Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Nanu, da schien ja in der Tat einiges vorgefallen zu sein. Ursus überlegte, bevor er antwortete. "Ich weiß nicht im Einzelnen, was geschehen ist. Aber Ehrlichkeit ist auf jeden Fall besser als Unehrlichkeit. Gerade wenn es um Gefühle geht. Denn Unehrlichkeit verletzt viel tiefer, als Ehrlichkeit es je könnte. Er will Dein Herz ganz? Und was willst Du? Was sagt Dein Herz?" Ernst schaute Ursus seinen Sklaven an. "Hast Du je geliebt, Cimon? Ich meine, so von ganzem Herzen?" Ursus konnte sich vorstellen, daß solche Gefühle neu für den Sklaven waren, der bei seinen früheren Herren keinerlei Freiheiten besessen hatte.

    Fast war Ursus dankbar, aus diesen eher schweren Gedanken abgelenkt zu werden. Er bemerkte die Freude des Sklaven und lächelte. "Das weiß ich, Cimon, daß Du Schriften stets mit Sorgfalt behandelst." Zu sehr liebte Cimon das Lesen, als daß er die Schriften beschädigen würde. "Ihr seid nicht im Besten...? Ist etwas Ernstes vorgefallen?"

    Baldemar schien der Ehrgeiz gepackt zu haben, Ursus ein weiteres Lied zu lehren. Überrascht schnappte Ursus nach Luft, als Baldemar plötzlich seine Hand auf Ursus' Bauch legte und so anzeigte, welche die wichtigen Stellen waren. Für einen Moment war ihm die Nähe unangenehm, doch dann ließ er sich einfach fallen und tat einfach, was der Germane wollte. Er sang, er betonte so, wie Baldemar es ihm anzeigte, gewann auch wieder Sicherheit.


    Es dauerte lange, bis Baldemar zufrieden war. Doch dann wußte Ursus, worauf es ankam. Und er sang. Mit nun geschlossenen Augen. Weil er es fühlen wollte. Auf einmal war seine Stimme die laute, die führende. Überrascht öffnete er die Augen wieder, hörte aber nicht auf. Warum hatte Baldemar sich zurück genommen?

    Ob Baldemar je zuvor so viele Worte an einem einzigen Tag hervorgebracht hatte? Ursus wagte es, dies zu bezweifeln. Doch das hielt ihn nicht davon ab, immer wieder neue Fragen zu stellen. Baldemar beantwortete sie bereitwillig und so konnte er lernen. Wer wußte schon, ob es ihn nicht doch eines Tages wieder nach Germanien verschlug?


    "Der Tag der Mannwerdung. Wie wird ein Junge zu einem Mann? Bedarf es eines bestimmten Alters? Oder muß er eine Art Prüfung bestehen? Was passiert, wenn ein Junge kein Krieger ist? Ich meine, nicht alle Menschen sind gleich und manch eignen sich eben nicht für den Kampf." Oder ob alle in diese Rolle gezwungen wurden? Auch das war möglich. Doch Ursus wollte es wissen, nicht nur erraten und dann vielleicht falsch liegen.


    "Julfest, ja richtig. Julfest, das habe ich schon gehört. Auch wenn ich sonst nichts darüber weiß." Doch nun lernte er mehr darüber. Auch über die Rauhnächte und die Wilde Jagd. Ja, auch davon hatte er gehört, hatte es aber wieder vergessen. Und ohnehin nie so richtig verstanden. "Das Geisterreich steht offen? Die Kelten feiern dies im Herbst. Sie nennen es Samhain. Sie sagen, das Geisterreich steht offen und die Verstorbenen wandeln unter den Lebenden." Wieder Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Religionen. Nur der Termin stimmte nicht überein.


    "Die Saturnalien? Nun, ich treffe mich mit Freunden und feiere mit ihnen. Ein Abend gehört der Familie, auch wenn nie alle dabei sind. Wir beschenken uns. Und verbringen einfach einen schönen Abend. Die Sklaven, die mitfeiern wollen, sind dabei. Aber die meisten ziehen es vor, in die Stadt zu gehen und ihre Freiheit auszukosten." Was er durchaus verständlich fand und deshalb auch nicht hinterfragte. "Die Saturnalien bedeuten nicht die Umkehr der Verhältnisse, wie viele fälschlicherweise denken. Es bedeutet, sich darauf zu besinnen, was man ist. Daß jeder von uns nur ein Mensch ist und von Grund auf alle gleich sind. Daß uns nur Reichtum und Macht unterschiedlich machen. Eine Besinnung auf das Goldene Zeitalter, als es diese Unterschiede noch nicht gab. Es soll verhindern, daß man zu sehr abhebt." Was bei vielen aber nicht mehr gelang, weil sie gar nicht mehr darüber nachdachten, sondern einfach die Tage und vor allem Nächte mit Trinken und Spielen verbrachten.


    "Die Rauhnächte. Ich weiß es gar nicht mehr genau. In Germanien. Oder beim Samhainfest damals. Sklaven der Flavier waren in jener Nacht in den Garten der Villa Aurelia gekommen, um mit den aurelischen Sklaven dieses Fest zu feiern. Mehrere Kelten, ein paar Germanen, ein paar andere. Sie entzündeten ein Feuer, aßen, tranken. Natürlich hatten sie nicht gefragt. Ich erwachte, ich weiß gar nicht mehr, warum. Ich ging in den Garten, um frische Luft zu schnappen und hörte sie dann. Ich ging zu ihnen – und sie luden mich ein, mitzufeiern. Nicht alle waren erfreut darüber, daß ich mitmachte. Sie fühlten sich dadurch wohl befangen." Cadhla. Er sah ihre Augen im Schein des Feuers. Sein Herz schmerzte aus Sehnsucht zu ihr und er mußte den Kopf schütteln, um dieses Bild zu verdrängen. "Sie sprachen in jener Nacht über alles Mögliche. Mehr über die Kelten als über die Germanen."

    Ursus fand sich unversehens in einer Unterrichtsstunde wieder. Doch sie würde ihm helfen, Baldemar besser zu verstehen. Hoffte er zumindest. Das hier war ein guter Anfang für ein Verstehen. Viele würden ihn für verrückt halten, würden sie dies hier sehen. Sehr viele. Allen voran sein Onkel, den er quasi vor sich sah, wie er sich an die Stirn tippte, um anzudeuten, wie dumm es war, sich so auf eine Stufe mit einem Sklaven zu begeben und auch noch von ihm zu lernen. Doch Ursus empfand es als richtig. Sie waren hier allein. Was verlor er? Nichts. Was gewann er? Vertrauen. Warum nicht auf einen Mann eingehen, dem er immerhin das Leben seiner Frau anvertraute?


    Außerdem fühlte es sich gut an. Dieser Gesang gefiel ihm. Wie er ihn berührte, gefiel ihm. Man merkte, daß Baldemar nicht einfach Worte sang. Sondern daß er sie fühlte, in ihnen aufging. Er begann, einen neuen Takt zu schlagen, bevor Ursus weiterfragen konnte. Ein neues Lied, es wurde sogleich übersetzt. Und machte vieles klarer. Ursus verstand. Loki war nicht böse, gab es überhaupt etwas rein böses? Er war die Gefahr, er war das Risiko, er war das Unvorhergesehene, das Chaos, die Zerstörung. Den Rhythmus nahm Ursus leicht auf, klopfte mit. Und hoffte, Baldemar würde es noch einmal singen, dieses mal ohne Übersetzung, nur zum mitfühlen.

    Ja, es war tatsächlich so, daß Ursus geradezu nach dem Makel suchte, den dieses Haus doch haben mußte. Denn sonst wäre es einfach perfekt. Es mußte doch einen Haken haben? Aber wenn da einer war, dann fand er ihn nicht. "Nun, wenn es in die engere Wahl kommt, dann wird es sich auf jeden Fall ein Baufachmann ansehen. Ich verstehe nicht genug davon, ob die Bausubstanz in Ordnung ist." Er lächelte seine Frau an. Heute kam es vor allen Dingen auf sie an. Ob sie sich hier wohlfühlen konnte.


    Der Verkäufer erwies sich weiterhin als geschickt in seiner Vorgehensweise. Rühmte er also nun den Garten und ließ die beiden dann dort allein. Ursus schritt mit seiner Frau unter die schattenspendenden Bäume und schmunzelte, als er ihre Worte hörte. "Ich würde ebenfalls gerne mit Dir hier leben. Ich möchte unsere Kinder unter diesen Bäumen spielen und lachen sehen. Dieses Haus ist eine Perle und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß eines der weiteren Häuser auch nur ansatzweise an dieses heranreicht. Außerdem ist es nur einen Steinwurf von der Villa Aurelia entfernt. Ich bin dafür, es zu kaufen. Aber diesem Messalinus gegenüber dürfen wir nicht zu begeistert wirken, sonst treiben wir den Preis damit in schwindelnde Höhen. Also gut, ich werde morgen einen Fachmann nach Mängeln suchen lassen. Und dann die Verhandlungen beginnen." Liebevoll zog er seine Frau näher zu sich heran. "Es ist wunderschön hier." Seine Augen zeigten deutlich, wie sehr es ihm gefiel. Und wie glücklich er war, daß es ihr ebenso gefiel. Er küßte sie zärtlich, wie um seine Worte zu unterstreichen.



    Ursus lachte und nickte. "Ja, das ist ein Trick, den auch wir Römer gerne anwenden. Ich wußte, daß sie genau das wollten. Aber es war trotzdem sehr schwer, zu widerstehen, ohne unhöflich zu sein." Eigentlich ein Kompliment. Denn es zeigte, daß die Germanen auf dem diplomatischen Parkett gar nicht so ungeschickt waren


    Wie gut, daß Baldemar das Thema Germanicus nicht weiter vertiefte. Ursus hätte in diesem Moment ungern zugegeben, daß ihn viele Berichte über Germanicus faszinierten und daß er ihn für einen guten Nachfolger für Tiberius gehalten hätte. Vielleicht wäre Rom manches erspart geblieben, wenn er nicht ermordet worden wäre. Ungeachtet der Gräuel, die er über die Marser gebracht hatte.


    "Feiert ihr eigentlich den Tag eurer Geburt, wenn er sich jährt? Oder den der Namensgebung?" Wieder reine Neugierde. "Oder habt ihr ein Fest, das vergleichbar wäre mit den Saturnalien? Ich hörte einmal von den Rauhnächten. Ist das vergleichbar damit?"

    Nun wurde ihm das Lied erklärt. Langsam und geduldig. Ursus lernte dabei ein paar germanische Wörter. Nicht alle, die vorkamen, konnte er sich gleich merken. Aber es war ein Anfang. Dieses Lied, es war wirklich ergreifend. Die Geschichte voller Tragik, gar nicht so unähnlich den Göttergeschichten, die Rom oder Griechenland kannten. Vielleicht konnte er Baldemar irgendwann die eine oder andere näher bringen. Aber nicht jetzt. Es würde alles zerstören. "Brüder fürchtet den Loki. Brüder kämpft gegen den Loki. Fesselt ihn", wiederholte Ursus verstehend. Auf Latein und dann auf germanisch.


    "Erzähle mir etwas von Loki."

    "Met. Ich habe keine guten Erinnerungen an Met", lächelte Ursus und seine Augen sagten deutlich, daß er es nicht so negativ meinte, wie es sich vielleicht anhörte. "Er steigt schnell zu Kopf und Germanen neigen dazu, Becher sogleich nachzufüllen, kaum daß sie auch nur andeutungsweise geleert sind." Er erinnerte sich an diesen Besuch bei den Mattiakern, bei dem es so schwer gewesen war, sich nicht zu betrinken. Met schmeckte auch noch gut, so daß es noch schwerer war, zu widerstehen.


    Die nächste Frage des Marsers ließ Ursus entsetzt dreinschauen. "Befohlen? Nein, ich hätte niemals befohlen, Frauen und Kinder zu töten. Oder Unbewaffnete. Oder ein Heiligtum einer friedlichen Gottheit durch ein Blutbad zu entweihen. Es gibt andere Wege. Ein Krieg sollte auf dem Schlachtfeld geführt werden. Nicht in Dörfern oder Städten. Nicht in Heiligtümern. - Aber auch nicht aus dem Hinterhalt. Auch nicht verkleidet als der andere, um ihn zu verwirren. Krieger gegen Krieger, Schwert gegen Schwert. Der Bessere gewinnt. Die Geschichte zeigt, daß nicht immer der mit der Überzahl an Kriegern gewinnt. Auch nicht derjenige mit der besser ausgebildeten Armee."

    Mehr er selbst sein? Ursus grübelte auch über diesen Gedanken nach. "Es ist eine Gratwanderung. Ich bin Patrizier und darf das auch nicht verleugnen. Doch das heißt ja nicht, daß ich andere als unwert betrachten muß. Mehr ich sein. Das eine schließt das andere nicht aus, denke ich. Schon immer habe ich es so gesehen, daß es mehr Pflichten als Rechte mit sich bringt, Patrizier zu sein." Er seufzte. Das war eine der Grundsatzfragen, die immer wieder hochkochten. Er dachte an Corvinus. Nein, der war zu sehr von sich überzeugt, allzu bestimmend, setzte sich allzusehr über die Wünsche seiner Mitmenschen hinweg. Wenn der nicht alles und jeden kontrollieren konnte, war er nicht zufrieden. Dabei war es ein sehr großer Unterschied, ob er selbst oder jemand anderer etwas tat. Von Gerechtigkeit keine Spur. Er war ganz sicher kein Vorbild. Dann schon eher Tiberius Durus, obwohl der ihm oftmals zu stur und zu abfällig den Plebeiern gegenüber schien. Aber zumindest diente er Rom und den Göttern mit all seiner Kraft. Zum Teil konnte er sicherlich als Vorbild dienen. Aber er mußte insgesamt seinen eigenen Weg finden. Und mit etwas Glück würde er das auch. Vielleicht würde er Fehler machen, gewiß hatte er schon Fehler gemacht, doch aus Fehlern konnte man auch lernen.


    "Natürlich darfst Du mit ihm Zeit verbringen, wenn Lucianus dies Phaeneas ebenfalls erlaubt. Und unsere Schriftensammlung steht euch zur Verfügung." Warum nicht den Sklaven erlauben, ein wenig Freude zu haben? Hier gab es genug anderes Personal, das sich um Ursus und Lucianus kümmern konnte in der Zeit.

    Noch immer waren sie über je einen Arm miteinander verbunden, sie hielten ihre Unterarme umfangen. Doch noch mehr als das verband ihr Blick sie miteinander. Dabei sahen sie gar nicht das Gesicht des anderen, sondern vielmehr sahen sie, was die Musik an Bildern in ihnen weckte. Ursus ließ sich ziehen und leiten. Körperlich ebenso wie im Gesang. Er wurde immer sicherer, auch furchtloser. Gab sich dabei große Mühe, korrekt zu betonen und auszusprechen. Baldemar stachelte ihn an, mehr Kraft in die Stimme zu legen, es kam zum Finale. Ohne die Worte zu verstehen, verstand Ursus, daß es der Tod war, den er sang. Dann Stille. Ein Druck der Unterarme, ein Wort, loslassen. Brüder. Ja, es war eine Art von Verbrüderung, die gerade stattgefunden hatte.


    Und Ursus sah nicht den Sklaven Baldemar, sondern etwas, was er nie zuvor erkannt hatte. Einen Krieger, einen stolzen, freien Mann. Egal, ob die Welt ihn Sklave nannte, Baldemar würde niemals etwas anderes sein. Auch ohne Schwert in der Hand, ohne Schild, ohne ungezähmten Hengst unter sich. Einfach ein Krieger. Es war, als hätte jemand etwas von seinen Augen genommen, das ihm die Sicht bis jetzt versperrt hatte. Brüder. Es lag so viel in diesem Wort. So viel Sehnen, so viel Erwartung, so viel Friede. Sie hatten etwas geteilt, das besonders war. Sie hatten nicht einfach ein wenig miteinander gesungen, wie man es in Tavernen schon mal tat. Ursus war sich der Besonderheit des Gedankens bewußt. Auch der Besonderheit ihrer frisch entstandenen Verbindung. "Brüder." Es hatte gedauert, bis er es aussprach. Als hätte er darüber nachdenken müssen. Dabei hatte er gar nicht gedacht. Nur in sich hineingefühlt. Gesucht. Und gefunden.

    Aufmerksam hörte Ursus zu. Es gab also Parallelen zwischen römischen und germanischen Göttern? Frija und Venus? Sogar der gleiche Tag war ihnen gewidmet. "Der dies veneris ist übermorgen. Wir haben auch einen Feiertag der Venus. Der ANTE DIEM VI ID AUG (08.08.). Wie feiert ihr diesen Tag? Bringt ihr Opfer dar? Oder haltet ihr bestimmte Rituale ab?" Dann die Erklärungen zur Tanfana. Dank für die Ernte, wie es schien. Sie war offenbar eine friedliche Göttin.


    Bei der Erwähnung des Germanicus fiel Ursus die ganze Geschichte doch noch ein. Ja richtig, römische Geschichte, damit kannte er sich aus. Germanicus führte die Legionen nach dem Aufstand in Vetera ins Germanengebiet. "Ich erinnere mich, darüber gelesen zu haben. Germanicus. Er galt als Thronfolger. Er glaubte, etwas tun zu müssen, um die rebellierenden Legionen zur Vernunft zu bringen. Gleichzeitig übte er Rache wegen Varus. Er starb Jahre später, vergiftet." Daß Frauen, Kinder und Wehrlose in ihrem Heiligtum abgeschlachtet worden waren, galt zwar auch auf römischer Seite nicht gerade als Heldentat, doch Germanicus war beliebt gewesen.


    "Welcher Römer ich bin? Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Frage beantworten kann. Ich halte mich für einen ganz normalen Römer. Aber vermutlich ist es nicht das, was Du hören willst. Willst Du wissen, ob ich dabei mitgemacht hätte? Wenn man einen Befehl erhält, muß man gehorchen. Ob ich mich dagegen aufgelehnt hätte? Ich weiß es nicht. Das gehört wohl zu den Fragen, die sich erst beantworten lassen, wenn man tatsächlich vor der Entscheidung steht."

    "Soweit ich gehört habe, trifft seine Abneigung alle Patrizier. Vielleicht muß ein Patrizier ihm erst beweisen, daß er eine Ausnahme ist, um eben nicht unter dieses Vorurteil zu geraten. Andererseits möchte ich gar keine Ausnahme sein, denn ich möchte nicht die anderen Patrizier gegen mich aufbringen." Das Leben war wahrhaftig nicht leicht, wenn man die unteren Ränge überwunden hatte und nach den hohen strebte. "Je mehr Empfehlungen, umso besser. Wobei natürlich nicht unwichtig ist, von wem die Empfehlung kommt. Mein Patron wäre ein guter Fürsprecher, denke ich. Sofern keine Feindschaft zwischen ihm und Salinator besteht." Zwar wußte er wohl, wie Lucianus zu Salinator stand, doch war es umgekehrt genauso?


    "Nein, ich weiß es nicht genau. Aber lange kann es nicht mehr dauern. Er sagte, er würde bald zu einer Rundreise aufbrechen. Und Mantua sollte wohl zu den ersten Zielen gehören." Eigentlich rechnete er täglich damit, daß eine Nachricht von Lucianus eintraf. "Freust Du Dich darauf, Phaeneas wiederzusehen?" Wußte Ursus doch von der Freundschaft zwischen den beiden Sklaven.

    Ich wünsche dir einen gesunden Sohn. Das war nicht gespielt, das war ehrlich. Und es klang Respekt aus den Worten des Sklaven. Ursus war erstaunt, aber irgendwie auch stolz, schon so viel erreicht zu haben in dem einen Gespräch. Es konnte noch werden mit Baldemar. Es würde seine Zeit brauchen. Aber es konnte noch werden.


    "Auch ich wünsche Dir einen gesunden Sohn, Baldemar." Kein Eigennutz fand sich in dem Gedanken. Ursus dachte nicht an ein Sklavenkind dabei. Und dachte auch nicht daran, daß Baldemar es so auffassen könnte. Nicht nach dem, was sie vorher besprochen hatten.


    Aufmerksam hörte er zu, was Baldemar über die Göttinnen sagte. Versuchte, es sich zu merken. Was nicht leicht war bei den ähnlich lautenden Namen. "Tag der Frija? Wann ist der? Und wer ist Tanfana? Auch eine Göttin?" Diesen Namen hatte Ursus noch nicht gehört.

    Die Situation wurde immer unwirklicher. Ursus dachte nicht darüber nach, wie merkwürdig es sein mußte, daß ein Legat hier im Gras saß und zu dem Lied eines Sklaven den Rhythmus klopfte. Er verschwendete keinen Gedanken daran, ob ihn jemand sah oder was Baldemar von ihm denken konnte. Er war gefangen von dem Lied, das der Germane sang. Kein einziges Wort verstand der Römer. Doch die Musik erzählte von Kampf und von einem tragischen Ende. Das verstand er. Mehr nicht.


    Baldemar wiederholte die ersten Zeilen immer wieder und Ursus lernte so die Worte, deren Bedeutung er nicht kannte. Er wiederholte sie, sang sie. Leise und unsicher erst, dann fester und sicherer. Seine Stimme klang wohl, nicht so tief wie die Baldemars, nicht so ergreifend. Aber doch von gutem Klang. Dann eine kurze Erklärung: Hödur und Balder. Brüder. Söhne Odins. - Also Götter. Ein Göttergesang. Ursus fühlte sich von Ehrfurcht ergriffen, auch wenn es nicht seine Götter waren, von denen gesungen wurde.


    Unversehens fühlte sich Ursus gefaßt und näher gezogen. Er ließ es sich gefallen. Sie saßen einander nun gegenüber. Blickten sich an. Gleichgestellt in diesem Moment. Zwei Männer, nichts weiter. Baldemar sang das Lied weiter. Ursus summte mit, versuchte, die Worte zu lernen, um mitzusingen. Die Zeilen, die er schon kannte, sang er mit. Baldemar führte das Lied, Ursus untermalte, füllte einfach den Klangteppich. Dieses Lied, es berührte das Innere. Was Ursus deutlich anzusehen war.

    Ursus ließ die von Cimon geäußerten Gedanken eine Weile in seinem Kopf herumgehen. Es war schwer, jemanden einzuschätzen, mit dem man nie ein persönliches Gespräch geführt hatte. "Ich weiß es nicht, Cimon. Ich weiß es schlicht nicht. Vielleicht rechnet er es mir positiv an, daß ich einen plebeischen Patron habe? Andererseits habe ich den Eindruck, daß er auch auf die Vinicier nicht gut zu sprechen ist. Zumindest von Hungaricus scheint er nicht viel zu halten. Ich weiß auch nicht, ob mein Patron meine Ernennung nicht über den Kaiser selbst bewirkt hat. Oder ob es schlicht daran lag, daß niemand anderer zur Verfügung stand? Zumindest keiner, den Salinator nicht zu seinen Gegnern zählte? Ich bin noch jung, er könnte mich für beinflußbar halten. Andererseits ist er noch nie an mich herangetreten, um eben Einfluß zu nehmen." Nachdenklich rieb er sich das Kinn. "Ich dachte daran, mit meinem Patron über Licinus zu sprechen, wenn er nach Mantua kommt."

    Ihre Blicke begegneten sich. Ursus wußte nicht, was er davon halten sollte. Doch er schätzte Baldemar zumindest so ein, daß er ihm einfach sagen würde, wenn er allein sein wollte mit seinem Gesang. Daß Ursus begonnen hatte, den Takt mitzuklopfen, schien dem Germanen doch durchaus zuzusagen. Oder doch nicht? Erwartete er, daß er mitsang? Dafür war er noch nicht sicher genug in der Melodie, die Baldemar bisher nur summte. Den Rhythmus hingegen hatte er nun drauf. Und er klopfte ihn weiter, als Baldemar damit aufhörte. Quasi als Aufforderung, doch weiterzumachen. Noch immer fiel kein Wort.

    Sein Sohn? Wie der heißen würde? Ursus stockte. Darüber hatte er irgendwie noch gar nicht nachgedacht. Es war ein sonderbar warmes Gefühl im Inneren, diesen Gedanken weiterzuspinnen. Sein Sohn. Die Antwort auf diese Frage ließ etwas auf sich warten. "Ich glaube, ich würde ihn lieber Titus Aurelius nennen und Septima die Wahl des Cognomens überlassen, als auf Aurelius Ursus zu bestehen."


    Baldemar schien mit der germanischen Tradition der Namensgebung nicht unbedingt glücklich zu sein. Ursus sprach beide Namen aus, um den Klang besser erfühlen zu können. "Baldwig. Fridjard. Hm. Balderich fand ich nicht schlecht, als Du ihn vorhin erwähntest. Klingt irgendwie... stark." Er sagte es so, wie er es meinte. Auf keinen Fall wollte er Baldemar vorschreiben, wie er sein Kind nennen sollte. Das war nun wirklich Sache der Eltern.


    "Fridja klingt nach einem lieben, freundlichen Geschöpf. Heißt nicht eine eurer Göttinnen ganz ähnlich? Was für eine Göttin ist es?" Ursus mußte zugeben, daß er wirklich nichts darüber wußte.

    Sim-Off:

    Wenn's danach geht, müßten die Zelte längst verrottet sein :D



    Nachdem die ersten Geschosse eher eine Enttäuschung gewesen waren, trafen sie nun mit erstaunlicher Präzision. Erde spritzte auf, Holz splitterte. Nicht auszudenken, was geschehen konnte, wenn Männer direkt hinter der Palisade standen. Sein Respekt vor diesen Waffen stieg, das konnte Ursus nicht verleugnen. Hatte er vorhin noch gedacht, daß die Wirkung den Aufwand nicht rechtfertigte, mußte er diese Meinung nun revidieren. Sein Blick wanderte von Geschütz zu Geschütz und er hatte den Eindruck, daß die einzelnen Mannschaften sich gegenseitig zu übertreffen versuchten. Doch für ihn war kaum ein Unterschied zu sehen. Inzwischen hatten sich alle gut eingeschossen und erzielten auch alle Wirkung. Wer da nun besser war als ein anderer?




    Hätte Ursus gehört, wie sehr die Kleine über die Köchin schimpfte, die doch nur versuchte, sie auszubilden zu einer brauchbaren Hilfe, dann wäre es mit dem Geschenk vielleicht nichts geworden und er hätte ihr eher einen Vortrag darüber gehalten, daß sie lernen sollte. Nicht nur lesen und schreiben, sondern auch Obst oder Gemüse schneiden. Aber er ahnte nichts davon. Er sah nur ein eifriges kleines Mädchen, das strahlend zu ihm hereinkam und stolz verkündete, daß es das Obst selbst hergerichtet hatte.


    "Du warst es selbst? Fleißige kleine Maus. Komm, setz Dich ein bißchen zu mir und erzähl mir, wie Du hier den Tag verbringst. Und nimm Dir etwas von dem Obst." Ursus deutete auf einen Stuhl und schob den Teller so, daß auch Marei sich davon bedienen konnte. Er selbst nahm ein Stück Melone und ließ es sich schmecken.