Weggetreten? Tilla konnte im ersten Moment mit dem Wort nicht viel anfangen und doch passte es wie die Faust aufs Auge. Da und doch nicht da war die Herrin. Sie war froh, dass Saba mit ihr zusammenhalten wollte. Tja, was war, wenn die Herrin sich wehrte, wusste Tilla noch gar nicht. Mama Esther hat gesagt, wir dürften uns nicht beirren lassen. Wir müssten Prisca aus dem Bett holen, damit diese ihre Welt verlasse und ins Leben zurückkehre. Und der Arzt? Gute Frage, der ist heute noch gar nicht aufgetaucht, obwohl er es gestern abend mit wichtiger Miene angekündigt hat. flüsterte sie leise Saba ihre Fragen beantwortend. Sie grinste schief, als Saba meinte, dass sie spinnt und zuckte mit den Schultern. Du machst das schon!! Tilla zog Prisca kein neues Gewand an. Das würde viel zu viel Zeit kosten und Saba außerdem von ihrer Aufgabe abhalten. Deshalb drapierte Tilla ein besonders schönes Tuch um Priscas Schultern und Brust herum und liess die Arme ab dem Ellenbogen abwärts frei. Sabas Gejammer hielt an. Tilla sah sie an. Ja, sie schläft, na und? Sei still, wir können nicht voraus sehen, wann es ihr zu Ohren kommt. Irgendwann wird sie fragen, was gewesen ist und ich werde sagen, dass ich alles zu ihrem Besten getan habe. Erleichtert atmete sie auf, als Priscas Mienenspiel weicher wurde und sie zu sprechen anfing. Irgendwie schien sie wahrzunehmen, dass jemand aus der Familie bei ihr am Bett saß. Dennoch reichte es nicht, dass sie wegen dem Gast die Augen öffnete und wieder ganz die alte Herrin war. Die stumme Sklavin entnahm die dornige Rose Priscas Händen und steckte sie zurück in den Strauß.
Saba schien der plötzliche Ausbruch an Hektik ganz und gar nicht angenehm gewesen zu sein. In der Tat zitterten die Hände der älteren Mitsklavin. Hast du so viel darüber vergessen, wie es drüben in der Villa Aurelia war? Da gab es dieselbe gleiche Hektik, wenn die Herrin zum Beispiel ganz schnell ihre Freundinnen besuchen wollte oder Besuch empfangen musste. Oder von der Therme nach Hause aufbrechen, um pünktlich zur Cena daheim zu sein. Nach diesen Worten schob Tilla abermals ihren Arm unter Priscas Schulterblätter und Nacken, griff nach der flachen Schale und flöste der Herrin süßen Saft zwischen die Lippen. So geht das. Kleine Stückchen essen sollte sie nur in halber Sitzlage, denn sie darf sich nicht verschlucken. Erneut klopfte es an der Türe. Diesmal war es die flavische Sklavin, die sich mit Bettschüsseln auskannte. Sie gestand, dass sie diese Nacht viel zu tun hatte und nicht regelmässig kommen konnte. Deshalb würde ein Wickelumschlag um Priscas Intimzone ausreichen müssen. Tilla hob die Augenbrauen. Prisca sollte eine Windel tragen? Das allerdings war etwas, was sie der Herrin bestimmt nicht verraten würde. Immerhin war es eine 'vorübergehende' Notlösung. Das gesamte Bettzeug wechseln und waschen zu müssen, nahm viel mehr Zeit in Anspruch. Seufzend stimmte sie zu und sah genau zu, wie man das peinliche Ding der schlafenden Schönheit anlegte. Danach war Tilla mit Saba alleine und zeigte ihr, was sie sonst noch mit der Herrin angestellt hatte. Saba musste irgendwann zurück zu den Aureliern gehen. Mutter Esther kam nicht mehr vorbei und wie sie ihre Mutter kannte, würde diese ihren Besuch bestimmt nachholen. Tilla wachte bei Prisca, bis sie müde wurde. Ganz spontan verlegte sie ihr Nachtlager auf die Kline unterm Fenster im herrschaftlichen Zimmer und nächtigte dort.
Die nächsten Tage vergingen aus Tillas Sicht schleppend langsam, da sich Priscas 'weggetretener' Zustand kaum veränderte. Mit Saba hatte sie eine Angst gemeinsam, sie trauten sich beide nicht Prisca zum Baden ins balneum zu bringen, denn Prisca könnte ja ertrinken. Die stumme Sklavin erlebte mehrere zornige Ausbrüche der Herrin mit. Sie trug aus dem letzten Ausbruch ein blaues Veilchen unter dem rechten Auge davon. Heute stand wegen einer Überraschung ein Ausflug in den flavischen Garten an. Tilla hatta Hektor und Luca gebeten, eine Kline derart handwerklich umzuwandeln, dass man diese, während Prisca darinnen lag, mit Hilfe der derzeit arbeitslosen und untätig herumsitzenden Leibwächter, durch die Villa tragen konnte. Eine hölzerne hohe Umrandung am oberen Drittel der Kline sorgte dafür, dass die Kissen, auf denen Priscas Oberkörper erhöht lag, nicht herausrutschen konnten. Am Fußende dagegen war die Kline verengt worden und bot mit derselben hölzernen Umrandung leidlich Platz für Priscas zierliche Füße. Eben jene umgebaute Kline liess Tilla von den Leibwächtern in den Garten bringen und unter eine, zwischen Bäume aufgespannte Plane zum Schutz vor der Sonne, direkt vor einen frisch eingepflanzten Rosenstrauch stellen. Die Leibwächter durften gehen. Tilla legte eine vorab abgeschnittene Rose in Priscas Hände und setzte sich zu ihr. Hier.. riech einmal, das ist für dich ein völlig neuer Duft, nicht wahr? Mutter Esther hat die Blumen gesehen und kaufen lassen. Jetzt stehen sie im Garten und du kannst sie jederzeit besuchen. flüsterte Tilla. Sie würde ihr ein weiteres Geheimnis nicht verraten, denn unter dem Rosenstrauch lag der Leichnam von ihrer Herrin erstes Kind. Gefällt er dir? Ich meine den Duft? Tilla war innerlich ziemlich nervös, denn der gestrenge Arzt hatte sich wieder einmal angekündigt. Doch, wann er kommen würde, war nicht abzusehen und sie hatte keine Lust bei dem schönen Sonnentag weder mit der Herrin drinnen warten zu müssen noch die geplante Überraschung sausen zu lassen.