Beiträge von Flaviana Brigantica

    Gab es eines in Bridhes Leben, worauf sie hätte getrost verzichten können, so war es diese Begegnung. Unheilvoll und überraschend war sie über die Hibernierin hereingebrochen. Wie eine schlimme ansteckende Krankheit, der man sich nur schwer wieder entledigen konnte oder die sogar mit dem Tod endete.
    Die zu Boden fallenden Schriftrollen verursachten ein dumpfes Geräusch. Einige blieben dort liegen, wo sie aufgetroffen waren, andere rollten ein Stückchen weiter. Von all dem bekam Bridhe nichts mehr mit. Der Schrecken, der dieser Mann in ihr entfesselt hatte, saß auch nach all den Jahren noch sehr tief. So sehr tief, dass die Tatsache, keine Sklavin mehr zu sein, bedeutungslos wurde. Ihre erste Begegnung mit ihm, vor vielen Jahren, hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Gerade das war für sie eine Bestätigung dafür, stets auf der Hut zu sein, besonders im Umgang mit den Familienmitgliedern der Flavier.
    Und Furianus selbst hatte sie in all den Jahren auch nicht vergessen. Bei ihrem Anblick entbrannte er vor Zorn. Sein Körper bebte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Wut sich entlud.
    Bridhe konnte nicht anders. Wie angewachsen verblieb sie an Ort und Stelle, das pure Entsetzen in ihrem Gesicht, weniger wegen der fallengelassenen Schriftrollen, doch umso mehr wegen des zornentbrannten Flaviers. Für einen wie ihn, spielte ihr Status als Freigelassene keine Rolle. Wenn er wollte, konnte er sie zermalmen, wie ein lästiges Insekt. Ein Insekt, mehr war sie nicht in seinen Augen.
    Bridhes Herz wollte beinahe versagen, als er sie grob am Oberarm packte, sie anfuhr und sie dabei zu schütteln begann. Auch wenn die Worte nicht laut gesprochen worden waren, verfehlten sie keineswegs ihre Wirkung. Dabei verstärkte sich sein Griff noch. Das Gesicht der Hibernierin begann sich vor Schmerz zu verzerren, doch laut zu klagen, wagte sie nicht. Nach Worten rang sie, sich zu rechtfertigen, sich zu entschuldigen für etwas, wofür sie eigentlich keine Schuld traf. Es war ein dummer Zufall gewesen oder... ein Vorsatz des Flaviers, der schon immer einen Hang dazu hatte, diejenigen zu quälen, die rechtlos waren und sich nicht wehren konnten.
    "Bitte Herr,... es tut mir leid! Wenn du erlaubst, werde ich die Schriftrollen sofort wieder einsammeln." Allein Furianus Griff hinderte sie daran, sich zu bücken und die Papyri wieder einzusammeln. Natürlich hatte sie in ihrer Naivität geglaubt, Furianus´ Zorn hätte lediglich auf ihr Missgeschick mit den Schriftrollen abgezielt. Dass es einzig und allein auf ihre Gegenwart bezogen war, daran dachte sie nicht.

    Losgeschwommen... Wäre das nur so einfach gewesen! Diese kindlich anmutende Frage barg für sie ihre ganz eigenen Erinnerungen, an die Zeit als sie selbst noch ein Kind gewesen war, kurz vor dem Übergang ins Erwachsenenalter. Damals war ihre Mutter gestorben. So gerne wäre sie ihr gefolgt, nach Tír na n´Og. In ihrer kindlichen Fantasie hatte sie geglaubt, es ließe sich einfach so einrichten, ihr auf die Insel der Glückseligkeit zu folgen, indem man einfach losschwamm. Der Gedanke an sich klang sehr reizvoll. Sie war davon wie besessen gewesen, bis ihr Vater sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte. Letztendlich scheiterte es an dem Unvermögen der Menschen, weil sie zu wenig Ausdauer, Stärke und Zuversicht besaßen.
    "Nein, ich ließ mich einfach treiben. Wie ein Blatt auf dem Wasser. Einfach so..., ja.", gab sie als Antwort zurück. Irrte sie sich, oder sprach da wirklich so etwas wie Bewunderung aus dem Fremden? Serapio hatte für sie keine Bewunderung übrig gehabt, nachdem er sie gerettet hatte. Vielleicht lag seine Bewunderung in dem begründet, weil Serapios Voraussetzungen ganz andere waren, wie sie der Fremde mitbrachte. Die Hibernierin konnte den weiteren Worten des Fremden deutlich entnehmen, dass er kein freier Mann war. Er sprach von seinen Herrschaften, als wäre es ein ganz normaler Teil seiner selbst, so wie es Bridhe schon oft erlebt hatte. Ihr war es stets schwer gefallen so zu reden, Besitz eines anderen zu sein und diesem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.
    "Du bist ein Sklave, nicht wahr?" In ihrer Stimme schwang Mitgefühl mit, so wie sie es jedem entgegenbrachte, der diesem Schicksal erlegen war. Auch wenn sie es damals mit ihrem Herrn recht gut getroffen hatte, gab es ihrer Meinung nach nichts, was man daran hätte beschönigen können. Man hatte ihr, Bridhe, Gewalt an getan, als man sie fortriss von ihrer Insel, ihrer Familie, ja ihres gesamten Lebens. Entwurzelt und der Freiheit beraubt, hatte man sie an weit entfernte Gestade gebracht, wo sie sich anfangs wie ein Fremdkörper gefühlt hatte. Und selbst heute, Jahre später, ging es ihr manchmal noch immer so, als sei sie ein Fremdkörper, der sich nur schwer anpassen ließ.
    Wie mochte sich Pheneas in seiner Rolle fühlen? War das Bedauern, das sie ihm entgegenbrachte etwas wohltuendes oder empfand er es als beleidigend, weil er glaubte, sie wolle sich über ihn lustig machen? Bridhe war unsicher geworden. Verletzen wollte sie ihn nicht, wo er doch ein Gleichgesinnter war. Einer der das Wasser liebte, und das Meer. Das Meer...

    Vielleicht gab es ja wirklich auch ein paar nette Flavier. Piso jedenfalls, auch wenn er so seine Eigenheiten hatte, war einer davon. Zu dieser Überzeugung kam Bridhe. Doch noch immer wollte sie vorsichtig sein. Man wusste nie, was der nächste Tag bereit hielt. Bridhe für ihren Teil wollte ihr Bestes geben und das versicherte sie ihm auch, so wie sie es jedem anderen versichert hätte. "Ich werde dich nicht enttäuschen, Herr. Wenn ich etwas nicht kann, dann werde ich es lernen."
    Dass sie nun auch nichts für ihre Unterkunft und Verköstigung zahlen sollte, machte sie ein wenig verlegen. Umso mehr würde sie sich anstrengen. Und auch ihrem Sohn würde sie es klarmachen, dass er fleißig sein sollte und das Wissen, das man ihm vermittelte, in sich einzusaugen, wie ein Schwamm.
    "Danke, du bist überaus großzügig. Wie gesagt, mein Sohn uns ich, wir werden euch nicht enttäuschen."
    Dann erhob sich Piso. Bridhes Blicke folgten ihm. Ihre Augen hingen an seinen Lippen. Nichts wollte sie verpassen, von dem was er sagte. Dann plötzlich griff er nach etwas und zog eine Wachstafel samt Griffel hervor und gab es ihr. Jetzt war sie in der Tat eine Scriba. Dieser Moment erinnerte sie an damals, als Aquilius ihr das Schreibset geschenkt hatte, damit sie Schreiben und auch Lesen lernen konnte. Wieder bedankte sie sich und besah sich ihr zukünftiges Handwerkzeug. Dann schweifte ihr Blick zu der Schriftrolle in Pisos Hand und sie hörte seinen erläuternden Worten aufmerksam zu. Gleich heute konnte sie sich schon beweisen.
    Sie erhob sich von dem Stuhl, als er nun direkt vor ihr stand ind lächelte, wenn auch etwas unsicher.
    "Ja, dann gehen wir!"

    Der Geruch von Pergament hatte schon immer etwas anziehendes gehabt. Seitdem sich die Geheimnisse der Schriftzeichen der Hibernierin vor vielen Jahren offenbart hatten, war aus ihr eine begeisterte Leserin geworden. Früher war sie oft in der Bibliothek gewesen und hatte geschmökert. Einige der hier gelagerten Schriftrollen hatte sie verschlungen und dabei vieles, für sie bis dahin unbekanntes, gelernt. Doch damit war vor sechs Jahren Schluss gewesen, als sie die Freiheit wieder erlangt hatte und sie mit ihrem Kind weggezogen war. Wenn man auf sich allein gestellt war und für sein eigenes Auskommen sorgen musste, blieb wenig Zeit zum Lesen. Zumal sie auch nicht das nötige Geld dazu gehabt hätte, sich Bücher zu kaufen.


    Aber das Leben aber änderte sich immerfort. Bridhe war zurückgekehrt. Nicht mehr als Sklavin! Die Freigelassene war jetzt Pisos Scriba personalis und als solches genoss sie auch wieder den Zugang zur flavischen Bibliothek mit all ihren Schatzen, die ihr einst Lieb und Teuer waren.
    Im Grunde war ihr Auftrag ganz einfach gewesen. Piso hatte ihr eine Liste mit diversen Titeln in die Hand gedrückt. Ungefähr zehn Schriftrollen sollte sie herbei holen. Darunter war nichts, was Bridhes Interesse erregt hätte. Beinahe schon gelangweilt zog sie die entsprechenden Rollen aus den Regalen, bis sie auch den letzten gewünschten Text gefunden hatte. Doch wenn sie schon einmal hier war, konnte sie doch auch für sich etwas mitnehmen, was ihr später am Abend etwas Zerstreuung schenken konnte. Da fiel ihr jener Strabo wieder ein, von dem Serapio vor einigen Wochen gesprochen hatte, nachdem er sie aus dem Tiber gefischt hatte. Bridhe wollte nun selbst lesen, was dieser griechische Schreiberling über ihr Volk geschrieben hatte. Nach einigem Suchen fand sie schließlich die entsprechende Schriftrolle.
    Voll beladen mit den Pergamentrollen verließ sie wieder die Bibliothek und machte sich auf den Weg zu Pisos officium. Aufgrund der Menge der Schriftrollen in ihren Armen war ihr Blickwinkel sehr eingeschränkt. Dadurch hatte sie einige Mühe, vorauszuschauen. Sie hoffte einfach auf die Vernunft der ihr entgegenkommenden Personen, damit diese auf sie Rücksicht nehmen würden.
    Sie hatte noch die Umrisse einer ihr entgegenkommenden Gestalt wahrgenommen. Sie wollte auch noch zur Vorsicht mahnen. Doch dafür war es zu spät, als sie mit jemandem zusammen prallte. Bridhe ließ vor Schreck alle Rollen fallen. Aber es kam noch viel schlimmer, als sie erst entdeckte, mit wem sie kollidiert war. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Die unguten Gefühle von damals waren wieder da, als wäre es erst gestern gewesen, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war.


    Sim-Off:

    Reserviert! :D

    Ästhetik und Schönheit! Dies beiden Begriffe ließen Bridhe keine Ruhe. Immer noch suchend nach einem Schreibgerät oder wenigstens einer Wachstafel, um ihr Können damit zu demonstrieren, traf sie sein Seufzen und der daraufhin folgende Satz. Ästhetik und Schönheit hatten ganz offensichtlich nichts mit Bridhes Handschrift zu tun. Es sei ein Prozess, kein Zustand. Sie verstand kein Wort, von dem, was Piso meinte. Bridhe hatte sich nie mit solchen tiefgründigen Fragen beschäftigt, wie man der Ästhetik und Schönheit im harten Alltag in einer Bäckerei oder einer Taverne einen Platz einräumen konnte. Sie war praktisch veranlagt und konnte mit solch theoretischem Firlefanz kaum etwas anfangen. Wann hatte sie sich zum letzten Mal den schönen Dingen gewidmet? Wann hatte sie ihr letztes Buch gelesen? Wann hatte sie zum letzten Mal eine Skulptur, ein Mosaik oder ein Bauwerk bestaunt? Das lag schon so lange zurück! Wie in aller Welt hätte sie da Zeit erübrigen können, sich um Schönheit und Ästhetik Gedanken zu machen.
    Aufgrund seines Seufzers hatten sich ihre Hoffnungen in Sekundenschnelle in Luft aufgelöst. Ganz desillusioniert ließ sie ihre Schultern hängen. Sciurus hätte seine helle Freude an ihrem Anblick gehabt, denn wieder einmal bestätigte sich das, was er auch schon damals über sie gesagt hatte. Zu nichts Nütze zu sein, genau das traf es. Aus war es mit dem Traum, in der Villa eine Anstellung zu bekommen, damit sie auch tagsüber ganz in der Nähe ihres Sohnes sein konnte. Das Beste war, sie ging gleich, nachdem sie Piso fortschicken würde, zu diesem elenden Wurm Sciurus und bettelte förmlich darum, wieder in der Küche arbeiten zu dürfen.
    Doch dann, sie traute ihren Ohren nicht, kam alles anders! Sie sah ganz ungläubig auf, in sein Gesicht. Sie hatte sich nicht verhört! Vorsichtig bewegten sich ihre Mundwinkel nach oben und brachten ein Lächeln hervor. Dann fielen ihr die zappelnden Finger Pisos auf, die nach einer Berührung ihrer Hand lechzten. Ein echter Flavier, dachte sie still in sich hinein.
    "Danke sehr! Vielen Dank!" Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Ihre rechte Hand näherte sich Pisos, bis sie schließlich aufeinander trafen, um ihrer beider Entscheidung zu besiegeln.
    "Vierzig Sesterzen, das ist sehr großzügig Herr! Wie viel habe ich für die Kost und Logis für meinen Sohn und mich zu zahlen?", fragte sie kurz darauf. Sie wollte den Flaviern rein nichts schuldig bleiben.

    Ein klein wenig wagte sie sich ihrem Schneckenhaus heraus, als er keinen Einwand darauf gab, sie einfach nur Bridhe zu nennen. An Brigantica hatte sie sich nicht gewöhnen können, denn dann hätte sie einen wichtigen Teil ihrer selbst aufgeben müssen - ihren Namen und ihre Identität.
    Was nun folgte, ließ ihre Stirn in Falten legen. Piso versuchte sich ganz offensichtlich in einer keltischen Sprache. So interpretierte sie zumindest die eigenartigen Laute, die er von sich gab. Es klang so ähnlich wie das, was die Menschen jenseits der hibernischen See sprachen, in Cymru. Sicher dachte er sich, Bridhes Sprache wäre dieselbe, doch das war sie nicht. Sie war dieser Sprache zwar nicht ganz unähnlich, doch sie war eine eigenständige Sprache. Bridhe gelang es, so einiges davon kzu verstehen. Er gab sich große Mühe, das musste man schon sagen. Piso war bisher der einzigste Römer, der sich in ihrer Gegenwart einer anderen Fremdsprache als Griechisch bedient hatte. Ganz nach seiner Aufforderung, nahm sie den halb gefüllten Becher und bedankte sich in ihrer Sprache. "Go raibh míle maith agat!"
    Einen winzigen Schluck nur trank sie, verzog dabei etwas das Gesicht, als das säuerliche Getränk ihren Gaumen traf, doch sie versuchte das so gut wie möglich zu verstecken. Stattdessen lächelte sie wieder, wodurch sich ein Teil ihrer inneren Anspannung löste. Allerdings nur solange, bis Piso auf Bridhes Antwort auf dessen Frage einging und sie regelrecht deswegen auslachte. Die Veränderung, die dabei in der Hibernierin vorging, war nicht von der Hand zu weisen. Blitzschnell senkte sie wieder ihren Blick und wäre am liebsten in einem Mäuseloch verschwunden, um sich dort für den Rest des Tages zu verkriechen. Leider war das aber nicht möglich.
    Mittlerweile hatte sich Piso von seinem Platz erhoben und referierte über seine Tätigkeit als Tresvir Capitalis und auch über das, was ihr zufallen würde, könnte er sich für sie entscheiden. Bridhe hatte wenig Ahnung von dem, was seine priesterlichen oder politischen Aufgaben waren. Sie war niemals im Innern eines römischen Tempels gewesen, noch interessierte sie sich sonderlich für Politik. Doch bei einem, was er sagte, blieb sie hängen. Sie zerbrach sich den Kopf darüber, was er damit gemeint haben könnte. Schließlich fragte sie verunsichert nach.
    "Ästhetik und Schönheit, Herr? Du meinst.. meine Schrift? Ich habe mich in den letzten Jahren darum bemüht, mir eine saubere und gut lesbare Schrift anzueignen. Wenn du willst, kann ich dir eine Schriftprobe geben, Herr." Sie sah sich noch einem Schreibgerät und einem Blatt Papyrus um, behielt dabei aber Pisos Gesicht nicht im Blickwinkel.

    Langsam hob sie ihren Kopf an, als Piso sie ansprach. Ein Willkommensgruß und eine Aufforderung, näher zu treten und sich zu setzten. Nur zögerlich kam sie dem nach, als fürchtete sie sich vor etwas. Es war aber ihre Unsicherheit, die sie zögern ließ.
    "Danke, Herr", sagte sie leise, als sie sich setzte. Auch wenn sie schon seit einigen Jahren frei war, so blieb doch immer diese Hürde bestehen, gerade dann, wenn sie in Gegenwart eines Flaviers war. Mit Fremden hatte sie weitaus weniger Probleme, denn man sah es ihr ja nicht an, dass sie einst Sklavin gewesen war.
    Der Flavier versuchte ihr gegenüber freundlich zu sein, was ihr ein wenig half die Anspannung zu verlieren. Jedoch schwand dadurch nicht ihre Vorsicht, denn die Freundlichkeit konnte sich ganz schnell wieder umkehren. Bridhe hatte schon einige Mitglieder dieser Familie kennengelernt, und sie wusste um deren Tücken. In wie weit Piso gefährlich werden konnte, hatte sie noch nicht herausgefunden. Bisher überschüttete er sie nur mit lauter Fragen, die sie gar nicht alle auf einmal beantworten konnte.
    "Wenn es dir nichts ausmacht, Herr... äh ich meine Piso, dann wäre mir Bridhe am liebsten. Ähm, bitte nur ein wenig Wein." Bridhe hatte sich in all den Jahren nicht an den Wein gewöhnen können. Sie lehnte ihn nur nicht ab, um Piso dadurch nicht zu verärgern. Außerdem war er gewissermaßen schon dabei, zwei Becher zu füllen.
    Während er nun den Wein in die Becher goss, kam er dem eigentlichen Grund ihres Besuches zu sprechen. Bridhe konnte wohl selbst nicht erklären, weshalb sie ausgerechnet Scriba werden wollte. Sie hatte bisher noch keine Erfahrung darin gesammelt. Genauso wenig wusste sie, was das bedeutete, Scriba bei einem Tresvir Capitalis und Septemvir zu sein. Sie hätte nur raten können, um diese Frage zu beantworten.
    "Ich muss auf Sorgfalt und Ordnung achten?", gab sie zur Antwort. Sorgfalt und Ordnung, das war immer sehr wichtig. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, als Aquilius vor vielen Jahren Tresvir Capitalis gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt war Flavius Lucanus dessen Scriba gewesen. Ihr wurde etwas Bange bei diesem Gedanken, die Aufgaben, die einst Lucanus bewältigt hatte, nicht zu schaffen.

    Sie drückte vorsichtig die Türklinke nach unten, als ob sie sich davor fürchten musste, was sich dahinter verbarg. Zögernd öffnete sie die Tür. Schüchtern, wie Bridhe war, trat sie ein und schloss die Tür hinter sich. Kurz hob sie ihren Blick, damit sie Piso damit kurz einfangen konnte, senkt ihn aber schnell wieder um ja nicht den Missmut des Flaviers auf sich zu ziehen. Ihre Augen starrten jetzt auf den Mosaikboden vor ihren Füßen. Nur ein oder zwei Schritte hatte sie getan, so dass sie der Tür noch immer näher stand, als dem Schreibtisch des Flaviers.
    "Salve Herr, hier bin ich." Ihre Befangenheit war unübersehbar. Sie konnte einfach nicht anders. So war es schon immer gewesen, seit sie damals in der Villa angekommen war. Und es würde schwer werden, dies abzulegen.
    Die Vorsicht aber war durchaus berechtigt. Der Flavier war für sie immer noch ein Fremder. Er war für sie nicht greifbar. Wenn sie allzu selbstsicher erschien, missfiel ihm dies vielleicht.
    Bridhe wartete geduldig auf das, was noch auf sie zukommen sollte.

    Für einen Moment fühlte sich Bridhe um Jahre zurück geworfen. Sie wohnte wieder in ihrer alten Kammer, die nach ihrem Auszug niemand mehr als Wohnstatt gedient hatte und in der sich nichts verändert hatte. Wie jeden Morgen kleidete sie sich an, um anschließend ihrer Arbeit nachzugehen.
    Doch dieser Morgen war etwas anders. Bridhe sollte sich an diesem Morgen für ihre neue Tätigkeit vorstellen. Sie hatte noch nie als Scriba gearbeitet. Deswegen war sie auch etwas nervös. Selbstverständlich konnte sie schreiben. Darin bestand auch nicht das Problem. Es war vielmehr, ihr Dienstherr, für den sie in Zukunft arbeiten sollte. Die Hibernierin hatte Piso bisher nur ein einziges Mal getroffen, als sie mit ihrem Sohn in die Villa Flavia zurückgekehrt war. Dabei hatte er ihr die Stelle als Scriba angeboten. Trotzdem wusste sie nicht, was sie von ihm halten sollte. Er war anders als Aquilius.
    Wie alle Flavier, mit denen sie bisher zu tun hatte, verfügte er gewiss auch über eine Marotte, die sie aber noch nicht näher bestimmen konnte. Gerade das machte ihn für sie so unberechenbar.
    In ihrer besten Tunika, die sie besaß, es waren nicht viele, verließ sie die Kammer. Die Villa hatte sich kaum verändert. Sie fand schnell zum officium Flavius Piso und klopfte an.


    edit: Schrifttyp

    Es war auf eine seltsame Weise betörend, dem Fremden zuzuhören. Was er sagte, klang wie eine Liebeserklärung an das Wasser. Das gefiel Bridhe. Ihr Misstrauen ihm gegenüber schwand. Dieser Ort, an dem sie noch vor einigen Tagen den Tod zu finden hoffte, mit dem sie nur Kälte und Dunkelheit verbunden hatte, sie sah ihn nun mit ganz anderen Augen. Nicht zuletzt weil sich an diesem Tag die Sonne dazu entschieden hatte, sich ein wenig zu zeigen und mit jeder Stunde, die näher an die Mittagszeite heranrückte, an Stärke gewann.
    Als er sie nach dem Grund fragte, weshalb sie hier war, wollte sie erst ausweichen. Um den wahren Grund, dem sie bislang niemandem offenbart hatte, auch vor ihm zu verbergen, suchte sie nach einer Ausrede. Etwa der, dass sie eigentlich beim Einkaufen war und dann Lust verspürte, zum Fluss zu gehen. Aber dann erschien ihr das als falsch, ihm die Wahrheit vorzuenthalten, da es ihr so aufrichtig erschien, wie er mit ihr redete. Nur selten sprach Bridhe mit Fremden, nur wenn sie gezwungen war, mit ihnen zu sprechen.
    "Ja, wegen des Flusses bin ich hier." Bridhe sah noch einmal zu den kreischenden Möwen empor, bevor sie sich endgültig entschloss, weiter zu sprechen.
    "Ich wollte, dass der Fluss mich nach Hause trägt. Aber ich bin wieder an seinem Ufer gestrandet." Dies war mehr, als sie je einem anderem Menschen anvertraut hatte. Vielleicht gerades deshalb, weil er ein Fremder für sie war, den sie wahrscheinlich niemals wieder treffen würde.
    "Warst du schon mal am Meer?", fragte sie, ganz aus dem Zusammenhang heraus. Wenn er Wasser mochte, dann musste er doch genauso auch das Meer lieben. Die Hibernierin hatte bisher kaum einen Menschen getroffen, der ihre Sehnsucht nach dem Meer teilte. Für viele war das Meer bedrohlich und bedeutete Tod und Leid. Bridhe jedoch hatte das Meer niemals als Feind betrachtet. Es spendete Leben und hatte ihre Familie ernährt, jeden Tag.

    "Du tust mir weh, Mama!", quiekte der Junge unter dem festen Griff seiner Mutter, woraufhin sie ihn sofort lockerte und ihm einen entschuldigenden Blick zu warf. Ganz wollte sie ihn aber nicht freigeben, denn sie befürchtete noch immer, ihn verlieren zu können.
    Der kleine Caius aber verstand die Welt nicht mehr, warum seine Mutter plötzlich so Angst um ihn hatte und wieso jemand auf die Idee kommen konnte, ihm seiner Mutter wegzunehmen. Seltsam fand er auch, warum der eine Mann ihn so durchdringend ansah. Dass es sich dabei um Minimus´ Vater handelte, ahnte er auch nicht. Auf die Dauer wurde es ihm sogar richtig unangenehm. Am liebsten wäre er aufgesprungen und davongelaufen. Überhaupt machten ihm die beiden Männer Angst, denn offenbar brachten sie seine Mütter zum fürchten. Etwas anderes konnte er aus dem, was sich direkt vor seiner Nase zutrug, nicht interpretieren.
    Bridhe dachte einen Augenblick nur an die letzten Tage, deren Ereignisse sie Stück für Stück dazu gebracht hatten, nach so langer Zeit wieder in der Villa aufzutauchen. Das Warum hatte offen auf der Hand gelegen. Über die Frage aber, wie man sie empfangen würde, hatte sie sich nicht den Kopf zerbrochen. Wäre sie denn allen ernstes wieder zurückgekehrt, wenn sie im Voraus gewusst hätte, was sie erwartet? In den allerseltensten Fällen hatte sie sich in ihrem Leben vor den unangenehmen Dingen gedrückt, denn meistens hatte sie gar keine Wahl gehabt. Und auch jetzt, so glaubte sie, hatte sie gar keine andere Wahl, als hier zu sitzen und mit den Flaviern zu verhandeln, denn es gab doch dieses Versprechen, an das sich der der es abverlangt hatte höchstwahrscheinlich gar nicht mehr erinnerte. Aber Bridhe erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen, denn dieses Versprechen hatte ihr all die Jahre über eine Heimkehr verweigert.
    Ihre Muskeln verkrampften sich wieder als Gracchus erneut das Wort an sie richtete. Er warf sie nicht hinaus, wie sie erst vermutet hatte. Er überschüttete sie lediglich mit Vorhaltungen und ließ sie ganz genau wissen, was er von ihr hielt. Die Hibernierin wusste gar nicht mehr, wohin sie ihren Blick noch richten konnte. Da, endlich machte er eine Pause und sah sie fest an. Leicht hob sie ihren Kopf und ihr gequälter Blick traf für einen Moment auf seinen.
    Schließlich fuhr er fort, ihr aufzuzählen, welche Möglichkeiten sie hatte. Für einen winzigen Augenblick, zeigte sich der weiche Kern unter der rauen und festen Schale des Flaviers Die erstere der drei Möglichkeiten boten der jungen Frau mehr, als sie erwartet hatte. Wenn ihr Sohn von nun an hier wohnte und alles lernte und sie ihn spätestens abends dann wieder für sich hatte und sogar hier wohnen konnte, war das mehr als großzügig.
    Auch Piso bestätigte dieses Angebot, das ihr unterbreitet worden war und ergänzte es noch. Im Gegensatz zu Gracchus, bei dem sie genau wusste, was sie zu erwarten hatte, war es ihr bei Piso noch nicht gelungen, ihn wahrhaftig einzuschätzen. Eben noch wollte er ihr das Kind nehmen und nun bot er ihr eine Arbeit an. Eine Scriba? Bridhe konnte schreiben und lesen. Sie hatte es recht schnell gelernt, wie vieles, nachdem sie hierher gebracht worden war. Aber bisher hatte sie nur das gemacht, was sie auch schon von Haus aus konnte.
    "Ich danke euch für euer großzügiges Angebot! Im Interesse meines Sohnes und weil ich das Versprechen halten möchte, das ich meinem einstigen dominus gab, werde ich es annehmen. Wenn ich dann noch hier wohnen und arbeiten kann, ist das mehr, als ich mir hätte vorstellen können. Vielen Dank dafür!", antwortete sie den beiden, wandte sich zum Schluss aber dann zu Piso.
    "Ich kann lesen und schreiben. Aber ich habe leider keine Erfahrungen als Scriba. Wenn du es trotzdem mit mir versuchen möchtest, Herr, dann werde ich mich anstrengen."

    Ihr starrer Blick war voller mistrauen gegenüber diesem Fremden, der ihren Gruß erwiderte. Abwartend, beobachtend verharrte sie an einer Stelle, darauf bedacht, sich kaum zu bewegen, als könne ihr dadurch etwas entgehen.
    "Ja äh, alles in Ordnung!" Die Antwort kam mit einiger Verzögerung, da die Frage mit eben dieser Verzögerung von Bridhe aufgenommen wurde. Wieso interessierte ein Fremder, wie ihr Befinden war? Warum hatte Serapio sie aus dem Wasser gezogen? Aus den gleichen Beweggründen! Weil es Menschen gab, die den Mut hatten, über den Tellerrand hinaus zu blicken und daberi erkannten, dass sie nicht allein auf der Welt waren. "Danke!", warf sie noch hinterher. Dann trat wieder Stille ein. Nur das plätschern des Flusses belebte die Szenerie. Die Gestalt des Mannes verriet der Hibernerin nur wenig, mit wen sie es hier zu tun hatte, und welches Ansinnen er hatte. Weshalb war er hier? Weswegen war sie hier? Es wohl sehr unwahrscheinlich, dass er versucht hatte, an exakt der gleichen Stelle seinem Leben ein Ende zu setzen und dabei gescheitert war.
    "Ist bei dir auch alles in Ordnung?", fragte sie nach einer Bedenkpause, in der sie kampfhaft nachdachte, was sie noch sagen konnte, um nicht ein zu großes Vakuum entstehen zu lassen.
    Endlich löste sie ihren Blick von ihm, um wieder in die Richtung des Flusses zu schauen. Einige Möwen kreischten über ihnen, was kein Zweifel offen ließ, dass das Meer nicht in unerreichbarer Ferne war. Der Ruf der Vögel hatte etwas Vertrautes für Bridhe. Wäre doch nur dieser Fluss ein anderer! Wäre doch dieses Land ein anderes! Die Sehnsucht schlich auf leisen Sohlen, darauf bedacht, wieder Besitz von der Hibernerin zu ergreifen. Es gab nun nur zwei Möglichkeiten: sich der Sehnsucht zu ergeben oder davor davonzulaufen.
    Aber davonlaufen ging nicht. Irgendetwas hielt sie fest. Sie konnte sich nicht erklären, was. Es war einfach da. Vielleicht war es ja der Fremde...
    "Weshalb bist du hier?" Einen Grund dafür musste es doch geben. Man tat nichts ohne Absicht. Selbst Bridhes Dasein hatte einen Grund.

    Bridhe hatte sich ihren Besuch bestimmt etwas anders vorgestellt. Jedoch wäre es sehr blauäugig gewesen, zu glauben, mit offenen Armen begrüßt zu werden. Man machte ihr hier sehr deutlich, was Bridhe war und was man von ihr hielt. Die junge Frau verkrampfte zusehends, ihr Puls ging schneller und sie errötete schließlich. Nicht nur wegen der Bedrängungen von Gracchus, auch weil ihr eigener Sohn dazu beitrug, den Erfolg dieses Besuches ins Wanken zu bringen. Noch ruhte ihr Blick auf dem Jungen, der sie nach seinen letzten Aufmucken nun trotzig anstarrte und sich fragte, was er denn so schlimmes verbrochen hatte. Er hatte doch nur die Mutter verteidigen wollen!


    Es war Piso, der das Wort an sie richtete. Diesen Flavier, der für sie bisher ein unbeschriebenes Blatt war, konnte Bridhe nur unzureichend einschätzen, ob er ihr wohlgesonnen war oder sie am Ende doch nur auflaufen lassen wollte. Jedenfalls konnte sie die Frage des Flaviers mit gutem Gewissen beantworten. In all den Jahren, seitdem sie auf eigenen Füßen stand, hatte sie sich nichts zu Schulden kommen lassen und hatte ihr Brot mit ehrlicher Arbeit verdient.
    "Anfangs hatte ich in einer Taverne gearbeitet, vielmehr in der Küche der Taverne. Aber ich habe auch die Gäste bedient. Danach habe ich in einer Bäckerei gearbeitet." Von Pisos Vermutungen, sie könne einer anstößigen Tätigkeit nachgegangen sein, ahnte sie nichts. Hätte sie es, wäre sie vor Scham errötet. Stückweise fühlte sie sich wieder auf der sicheren Seite zu sein. So sehr, dass die Anspannung nachließ und sie wieder beruhigt durchatmete. Dennoch behielt sie Piso im Auge, der sich in seinem Stuhl zurücklehnte, auf dass das Möbelstück ein knarzendes Geräusch von sich gab. Die Frage, oder vielmehr war es Pisos Feststellung, die nun folgte, stürzte sie in ein tiefes schwarzes Loch. Die schlimmsten Befürchtungen, die ein solcher Besuch mit sich bringen konnte, hatte der Flavier soeben ausgesprochen. Die Hibernierin schluckte zuerst, bevor sie auch nur eine Silbe über die Lippen brachte. Ihr Sohn war ihr Ein und Alles. Nie im Leben hätte sie ihn hergeben können.
    "Nein... nein. Nein! Ich.. - Bitte nehmt mir mein Kind nicht weg!" Einem Tier gleich, das man in die Enge getrieben hatte, sah sie voller Verzweiflung von Piso zu Gracchus und schließlich wieder zu Piso. Ihre Arme hatten sich schützend um den Jungen geschlungen, der nicht verstand, warum seine Mutter plötzlich so in Sorge um ihn war.
    "Ich bitte euch, trennt den Jungen nicht von seiner Mutter!" Bridhe bemühte sich, sich selbst Einhalt zu gebieten. Weitaus gefasster sprach sie weiter. "Ich habe nicht viel, was ich euch geben kann. Ich besitze nur ein paar Habseligkeiten. Nichts von Wert, außer meiner Arbeitskraft." Die Hibernierin resignierte. Sie war nicht zum Betteln hergekommen und doch bettelte sie gerade, weil sie gar nicht anders gekonnt hätte. Sie war nun sogar so weit, dass sie sogar auf ihre eigene Freiheit verzichtet hätte, nur um nicht von ihrem Sohn getrennt zu werden.
    Was nun Diarmuids Einwurf zur Folge hatte, den sie zwar soebeb noch gerügt hatte, war ihr beinahe schon gleichgültig. Sie rechnete nun fest damit, hinausgeworfen zu werden. Alles war umsonst gewesen. All die Jahre, in denen sie sich selbst immer wieder vorgesagt hatte, sie habe ein Versprechen einzuhalten. Ein Versprechen, dass ihr am Ende den Sohn nehmen sollte.

    Es tat einfach gut, Dinge auszusprechen, die im Alltag belasteten oder sich als schwierig erwiesen. So empfand es auch Bridhe, als sie über das sprach, was sie gleich nach diesem Besuch bei Serapio in Angriff nehmen wollte. Dass er sie darin bestärkte, gab ihr noch mehr Mut und Zuversicht, genau das Richtige zu tun. Es war wahrscheinlich ihr Glück, dass sie noch nicht wusste, dass Diarmuids Vater nicht mehr nach Rom zurückgekehrt war, sondern irgendwo weit abseits sein Leben lebte. Andernfalls hätte sie wohl nicht den Mut aufgebracht, zur Villa Flavia zu gehen.
    "Das ist wirklich sehr nett von dir! Danke. Ich bin so froh, dass ich hergekommen bin. Ehrlich! Ich denke mal, wenn man mal ganz unten angekommen ist, dann muss es zwangsläufig ja wieder bergauf gehen. Und dann ist es eine Chance, es dieses Mal besser zu machen." Die Hibernerin fand, es war nun an der Zeit, Taten folgen zu lassen. Ihre erste Aufgabe an diesem Tag hatte sie vollbracht. Serapio hatte seinen Mantel wieder und sie hatte sich noch einmal richtig bedankt, so wie es sich gehörte. Was jetzt folgte, war noch weitaus schwieriger!
    Serapios Wunsch, in Kontakt zu bleiben, wollte sie gerne entsprechen. Es würde ihr sicher auch in Zukunft weiterhelfen, sich ab und zu auszusprechen, mit jemandem, derf sich für sie interessierte.
    "Ja, ich werde dich auf dem laufenden halten! Versprochen!" Wahrscheinlich würde sie ihm sogar schon bald schreiben, um zu berichten, wie es mit Diarmuids Vater gelaufen war.
    "Ich glaube, ich muss dann auch langsam wieder gehen. Es war sehr schön, die wieder getroffen zu haben. Vor allen Dingen so motivierend! Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Mach´s gut!" Bridhe hob noch andeutungsweise die Hand bevor sie dann nach ihrem Sohn schaute und sich dann mit ihm beschwingt auf den Weg zur Villa Flavia machte.

    Befangen von der Zurechtweisung seiner Mutter schwieg der Junge. Auch auf die Äußerungen Pisos wusste er nichts zu sagen. Lediglich seine Augen verrieten seine Verstörtheit. Ob er seiner Mutter deswegen böse sein sollte, weil sie ihm all die Jahre davon nichts erzählt hatte? Diese Frage hätte er im Augenblick nicht beantworten können, denn all diese Neuigkeiten lagen auf ihm, wie eine schwere Last.
    Der Mutter des Jungen ging es im ersten Moment auch nicht besser, nachdem sie ihren Sohn zurechtgewiesen hatte und sie anschließend der Tadel des Flaviers sie traf. Wie damals, als sie in diesem Haus als Sklavin diente, verkrampfte sie sich, traute sich kaum mehr aufzusehen und versuchte jetzt umso mehr die Tränen zu unterdrücken. Es schien, als hätte sich nichts geändert, als musste sie auch weiterhin immer nur schlucken und schlucken, ohne das Recht auf eine Rechtfertigung. Nein, das musste ein Ende haben! Sie war keine Sklavin mehr, sie hatte jetzt eine eigene Stimme und die wollte sie, nein, sie musste sie jetzt auch erheben, koste es was es wolle!
    "Ich habe meinem Sohn all die Jahre über das gegeben, was ich ihm geben konnte. Sei es genügend Nahrung und Kleidung, ein Dach über dem Kopf. Dafür habe ich jeden Tag hart gearbeitet. Darüber hinaus habe ich ihm auch nahegebracht, was seine Wurzeln mütterlicherseits sind. All mein Wissen habe ich versucht, ihm zu vermitteln. Doch eines habe ich nicht übers Herz gebracht: ihm zu sagen, das seine Mutter in den Augen der Römer nur minderwertig ist und dass er somit auch nur minderwertig ist. Auch wenn ich schuldlos in diese Lage geraten bin. Und außerdem, wie hätte ich einem kleinen Jungen erzählen können, dass sein Vater ihn nicht sehen will, dass seine Anwesenheit an seiner Seite unerwünscht ist? Damit wollte ich warten, bis er älter ist, damit er verstehen kann. Nun ist er acht Jahre alt und ich sehe es ihm an, wie schwer es ihm fällt, zu verstehen. Es ist für ihn an der Zeit, nun auch etwas über die andere Seite seiner Herkunft zu erfahren. Deswegen bin ich hier. Wegen nichts anderem. Ich will weder um Almosen betteln noch will ich etwas geschenkt haben. Ich kann ihn nicht lehren, wie ein Römer sein soll oder wie er denkt. Das kann er nur von euch lernen. Darum bitte ich euch."
    Das hatte Bridhe enorm viel Mut gekostet, doch das versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen, ebenso ihre Verbitterung. Sie wollte auf keinen Fall Schwäche zeigen. Umso überraschter traf sie Gracchus´ Frage nach ihrem letzten Besuch. Der lag schon einige Jahre zurück. Um genau zu sein, waren es schon mehr als sechs Jahre. Nachdem sie aus der Villa ausgezogen war, gab es keinen Grund mehr für einen weiteren Besuch. Er wollte ihr doch am Ende nicht zur Last legen, ihrer Pflichtgen als Klientin nicht nachgekommen zu sein. Mit Aquilius´ Verschwinden, sah sie sich nicht mehr in der Pflicht und da sie all die Jahre nichts von ihm gehört hatte sah sie sich darin bestätigt.
    "Es sind etwas mehr als sechs Jahre, Herr." Dass sie währenddessen immer wieder den Weg zur Villa gemacht hatte, auch mit ihrem Sohn, aber sich nie getraut hatte, um Einlass zu bitten, verschwieg sie. Nur ihr Sohn rührte sich plötzlich wieder, der etwas zu beichten hatte, was seine Mutter zwar schon wusste, aber die Flavier noch nicht.

    "Ich war aber schon mal hier! Vor ungefähr zwei Jahren. Ähm, hier drin. Also mehr im Garten. Eigentlich. Und da habe ich auch einen Jungen getroffen, der so alt war, wie ich. Minimus hieß der. Mit dem hab ich gespielt. Und ich wollte..."
    Bridhe war überhaupt nicht von der Redseligkeit ihres Sohnes begeistert. Hatte sie sich nicht verständlich ausgedrückt? "Diarmuid!",rief sie ermahnend und Diarmuid, oder vielmehr Caius verstummte wieder.

    Die junge Frau war sich bewusst gewesen, dass dies kein leichter Gang werden würde, gleich wen sie hier antraf. Dass Aquilius nicht wieder zurück zu den Seinen gefunden hatte, machte ihr Vorhaben nur noch um ein Vielfaches schwieriger. All die Jahre hatte er nichts von sich hören lassen, so dass ihre Verflichtung ihm gegenüber mehr oder wenig hinfällig geworden war. Doch gerade in den letzten Tagen war ihr bewusst geworden, wie essentiell es war, sich nicht vor der Welt zu verschließen. Umso enttäuschender war es für sie schon an der porta gewesen, erfahren zu müssen, dass sie ihn heute und wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht wiedersehen würde.
    Aber auch für Gracchus war Bridhes Absage mehr als nur das. Seine Enttäuschung darüber war nicht zu verleugnen. Die Gestik und Körperhaltung des Flaviers sprach Bände. In Bridhe machte sich deshalb Resignation breit, je länger sie hier stand. Ganz zu schweigen, was diese Erfahrung bei ihrem Sohn anrichtete. Er hatte kaum Zeit bekommen, um sich mit den neuen Gegebenheiten zurecht zu finden.


    Wider ihrer Erwartung, warf man sie nicht sofort hinaus. Gracchus besann sich und bot ihnen einen Platz an, den sie auch ohne zu zögern einnahm. Als nun aber Sciurus plötzlich aus der Versenkung auftauchte, versetzte dies bei der Hibernierin ein dumpfes Gefühl in der Magengegend. Während ihrer Zeit als Sklavin war sie stets darauf bedacht gewesen, ihm aus den Weg zu gehen. Der Sklave hatte seit ihrer ersten Begegnung vor so vielen Jahren immer noch etwas unheimliches an sich. Heute aber trat sie ihm nicht mehr als Sklavin gegenüber. Jetzt war sie frei und es hätte ihr reichlich Genugtuung bereitet, wenn sie ihm direkt ins Gesicht hätte sagen können, dass sie nicht bei den Löwen gelandet war. Das war allerdings im Augenblick sehr unpassend. Weder Sciurus noch einem der beiden Flavier wollte sie eine Möglichkeit zur Klage liefern. Selbst dann, als Gracchus mit, für ihr Empfinden, harten Worten klarstellte, dass dies nicht die Familie ihres Sohnes war. Die Betonung, die auf dem Wort Bankert lag, glich einem Schlag ins Gesicht. Doch letztlich hatte er doch selbst bemerkt, dass eine Verbindung bestand. Für das Verständnis der Hibernerin jedenfalls, war es ganz natürlich gewesen, das die Familie des Vaters ihres Kindes auch die Familie des Kindes war. Jedoch in Rom war alles anders. Das hatte in den letzten Jahren lernen müssen. Aber auch Pisos Einwand konnte nichts an ihrem Gefühl ändern, sich plötzlich wie zugeschnürt zu fühlen. Sie schluckte. Konnte darauf nichts erwidern. Das tat ein anderer. Nämlich ihr Sohn!
    Die Fassungslosigkeit dieses groben Fehlers lähmte sie für den Augenblick, den Jungen ordentlich zurechtzuweisen. Auf eine solche Gelegenheit hatte Sciurus nur gewartet! Der Junge hatte doch gar keine Ahnung davon, in welche Gefahr er sich damit begeben hatte. Schnell zischte sie ihm etwas hibernisches entgegen, still zu sein, damit er nicht noch schlimmeres verursachte. Und wieder war es Piso, der diesmal den Jungen ansprach und die Tatsachen zurecht rückte, was eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre. Zu ihrer Überraschung hatte er auch ihren hibernischen Ausruf verstanden, so deutete sie zumindest sein Nicken und dies verriet auch ihr perplexer Blick, der, zwar nur kurz, auf ihm ruhte.


    Für den Jungen war das zu viel gewesen. Er war an diesem Tag schon mit einer Vielzahl von neuen Fakten konfrontiert worden, die unmittelbar mit ihm zu tun hatten. Aber erfahren zu müssen, dass seine Mutter einmal eine Sklavin gewesen war, sprengt alles, was er sich vorstellen konnte. Seine Welt, wie er sie bisher kannte, droht aus den Fugen zu geraten. Die Bestürzung stand ihm im Gesicht und sie wollte einfach nicht weichen. Der Mutter brach es fast das Herz, ihren Sohn so sehen zu müssen. Sie nahm sich zusammen, nicht schluchzen zu müssen.
    "Herr, bitte vergib meinem Sohn, er weiß nicht wovon er spricht. Ich habe ihm nur wenig von meiner und seiner Vergangenheit vermittelt. Es ist mein Fehler." Bridhe versuchte zu retten, was noch zu retten war, ehe sie versuchte, sich wieder zu fangen, auch wenn sie das alles sehr mitnahm. Ihr Versuch, dem Sohn ein besseres Leben zu bieten, drohte zu scheitern, wenn sie sich jetzt nicht zusammen nahm. Sie versuchte sich deshalb auf Gracchus´ Frage zu konzentrieren. Die Frage, ob sie die Klientin ihres ehemaligen Herrn war, konnte sie bejahen. Wenigstens das war sie. Ihr Selbstvertrauen, das eh schon auf klapprigen Füßen stand, drohte in sich zusammenzubrechen. Hatte Sciurus am Ende doch gesiegt?
    "Ja, das bin ich, Herr.", antwortete sie ihm befangen.

    Ein leichter Wind strich durch ihr Haar. Sie schloss ihre Augen, als sie feststellen musste, dass ihre Imagination nicht ausreichte, um wenigstens für kurze Zeit das Gefühl zu haben, daheim zu sein. Aber auch mit geschlossenen Augen, so sehr sie sich auch anstrengte, gelang es ihr nicht, weil das Drumherum einfach nicht passen wollte. Die frische Brise des Meeres musste dem Gestank der Kloake weichen und die Ruhe des dahinplätschernden Flusses die allenthalben durch das Rufen der Möwen ergänzt wurde musste dem permanenten Lärm der Großstadt Platz machten. Dies war nicht die Boínne und auch das Meer war fern mit seinen Dünen, dem langen einsamen Strand. Wäre sie doch nur eines der Wasserwesen...
    Nein, nein, ihre Gedanken schweiften wieder ab, nahezu bis dahin wo es gefährlich wurde. Diesmal würde kein mutiger Urbaner zufällig zur Stelle sein! Besser war es, alles hinter sich zu lassen und tapfer sich dem zu stellen, was vor einem lag. Die Liebe zu ihrem Sohn hatte sich letztlich als stärker erwiesen. Sie hatte eine Aufgabe und es wäre feige gewesen, sich davor zu verschließen.
    Bridhe entschloss sich, diesen Ort zu verlassen, der ihr letztendlich nicht das bieten konnte, wonach sie sich sehnte und der ihr das Bewusstsein über ihren Verlust auf so sarkastische Weise vor Augen hielt. Vorsichtig, damit sie nicht doch noch ins Wasser fiel, suchte sie nach einem geeigneten Pfad, der sie wieder die Böschung hinaufführen sollte. Doch dann erstarrte sie, beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren, es gelang ihr aber, Halt zu finden. Sie war nicht allein gewesen. Wie lange dieser Mann schon da war und sie beobachtet hatte, konnte sie nicht sagen. Doch die Tatsache dass er da war, beunruhigte sie etwas. Sie blieb stehen und nun betrachtete sie ihn ihrerseits. Je länger sie das tat, gelangte sie zu der Überzeugung, dass er gar nicht so gefährlich aussah.
    "Salve!", sagte sie zögerlich, nichtsahnend, dass dieser Mann und sie womöglich mehr mehr miteinander gemein hatten, als nur Bewohner der glweichen Stadt zu sein.

    No man is an island, entire of itself;
    every man is a piece of the continent, a part of the main.
    If a clod be washed away by the sea, Europe is the less,
    as well as if a promontory were,
    as well as if a manor of thy friend's or of thine own were.
    Any man's death diminishes me because I am involved in mankind;
    and therefore never send to know for whom the bell tolls;
    it tolls for thee.
    John Donne 1572-1631


    An jenem Vormittag schickte die Wintersonne erste zaghafte Strahlen zur Erde, die durchaus als Vorboten für den herannahenden Frühling gedeutet werden konnten. Ein Zeichen dafür, das Brigid, die große strahlende Göttin schon bald die schwarze Morrigan vertreiben würde, so dass die Natur wieder erwachen und die ersten Lämmer wieder geboren werden konnten.
    Bridhe genoss das wärmende Sonnenlicht, als sie hinaus trat. Einen Moment lang blieb sie stehen und hob ihr Gesicht zur Sonne. Herrlich, diese Wärme! Das Leben hatte sie wieder.
    Der Junge hatte sich mit den Nachbarskindern zusammengetan, seinen Freunden. Sie spielten. Zufällig fiel sein Blick auf die Mutter. Er war ein wenig in Sorge, als seine Mutter das Haus verließ. Doch sie konnte ihn beruhigen. Sie wolle nur einige Besorgungen machen, sagte sie ihm und ging dann. Diarmuid sah ihr kurz nach, widmete sich dann wieder seinen Freunden und dem Spiel.


    Es war wohl kein Zufall gewesen, als sie ihre Richtung änderte und nicht in die überfüllten Straßen einbog, die alle irgendwann zum Mercatus Traiani führten. Vielmehr wandte sie sie sich einer Straße zu, die sie vor einigen Nächten schon einmal gegangen war. Sie führte sie in die Nähe des Flusses, dessen Geruch keinen Zweifel übrig ließ. Davon ließ sie sich aber nicht beirren.
    Unbeirrt führte sie ihr Weg zu diesem Platz, an dem sie vor wenigen Nächten zuvor gewesen war.
    Bei Tage sah das Ufer ganz anders aus, als im Morgengrau. Viel lebhafter und weniger gespenstisch. Die Böschung war nicht zu steil gewesen, so dass man gut hinunter ans Ufer steigen konnte. An dieser Stelle floss der Fluss langsam. Das war nicht nur ihr Glück gewesen, auch das des Urbaners, der sich mutig in die Fluten geworfen hatte, um sie zu retten.
    Gar nichts deutete mehr darauf hin, was hier wenige Nächte zuvor geschehen war. Alles erschien so friedlich und arglos. Nur in Bridhes Gedanken drehte sich noch alles um die Tat, die sie beinahe begangen hatte. Was war nur in sie gefahren, dass sie so verzweifelt gewesen war? So verzweifelt, dass sie selbst ihren Sohn zurück lassen wollte. Er war doch ihr Einziges! Das wertvollste, das sie besaß.
    In ihrer Verzweiflung hatte sie tatsächlich geglaubt, das Flüstern Midirs des Sidhefürsten zu hören und war ihm gefolgt: Vielschöne Frau, du Kleinod von Erinn, komm in mein Wunderland, du Wonnereiche, wo goldgelockt die Glücklichen wandeln! Aus sanfter Dämmerung dunkler Wimpern strahlen die Augen der Edlen dir Heil.
    Bridhe war zurückgekehrt, nicht nach Erínn, nicht an die Gestade ihrer Heimat. Sie war zu ihrem Sohn zurückgekehrt und hatte erkannt, dass sie so wenig ohne ihn sein konnte, wie er ohne sie. Doch mit dieser Erkenntnis war nicht auch ihre Sehnsucht besiegt worden. Diese würde sie immer mit sich tragen, gleich wo sie hin ging.
    Vorerst verharrter sie am Ufer des Flusses und stellte sich vor, dies wäre der Fluss, an dessen Ufer sie als Kind gespielt hatte.

    Sim-Off:

    Reserviert! :)

    Das Interesse des Jungen an der Konversation der Erwachsenen schwand allmählich. Hatte er es anfangs als richtig spannend empfunden, in Begleitung eines Urbaners zu sein, fand er es nun nur noch langweilig, zuzuhören und neben seiner Mutter herlaufen zu müssen. Viel lieber hätte er jetzt mit den Kindern gespielt, die sich auf der anderen Straßenseite zusammen gerottet hatten und mit Murmeln spielten. Wehmütig sah er zu ihnen hinüber. Er hätte dort gerne mitgespielt."Mama, darf ich mit den Jungs da drüben spielen? Bitte!"
    Schließlich hatte er leicht am Handgelenk seiner Mutter gerüttelt, um auf sich aufmerksam zu machen und es zeigte Wirkung.
    Diarmuids Mutter sah zu ihm hinunter und dann zu den Kindern auf der anderen Straßenseite.
    "Aber ja, geh ruhig!", antwortete sie ihm und sah ihm noch nach, wie er zu den Kindern rannte. Erst dann wandte sie sich wieder Serapio zu.
    "Bitte entschuldige. Ihm war wohl langweilig." Sie lächelte verlegen. Doch jetzt konnte sie offener mit dem Urbaner reden und musste keine Rücksicht mehr nehmen, auf Dinge, die nicht für die Ohren des Jungen bestimmt waren.
    "Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen! Du warst einfach wütend auf diese irre Selbstmörderin, die ihr Kind im Stich lässt. Aber du hast mir auch die Augen geöffnet und dafür bin ich dir dankbar. Ich habe jetzt eingesehen, dass ich nicht immer vor allem weglaufen darf. Deshalb werde ich meinem Jungen auch endlich seinen Vater präsentieren, den er bisher noch nicht kennt. Heute noch! Ich hoffe nur, er will uns sehen." Das war Bridhes größte Sorge. Besser, sie rechnete mit dem Schlimmsten, was Aquilius anging. Aber auch dann ging das Leben weiter. Irgendwie.

    Das Herz der jungen Frau fing an, schneller zu schlagen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, obwohl man nicht gerade behaupten konnte, dass die Temperatur des Raumes besonders hoch war. Ihre Befürchtung, auf der Stelle wieder hinausgeworfen zu werden, war durchaus begründet, da sie nicht sagen konnte, ob man ihr wohlgesonnen war. Gracchus starrer Blick ließ nichts Gutes erwarten. All ihre Hoffnungen begannen auf ein Minimum zu schwinden. Wie blauäugig war es denn, hierher zu kommen und zu glauben, man würde zumindest ihren Sohn mit offenen Armen begrüßen.
    Nun war es nicht nur Graucchus´ Blick, auch Piso hegte eine gewisse Neugier und dies nicht nur für den Jungen, wie Bridhe zu glauben meinte.
    "Ja Herr, Bridhe nannte man mich früher." Piso hatte sich besondere Mühe mit der Aussprache des, für römische Ohren, fremdklingenden Namens gegeben. Doch die Hibernierin konnte dies gar nicht richtig würdigen, da sie mit dieser Situation regelrecht überfordert war. Spätestens dann, als er sich zu ihrem Sohn hinunter beugte und er weiter sprach, fühlte sie wieder diesen alten Schmerz in sich aufsteigen. Nein, es war kein Schmerz, es war die Kränkung, die sie nach der Geburt ihres Sohnes erfahren hatte. Tagelang hatte sie damals darauf gewartet, darauf gehofft, der Vater würde den Sohn sehen wollen. Aquilius jedoch war seinem Kind und dessen Mutter fern geblieben. Er war ab diesem Zweitpunkt allem fern geblieben, denn wie sie später erfuhr, hatte er sich aus seinem bisherigen Leben zurückgezogen.
    Ein Schluchzen unterdrücken wollend, antwortete sie auf Pisos süffisante Feststellung. "Nein Herr, das hat er nicht." Um ihre Verbitterung zu kaschieren, senkte sie ihren Blick. Sie schämte sich, dafür dass sie hierhergekommen war und dass ihr Sohn nun Zeuge alldessen wurde.
    Doch jäh wurde sie aus ihrem Schwermut gerissen, als sich nun Gracchus äußerte. Im Gegensatz zu Piso versuchte er nicht noch tiefer in der nicht verheilten Wunde herumzustochern. Ganz im Gegenteil, seine Worte gaben ihr wieder Hoffnung. Bridhe war sich nicht der frappierenden Ähnlichkeit ihres Sohnes mit seinem Vater bewusst. Das lag in erster Linie daran, da sie ihren ehemaligen Herrn nicht bereits in dessen Kindheit kennengelernt hatte. Langsam schoben sich ihre Mundwinkel nach oben. Dies konnte nur bedeuten, der Flavier war ihnen wohlgesonnen. Dabei war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens, denn bei Gracchus´ nächster Frage begann es ihr zu dämmern. Die beiden Flavier oder zumindest Gracchus war der Meinung, Aquilius hätte die beiden, Mutter und Sohn geschickt. Doch dem war nicht so! Bridhes diffizile Aufgabe war es nun, den Flavier davon in Kenntnis zu setzten, ohne dass dieser dabei das Interesse an dem Jungen zu verlieren.
    "Ich bedaure, Herr, dir nichts über deinen Vetter berichten zu können. Ich selbst habe ihn zuletzt vor der Geburt meines Kindes gesehen. Er kennt seinen Sohn nicht. Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, ihn hier anzutreffen, damit der Junge die Gelegenheit erhält, seine Familie kennenzulernen."