Beiträge von Appius Aurelius Cotta

    Sim-Off:

    @ Cadhla: Danke für den schönen Namen! :]


    An meinem Beobachtungsposten stehend, zogen sich meine Mundwinkel zu einem immer breiteren Strahlen auseinander: Ja, die beiden passten gut zusammen! Mir war klar, dass ich in diesen zwischenmenschlichen Dingen über keine große Erfahrung verfügte, doch gerade meine Nachdenklichkeit von klein auf hatte mich meiner Ansicht nach zu einem guten Beobachter werden lassen. Und was ich hier sah an Körpersprache, an Mienen, an Gebärden, überzeugte mich davon, dass sich Sisenna und Cadhla gut verstehen würden. Sisenna war zwar noch ein bisschen abwartend, doch dies war nach allem, was sie hatte durchmachen müssen, auch nicht weiter verwunderlich. Andererseits zögerte sie nicht, die Aufgabe des "Latein-Unterrichts" an Cadhla anzunehmen - und auch dies verwunderte mich nicht, denn unter all ihrer Trauer meinte ich, an dem Mädchen Sisenna auch eine große Durchsetzungskraft und Willensstärke erkennen zu können. Ich war so stolz auf sie; hoffentlich würde ich ihr das auch einmal zeigen können.


    Für den Moment freute es mich aber, dass Sisenna nun eine Spielkameradin gefunden hatte, die offenbar wirklich Kinder mochte, auch wenn sie meine entsprechende Frage vorhin nicht hatte beantworten können. Ich hätte auch noch weiter gerne Mäuschen bei den beiden gespielt, rief mir aber ins Gedächtnis, dass ich nun kein kleiner Junge mehr war und noch anderes zu erledigen hatte. So legte ich still das pappige Päckchen, das Sisenna zu meiner Überraschung nicht angenommen hatte, auf einem Tischchen ab, und schlich mich leise aus dem cubiculum, nicht ohne Sisenna und Cadhla noch einmal zuzuwinkern. ;)

    Als Maron mich von dem Kommen des Didius Albinus unterrichtete, war ich überrascht, aber auch sehr erfreut - obwohl es ja nicht nur Erfreuliches zu besprechen gab. Sofort verließ ich meinen Schreibtisch und begab mich ins Atrium, wo ich eines eleganten, würdevollen Mannes angesichtig wurde, der bereits Platz genommen hatte. Nachdem Maron Didius Albinus und mich einander noch einmal kurz vorgestellt hatte, ergriff ich das Wort.


    "Didius Albinus, ich freue mich, dass du so schnell kommen konntest! Das erlaubt mir, dich auch zeitnah noch einmal persönlich zu deiner Wahl zum comes zu beglückwünschen!"


    Ich machte eine kurze Pause, die ich dazu nutzte, mich zu setzen.


    "Beginnen wir doch gleich mit den unerfreulichen Dingen, dann haben wir das schon hinter uns. Sicher fragst du dich, was aus deinem Patron Aurelius Sophus geworden ist. Nun, er befindet sich seit einiger Zeit auf Reisen, und wir wissen alle nicht, wann er wieder von sich hören lassen wird. Und diese unglückselige Geschichte mit deinem Amtsvorgänger Aurelius Cicero - uns liegen leider auch keine Nachrichten von ihm vor."

    Sim-Off:

    Freut mich! =)


    Ich folgte träumerisch den Kreisen, die von meiner Fingerspitze aus immer weitere Kreise zogen und denen zuletzt nur das Ufer des Teichs eine Grenze setzte. Eine kleine Ursache und eine große Wirkung; ein kleiner Anstoß, der eine Bewegung auslöste, die sich immer weiter fortsetzte. Mein Blick wanderte weiter über das Ufer des Teichs hinaus und immer höher bis zum Himmel, an dem sich nur hauchzarte Schleierwolken zeigten. Würde das meine Zukunft sein? Selber nur wie ein Atom, dessen Bewegung aber weitreichende Folgen verursachen würde; an einem bestimmten Platz, aber mit Sorge um das ganze Imperium?


    Während ich diesen Erwägungen nachhing, war ich weit davon entfernt, irgendeinen Stolz oder Überheblichkeit in mir zu fühlen. Im Gegenteil fühlte ich die Verantwortung, die meine Geburt mir auferlegt hatte, in dieser Stunde wie eine Last. Hatte ich mich eben noch mit der Fingerspitze im Wasser, die Kreise malte, gefühlt wie der Unbewegte Beweger, so war ich doch alles andere als das Denken, das in seiner göttlichen Abgeschiedenheit nichts als sich selber sucht.


    Ich seufzte auf. Bald würde ich in dieser Villa wenigstens nicht mehr so ganz allein sein, die "Germanen" - so hatte ich die Mitglieder der gens Aurelia inzwischen getauft, die in Germania bei Corvinus weilten - würden ja in Kürze hierher zurückkehren. Aber fingen damit nicht auch schon neue Sorgen für mich an? Drei Frauen hatte Corvinus im Schlepptau, drei erwachsene Frauen der gens Aurelia. Und vor Frauen hatte ich mich schon immer ein wenig gefürchtet; ich wusste einfach nichts mit mir anzufangen in ihrer Gegenwart, war nervös und gehemmt. Zeigte das nicht auch nur wieder, dass all diejenigen Recht hatten, die mich seit meiner Kindheit dafür schalten, dass ich zu hölzern und zu ernst sei? Resigniert sagte ich mir, dass dem wohl so sein müsse, und wollte mich schon erheben, um wieder nach der Villa zurückzugehen.


    Da bemerkte ich ganz in der Nähe plötzlich ein Rascheln und Schritte, die nicht von einem Tier sein konnten. Sisenna! - war natürlich mein erster Gedanke. Meine Lippen zogen sich in die Breite zu einem Lächeln, und jede Sorgenfalte war sogleich von meiner Stirn verschwunden. Na warte, dachte ich mir, sie weiß ja nicht, dass ich hier bin; die werde ich gleich erschrecken! Ich legte mich auch schon entsprechend auf die Lauer, als auf einmal mit einem lauten Klatschen jemand ins Wasser des Teichs fiel. Ich war entsetzt, denn natürlich befürchtete ich für Sisenna das Schlimmste und wollte schon selber ins Wasser nachsteigen. Das war Cadhlas Schuld! Wie konnte sie Sisenna so alleine lassen! Es war hohe Zeit, dass man diese Sklavin einmal tüchtig auspeitschte!


    Mein Zorn verschwand allerdings so schnell, wie er gekommen war, als sich aus dem Fischteich ein erwachsener Mensch aufrappelte und im Wasser sitzen blieb - Cadhla selbst, ohne Sisenna. Ich sank wieder in meine Hock-Position zusammen, so dass wir uns jetzt fast Auge in Auge gegenübersaßen, und schnaufte durch. Ihre grünen Augen fielen übrigens in diesem Moment gar nicht mehr so auf wie sonst, wo sie sich so hinreißend von den roten Haaren abhoben, denn die Sklavin war über und über von grünlichem, schleimigem Schlamm bedeckt. Ihre Haare klebten klatschnass am Kopf, auch die unvermeidliche Strähne, die sonst immer den Blick in ihre schönen Augen trübte. Dies alles registrierte ich jedoch nur beiläufig, da mein sorgenvoller Blick zunächst den Fischen galt, die sich allerdings offenbar gut gehalten hatten. Erst da bemerkte ich, dass die wässrige Schlammfontäne, die Cadhla ausgelöst hatte, auch mich nicht verschont hatte. Ich sah an mir hinunter, und mir wurde klar, dass mein zweiter längerer Ausflug in den hortus der villa Aurelia in Roma mir nun schon die zweite Tunika ruiniert hatte. Ein Griff in meine Haare und in mein Gesicht brachte dann die Erkenntnis, dass ich kaum besser aussehen musste als mein Gegenüber und dass wir beide im Moment mit Leone hätten verwechselt werden können.


    Doch es war seltsam; ich konnte mich darüber irgendwie gar nicht mehr aufregen. Hatten mich die Anspannungen der vergangenen Tage und Wochen einfach zuviel Kraft gekostet, und gerade eben auch noch die Angst, dass Sisenna in den Teich gefallen sein könnte? Jedenfalls musste ich mich sehr beherrschen, um nicht in lautes Lachen auszubrechen, denn ein starker Reiz dazu durchzuckte meinen ganzen Körper wie bei einem jungen Mädchen. Ich ergriff mit meiner rechten Hand einen Klumpen Schlamm und tat mit einem breiten Grinsen so, als wolle ich ihn Cadhla ins Gesicht werfen - was ich aber natürlich nicht tat. Stattdessen ließ ich die Hand sinken, richtete mich langsam auf und schaute an mir herunter: Ja, ich sah zum Fürchten aus, und selbst das edle Leder meiner Sandalen hatte sich ganz vollgesogen mit Wasser.


    Was sollte ich jetzt tun? Maron hatte ich an diesem Abend frei gegeben; er war in die Stadt gegangen; wo genau er sich herumtrieb, wollte ich lieber nicht wissen. Sollte ich nach Sklaven rufen? Wir waren aber weit vom Hause entfernt, und möglicherweise würde man mein Rufen nicht hören. Mein Blick richtete sich wieder auf Cadhla, die immer noch ganz verschämt im Wasser des Teichs saß. Was hatte sie nur hier gewollt? Wollte sie mir etwas wegen Sisenna sagen? Oder war sie mir nachgeschlichen? Ich hatte lange nicht mehr mit ihr geredet, aber Maron, der sie natürlich nicht aus den Augen ließ, hatte mir berichtet, dass sie inzwischen ganz ordentlich Latein spreche. In der komisch-abstrusen Situation, in die sie uns beide gebracht hatte, kam mir nun der Gedanke, das doch einmal zu überprüfen.


    Ich straffte meine Haltung und versuchte, eine möglichst strenge Miene aufzusetzen, unter der jedoch bereits, wie mir schien, mein Lachen durchschimmerte. Ich streckte ihr meine rechte Hand entgegen. Mit künstlich tiefer Stimme sagte ich zu ihr:


    "Es ist mir bekannt, dass auch in eurer Mythologie in Britannia Wesen existieren, die in Seen wohnen. Damit ich weiß, ob du so ein Wesen bist oder unsere gute alte Cadhla aus Fleisch und Blut - gib' mir deine Hand und komm' schon endlich aus dem Wasser."


    Dann konnte ich mein Grinsen nicht mehr verbergen.

    Gleich bei meinen ersten Streifzügen durch den riesigen Hortus der Villa Aurelia in Roma war mir der kleine, malerisch gelegene Fischteich aufgefallen. Von meiner Kinderzeit und meinen damaligen Besuchen in Rom her hatte ich mich an diesen gar nicht mehr erinnern können. Umso mehr bewunderte ich nun seine kluge Anlage: Er lag versteckt hinter dichtem Gebüsch und von einer Trauerweide bestanden, so dass man ihn von weitem nicht sehen konnte, und doch so, dass das Licht sich bei hohem Sonnenstand strahlend auf der Oberfläche des Wassers spiegelte.


    Genau dieser traumhafte Anblick bot sich mir auch an diesem Hochsommer-Abend. Die Hitze des Tages hatte sich schon ein wenig geneigt, die Weide spendete zusätzlichen Schatten und Kühlung, und doch glitzerten noch Sonnenstrahlen im Wasser. Ich hatte den Teich schon einige Male umrundet, da das Schilfgras zurückgeschnitten worden war. Nun hockte ich mich hin, und malte mit meinem Finger Kreise in das Wasser, die sich immer weiter zogen und meine Gedanken mit sich führten in die Ferne.



    Sim-Off:

    Wenn jemand mag ... :)

    Als der Marspriester sich mir mit erlesener Freundlichkeit mit seinem Namen vorstellte, huschte mir zum ersten Mal, seit ich mich an diesem Vormittag zu der Opferhandlung aufgemacht hatte, ein Lächeln über mein Gesicht. Zur gleichen Zeit stellte ich allerdings auch beschämt fest, wie sehr meine Jahre in Achaia offenbar dazu geführt hatten, dass ich den Überblick über die Angelegenheiten meines Standes verloren hatte. Denn natürlich sagte mir der Name des Marspriesters etwas, und ich hatte auch gehört, dass er sacerdos war, dass ich ihn aber hier im Tempel des Mars Ultor treffen würde, hatte ich nicht gedacht.


    "Flavius Aquilius, sei mir noch einmal gegrüßt, denn es ist mir eine große Freude, Dich hier zu treffen! Ich weiß, dass Du zu den ausgewählten Freunden meines Vetters Corvinus gehörst."


    Ich hielt inne. Gerne hätte ich noch mehr gesagt, doch wurde mir in diesem Moment wieder die Bedeutung des geheiligten Ortes bewusst, in dem ich mich befand. Und auch Flavius Aquilius selbst hatte mich ja mit angenehmer Souveränität auf den eigentlichen Anlass meines Besuches im Tempel gebracht, indem er mir einen Ablauf für das Opfer vorgeschlagen hatte.


    "Dem Ablauf des Opfers, den Du vorgeschlagen hast, stimme ich ganz zu. Es ist das, was ich auch schon von unseren Hausopfern kenne und von Opfern im Tempel, die ich allerdings noch nie alleine durchgeführt habe, sondern stets unter Anleitung derjenigen meiner Verwandten, deren Tod ich jetzt zu betrauern habe."


    Mit Blick auf meine Sklaven fügte ich an:


    "Neben dem Wein, Keksen und Kuchen würde ich gerne noch etwas von dem mitgebrachten Weihrauch und Obst dem Mars darbringen. Leider sind es nicht wenige Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten von uns gegangen sind und denen mein Opfer nun gilt."


    Ich sah Flavius Aquilius offen in sein anziehend-männliches Gesicht. Seine Umsicht und Freundlichkeit hatten mich doch schon wesentlich beruhigt. Ich würde mein Opfer sicher nicht vergebens darbringen.

    War nicht von G. Iulius Caesar der Ausspruch überliefert: Lasst dicke Männer um mich sein? Nun, um mich herum waren jetzt also diese grünäugigen weiblichen Wesen, die einander endlich kennen lernen sollten. Frohgemut schritt ich aus dem tablinum hinaus und auf das cubiculum von Sisenna zu. Dabei vergaß ich ganz, das Geschenk des Corvinus für Sisenna mitzunehmen, das dieser mit seinen Briefen gesandt hatte. Zum Glück brachte mir Maron das rote, verschnürte Päckchen nach und zog sich wieder diskret zurück.


    Bei den mangelhaften Sprachkenntnissen Cadhlas hatte es keinen Sinn, ihr unterwegs noch schnell zu erklären, in welcher Lage sich Sisenna befand und was sie durchgemacht hatte. Ich vertraute einfach darauf, dass die junge Sklavin genug Sensibilität aufbringen und vielleicht einiges erahnen würde - und natürlich auch darauf, dass Sisenna ihre Sache als Latein-Lehrerin ordentlich erledigen würde.


    Vor allem aber schien mir Cadhla eben wirklich sensibel zu sein; sie hatte mich im tablinum auch so lange angesehen, und ihre Augen wirkten auf mich klug und einfühlsam ... Ich fuhr ein bisschen zusammen, als sie mich plötzlich, in ihrem Latein-Kauderwelsch, fragte, was wir jetzt tun würden. Lachend drehte ich mich zu ihr um und sagte:


    "Flöhe hüten!",


    was sie sicher nicht verstand. Aber sie würde schon noch merken, was ich meinte, wenn sie erst einmal die Kleine kennengelernt hatte, vor deren cubiculum wir nun anlangten. Bevor ich eintrat, horchte ich einen Moment, ob ich aus dem Inneren des Zimmers Geräusche vernehmen konnte - nicht, dass die Amme Sisenna etwa hingelegt hatte. Aber zum Glück hörte ich Geraschel; ich klopfte kurz, trat dann aber auch direkt ein.


    "Sisenna, ich habe heute nur gute Nachrichten für dich! Wir haben nämlich einen Brief bekommen von Corvinus aus Mogontiacum. Er lässt dich ganz herzlich grüßen, und das tun auch Deandra, Prisca und deine Schwester Helena! Und es kommt noch besser: Sie werden bald hierher nach Rom zurückkommen, dann wird die villa hier voller Leben."


    Ich machte eine kurze Pause, um die vielen guten Neuigkeiten erst einmal auf Sisenna wirken zu lassen. Andererseits durfte ich ihr auch nicht zuviel Zeit geben, denn dann würde sie wieder die unvermeidliche Frage stellen, wann ihre eigenen Eltern zurückkämen. Deshalb überreichte ich ihr auch schnell Corvinus' Päckchen:


    "Und das schickt Corvinus ganz allein dir!"


    Hoffentlich schmeckt es besser, als es sich anfühlt, dachte ich bei mir, denn meine Hände waren jetzt wirklich ganz klebrig davon - wie Leone mich auch schon gewarnt hatte. Darum kümmerte ich mich aber natürlich nicht weiter, sondern winkte jetzt Cadhla heran. Diese hatte sich die ganze Zeit und schon auf dem Weg zu Sisennas cubiculum in einem auffallenden Abstand von mir gehalten. Ob sie damit besondere Wertschätzung zum Ausdruck bringen wollte? Oder hatte sie einfach nur immer noch Angst? Jedenfalls würde ich sie jetzt einer Person vorstellen, die ihr mehr Ungemach bereiten konnte als ich.


    "Sisenna? Da ist noch etwas. Corvinus hat eine Sklavin gekauft. Sie soll sich um dich kümmern. Stell dir vor, sie kommt aus Britannia, das ist ganz weit weg von hier. Noch spricht sie nicht so gut Latein, aber bei dir wird sie das bestimmt lernen. Ihr Name ist Cadhla."


    Dann wandte ich mich an die Sklavin, auf Sisenna deutend.


    "Das ist domina Aurelia Sisenna."


    Mit diesen Worten ging ich ein paar Schritte zurück, um Sisenna zu ermöglichen, Cadhla in Augenschein zu nehmen. Ich wollte das cubiculum noch nicht sofort verlassen, schließlich musste ich ja wissen, ob die beiden denn überhaupt zueinander passten. Lange aber würde ich hier nicht bleiben, sondern Maron in der Nähe des Zimmers postieren.

    Nachdem ich das Dringendste, sicher aber nicht alles Nötige für Sisenna veranlasst hatte und sie ja jetzt auch Cadhla um sich hatte, ging ich daran, allmählich all die Aufträge abzuarbeiten, dir mir Corvinus in seinem Brief genannt hatte. Für einen von diesen hatte ich am Tage Maron in die Stadt geschickt, um Erkundigungen einzuholen. Er war darin sehr gut, das wusste ich, von einer schwer zu übertreffenden Bauernschläue, die manchmal schon an Gerissenheit grenzte.


    Nach einer frugalen cena und nachdem ich Sisenna zu Bett gebracht hatte, war Maron bei mir im Officium gewesen und hatte mir Bericht erstattet. Das, was er - zum Teil mit Hilfe von Wein in einer Taverna - hatte in Erfahrung bringen können, vervollständigte die Mosaikteilchen, die ich vor meinen geistigen Auge schon zusammengesetzt hatte auf der Grundlage dessen, was mir Corvinus in seinem Brief geschrieben hatte, und meiner eigenen Lektüre der Acta Diurna. Dies bedeutete aber auch, dass gerade hier Handlungsbedarf bestand. Mit einem Dank schickte ich Maron weg, da ich ihm wegen seiner mangelnden Beherrschung des Lateinischen in Schriftform ja leider nicht diktieren konnte. Ich machte mich also selbst ans Werk und setzte einen Brief an den neuen comes der regio Italia, Quintus Didius Albinus auf, den ich hernach Maron aushändigte, damit er ihn am nächsten Tag zur casa Didia bringe.


    Ich selbst fühlte mich danach so seltsam. Einerseits war ich bei weitem nicht so erschöpft wie an meinem Ankunftstag, als ich nach der anstrengenden Anreise mich nicht nur sofort Sisennas hatte annehmen müssen, sondern auch bis spät in die Nacht hinein noch eine Epistula an Corvinus geschrieben hatte. Dennoch fühlte ich mich jetzt leer, genauer gesagt: allein.

    Natürlich hätte ich dem Anlass meines Besuches, besonders aber dem Ort entsprechend andächtiger sein müssen, so wie ich es bei Gebeten und Opfern am Hausaltar auch stets war. Als ich nun aber den Tempel des Mars Ultor betreten hatte, galt meine Aufmerksamkeit zunächst vor lauter Aufregung anderen Eindrücken. Denn zum Glück hatte ich mich nicht getäuscht in der Wahl der Vormittagsstunde: In der Tat waren nicht besonders viele Beter im Tempel anzutreffen.


    Dafür kam schon bald ein Mann auf mich zugeschritten, der mich freundlich ansprach und mir seine Hilfe anbot. War dies wirklich ein Priester? Die sacerdotes, die ich bisher in meinem Leben kennen gelernt hatte, waren alle viel älter gewesen und hatten nur noch wenige und wenn, dann weiße Haare auf ihrem Haupt getragen. Hier aber kam ein junger Mann mit athletischer Figur auf mich zu, die wohl selbst bei sportlichen Wettkämpfen Eindruck gemacht hätte.


    Auf der anderen Seite machte seine blütenweiße Kleidung einen sehr seriösen Eindruck, und mir entging natürlich auch nicht, dass er Patrizier war. Vor allem aber war es der Tonfall seiner Worte, der Souveränität und Übersicht ausdrückte, der mich schließlich davon überzeugte, einen sacerdos publicus vor mir zu haben.


    "Salve! Mein Name ist Appius Aurelius Cotta, und ich möchte ein Opfer für die verstorbenen Mitglieder meiner Gens darbringen. Einige Opfergaben wie Weihrauch, Wein und Obst führen meine Sklaven mit sich."


    Ich deutete auf die Männer, die mir gefolgt waren, jetzt aber mit einem gewissen Abstand noch vor dem eigentlichen Eingang des templum warteten.


    "Opferkuchen und Kekse riet man mir, direkt hier zu erwerben. Ich wäre auch für jede Hilfe dankbar, denn ich muss sagen, dass dies das erste Opfer ist, dass ich in einem der großen öffentlichen Tempel vollziehe und noch dazu allein. Hoffentlich erlaubt Dir Deine Zeit, mir zu helfen."


    Ich sah den Priester erwartungsvoll an - und konnte mich dabei des Gedankens nicht erwehren, dass man weise gehandelt hatte, diese Schönheit mit dem Cultus Martialis zu beauftragen und nicht etwa mit dem Cultus Veneris, der andererseits durch seinen Dienst zweifellos einen unausdenklichen Aufschwung genommen hätte.

    Von meiner Herkunft her war ich einfach so aufgewachsen und erzogen, war es gewohnt, dass wir immer Sklaven um uns hatten, und hatte nicht viel danach gefragt, woher diese kamen. Die meisten hatten sich auch offensichtlich immer bei uns wohlgefühlt; wozu hätte ich mir also auch solche Fragen stellen sollen?


    Nun stand aber dieses frische und athletische Mädchen hier vor mir, fast eine Amazone, und doch nicht frei. Mit einer solchen Situation war ich einfach noch nicht konfrontiert gewesen. Überhaupt hatte ich hier in der Villa Aurelia in Roma mit allem Möglichen gerechnet, nur nicht damit, es gleich in den ersten Tagen mit zwei grünäugigen, verschreckten weiblichen Wesen zu tun zu bekommen - wobei dies natürlich nur Äußerlichkeiten waren; dass Sisenna mir nahe stand, während dies hier eine Sklavin war, machte natürlich einen durch nichts zu überbrückenden Unterschied aus.


    Im Moment aber tat mir auch Cadhla Leid, vor allem, als sie plötzlich wieder etwas in ihrer Sprache zu mir sagte, was wie ein Appell klang. Ich verstand natürlich kein Wort, konnte mich aber ihren lebhaft-flehenden Blicken nicht ganz versagen, und versuchte, mir ihr Schicksal vorzustellen: Ganz sicher war sie nicht in Sklaverei geboren worden. Man hatte sie besiegt und hierher verbracht; in einem Land, dessen Sprache sie nicht verstand, musste sie nun als Sklavin ein neues Leben anfangen.


    Mit einem fast resignierten Gesichtsausdruck fing sie dann wieder mit Latein an; rührte ihre Resignation daher, dass sie ernsthaft geglaubt hatte, ich würde sie verstehen? Ich lächelte ihr aufmunternd zu und bekam zu hören, dass sie aus Britannia sei.


    "A, Britannia! Da war ich noch nie!"


    entfuhr es mir, sicher zu schnell für sie. Daher also die roten Haare und die grünen Augen; denn das hatte ich allerdings schon gehört, dass die dortigen Frauen so aussahen. Im gleichen Moment fiel mir allerdings auch noch etwas anderes ein, das ich zu ihr wieder langsamer sagte:


    "Britannia ist weit weg von hier. Ich freue mich, dass du hier bist."


    Ich hatte mich inzwischen auch entschieden, Cadhla unbedingt zu behalten. Ihre Sprachkenntnisse waren für einen Umgang mit Sisenna zwar eigentlich zu mangelhaft, aber ich sah auch zwei Gründe, die dieses Argument zu entkräften vermochten: Zunächst einmal sollten sich ja auch noch andere Personen um Sisenna kümmern, nämlich selbstverständlich ich, Maron, der ja nahezu perfekt Latein sprach, wenn er auch mit dem Schreiben Schwierigkeiten hatte; und nach einem paedagogus hielt ich ja auch Ausschau. Und zum anderen hatte mir Maron auch viel von seiner ersten Stelle als erwachsener Sklave erzählt, die er als Leibsklave des kleinen Sohnes einer römischen Familie verbracht hatte: Er hatte damals noch nicht so gut Latein gesprochen, aber gerade durch den Umgang mit einem Kind die Sprache schnell gelernt. Kurz und gut, Sisenna würde hier also Latein-Lehrerin spielen dürfen!


    Da man Cadhla bereits eine saubere Tunika überreicht hatte, ging ich davon aus, dass sie auch schon beköstigt worden war. Worauf also noch warten? Ich wollte Cadhla gleich zu Sisennas Cubiculum bringen und dieser die neue Gesellschafterin vorstellen. Und dies wollte ich selbst tun. Zunächst, weil ich Sisenna ja auch noch unbedingt die Neuigkeiten und Grüße aus dem Brief von Corvinus übermitteln musste und nicht zu vergessen das Geschenk für sie. Dann aber wollte ich diese Sache auch nun nicht mehr Leone anvertrauen, dem ich seinen "Missgriff" auf dem Sklavenmarkt noch nicht ganz verziehen hatte. Maron hatte ohne Zweifel ein gutes Händchen für Frauen. Ich stutzte, denn - das hatte ich nicht. Ich wusste es selbst: Ich war zu ernst, lachte in den falschen Momenten, und die "richtigen" verpasste ich. Unwillkürlich musste ich zu Cadhla hinsehen und setzte dann alles daran, meinen seltsamen Gesichtsausdruck in ein weiteres aufmunterndes Lächeln umzuwandeln. Ob sie mich aber nicht doch durchschaut hatte? Ich konnte mir vorstellen, dass man umso mehr auf alles achtete, was man sah, wenn man in einem Land mit fremder Sprache war.


    Jedenfalls hatte ich mich also entschieden, selbst zu gehen. Ich stand auf, trat einen Schritt auf Cadhla zu und fragte sie langsam:


    "Magst du Kinder?"


    wobei ich mit der rechten Hand die ungefähre Größe von Sisenna andeutete. Ohne lange auf eine Antwort zu warten, begab ich mich Richtung Tür, öffnete diese und sagte fröhlich lachend


    "Komm mit!"


    zu der Sklavin, begleitet von einer einladenden Handbewegung. Ich hoffte nur, dass Sisenna auch in ihrem cubiculum war und nicht wieder ausgebüchst.

    Als ich meine Sänfte an diesem Vormittag vor dem Forum Augustum halten ließ und ihr entstieg, hatte ich kaum einen Blick für die Bauten und Sehenswürdigkeiten auf diesem Platz und um ihn herum, obwohl es viele Jahre her war, seit ich als Kind einmal hierhergebracht worden war. Zu sehr war ich innerlich angespannt und beschäftigt mit dem Opfer, das ich vorhatte, im Tempel des Mars Ultor darzubringen.


    Natürlich hatte ich schon seit meiner Kindheit vielen Opferhandlungen beigewohnt, ob nun in Tempeln oder an Hausaltären. Am heutigen Tage aber würde mir kein Verwandter wie sonst zur Seite stehen. So hoffte ich auf den zuständigen Priester und hatte mich daher absichtlich um diese Tagesstunde zum Tempel begeben, in der Hoffnung, nicht wie an Nachmittagen mit den Mengen plebejischer Beter um die Aufmerksamkeit des Priesters sowie des Gottes buhlen zu müssen - oder um die Mittagszeit vielleicht überhaupt niemanden anzutreffen.


    Unruhig überwachte ich, wie meine Sklaven hinter mir die vorgesehenen Opfergaben trugen, als ich mich über das Forum Augustum zum templum begab, die Stufen zum Heiligtum erklomm und schließlich gebannt das Innere des Tempels betrat. Nervös strich ich über meine Toga und hielt nach einem Priester Ausschau.

    Während ich Sisenna von dem Brief erzählte, sah diese mich ein wenig verständnislos an, wie mir schien. Sie musste wirklich schon müde sein - oder wollte sie das alles nach diesem Tag erst einmal nicht an sich heranlassen? Jedenfalls war es schon mehr als hohe Zeit, ins Bett zu gehen, und so nahm ich die Kleine, wie angekündigt, auf meinen Arm. Sie war viel leichter, als ich gedacht hatte, und doch drückte ich sie eng an mich, denn als ich sie einmal auf meinem Arm hatte, begann auch mein Herz heftig zu schlagen vor Sorge, ihr könnte etwas geschehen oder ich die kostbare Last fallen lassen. Dieser mein starker Druck schien aber Sisenna gar nichts auszumachen; sie legte ihre Arme um meinen Hals und lehnte ihr Köpfchen an meine Schulter. Ich konnte gar nicht anders und legte auch meinerseits vorsichtig meinen Kopf an den ihren.


    So hätte ich trotz meiner Müdigkeit noch stundenlang weiterlaufen können, Sisenna in meinen Armen und ihren warmen Atem an meiner Schulter. Und tatsächlich wurde unser Gang durch die Villa Aurelia in Rom auch kein kurzer, denn schließlich war ich nach Jahren den ersten Tag wieder hier und konnte in der Dunkelheit das cubiculum des Mädchens nicht so leicht finden. Sisenna schienen diese Irrungen aber nichts anhaben zu können; sie verhielt sich ganz ruhig, und ich dachte schon, sie sei eingeschlafen. Da aber meldete sie sich schlaftrunken noch einmal zu Wort, um sich zu versichern, dass ich auch wirklich bei ihr bleiben würde, bis sie eingeschlafen sei. Außerdem erinnerte sie an ihre Mutter, die immer gewollt habe, dass Sisenna ihr zuhöre statt selbst Geschichten zu erzählen. Ich musste lächeln.


    "Ja, ich bleibe bei dir, bis du einschläfst. Und wenn du lieber eine Geschichte hören möchtest, dann wird mir schon noch eine einfallen."


    Nun langten wir auch am cubiculum Sisennas an. Vorsichtig versuchte ich, ihr Gewicht auf meinen Armen ein bisschen anders zu verteilen, um sie mit einer Hand halten und mit der anderen die Tür öffnen zu können. Dies gelang mir, und ich stieß die Tür weit auf, damit von außen Licht in das cubiculum falle und ich Sisenna sicher in ihr Bettchen legen könnte. Zum Glück war ich ja schon am Nachmittag kurz bei ihr gewesen, so dass ich das Bett leicht fand. Ich beugte mich und legte das Mädchen behutsam nieder. Mit meinen nun wieder freien Händen ertastete ich den Stuhl, den ich am Nachmittag in der Nähe des Bettchens erblickt hatte, und nahm darauf Platz. Ich legte eine Hand auf Sisenna und begann zu erzählen:


    "Es war einmal eine Krähe, die an einem eiskalten Wintertag auf einem Baum saß, der auf einem Feld in der Nähe eines Waldes stand. Die Krähe war allein, das Feld lag da wie tot und war mit Rauhreif überzogen, und an dem Baum hingen nur noch einige weniger dürre, verschrumpelte und braune Blätter. Da erblickte die Krähe am Boden unter dem Baum ein kleines Stückchen Leder, das die Bauern hier irgendwann vergessen haben mussten; es hätte gut von einem Gürtel stammen können. Weil der Krähe so alleine langweilig war, beschloss sie, sich das gute Stück einmal genauer anzusehen. Sie stieß sich ab von dem Zweig, auf dem sie saß, glitt elegant zu Boden und untersuchte dort das Stück.


    Interessiert griff sie es mit ihrem Schnabel und erhob sich wieder in die Luft. Sie nahm an Geschwindigkeit auf, stieg mit ihrer Beute höher und höher und warf das Stück Leder schließlich voller Übermut und Lebensfreude in die kristallklare Winterluft. Geschickt gelang es ihr, das Stück noch im Fluge wieder mit ihrem Schnabel aufzufangen. Dies tat sie immer wieder: Hoch in den blauen Himmel mit dem Stück Leder, und dann wieder auffangen im Flug.


    Eine andere Krähe, die in der Nähe des Waldes auf dem Boden gehockt hatte, sah dies voller Neid. Nun stieg auch sie in die Lüfte, und als die erste Krähe das Stück Leder wieder einmal gen Himmel geworfen hatte, flog sie dazwischen und schnappte ihr das Stück vor dem Schnabel weg. Dies aber hatte auch eine dritte Krähe gesehen, die noch an einer anderen Stelle in der Nähe des Waldes gehockt hatte. Auch in ihr stieg Neid auf, als sie die anderen beiden Krähen derart beschäftigt sah; und so hob auch sie sich in die Luft und schloss sich den beiden anderen an - wenn schon nicht zum Spielen, dann doch wenigstens, um den beiden anderen ihre Freude zu vergällen.


    Dieser Dreikampf der Krähen in der Luft um das Stück Leder und um Neid und Freude führte die Vögel immer höher in die Luft und zugleich immer weiter über den Wald. Mittlerweile waren die Krähen auch dazu übergegangen, nicht mehr nur das Stück Leder zu erjagen, sondern auch, sich gegenseitig mit ihren Flügeln anzugreifen. Und so kam es, wie es kommen musste: Bedrängt von einem Angreifer, öffnete eine Krähe ihren Schnabel, und da dies die Krähe gewesen war, die das Stück Leder zuvor gehabt hatte, fiel dieses nun senkrecht nach unten und mitten in den Wald an die Stelle, wo dieser am dichtesten war. Einer kleinen braunen Waldmaus kam dies gelegen; sie stiebietzte das Stück und verwendete es, um den Eingang zu ihrem unterirdischen Loch damit zu verdecken.


    Da die drei Krähen an und für sich erfahrene Krähen waren, war ihnen, als das Stück Leder in den Wald fiel, sofort klar, dass sie es nun verloren hätten, denn im Wald kannten sie sich nicht aus, schon gar nicht an jener Stelle, wo er so dicht war. So flogen sie missmutig alle zusammen zu dem einsamen Baum auf dem Feld, wo die erste Krähe am Anfang alleine gesessen hatte. Unterwegs machten sie sich heftige Vorwürfe und beschuldigten sich gegenseitig, schuld zu sein am Verlust ihres Zankapfels, und als sie auf dem Baum anlangten, waren sie nahe daran, einander die Augen auszuhacken. Weil eine Krähe der anderen aber bekanntlich keine Augen aushackt und da es sich, wie gesagt, um erfahrene Krähen handelte, ließen sie schließlich davon ab und schwiegen einander nur böse an.


    Irgendwann aber machte sich unter ihnen die Erkenntnis breit, dass dies doch noch gar nicht das Ende vom Lied sein musste. Sie sahen einander an und hätten gelächelt, hätten sie einen so süßen Mund gehabt wie du. So aber erhoben sie sich gleichzeitig in die Luft, um zu einem Dorf oder einer Stadt der Menschen zu fliegen, denn wer konnte schon wissen, ob sie dort nicht noch viel schöneres Spielzeug finden würden."


    Ich horchte einen Moment lang in die Stille hinein, doch von Sisenna war nichts mehr zu vernehmen als tiefe, ruhige Atemzüge. Vorsichtig löste ich meine Hand von ihr, erhob mich von meinem Stuhl und verließ, leise hinter mir die Türe schließend, das Zimmer.



    Sim-Off:

    Sorry, aber Kinderaugen bringen auch schmale Lippen zum Beben. =)

    Meine anfängliche Abwehr gegen das allzu plötzliche Kinderspiel verflog schnell, als ich von Sisenna im wahrsten Sinne des Wortes "mitgerissen" wurde. Denn nun fasste sie doch nach meiner Hand und veranlasste mich auf diese Weise dazu, ihr mit schnelleren Schritten zu folgen. Und das tat ich: Auch wenn ich in diesem Moment barfuß über Scherben hätte laufen müssen, nichts hätte mich davon abhalten können, Sisenna nun eine Freude zu machen, noch dazu, wo sie jetzt also meine Hand genommen hatte.


    Sie führte mich in einen Teil unseres Hortus, der leider meine Befürchtungen erfüllte, die ich hegte, seitdem mir Leone an der Porta mitgeteilt hatte, dass in der Villa Aurelia in den vergangenen Wochen nur wenige Sklaven für Ordnung gesorgt hatten: Hier musste dringend zurückgeschnitten werden. Andererseits konnte ich mir natürlich vorstellen, dass für ein Kind wie Sisenna gerade dieser Wildwuchs reizvoll zum Spielen war.


    Und auch darin sollte ich mich nicht täuschen, denn es war selbstverständlich ein Gebüsch, in das sie mich jetzt ziehen wollte. Dabei sagte sie mir eindringlich, dass sie mir jetzt ein Geheimnis zeigen werde, dass ich niemandem verraten dürfe. Diese Worte nahm ich sehr ernst; ich war selbst, so erzählten meine Verwandten, aber auch meine eigene Erinnerung, ein sehr nachdenkliches und ernstes Kind gewesen und konnte mich gut daran erinnern, wie viel auch mir in jenem Alter solche Geheimnisse bedeutet hatten. So fiel es mir nicht schwer, Sisenna zu versichern:


    "Nein, ich erzähle keine Geheimnisse weiter."


    Nun aber ging es ins Gebüsch. Sisenna, klein, geübt und quirrlig, fuhr durch das Gebüsch wie ein warmes Messer durch Butter. Ich bückte mich und versuchte ihr, so gut es ging, zu folgen. Anfangs war ich sogar überrascht, wie gut ich vorwärts kam, dann aber peitschte mir plötzlich ein elastischer Zweig ins Gesicht, den ich im Dämmerlicht des Busches zu spät gesehen hatte. Ich rieb mir die schmerzende Wange und wischte den Zweig weg, ohne dabei darauf zu achten, dass dieser sich nun am Kragen meiner neuen, eigens für meine Ankunft in Roma angefertigten Tunika verhakte. Ich schritt also weiter und durfte dann kurze Zeit später einem "Ritsch" in der Nähe meines Ohres lauschen: Der Kragen war eingerissen. Ich konnte mich nicht enthalten aufzustöhnen und blieb kurz stehen; aber was war schon an einem solchen Tage eine Tunika, sagte ich mir, und folgte meiner lieben kleinen Verwandten unverdrossen weiter, gespannt, ob mich das, was sie mir zeigen würde, entschädigen würde für den ergangenen Verlust. :)

    In meiner vorgebeugten Haltung erinnerte ich in diesem Moment sicher eher an einen ungebildeten Besucher irgendwelcher pompösen ludi als an einen Ehrfurcht gebietenden römischen Adeligen. Ich hätte mich nach dem Vortrag meiner Frage natürlich auch ohne weiteres wieder in meinem Sessel zurücklehnen können, aber die unbequeme Haltung gab mir doch die Möglichkeit, die neue Sklavin eingehender zu mustern.


    Zu meinem Leidwesen musste ich dabei feststellen, dass trotz meiner Bemühungen um ein freundliches Gesicht meine Frage bei Cadhla große Unruhe ausgelöst hatte: Sie schien nicht zu wissen, wohin sie mit ihren Händen sollte, und verbarg sie schließlich hinter ihrem Rücken. Auf der anderen Seite entlockte mir die Tatsache ein Lächeln, dass auch sie grüne Augen hatte genau wie Sisenna. Wenn man die gemeinsame Augenfarbe als gutes Vorzeichen ansehen durfte, würden die beiden sich sicher prächtig verstehen!


    Die Antwort der jungen Sklavin goss dann allerdings zunächst einmal Essig in den Wein meiner schönen Hoffnungen, denn sie bestätigte meinen Verdacht: In gebrochenem Latein gab Cadhla zu verstehen, dass sie des Lateinischen nicht mächtig sei.


    Ich konnte mich in diesem Augenblick nicht enthalten, Leone einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Eine "Gesellschafterin" einzukaufen, die kein Latein sprach, war natürlich ein Fauxpas. Einen Moment lang überlegte ich, ob man die Rothaarige unter diesen Umständen überhaupt würde behalten können ...


    Aber was war denn das? Cadhla öffnete wieder ihren Mund und sprach, jedoch in einer Sprache, die ich überhaupt nicht einordnen konnte. Es mochte schon möglich sein, dass ich sie irgendwo auf meiner Reise schon einmal gehört hatte, aber ich hätte nicht sagen können, wo. Ich verstand kein Wort, doch ihre Worte waren klangvoll und melodiös, obendrein begleitet von einem schüchternen Lächeln. Unwillkürlich musste auch ich lachen.


    "Das ist sehr schön! Woher kommst du?"


    Auch dies sagte ich natürlich wieder sehr langsam und betont und blickte ihr jetzt sicher wirklich freundlich in ihre grünen Augen. Rothaarige Frauen mit grünen Augen hatte ich sogar in Athen schon gesehen, aber eine Griechin war sie ganz sicher nicht.

    Seit meiner Ankunft in der Villa Aurelia in Roma waren nun schon einige Tage vergangen, und langsam begann ich mich in meine neue Heimat, aber auch in meine neue Rolle einzufinden - so glaubte und hoffte ich jedenfalls. Etwas anderes blieb mir ja auch nicht übrig, da ich immer noch als einziger erwachsener Angehöriger meiner Gens hier in Rom bei Sisenna weilte. Ich fühlte durchaus die Schwere der Bürde, die auf mir lastete.


    Umso größer war meine Erleichterung, als Leone mich eilig im tablinum aufsuchte und mir die gute Nachricht mitteilte, ein Bote von Corvinus sei soeben an der Villa Aurelia in Roma eingetroffen und habe Briefe und Geschenke mitgebracht. Ich war so erfreut, dass ich in jenem Moment gar nicht auf die Bemerkung Leones einging, der Bote sei mehr tot als lebendig gewesen; eine spätere Nachfrage ergab dann aber auch, dass Leone sich vorbildlich um ihn gekümmert hatte.


    Stattdessen nahm ich also gleich den ersten Brief von Corvinus in Empfang, der an mich gerichtet war. Mit Erschütterung las ich dort von seiner Andeutung, dass auch er nun ein Waise sei. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, wofür die Götter unsere Gens derzeit so hart straften; und ich nahm mir fest vor, sobald als möglich dem Rat meines Vetters zu folgen, ein Opfer in einem der Tempel Roms darzubringen.


    Auf der anderen Seite war ich natürlich froh, darüber zu hören, dass Prisca wohlbehalten in Mogontiacum angelangt sei. Dass die ganzen Frauen in Corvinus's Umgebung für ordentlichen Wirbel sorgten, konnte ich mir schon irgendwie vorstellen; ich musste bei diesem Gedanken schmunzeln und bewunderte meinen Vetter einmal mehr dafür, mit welcher Ruhe er sich solchen heiklen Situationen immer wieder gewachsen zeigte. Besonders froh machte mich aber seine Ankündigung, vielleicht noch vor Ende August schon wieder nach Roma zurückzukehren. Dies, verbunden mit den vielen Grüßen, würde ich natürlich auch gleich Sisenna sagen.


    Was die Aufträge anging, die Corvinus mir in seinem Schreiben anvertraut hatte, so deckten sich diese weitgehend mit den Plänen, die ich selbst schon geschmiedet hatte. Sie alle aber in einer solchen Aufzählungsform vor mir auf Papyrus zu sehen, führte mir allerdings im wahrsten Sinne des Wortes erst vor Augen, wieviel da eigentlich auf mich zukam. Aber Corvinus hatte natürlich Recht: Ich war ein Aurelius, und wir waren stark im Geist.


    Indem ich mir das sagte und dabei noch das zweite Schreiben überflog, das Corvinus beigelegt hatte - die Abschrift eines Briefes an den praetor urbanus Lucius Flavius Furianus -, wollte ich schon darangehen, erste Vorbereitungen für die Verwirklichung aller dieser Aufträge zu treffen und mich dafür mit Maron zu besprechen, der mittlerweile auch ins tablinum gekommen war. Da aber führte Leone eine Sklavin auf mich zu, deren Name Cadhla war und die, wie ich jetzt erfuhr, im Auftrag von Corvinus heute Morgen gekauft worden war.


    Ich war überrascht, fasste mich aber gleich wieder beim Anblick der jungen Frau mit roten Haaren und einer schmucken Tunika, die nun vor mir stand. Eine Sklavin? Das war natürlich vorzüglich! Ich dachte gleich an Sisenna, für die ich mir insgeheim schon länger eine weibliche Sklavin als Begleitung gewünscht hatte. Zwar wurde Sisenna immer noch von ihrer Amme betreut, doch ich mochte mir gar nicht vorstellen, welche Zoten und Sprüche das Mädchen in all den Wochen zufällig aus dem Munde der männlichen Sklaven hatte mitanhören müssen, als sie hier alleine gewesen war.


    Maron übernahm es nun, Cadhla meinen Namen zu sagen, ergänzt durch einige andere mahnende Worte. Diese Zeit nutzte ich, um mir die junge Frau genauer anzusehen. Dabei kam mir ein bestimmter Verdacht, und mein Blick verdunkelte sich kurz: Dies würde natürlich gar nicht in meine Pläne passen.
    Mit der linken Hand machte ich Maron ein Zeichen, dass nun ich mit ihr reden wollte, und mein Sklave trat zurück. Ich bemühte mich, die Sklavin trotz meines Verdachts wieder etwas freundlicher anzusehen, entging mir doch nicht, dass sie sich zu fürchten schien; bestimmt war dies ihre erste Stelle als Sklavin. Als ob das, wenn mein Verdacht sich bestätigte, irgendetwas nützen würde, beugte ich mich etwas vor und sagte langsam und deutlich:


    "Cadhla! Ich freue mich. Meinen Namen kennst du jetzt. Aber ich habe eine Frage an dich: Verstehst du unsere Sprache?"

    Trotz meiner mittlerweile beinahe schmerzenden Müdigkeit war ich mir, als ich das Officium verließ, gar nicht so sicher, ob ich nach diesem dramatischen Tag so einfach würde einschlafen können. Ich malte mir aus, dass ich in meinem Cubiculum noch das Fenster weit aufstellen wollte, mich davor in den Korbsessel setzen und den Sternenhimmel betrachten; das würde mich sicherlich allmählich ruhiger werden lassen.


    Doch soweit kam es nicht, denn nur wenige Schritte von der Tür des Officiums entfernt geriet ich fast ins Straucheln - über


    "Sisenna!"


    Ihr Name entfuhr mir in meinem ersten Schrecken, und tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf: Wieso war sie hier? Maron hatte doch aufpassen sollen! Er war doch sonst so zuverlässig! - Aber, ach ja, ich hatte ihn ja selbst wegen des Briefes von seinem "Wachposten" abberufen. Diese Zeit hatte Sisenna offenbar gleich genutzt, um sich auf Wanderschaft zu begeben; und dies wiederum verriet mir nur, dass sie wahrscheinlich die ganze Zeit wach gelegen und nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte - ja, um was zu tun? Mich zu suchen?


    Ich sah die Kleine liebevoll an, die da vor mir auf dem Boden kauerte, und hockte mich neben sie. Im Stillen hatte ich zwar schon damit gerechnet, dass sie nach diesem traurigen Tag nicht gut würde schlafen können - deshalb hatte ich ja überhaupt Maron nach der anstrengenden Reise noch vor ihrem Cubiculum postiert. Doch nun fühlte ich mich ziemlich hilflos. Ich begann, über irgendetwas zu reden.


    "Du bist also auch noch wach. Ich habe gerade einen Brief an Corvinus geschrieben, nach Germania, wo auch Deandra ist und Prisca und deine Schwester Helena. Ich bin sehr gespannt, was sie antworten werden."


    Einen Augenblick lang starrte ich vor mich hin in die fast vollständige Dunkelheit, zu keinem richtigen Gedanken mehr fähig. Dann aber wurde mir bewusst, was für ein Bild wir beiden am Boden hockenden Aurelier hier abgeben mussten, und ich konnte mich eines Lachens nicht erwehren. Ich wandte mich wieder zu Sisenna:


    "Und jetzt, würde ich mal ganz stark behaupten, müssen wir beiden schlafen gehen. Wenn du magst, trage ich dich in dein Cubiculum und bleibe bei dir, bis du eingeschlafen bist. Du kannst mir dort auch noch was erzählen, wenn du möchtest."


    Ich hatte zwar keine Ahnung, wie man so ein Kind trug, aber dafür würden meine Kräfte wohl noch ausreichen.

    Der knurrende Magen war schnell vergessen, als ich nun sah, dass mein zweiter Versuch, Sisenna mit dem Tod ihrer Mutter vertraut zu machen, zu ihr durchgedrungen war. Daran ließ ihr Verhalten keinen Zweifel: Sie starrte mich an - böse -, zog sich zusammen, hielt sich am Ende gar die Ohren zu und behauptete mit Überzeugung, dass ihre Mutter doch wiederkommen werde.


    Was ich sah, schnitt mir ins Herz, aber ich ahnte, dass ich für den Moment nichts weiter für sie tun konnte. Ich hatte ihr gesagt, was zu sagen war, und ich würde an ihrer Seite stehen; die Einsicht in den Verlust und die Trauer aber würde ihr niemand auf der Welt abnehmen können. Sie würde sicher viel Zeit dazu brauchen, aber ihre Zukunft konnte nach diesen Schicksalsschlägen eigentlich auch nur noch besser werden.


    Ich seufzte tief und blickte Sisenna nach, die in ihrer Rebellion gegen die von mir verkündeten Wahrheiten von der Bank aufgestanden und davongelaufen war, nach wenigen Schritten aber schon wieder stehen blieb und sich nach mir umdrehte. Mit einer Stimme, die klang, als ob nichts passiert wäre, fragte sich mich, ob ich spielen komme. Ich stutzte, mit einem solchen Stimmungsumschwung hatte ich nun doch nicht gerechnet. Aber wahrscheinlich gehörte auch das zu der Zeit, die sie brauchen würde, um alles das zu verstehen, was um sie herum in den letzten Wochen passiert war.


    Energisch drängte ich mein Hungergefühl beiseite - hatten wir nicht in Athen soviel darüber gesprochen, die Begierden zu beherrschen? -, stand auch selber von der Marmorbank auf und lächelte Sisenna zu. Noch ein wenig mitgenommen von allem, was geschehen war, trottete ich zu ihr hin und war gespannt, was sie mir als erstes zeigen würde.


    "Auf geht's!"

    Es war schon reichlich spät, die Sonne bereits untergegangen, nur Nachtvögel noch zu hören, als ich am Abend dieses meines ersten Tages in der Villa Aurelia in Roma noch einmal in das Officium des Corvinus zurückkehrte und am Schreibtisch Platz nahm. Nun war alles für mich bereitet: Lampen waren entzündet, die mir die Lektüre der alten Acta-Diurna-Ausgaben und der in der Villa aufgelaufenen Epistolae ermöglichten, belegte Brote und gemischter Wein luden ein, mich zu erfrischen. Es würde sicherlich noch sehr spät werden.


    Obwohl ich selbst von der Anreise aus Ostia her noch sehr müde war und mir nun, da ich im Schein der Lampen über den Schreibtisch gebeugt saß, fast die Augen zuzufallen drohten, musste ich unbedingt noch am heutigen Abend einen Brief an Corvinus fertig stellen. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, besonders nach all dem, was ich heute mit Sisenna hatte erleben müssen. Aber gerade meine Sorge um sie war es, die mich nicht zögern ließ, noch heute zu schreiben.


    Noch vom Nachmittag her lag das Wachstäfelchen aufgeschlagen auf dem Schreibtisch, auf dem ich mir hatte Notizen machen wollen. Dies tat ich nun, denn auch ohne viel nachzudenken, hatte ich natürlich vieles auf dem Herzen, das ich Corvinus anvertrauen wollte.


    Die Lektüre der Acta-Diurna-Ausgaben bestätigte nur noch einmal, was ich schon von Leone über Cicero gehört hatte: Tatsächlich hatte er sich als amtierender Comes von Italia auf und davon gemacht, ja, war auch einer Gerichtsverhandlung gegen ihn nicht gefolgt. Die Götter allein mochten wissen, was mit ihm war.


    Interessanter für mich war dagegen ein Brief von Corvinus aus Mogontiacum, der offenbar nur wenige Tage vor mir hier in der Villa Aurelia in Rom angekommen war. Er war zwar an Cicero gerichtet, aber natürlich sah ich mich in der augenblicklichen Lage befugt, sein Siegel zu öffnen und ihn zu lesen. Aus ihm ging hervor, dass Corvinus ebenfalls schon vom Verschwinden Ciceros wusste und ihm mit demselben Unverständnis gegenüberstand wie ich.


    Auch während dieser Lektüre machte ich mir weiter Notizen, so dass sich das Wachstäfelchen bedrohlich füllte. Ich blickte auf dieses mein Werk: Stoff für viele Briefe. Doch ich würde versuchen, mich kurz zu fassen, denn es galt, keine Zeit zu verlieren.


    Für das Abfassen des Briefes selbst brauchte ich lange; der Weinkrug leerte sich und ebenso das Tablett mit den Broten. In der Hoffnung, nichts Wesentliches vergessen zu haben, rief ich Maron heran, der in der Nähe des Cubiculums von Sisenna Wache hielt, und erteilte ihm den Auftrag, diesen Brief so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen. Müde, ausgelaugt, leer begab ich mich selbst zu Bett.

    Nachdem ich Sisenna endlich die traurige Wahrheit über ihre Eltern gesagt hatte, hatte ich mit allem Möglichen gerechnet - womit eigentlich genau, wusste ich selber nicht. Vielleicht mit Schreien, mit Weinen, damit, dass sie weglief oder mich angriff und mit ihren kleinen Kinderfäustchen auf mich einschlagen würde; meine ausgestreckte Hand hatte sie einstweilen ja nicht genommen, und ich konnte sie verstehen.


    Nun aber blieb dieses Mädchen ganz ruhig und sagte fast nichts; ihre Bemerkung über Männer brachte in meinen Augen nur zum Ausdruck, wie sehr sie von bestimmten männlichen Mitgliedern unserer Gens bereits enttäuscht worden war. Dass sie aber gar nichts zum Tode ihrer Mutter sagte, verwunderte mich sehr - und auch wieder nicht. Ich erinnerte mich an meine eigene Kindheit, als mein Vater so früh von uns gegangen war. Damals hatte ich das gar nicht richtig wahrgenommen, vielleicht auch nicht wahrhaben wollen. Und dann war soviel passiert, zuletzt die Jahre in Achaia; ich hatte mich damit gar nicht mehr beschäftigt, war abgelenkt. Als ich jetzt aber die Waise vor mir sitzen sah, kamen alte Gefühle von Einsamkeit in mir hoch, und ich wurde mir bewusst, wie allein ich jetzt auch hier in Roma war. Wie gut wäre es doch, noch einen anderen Verwandten bei mir zu haben! Bei uns zu haben. Denn meine größte Aufmerksamkeit hatte nun natürlich Sisenna zu gelten.


    Und die schien mich entweder nicht verstanden zu haben oder wollte es noch nicht wahrhaben, dass ihre Mutter verstorben war. Da ich mich nun aber in den Hortus begeben hatte, um der Kleinen ein für allemal die Wahrheit zu sagen und ihr nichts mehr vorzumachen, sah ich sie noch einmal eindringlich an:


    "Sisenna, bitte, hör mir jetzt genau zu! Leider weiß ich nicht, was mit deinem Vater passiert ist. Aber deine Mutter kommt nicht wieder, nie mehr. Sie ist tot."


    Diese Worte ließ ich eine Weile wirken, untermalt von dem ewigen, arglosen Gezwitscher der Vögel, die in unseren Bäumen und Sträuchern nisteten und denen es das Schicksal ersparte, solche Trauer durchzumachen, wie sie Sisenna nun bevorstand. Währenddessen suchte ich in meinem Geist schon wieder nach Worten, um das Mädchen meiner Hilfe zu versichern; ich fand nur diese hier:


    "Ich bin jetzt für dich da. Ich bin gerade hier in Roma angekommen und werde auch einiges alleine erledigen müssen, aber wenn du mir deine bemalte Truhe zeigen willst, dann freue ich mich, und wenn du gleich etwas essen willst, dann esse ich mit dir. Und wenn du traurig bist, dann kommst du zu mir."


    Ich konnte mich kaum an mich halten, denn ich hätte die Kleine in diesem Moment so schrecklich gerne an mich gedrückt, wollte mich aber nicht aufdrängen; und bestimmt brauchte sie noch Zeit. Da knurrte mit unangemeldeter Aufdringlichkeit mein Magen.

    Wenn ich ehrlich war, war es für mich immer etwas Selbstverständliches gewesen, in großzügigen, großräumigen Verhältnissen zu leben und zu wohnen. Patrizier wie ich wuchsen nun einmal in Villen auf und nicht in Insula-Wohnvierteln, und das war gut so. Am heutigen Tage aber verfluchte ich innerlich den langen Weg, den ich vom Officium des Corvinus bis zum Hortus in dieser riesigen Villa zurückzulegen hatte. Und noch viel schlimmer, dachte ich, musste es für Sisenna in den vergangenen Wochen gewesen sein, als sie ganz allein - von den Sklaven nicht zu reden - in den Zimmerfluchten hatte zubringen müssen, umringt von stummen Marmorbüsten und bewegungslosen Wandmalereien.


    Curiatia Icela verstorben, Cicero verschwunden, Helena in Germanien - diese Trias wurde für mich eine Art Kehrvers, der mir bei jedem Schritt in den Ohren hämmerte. Dieses Kind war wirklich ganz allein gewesen, sogar seine Schwester - von der man ja wenigstens wusste, wo sie war - weilte nicht bei ihm, sondern weit fort, getrennt durch ein hohes Gebirge. Ich musste schlucken und hätte Sisenna in jenen Wochen eher gewünscht, in einer einfachen Casa oder eben doch in einem Insula-Viertel zu wohnen. Dort hätte sie wenigstens andere Kinder gehabt, Abwechslung, Leben. Und wohl auch Wahrheit, denn dort hätte man all die traurigen Nachrichten wohl nicht lange geheim halten können, so stellte ich mir das jedenfalls vor. Hier aber hatte niemand ihre unausgesprochenen Fragen beantwortet, und ich stand nun ganz allein mit ihr. Ich würde ihr jetzt, jetzt alles sagen, egal wie schwer es für uns beide werden würde.


    Mittlerweile hatte ich endlich den Hortus erreicht, und schon nach kurzer Zeit sah ich Sisenna mit Maron auf einer Marmorbank. Mein Sklave erzählte ihr gerade irgendetwas, hörte aber auf, als er mein Kommen bemerkte. Ohne dass es eines Winks von mir bedurft hätte, entfernte er sich, sah mich aber teilnahmsvoll an. Behutsam näherte ich mich der Bank und nahm darauf Platz. Ich hatte mich entschieden, alle Floskeln beiseite zu lassen; vielleicht war das wieder falsch, aber in diesem Moment wusste ich es einfach nicht besser zu machen.


    "Sisenna, ich habe gesehen, wieviel Kummer ich dir gerade gemacht habe, als ich dich schon wieder alleine ließ. Das tut mir sehr Leid! Ich habe mich noch kurz mit dem Sklaven Leone unterhalten, und, ich will ehrlich zu dir sein, ich wollte nicht, dass du dabei bist. Denn ich wusste, dass er mir etwas Trauriges zu sagen hätte, und das wollte ich erst alleine hören."


    Nun gelang es mir doch nicht, in einem durch zu sprechen. Ich musste nach Luft schnappen und sah zum Himmel, der wie zum Hohn azurblau und ungetrübt strahlte. Obwohl ich mir darüber bewusst war, Sisenna eben ungewollt enttäuscht zu haben, als ich sie in den Hortus geschickt hatte, streckte ich jetzt wieder meine Hand aus - und überließ es ganz ihr, sie zu ergreifen. Ich befürchtete, das würde sie jetzt tun, denn nun ...


    "Du weißt, dass ich lange in Achaia gewesen bin, darüber kann ich dir auch noch viel erzählen. Gerade heute bin ich in Rom angekommen und war von vielem hier ganz überrascht. Zum Beispiel davon, dass du hier bist - und dass du hier alleine bist. Sicher weißt du, dass deine Schwester Helena im Moment in Germanien bei Corvinus ist; ich denke aber, dass sie in einigen Wochen wieder hier sein wird. Anders ist es mit deinen Eltern ...."


    Ich sah das Mädchen an und wünschte mir nur, Sisenna Kraft geben zu können.


    "Leone hat mir gerade etwas sehr Trauriges erzählt, was ich vorher nicht wusste. Dein Vater ist vor einiger Zeit abgereist, und wir alle wissen nicht, wohin und ob er wieder kommt. Und deine Mutter, Sisenna, ist vor kurzem gestorben."


    Ich schwieg, um dem Mädchen nun den Raum zu lassen, den es brauchen würde - wofür auch immer.

    Ich stand immer noch mitten im Officium von Corvinus, und meine Gedanken weilten ganz bei Sisenna, als Leone nun, da wir allein waren, zu einer ausführlichen Antwort über die Lage der einzelnen Familienmitglieder anhob. Ich sah ihn an und staunte ein wenig über die zusammenhängende, präzise Art, in der er Auskunft gab. Diese konnte mir auffallen, weil der Inhalt seiner Nachrichten für mich nach allem, was sich hier bereits abgespielt hatte, keine wirkliche Überraschung mehr sein konnte.


    Sophus auf Reisen, Curiatia Icela verstorben, Cicero verschwunden, Helena in Germanien. Ich resümierte in meinem Geiste noch einmal die wichtigsten Fakten, vor allem diejenigen, die direkt Sisenna betrafen. Alles klang wie aus einer der griechischen Tragödien, aber das hier war wirklich, und Sisenna war echt und musste nun mit dem allen fertig werden. Ich mochte mir nicht vorstellen, wie es in dem Kind aussehen würde, wenn ich ihm das alles gesagt hatte.


    Ernst sah ich Leone an, als ob er mir einen guten Rat geben könnte. Aber die Götter hatten es mir offenbar zugedacht, allein vor dieser Aufgabe zu stehen. So sagte ich zu dem Sklaven nur noch:


    "Ich danke dir für deine Offenheit. Es war richtig, Domina Sisenna zunächst nichts zu erzählen; das ... werde ich jetzt tun."


    Und, als ob es in diesem Moment irgendeine Bedeutung gehabt hätte, fügte ich an:


    "Lass dich übrigens nicht verrückt machen von Maron. Er hat einen guten Kern."


    Bevor ich all die traurigen Nachrichten überbrachte, hatte ich einfach noch das dringende Bedürfnis verspürt, irgend jemandem etwas Aufmunterndes zu sagen.


    Ich nickte Leone zu und begab mich in Richtung Hortus.