir erwähnten schlechten Trainingszustand einiger milites? Und wie könnte man hier gegebenenfalls Abhilfe verschaffen?"

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    Original von Spurius Purgitius Macer


    Dass ein Mann wie der Senator Purgitius mit solcher Bescheidenheit und Selbstironie von sich sprach, dass er vorgab, die Hälfte seines Lebens schon vergessen zu haben, so dass es sich jetzt auch nicht mehr lohne, mit Aufzeichnungen dazu zu beginnen - das nötigte mir großen Respekt ab.


    "Du hast sehr Recht damit, dass das menschliche Gedächtnis vergesslich ist. Bei einem bewegten Leben wie dem deinen nimmt es auch gar nicht wunder, wenn vieles dem Gedächtnis entschwindet. Dass du selbst allerdings so vieles vergessen haben willst, zeigt mir nur, wie selbstlos und ohne Ansehen der eigenen Person du dem imperium in vielerlei Funktionen dienst."


    Bei dem, was ich nun gerne, in Anknüpfung an das Parther-Thema, vorbringen wollte, musste ich mich auf mein eigenes Gedächtnis verlassen, nämlich auf das, was ich von dem behalten hatte, was ich in meiner Familie, aber auch von meinem Sklaven Maron über den Senator gehört hatte.


    "Wenn ich richtig informiert bin, warst du ja verschiedentlich auch legatus legionis. Hätte es dich nicht gereizt, an dem Feldzug gegen die Parther teilzunehmen?"

    Gleich nach meinem Eintreten in sein officium bot mir Corvinus mit einer souveränen Handbewegung an, Platz zu nehmen, was ich auch gleich tat. Nein, in diesem Moment wirkte er sicher alles andere als weibisch! Bei seiner diesbezüglichen Bemerkung, mit der er meinen Ausruf quittiert hatte über die Freude, die er ausstrahlte, hatte ich lachen müssen. Wenig später jedoch stutzte ich; ich bemerkte, dass er mit diesem Satz irgendetwas in mir berührt hatte, eigene Überlegungen und Zweifel. Ich hatte meinen Vetter vor seiner Ankunft aus Mogontiacum nun Jahre nicht mehr gesehen, war selber davor noch sehr jung gewesen. Und nun ... Wirkte er auf mich "weibisch"? Zweifellos war er ein Mann, an dem die Frauen Gefallen fanden; ob dies für einen Mann aber ein gutes oder ein schlechtes Zeugnis darstellte, mochte ich nicht recht entscheiden.


    Im Augenblick jedoch sprühte mein Vetter geradezu vor Elan und Energie; allerdings hatte er, wie ich nun erfuhr, schon einen kleinen Dämpfer erhalten, denn mit seiner eigentlichen Arbeit konnte er in Ermangelung wichtiger Listen noch gar nicht beginnen. Dies war nun auch für mich eine herbe Enttäuschung, was Marcus mir in diesem Moment sicher auch ansehen konnte. Auf der andere Seite gab mir dies die Gewissheit, dass ich ihn jetzt eigentlich nicht störte, was wiederum Raum gab für das andere Anliegen, das ich vorzubringen gedachte.


    Hatte Corvinus es erraten? Er sah mich mit so einer schlauen Miene an und mochte sich alles Mögliche denken; ein bisschen kam ich mir in diesem Moment vor wie ein Klient vor seinem Patron, aber das war ja nun bis auf Weiteres die demütigende Rolle, die ich hier einzunehmen hatte. Und doch hoffte ich, mich mit meinem zweiten Anliegen nützlich machen zu können; im Übrigen glaubte ich nicht, dass Marcus es erraten hatte. :D


    "Ich würde mich tatsächlich sehr freuen, wenn ich dir bei deiner Arbeit über die Schulter sehen könnte, schließlich muss ich noch soviel lernen. Aber ich gedulde mich gerne; wie mir schon Didius Albinus sagte, mahlen die Mühlen der römischen Politik und Verwaltung offenbar oft langsamer, als man uns glauben machen will."


    Nach dieser Einleitung machte ich eine kurze und zugegebenermaßen künstliche Pause; mein eigentliches Anliegen sollte erst jetzt folgen.


    "Vielleicht könnte man die Zeit, in der diese Listen noch fehlen, anderweitig nutzen. Seit dem gelungenen Festmahl anlässlich eurer Ankunft, das Lucius vorbereitet hatte, trage ich mich mit einer Idee: Könnte man nicht anlässlich eurer Wiederkehr aus Mogontiacum und/oder deiner Wahl und Ernennung zum vigintivir eine kleine Feier abhalten?"

    Nach der Ankunft von Sisenna im triclinum und nach Lucius' Begrüßungsworten begab auch ich mich zu einer Liege, um nun endlich den schier unüberschaubaren kulinarischen Genüssen zu frönen, die mein Bruder hatte vorbereiten lassen. Während ich mich also niederlegte, ging mir einiges durch den Kopf. Hätte ich der Begrüßung durch meinen Bruder noch ein eigenes Grußwort folgen lassen sollen? Ach, ich war in solchen Fragen der Etikette und des gesellschaftlichen Anstands immer noch so unbeholfen: Einerseits hätte ich meinen Verwandten natürlich gerne noch gesagt, wie sehr ich mich darüber freute, sie nach so langer Zeit endlich leibhaftig und gesund vor mir zu sehen. Andererseits kam es mir als Jüngerem aber eigentlich nicht zu, den Worten meines Bruders noch etwas hinzuzufügen.


    Deshalb versuchte ich, die anderen wenigstens durch ein dankbares Lächeln, das ich jedem und jeder einzelnen von ihnen schenkte, wissen zu lassen, wie froh ich war, sie zu sehen. Dabei meinte ich zu sehen, dass Deandra nach wie vor ein wenig verstimmt wirkte; o je, für sie war dieser ganze "Spaß" dann vielleicht doch etwas zu viel gewesen. Ich hatte sie auch tatsächlich als eine überaus aristokratische Erscheinung in Erinnerung, die in jeder Situation des Lebens Wert darauf legte, ihrem Stand gemäß behandelt zu werden und selbst zu handeln. Oder war es gar noch etwas anderes, das ihre Stimmung trübte?


    Den geheimnisvollen Gesichtsausdruck Priscas vermochte ich fast nicht zu deuten, an Helena aber vermeinte ich, eine gewisse Blässe wahrzunehmen. Und tatsächlich: Zwar kümmerte sie sich gleich anfangs zärtlich um ihre kleine Schwester, entschuldigte sich aber schon bald, weil ihr unwohl war. Ich wollte mich schon erbieten, sie zu begleiten, ließ dieses Unterfangen dann aber doch aus Gründen der Diskretion bleiben.


    Gar nicht diskret, sondern ganz besitzergreifend hatte sich Corvinus inzwischen der kleinen Sisenna bemächtigt. Traurig beobachtete ich ihren Gesichtsausdruck, der von hoffnungsvoller Vorfreude über gereizte Begierde bis hin zu tiefer Resignation wechselte. Es tat mir weh, die Kleine so zu sehen, und setzte daher große Hoffnung in Helena, die gleich zu Anfang offenbar einen guten Kontakt zu ihrer Schwester gefunden hatte. Ich selbst warf Sisenna einen Blick zu, in den ich soviel Mitgefühl wie möglich zu legen versuchte.


    Dass mein Blick bis dato mit geringerer Intensität über all die Speisen geglitten war, die unter der Ägide meines Bruders zubereitet worden waren, war nicht etwa einer Undankbarkeit auf meiner Seite zuzuschreiben, sondern einfach meinem fehlenden Sinn für solche Dinge. Von klein auf hatten mich eben Menschen erheblich mehr fasziniert als das Aussehen und die Beschaffenheit von Dingen. Was ich nun allerdings hier vor mir sah und auch genussvoll erschnuppern konnte, verschlug mir fast die Sprache. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, wonach ich meine Hand zuerst ausstrecken wollte, und so ließ ich mir zunächst einmal verdünnten Wein geben zur Feier des Tages, ansonsten trank ich ja nie viel. Aber das musste ich natürlich sagen: Mein Bruder hatte eine wahre Begabung dafür, solche Zeremonien auszurichten; und da kam mir auch so ein Gedanke, den ich unbedingt bald ansprechen würde, keinesfalls aber heute. Denn mir lag bereits etwas anderes auf der Zunge; schmunzelnd wandte ich mich meinen Verwandten zu und sagte:


    "Ich freue mich auch sehr, dass ihr jetzt so wohlbehalten hier angekommen seid. Aber sagt mal, wie war es denn in Germania und auf der Reise bei drei so willensstarken Frauen und einem einzigen Mann dazwischen?"

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    Original von Spurius Purgitius Macer
    "Salve", begrüßte Macer den Mann, den er nicht kannte, der sich aber praktischerweise gleich selber vorstellte. "Ich habe diese Männer schließlich gewählt, oder zumindest die meisten davon, da muss man ja auch sehen, ob sie brav ihren Eid leisten, nicht wahr?", antwortete er unverbindlich, da der Mann etwas unsicher wirkte. "Und ob ich zu den Stützen Roms gehöre, naja, das lassen wir mal die Geschichtsschreiber entscheiden." Er blickte den Aurelier neugierig an und versuchte, ihn sich zumindest einigermaßen zu merken. Vielleicht wollte er ja etwas wichtiges, da sollte er ihn dann auch später wiedererkennen können.


    Beim Wort des Senators über die Geschichtsschreiber musste ich auflachen.


    "Von Geschichtsschreibern wird ja verlangt, sie sollten sein wie die Philosophen: Die menschlichen Angelegenheiten und politischen Ränke beobachen von der Perspektive des logos her. Manche allerdings sehen das vielleicht nicht so kleinlich, und ich möchte nicht für jedes Lob eines Geschichtsschreibers meinen Kopf verwetten, ob da nicht die Macht im Hintergrund stand, die zwar nicht logos heißt, aber zumindest nicht stinkt."


    Die aufgeräumte Art des Senators hatte mich redselig gemacht, und das Thema interessierte mich natürlich.


    "Man könnte seine res gestae natürlich auch gleich selbst verfassen; vielleicht sollte ich damit für meinen Vetter Appius schon einmal anfangen - oder gar für mich? Bei dir werden derartige Hilfestellungen zweifellos nicht nötig sein."


    Unwillkürlich musste ich lachen bei dem Gedanken, wie ich nächtelang darüber brütete, mein bislang recht belangloses Leben auf Papyrus zu bannen. Ernster wurde ich allerdings, als ein neuer Gedanke in mir auftauchte:


    "Gespannt bin ich allerdings auch darauf, was die Historiker eines Tages über den derzeitigen Konflikt mit den Parthern schreiben werden. Gibt es darüber eigentlich schon Neuigkeiten? Immerhin ist auch der Kaiser dort, wie ich ja schon gesagt habe. Und solche militärischen Nachrichten interessieren mich natürlich auch; seit mein Vetter Appius sein Tribunat bei der II absolviert hat, sind solche Dinge bei uns oft Gesprächsthema, und ich muss sagen, seine Begeisterung hat ansteckend auf mich gewirkt."

    Der Magistrate des cursus honorum waren ja nun nicht wenige, und jeder von ihnen musste seine Eide sprechen und sagte dazu noch ein paar Worte - nicht viel natürlich, eine Rede war ja erst am Ende der Amtszeit fällig. Dennoch: Alles in allem dauerte die Prozedur recht lange, was ich aber gar nicht bedauerte, weil es mir die Gelegenheit gab, mich unter den Zuschauern dieser Zeremonie ein wenig umzusehen. Dabei kam mir wieder einmal meine Körpergröße zu Hilfe, die mir erlaubte, über die Köpfe vieler der Versammelten hinweg zu blicken.


    Mein Blick wurde bald schon angezogen von einem Mann, den ich beim Fest des Octavius Avitus zu meinem Bedauern nur von Ferne gesehen hatte: dem Senator Purgitius Macer. Eine Weile sah ich zu ihm hinüber; genau wie ich schien auch er damit beschäftigt, die gesamte Situation auf sich wirken zu lassen, denn sein Blick schweifte aufmerksam hin und her und blieb mal hier, mal dort länger an einer Person haften - leider nicht an mir. Zu gerne hätte ich ihn angesprochen, zumal er gar nicht weit von uns entfernt stand. Einen Moment lang überlegte ich, ob die Möglichkeit bestünde, eines unserer attraktiven weiblichen gens-Mitglieder einen Kontakt zu ihm knüpfen zu lassen, nahm von dieser Idee dann jedoch Abstand: So sehr ich in der Theorie auch ein Anhänger der alten römischen Sitten war, nach denen sich jedes Mitglied einer gens und ganz besonders die weiblichen in den Dienst derselben zu stellen hatten, so zögerlich war ich dann doch immer wieder in der Praxis. Vielleicht hatte der gute alte Cato doch Recht damit gehabt, dass die griechische Philosophie auf uns Römer einen verderblichen Einfluss ausübte, indem sie den Einzelnen auf Kosten der Gemeinschaft in den Vordergrund stellte. Und in dieser Philosophie war nun einmal auch ich erzogen worden.


    Zu solchen philosophischen Erwägungen ließ mir der getragene Fortgang der Ernennungen der Magistrate durchaus Zeit; andererseits aber war da meine Neugier auf Senator Purgitius, von dem nun wirklich alle in den höchsten Tönen schwärmten. Gut, also, eine Frau der Aurelier wollte ich nicht vorschicken - was also stattdessen tun? Indem ich meinen umstehenden Familienmitgliedern eine kurze Erklärung zuflüsterte, machte ich mich allmählich auf den kurzen Weg in Richtung auf den Senator in der Hoffnung, dass mir noch irgendetwas einfallen werde. Hatte nicht Aristoteles gesagt, am besten nachdenken könne man im Gehen? Oder war dies jemand anderes gewesen ...


    Ich stand nun schon kurz vor dem Senator und wurde von seinen Sklaven wohl nur wegen meines Halbmondes nicht aufgehalten. Freundlich nickend begrüßte ich den Mann, der ungefähr ebenso groß war wie ich.


    "Salve, Senator Purgitius! Wie ich sehe, hast auch du es dir nicht nehmen lassen, der Ernennung der neuen Magistrate beizuwohnen. Es ist ja dieses Mal auch etwas Besonderes, immerhin werden diese Männer ihre Arbeit verrichten in Abwesenheit des Kaisers ..."


    Ich stockte, denn nun preschte ich viel zu schnell vorwärts, wie es möglicherweise unserer Armee gegen die Parther anzuraten war - oder auch nicht, da kannte ich mich leider nicht gut aus -, aber sicherlich nicht mir in einem ersten Gespräch mit dem Senator.


    "Für mich ist es auch etwas ganz Besonderes, denn Marcus Aurelius Corvinus, der eben zu einem der decemviren ernannt wurde, ist mein Vetter. Ich selbst heiße Appius, genannt Cotta. Wir sahen uns schon kurz beim Fest des Octavius Avitus, leider aber nur von weitem. Als ich dich eben sah, wollte ich unbedingt nachholen, was ich beim Fest des Octaviers verpasst habe: eine der Stützen Roms wenigstens begrüßen."

    Wie von einem disziplinierten und strebsamen Mann wie meinem Vetter auch gar nicht anders zu erwarten, hatte dieser gleich nach seiner Wahl und seiner Ernennung zum decemvir litibus iucandis seine Arbeit aufgenommen und sich dafür in sein officium zurückgezogen. In der Hoffnung, von ihm lernen und ihm vielleicht auch ein wenig behilflich sein zu können, hatte ich Maron zu seinem officium geschickt, um entsprechend anfragen zu lassen; mein Sklave kam jedoch mit der Nachricht wieder zu mir, dass er gar nicht bis zu meinem Vetter vorgedrungen sei, sondern dass dieser seinen scriba personalis zu sich gerufen habe und mit ihm konferiere. Ich seufzte, schließlich kam diese Neuigkeit meiner Ungeduld nicht gerade entgegen, und schickte Maron erneut, dieses Mal aber mit dem Auftrag, sich in der Nähe des officiums Corvini zu postieren und mir Mitteilung zu machen, wenn der scriba dieses verlasse. Dies geschah nun zum Glück schneller, als ich befürchtet hatte; auf Marons Nachricht hin stand ich eilig auf und begab mich zu Corvinus.


    Auf mein Klopfen hin ertönte der Ruf einzutreten, dem ich mit Freude Folge leistete. Hinter mir schloss ich die Türe, drehte mich zu meinem Vetter um und sah ihn einen Moment lang ganz sprachlos an, denn, was ich sah, faszinierte mich zu sehr.


    "Marcus, du siehst ... du siehst so fröhlich aus wie ein junges Mädchen. Ich freue mich sehr mit dir für dein neues Amt!"


    Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder auf den eigentlichen Grund meines Besuches besann.


    "Ich weiß, wie wichtig das alles ist, was du jetzt tust. Kann ich dir irgendwie behilflich sein? Und dann wäre da ja noch etwas ..."


    Abwartend und lächelnd zugleich sah ich ihn an; ob er erriet, was ich meinte?

    Dass die Anklage nach Annaeus Domitianus noch Pompeius Strabo in den Zeugenstand berief, überraschte mich sehr. Immerhin wurde ihm an anderer Stelle aus denselben Gründen der Prozess gemacht wie Helvetius Sulla; jenem Prozess hatte ich nun leider nicht beigewohnt, jedoch war dieser Pompeius ja nach allem, was gerüchteweise, aber auch in dem hiesigen Prozess über ihn zu hören war, ein charismatischer Redner. Dass man ihm - wie ich angesichts der eindeutigen Beweislage fand - ohne Not nun noch einmal die Gelegenheit bot, sich selbst darzustellen, erstaunte mich sehr. Aber vielleicht war es dem Ankläger darum zu tun, nach den entsprechenden Auslassungen des Helvetius keinen Anhaltspunkt dafür zu liefern, dass dieses Verfahren etwa voreingenommen sei; so wurde nun also auch noch der Zeuge Pompeius Strabo aufgerufen.


    Ich seufzte und lehnte mich zurück, da ich ja nun einen spektakulären Auftritt dieses Zeugen erwartete; und wer konnte es schon wissen: Vielleicht würde ich von seiner Rhetorik noch lernen können. Ich sollte mich täuschen; Pompeius Strabo sagte auf die Fragen des Anklägers hin kein einziges Wort. Als die Reihe, Fragen zu stellen, an die Verteidigung, mithin an Helvetius Sulla, überging, nutzte dieser die neuerliche Gelegenheit zum Reden zu erneuten Ausfällen gegen das Gericht und auch gegenüber den Zuschauern. Damit knüpfte er nahtlos an seinen indiskutablen Kommentar nach der Aussage des Zeugen Annaeus Domitianus an.


    Bei seinen letzten Worten hörte ich schon gar nicht mehr hin, sondern stellte mir vielmehr die Frage, wie es bei Helvetius Sulla zu diesem Stimmungswandel hatte kommen können. Immerhin war er mir anfangs ja als eine durchaus eindrückliche Persönlichkeit erschienen. Aber vielleicht war dieser Mann nach seiner Niederlage und der zermürbenden Kerkerhaft gebrochener, als es zunächst den Anschein hatte. War es ihm eingangs des Prozesses noch gelungen, sich zu fassen und seinen Überzeugungen - so schändlich diese waren - Ausdruck zu verleihen, so schien er in meinen Augen nun mehr und mehr in sich zusammen zu fallen. Diese letzte Anspannung eingangs des Verfahrens, die einhellige Ablehnung, auf die seine Äußerungen gestoßen waren - denn vielleicht hatte er im Stillen doch noch auf eine größere Anerkennung seiner Motive gehofft -, dies alles mochte dazu beigetragen haben, dass es ihm nun offenbar auf die Meinung des Gerichts und der Zuschauer nicht mehr ankam, ja, dass er sich darum nicht mehr scherte und dies, nur noch dies, Zuschauer und Gericht noch wissen lassen wollte.


    Dass der Ankläger dann in seinem Abschlusspladoyer ganz auf Rhetorik verzichtete und fast in der stoischen Manier des Cato Uticensis einfach nur die Fakten aufzählte, empfand ich gegenüber den letzten Ausbrüchen des Angeklagten als wohltuend. Wie würde der Verteidiger sich gebärden? Bisher hatte auch er sich ja sehr zurückgehalten, da Helvetius Sulla offenbar Wert darauf gelegt hatte, sich selbst zu verteidigen. Ich lauschte gespannt der Abschlussrede der Verteidigung.

    Da war er! der erste Angriff meines Vetters, den er mit einer Linksdrehung seines Körpers antäuschte, um sich dann nach rechts zu wenden. Er langte nach meinen Oberarmen, und es gelang ihm erstaunlich gut, sie in den Griff zu bekommen trotz des Öls, mit dem sowohl sie als auch mein ganzer Körper eingerieben waren wie der seine ja auch. Fasziniert und überrascht zugleich beobachtete ich, wie er mit aller Kraft versuchte, mich mit diesem seinen Griff aus dem Stand zu bringen. Bei den Längenverhältnissen unserer beiden Körper wäre es für Corvinus doch ratsam gewesen, die Hebelwirkung zu nutzen, sich mit einem meiner Beine zu verhaken und mich so von denselben zu holen. Arithmetische Genauigkeit, wie in der Politik. Aber vielleicht lag ihm gar nicht soviel daran, mich hier unbedingt zu besiegen.


    Während meiner Zeit in Griechenland, als ich in vielfacher Hinsicht als Adept einer Lehranstalt außen vor stand, war es mir durch diese außenstehende Beobachtung gelungen, die Menschenkenntnis, die ich schon im Kindes- und Knabenalter erworben hatte, zu verfeinern. Auf meiner Reise hierher nach Roma hatte ich mir oft vorgestellt, wie ich diese Fähigkeit auf die Mitglieder meiner gens anwenden würde, die ich ja nun jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Interessant war dabei für mich natürlich vor allem neben meinem Bruder Lupus seit seiner Rückkehr Corvinus, mit dem ich mich in Alter, Geschlecht und Ambitionen am ehesten vergleichen konnte. Seitdem ich ihn nun nach Jahren wieder um mich hatte, war mir aufgefallen, dass er, so zielstrebig er zweifellos seinen Ambitionen nachging, doch sehr viel mehr auf Kleinigkeiten und Abläufe achtete als ich. Mir war es eher darum zu tun, welches Resultat am Ende stand.


    Aber auch mir war es bei diesem unserem Gefecht ja nicht so wichtig zu gewinnen, im Gegenteil, ich wusste natürlich, dass es meine Pflicht war, meinen Vetter hier siegen zu lassen. So tat ich gar nicht viel, sondern hielt seiner Attacke einfach nur stand, was Corvinus durchaus zu würdigen wusste. Ich dagegen wusste, dass die Form es erfordern würde, nun meinerseits noch einen Angriff zu starten.


    "'Der Geduldige ist besser als der Starke', sagt eine alte Weisheit"


    , und sagte ich lachend zu Marcus. Vor eigener vergeblicher Anstrengung geriet mein Vetter nun selbst ein wenig ins Straucheln, und ich hätte ihm leicht einen Fuß wegziehen können; er wäre gestürzt, und damit hätte ich gewonnen. Doch dies eben sollte ja nicht geschehen; was sollte ich also tun? Ich geriet einen Moment lang ins Überlegen und passte nicht auf.

    Seit meiner Jünglingszeit war es das erste Mal, dass ich wieder auf dem römischen Forum stand. Sicherlich war ich damals auch nicht allein gewesen - eigentlich konnte ich mich daran aber gar nicht mehr erinnern. Heute jedenfalls war ich im Kreise einiger Mitglieder unserer gens zum Forum gekommen, um mit Freude der Ernennung meines Vetters Marcus zum decemvir litibus iucandis beizuwohnen.


    Als Corvinus mit einnehmender, deutlicher Stimme seinen Eid ablegte, konnte ich in den Gesichtern der anderen Verwandten, zu denen ich aus den Augenwinkeln heraus hinsah, Stolz und Erleichterung zugleich erkennen. Dieser Moment war für uns alle wohl nicht einfach nur erhebend; dass der ausgezeichnete persönliche Ruf meines Vetters und seine Integrität offenbar weit über den anspannenden und auch unschönen Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen standen, machte mich ehrlich froh.


    Meine Freude galt dabei nicht nur der bloßen Tatsache, dass er gewählt worden war und dies offenbar auch mit einem ausgezeichneten Ergebnis, sondern auch seiner Ernennung genau zu dem Amt, das er präferiert hatte: decemvir litibus iucandis. Ich hatte seine Präferenz gut nachvollziehen können und konnte mir vorstellen, dass ihm gerade dieses Amt sehr liegen würde, vor allem auch nach seinem Militär-Tribunat bei der legio II, und so freute ich mich mit ihm auf die kommenden Monate.

    Es dauerte gar nicht lange, nachdem der Aurelier-Zug am triclinum angelangt war, als mein Bruder Lupus auch schon wieder das Regiment übernahm unter tatkräftiger Mitwirkung der beiden Göttergeschenke Wasser und pulsum. Obwohl Lupus noch gütig versuchte, eine Erklärung dafür zu liefern, warum nun ausgerechnet ich nicht von dem Brei essen sollte, ließ ich mich natürlich gar nicht lange bitten, ergriff einen Löffel und aß munter von dieser erlesenen römischen Speise. Dies gab mir auch die Gelegenheit, meine ehernen Gesichtszüge ein wenig zu entspannen, denn es kostete mich wirklich viel Mühe, mein Lachen zu unterdrücken. Im Unterschied zu Lupus hatte ich ja kaum eine Möglichkeit zu agieren und mich dadurch abzureagieren; und einen Bart, der meine zuckenden Mundwinkel gnädig verdeckte, hatte ich natürlich auch nicht. Ich wurde auch das Gefühl nicht los, dass mich ausgerechnet mit der Verwandten, die ich von früher her am wenigsten kannte, mit Prisca nämlich, die geheime Leidenschaft für die Beobachtung von Menschen verband. Sie verhielt sich ziemlich ruhig, sah mich nur manchmal mit ihren funkelnden blauen Augen unter ihren schwarzen Brauen so seltsam an, als hätte sie zumindest mich schon längst durchschaut.


    Der puls-Brei schmeckte mir übrigens gar nicht einmal so schlecht; gerade zum ientaculum hätte ich mir durchaus vorstellen können, so etwas öfter zu essen. Nun, mir fehlte für Gaumenschmaus aber auch einfach der Sinn und der Geschmack, ganz im Gegensatz zum "Kyniker" Lupus, wie er nun, nach einer kurzen, aber eindringlichen kynischen Meditation des Kosmos unter Beweis stellen konnte, als er das Rätsel und die ständig - vor allem bei Corvinus und Deandra - steigende Spannung löste und ein Essen ins triclinum tragen ließ, das selbst die villa Aurelia sicher lange nicht mehr gesehen hatte. Da ich Lupus bei der Vorbereitung dieses Essens ebenso frei hatte schalten und walten lassen wie bei dem Erdenken der rundum gelungenen Kyniker-Wasser-und-puls-Komödie, war ich selber überrascht und sprachlos, was die Sklaven nun alles an erlesenen Speisen und Getränken brachten. Dies war nun sicher eines Patrizier-Haushaltes würdig.


    Endlich konnte ich meinen Gesichtszügen freien Lauf lassen und lachen, beobachtete dabei aber immer noch vor allem Deandra, die von dem Theater wohl am meisten beeindruckt worden war. Mir fiel auf, dass sie nach der langen Zeit, in der ich sie nicht gesehen hatte, noch viel schöner geworden war als zuvor; Corvinus, der alte Schwerenöter, schien ihr wirklich gut zu tun. Bei diesem glücklichen Gedanken hielt ich mich allerdings nicht mehr besonders lange auf, denn nun fiel mir endlich ein, dass hier ja noch jemand fehlte: Wo war eigentlich Sisenna? Die Sklavinnen hatten sie doch fertig machen sollen.


    Schon wollte ich einer Sklavin einen Wink geben, damit diese nach Sisenna sehe, als ich einen leisen Schrei vernahm. Tatsächlich erblickte ich die Kleine nun am Eingang des triclinums, wo sie offenbar mit einem Sklaven zusammengestoßen war und sich nun die Stirn hielt. Eilig lief ich nun selbst auf sie zu - offensichtlich waren die Sklaven ja an diesem Tage mit der Aufgabe überfordert, für Sisenna zu sorgen -, doch noch bevor ich bei ihr anlangte, hörte ich aus ihrem Mund den Satz, den ich insgeheim befürchtet hatte: Sisenna stellte fest, dass auch jetzt ihre Eltern nicht da waren, was sie scheinbar immer noch gehofft hatte. Meine Versuche, sie mit der traurigen Wahrheit vertraut zu machen, hatten also nicht gefruchtet. Ich sah das Mädchen einen Moment lang an; da ich mich aber hilflos fühlte, reichte ich ihr einfach nur meine Hand, um sie nun vorzustellen:


    "Lupus und gutes Essen hin oder her; schaut mal, wen wir hier noch haben!"

    Wenn ich die vergangenen Tage Revue passieren ließ, so drängte sich mir eine erstaunliche Parallele auf zwischen meiner eigenen Ankunft in der villa Aurelia in Roma und der meines Vetters Corvinus: Beide wurden wir fast augenblicklich mit Dingen konfrontiert, die wir niemals hätten vorhersehen können und die beileibe nicht immer angenehm gewesen waren; meinem Cousin steckte zusätzlich noch der Wahlkampf für den cursus honorum in den Knochen. - Doch vielleicht war diese Parallele zwischen unserer beider Ankünfte auch gar nicht so erstaunlich, wie ich im ersten Moment dachte. Vielleicht war es ja einfach das Leben mit seinen Veränderungen, Metamorphosen und nicht immer angenehmen Seiten, das einen nach längerer Abwesenheit und langer Reise erwartete.


    Wie dem auch sei, nach seiner - überhaupt nicht überraschenden! - Wahl hatte ich meinem Vetter den Besuch in einer Institution des römischen Lebens vorgeschlagen und noch dazu eine Aktivität, bei der mich derlei philosophische Gedanken nur behindern würden: einen Besuch in den Thermen und dazu einen Ringkampf. Sofort hatte Corvinus zugestimmt in der Hoffnung auf einen weiteren grandiosen Sieg und sicherlich auch auf Entspannung. Die gleichen Wünsche beseelten auch mich - für mich stand natürlich keineswegs fest, dass mein Vetter mich besiegen würde :D -; zugleich hatte ich unseren Besuch hier in den Thermen jedoch auch mit gewissen Hintergedanken verbunden, bot er mir doch die Möglichkeit, einmal ganz allein mit Corvinus zu sprechen über seine und meine Zukunftspläne.


    Nach den üblichen Prozeduren des Auskleidens und Einölens standen wir beiden uns also gegenüber. Mein Vetter schien sich seiner Sache ja sehr sicher zu sein, wie mir sein Grinsen verriet; dabei fiel mir auf, dass er ohnehin jemand war, der eine sehr optimistische und durchsetzungsstarke Ausstrahlung hatte. Und doch musste ich hier einmal gleich Essig in den Wein gießen; ich sagte daher zu ihm lachend:


    "Vergiss nicht, lieber Vetter, hier sind wir nicht auf dem Feld der Politik, sondern auf dem nicht weniger glitschigen Parkett des Kampfes Mann gegen Mann. Sieh dich also vor!"


    So sprach ich aber nur, um ihn ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Meiner Meinung nach war er mir in dieser fünften Disziplin des Pentathlon eindeutig überlegen mit seinem athletischen und wendigen Körperbau. Ich war für den Ringkampf dagegen eigentlich zu staksig, und Schnelligkeit war auf keinem Gebiet des Lebens meine große Stärke. Doch wie gesagt, ich war hier nicht angetreten, um im Ringkampf zu siegen, mein Blick richtete sich auf anderes - in diesem Moment jedoch erst einmal in die Augen und auf die Muskeln von Corvinus, um jeden Angriffsversuch sofort am Zucken der entsprechenden Körperpartie zu erkennen.

    Während der Begrüßungszeremonie gelang es mir nur mühsam, mein Schmunzeln über die gelingende Komödie zurückzuhalten: Lupus spielte seine Rolle als quickfideler kynischer Zeremonienmeister einfach zu gut! In einem einzigen Moment war es mir vergönnt, meine Züge zu entspannen: Als Corvinus mich zur Begrüßung vertraulich umarmte und die weiblichen Mitglieder unserer gens freundlich, aber auch schon ein wenig erschrocken grüßten, war ein freundliches Lachen auch von meiner Seite natürlich angebracht, das die fast schon verkrampften, eingemeißelten Gesichtszüge merklich lockerte. Ich war aber auch froh, alle so wohlbehalten wiederzusehen!


    Dies aber dauerte nur einen kurzen Moment, dann hieß es für mich schon wieder, mit meiner Miene in ernsthafter Würde zu machen, denn Lupus hob mit neuen erhellenden Erklärungen an. Einzig die ununterbrochene Meditation stoischer Leitsätze half mir in diesen ungemein komischen Augenblicken dabei, meine Fassung zu bewahren und nicht loszulachen - die Meditation stoischer Leitsätze, daneben aber auch meine dritte große Leidenschaft neben der Philosophie und der Politik: die Beobachtung von Menschen. Während mein Bruder nämlich weiterhin auf die lieben Verwandten in einer Art und Weise einsprach, die für diese nur verwirrend sein konnte, bot sich mir die Gelegenheit, ihr Verhalten in dieser für sie unerwarteten Situation zu studieren: Corvinus versuchte natürlich energisch, das Heft des Handelns wieder an sich zu bringen; Deandra schien ehrlich erschüttert und Prisca, die ich von allen ja am wenigsten kannte, schien über ein ausgesprochen helles Köpfchen zu verfügen; mir kam es nämlich so vor, als suche sie bereits im Stillen nach Fluchtmöglichkeiten für ihre Person aus dieser "kynischen Idylle".


    Aus diesen meinen Beobachtungen wurde ich unsanft gerissen, als Lupus mich aufforderte, unsere Verwandten nun ins triclinum zu führen, während er aus der culina Wasser holen wollte. Diesem Verlangen leistete ich auch nur zu gerne Folge, gab es mir doch die Möglichkeit, im Voranschreiten vor den Familienmitgliedern diesen den Rücken zuzudrehen und nun doch einmal wieder zu lachen. Das Lachen allerdings unterdrückte ich dann auch wieder recht schnell, weil ich noch einiges sagen wollte und man an meiner Stimme die lachenden Gesichtszüge ja nicht erkennen sollte; ich beabsichtigte nämlich, noch eins draufzusetzen:


    "Wenn wir auch im Moment nicht viel hier haben - Wasser ist genug da! Es wird sicher neben dem Trinken auch noch dazu reichen, euch die Füße damit zu waschen - an den überflüssigen Luxus eines Bades denkt ihr doch sicher nicht?"


    Ich musste grinsen und war wirklich froh, dass ich Maron stricte in den hinteren Teil der villa beordert hatte. Er hatte es gar nicht laut zu sagen brauchen, ich wusste auch so, dass er mein und Lupus' Scherz durchaus missbilligte. Und hätte ich nun auf dem Weg ins triclinum auch noch in sein entgeistertes Gesicht sehen müssen - ich hätte ganz sicher laut loslachen müssen. So aber gelang es mir noch, einigermaßen glaubwürdig anzufügen:


    "Ich hoffe, ihr alle seid nicht so konsterniert, dass ihr gar nicht mehr an unseren kleinen Sonnenschein denkt: Sisenna! Ich kann euch übrigens beruhigen, sie wird natürlich nicht nur von Wasser und puls ernährt, und gewaschen wird sie auch regelmäßig! Allerdings versäumen Lupus und ich natürlich nicht, sie bereits jetzt mit den Grundsätzen der kynischen Philosophie vertraut zu machen. Es ist ja so wichtig, dass Kinder schon früh den richtigen Weg gewiesen bekommen!"


    Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, waren wir am triclinum angelangt. Ich war gespannt, wann mein Bruder sich wieder zeigen würde.