Siv war ebenfalls bereits anwesend – nicht, weil sie sich so sehr auf dieses Essen freute, sondern weil sie nichts anderes zu tun gehabt hatte. Über die Saturnalien freute sie sich nur in Maßen, hatte sie doch generell in letzter Zeit eher wenig zu tun gehabt. Nun ganz frei zu haben, konnte sie daher nicht so wirklich begeistern. Es gab einfach zu viel, über das sie nachzudenken hatte, und zu viel Zeit, um das zu tun. Sie hatte gerade erst angefangen sich darüber Gedanken zu machen, wie die Schwangerschaft – und das Kind, wenn es erst auf der Welt war – ihr Leben verändern mochte. Und sie wusste, wer heute im Lauf des Abends noch kommen würde. Flavia Celerina. Ihr Tod war ein Missverständnis gewesen. Gestern hatte Corvinus es ihr gesagt, langsam, zögerlich war er mit der Sprache herausgerückt. Sie lebte. Und er würde sie heiraten. Siv schloss die Augen in der Erinnerung an dieses Gespräch, das eigentlich gar keins gewesen war. Im Grunde hatte er ihr nur gesagt, dass Celerina lebte, woraufhin sie erst mal gar nichts gesagt hatte, nur um dann vor sich hinzustottern, dass das gut sei – für ihn. Sie wusste ja, dass er heiraten musste, und dass seine Verlobte doch noch am Leben war, dass er nicht erneut suchen musste, das war gut für ihn. Sie hatte sich bemüht, auch so zu wirken. Aber das war ihr scheinbar nicht sonderlich gut gelungen, denn Corvinus hatte sie nur wortlos in den Arm genommen.
Den nächsten Tag, heute, hatte sie sich dann verkrochen, recht bald nach dem Aufstehen. Sie war in den Stall gegangen, zu Idolum, und erst irgendwann vormittags wieder ins Haus gekommen, um etwas zu essen. Corvinus war äußerst guter Laune, was sie zu spüren bekam, als sie sich begegneten, und mit einem leichten Lachen auf den Lippen hatte sie sich revanchiert. Ein wenig hatte sie das auch aufgemuntert, und das hatte letztlich dazu geführt, dass sie jetzt hier saß – ursprünglich hatte sie mit dem Gedanken gespielt, einfach fernzubleiben. Zu Idolum in den Stall zu gehen, vielleicht sogar dort zu schlafen, was sie schon lange nicht mehr getan hatte. Sie wollte nicht anderen die Laune verderben, nur weil sie sich seltsam fühlte, aber sie hegte die Hoffnung, dass sie sich anstecken lassen konnte von der guten Laune der anderen. So hatte sie sich hergerichtet, hatte ihre tiefblaue Tunika anzogen, die feinste, die sie besaß, hatte Saba gebeten, ihr mit ihren Haaren zu helfen – und hatte sie nur mit Mühe davon abhalten können, ihr eine Turmfrisur zu machen, sondern doch eine eher schlichte, die ihre Haare nur an den Schläfen in einigen kompliziert aussehenden Schnörkeln zusammennahm und sonst weitestgehend offen und in feinen Wellen den Rücken hinunter fallen ließ –, und sie hatte sich sogar Ohrringe angeklipst. Nur die Kette war die, die sie stets trug. Dann hatte sie nicht wirklich gewusst, was sie tun sollte, und so war sie ins Triclinium gegangen, weil der Stall in ihrem Aufzug nicht mehr in Frage kam. Und so war sie hier, mit einer Schriftrolle, die sie geistesgegenwärtig eingesteckt hatte, weil sie zu früh war, hatte sich in einer Ecke auf eine Kline gesetzt und las – langsam zwar, und sie brauchte ihre volle Konzentration dafür, aber inzwischen ging es einigermaßen flüssig, und dass ihr das gelang, darauf war sie stolz. Dass Laevina inzwischen eingetreten war und sich gesetzt hatte, hatte sie aufgrund ihrer Konzentration gar nicht gemerkt, und auch Corvinus’ Eintreten bemerkte sie nicht. Erst als Laevina das Wort ergriff, wurde ihre Aufmerksamkeit von der Schriftrolle weggelenkt, und sie sah hoch.