Beiträge von Caius Aelius Archias

    Sie zögerte. Zwar gar nicht mal so lange, aber sie tat es. Caius hätte fast die Hand wieder weggerissen, auch wenn er nicht gewusst hätte, was er dann damit anfangen sollte. Eigentlich war das mehr ein Reflex gewesen und keine berechnende Absicht, dass er ihr die Hand hingehalten hatte. Er wollte einfach seine Frau an der Hand haben, das war alles, aber er hatte nicht darüber nachgedacht. Noch bevor er sie aber fallen lassen konnte, griff Axilla doch danach, und Caius fühlte sich so, als würde in ihm drin irgendwas schwindelig werden und sich taumelnd drehen. Ein urplötzlicher Kloß sorgte dafür, dass das Gefühl nicht seinen Hals erreichte. Irre. Und das nur, weil er ihre Hand hielt! Und sie stand dann so dich vor ihm und lächlte ihn ganz kurz an, dass er sie am liebsten an sich gerissen und gedrückt hätte. Aber er zuckte nur mit den Mundwinkeln ein Lächeln zurück, dass zwar ehrlich, aber kurz war, und machte dann einen Schritt zurück. Axilla sah ihn schon gar nicht mehr an, sondern betrachtete das Haus. Caius war wieder übel, wenn er nur ein paar Minuten in die Zukunft dachte. Er hielt Axillas Hand noch, als er ihr antwortete und losging.


    »Ja. Weißt du, Piso hat früher nicht weit weg gewohnt. Die Flavier haben hier auch ein Haus.« Eigentlich nichts Neues, vielleicht wusste Axilla das auch schon. Caius hatte es vielleicht mal erwähnt. Langsam gingen sie auf das Haus zu. Dea Dia mochte ihm beistehen, dachte Caius, denn plötzlich flog die Tür auf. Natürlich waren sie nicht unentdeckt gebieben. Eine schmale, kleine Gestalt in Blassrosa schob sich in den Türrahmen, ein runzeliges, strahlendes Gesicht offenbarte sich ihnen.
    »Caius!« rief Caenis und klatschte erst in die Hände, die sie sich dann auf den Brustkorb legte. Sie schüttelte den Kopf und kam aus dem Haus gelaufen. Caius lächelte schräg. War ja klar, dachte er.
    »Caius, was machst du denn hier! Warum hast du nicht gesagt, das du kommst? Und du....?« bombardierte Caenis ihren Sohn auch gleich mit Fragen und sah dann Axilla an. Ihr war aufgefallen, dass Caius ihre Hand hielt. Caius hielt Axillas Hand gleich ein klein wenig fester. Im Türrahmen erschien jetzt auch Calvaster, von dem Caius einen Großteil seines Aussehens geerbt hatte.
    »Hallo Mam« sagte er und sah zu Axilla und zurück.
    »Schön dich zu sehen. Ehm. Das ist Axilla. Meine Frau.« So, nu war es raus.


    Und Caenis hatte die Augen aufgerissen und starrte Axilla ziemlich unmatronenhaft und regelrecht entsetzt an, bis sie sich wieder fing und den Mund zuklappte. Calvaster schien gehört zu haben, was Caius gesagt hatte, denn er lehnte in der Tür und grinste.
    »Deine...Aber...?« Es war klar, was Caenis hatte sagen wollen. Sie kannte schließlich Seiana. Und sie musterte Axilla gerade, die genauso verstaubt aussah wie Caius. Dass ihr das nicht unbedingt zusagte, war ihr anzusehen, aber wenigstens sagte sie es nicht laut.
    »Axilla«, wiederholte sie murmelnd, dann traf wieder Caius ein Blick. Der war fragend und fordernd, und Caius kannte seine Mutter und wusste, was der bedeutete.
    »Iunia Axilla, ja. Wir haben vor ein paar Wochen geheiratet, in Rom. Ganz unspektakulär, ohne Feier«, fügte er hinzu, weil er sah, dass Caenis schon wieder nach Luft schnappte. Sie hatte ein Faible für Feiern, das war ihm schmerzlich bekannt. Es war Caius eigentlich gar nicht so recht, dass sie das alles hier draußen diskutieren mussten, und auch nicht, dass seine Mutter ziemlich unhöflich zu Axilla war, wie er fand. Sie betrachtete gerade Axillas Gesicht.


    »Ja dann...« sagte Caenis ratlos.
    »Schön dass ihr da seid. Kommt doch bitte herein.«

    Sie kam nicht mit. Sie kam ihm nicht mal hinterher. Caius hörte keinen Hufschlag. Das tat echt weh. Er hätte sie nicht heiraten sollen, um ihretwillen. Genau genommen hatte er ihr das ganze Leid gebracht, dass sie hatte ertragen müssen. Leander, dann der ganze Streit, der Auszug, die Sache mit Seiana, das mit dem Kind, dieser Germane überhaupt. Der hätte nie was gemacht, wenn er nicht gewusst hätte, wie viel sie ihm bedeutet hatte. Noch bedeutete.


    War aber vielleicht ganz gut, dass Axilla nicht neben ihm ritt und ihn sehen konnte. Caius war es nämlich peinlich, dass ihm vor Frustration und Kummer das Wasser in den Augen stand. Er ritt allein vorweg, bis sie am Abend einkehrten. In dieser Nacht schlief Caius gar nicht. Umso fahriger war er am nächsten Morgen, als es dann weiter ging.

    Es war eine Erlösung, endlich anzukommen. Caius hätte es kaum noch länger ausgehalten mit der schweigsamen Axilla und dieser ganzen beschissenen Situation, die er so gern gelöst hätte. Sie erreichten Ravenna nach angemessener Reisezeit. Caius fühlte sich inzwischen wie gerädert. Nachts schlief er nicht gut und lag lange wach, tagsüber schwiegen sie sich an, dass es einem in den Ohren klingelte. Inzwischen sagte auch Katander nicht mehr viel, unterhielt sich nur hin und wieder mit Levi und ließ alle anderen soweit in Ruhe sonst.


    Vor einer halben Stunde waren die Stadtmauern Ravennas in Sicht gekommen, und seitdem waren bei Caius unangenehme Bauchschmerzen dazugekommen. Er würde seinen Eltern (oder eher seiner Mutter) gleich irgendwie beibringen müssen, dass er die pfiffige Seiana gegen eine Axilla ausgetauscht hatte, die momentan vielleicht höflich und anständig war, aber nicht mehr dieselbe. Perisanders Rat kam ihm wieder in den Kopf, dass man eine Rede nach dem planen musste, was man beabsichtige. Und er hatte sich das alles so anders vorgestellt. Er war ja stolz auf Axilla, irgendwie, und dass er sie hatte und sie ihn liebte, auch wenn er sich da inzwischen echt nicht mehr sicher war, so wie sie in den letzten Wochen abgebaut hatte. Es würde verdammt schwer werden, das richtig rüberzubringen, so wie er sich gerade fühlte deswegen.


    Am Tor mussten sie einen Moment warten, dann ließ man sie ein. Sie durften reiten, in Ravenna sah man es nicht so eng wie in Rom. Caius führte sie an, Axilla auf ihrem braunen Pferd an seiner Seite. Bald kam das Anwesen in Sicht, das er vor gar nicht allzu langer Zeit mit Seiana verlassen hatte. Caius wurde immer langsamer, ohne es zu wollen, und sie hatten das Tor noch nicht erreicht, da hielt er an. Er wollte etwas sagen, nein, eigentlich wollte er schreien, aber nix ging. Er stieg ab.


    »Wir sind da«, informierte er bleiern. Katander stand plötzlich neben ihm und nahm ihm die Zügel ab. Blöd, jetzt hatte er nichts mehr, woran er sich festhalten konnte. Levi wollte wohl Axillas Zügel nehmen, wie es aussah. Caius hielt ihr ein wenig zögerlich die Hand hin, während auch die anderen absaßen und sich einreihten.

    Nicht mal mit der Schönheit der Natur konnte Caius Axilla hinter dem Berg hervorlocken. Nur deswegen waren sie überhaupt von der Straße abgewichen, die die kürzeste Route dargestellt hätte. Caius schwieg und sagte nichts mehr, während sie ritten nicht, während sie rasteten nicht und als sie wieder aufstiegen nicht. Er teilte stumm sein Brot und die Trauben mit Axilla, speiste den fragenden Katander mit wenigen Worten ab und brütete stumm vor sich hin. Er hatte keine Ideen mehr. Nichts half, sein Hirn war leer. Axilla war mit ihm unglücklich und er wusste nicht warum. Er hatte den Wachen eingeschärft, sich im Hintergrund zu halten. Er hatte mehr als deutlich gemacht, dass er zumindest den Anschein haben wollte, dass Axilla und er alleine waren. Aber sie redete trotzdem mehr mit Levi als mit ihm, und das verstand er nicht. Er war mit seinem Latein am Ende.


    Stumm ritten sie wieder nebeneinander her. Und plötzlich ließ Axilla ihr Pferd beschleunigen. Caius sah sie fragend von der Seite an, einen Keim der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch alles gut werden würde. Er trieb sein Tier auch an, mit einem vagen Grinsen im Gesicht jetzt, aber Axilla war schneller und wurde es immer weiter, bis sie beide in gestrecktem Galopp dahinrasten und sie ihn mühelos abhängte. Nicht einmal schaute sie zurück, und langsam verblasste Caius' Lächeln. Die vornübergebeugte Gestalt seiner Frau, ihr wehendes Haar und die Schlanke Silhouette wurden langsam kleiner, während er sich zurückfallen ließ, noch hinter die Wachen und zuletzt hinter die anderen. Das war der Moment, in dem er aufgab.


    Die Wachen erreichten Axilla, die inzwischen umgekehrt war, zuerst und zügelten ihre Pferde, ratlos, was sie nun machen sollten. Caius hatte ganz bewusst darauf verzichtet, Prätoriaer mitzunehmen, obwohl ihm das zugestanden hätte als Mitglied der Kaiserfamilie. Die zwei waren Sklaven, und sie hatten keine Anweisungen für so einen Fall. Dementsprechend verwirrt waren sie, bis die anderen aufschlossen. Caius' Schwarzer trottete langsam hinterdrein. Er sagte nicht ein Wort, als er Axilla passierte. Er sah sie nur ganz kurz an und bemühte sich, nicht ganz so auszuschauen wie der geprügelte Hund, als der er sich grad fühlte. Ohne anzuhalten zog er an Axilla vorbei und ließ das Pferd mit hängenden Zügeln einfach seinen Weg finden.

    Und zack, da war er. Wie einstudiert schwärmte Katander grad nach rechts aus und zur flavischen Küche, und Caius, das Mutterschiff, pflügte gradlinig durch das atrium auf Piso zu. Direkt vor ihm stoppte er ab, umarmte seinen Freund und klopfte ihm dreimal kräftig auf die Schulter. Piso grinste, der war scheinbar bester Laune, und Caius lächelte zurück.
    »Tach Pi, na?« sagte er und ging dann zu den Liegen.
    »Alles klar bei dir? Was macht die Kunst? Und...« Caius lehnte sich verschwörerisch zu Piso hin und sprach leiser weiter.
    »...vor allem: Was macht deine Flamme!« Er grinste.
    »Von dir hört man ja gar nichts mehr, da musste ich einfach mal kommen und nachfragen.«

    Caius' Augen zuckten zu, als die Tür das selbe machte. Ihn wunderte eigentlich gar nichts mehr hier an der flavischen Türe. Der Kerl war eh schon eine Beleidigung für Besucher, obwohl er vielleicht ungewollte Kundschaft erfolgreich abblockte. Caius wartete also, und kurz darauf wurden er und Katander eingelassen und taperten hinter dem Jungen her. Allerdings bog Katander ziemlich bald ab, um seine Bekanntschaften unter den flavischen Sklaven in der Küche zu pflegen, und Caius ging weiter.

    »Axilla geht es gut«, sagte Caius. Aber er hatte nicht vor, mehr über sie und sich zu erzählen. Das ging niemanden was an, und wenn überhaupt, dann hätte er das nur Piso erzählt, seinem besten Freund.
    »Sie sucht noch.« Mehr gab es da auch nicht zu erzählen. Caius zuckte mit den Schultern.
    »Hast du sonst noch was?« Er hatte nämlich noch nichts gegessen und schob ordentlich Kohldampf.

    - Irgendwo zwischen Asisium und Arminium -


    Wenn eins der Fall war, dann dass man die Ruhe genießen konnte. Axilla und Caius waren nun schon knappe drei Tage unterwegs. Am Morgen hatten sie Asisium verlassen und waren weiter in den Norden geritten. Der dritte Tag war bisher nicht anders als die beiden davor. Beim Frühstück hatten sie kaum geredet, auch wenn Caius dauernd nach einem Thema gesucht und wirklich nichts ausgelassen hatte, um Axilla zum Lächeln oder zumindest zum Reden zu animieren. Wie bei den zwei Tagen zuvor hatte aber nichts gefruchtet, bis Caius irgendwann aufgab.


    Gen Mittag hatten sie sich kurz bei einem freundlichen Bauernpärchen untergestellt, weil es geregnet hatte, dann waren sie wieder aufgebrochen. Es ritt sich nun leichter, weil es nicht mehr so schwül und dafür kühler war. Am Morgen davor hatte Caius Muskelkater gehabt und festgestellt, dass er viel zu lange nicht mehr länger im Sattel gesessen hatte, inzwischen war der Kater aber verflogen und er hielt sich ganz gut. Axilla und Caius ritten allein voraus, erst in gut dreißig Schritt Entfernung folgten zwei Sklaven, die Knüppel und Dolche trugen, und Levi und Katander. Noch ein Stückchen dahinter kamen dann die übrigen, auch wenn sie nur ein zusätzliches Pferd für Proviant und Klamotten gebraucht hatten. Alle anderen Dinge waren bei den Sklaven aufgeschnallt und verteilt, so dass es den Pferden keine Mühe machte.


    Wo sie ritten, gab es keinen Weg. Die Schritte der Pferde machten nur leise Geräusche im Gras, hin und wieder schlugen sie mit den Schweifen und verjagten Bremsen und Fliegen. Ab und an ritten sie an einem einzeln stehenden Baum vorbei oder an einer niedrigen Hecke, die ein Feld vom anderen trennte. Und Caius suchte wieder nach etwas, über das er sich mit Axilla unterhalten konnte. Ein Kranich half ihm da aus. Caius hob den Arm und zeigte auf den aufsteigenden Vogel mit dem Fisch im Schnabel.


    »Schau mal, der hat sich grad sein Abendessen gefangen.«

    Axillas Schritte hatten einen Aussetzer. Caius wandtre den Kopf und heftete den Blick zwischen ihre Schulterblätter. Sie war hübsch, selbst wenn man ihr Gesicht nicht sah, so wie Caius grad. Aber sie war auch verdammt stolz für ihre Größe, und mindestens genausp halsstarrig. Er hätte eigentlich damit rechnen müssen, dass sie gar nichts sagte. Ein Teil von ihm hoffte aber, dass sie sich umdrehte und zu ihm kam, wie früher. Dass sie ihr Gesicht an seinem Hals barg und die Arme um ihn legte, richtig schön kitschig und romantisch, auch wenn er das nie freiwillig zugegeben hätte. Axilla hatte ihn nämlich soweit: Er würde alles für sie tun, wenn sie nur aufhörte, so viel Trübsal zu blasen.


    Aber nichts davon passierte. Er meinte, sie etwas sagen zu hören, aber das konnte genauso gut der Wind gewesen sein. Und dann ging sie einfach weiter und ließ ihn da sitzen, auf der Liege. Caius sah ihr hinterher und konnte sich erst wieder losreißen, als er irgendwo tief drinnen im Haus leise eine Tür hörte. Und dann war er es, der zur Seite kippte und den Blick zu den Wolken richtete, die immer mehr wurden und immer dunkler. Das gab noch ein Gewitter, wenn sie kein Glück hatten.

    Irgendwann zwischen seinem bewölkten (was für eine hervorragende Wortwahl!) Gespräch mit Axilla und dem geplanten Reisetermin taperte Caius zur flavischen Hütte. Der Türöffner kannte ihn ja inzwischen, er tauchte ja oft genug hier auf, während sich Piso ja nur auf dem Palatin blicken ließ, wenn er eingeladen wurde. Aber Caius war ein guter Freund, ihm fiel das zwar auf, aber er dachte sich nichts dabei. Allerdings dachte er wegen des Palatins schon einige Tage nach, und langsam kristallisierte sich etwas da raus, das... Naja, später.
    Erstmal klopfte er an, Katander im Schlepptau, und sagte seinen Spruch auf.
    »Caius Aelius Archias, zu Piso bitte.«

    Packpferde. Das hatte sich Caius so vorgestellt, dass ein Teil der Begleiter in der Nähe von Axilla und ihm blieb (und zwar der mit den Waffen) und der andere mit den Packpferden hinterher zockelte. Wobei sie ja so viel vielleicht auch gar nicht brauchen würden. Notfalls kauften sie unterwegs was, und wenn's neue Tuniken waren. Dass Axilla da an was anderes dachte, kam ihm nicht in den Sinn.


    Caius nickte. Und dann rutschte Axilla von der Liege. Caius wollte ihr sagen, dass das doch auch noch bis zum Abend Zeit hatte, aber er hielt die Klappe und sah sie nur an. Sie schien ewig weit fort zu sein, zu weit, als dass er sie erreichen konnte. Caius schob einen Mundwinkel nach hinten, als Axilla losging.


    »Ich liebe dich«, sagte er zu dem nächsten akkurat geschnittenen Busch, der ihm unter kam.

    Caius konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, als Axilla ihre Hand wegzog. Unterschwellig brodelte es in ihm. Er dachte wieder an das Gespräch mit Serrana. Dann kochte Resignation hoch. Und zum Schluss war da gar nichts mehr. Die letzten Wochen hatten ihn eh schon verändert. Caius war nicht mehr so ausgeglichen, er nahm das meiste ernster und ging bei weitem nicht mehr auf jeden Spaß ein. Woran das lag, konnte er nur raten, aber er glaubte, dass es an der Verantwortung lag, die er jetzt hatte. Mit Axilla. Und an Axilla und der Ehe an sich. Er seufzte lautlos, und jetzt war er es, der in die Wolken starrte, nachdem er die Hand zurückgenommen und zu der anderen in den Schoß fallen gelassen hatte.


    »Wir nehmen einfach Packpferde mit«, sagte Caius einen Moment später zu einer besonders hässlich unförmigen Wolke in tristem Weißgrau. Dass nicht nur sie beide reisen würden, war ja eh klar. Katander würde mitkommen, Firas, Perisander. Und Levi auch. Und zwei Leute vielleicht, die bewaffnet waren. Obwohl Caius zwanzig lieber gewesen wären angesichts der Gefahr einer Reise, aber das war vielleicht doch zu viel des Guten.
    »Wir übernachten in mansiones der Post, da gibt es genug auf dem Weg. Und dann sind wir in ein paar Tagen da.« Jetzt sah die Wolke aus wie ein hämisch grinsender Totenkopf. Caius sah in den Garten.

    Immerhin sah sie auf seine Hand runter, das war schon mal was. Und sie reagierte diesmal auf seine Frage. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen. Wie damals. Das schien ihm unendlich lange her zu sein. Weil sie ihn nicht weggeschubst hatte, als er seine Hand auf ihre legte, nahm er ihre kleine Hand jetzt in seine. Kleine Brötchen backen, Caius!


    »Ich könnte morgen den scriba einweisen. Übermorgen? Oder ist dir das zu früh?« erwiderte er und fragte sich, ob das überhaupt so eine gute Idee war, zu seinen Eltern zu fahren. Er hatte es ja immer vor sich her geschoben, denen mal einen Brief zu schreiben. Mam, Pa...übrigens, ich hab geheiratet. Tut mir leid, dass ich nix gesagt hab. Ach und übrigens, sie heißt nicht Seiana. Caius sah ein wenig besorgt aus deswegen.
    »Wir nehmen Pferde, was hältst du davon? Und dann reiten wir, bis die Sonne untergeht.« Caius fand, dass das ziemlich kitschig klang, aber es klang auch nach Freiheit, und Axilla war es ja nicht müde geworden zu betonen, dass ihr das fehlte. Er rückte ein wenig näher an sie heran. Nur ein paar Zentimeter.

    Irgendwo in seinem Hinterstübchen stolperte Caius tatsächlich noch über durcheinander geratene Textpassagen von Cicero. Aber nur, weil sein Hauslehrer die damals mit einem Stock dort platziert hatte. Caius fühlte sich bei Perisanders Worten seltsam an damals erinnert, wobei es sicherlich auch ein Gutes hatte, dass Perisander sein Sklave war. Der Stock blieb da nämlich aus. Aber noch was war anders, nämlich Caius' Wille, ein wenig davon zu lernen und zu behalten. Es war bestimmt nicht schlecht, wenn er ein wenig mehr emo...elo...eminent war. Wenn er besser reden konnte halt. Caius stützte einen Ellbogen auf die Stuhllehne und seinen Kopf in die Hand, dann sah er Perisander weiter an und versuchte mitzukommen.


    »Aber es liest doch keiner seine Rede ab«, wandte er ein und versuchte sich zu erinnern. Blöd nur, dass er eigentlich nie bei einer richtigen Rede dabei gewesen war bisher. Zumindest erinnerte er sich nicht.
    »Ach ja, diese modi, ich erinnere mich. Ich konnte das nur nie besonders gut auseinander halten...« Caius zuckte mit den Schultern.
    »Das Buch steht hier glaub ich irgendwo. Äh, das ist doch das, wo er schreibt, dass es ganz gut wäre, einen guten Geist und einen starken Körper zu haben und schnelle Beweglichkeit des Geistes, also, dass man gut nachdenken kann ...öh.... achja, Scharfsinn, ein gutes Gedächtnis, eine...eine...lockere?...Zunge, eine klangvolle Stimme, eine starke Brust, überhaupt eine kräftige Gesundheit, eine..äh, gutes Aussehen, glaube ich. Und: Von großem Nutzen für den Redner ist auch Laune und Witz. Das hab ich mir gemerkt.« Caius grinste stolz, auch wenn er nur einen Satz direkt rezitieren konnte. Caius seufzte dann.
    »Ich hab das bisher nie gebraucht, weißt du. Ich bin Ritter Roms und ich war lange Zeit Postpräfekt in Alexandrien, bevor ich hierher gekommen bin und Axilla geheiratet hab....sag mal, hast du vielleicht eine Idee, wie man seine Hilfe am besten anbieten kann, ohne das so zu sagen?« fiel ihm dann spontan ein.

    So langsam wurde Caius nervös. Es war ja eine Sache, dass sie ihn nicht anschauen wollte, aber Axilla wirkte regelrecht apathisch. Caius hätte sie so gerne in den Arm genommen und einfach nur gedrückt, und das Bedürfnis, ihr mit dem ganzen Kram zu helfen, war riesig. Nur war Caius sich nicht sicher, ob sie dann wieder sauer werden würde. Er hatte noch gut in Erinnerung, dass sie ihm gestern an den Kopf geworfen hat, seine Hilfe nicht zu wollen, sondern Dinge allein zu schaffen. Gestern hatte er dabei gehässig an Leanders Beerdigung gedacht und daran, dass sie da froh gewesen war, jemanden zu haben. Aber da war er auch sauer gewesen. Heute dachte er auch an Leander, aber nicht gehässig, sondern daran, wie gut es ihnen beiden getan hatte, füreinander da zu sein. Nur ließ Axilla das nicht mehr zu. Ob sie damit zeigen wollte, wie stark sie war? Caius wusste das nicht, und er würde auch nicht fragen.


    Caius lehnte sich ein wenig nach vorn und legte jetzt doch seine Hand auf Axillas, die irgendwo an ihrem Unterschenkel lag. Sie wirkte nämlich noch mehr als eben irgendwie verloren, und das tat ihm richtig weh, das mitanzusehen.
    »Dann lass uns trotzdem irgendwo hinfahren. Vielleicht nach Ravenna, zu meinen Eltern. Oder wo anders hin, wenn du möchtest«, schlug er vor. Ganz langsam kam er sich ratlos vor. Er mochte sie so nicht sehen, das war schlimm, wenn er ihr nicht helfen konnte. Dabei wollte er doch, auf der Stelle. Immerhin war er ihr Mann, und da sollte man doch nicht alles alleine durchstehen. Aber Caius hätte das auch getan, wenn sie nicht geheiratet hätten. Damals war Axilla noch glücklich gewesen. Ob es wirklich nur an ihm lag, dass sie so traurig war?

    Wenn Caius auch nicht gewusst hatte, dass Axillas Vater in dieser Rüstung gestorben war (gut, da der Soldat gewesen war, hätte er sich das denken können), an den Grund für den Tod von Axillas Mutter erinnerte er sich. Dementsprechend gab es einen schnellen seitenblick nach links, wo Axillas Kopf sich befand, und ehrliche Bestürzung war auf seinem Gesicht zu lesen. Besonders, als Axilla den Teil mit dem Land noch erwähnte. Er kannte den Iunier zwar, war aber nie besonders dicke mit ihm gewesen. Immerhin hatte er der Hochzeit nicht im Weg gestanden. Und er war ein angenehmer Kollege gewesen. Caius hing diesen Gedanken kurz nach. Dann rutschte sein Blick wieder hin zu Axillas schlaffer Hand. Als nächstes sah er auf den Brief, den er so nicht lesen konnte.


    »Darf ich lesen?« fragte er sie. Im nächsten Augenblick hatte er den Brief in der Hand und las, was Silanus geschrieben hatte. Er fand es nicht melodramatisch. Eher neutral. Sogar ziemlich neutral. Fast schon lieblos. Entweder hatte er extra auf alle netten Formulierungen verzichtet wegen der Vorgeschichte mit Axilla...oder es ging ihm so schlecht, dass er nur das Nötigste verpackt hatte oder...keine Ahnung. Caius legte den Brief beiseite und widmete sich wieder Axilla, indem er sie ansah. Nur sie machte gar nichts, und das war beängstigender als wenn sie mit ihm stritt. Caius suchte nach Worten. Bestimmt wollte sie auch nicht über Silanus reden. Nur worüber denn dann? Was konnte er sagen, das nicht falsch war?


    »Hm. Sind das Ländereien hier, in Italien?« fragte er sie. Und zwar nicht, weil er scharf drauf gewesen wäre, sondern aus Interesse.
    »Wir könnten dort nach dem Rechten sehen.« Die Iunier hatten bestimmt ein Landgut oder sowas, und Caius glaubte, dass es gut wäre für Axilla, wenn sie mal raus kam aus Rom. Und dem Palast.

    Caius sagte erstmal nichts, als Axilla endlich antwortete. Er hatte nur den Kopf umgewandt und sah Axilla jetzt an, aber sie hatte nur Augen für den Himmel. Caius sah sogar die Wolken, wie die sich in ihren Augen spiegelten. Und dann sah er wieder weg und überlegte. Sie ging gar nicht auf ihn ein. Bestimmt hatte sie das sehr getroffen gestern. Manchmal war er aber auch ein Esel! Er wackelte abwesend mit einem Zeh. Mit den Händen hatte er rechts und links neben sich das Sitzpolster umschlossen. Er grübelte. Es wäre wirklich verlockend, das Thema jetzt sein zu lassen und einfach über was anderes zu reden. Aber damit steckte man das Problem nur in eine Kiste, bis es so groß war, dass es selbst da nicht mehr rein passte. Wollte er das?


    Die Antwort war fast schneller da als die Frage. Ja, wollte er. Weil nämlich das Problem ihm tierisch auf die Nerven ging! Und in der Kiste wäre es erstmal weg, und wer wusste schon, ob es sich nicht da drin einfach auflöste? Als Caius wieder aufsah, streifte sein Blick ihre Hand, die einfach nur da lag. Er nahm sie nicht. Gestern hatte sie ihn nicht mal bei sich im Zimmer haben wollen. Vielleicht sollte er einfach kleine Brötchen backen vorerst.


    »Oh«, sagte er ein bisschen verspätet.
    »Was hat er denn? Bestimmt geht's ihm bald wieder besser.« In Tarraco war es warm und klebrig, Caius konnte sich nicht vorstellen, warumman da hinreisen sollte. Aber Axilla kam aus Tarraco, und deswegen sagte er da nicht seine Meinung. Er wäre nach Griechenland gefahren, irgendwo da ans Meer. Aber er war ja auch nicht krank.

    Als Caius zufällig ins Peristyl kam, weil er sich durch den Garten auf den Weg ins Büro machen wollte, stutzte er erstmal, denn Axilla saß da auf einer Bank, hatte etwas in der Hand und sah in den Himmel. Irgendeinen Brief offensichtlich. Wenn Caius an den gestrigen Tag dachte, war ihm immer noch ganz elend. Am liebsten wäre er rumgedreht, um damit Axilla und einer weiteren Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Aber sein Gewissen meldete sich mit einer Art riesigem Gong, sodass ihm der Schädel dröhnte und seine Schritte schleppend weiter in Richtung Axilla schlappten. Er setzte sich neben sie, ohne zu fragen und ohne überhaupt etwas zu sagen Er linste auch nicht neben sich und auf den Brief, den sie hielt, sondern sah sich nur das einfache Fugenmuster der kleinen Steinchen vor ihm auf dem Boden an.


    Es brauchte einen Moment, ehe er das Wort ergriff, einfach weil ihm kein Anfang einfiel, und deswegen platzte er dann auch ohne Einleitung und ziemlich plötzlich damit heraus.
    »Das mit gestern, das tut mir leid. Ich wollte das nicht sagen. Eigentlich hab ich auch nicht mal wirklich dran gedacht.«

    Irgendwie sah Axilla nicht so aus, als würde sie ihm noch richtig zuhören. Sie blinzelte nicht mal, oder Caius hatte es nicht mitbekommen. Er machte ein zerknirschtes Gesicht, das noch zerknirschter wurde, als sie ihn rausschickte und das mit einer Handbewegung unterstirch. Auf die Idee, sich zu widersetzen, kam er erst gar nicht. Er blieb noch kurz stehen, sah Axilla bedröppelt an und drehte sich dann rum, um wortlos zu gehen. Die Tür schloss er leise hinter sich.


    Was Axilla nicht wusste, war dass Caius sich in diesem Moment die schwersten Vorwürfe überhaupt machte. Er lud sich die ganze Schuld wegen der Streiterei auf seine eigenen Schultern (abgesehen davon, dass Axilla zu stur war, um das mit dem Germanen einzusehen!) und hatte ein mordsmäßig schlechtes Gewissen, weil er das mit der Hochzeit überhaupt gesagt hatte. Statt in sein Zimmer zu gehen, verschanzte er sich in seinem Büro und kritzelte auf einem Stückchen Pergament herum, das eigentlich zu teuer war für Caius' sinnloses Geschmiere. Aber irgendwas musste er machen, und seitdem er mit Axilla stritt, war sein Zimmer deswegen immer tiptop, weswegen er einfach nichts aufzuräumen hatte. Also kritzelte er. Und aß für den Abend nichts mehr, weil auch Axilla sich entschuldigen ließ.