Beiträge von Mithridates Castor

    Mit stiller Freude registrierte M.C., dass das Verhältnis zwischen dem Exegetes und dem Strategos wohl nicht mehr zum Besten stand. Wenn dem Archiprytanen langsam aber sicher die Anhänger wegliefen, konnte ihm das nur recht sein. "Das hört sich doch gut an!" erwiderte der Agoranomos also gönnerhaft auf die Ausführungen des Strategos, während er überlegte, ob sich dieser Cleonymus nicht doch auf seine Seite würde ziehen lassen.

    Mithridates war anwesend und da seine Mitarbeiter wussten, wie sehr ihn die tägliche Arbeit langweilte und er jede Abwechslung herbeisehnte, wurden die beiden Besucher ohne lange Fragerei in das Arbeitszimmer des Pyrtanen durchgelassen. Als der Agoranomos die rothaarige Römerin erblickte, erhob er sich und bot ihr mit einer leichten Armbewegung einen Stuhl an. "Wie kann ich helfen?" fragte er freundlich.

    "Das hört sich für mich nach einem guten Vorschlag an", pflichtete Mithridates dem Exegetes bei und richtete seinen Blick auf die übrigen Pyrtanen. Er konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass es irgendwelche Vorbehalte gegen diese Auszeichnugen innerhalb des Koinon gab. Dazu erschien diese Angelegenheit einfach als zu unbedeutend, so dass auch der Agoranomos seine persönlichen Animositäten gegen Nikolaos Kerykes zurückstellen konnte.

    Die Gruppe um den Agoranomos erreichte den Ausgangspunkt der Zeremonie nur wenig später. Mithridates war darüber leicht verärgert, hatte er sich doch vorgenommen, vor den anderen Pyrtanen und insbesondere vor dem Exegetes auf der Agorá zu erscheinen. Doch unfähige Diener und ein widerwilliges schwarzes Kleidungsstück hatten diese Pläne durchkreuzt. Weiteres Missfallen erregte in ihm neben dem Gezeter der obligatorischen Klageweiber die Tatsache, dass Nikolaos Kerykes mit einem eigenen Opfertier aufwartete. Typisch für ihn. Musste mal wieder aus der Reihe tanzen.
    Wenigstens war er bei einem Lamm geblieben und nicht gleich mit einem Stier aufgekreuzt, was für das Ansehen der Polis nicht gerade förderlich gewesen wäre. Leicht beunruhigt warf M.C. noch einmal einen Blick auf das mitgebrachte, ruhig gestellte Kalb, ob es auch wrklich durch diese Makellosigkeit ausgezeichnet war, die ihn zum Kauf des Tiers bewogen hatte. Von einer ähnlichen Farbe wie das Lamm, natürlich ein Stück größer, insgesamt konnte es durchaus mit Nikolaos Lamm mithalten, wie der Agoranomos erfreut feststellte.
    Er setzte also eine ernsthafte, beinahe trauervolle Miene auf, reihte sich mit einem lautlosen Gruß in Richtung der versammelten Würdenträger ein, um auf die Ankunft des noch abwesenden Eparchos zu warten.

    Mithridates verfolgte die Ansprache von seinem Platz aus. Bei aller Abneigung, die er dem jungen Redner gegenüber empfand, kam er doch nicht umhin, diesem gewisse Fähigkeiten in den Bereichen Rhetorik und Schauspielerei zu attestieren.
    Als Nikolaos schließlich zum Ende kam, warteten der Agoranomos und seine Sitznachbarn gespannt auf die Reaktion der Menge. An einigen Stellen des Versammlungsortes schien zwar leichte Unruhe aufzukommen, doch solange die Wortführer und Aufrührer die Massen nicht anstachelten, sollte auch diese Ekklesia ordungsgemäß ablaufen.
    Und die schlimmsten Demagogen der Polis waren ja sowieso im Koinon anzutreffen.

    Der Jugendliche, dessen Name hier nicht genannt werden muss, beäugte den Mann mit dem exotisch anmutenden Aüßeren voller Neugier. Insbesondere dessen kunstvoll geflochtener Bart zog die Aufmerksamkeit auf sich.
    "Chaire! Ich bin hier, um einige Portionen des berühmten Saftes zu erwerben, der hier vertrieben werden soll", ratterte er den vorgegebenen Spruch herunter. Selbstverständlich wollte der Agoranomos nicht persönlich in einem Betrieb eines politischen Konkurrenten erscheinen, und so war eben dieser Junge darin instruiert worden, was er genau zu sagen und zu tun hatte. Außerdem bot sich so vielleicht die Möglichkeit, sich ohne Aufsehen zu erregen ein wenig umzusehen.

    Einige Tage nach der Ekklesia, bei der die Bürgerschaft über den Tod des Kaisers unterrichtet worden war, hatte sich M.C. dazu entschlossen, den nächsten Schritt zu tun. Er ließ sich also Wein und Schreibzeug bringen und machte sich daran, seinen Plan auszuarbeiten.

    "Das Opfer so bald wie möglich durchzuführen, entspricht auch meinen Vorstellungen", sagte er, ziemlich sicher, dass sein Gesprächspartner nicht ernsthaft an seiner Meinung interessiert war.
    Auch Mithridates hatte sich schon über die chronische Abwesenheit des Strategos in den Versammlungen gewundert. Dennoch ließen ihn die etwas abfälligen Worte des Exegetes aufhorchen, denn bisher hatte er den Ägypter für einen besseren Lakaien des Nikolaos Kerykes gehalten.
    "Solange er nur dafür sorgt, dass die Stadtwachen in angemessener Zahl erscheinen und die Situation im Griff haben!" antwortete der Agoranomos, wobei sein Blick ein wenig besorgt über die Ränge schweifte.

    Als sich ihm sein Kontrahent näherte, fragte sich Mithridates Castor einmal mehr, welche Gedanken sich hinter der scheinbar undurchdringlichen Fassade des Exegetes verbargen. Es wurde wirklich Zeit, diesen Nikolaos einmal in seinem privaten Umfeld zu bespitzeln und vielleicht auch das ein oder andere diffamierende Gerücht über ihn in Umlauf zu bringen.
    "Das Opfertier wurde besorgt und und wartet nun bei bester Pflege darauf, seiner Bestimmung entgegenzutreten", erwiderte Mithridates. "Ein prachtvolles Kalb im Übrigen!" Wenn sich der göttliche Iulianos damit nicht zufrieden gab, hatte er es wohl auch nicht verdient, von den Alexandrinern geehrt zu werden.

    "Aber gerne!" Echion folgte dem anderen Mann in das Innere des gewaltigen Baus. In der Hand trug er immer noch den Beutel mit dem Weihrauchharz, das er im Verlauf seines Besuchs im Serapeion noch einsetzen würde. "Wenn du regelmäßig zur Andacht gehst, wirst du dich im Inneren in jedem Fall besser auskennen als ich."

    Mithridates hasste die Ekklesia. Unzählige Menschen dicht zusammengedrängt, der Lärm, die immer etwas aufgeheizte Stimmung unter den Teilnehmern, und das alles nur, um den Bürgern die Illusion zu lassen, sie selbst bestimmten über das Schicksal der Polis. Und der heutige Anlass bot auch noch zusätzlich Grund zur Besorgnis.
    Von diesen Gedanken geplagt nahm der Agoranomos schließlich seinen Platz unter den Pyrtanen ein und begrüßte seine Kollegen.
    "Chaire werter Exegetes! Ich hoffe für uns alle, du findest heute die richtigen Worte", sagte er leise an Nikolaos gewandt. Daran, dass der Archipyrtan diese etwas undankbare Aufgabe zu übernehmen gedachte, bestand wohl kein Zweifel.

    Ein Gelehrter und Schreiber also!
    "Ich kann mir gut vorstellen, dass Interesse daran besteht und werde ihn davon in Kenntnis setzen. Ansonsten ist der Agoranomos natürlich in seinem Büro zu erreichen." Eventuell muss man ihn aber aufwecken, wenn man ihn schlafend vorfindet, fügte Echion in Gedanken an.

    Mit einladender Armbewegung und einem übertrieben freundlichen Lächeln wurde er von besagtem Händler empfangen. Bostar war nur unwesentlich größer gewachsen als M.C. selbst, jedoch trug er mittlerweile einen stattlichen Bauch mit sich herum, wie der Agoranomos mit leichter Belustigung feststellte. Er konnte sich nocht recht gut daran erinnern, wie er diesen Gauner kennengelernt hatte, damals weit im Süden in Berenike. Doch damals war Mithridates der Bittsteller gewesen und nicht wie heute in eindeutig stärkerer Position.
    "Bostar, alter Freund, zu lange ist es her!" begrüßte er ihn, während seine Begleiter das Angebot in Augenschein nahmen.
    "Ehrenwerter Prytan, was verschafft mir die Ehre deines Besuches?" Auf dem Gesicht des dicken Mannes erschienen unverkennbar die ersten kleinen Sorgenfalten.
    "Was verlangst du für dieses Kalb?" fragte M.C., während er auf das gut gebaute Tier blickte, dass seine Gefolgsleute soeben aus dem Verschlag hervorholten.
    "Ein wunderbares Tier,vollkommen makellos. Aber für dich mach ich einen Sonderpreis. 500 Drachmen."
    "500!" M.C. strich sich über den Bart. "Wo ich gerade hier bin. Kann es sein, dass die Gebühreneintreiber dich schon lange nicht mehr aufgesucht haben?"
    Schweißtropfen sammelten sich nun auf Bostars Stirn.
    "Und deine Tiere hier sollen denen, die vergangene Woche in der Nähe der Porta Lunae gestohlen wurden, erstaunlich ähnlich sehen. Vielleicht ist das ja Zufall, aber..."
    "Schon gut", grummelte der Händler. "Du bekommst es für die Hälfte."
    "Na also. Ich wusste doch, dass wir uns einig werden." Mit einem spöttischen Lächeln verabschiedete sich M.C. und machte sich wieder auf den Weg zu seinem Arbeitssitz. Um die Abwicklung des Geschäfts und die Lieferung des Opfertieres würden sich seine Untergebenen kümmern.

    "Oh ja, Mithridates Castor ist ein großer Anhänger von Serapis." So sicher war sich Echion dessen natürlich nicht. Was das eigene Ansehen mehrte und Wählerstimmen versprach, wurde von diesen Politikern bekanntlich gerne mitgenommen. Aber damit konnte er diesen Bürger in fortgeschrittenem Alter wohl kaum schockieren.
    "Aber er ist seit Amtsantritt rund um die Uhr damit beschäftigt, für einen prosperierenden Handel auf den Märkten unserer geliebten Polis zu sorgen, und so bleibt ihm leider wenig Zeit für Besuche im Serapeion." In Wahrheit war es natürlich Echion, der den Großteil der Arbeit übernommen hatte. "Und, welcher Beschäftigung gehst du ansonsten nach?"

    Einen Beschluss des Koinon umsetzend, machte sich Mithridates Castor mit einer Hand voll Bediensteter auf die Suche nach einem passenden Opfertier. Immerhin sollte es dem verstorbenen römischen Basileus dargebracht werden, da wollte der Agoranomos schon selbst dafür Sorge tragen, dass es die notwendigen Voraussetzungen erfüllte.
    Während sich so manch anderer Prytan in einer Sänfte durch die Straßen der Polis tragen ließ, trat er den Gang zu Fuß an, doch sein wie gewöhnlich auffällig leuchtender Chiton und sein Gefolge garantierten ihm die Aufmerksamkeit, die er als Mitglied des Koinon für angemessen befand.
    Am Viehmarkt angelangt, schwärmten die Männer aus, doch M.C. hatte einen ganz bestimmten Händler im Visier, einen Mann, der ihm noch einen Gefallen schuldete. So führten ihn seine Schritte also direkt zum Stand des Bostar, eines wohlbeleibten Anbieters aus Pelusion...

    Bei seinem Eintreffen war Mithridates die schlechte Laune des Vorsitzenden nicht entgangen. Wobei er sich auch nicht daran erinnern konnte, diesen Nikolaos jemals nicht mit säuerlicher oder gar wütender Miene angetroffen zu haben. Wenn der Archipyrtan ein so freudloses, arbeitsreiches Leben führte, wie es den Anschein machte, würde er sicherlich eines frühen, unangenehmen Todes sterben. Ein Gedanke, der Mithridates wiederum ein kleines, erwartungsfohes Lächeln entlockte.
    Die Nachricht vom Tode des römischen Kaisers beunruhigte ihn jedoch stärker, als er es sich selbst eingestehen wollte.
    Ein neuer Kaiser in Rom bedeutete immer auch Veränderungen in den Provinzen; ob zum Guten oder Schlechten für Alexandria würde sich erst noch herausstellen müssen.
    "Natürlich werde ich mich um das Opfertier kümmern, verehrter Exegetes." Eigentlich hatte der Agoranomos ja vorgehabt, möglichst schnell zu seinen üblichen Beschäftigungen zurückzukehren. Aber die Huren und der Mohnsaft würden doch noch ein Weilchen warten müssen.
    "Ist denn tatsächlich zu erwarten, dass der neue Basileus unsere geliebte Polis in nächster Zeit aufsuchen wird?"