Beiträge von Aureliana Siv

    Corvinus erwiderte ihren Blick, aber im Gegensatz zu ihr lächelte er nicht. Eher das Gegenteil schien der Fall zu sein, für einen Moment wurde seine Miene ernst, beinahe schwermütig, und ebenso unwillkürlich, wie sich ihre Mundwinkel zu dem Lächeln empor gebogen hatten, sanken sie nun wieder herab. So lang ihr dieser Augenblick zu währen schien, so kurz dauerte er in Wahrheit. Vielleicht einen Wimpernschlag lang sahen sie sich an, bevor Corvinus nur leise ihren Namen sagte und ihr zunickte, nur um sich umzudrehen und sich einen Weg zu seiner Braut zu bahnen. Siv reagierte gar nicht darauf – zunächst, weil sie nicht so recht wusste, was sie sagen oder machen sollte. Nicken? Lächeln? Nichts davon wollte sie tun, nichts von dem, was dazu gedacht war zu verschleiern, wie sie sich im Grunde fühlte. Nicht in diesem Augenblick, der vermutlich einer der wenigen heute war, wenn nicht der einzige, in dem er sie so ansah. Also blieb sie reglos, und im nächsten Moment hatte Corvinus sich abgewandt, was es müßig machte, über die eigene Reaktion zu grübeln. Die Germanin presste kurz die Lippen aufeinander und schloss die Augen, dann gab sie sich einen Ruck. Sie folgte Corvinus durch die Menge, in gebührendem Abstand, ihr Gesicht wieder so neutral wie möglich, während in ihren Augen etwas unruhig zu flackern schien.


    In der Nähe von Celerina und Corvinus angekommen blieb auch Siv stehen, froh darum, dass es etwas gab, was sie tun konnte – auch wenn es vermutlich nicht nötig gewesen wäre. Es gab genug Sklaven auf dem Schiff, die sich um alles kümmerten, aber einfach nur herumzustehen, hätte der Germanin vermutlich den Rest gegeben. Es war einfacher, sich an etwas zu klammern, selbst wenn dieses Etwas im Grunde eingeredet war. Reglos verharrte sie, hörte weg, während sich die Brautleute begrüßten, und heftete ihren Blick auf Orestes, als dieser mit dem Opfer begann. Sacht strich ihre Hand über ihren Bauch, eine unbewusste Geste, die kaum länger als den Bruchteil eines Moments währte, als der Aurelier Iuno zu preisen begann. Bis jetzt war alles in Ordnung, bis jetzt hatten Iuno und ihre eigene Götter ihr gewährt, worum sie gebeten hatte – dass mit dem Kind alles in Ordnung sein würde. Wieder umspielte ein Lächeln ihre Mundwinkel, und dieses Mal schien es ehrlicher zu sein. Dann tauchte sie wieder auf und begann, sich erneut umzusehen. Brix konnte sie nirgendwo entdecken, dafür aber Nuala, der sie zulächelte, ebenso wie Caelyn, die gerade eben von einem der Sklaven angesprochen wurde, die in Begleitung der Flavia hergekommen waren. Mit langsamen Bewegungen, um das Opfer nicht zu stören, schob Siv sich an ein paar Leuten vorbei und zu Nuala hin, die ebenso wie sie in der Nähe ihres Herrn stand und das Opfer zu verfolgen schien. "Morgen", murmelte sie, so leise, dass es außer Nuala kaum jemand hören und schon gar nicht stören dürfte.

    Irgendwie musste Siv sich schließlich doch ein kleines Grinsen verkneifen, als Charis’ Staunen so gar nicht enden wollte. Die Sklavin war über die Maßen beeindruckt, und im Gegensatz zu Siv an ihrem ersten Tag hier – an dem sie auch beeindruckt gewesen war –, hatte sie offenkundig kein Problem damit zu zeigen, wie wie sehr. Siv hätte sich lieber die Zunge abgebissen und ihr Gesicht irgendwie unkenntlich gemacht als zuzugeben oder sich auch nur anmerken zu lassen, welchen Eindruck die Pracht auf sie machte. Natürlich hatte man trotzdem merken können, dass sie etwas derartiges noch nie gesehen hatte, aber sie hatte immerhin dagegen gekämpft, und sie hatte sich von dem Staunen nicht überwältigen lassen. Vielleicht wäre es leichter gewesen, hätte sie es zugelassen. Sie hätte dann zumindest die Pracht mehr genießen können.


    Charis’ Art, ihr Staunen, ihr Wundern, hatte fast etwas Kindliches an sich, fand Siv – was so gar nicht zu der Rolle passen wollte, in der sie sie am Vormittag noch gesehen hatte und in der sie der eifersüchtige Teil in ihr insgeheim immer noch sah. Gespielin für Corvinus. Uagh. Und schon hatte die Germanin kein Problem mehr damit, das Grinsen zu unterdrücken, weil es keines mehr zu unterdrücken gab. Ärgerlich zog sie die Nase kraus, und sie wusste gar nicht, woher der plötzliche Ärger kam – wegen dem, weshalb Corvinus Charis vermeintlich gekauft hatte, wegen Charis, die so überhaupt kein Problem damit zu haben schien, dass sie von Corvinus gekauft worden war, oder wegen sich selbst, weil ihre Laune wieder mal durch die Decke schoss und ihre unbegründete – jedenfalls ging sie stark davon aus, sonst würde es wirklich Ärger geben, das schwor sie sich – Eifersucht brodelte. Mitten in diese Stimmung platzte Charis mit ihrer Frage. "Meine Aufgabe?" Sivs Stimme klang… nun ja, etwas spitz. Wobei, so viel musste sie Charis gestatten, die Frage kam ihr eigentlich ganz recht, da konnte sie der anderen Sklavin gleich erzählen, was deren Aufgaben nicht sein würden… Gerade noch rechtzeitig dachte Siv an Brix und was er gesagt hatte. Was er erwartete. "Ich bin Leibsklavin. Von Corvinus", sagte sie schließlich nur, obwohl ihr noch etwas ganz anderes auf der Zunge lag. Ihr Tonfall klang etwas seltsam, bemüht um Ruhe, bemüht darum, die Spitze ebenso zu unterdrücken wie die Grummeligkeit, die sie erfüllte, wenn sie an Brix dachte, der einfach viel zu genau wusste, wie er sie dazu kriegte zu tun, was er wollte. Packt die Germanin bei ihrer Ehre, dachte sie säuerlich. Verderbt ihr den Spaß. Ganz toll. "Außerdem, ich bin zuständig für Garten. Für Pflege, Pflanzen, alles. Und ich helfe Brix."

    Louan schien sie nicht gehört zu haben, jedenfalls reagierte er nicht, und Siv bestand nicht auf einer Antwort, wurde doch aus Caelyns Reaktion nur zu offenbar, dass er tatsächlich der Schuldige war. Siv schnitt ihm noch eine leichte Grimasse und griff dann wieder nach ihrem Becher, um einen Schluck Saft zu trinken, während sie sich langsam wieder setzte. Ihr Blick schweifte durch den Raum, beobachtend, aufnehmend, was nur allzu offensichtlich war. Gleich gesellte sich zu gleich. Die Römer unterhielten sich miteinander, die Sklaven ebenso – getrennt voneinander. Auch die Saturnalien konnten nicht die Unterschiede aufheben, die das restliche Jahr vorhanden waren. Ihr Blick glitt weiter, streifte die Schriftrolle, die sie beiseite gelegt hatte, und kurz fragte sie sich, wie die anderen wohl reagieren würden, wenn sie sie jetzt zur Hand nahm und einfach weiterlas. Das Essen war noch nicht fertig, jeder – nun, fast jeder – befand sich in einer Unterhaltung, keiner achtete auf sie. Aber der Gedanke war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Es wäre schlicht unhöflich gewesen, und ein offensichtlicher Ausdruck von Desinteresse. Nicht, dass sie wirklich im eigentlichen Sinne Interesse an diesem Abend hatte, oder Lust… Aber sie war auch nicht desinteressiert. Sie war nur… Siv unterdrückte ein Seufzen und schob die Grübeleien weg. Sie zog sich viel zu sehr zurück in letzter Zeit, und das wusste sie auch. Sie hatte sich schon immer gern zurückgezogen, hatte schon immer gern Zeit allein verbracht, aber früher war das etwas anderes gewesen, früher war es nicht das Alleinsein gewesen, das sie gesucht hatte, sondern andere Dinge, hatte einfach in der Natur sein wollen, an einem von ihren Plätzen, unter der alten Eiche sitzen und den Geschichten lauschen, die deren Blätter im Wind erzählen, oder in dem Birkenhain, wo eine kleine Quelle in einem munteren Plauderton singt. Sie war nicht allein, wenn sie in den Wald gegangen war. Erst recht nicht, wenn sie in den Wald geritten war. Nein, etwas hatte sich verändert, in ihr, sie hatte häufiger den Wunsch, für sich zu sein, und wenn sie sich zurückzog, dann aus anderen Gründen – früher hatte sie ein Ziel gehabt, war gegangen, weil sie wohin gewollt hatte, und nicht um die Gesellschaft anderer zu meiden. Jetzt war es… nicht exakt umgekehrt, aber Fakt war doch, dass sie häufiger allein sein wollte um des Alleinsein willens. Sie hob ihre Augen wieder von der Schriftrolle, ließ ihren Blick erneut durch den Raum schweifen und lächelte zaghaft Prisca zu, die momentan ebenso wie sie einfach nur schweigend die Anwesenden beobachtete, während sie mit halbem Ohr der Unterhaltung von Caelyn und Celerinas Sklaven zuhörte, die neben ihr saßen.

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    Siv schwieg einen Moment auf die Frage hin, und das war nur zum Teil der Überraschung geschuldet, die sie spürte, als die Aurelia sich gleich darauf dafür entschuldigte. Die Germanin hätte nicht erwartet, dass Prisca ihre Frage als zu aufdringlich empfand, jedenfalls nicht einer Sklavin gegenüber. Und erst recht keine Entschuldigung, selbst wenn es so war. Die Antwort auf Priscas Frage hingegen war klar – vielleicht nicht das, was die Römerin erwartete oder hören wollte, aber dennoch klar. "Nein", antwortete Siv nach einem Augenblick ruhig. Sie hatte gelernt, ihn zu mögen – sie hatte ihn vorher schon sympathisch gefunden, immerhin war mit einem ihrer Brüder befreundet gewesen, und nachdem sie irgendwann aus ihrer Trotzphase heraus gewesen war, hatte sie festgestellt, dass sie ihn wirklich mochte. Und sie hatte gelernt, ihn zu respektieren. Ihn wertzuschätzen. Aber sie hatte ihn nicht geliebt. "Nein", wiederholte sie. "Ich habe ihn nicht geliebt." Sie zuckte leicht die Achseln und ließ ihren Blick über die Papyrusrollen auf dem Tisch schweifen, unsicher, ob sie die Reaktion der Aurelia sehen wollte oder nicht. Zumindest in den Kreisen der Römerin spielte Liebe ebenso wenig eine Rolle wie es bei ihrer eigenen Heirat getan hatte, so viel wusste sie. Was das betraf, war es in Germanien nicht wirklich anders. Je mehr die Familie zu sagen hatte innerhalb einer Sippe, eines Stammes, desto weniger hatten die Kinder, speziell die Mädchen, mitzureden, wenn es darum ging wen sie zu heiraten hatten. In Rom wurde nur scheinbar länger damit gewartet als in Germanien. Sie selbst war mit 15 eines der ältesten noch unverheirateten Mädchen gewesen, als ihr Vater schließlich ein Machtwort gesprochen und sie ohne ihr Einverständnis – welches er in den Jahren zuvor verzweifelt zu bekommen versucht hatte – versprochen hatte.


    Etwas betroffen hörte die Germanin dann die dumpf, beinahe verzweifelt klingende Antwort der Aurelia, während sie, erneut beinahe überrascht, feststellte, dass sie sogar etwas gemeinsam hatten. Keine Mutter. Niemand, mit dem sie wirklich reden konnte. Jedenfalls über derartige Themen. Aber sie hatte immerhin Brüder gehabt, und sie hatte genug mitbekommen, wenn auch nicht unbedingt auf die Art, auf die eine Mutter oder ältere Schwester es ihr beigebracht hätte. Und Prisca hatte Cousinen hier, mit denen sie die Zeit verbrachte, die zwar nicht mehr wussten als sie, scheinbar, aber Freundinnen waren… Nein, vielleicht doch nicht so viel Gemeinsamkeiten. Siv hatte nie wirklich Freundinnen gehabt. In dem Moment wurden sie beide abgelenkt durch die Schriftrolle die Siv in den Händen hielt. Die Germanin legte den Papyrus schließlich flach auf den Tisch, strich ihn glatt und stützte sich dann mit einer Hand auf, um ihn genauer zu betrachten. Sie teilte Priscas Meinung. Das konnte einfach nicht sein. "Übertrieben", stimmte sie zu, während sie den Kopf etwas schief legte und ihre Unterlippe halb zwischen die Zähne zog. "Das muss sein. Oder… Nein." Nicht von ihren Erfahrungswerten. Nicht dass sie sonderlich viele hatte, aber sie wagte zu bezweifeln, dass es derartige Unterschiede gab. Plötzlich sah Siv wieder auf und musterte Prisca. "Wenn du willst reden… Ich kann erzählen, was. Wenn du willst." Siv schwieg abrupt und wandte ihren Blick wieder zu der Zeichnung, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte. Angeboten hatte. Prisca war eine Römerin, nicht direkt ihre Herrin, aber doch eine der Herrinnen. Und sie war Sklavin. Sie hatten keine Gemeinsamkeiten. Und doch, irgendwie hatte sie ihr gerade eben leid getan, als sie so leise und tonlos darüber gesprochen hatte, dass sie niemanden hatte, mit dem sie hätte reden können. Siv räusperte sich. "Ich weiß, ich bin Sklavin. Ich… Hrm. Trotzdem. Du, wenn du nicht willst, dann… vergiss. Aber wenn…" Sivs Stimme verstummte erneut, während sie darauf wartete, dass Prisca reagierte.

    Es war noch vergleichsweise früh, und doch hatte Siv das Gefühl, als hätte sie einen langen Tag hinter sich. Einen langen, anstrengenden Tag. Vielleicht war auch entmutigend das richtige Wort. Sie konnte es nicht genau sagen, aber sie fühlte sich… müde, und das nicht nur auf einer körperlichen Ebene.


    Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, Corvinus bereits am Vortag zu begleiten nach Ostia, auch wenn es für sie nicht wirklich viel zu tun gegeben hatte. Sie hatte geholfen, ihm, am Morgen, beim Baden, beim Einkleiden. Sie hatte sich nicht anmerken lassen, wie es ihr ging, oder besser: sie hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber wie erfolgreich sie dabei gewesen war, wusste sie nicht so genau. Er kannte sie zu gut, inzwischen, argwöhnte sie. Und davon abgesehen war es vermutlich nicht schwer zu erraten für ihn, wie es ihr heute gehen mochte. Heute, wo er die Flavia heiratete. Unwillkürlich strich ihre Hand über ihren immer noch flachen Bauch. So viel war geschehen, und das innerhalb so kurzer Zeit. Der Gedanke, dass Corvinus ab heute verheiratet sein würde, tat ihr weh – sicherlich, sie hatte ihm mehr als einmal versichert, dass es ihr nichts ausmachte, nicht an seiner Seite sein zu können. Nicht seine Frau zu sein. Und das stimmte auch – aber gleichzeitig stimmte es nicht. Sie hatte nicht das geringste Bedürfnis danach, die Dinge zu tun, die von einer Römerin offenbar erwartet wurden. Aber sie wünschte sich, sie könnte die sein, mit der er Zeit verbringen konnte, und das, ohne es irgendwie vertuschen oder schön reden zu müssen, ohne Verpflichtungen oder Bedingungen. Siv machte sich nichts vor. In dem Moment, indem die Flavia zu ihnen zog, würde das nur schlimmer werden, schon allein weil Corvinus ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen haben würde. Ihnen beiden gegenüber. Mehrmals hatte sie sich schon bei dem Gedanken ertappt sich zu wünschen, er wäre nicht ganz so aufrichtig, nicht ganz so… bemüht darum, stets das Richtige zu tun, aber dann musste sie wieder daran denken, dass sie ihn kaum so sehr lieben würde, wenn er nicht wäre, wie er nun einmal war. Er würde ein schlechtes Gewissen haben. Er würde versuchen, es recht zu machen, irgendwie, und Siv wusste, dass das letztlich auch auf ihre Kosten gehen würde. Weniger Zeit, die sie miteinander verbringen konnten. Melancholische Gedanken, die die Stimmung trüben würden, wenn sie zusammen waren. Siv seufzte lautlos und strich ein letztes Mal über die Tunika, die sie trug, ebenso in rot-gold gehalten wie die der anderen Sklaven, die auf dem Schiff bedienten, aber um ihren Status als Leibsklavin hervorzuheben, war ihre festlicher, aus feinerem, roten Stoff, mit grazilen goldenen Verzierungen. Ihre Haare waren in einem für ihre Verhältnisse komplizierten Muster am Hinterkopf zusammengesteckt, nur wenige Strähnen wanden sich daraus hervor und fielen über ihren Rücken hinab, während sich andere, kürzere um die Ohrhänger kringelten, die von ihren Ohrläppchen baumelten. Das Kettchen mit dem Anhänger, den sie von ihm bekommen hatte, vollendete ihr Aussehen. Es war immer noch deutlich, dass sie Sklavin war, aber ebenso deutlich wurde auch, dass sie nicht zu den Sklaven gehörte, die heute arbeiten mussten. Sie würde das tun, was sie sonst auch tat, wenn sie Corvinus irgendwohin begleitete – in seiner Nähe sein, darauf achten, was er wollte. Wobei sie bezweifelte, dass er heute sie in Anspruch nehmen würde, wenn er etwas brauchte. Trotzdem würde es das sein, was sie tun würde. Nach feiern war ihr sicherlich nicht zumute. Aber ebenso wenig würde sie etwas tun, was ihm den Tag verderben würde. Es war ihre Entscheidung gewesen, und sie konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie sie darüber gesprochen hatten. Wie er beinahe darum gebeten hatte, sie möge sich anders entscheiden. Sie hatte nicht auf ihn gehört. Sie war überzeugt davon gewesen, dass es richtig war, was sie tat, und das war sie noch. Es war an diesem Tag nur schwerer war als sonst, damit zu leben. Das war alles.


    Als sie schließlich am Hafen eintraf, war Corvinus schon längst dort. Zusammen mit ein paar anderen hatte sie ihm beim Herrichten geholfen, und dann war er schon losgezogen, während die Sklaven sich noch selbst hergerichtet hatten. Absichtlich hatte sie lange genug gebraucht, dass die anderen schon vorgegangen waren. Sie würde an diesem Tag noch lange genug in Gesellschaft verbringen müssen, obwohl sie sich eigentlich am liebsten in der Villa in Rom verkriechen wollte, im Stall bei Idolum, und jeden Gedanken daran, was heute passierte, ausblenden. Sie wollte jeden Moment nutzen, den sie herausschlagen konnte, um allein zu sein. Aber auch dann, als die anderen schon gegangen waren, hatte sie noch getrödelt, nicht unbedingt absichtlich, jedenfalls nicht bewusst, aber unbewusst hatte sie sicherlich den Moment hinauszögern wollen, in dem sie selbst losgehen musste, zu dem Schiff, auf dem die Hochzeit stattfinden würde. Siv seufzte lautlos. Ausgerechnet auf einem Schiff. Es würde keine Möglichkeit für sie geben zu fliehen, wenn es zu viel werden würde. Auf dem Schiff hatte sie keine andere Wahl, als sich so lange unter Kontrolle zu behalten, wie es dauern würde. Einen kurzen Moment hielt sie inne, dann straffte sie die Schultern und bemühte sich um einen einigermaßen festen Schritt, ebenso wie einen sorgfältig kontrollierten Gesichtsausdruck, der so neutral wie möglich war, damit er nichts verriet von dem, was in ihr vorging. Sie schaffte es gerade mal ein paar Schritte weit, bevor sie erneut, diesmal abrupt, stehen blieb, während ihr ihr Gesichtsausdruck entglitt. Ihre Augen weiteten sich, während ihre Lippen sich um eine Winzigkeit öffneten, als sie das Schiff sah. Genauer gesagt, den Namen, der es zierte. Nordwind. Siv atmete ein. Die Luft strich durch ihre leicht geöffneten Lippen hindurch, über die Zunge, die das Salz in der Seeluft schmecken konnte, hinab in ihre Lungen, die sich weiteten und die Brust hoben. Nordwind hatte er sein Schiff getauft. Nicht den Bruchteil eines Augenblicks zweifelte Siv daran, dass er an sie gedacht hatte, als er sich für diesen Namen entschieden hatte. Etwas in ihrer Brust zog sich schmerzhaft zusammen, als die Sehnsucht überhand nahm, die sie ebenso sorgfältig zu kontrollieren versuchte wie ihre Miene. Sie schloss die Augen, und ihre bis gerade noch leicht bebenden Finger krümmten sich und schlossen sich zu Fäusten. Mehr denn je wünschte sie sich, sie könnte einfach gehen, nicht alleine, sondern mit ihm. Mehr denn je war ihr bewusst, dass sie das nicht konnte. Sie war sich sicher, dass sie davon kommen würde, wenn sie die ganzen Hochzeitsfeierlichkeiten einfach sein ließ und verschwand. Nach Rom zurückkehrte und sich verkroch, bis alles vorüber war. Corvinus würde sie nicht bestrafen, nicht dafür, dass sie nicht zusehen wollte, wie er heiratete. Er hatte sie nicht gezwungen, heute anwesend zu sein, und auch wenn sie sich jetzt noch umentschied, würde das keine Konsequenzen für sie haben, davon war sie überzeugt. Aber sie konnte nicht. Jetzt noch weniger als zuvor. Auch wenn es schwierig war, letztlich zählte doch, dass er sie liebte, und das zeigte er ihr immer wieder, in Blicken, Berührungen, kleinen Gesten – und gelegentlich großen. Nordwind. Die Fäuste öffneten sich langsam, und eine Hand hob sich. Fingerspitzen legten sich sacht auf den Anhänger an ihrem Hals, während ihre Brust sich erneut unter einem tiefen Atemzug hob. Es war an diesem Tag nur schwieriger als sonst. Das war alles.


    Mit dieser lautlosen Versicherung öffnete Siv wieder die Augen und betrat schließlich das Schiff, wo sie sich unter die bereits anwesenden Gäste mischte und hindurch schlängelte, die Rufe ignorierend, die verkündeten, dass auch die Braut gerade eben erst eingetroffen war, bis sie schließlich Corvinus erreichte, in dessen Nähe sie stehen blieb, ihre Haltung gerade, ihr Gesicht eine ruhige Maske, die jedoch von Zeit zu Zeit Risse aufzuweisen schien. Er sah sich gerade suchend in der Menge um, und Siv überlegte, ihn auf sich aufmerksam zu machen – eine vorbildliche Leibsklavin, nicht mehr und nicht weniger wollte sie heute sein, das hatte sie sich vorgenommen, aber Corvinus befand sich in keinem Gespräch, das sie hätte unterbrechen können. In diesem Moment schien sein Blick sie jedoch zu streifen, und so nickte sie ihm leicht zu. Unwillkürlich zuckten ihre Mundwinkel etwas nach oben, formten ein vages Lächeln, als im nächsten Augenblick seine Aufmerksamkeit schon wieder abgelenkt wurde, diesmal ganz offensichtlich durch Celerinas Ankunft. Für einen Moment schien es ihr, als ob ihre Gesichtszüge ebenso wie ihre Lunge einfroren, dann holte sie tief Luft und bemühte sich wieder um eine neutrale Miene, während sie nun ihrerseits ihren Blick schweifen ließ. Sie sah einige bekannte Gesichter, aber sie suchte nach Brix, und sie hoffte, dass auch er heute nicht wirklich arbeiten musste, sondern Zeit hatte.

    Corvinus reagierte kaum auf ihre Anwesenheit, blinzelte schwach, rührte sich aber ansonsten nicht wirklich. Erst als sie mit ihren Fingern über sein Gesicht strich, kam etwas Bewegung in ihn, und er griff nach ihrer Hand legte sie sich auf seine Stirn, die tatsächlich glühte. Siv zog besorgt die Augenbrauen zusammen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Corvinus je so ein hohes Fieber gehabt hätte. Hunger hatte er keinen, und sie nickte, obwohl sie bezweifelte, dass er das überhaupt bemerkte. Ihm etwas zu essen zu bringen hatte dann keinen Sinn, denn in seinem Zustand würde sie ihm kaum etwas aufzwingen können, wenn er nicht wirklich wollte.


    Obwohl es einiges gab, was zu holen war, blieb Siv sitzen, solange er ihre Hand festhielt. Erst als er sie losließ – sie spürte selbst, wie unangenehm warm die Haut geworden war, strich sie ihm noch einmal sacht über das Gesicht, bevor sie sich erhob und von dem Tisch die Karaffe mit Wasser holte. Nach kurzem Betrachten des Saums ihrer Tunika wandte sie sich dann noch einmal um und holte das kleine Handtuch, das bei der Waschschüssel lag, ebenso wie die Schüssel selbst. Über das Stadium, indem sie ihre Kleidung zerrissen hatte in scheinbarer Ermangelung anderer Alternativen, war sie nun wohl endgültig hinaus :D Sie goss frisches Wasser in die Schüssel und tunkte anschließend das Handtuch hinein, wrang es vorsichtig aus, so dass es nicht mehr tropfte, und legte es ihm dann gefaltet über die Stirn. "Hör zu, ich hole etwas, ein paar Sachen." Sie sprach langsam, während sie ihm erneut sacht über die Wange streichelte. Sie war sich nicht wirklich sicher, ob er überhaupt verstand, was sie sagte, aber sie hoffte, dass allein schon ihre Stimme eine beruhigende Wirkung hatte. "Aufguss, und Steine, gegen das Fieber. Neues, Decke für Bett. Wasser. Ich bin gleich wieder da." Sie beugte sich zu ihm hinab und hauchte einen Kuss auf seine Wange, dann stand sie erneut auf. Für einen Augenblick überlegte sie, eines der Fenster einen Spaltbreit zu öffnen, aber so lange keiner hier war und ihn im Blick hatte, war es besser er schwitzte noch ein wenig, fand sie, als dass er anfing zu frieren und das Fieber dadurch noch schlimmer wurde.


    In der Küche angekommen, war nicht nur Niki anwesend, sondern auch Nuala. Kurz klärte sie beide auf. "Corvinus ist krank. Richtig, mit Fieber sehr hoch. Niki, haben wir heiße Steine?" Die Köchin nickte. Im Winter waren erhitzte Steine in der Küche immer vorrätig, und Niki ging, ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, zur Feuerstelle hinüber, um die Steine in einen dafür vorgesehen Korb zu packen. Während Siv ein paar Kräuter zusammensuchte und begann den Aufguss vorzubereiten, wandte sie sich an Nuala – auf Germanisch, weil es so viel bequemer war und sie im Moment nicht den Nerv hatte, auf Latein nach Worten zu suchen, wenn sie auch in ihrer Muttersprache reden konnte. "Nuala, kannst du frisches Bettzeug holen und damit zu Corvinus’ Cubiculum kommen? Am besten gleich zwei mal, wir werden das in der Nacht sicher wechseln müssen." Niki verzog leicht das Gesicht, als sie Siv schon wieder Germanisch reden hörte, sagte aber nichts dazu, sondern meinte nur. "Da, die Steine. Lass mich den Aufguss machen, ich bring ihn dann vorbei, wenn er fertig ist. Wenn der Dominus so krank ist, solltest du ihn nicht so lang allein lassen." Siv lächelte. "Danke, Niki, Nuala." Sie nickte beiden zu, schnappte sich den Korb mit den Steinen und machte sich wieder auf den Weg zu Corvinus’ Cubiculum, das sie kurz darauf erreichte.

    Dina war gerade drauf und dran nachzuhaken, was Siv denn diesmal von sich gegeben hatte, da funkte Caelyn dazwischen. Und Dina – nach einem kurzen Moment des Innehaltens oder eher: der Absprache mit Rollo – nickte freudig und hüpfte schon wieder von dem Karren hinunter, um ins Haus zu gehen und dort nachzusehen. Siv neigte sich zur Seite, als Dina an ihr vorbeisprang, und rutschte dann ein Stück auf zu Caelyn. "Danke", seufzte sie, und dieses eine Wort kam aus tiefstem Herzen. Dina schien ihre Aufgabe offensichtlich sehr ernst zu nehmen, und Rollo noch viel mehr. Die Germanin musste sich zusammenreißen, um Corvinus das nicht anklagend vorzuhalten oder wenigstens vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen – aber sie riss sich zusammen. Sie wusste nur zu genau, dass es ihm im Grunde überhaupt nicht Recht war, dass sie mitfuhr, noch dazu, wo er selbst hier blieb. Sie wollte ihm keinen Grund liefern, ihr die Reise doch noch zu verbieten. Wenn er wüsste, wie übel ihr augenblicklich war, würde er sie ohnehin hier behalten, also war es besser, ihre Energie darin zu investieren, ihren Magen unter Kontrolle zu behalten, jedenfalls solange er noch da war, anstatt ihm wegen Dina Vorwürfe zu machen.


    Einen Augenblick presste Siv erneut die Hand auf den Magen und legte den Kopf leicht auf die Seite. Für einen Moment wirkte sie fast, als lausche sie in sich hinein. Dann jedoch ließ auch diese Übelkeitswelle nach, und Siv hob den Kopf wieder und lächelte Caelyn dankbar an. "Kannst du Dina öfter wegschicken, auf der Weg, nach Mantua? Ich glaub, das ist viel, zu viel, für mich. Sie und Rollo." Die Germanin grinste schief.

    Siv erholte sich von ihrem Hustenanfall, und während Louan ebenfalls anfing zu kichern – und die Germanin zu begreifen begann, wie Caelyns Frisur zustande gekommen sein mochte –, antwortete Corvinus auf ihre Frage. Mit einem schiefen Grinsen zuckte Siv leicht die Schulter, rollte dann den Papyrus zusammen und legte ihn beiseite, um sich zu erheben. "Warte mal", murmelte sie, dann begann sie versonnen an den Haaren der Keltin herumzuzupfen, während weitere Gäste das Triclinium betraten, jedes Mal halb abwesend antwortend, wann immer jemand frohe Saturnalien wünschte. Sie war noch dabei, Strähnchen für Strähnchen die Frisur in eine Form zu bringen, die kaum in klassischem Sinne als schön bezeichnet werden konnte, aber doch als zwar extravagant, aber annehmbar durchgehen mochte, als Leone den Raum betrat – und hinter ihm eine Frau, die Siv für einen Moment erstarren ließ. Flavia Celerina.


    Die Germanin hatte sich zu gut unter Kontrolle, um sichtbar zusammenzuzucken. Caelyn allerdings dürfte das plötzliche Verkrampfen ihrer Finger in ihren Haaren in durchaus schmerzhafter Weise gespürt haben. Sie hatte gewusst, dass Celerina kommen wollte, aber sie hatte gedacht, sie würde erst später auftauchen, irgendwann im Lauf des Abends. Möglicherweise erst, wenn sie sich schon zurückgezogen hatte. Aber nicht schon vor dem Essen. Sivs Blick streifte die Flavia, dann den Sklaven, den sie im Schlepptau hatte. "Io Saturnalia", antwortete sie auch auf ihren Gruß hin, dann drohten ihre Finger sich schon wieder zu verkrampfen, als Corvinus der Flavia den Platz neben sich zuwies. Einen Augenblick noch sah sie hinüber, dann riss sie sich los und konzentrierte sich wieder auf Caelyns Frisur, die allerdings nicht mehr wirklich Zupferei benötigte. "So. Jetzt", meinte sie nur einen Moment später und ließ die Hände sinken. "Das warst du, oder?" murmelte sie dann Louan zu und schnitt ihm eine amüsierte Grimasse, gerade als Corvinus wiederkam.

    Es war noch gar nicht so lange her, dass Siv aus Mantua wiedergekehrt war, und ihr war von Anfang an aufgefallen, dass Corvinus nicht sonderlich gut aussah. Siv hätte es am liebsten gesehen, wenn er sich gleich ins Bett gelegt und auskuriert hätte, aber Corvinus gehörte zu den Menschen, die sich von so etwas kaum beirren ließen, sondern einfach weiter arbeiteten – so lange, bis sie entweder irgendwann wieder gesund waren oder es sie komplett flach legte. Was Siv an diesem Verhalten etwas störte war die Tatsache, dass er zweierlei Maß anlegte. Wenn es ihr schlecht ging, verlangte er regelrecht von ihr, sich auszuruhen, da konnte sie ihm noch sehr sagen, dass es nicht schlimm war, und seit sie schwanger war, musste es ihr dafür noch nicht einmal schlecht gehen. Auch diesmal hatte sie versucht, ihn dazu zu bewegen sich auszuruhen, und auch diesmal hatte es, wie üblich, nicht funktioniert. Also hatte sie nur versucht darauf zu achten, dass er wenigstens etwas Ruhe bekam, was ihr allerdings nur mittelmäßig gelungen war, war Corvinus doch in den letzten Tagen häufig unterwegs gewesen.


    Als sie an diesem Abend nun in ihre Kammer ging, nachdem sie mit Brix die Vorratslisten durchgegangen war, hatte sie nicht wirklich eine Ahnung, wo Corvinus steckte. Sie hatte ihn schon den ganzen Tag nicht gesehen und vermutete, dass er wohl unterwegs war – als sie aber aus seinem Zimmer ein Geräusch hörte, sah sie auf und runzelte die Stirn. Es war dunkel bei ihm, was sie davon hatte ausgehen lassen, dass er noch fort war, denn wäre er da, würde er noch arbeiten – so spät war es bei weitem noch nicht, dass er sich schon schlafen gelegt hätte. Mit der linken angelte Siv sich die Öllampe und öffnete dann die Tür zu dem Cubiculum, um hineinzusehen. Im nächsten Moment war sie auf dem Weg zu Corvinus’ Bett. "Hey." Ihre Stimme war ebenso besorgt wie ihr Gesichtsausdruck, als sie sich an seiner Seite auf der Bettkante niederließ und mit kühlen Fingern über sein Gesicht strich. Corvinus schien regelrecht zu glühen, und ein schneller Griff zeigte ihr, dass seine Decke annähernd durchgeschwitzt war. "Du brauchst neues, für das Bett. Ich hole das. Und Wadenwickel. Heiße Steine. Irgendein Kräuteraufguss, Weidenrinde oder so", murmelte sie mehr zu sich selbst. Das Beste war immer noch, das Fieber herauszuschwitzen, aber dann würde die Nacht über jemand bei ihm bleiben und regelmäßig das feuchte Bettzeug wechseln müssen. Die Schale mit der Hühnerbrühe fiel ihr ins Auge, aber als sie sie berührte, merkte sie dass diese kalt war. "Was ist mit Magen? Ist schlecht? Oder hast du Hunger? Ich hole neue, dann." Er musste eigentlich etwas essen, aber Siv wusste auch, dass es wenig brachte, wenn sie ihn dazu zwang etwas hinunterzuwürgen.

    Zwei, drei Tage also nach Mantua. Zwei oder drei Tage, die sie auf dem Karren würde verbringen müssen. Siv unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht ergab sich ja doch eine Gelegenheit zum Reiten, was sollte denn schon passieren, wenn sie Idolum nur im Schritt gehen ließ… Siv zwang sich, diesen Gedanken zu unterbrechen. Sie merkte schon, wo das hinführen würde – wenn sie so anfing zu denken, dann saß sie irgendwann auf Idolum, ließ ihn im Schritt gehen und dachte sich wahrscheinlich: was konnte es denn schaden, wenn sie ein bisschen schneller ritt… und am Ende war sie am Galoppieren. Und das war einfach zu gefährlich. Sie war eine gute Reiterin, aber auch die Besten konnten herunterfallen. Besser, sie gewöhnte sich an den Gedanken, dass sie auf dem Karren sitzen würde, und fertig.


    Entgegen ihrer Erwartung nahm er sie schließlich dann doch wieder in den Arm und zog sie heran, und Siv schmiegte sich an ihn. Immer noch hatte sie das Gefühl einer gewissen Distanz zwischen ihnen, immer noch fühlte sie sich nicht wirklich wohl damit, dass er sich vor ihr verschloss und seine Gedanken nicht mit ihr teilte, aber sie sehnte sich zu sehr nach ihm, als dass sie sich jetzt von ihm fortgedreht hätte. Dennoch war ihr Blick traurig, als sie ihren Kopf an seine Schulter legte. "Ja", murmelte sie, während sie langsam die Augen schloss und ihre Mundwinkel kurz nach oben zuckten, als sie seine Nase in ihren Haaren spürte. "Lass uns schlafen."

    Eine Hand wanderte zu ihrem Bauch und legte sich in einer unbewussten Geste darauf, während Siv die Zähne zusammenbiss und gegen die nächste Übelkeitswelle ankämpfte. Sie winkte nur ab, als Dina sie zum Wagen ziehen wollte, und blieb noch einen Moment stehen, bevor sie ebenfalls nach vorne ging. Corvinus schien sie zu ignorieren, was ihre Laune auch nicht unbedingt besserte, während Dina einem Wasserfall gleich auf Caelyn einredete und Louan gerade versicherte, sie würden auf sie aufpassen. Hätte Siv nicht immer noch mit ihrer Übelkeit zu kämpfen gehabt, hätte sie ihm am liebsten etwas gegeben von wegen aufpassen, aber augenblicklich sah sie sich noch nicht einmal dazu imstande, überhaupt etwas zu sagen. Mit aufeinander gebissenen Zähnen ignorierte sie Dinas hilfreich ausgestreckte Hand, sondern kletterte selbst auf den Wagen, aber erst als sie saß und einen tiefen Atemzug getan hatte, bekam sie ihre Zähne wieder weit genug auseinander, um etwas sagen zu können. "Auf mich muss keiner aufpassen. Das kann ich schon allein." Latein fand sie definitiv zu anstrengend im Moment. "Was hast du gesagt?" fragte Dina prompt nach, aber Siv winkte nur erneut ab. Es hätte auch nichts gebracht, es auf Latein zu wiederholen, denn spätestens Louans Versicherung in Richtung Corvinus hatte deutlich gemacht, dass sich scheinbar jeder zweite dazu berufen fühlte, auf sie aufzupassen.


    Wenn es nur so einfach gewesen wäre. "Na komm, sag schon!" Dina machte nicht den Eindruck, dass sie so leicht locker lassen würde, und Siv seufzte lautlos und hob leicht eine Schulter. "Ich kann aufpassen. Auf mich. Allein", wiederholte sie schließlich auf Latein, und nach einem Augenblick, in dem Dina sie mit einem leicht abwesenden Gesichtsausdruck einfach nur angesehen hatte, grinste diese. "Rollo ist da anderer Meinung." Siv murmelte einen Fluch. "Rollo kann mich mal."

    Siv musterte Charis unauffällig von der Seite, und es wurde recht schnell recht deutlich, dass sie sehr beeindruckt war von dem, was sie sah. Die Sklavin schien sich kaum Mühe zu geben, ihr Staunen in irgendeiner Form zu verhehlen. Siv selbst war immer noch unentschlossen. Sie wusste nicht, was sie von der anderen halten sollte, oder davon, dass Corvinus sie gekauft hatte, und sie hatte immer noch keine Ahnung, wo sie eigentlich eingesetzt werden sollte. Sie folgte Brix ins Haus, der bereits vorgegangen, aber dann doch im Atrium noch kurz aufgehalten worden war und mit einem anderen Sklaven sprach. "Also, hm, das hier… ist das Atrium." Siv machte eine Geste mit ihrem rechten Arm, die den Raum umfasste. Sie kam sich etwas blöd dabei vor, schließlich war es offensichtlich, was dies für ein Raum war – römische Häuser waren recht einfallslos, was das betraf, fand sie, und ignorierte geschickt, was man über germanische Hütten hätte sagen können. Charis’ offensichtliches Staunen führte dazu, löste in Siv den Wunsch aus, Aspekte an der Villa zu finden, die sie nichts mehr Besonderes mehr sein ließen, warum, war ihr selbst nicht so ganz klar. Dem Gedanken, dass es ihr womöglich nicht passte, wenn Charis es hier zu gut gefiel, verweigerte sie jeglichen Raum in ihrem Kopf.


    Als Charis das Wort ergriff und ihn dabei auch ansprach, sah Brix kurz hoch, schickte dann den Sklaven weg und kam kurz zu ihnen herüber. "Wenn du dich gut benimmst, ist er ein guter Herr", antwortete er mit einem leichten Lächeln. "Ich muss weiter, Siv wird dir alles zeigen. Später können wir dann reden, wenn es um deine Aufgaben hier geht." Damit verschwand der Maiordomus endgültig in einem der Gänge. Siv, die schon gehofft hatte, Brix würde doch bleiben, seufzte lautlos und zwang sich dann zu einem Lächeln. "Brix hat Recht", antwortete sie dann ebenfalls. Für einen winzigen Moment kramte sie in ihrem Gedächtnis nach Horrorgeschichten, die sie über Corvinus hätte erzählen können, aber Lügen kam für sie nicht in Frage, und davon abgesehen würde Charis bald genug merken, dass Corvinus ein guter Herr war, im Vergleich zu vielen anderen. "Er ist… nett. Wenn du arbeitest, gut Arbeit machst, und so. Leben ist gut, hier." Sie hatte eine Sonderstellung, nicht nur, weil sie inzwischen Leibsklavin war, und das wusste sie auch – aber sie wusste auch, dass es den Sklaven allgemein gut ging in der Villa Aurelia, im Vergleich zu so manchen anderen römischen Haushalten.

    Siv war etwas irritiert, gelinde gesagt, als Corvinus sie so ungeniert betrachtete. Sie war es nicht gewöhnt, dass er das tat, oder sonst jemand, und sie war es auch nicht gewöhnt, so hergerichtet zu sein. Oder eine Tunika aus einem derart feinen Stoff zu tragen. Er schien zu rascheln, wenn sie sich bewegte, leise, kaum hörbar nur, aber sie nahm es wahr. Und er war so zart und fließend, dass sie beinahe das Gefühl bekam, sie hätte genauso gut gar nichts anhaben können, und es hätte keinen Unterschied gemacht – bis auf das Rascheln, natürlich. "Ja, eh", setzte sie dazu an zu antworten, aber in diesem Moment trat Prisca ein, und Siv verstummte. Ihre Finger drehten den Becher, während sie dem Gespräch lauschte und sich irgendwie fehl am Platz fühlte. Erst als Alexandros hereinschneite und sich zu ihr setzte, begann sie, sich etwas lockerer zu fühlen. Sie lächelte Prisca kurz zu, als sie bemerkte, dass die Aurelia sie musterte, und antwortete dann dem Griechen. "Die Stadtgründung. Ich war früh hier, und da, damit nicht langweilig ist, mir, bis jemand kommt, da habe ich das genommen. Sie ist spannend", fügte sie noch hinzu, um Corvinus’ Frage von zuvor zu beantworten.


    Danach schien es erst mal Schlag auf Schlag zu gehen. Ursus betrat den Raum, ihm folgten zwei ihr fremde Männer, Caelyn, Louan und schließlich Charis. Die Germanin erwiderte jedes Mal den Gruß und lächelte, nur um sich dann hinter ihrem Becher zu verkriechen und einen Schluck von dem Saft zu nehmen. Dann fiel ihr Blick erst wirklich auf Caelyn, und prompt verschluckte sie sich. Prustend schlug sie die Hand vor den Mund und fing an zu husten, während Alexandros begann, ihr auf den Rücken zu klopfen – zuerst irritiert, dann, nach einem Blick auf Caelyn, mit einem immer breiter werdenden Grinsen auf dem Gesicht. "Sag ma, wollte Saba was Neues ausprobieren, Caelyn?"

    Als er seine Hand, die er gerade eben erst auf ihre Brust gelegt hatte, schon wieder zurückzog, kaum dass sie danach gegriffen und ihre Finger mit seinen verschränkt hatte, erhöhte wieder die Anspannung in ihr. Seine Finger lösten sich von den ihren, ließen ihre Hand allein auf ihrem Brustbein liegen, während er die seine fortnahm. Siv holte Luft und schloss für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder öffnete, ging ihr Blick an ihm vorbei zur Decke. Sie konnte nicht sagen, was in ihm vorging, und es schmerzte sie, dass er sich zurückzog. Sie vertraute ihm, sie war bereit, die Zukunft ihres Kindes ihm anzuvertrauen, aber sie begriff nicht, warum er sie nicht einmal in seine Gedankengänge darüber mit einbezog. Und sie begriff noch viel weniger, warum er nun wieder auf Distanz zu ihr ging, wo sie doch deutlich gemacht hatte, dass sie trotz allem, trotz ihres Unverständnisses, trotz ihrer Ungeduld, bereit war, sich zu fügen. Zu warten, bis er das Für und Wider abgewägt hatte, bis er eine Entscheidung getroffen hatte, wie die Zukunft ihres Kindes aussehen sollte.


    Einen Augenblick lang blieb ihre Hand noch, wo sie war, dann glitt auch sie an ihrer Seite hinunter und kam auf der Decke zu ruhen. Sie lächelte vage, als Corvinus ihre Frage bejahte, und ein Teil von ihr freute sich zu hören, dass er auch mitkommen würde, aber es drang nicht wirklich ganz zu ihr durch. Da war immer noch diese Distanz. Er versuchte abzulenken, das wusste sie, und auch wenn sie ihn gut genug zu kennen meinte um auch zu wissen, dass er sie nun wohl kaum noch in den Arm nehmen würde, konnte sie doch nicht verhindern, dass sie sich genau danach sehnte. Etwas Nähe, nicht nur körperlich. Die wortlose Versicherung, dass ihr Vertrauen gerechtfertigt war, dass es ihrem Kind und ihr gut gehen würde, dass er tun würde, was er konnte, auch wenn er jetzt noch nicht sagen konnte, was möglich war. Ihr Blick streifte den seinen im Halbdunkel, und erneut bemühte sie sich um ein Lächeln. "Ja. Ehm. Ich meine nein. Ich werde nicht reiten", versicherte sie. Sie hatte nicht wirklich vor, dieses Risiko einzugehen, auch wenn sie nur zu gerne geritten wäre. Das Gefühl von Freiheit und gleichzeitig Geborgenheit, das sie stets hatte, wenn sie auf einem Pferderücken unterwegs war. Erneut schloss sie kurz ihre Lider, diesmal, weil sie an Idolum dachte, und das Lächeln, das nun über ihre Lippen flog, war zwar immer noch vage, aber ehrlich. "Nur auf dem Wagen, wie du. Wie lang ist der Weg? Nach Mantua?"

    Siv konnte an seiner Stimme hören, dass Corvinus ungehalten war. Sie glaubte nicht ganz, dass sein Hunger nicht stark genug war, eher vermutete sie, dass ihr konstantes Nachbohren der Grund dafür war, dass er ablehnte. Was wiederum sie verstimmte. Sie war sich nicht sicher, ob er verstand, worum es ihr ging, aber indem sie angeboten hatte, etwas zu essen zu holen, hatte sie versucht, das Thema hinter sich zu lassen, für den Moment wenigstens. Jetzt war er es, der noch einmal darauf zu sprechen kam. Und Siv wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie wusste nicht, was Freilassung bedeutete? Was sollte es denn bedeuten, wenn nicht die Tatsache, dass ein Mensch wieder selbst über sein Schicksal entscheiden konnte? Sie wollte das nicht für sich, sie war zufrieden hier – sie wollte nicht fort von ihm. Aber sie wünschte sich, dass ihr Kind fort konnte, wenn es das wollte, irgendwann. Siv musterte Corvinus, während er sprach, und jedes Wort, das über seine Lippen kam, zeigte, dass er sie nicht verstand. Dass er die Dinge anders sah. Was hätte das Kind davon? Es hätte davon, dass es nicht in dem Bewusstsein aufwachsen würde, Sklave zu sein. Siv konnte nicht anders als überzeugt davon sein, dass es einen Unterschied machte für einen Menschen, ob er als Freier oder als Sklave aufwuchs. Und wenn das Kind erst einmal auf der Welt war, war es so leicht, es immer wieder hinauszuschieben. Bis irgendwann der Punkt gekommen war, an dem nicht mehr sie seine Freiheit verdienen musste, sondern es sich selbst. Dass es auch ein Geschenk für sie sein würde, konnte sie nicht leugnen, wollte sie auch gar nicht, aber sie hatte ja nicht vor, dieses Geschenk unerwidert zu lassen.


    Als Corvinus dann derart kategorisch ablehnte, noch weiter zu diskutieren, hatte Siv von einem Moment zum anderen das Gefühl, als sei ihr Magen zu einem Klumpen geworden. Er wurde flau, zog sich zusammen, und die angrenzenden Regionen schienen auf einmal seltsam schwammig zu werden. Siv biss sich auf die Unterlippe und drehte den Kopf zur anderen Seite, und ein tiefer Atemzug hob die Brust, auf der nun Corvinus’ Hand lag. Seltsam schwer schien sie dort zu lasten, und Siv drehte den Kopf wieder zurück und sah ihn mit einem undeutbaren Ausdruck in den Augen an. Vertrau mir, sagte er dann. Vertrau mir. "Das tue ich", antwortete sie leise. "Ich vertraue dir." Sie vertraute ihm wirklich. Sie wäre nicht bereit gewesen, ihr Kind loszuwerden, hätte sie ihm nicht vertraut, wäre sie sich nicht sicher gewesen, dass er wusste, was das Richtige war. Aber sie sehnte sich danach, ein Zeichen von ihm zu bekommen, ein Wort, ein Satz, der zeigte, dass er sie wenigstens verstehen konnte. Dass er nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte. Aber sie würde nicht darum betteln. Und einen erneuten Erklärungsversuch zu starten, würde auch nichts bringen, das hatte er nur allzu deutlich gemacht. Auf seinen Spott ging sie nicht ein, sie kannte die Geschichte nicht, und in diesem Augenblick war ihr nicht danach zumute, über den Hinweis über jemanden, der sein Kind opfern sollte, zu lachen – oder darüber, mit so jemandem verglichen zu werden. Der nachfolgende Hinweis jedoch ließ ihre Mundwinkel sich etwas heben, auch wenn ihr immer noch nicht wirklich nach lächeln zumute war. Vertrau mir. "Danke. Ich werde acht geben, natürlich", versicherte sie. "Nichts riskieren. Nichts tun, was anstrengend ist. Oder gefährlich." Sie hob eine Hand und legte sie auf die seine, verschränkte ihre Finger mit den seinen. Ihr Lächeln wurde etwas offener. "Und du, kommst du mit?"

    Dass Corvinus von Louans Reise anfing, ging an Siv vorbei. Zu sehr war sie beschäftigt mit ihren eigenen Gedanken. Und so kam es auch, dass ihr gar nicht bewusst war, dass sie ihn unterbrach, als sie auf seine vorigen Worte einging. Seine Erklärung konnte sie aber nicht so ganz nachvollziehen. "Warum bevorzugt behandeln?" fragte sie verständnislos nach. "Dass ich schwanger bin, oder Kind habe, das heißt doch nicht, dass ich bevorzugt behandle. Behandelt werde", korrigierte sie sich, als ihr der Fehler in ihren Worten auffiel. "Nicht mehr wie als Leibsklavin, jetzt. Und das ist, da sind mehrere." Man musste nur an Nuala denken, die vom ersten Tag an Leibsklavin gewesen war, mit den entsprechenden Privilegien. Da gab es ein paar, die sie immer noch schräg ansahen, obwohl sie ja nichts dafür konnte, dass Orestes sich eine Sklavin gekauft hatte, anstatt einen aus dem Haus zu wählen. Und sie… nun ja, auch bei ihr hatte es den ein oder anderen Kommentar gegeben, warum ausgerechnet sie, die einen Fluchtversuch auf dem Kerbholz hatte, doch noch die Leibsklavin des Hausherrn geworden war, aber es war, wie Siv gesagt hatte: sie gab nicht viel auf derlei Kommentare, jedenfalls nicht von den Leuten, von denen sie kamen. Und es war sehr schnell klar geworden, dass Siv sich nun keineswegs für etwas besseres hielt. Was sollte also so großartig anders sein, wenn sie ein Kind bekam? Sicherlich würde sie in der Schwangerschaft und in der ersten Zeit danach nicht so viel arbeiten können, das tat sie ja jetzt schon nicht, aber im Grunde wusste jeder im Haus, dass sie selbst das am meisten störte. "Ich werde dir erzählen", versicherte sie anschließend, "wenn es zu viel ist." Was genau genommen nicht das war, was Corvinus gewollt hatte.


    Anschließend musste Siv ein Seufzen unterdrücken. Er wusste es nicht. Natürlich wusste er es nicht. Sie schloss für einen Moment die Augen und sagte gar nichts darauf. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie wusste, sie hatte von Anfang an gewusst, dass es schwierig werden würde. Dass es Dinge gab, auf die er achten musste. Dennoch, sie würde ihr Kind nicht anlügen. Niemals. Wenn Corvinus tatsächlich nicht wollte, dass es erfuhr, wer der Vater war, würde sie vor einem Problem stehen, spätestens dann, wenn es anfing Fragen zu stellen. Siv beschloss, vorerst zu diesem Thema zu schweigen. Noch war Zeit, er hatte es selbst gesagt, und noch war er sich selbst offenbar nicht sicher, wie er das handhaben wollte. Es hatte keinen Sinn, darüber zu diskutieren, solange er nicht wusste, was er wollte. Allerdings gab es etwas anderes, was sie ihn fragen konnte, und nachdem sie das getan hatte, bewegte Corvinus sich, richtete sich seitlich auf, so dass sie von seiner Schulter herunterrutschte, wieder auf dem Rücken landete und ihn von unten herauf ansah. Ihre Brauen zogen sich leicht zusammen, als er antwortete. Er wollte also nicht, dass sie Cadhla nacheiferte? Dass sie versuchte, Geld zu verdienen? "Warum nicht?" War das nicht die beste Möglichkeit, zu erklären, warum er das Kind, sein Kind, schließlich freiließ, ohne dass es Gerede gab? "Ich weiß, was Freilassung heißt. Ich weiß, dass andere besser arbeiten, und länger, und braver. Aber ich, ich will ja arbeiten, weiter arbeiten, das Freilassen, das will ich doch nicht für mich!" Cadhla mochte weniger störrisch gewesen sein als sie, aber als Corvinus mit der Keltin diese Abmachung getroffen hatte, hatte sie weit kürzer in seinen Diensten gestanden als Siv jetzt. Und sie verstand nicht, warum ihr Kind auch ein Sklave sein sollte. Dass die Freilassung ihres Kindes ein ebensolches Privileg sein würde wie ihre eigene, das war ihr klar, aber sie würde ja Sklavin bleiben, sie würde ein ganzes Leben haben, dieses eine Privileg abzuarbeiten, und sie würde es tun, wenn es sein musste. "Ich will nichts für mich, ich…" Ihre Stimme verlor sich, und sie presste für einen Augenblick die Lider zusammen, um aufsteigende Tränen wegzublinzeln. Corvinus hatte endgültig geklungen. Es blieb ihr nichts anderes, als abzuwarten, was er entscheiden würde. Dies war einer der seltenen Momente, in denen sie es hasste, Sklavin zu sein. Oder nein, nicht Sklavin. Eine Frau. Dies war einer der Momente, in denen sie es hasste, eine Frau zu sein. Nicht über sich selbst entscheiden zu können. Einen so großen Unterschied zu dem, was sie als verheiratete Frau in Germanien hätte tun dürfen, und dem hier als Sklavin, gab es da nicht. Siv öffnete ihre Augen wieder, als sie seinen Magen knurren hörte, und zwang sich zu einem vagen Lächeln. "Soll ich was holen?"

    Siv ließ die Schriftrolle sinken und grüßte zurück, sowohl Corvinus als auch Laevina. Auf die Frage nach Minervina und Severa konnte sie nur entschuldigend den Kopf schütteln – sie hatte ohnehin schon immer wenig mit den anderen Aureliern zu tun gehabt, und seit sie Corvinus’ Leibsklavin war, hatte sich das noch verstärkt. Sie traf sie häufiger, weil sie Corvinus oft begleitete, sowohl im Haus als auch außerhalb, aber darüber hinaus hatte sie nichts mehr mit ihnen zu tun, weil sie nicht mehr die gewöhnlichen Arbeiten einer Sklavin erledigen musste, wenn sie nicht wollte. Erst in letzter Zeit wieder, seit sie aufgrund der Schwangerschaft nicht mehr im Garten arbeiten konnte und auch sonst viele Arbeiten wegfielen, die sie für gewöhnlich von den römischen Bewohnern fernhielt, traf sie häufiger auf den ein oder anderen Aurelier.


    Noch bevor sie auf Corvinus’ Frage antworten konnte, traten schon Avianus und gleich darauf Prisca ein. "Bona Saturnalia", wünschte sie beiden, musterte sie kurz und lächelte leicht, unschlüssig, was sie sagen sollte. Ob sie etwas sagen sollte. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht die einzige im Raum war, die sich seltsam fühlte – und irgendwie war es ja auch seltsam, in einer einzigen Woche im Jahr die Unterschiede zu ignorieren, die sonst vorhanden waren. Siv stand auf und holte sich einen Fruchtsaft, dann setzte sie sich wieder, diesmal mehr in der Nähe der anderen. Anschließend schwenkte sie leicht die Schriftrolle hin und her. "Die Geschichte, von Rom. Von Grü… der Gründung, und Romulus und Remus", antwortete sie dann, etwas verspätet. Es war eine vereinfachte Version, die Cassim ihr gegeben hatte, damit sie lesen üben konnte, ohne gleich an zu komplizierten Satzkonstruktionen zu verzweifeln.

    "Ja, seid ihr", antwortete Siv, während Leone sich schon an ihr vorbei schob. Charis wurde in Sivs Richtung geschoben, während der eine Mann das Geld nachzählte. Unterdessen war auch Brix aufgetaucht, der von dem Botenjungen geholt worden war, der Leone häufig Gesellschaft leistete, um solche Dinge gleich zu erledigen. Statt aber selbst die Wachstafel zu prüfen und den Empfang der Sklavin zu besiegeln, gab er Siv mit einem Wink zu verstehen, dass sie das tun sollte. Einen Augenblick musterte die Germanin ihn überrascht, dann griff sie nach der Tafel, die der Gehilfe des Händlers ihnen entgegenstreckte. "Ehm", murmelte sie leise, während ihr Blick über die Tafel huschte, langsam und sorgfältig, um nur ja nichts zu verpassen – aber viel war dort ohnehin nicht verzeichnet, und so dauerte es nicht lang, bis Siv fertig war. Ein kurzer Blick traf Brix, der über ihre Schulter gesehen hatte, der aber nur sie abwartend ansah und ihr dann das Siegel reichte, als sie nickte. Siv bemühte sich um ein neutrales Gesicht, aber sie musste sich ein Grinsen verbeißen, als sie das aurelische Siegel in die Wachstafel drückte, so die aurelische Seite des Kaufs besiegelte und im Anschluss eine Wachstafel in Empfang nahm, auf der die Bestätigung des Händlers festgehalten war. Sie hatte nicht erwartet, dass Brix sie das tun ließ.


    Die Gehilfen des Händlers verschwanden daraufhin, ohne noch etwas zu sagen, und Siv lächelte Brix an. "Danke", sagte sie leise, und Brix zwinkerte ihr nur zu. "Nichts zu danken. Du machst dich." Er grüßte Charis und lächelte ihr zu. "Ich bin Brix, der Maiordomus hier. Siv wird sich um dich kümmern, aber wenn du Fragen hast oder etwas brauchst, kannst du dich gerne auch an mich wenden. Und du benimmst dich", fügte er zu der Germanin gewandt noch hinzu, bevor er wieder im Haus verschwand. Siv sah ihm noch kurz nach, dann wandte sie sich der anderen Sklavin zu. "Ehm. Ja. Ich war da, heute morgen", antwortete sie, dann riss sie die Augen auf. "Oh, natürlich!" Sie hatte gar nicht gesehen, dass Charis’ Hände noch gefesselt gewesen waren. "Tut mir leid." Sie trat hinter die Sklavin und löste die Fesseln, während sie sich fragte, was sie tun sollte. Sie wusste, was Brix damit nun wieder bezweckte – er ließ sie das Geschäft beenden, und dafür wollte er auch etwas haben. Im Grunde das Übliche: dass sie sich zusammenriss. Brix wusste genau, dass er mit Druck und Befehlen nur eine bockige Siv bekam, die gar nicht einsah, sich wirklich Mühe zu geben, dass er aber offene Türen einrannte, wenn er ihr Vertrauen schenkte – weil es für sie nicht in Frage kam, das zu enttäuschen. Allerdings war Siv immer noch nicht die Frage losgeworden, für Corvinus die Sklavin nun wirklich gekauft hatte, genauer gesagt: die unselige Eifersucht schwelte immer noch. Weswegen Siv hin und hergerissen war und zunächst nicht wirklich wusste, wie sie sich verhalten sollte. "Komm rein. Ich zeig dir die Villa, und so." Immerhin, Siv wusste auch, dass Charis am wenigsten etwas dafür konnte – dafür, dass Corvinus sie gekauft hatte, dafür, wie der Händler sie angepriesen hatte, und dafür, dass Siv schwanger war und gerade etwas, nun ja, empfindlich. Also beschloss sie, erst mal wenigstens neutral zu sein, und hielt ihr die Tür auf.


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