Beiträge von Cnaeus Flavius Lucanus

    Ein Königreich für ein Boot! Ein Königreich für ein Boot auf einem großen See oder besser: ein Boot auf dem Meer. Eine Angel ausgeworfen, ein Netz, die Schnur an den großen Zeh gebunden oder vielleicht besser an die Ruderpinne, auf den Rücken gelegt und dann in den Himmel gestarrt, bis der Kopf leer und das Herz voll ist. Vielleicht auch vom sanften Wellengang in einen ruhigen wachsamen Schlummer gewiegt. Seite an Seite mit Pedro, Schulter an Schulter, die gewisse Sicherheit der Freundschaft in mir und der weite Himmel über mir.


    Oh, Poseidon! Ich vermisse Deine Welt so sehr! Laß' mich reiten auf Delphinen, schwimmen mit den Schwärmen, tauchen nach Krebsen, mich treiben lassen wie Seepflanzen, die zur Oberfläche kommen.


    "Wenn man sein ganzes Leben in der Stadt verbringt, ununterbrochen, muß man doch wahnsinnig werden. Das ist doch unnatürlich. Alles geht so schnell, niemand hat Zeit, dieser Dreck und dieser Lärm, das ist so ungesund, meine ich." Wenn die Menschen vernünftig sind, siedeln sie nur in kleinen Dörfern, wozu solche Riesenstädte? Hundert, zweihundert Familien, das ist überschaubar, da passiert nicht viel, alle halten zusammen und Leben in Sicherheit.


    Aber auch affengeil, um es mal klar zu sagen. So viel Theater, so viele Möglichkeiten. Vielleicht auch zu viele Möglichkeiten. Kaum macht eine taberna auf, macht eine zu, jeden Tag neue Spiele, neue Lustbarkeiten, man kann zu jeder Stunde aus vielen Möglichkeiten wählen. "Manchmal gehen mir diese vielen Möglichkeiten auf die Nerven. Andauernd denkt man, man verpaßt 'was. Hier ein neues Theaterstück, da eine neue Inszenierung, eine Dichterlesung, Gerichtsverhandlungen, Feste, Feiern. Ich könnte Cnaeus hierhin, Flavius dorthin und Lucanus zur Arbeit schicken und ich hätte immer noch zu wenig gemacht." Werde ich alt? Ab wann? Jetzt schon?


    "Aber vielleicht werde ich auch alt, ich bin bald zwanzig, in Flaviobriga hat man mit zwanzig schon zwei, drei Kinder, einen Hof, oft sind die Eltern schon tot und man arbeitet so viel, daß man das vierzigste Lebensjahr kaum erreicht" Wie alt werde ich? Dreißig? Vierzig? Oder gar fünfzig? Uralt, mit weißen Bart, einer Glatze, sabbernden Lefzen und wirren Gedanken. Im Grunde ist mein Leben schon vorbei, jetzt bin ich scriba, morgen im cursus honorum und übermorgen ...? Schon tot, ich rieche schon.


    "Naja, ich glaube nicht richtig", sage ich unvermittelt und schüttele meine Gedanken ab. "Ich kann mich auf'm Pferd halten, aber richtig reiten, das kann man bei uns wegen der Berge nur auf Maultieren oder Eseln, Pferde sind teuer, einfach ausreiten, dazu sind sie und die Zeit zu schade. Bei uns müssen sie arbeiten können. Außerdem sind Maultiere die klügeren Tiere.

    Ich schniefe nochmal wie zum interpunktorischen Abschluß meiner Vorrede, nehme nacheinander Wein, Gebäck und die Blumen und bringe sie dar.


    "So weihe ich Dir, Himmlische Mutter, diese Gaben:
    Ihr Götter, Ihr schenkt uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit, sieh' her: ich gieße ihn aus vor Dir wie meine Tränen;
    Ihr Götter, Ihr schenkt uns dies Gebäck, die Frucht der Mutter Erde und der menschlichen Arbeit, sieh' her: ich weihe es Dir, die Du mich wie meine Mutter nährst;
    Ihr Götter, Ihr schenkt uns die Blumen, den Schmuck unserer Mutter Erde, Euch und uns zur Freude, sieh' her: ich will Dich erfreun, wie ein Sohn seine Mutter.


    Schließlich nehme ich das Bild meiner Mutter aus den Händen der Priesterin, fahre sanft über den Rand des Holzes, als würde ich eine lange Haarlocke hinter ein Ohr meiner Mutter streichen.


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    "Auch weihe ich Dir, Ehrwürdigste Mutter, dies Bild meiner Mutter, Zeichen für dies, welches wir - ich und alle, die sie kannten - noch in ihrem Herzen tragen werden, wenn dieses Holz verfallen, verbrannt, vergangen ist. Und würde ich blind, so sähe ich sie doch, denn wir sehen allein mit dem Herzen gut."


    Damit lege ich das Bild auf den Tisch, die Augen nicht davon loslassend. Sie ist es, die Frau auf dem Bild, und sie ist es auch nicht. Mit einer knappen Verbeugung drehe ich mich zur Priesterin um. Nun ist wohl das Voropfer beendet und wir können uns zum Opferaltar hinauswenden ...

    Ich zucke mit den Schultern. Eigentlich habe ich schon angefangen, die Bücher sind sehr spannend zu lesen, keine Ahnung, woher die kamen. Eigenartige Sache.


    "Natürlich curatrix", ich nicke und schaue, das ich mich wieder verkrümel. Ich wollte mir noch Informationen über die Christen besorgen und kopieren, nach der Anzeige bei meinem Onkel muß ich mehr wissen, was bislang schon an Material gesammelt wurde.


    "Vale! Und einen schönen Tag" sage ich und gehe an meine Arbeit zurück.


    Sim-Off:

    @ Noctes: Man sieht, das scriptorium kann zaubern. :D (Egal, die Noctes sind in jedem Fall lustig.)

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    CN FLAVIVS LVCANVS


    Cn Flavius Lucanus S. D. Cn. Iulio Cincinnato
    Salve amice,


    mit Freude und Stolz im Herzen halte ich Deine Einladung dankbar in meinen unwürdigen Händen. Ich erlaube mir, am Gedenktag der Concordia, die unsere Zusammenkunft beschützen möge, bei Dir im Stammsitz des altehrgebietenden Geschlechtes der Iulii zur Mittagsstunde meine Aufwartung zu machen.


    Bis dahin entbiete ich Dir und Deinem Geschlechte meine herzlichsten Wünsche.


    Vide ut valeas!

    Cn. Flavius Lucanus


    Nota Bene: Du Geizkragen hast in Deiner Einladung nichts von Tänzerinnen gesagt! :D



    Sim-Off:

    Heißt, am 16.1. klopf' ich einfach an der Porta an. :)

    Das freut mich nun ungemein. Offenbar bin ich Jungstier dem Senator doch nicht völlig auf die Nerven gegangen. "Einen neuen, jungen und talentierten Anwalt in Rom" Jung, neu und in Rom bin ich schonmal, das mit dem Talent und dem Anwalt werden wir auch noch deichseln, was?


    "Vielen Dank, Senator, zu großzügig. Ich freue mich darauf, Dich wiederzusehen, Danke für alles und - mögen auch über Dich und Deine Gesundheit die Götter wachen!"


    Und so verabschiede ich mich und trete beschwingt und tatendurstig auf die Gasse hinaus. :)

    Endlich tut sich was, die Rolle des Angeklagten haben sie gut besetzt, Für einen Ketten-und-Sägen-Massaker-Schocker im Theatrum Marcelli wäre er die ideale Hauptfigur. 'Kinder- und Narrenmund tun die Wahrheit kund' denk' ich mir, als Finn Kylian seine existentialistisch-positivistisch-materialisitsche Mord-und-Totschlag-Philosophie verkündet. Im Grunde hat er recht: der Mensch tut alles, um zu überleben. Töten ist legal, solange er konsensfähig ist, solange er dem Erhalt der Gemeinschaft dient. Und wenn er dem Erhalt des Einzelnen Individuums dient, ist das dann nichtsanktionierter Mord, wenn er nicht von der Gemeinschaft gebilligt wird. Und damit wir überleben können, fallen wir in Parthien ein und töten Parther. Ich denke an Severus, der wohl auch getötet hat, nicht, um zu überleben, sondern um Bridhe mit dem Schmuck zu gewinnen. Verzwickt. Irrwitzig, aber nicht ungenial, was der Angeklagte da sabbert.


    Neineinein, Decimus Mattiacus, natürlich spielen seine Motive eine Rolle, denn sonst wäre er ja nicht des Mordes angeklagt, sondern nur des Totschlags oder der Notwehr oder bekäme sogar eine Belobigung, weil er einen Staatsfeind getötet hat oder dachte, einen zu töten. Was haben eigentlich die Befragungen ergeben? Und es mag ja sein, daß der Angeklagte damals schuldfähig war, aber jetzt? Dieser nasse, stinkende Sack Fleisch mit Haut und Haaren außen? Ob er jetzt überhaupt noch straffähig ist? Seine Strafe als Strafe empfindet? Aber, was, wenn nicht?

    Zitat

    Original von Aurelia Helena


    "Tatsächlich?" ich bin verblüfft, naja Marotten haben sie ja schon, die Stadtrömer. "Aber Tante Claudia Antonia hat keinen Tiger, oder? Jedenfalls habe ich keine Wildkatze gerochen. Aber wahrscheinlich mag Onkel Gracchus auch keine Tiger." Die Vermutung äußere ich eher zu niemand bestimmten, eher noch zu mir selbst. "Ich schon!" bekräftige ich dann deutlich. Klar, wenn Aurelia Helena einen Tiger haben wollte, dann bekam sie ihn auch. Spätestens mit der Hochzeit, und wenn ihn wir ihn erst in Afrika fangen müßten.


    Etwas unsicher schaue ich meinen Onkel und Helena an. Irgendwie habe ich das Gefühl, das Drehbuch für ein Theaterstück in der Hand zu haben, das gerade woanders gegeben wird. Egal. Solange das Stück nicht "Wir reden über die Frühjahrkollektion von Joopus" heißt, jedenfalls, was ich an Männertuniken da gesehen habe, war völlig grausig, lauter effeminierte Fetzchen von Tuniken, sogar eine fast durchscheinende war da zu haben.


    "Ich habe mal schöne schlicht-beige Gewänder bei ... äh ... Coco Irgendwer aus Lutetia gesehen. Sie arbeitet leider nur für Frauen, sind aber wirklich raffiniert im Schnitt" sage ich, wundere mich, daß ich mir das behalten habe. Bridhe hatte vor dem Laden gestanden und ich war dankbar, daß ich schon alles Geld ausgegeben hatte. Die Goldborten, nicht aufgesetzt, sondern am Saum unten verborgen und leicht glitzernd in der Nachmittagssonne sahen wirklich schick aus.


    "Sollen wir auf dem Weg zum Kolosseum mal vorbeischauen?" frage ich leicht hinterlistig? Mit Mäuse fängt man Speck und mit Coco Irgendwer aus Lutetia vielleicht auch Helena. Und ich will zum Kolosseum, mir die wilden Tiere aus der Nähe anschauen. "Und dann können wir auch die Tiger und Löwen dort besuchen, nicht?" Fünf Miinuten für das Kleid, eine Stunde für die Tiger und Löwen.

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus


    Langsam schlendern wir zu der Gruppe hin, Onkel Aquilius steht bei den beiden Damen wie Paris vor Athene und Aphrodite, nur die Göttin Hera fehlt, oder Athene - oder Aphrodite? Wem wird er den Apfel als Siegespreis übergeben? Soll ich Hermes spielen? Wer ist die unbekannte ... ich erstarre. Tante. Tante Nummer Eins. Aber wo ist Onkel Eins? Ist ihm nicht gut? Man sollte Onkel Gracchus beim Tuchwalker oder von einem wütenden nubischen Masseur behandeln lassen, eine Klasse von einer Frau, ach was, eine Dame, eine Große Dame wie meine Mutter, wenn auch etwas strenger in den Gesichtszügen. Und Onkeleins enthält mir das vor! Oder mag sie keine Jungs? Findet sie iuvenes lästig? Lauter Faxen im Kopf, für sie völlig unerfahrene und bedeutungslose Wesen? Wäre ihr eine Nichte lieber? Vielleicht noch mit lockigem Haar? Ich streiche mir nervös durch mein fast völlig glattes Haar.


    Meine zukünftige Tante Zwo ist leider kein Gegensatz, inzwischen komme ich mir vor, als schlügen zwei Herzen in meiner Brust - rumpumpum rumpumpum - zwei Knödel stecken in meinem Hals und ich erblinde auf beiden Augen. Gefährliche Waffen, die Frauen der Flavier!, denke ich mir. Nicht, daß wir Flavier häßlich oder blöde sind, aber mit solchen Ehefrauen dürften wir's bedenkenlos sein. Alles, nur nicht unglücklich, warum also Du, Onkel Gracchus? Oder irre ich mich völlig?


    "Io Saturnalia" sage ich zu allen Dreien, ohne erstmal hinter dem schützenden breiten Oberkörper von Aurelius Ursus völlig hervorzutreten. Stören wir vielleicht?


    Dann schlüpfe ich doch in die Runde, mache einen Bückling vor meiner Tante I "Es ist mir ein Vergnügen, Tante Claudia Antonia, nach so langer Zeit Dir heute zu begegnen. Mir ist bis jetzt das Wertvollste in der villa Flavia entgangen", lasse ich meine Begrüßung über meine Lippen purzeln. "Aurelia Prisca", auch vor ihr verneige ich mich "welche Ehre. Ganz zu Deinen Diensten", Sklave will ich sein, Schemel unter Deinen Füßen, ganz wie mein Onkel Aquilius. Ach, ja, Onkel: "Onkel Aquilius, einen guten Abend wünsche ich", fast hätt' ich Dich vergessen. :D

    Ich gucke zurück. Eigentlich finde ich das nicht wirklich, warum sollten Erweiterungen, Verbesserungen und Korrekturen von Irrtümern nicht beim Kopieren eingebracht werden? Aber bitte, wenn Furia Stella meint ...


    "Jaja, sicher. Der Leiter des scriptoriums hat mir auch ungefragt Gellius' Nächte zum Korrigieren gegeben, soll ich das dann nebenher auch machen oder weitergeben?"


    Sim-Off:

    Meiner Meinung nach ist die Vorstellung, daß Interpolationen usw. den Text verfälschen, eine moderne, neuzeitliche Auffassung ohne antikes Vorbild. Um Urheberrechte hat man sich in der Antike und im Mittelalter nicht gekümmert, das Bewußtsein war ein ganz anderes.

    Ich grüße Aurelius Ursus mit erhobenem Daumen :dafuer: zurück, ich habe seinen Ratschlag, mehr außerhalb meiner üblichen Verpflichtungen herumzustreunen, beherzigt. ;)


    Als der Angeklagte hereingeführt wird, wird Laas ein wenig zappelig, ich greife ihm wie einem kleinen Hund in den Nacken und zwirbele sein Haar, damit er nicht irgendwelchen Blödsinn machen kann - oder ich wenigstens schnell reagieren. "Geh, Spatzl, sitz'." sage ich bedrohlich liebevoll.


    Was den Prozeß anlangt, der nach einigen Pirouetten der Magistrate beginnt, ist einzig der Angeklagte selbst, sehenswert. Ansonsten ist es gähnlangweilig. Der Typ is'n Waldschrat, ein Stollentroll, ein Sumpfgnom, stinkt wahrscheinlich jeden mit seinen Fürzen im Umkreis von fünf Meilen in Grund und Boden. Spannender Kerl, wenn er nicht gefährlich wäre, wäre er sicherlich ein prima Typ für ein Theaterstück, basierend auf Tacitus' Germania oder so, jedenfalls die brutale Version.


    Irgendwie habe ich aber nicht den Eindruck, daß er wahnsinnig oder irre sei, jedenfalls soweit man nicht nach dem Kerken noch ein Quantum Geisteskraft besitzt. Und wenn, dann is' das seine eigene Logik, der er folgt. Nicht die unsere und schon gar nicht diese Magistrate, die so aussehen, als hätten sie Aktenschränke im Hintern. Fehlen nur noch schwarze, weite Wolltuniken und Perücken aus weißem Pferdehaar.


    Wo bleibt da das Pathos? Die Sym-pathie? Das Mitleiden und das Interesse? Selbst der Verteidiger benimmt sich, als würde er sich mit jeder Silbe dafür entschuldigen, daß er den Angeklagten vertreten müsse. Vielen Dank. Bleibt zu hoffen, daß dem Angeklagten ein Schlußwort ermöglicht wird, sonst sterbe ich noch an galloppierender Langeweile.

    'Jetzt krieg' ich wirklich die Krise, wie man Masern, Pest oder Durchfall kriegt. Ungebeten wie'ne häßliche alte Jungfer ohne ein As Mitgift, der man aber in einem Vollrausch einen Heiratsantrag gemacht hat - und deren Vater das dann eilfertig und mit riesiger Erleichterung als rechtsverbindliche Erklärung einem am nächsten morgen vor den hämmernden Brummschädel hält. Was denkt sich dieser Herr Mars eigentlich? Ist das hier ein Spiel, oder was? Soller doch seine Speere und seine Schilde klappern lassen bis sie umfallen! Glaubt der, wir machen uns hier zum Deppen oder was? Kann uns vorführen, der feine Herr Sohn? Diesmal bist Du zu weit gegangen, einmal, okay, aber den Widder hab' ich mit ausgesucht, das nehm' ich persönlich. Weiß schon, warum mir Soldaten suspekt sind, denken nicht positiv, lauter Verbote, "nein" hier, "nein" da, "nein" von links, "nein" von rechts. Tja, Pech, mein Junge, dann geh'n wir halt zu einem anderen Gott, kannste schaun, ob Du noch Post bekommst, kein Schwein opfert Dir, keine Sau interessiert sich für Dich, wenn Du so herumzickst, ist doch klar. Oder sollen wir jetzt Herdenweise aufkaufen, "Age!" am laufenden Band mit pontifex Rudolphus Carrellis? Oder ist das hier eine "wir-üben-das-blutige-Opfer"-Schau für camilli, discipuli und scribae? Darf ich dann auch mal? Oder bekommt hier nur ein "teilnehmender Beobachter"-Schein? - Armer Onkel Aquilius, wahrscheinlich hält ihn jetzt sein patronus für einen rechten Blindgänger, und mich für den blindgängerischten scriba eines Blindgängers. Ubi terrarum sumus? Wo zum Kuckuck sind wir hier hineingeraten?'


    Ich schaue mich vorsichtig um und mustere die Menschen. Irgendjemand dabei, der nicht dazugehört? Ein Judäer oder vielleicht sogar ein Christ? Ist das der Grund für dieses Debakel?


    Ich nicke und grinse dann doch. "Danke, die Interpolationen in der Rolle finden sich allerdings auch in einer älteren Abschrift dieser dissertatio. Keine Ahnung, warum, darum habe ich sie nicht als Fehler angestrichen, entweder gehören sie da 'rein oder nicht. Das wollte ich nicht allein entscheiden ..."

    "Meldung machen!" schnarre heiser ich im Unteroffiziers-Ton: Aufklären, aufmischen, aufwischen.


    Ich kratze mich im Nacken. "Naja, der Praefekt oder einer der Zuständigen Offiziere sollte zumindest darüber informiert werden, daß es den Verdacht auf staatsgefährdende Umtriebe gibt, nicht? Vielleicht haben die ja dort auch einen Verdacht, dem man weiter nachgehen kann." Und wenn nicht, müßte man sie zu einem gemeinsamen Opfer versammeln, oder eben alle einzeln. Dann Befragungen, Verhöre mit Verdächtigen.


    "Jedenfalls wäre es sicher fatal, einen Feind der Götter gerade unter den Schutzwachen unserer Stadt zu haben." Eine Katastrophe , die GAK, die Größte Anzunehmende Katastrophe, jedenfalls auf Stadtebene.

    'Luca, stop ma' das schwule Gequatsche' hätte Pedro wahrscheinlich mir an den Kopf geworfen, hätte ich wie mein Onkel Aquilius in seiner Gegenwart derart viel verbales süßliches Parfüm versprüht. Ein wenig angenervt schaue ich drein und schäme mich auch ziemlich dafür, jetzt ausgerechnet mit einem Erwachsenen gesehen zu werden. Peinlich, peinlich, wie Onkel Gracchus. nicht ganz auf derselben Höhe, aber gefährlich nahe dran.


    Ich nicke mißmutig zu dem Vorschlag, Venus eine Taube dazubringen - wieder ein Tagesordnungspunkt mehr - und denke an meine Ferkelchen für Iuno. Ob ich ihr wieder mal ein Opfer darbringen sollte? Welcher Gott half eigentlich gegen peinliche Onkels? Hätte dringenden und riesigen Bedarf ...


    "Ich dachte auch daran, daß wir uns Tiger vielleicht anschauen könnten ... obwohl: wenn sie noch klein sind, dann macht das sicher so wenig wie ein Wolfsbaby oder ein Bärenjunges, vorausgesetzt, die Mutter ist nicht gerade um die Ecke ..." ;) Man kann mit Tieren viel falsch machen, das absolut überfalscheste jedoch ist, einer Bären- oder Wolfs-Mutter ihr Junges streitig zu machen. Kennen da nix, die Weiber.

    Pffftt. "Ha! Hahahaha!!!!" ohne Vorwarnung explodiere ich in einer ausgelassen-fröhlichen Lachsalve. Prust. Kicher. Gicks. "Verzeit, haha, Aurelia Helena" ich schniefe leicht und wische mir die Lachtränen aus dem Gesicht, immer noch vor mich hinwimmernd.


    "Verzeih', ich lache Dich nicht aus oder so. Es ist nur so: bei mir, hm, bei mir daheim in Flaviobriga würden die Mädchen spontan 'Kaninchen', "Häschen', 'Hündchen' oder auch 'Spatz' oder 'Lämmchen' sagen. So süüß!" Ich kriege, wenn ich nicht aufpasse, gleich einen Schluckauf. Gicks.


    "Aber hier in Rom, das erste Mädchen, dem ich vorgestellt werde," die Sklavinnen, die ich zu meinen Freundinnen zähle, gelten ja nicht, nicht jetzt und hier, "das kommt mit einem Tiger an! Echt stark! Meinen tiefsten Respekt!" :D


    Nach dem letzten Zirkusbesuch wußte ich, was wilde Katzen waren, also richtig wilde Katzen, nicht nur Luchse oder so. Und Tiger sehen aus wie Löwen mit Cebras gekreuzt, nur gefährlicher als beide Arten zusammen.


    "Hast Du'n Tiger daheim, Aurelia Helena? Wißt ihr: Gibt's irgendwo in Rom Tiger zu kaufen? Onkel Aquilius?" Ohne Zweifel, der Tag könnte weitaus spannender und lustiger werden, als alle Wahrscheinlichkeiten bieten würden, mit denen ich nicht wagte zu rechnen.

    Also echt, eher gehe ich ohne Umstände in die curia und halte vor den versammelten Senatoren eine Schmährede und wiegele den Mob dann auf, das Senatsgebäude mit den alten Säcken darin abzubrennen, als daß mir einfallen würde, was ich jetzt tun soll.


    Selbst wenn Onkel Aquilius sich sofort verdünnisieren würde, wüßte ich nich', was ich anfangen soll. 'N dummer Spruch? Vergiß' es Luca. Hatte Pedro nicht mal gesagt, er habe ein Mädchen, bei dem er nicht den Mund aufbekam, aus Verlegenheit einfach verdroschen? Sie haben sich im Sand gekugelt, Pedro hat ziemlich was auf die Schnauze gekriegt und dann haben sie den ganzen Abend und fast die ganze Nacht miteinander geschwatzt. Oder wie war das noch? Langsam verdrehen sich meine Erinnerungen, ergeben sie wie die Figuren bei einem Brettspiel neue Konstellationen. Egal, jedenfalls ist das keine Option. Soll ich Onkel Aquilius zur Abwechslung mal auf Jagd schicken? He, da! Ein Dieb! Lauf, Onkel, lauf! Oder so. Aber wahrscheinlilch wird das dann auch nicht besser werden.


    Alles so steif wie die Holzfiguren, die wir vorhin gesehen haben. Was stehen denn da für Figuren auf'm Tisch? Läßt sich damit irgendwas anfangen? Ach, lauter Massenware! Oder: Schau, wie individuell sie aussehen. Nach 'was sehen sie überhaupt aus? Was soll das denn darstellen? Vorsichtig beäuge ich die feilgebotenen Tonplastiken, werde aber ehrlich nicht ganz schlau daraus. Bis ich zwei Hunde sehe, die in nicht unbekannter Stellung übereinanderhocken. Und da, zwei Pferde! Die Menschenfiguren, machen die nicht dann dasselbe? Ich schaue schnell wieder weg und verbarrikadiere mit meiner Gestalt den direkten Blick auf dieses Zeug. Wenn Aurelia Helena das zu Gesicht bekommt, fällt sie sicherlich in Ohnmacht. Darf so etwas überhaupt verkauft werden? Unter dem vergöttlichten Augustus wären diese Dinger sofort zerschlagen worden. O tempora, o mores! Flüchtig spingse ich nochmals hin, nicht richtig, nein, einfach - ich muß ja irgendwohin schauen, wenn ich Aurelia Helena nicht in Grund und Boden starren will.


    Da mich mein Onkel vorstellt, mache ich eine Verbeugung und lege dabei höflich meinen Kopf schräg. "Ich habe schon viel von Dir gehört", murmele ich in meinen langen, weißen Bart. Ich benehme mich wie ein Ur-Ur-Ur-Großonkel, der weder gehen, noch hören noch richtig reden kann und nur noch nicht gemerkt hat, daß er schon tot is'.- Ich war ja noch unverkrampfter mit Senator Purigitius Macer gewesen, denke ich, aber den werde ich ja auch nicht vielleicht heiraten, was sowohl ihm wie auch mir erleichternd zugute kam.


    "Magst Du Tiere, Aurelia Helena?" sagt irgendwer. Wer? Ich? Oh. Hat sich mein Mund selbständig gemacht und Silben zu Worte, Worte zu einer Frage gebildet. Ja, warum eigentlich nicht? Einem Mädchen "die Karnickel zeigen" war daheim ein Synonym für den Wunsch nach trauter Zweisamkeit, nicht nur deshalb, weil die Karnickel immer in einer dunkleren Ecke des Stalles untergebracht werden, sondern auch, weil Mädchen Tiere einfach mögen. Vielleicht ein hübsches Lämmchen, das man baden konnte, mit einer zu ihrer hellblauen Tunika passenden Schleife versehen konnte, dem man beim Grasen zusehen und es mit Milch füttern konnte. Ich liebe Schafe, es sind gutmütige und liebe Tiere.

    Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, daß ich meine Mittagspausen auf dem Sklavenmarkt verbringe hätte ich ihn wahrscheinlich mit einem grinsenden "Geh' scheiß'n" ignoriert. Sklavenversteigerungen sind in Flaviobriga etwas seltenes und eigentlich keine Versteigerungen, eher eine Art Arbeitsmarkt, man geht herum und sagt den Vermittlern, für welche Arbeit man wen sucht. Oder manchmal kommen auch Leute zu Haus und Hof und bieten sich oder Familienangehörige an.


    Aber jetzt steh' ich immer wieder da, wie bei einem kleinen Theaterstück auf der Straße, nur daß die Truppe der Sklavenhändler und seine Gehilfen und der Star eine welchselnde Gestalt ist, die meist stumm auf dem Podium herumsteht, als wüßte sie nicht, was sie da verloren hat. 'Realismus' ist das Zauberwort, denke ich, die ganzen historisierenden und phantastischen Inszenierungen heutzutage gehen am Lebensgefühl der jungen Leute vorbei, wir wollen harten Realismus, keine Beschönigungen, keinen Weichzeichner, keine üppige Ausstattung mit Pfauenfedern, zentimeterdicker Schminke, Perücken und weiten Seidengewändern. Sondern Glatze, Falten, Dreck, klare Linien und Formen. Ich arbeite daran.


    Auch mein rector Aelius Callidus scheint seine wenigen Mußeminuten hier zu verbringen, jedenfalls sehe ich ihn innerhalb kurzer Zeit erneut hier. Vielleicht ist er das neue Publikum, auch wenn er eigentlich schon über die Generation hinaus ist. Menschen über 30 haben ihre eigene Zukunft ja schon hinter sich. Ich grüße ihn freundlich und schaue mich um.


    Der Typ, zu dem Hannibal auf der letzten Versteigerung hingewabert ist, ist auch wieder da. Macht der Großeinkäufe? Für sich oder für wen? Er sieht eher wie ein Emissär aus, nicht wie der Käufer selbst. Mal sehen.

    Ich will niemanden wollen, nein, ich will, daß man mich will,
    bis ich kriege, was ich brauche, halt ich niemals still.

    [Falco: Egoist]


    Das ist der Refrain zum Eiertanz in den Discos, Clubs, Bars. Auch als Balzmikado bekannt: wer sich zuerst bewegt, hat verloren. :D

    Es ist Abend geworden, draußen ist es dunkel. Das romantisch mit Worten zu umschreiben ist völlig sinnlos, denn es ist nur dunkel. Nicht einmal der Mond scheint hell.


    Also: Draußen dunkle Dunkelheit. Ich habe eben aus dem Fenster geschaut, nicht einmal eine Fackel eines Begleitsklaven fackelt, keine Sterne am Firmament sternen, Lastkarren karren nicht, die später Betrunkenen betrinken sich gerade irgendwoanders, um mich nachher am Schlafen zu hindern.


    Meine Augen schmerzen ein wenig, meine Konzentration ist nun endgültig flöten. Drecksdissertationes, depperte. Ich lasse mich laut aufstöhnend in in die Stuhllehne fallen, wie von einer Kugel zurückgeschleudert in meinen Sitz.


    Kugel? Schleuder? Dido! Ah! Die hätte heute eigentlich aufkreuzen sollen. Konjunktiv. "LAAS!" krähe ich, damit der Bengel mich hört, während er im Gang auf dem Klappstuhl Faxen macht.


    "Du suchst Straton. Straton sucht Hannibal, Hannibal sucht Dido. Und dann kommen Straton, Hannibal und Dido zu Dritt zu mir. Jetzt. Prompte. Wennich' wird heut' Karthago ein zweites Mal untergepflügt. Und Du schaust, daß Du in der Hausbibliothek etwas zur Blutsgerichtsbarkeit der Samniten findest. Laß' Dir Zeit. Geh' 'was nachher essen. Ab!"


    Das hämisch-schadenfrohe Grinsen von Lars will ich jetzt nicht sehen. Völlig abgedreht ist er. Trägt schon den ganzen Tag eine weiße Leinenbinde um den Kopf und hat sich mit roter Tinte Blutflecke aufgemalt. Leider auf der falschen Seite, was den Realismus empfindlich mindert. Aber vielleicht ist ja eine Ausbildung als Requisiteur an ihn nicht verschwendet.

    "Na denn, ich krame noch ein bißcken in den Regalen herum und bringe noch Unordnung in das Chaos. Wir seh'n uns. Freut' mich, vale Matinius Ticinius!"


    Ich lächele, deute eine höflich palatinische Verbeugung an und ziehe mich zurück.