Jetzt bin ich wirklich verblüfft. "Eh?" Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Darauf erstmal ein Birnenwasser. Ich lasse mich auf meinen Stuhl plumpsen und trinke.
Szenen von Wiedergängern aus dem Totenreich, von bei obskuren Riten animierten Leichen, die von den Christianern vermutlich angebetet werden, die Lebenden verfolgenden Toten im Auftrag der Erinnyen schwirren mir durch den Kopf. Wie eine lebendige Leiche sieht Celerina nicht gerade aus, und sie riecht auch nicht so. Nicht modrig, sondern ziemlich gut nach Rosen.
Also, wenn sie einen Betrügerin ist, dann ist sie nicht sehr clever. Meine Schwester! Ihr Götter, was ein Einfall! Noch konstruierter und abstruser geht's ja kaum noch.
Ich muß unwillkürlich grinsen: "Du, äh, Du bist Dir schon im Klaren darüber, was das bedeutet, nicht? Meine Schwester zu sein ist nicht gerade ein Honigschlecken, Brüder, gerade jüngere Brüder können ziemlich nervig sein." Große Schwestern aber auch, was ich aber nonchalant, man ist ja Gentleman, übergehe.
"Ich meine, ich finde Dich echt nett, und es ist mir ein Vergnügen, eine so reizende Schwester zu haben, auch wenn ich eine weiter entfernte Verwandtschaft bevorzugen würde. Ein Bruder kann seine Schwester nicht heiraten, außer er ist irre und Kaiser von Rom, nicht?"
Obwohl - in Ägypten haben die Ptolemaier auch alle ihre Schwestern geheiratet, naja, sind auch daran zugrundegegangen, aber was würd's mich kümmern?
"Nimm's mir nicht übel: Ich glaube Dir kein Wort. Wieso sollte ein Vater seine Tochter weggeben, aber allen sagen, sie sei tot geboren worden? Das ergibt doch keinen Sinn! Außerdem ist es eine Beleidigung für meinen Vater, anzunehmen, er hätte so etwas furchtbares getan."
Hatte er? Hatte er nicht? Indikativ? Konjunktiv? Ich habe meinen Vater nicht kennengelernt, Mutter hat immer gesagt, sie hätte ihn geliebt und wolle nie einen anderen Mann. Aber wie gut kannte sie ihn? Die drei, vier Jahre, die sie verheiratet waren, da war er kaum zu Hause, immer unterwegs, in Tarraco und bei seiner Einheit. Und sie hatte ihn erst bei der Hochzeit kennengelernt.
"Entschuldige bitte, man kommt nicht jeden Tag zu einer erwachsenen und so umwerfenden Schwester ... ich habe mit solchen Situationen noch keine rechte Erfahrung. Vielleicht rede ich ja auch kompletten Schwachfug und was Du sagst oder was Du glaubst, stimmt wirklich. Und solange keiner das Gegenteil beweisen kann, bist Du eben meine Schwester. ¡Se acabó!"
Ich angele nach dem Stammbaum des hispanischen Zweigs, nehme die Feder, tunke sie in das Tintenbecherchen und schreibe:
Mit einer großen Geste fege ich den Bogen über den Tisch zu ... zu meiner Schwester-
"So. Was'n Ding. Wenn Onkel Gracchus das erfährt, kippt er aus seinen Sandalen, aber ganz vorsichtig."