Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Als sie das atrium betraten, schien gerade die Sonne durch das compluvium und durchflutete den Raum mit angenehmer Helligkeit. Das Wasser im impluvium glitzerte daher, als wäre es reines, flüssiges Silber. Ein herrlicher Anblick, der den Betrachter dazu verleitete, sich auf den bereitstehenden Bänken niederzulassen und ihn einfach zu genießen.


    Doch dafür waren sie jetzt im Augenblick nicht hergekommen. Ursus lachte leise. "Offenbar bist Du ein Liebling der Götter. Den ganzen Tag war es bedeckt, doch nun scheint die Sonne, damit unser atrium in seiner ganzen Pracht erstrahlen kann." Er ließ ihr einen Moment, den Anblick zu genießen und die Kunstwerke und den nicht minder kunstvollen Familienaltar zu bewundern, dann führte er sie gemächlich durch die weiteren Räume. Die Sklaven, die ihnen dabei begegneten, stellte er ihr vor und er zeigte und erklärte ihr, wen sie nur ansprechen brauchte, wenn sie etwas wünschte, wo die Familie für gewöhnlich speiste und wo sie sich jederzeit niederlassen konnte.


    "Möchtest Du lieber erst eine Pause machen oder wollen wir den Garten gleich besichtigen?"

    Während sie zu dem Bereich mit den Warmwasserbecken herüberschlenderten, hörte Ursus den Worten des Flaviers aufmerksam zu. Und nickte schließlich. "Ja, da magst Du recht haben. Vielleicht sollte man darauf achten, daß der Auslandsaufenthalt einfach nicht zu lange dauert. So können Kontakte erhalten werden und trotzdem die notwendigen Erfahrungen gesammelt werden. Für mich persönlich kann ich nur sagen, daß ich zu lange fort war. Ich habe damit die Wünsche meines Vaters befolgt. Auch über seinen Tod hinaus. Doch als ich zurück kam, war mir alles fremd. Sogar die eigene Familie. So etwas ist einfach nicht gut." Doch Aquilius hatte natürlich auch recht. Er durfte wegen der eigenen negativen Erfahrungen bei der Rückkehr nichth ins andere Extrem verfallen und mußte auch bedenken, was er alles gelernt und erfahren hatte.


    Ursus grinste ein wenig, als Aquilius seinen leicht übertriebenen Ausdruck abschrecken übernahm. Er hatte dieses Wort schon mit Absicht gewählt, denn in gewisser Weise war es durchaus mit gewissen Vorgängen in der Küche zu vergleichen. "Ja, verdient haben wir uns das auf jeden Fall", nickte Ursus, während er sich in das herrlich warme Wasser gleiten ließ. Er seufzte wohlig auf. "Auch wenn mancher mich dafür als Weichling verschreien mag: Ich liebe es, hier zu entspannen. Es tut einfach gut." Doch das anschließende Bad im kalten Wasser brauchte er dann auch. Die Erfrischung zum Schluß war einfach nötig.

    Die ausgesprochen bildhaften Vergleiche, die Lucanus zwischen einer Umarmung seines Onkels Gracchus und Ursus' Umarmung zog, hätten Ursus mit Sicherheit amüsiert, wenn er von ihnen auch nur eine Ahnung gehabt hätte. So war es für Ursus einfach eine ganz normale Umarmung, nichts ungewöhnliches.


    "Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob ihr eine eigene Wasserzuleitung habt", lachte Ursus, "aber so sehr wird sich euer Wasser von unserem schon nicht unterscheiden. Und falls doch, werde ich es bestimmt gleich merken." Es war schön, daß die förmlichen Lobreden damit beendet waren und sie sich nun geben konnten, wie sie waren. Zwar war dieses Lobspiel manchmal einfach amüsant, aber es war eben auch schön, sich natürlich geben zu können. Und Ursus hatte das Gefühl, Lucanus gegenüber offen sein zu können.


    "Wenn Du schon so fragst, hätte ich gerne mit Wasser gemischten Albaner. Für den Anfang zumindest. Auch wenn der Weg wirklich nicht weit war, kann ich doch einen guten Schluck vertragen. Der Tag war bisher ziemlich staubtrocken."

    Als der Händler den unverschämt hohen Preis nannte, hob sich Ursus' Augenbraue. Dieser Händler hatte dieses Haus gewiß zum letzten mal von innen gesehen. Zumindest, wenn Corvinus auch nur einen Hauch von Verstand hatte. Zwölf Aurei waren immer noch ein sehr stolzer Preis für eine unausgebildete Barbarin, auch wenn sie hübsch war und ohne Zweifel Feuer besaß.


    Den Blick von Corvinus erwiderte Ursus ruhig und versuchte, seine Mißbilligung nicht zu deutlich zur Schau zu tragen. Im Grunde konnte es ihm egal sein, was für eine Sklavin für wieviel Geld sein Onkel kaufte. Und das war ihm auch wirklich egal. Vielleicht erwies sich diese Sklavin sogar noch als brauchbar. Aber dieser Händler hatte es sich zumindest mit Ursus inzwischen völlig verdorben. Zu schlecht informiert über sein Angebot, zu grob zu den Sklavinnen und obendrein absolut unverschämt in seinen Preisvorstellungen, selbst wenn man bedachte, daß ja immer etwas gefeilscht wurde.

    Schritte näherten sich dem Atrium und Ursus wandte sich um. Lucanus trat gerade ein, gekleidet in einer makellos angelegten Toga und mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. Unwillkürlich fragte sich Ursus, ob seine Toga ebenso makellos saß, konnte dies aber ohne einen prüfenden Blick nicht beurteilen. Und einen solchen erlaubte er sich natürlich nicht, wie würde das denn aussehen!


    Natürlich ging er Lucanus entgegen, die Hände ebenfalls ausgebreitet, um ihn in die übliche kurze Umarmung zu ziehen. "Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, verehrtester Flavius Lucanus. Denn in das Haus der Flavier geladen zu werden, betrachte ich als höchste Auszeichnung. Und was die Jugend und Unerfahrenheit angeht: Zum einen sind sie höchst vergänglich und zum anderen bin ich Dir dabei gar nicht so weit voraus." Er lachte und klopfte dem jungen Flavier leicht auf die Schulter.


    "Ich habe mich wirklich außerordentlich über Deine Einladung gefreut." Sein strahlendes Lächeln war echt. Er mochte Lucanus sehr gern, zumindest, soweit er ihn bisher kannte. Das war zugegebenerweise noch nicht sehr gut, aber dieser Abend würde diesem Mangel sicherlich schon in erheblichem Maße abhelfen.

    Stirnrunzelnd beobachtete Ursus den Fortgang der Verhandlungen. Der Sklavenhändler versuchte zu retten, was zu retten war, doch die Maßnahmen, die er dafür ergriff, gefielen Ursus nicht im Mindesten. Wie Corvinus das wohl sah? Wenigstens machte das Mädchen jetzt endlich mal den Mund auf. Aber mit was für einem Blick sie Corvinus maß! Da fragte man sich doch glatt, wer hier der Sklave und wer der potentielle Käufer war.


    Er war wirklich gespannt, ob Corvinus das Mädchen kaufte. Sie hatte Feuer, ganz ohne Frage. Einen starken Willen. Und einen schönen Körper. Eine gefährliche Mischung und vermutlich ganz auf Corvinus' Linie. Ob er sich an dieser wohl die Finger verbrennen würde? Oder ob auch sie dem Charme erlegen war, denn Corvinus wohl an sich haben mußte, da ihm ja praktisch alle Frauen in seiner Umgebung verfielen.


    Als sie fragte, ob denn Marcus' Frau nicht kochen könne, mußte sich Ursus ein Schmunzeln verkneifen. Das konnte ja wirklich noch spaßig werden mit dieser Frau. Falls sie gekauft wurde. Da sie sich plötzlich selbst so anpries, war sie selbst dieser Möglichkeit gegenüber wohl nicht mehr allzu abgeneigt. Kein Wunder bei diesem Händler. Von dem fortzukommen konnte für jeden Sklaven nur ein Glück sein.

    Es machte richtig Spaß, sie dabei zu beobachten, wie sie voller Freude den Garten erforschte. Dabei empfand er einen gewissen Stolz, als sei der Garten sein Werk, obwohl er natürlich an dessen Schönheit nicht den geringsten Anteil hatte. Doch in ihrer Lebhaftigkeit, mit der sie den Garten durchstromerte, erinnerte ihn an früher. Sie hatte sich ja immer schon gerne hier aufgehalten.


    Doch dann fesselte eine Statue ihre Aufmerksamkeit in ungewöhnlichem Maße. Und es war bald zu sehen, warum das so war. Tilla hatte sich dahinter versteckt und anscheinend gelauscht. Davon hielt Urus ja nun überhaupt nicht viel und seine Augenbraue hob sich unwillig. "Tilla! Hat Dir denn immer noch niemand beigebracht, daß Du nicht zu lauschen hast?" Er sprach durchaus streng mit ihr. Denn auch wenn er das Mädchen wirklich gern hatte, so durfte er solche Dinge nicht durchgehen lassen. Schlimm genug, daß ihr die Saturnalienfeier bei den Flaviern nicht Lehre genug gewesen war.


    Dann wandte er sich erst einmal seiner Schwester zu. "Das ist Tilla. Sie ist stumm, daher spricht sie mit den Händen oder schreibt auf, was sie sagen möchte. Die Verständigung klappt eigentlich ganz gut. Sie möchte Dir ihre Kaninchen zeigen." Woraufhin er sich wieder an Tilla wandte. "Aber vorher schaust Du nach, ob das Zimmer für Minervina bereit und das Gepäck nach oben gebracht worden ist. Und dafür, daß Du gelauscht hast, hilfst Du meiner Schwester dann später beim auspacken und stehst ihr auch sonst zur Verfügung." Das fand er eine gerechte Strafe für's Lauschen, da sie ja offenbar sonst gerade Pause gehabt hätte. Er war wirklich ärgerlich, da es ja nicht das erste mal gewesen war.

    Was mich an dieser Diskussion stört, ist die Suche nach dem Schuldigen. So etwas funktioniert nie. Vielleicht schwelt die Mißstimmung schon weit länger, sogar ohne daß die Beteiligten es gemerkt haben. Es ist doch auch gar nicht wichtig, wer nun der Schuldige ist an dieser vertrackten Lage. Die Schuldfrage bringt nur eins hervor: Mehr böses Blut.


    Wir haben doch jetzt die Situation, daß weder der Herr noch glücklich mit seinen Sklavinnen ist, noch die Sklavinnen glücklich mit ihrem Herrn.


    Ich finde, da ist es nicht schwer, eine Lösung zu finden. Die Sklavinnen gehen in den Besitz eines Herrn ihrer Wahl über und fertig. Und wenn der bisherige Besitzer sein investiertes Geld wiederhaben möchte, dann wird der neue Herr den Preis doch gewiß auch bezahlen.


    Wir sind doch wohl alle zu erwachsen, als daß da jetzt aus reiner Rachsucht von der einen oder anderen Seite Gehässigkeiten verbreitet oder Hindernisse in den Weg gelegt werden müßten. Die Lösung liegt ganz offensichtlich auf der Hand.

    Es war ja noch gar nicht so sehr lange her, daß Ursus sich im Atrium der Villa Flavia aufgehalten hatte. Dennoch sah er Raum natürlich jetzt völlig anders aus, als zur Saturnalienfeier und so blickte sich der Aurelier doch aufmerksam um, während er auf Lucanus wartete. Ganz abgesehen davon, daß hier alles wirklich gemütlich und angenehm - anscheinend für seinen Besuch - hergerichtet worden war, hatte das Atrium doch noch einige sehenswerte Dekorationen und Einrichtungen zu bieten, auf die Ursus bei seinem letzten Besuch gar nicht so hatte achten können.


    Das Essen war wirklich sehr appetitlich angerichtet. Und schon das zeitlich genau abgestimmte anrichten derselben ließ darauf schließen, daß Lucanus sich bald blicken lassen würde.

    Ursus hob eine Augenbraue und musterte den Ianitor der Flavier ein wenig abschätzend, dann trat er in das Haus und grüßte nur mit einem einfachen und für ihn ungewöhnlich kühlen "Salve" zurück. Natürlich war ihm bewußt, daß ein Ianitor die undankbare Aufgabe hatte, die Spreu vom Weizen zu trennen, und die einen gnadenlos abblitzen zu lassen, während die anderen als geehrte Gäste einzulassen waren. Die Entscheidung, ob jemand zu dem einen oder dem anderen gehörte, war manchmal nicht einfach. Doch der Name Aurelius hätte genügen müssen, ohne irgendein Theater mit einer Liste oder ähnlichem. Zumal Lucanus ja sicherlich seinen Türsteher darüber informiert hatte, daß er Ursus erwartete.


    Als Caelyn von einem Haussklaven praktisch abgefangen wurde, nickte er ihr zustimmend zu. Sicherlich würde sie bei den Sklaven des flavischen Haushaltes mehr Freude finden, als wenn sie ihm und Lucanus stumpf zuhören mußte. Ursus selbst nickte dem rotgoldenen Schwarzen dankbar zu und folgte dem Jungen ins Atrium. Das klang doch schon wesentlich herzlicher und für ihn angemessener.

    "Ah, salve, Sertorio. Schön, daß Du wieder da bist." Ursus nickte dem Sklaven freundlich zu und nahm die Schriftrolle entgegen, während er sich anhörte, was Sertorio zusätzlich mündlich zu berichten hatte. "Ah, das ist schön", kommentierte er die Freudenäußerung von Varus und entrollte die Schriftrolle, um sie zu lesen.


    Er las die Nachricht und die Freude über das, was darin stand, war ihm deutlich anzusehen. Dann blickte er wieder auf. "Sehr gut, Sertorio. Und nun geh und laß Dir etwas zu essen geben. Für den Rest des Tages bist Du von der Arbeit befreit, damit Du Dich von der Reise erholen kannst." Da Sertorio gesund und munter vor ihm stand und auch weder zu Tode erschöpft noch irgendwie geschockt aussah, nahm Ursus einfach mal an, daß die Reise störungsfrei verlaufen war und sparte sich eine Frage deswegen. Auf jeden Fall hatte Sertorio sich als sehr zuverlässig erwiesen und konnte daher für derartige Aufträge durchaus häufiger eingesetzt werden.

    Es war so einfach, diese junge Frau glücklich zu machen! Ursus mußte sich immer wieder darüber wundern. Doch natürlich freute er sich auch darüber. Es wäre ja schlimm gewesen, wenn er nun den Rest des Tages eine Schmollmiene hätte betrachten müssen.


    "Nun, es gibt noch unzählige Dinge anzusehen, ganz ohne Frage. Aber ich glaube, für heute ist es genug. Es wird noch viele Gelegenheiten geben, Dir die Sehensnwürdigkeiten zu zeigen." Irgendwann würde ihr das alles ganz normal vorkommen. Ob sie Rom so lieben lernen würde, wie er es liebte?


    "Laß uns also heimgehen. Wir gehen über's Forum und ich zeige Dir nochmal den Weg, den man sich am besten merken kann. Das Forum kennt jeder. Wenn Du Dich mal verläufst, fragst Du Dich einfach zum Forum durch und dann findest Du auch den Weg nach Hause." Er hatte vor, sie schon recht bald mal ganz alleine loszuschicken. Sowohl ein Test ihrer Fähigkeiten, sich allein zurechtzufinden, als auch ein Test ihrer Vertrauenswürdigkeit.

    Ihre Freude war zu schön mit anzusehen. Ursus genoß diesen Anblick geradezu, denn wer konnte sich heutzutage schon noch so herzlich und offen freuen? Noch dazu über eine Kleinigkeit, denn so etwas großartiges war so ein Besuch nun auch wieder nicht für eine Sklavin, die ihren Herrn begleitete.


    Ihr Versprechen schien sie ernst zu meinen und Ursus war geneigt, ihr zu vertrauen. So eine Blamage wie auf den Saturnalien würde sie sich gewiß nicht noch einmal leisten. Sie hatte deswegen solch ein schlechtes Gewissen gehabt, daß Ursus davon ausging, daß es recht heilsam gewesen war.


    "Du könntest mir etwas verdünnten Wein bringen, Caelyn." Wenn sie schon fragte, was sie tun konnte.

    Langsam waren sie durch die Villa geschlendert und Ursus hatte ihr alles gezeigt. Völlig neu für sie war natürlich, daß er ein eigenes officium hatte. Doch ohne ging es wirklich nicht, wenn man ein Amt inne hatte. Noch dazu eines, das so viel Papierkram mit sich brachte.


    Die meisten anderen Räume hatten sich nicht sehr verändert in den letzten Jahren. Allenfalls gab es einen neuen Anstrich oder etwas andere Dekorationen. Im großen und ganzen aber fanden sich immer noch alle wichtigen Räume dort, wo sie früher auch gewesen waren.


    "Vergessen? Nein, Schwesterchen, vergessen haben wir den hortus nicht. Das beste kommt doch immer zum Schluß, oder etwa nicht? Natürlich ist er jetzt im Winter nicht so farbenfroh wie im Sommer, aber er ist sehr schön und wird gut gepflegt. Du wirst Dich darin sicher sehr wohlfühlen. - Komm..."


    Er führte sie nach draußen und obwohl hier natürlich vieles anders war als früher, so waren doch noch die alten Kletterbäume da und auch anderes vertrautes fand sich. Der Gartenteich war fast unverändert und auch die Hecken waren noch gleich angeordnet. "Ich werde Dich gewiß mal in die Stadt begleiten, Minervina", versprach er dann leichtsinnig. "Helena und Prisca werden sicher auch gerne mit Dir einkaufen gehen. Vor wenigen Tagen erst hat auch Helena den Wunsch geäußert, sich mal wieder in die Stadt zu begeben. Es ging ihr zuletzt nicht so gut und ich habe mich sehr gefreut, daß sie wieder Lust zu Streifzügen durch die Stadt hat. Ich bin sicher, ihr werdet euch sehr gut verstehen."

    Das war doch wirklich ein gutes Zeichen, dass Helena sich danach sehnte, das Haus mal wieder zu verlassen. Und Ursus war auch fest davon überzeugt, dass es ihr gut tun würde, wenn sie mal etwas anderes sah als die eigenen vier Wände, wo sie doch nur ins Grübeln kam. Daher nickte Ursus, obwohl ihn der Gedanke an einen Einkaufsbummel mit Frauen mit schierem Grauen erfüllte. "Natürlich begleite ich Dich gerne mal in die Stadt. Und die Einladung zum Essen nehme ich von Herzen gerne an." Ihm lag schon auf der Zunge, sie zu bitten, nicht durch alle möglichen Läden und Märkte zu ziehen, doch dann ließ er es doch lieber. Sollte sie ihren Spaß haben, er würde das gewiss mal einen Tag lang überleben.


    "Meine Schwester Minervina wird bald nach Rom zurückkehren. Ich bin sicher, sie wird Dir auch gerne Gesellschaft leisten. Und noch sicherer bin ich, dass sie nur zu gerne mit Dir in die Stadt gehen wird. Sie war lange nicht mehr in Rom und wird alles ansehen wollen. Und natürlich in einen Kaufrausch verfallen." Er lachte und zwinkerte leicht, um zu zeigen, dass er das nicht ganz ernst meinte. "Ich bin schon sehr gespannt, wie sie sich verändert hat. Wir waren ja praktisch noch Kinder, als wir uns das letzte mal gesehen haben. Damals war sie sehr lebhaft. Es fällt mir wirklich sehr schwer, sie mir als junge Dame vorzustellen." Er freute sich schon sehr auf das Wiedersehen mit ihr. Immerhin war sie seine nächste Verwandte.


    "Was Marcus angeht… ich weiß nicht, warum er so über mich denkt. Er tut es jedenfalls. Er ist der Meinung, dass ich mich erst außerhalb der Familie bewähren muss, bevor er mir innerhalb der Familie ein wenig Verantwortung überträgt." Ursus lachte bitter auf. "In anderen Familien läuft es genau umgekehrt. Man lernt erst innerhalb der Familie, Verantwortung zu tragen, bevor man Verantwortung für ganz Rom übernimmt. Vermutlich muss ich erst Censor gewesen sein, bevor ich auch nur das geringste für die Familie tun darf. – Cotta hat natürlich sofort die Finanzen übertragen bekommen. Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich mag Cotta gern. Sehr gern sogar. Er war der einzige in dieser ganzen Familie, der von Anfang an freundschaftlich auf mich zugekommen ist. Doch dass Marcus ihn derartig vorzieht und fördert, während er mich am ausgestreckten Arm verhungern lässt, ist wirklich ungerecht." Jetzt hatte er Helena doch mit all dem überschüttet, dabei hatte er das gar nicht gewollt. Doch wenn er schon dabei war, konnte er gleich Nägel mit Köpfen machen. "Ich weiß, ich klinge wie ein trotziges Kind. Aber ich weiß nicht, wie ich etwas an dieser Situation ändern soll. Wir sind nicht fähig, miteinander zu reden. Alles endet mit Streit. Es ist, als würden wir unterschiedliche Sprachen sprechen, so sehr scheinen wir aneinander vorbei zu reden. Und es macht mich schier wahnsinnig, dass er nie eine klare Antwort gibt. Stelle ich ihm eine Frage, dann redet er nur drumrum, weicht aus, hält Vorträge über familiären Zusammenhalt und verweigert mir im nächsten Atemzug, meinen Beitrag für die Familie zu leisten."


    Verlegen blickte er auf seine Hände, während er die Finger ineinander verschränkte. "Mittlerweile habe ich mich eigenständig in die Familienbuchführung und die Korrespondenz eingearbeitet. Nachdem ich die entsprechenden Unterlagen von Marcus erstritten habe. Am Ende hat er dann natürlich behauptet, ich hätte die Unterlagen doch immer schon einsehen können." Er schnaubte verächtlich. "Das hätte ich sehen wollen, was los gewesen wäre, wenn ich mir einfach Unterlagen aus seinem officium oder dem von Cotta geholt hätte. Rausgerückt hat er sie jedenfalls erst nach dem Streit. Er behauptet ständig zwischendurch, ich bräuchte nur fragen. Doch wenn ich frage, bekomme ich entweder ein „nein, Du musst Dich erst bewähren“ zu hören oder er beantwortet die Frage erst gar nicht." Das war wirklich das schlimmste von allem: Daß er einfach nicht antwortete. "So, nun weißt Du, was mich bedrückt. Und eigentlich sollte ich mich schämen, Dich damit zu belasten. Gerade jetzt. – Bitte lass Dir deswegen nicht das Herz schwer werden. Irgendwann werden wir uns bestimmt noch zusammenraufen." Wovon er selbst nicht im geringsten überzeugt war.

    Ursus hatte sich gerade ein kleines Nickerchen gegönnt, da er im Moment tatsächlich mal mit seiner Arbeit fertig war und auch lange genug in der Buchführung der Familie herumgewühlt hatte. Er rechnete um diese Zeit nicht im geringsten mit einer Störung und so schrak er ziemlich zusammen, als es klopfte. Schnell setzte er sich aufrecht hin und fuhr sich ordnend über das Haar, bevor er "Herein!" rief.

    Der vereinbarte Tag war nun herangekommen und Ursus nahm nun die herzliche Einladung des Flavius Lucanus, ihn zu besuchen, wahr. Zusammen mit Caelyn, die sich hoffentlich tadellos benehmen würde, machte er sich auf den Weg zur Villa der befreundeten Familie. Es war ja nicht weit und so gingen sie selbstverständlich zu Fuß. Ohnehin nutzte Ursus nur höchst selten und dann auch ungern eine Sänfte. Da ritt er schon lieber, doch das kam natürlich nur für weite Strecken in Betracht.


    Als sie die Villa erreichten, blieb Ursus einige Schritte zurück und nickte Caelyn zu, damit diese anklopfte und seine Ankunft bekannt gab. Wofür hatte er sie schließlich mitgenommen?

    An Appetit fehlte es ihr jedenfalls nicht. Bei ihrem Anblick, wie sie voller Genuß die guten Speisen verputzte, mußte Ursus unwillkürlich schmunzeln. Aber auch er ließ sich das Essen schmecken, wenn auch deutlich manierlicher.


    "Freut mich, daß Du unserem Volk doch noch einen positiven Aspekt abgewinnen kannst", grinste er, bevor er den letzten Bissen in den Mund steckte. Er konnte sich ja nicht vorstellen, daß früher häufig die Gelegenheit gehabt hatte, lukanische Würstchen zu essen. Denn sie waren ja nicht ganz billig. Aber vermutlich waren sie gerade deswegen für sie ein besonders gutes Essen.


    Na, wenn sie demnächst häufiger Aufträge in der Stadt zu erledigen hatte oder Ursus begleitete, würde sie auch öfter mal Würstchen zu essen bekommen.


    Er trank seinen Becher leer und als er sah, daß auch sie fertig war, erhob er sich. "Dann laß uns mal nach Hause gehen. Für heute war es wirklich genug. Oder gibt es noch etwas, was Du ansehen möchtest?"

    Ah, sehr schön, dann also übermorgen. Ursus freute sich schon auf den Besuch bei den Flaviern. Lucanus hatte so eine erfrischend lockere Art. So etwas fand man unter Patriziern doch eher selten. Gut, Ursus war ja auch eher stocksteif. Aber das hieß ja nicht, daß er die Gegenwart lockerer Menschen nicht zu genießen vermochte.


    "Hm", machte er, als sie leise fragte, ob sie nicht mitkommen könnte. Ursus musterte sie nachdenklich und es dauerte erstaunlich lange, bis er auf ihre Frage antwortete. Noch immer war sie ein mächtig ungeschliffener Diamant und eigentlich noch nicht sonderlich gesellschaftsfähig. Andererseits war diese Einladung ja auch eher ungezwungen und nicht förmlich. Da war es für sie eine gute Übung für förmlichere Gelegenheiten.


    "Also gut, Du kannst mitkommen", nickte er schließlich. Er sparte es sich, sie zu ermahnen, damit sie sich gut benahm. Sie wußte, daß er das von ihr erwartete.