Siv lag auf dem Rücken, regungslos, starrte an die Decke. Sie konnte nicht schlafen. Genauer gesagt hatte sie seit Tagen Probleme mit dem Schlafen. Seit dem Tag, als sie Corvinus ihre Schwangerschaft gebeichtet hatte. So viel war passiert, die Opfer, die sie dargebracht hatte, ihren Göttern genauso wie Iuno, der Besuch des Arztes, dann der Zusammenstoß mit Corvinus… Und wie er zurückgekommen war. Wie er sie im Stall aufgesucht hatte. Und wie er gegangen war. Wie er sie allein gelassen hatte. Nicht nur an jenem Nachmittag, sondern im Grunde seitdem. Er ging ihr aus dem Weg, sie kannte ihn gut genug, um das zu wissen. Er beeilte sich in der Früh und rief andere Sklaven zu Hilfe, damit sie nicht allein waren, und abgesehen von der morgendlichen Routine, die er kaum durchbrechen konnte – immerhin schlief sie in der Kammer nebenan –, hatte er keine Aufgaben für sie. Er nahm sie nicht mit, wenn er in die Stadt ging, er ließ sich von jemand anderem das Essen bringen, wenn er nach Hause kam, und er rief nicht nach ihr, wenn er sonst etwas brauchte. Dass er jede Nacht in ihrer Nähe schlief, nur durch eine Tür getrennt, machte es auch nicht unbedingt leichter. Und sie hatte noch nicht einmal mehr die Möglichkeit, den Frust und die Zweifel irgendwie durch Schuften loszuwerden oder wenigstens für einige Zeit zu verbannen. Brix nahm Corvinus’ Anweisung ernst, dass sie keine schweren Arbeiten mehr erledigen sollte, allzu ernst in ihren Augen. Wann immer sie mehr zupacken wollte, tauchte irgendjemand auf, der sie genau davon abhielt.
Ihre Zweifel und die Grübeleien vertrugen sich jedoch mehr schlecht als recht mit der Tatsache, dass sie nicht ausgelastet war, und dazu kam, dass sie nach wie vor unter heftigen Übelkeitsanfällen litt. Die Medizin, die der Arzt zusammengerührt hatte, half etwas, aber nicht viel. So kam es, dass sie nachts kaum schlafen konnte und tagsüber wortkarg und entweder abweisend oder schlecht gelaunt war. Und so lag sie auch jetzt da, starrte die Decke an und wartete vergebens auf den Schlaf, der sich nicht einstellen wollte. Eine Hand glitt unter die Decke zu ihrem immer noch flachen Bauch, um sich darauf zu legen. Sie vermisste Corvinus. Sie wollte nicht einmal so unbedingt mit ihm reden wegen dem, was nun kommen würde, in der nächsten Zeit, obwohl es gut wäre, weil sie keine Ahnung hatte, ob es einfach so weiter gehen sollte wie bisher oder ob sich etwas ändern würde. Aber in erster Linie vermisste sie ihn, seine Gesellschaft, seine Nähe. Es ging weniger um die besonderen Augenblicke, es ging ihr um den Alltag, all die Momente, die sie gemeinsam verbrachten und in denen sie sich kaum mehr Beachtung schenkten als in einem Blick oder einem kurzen Wort. Ihre Gedanken wanderten weiter, drifteten aber nicht zu dem Kind, sondern zu der Flavia. Sie hatte von dem gehört, was passiert war. Es war schwer, nicht davon zu hören. Ihr erster Impuls war gewesen, zu Corvinus zu gehen, genauso wie der zweite. Beide entsprangen jedoch widersprüchlichen Beweggründen, der eine, weil sie sich freute, dass er nun doch nicht heiratete, nicht so bald jedenfalls, und schon gar nicht diese Frau, die sie einfach nur grässlich fand – nicht einmal ihr Tod änderte etwas daran, Siv hatte noch nie zu den Menschen gehört, die von anderen besser dachten, nur weil sie gestorben waren –, der andere, weil sie für ihn da sein wollte, weil sie wusste, dass es einen Rückschlag für ihn bedeutete. Sie war sich nicht sicher, wie sie ihm gegenüber reagiert hätte – und sie war sich nicht sicher, ob der Tod der Flavia, seiner Verlobten, nicht inzwischen mit eine Rolle spielte, warum er sie nicht sehen wollte. Die Wahrheit war, sie war unsicher und hatte Angst, und so sehr sie sich selbst dafür auch verfluchte und sich einen Feigling der erbärmlichsten Sorte schimpfte, sie brachte es nicht über sich, zu ihm gehen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Das Mondlicht, das durch das schmale Fenster in die Kammer fiel, zeigte an, dass es schon spät sein musste, sehr spät, was auch die Stille bezeugte, die in der Villa herrschte. Sie bohrte ihren Kopf noch tiefer in das Kissen hinein und seufzte leise, als sie von nebenan ein Geräusch zu hören meinte. Ihr Kopf drehte sich in Richtung der Tür, während sie angestrengt lauschte, nicht sicher, ob es Einbildung gewesen war oder real. Es wiederholte sich, und Siv setzte sich auf. Wenn Corvinus auch noch wach war und nicht schlafen konnte… Sie überlegte nicht lange. Hätte sie lange überlegt, hätte sie den Gedanken wieder verworfen, aber sie hatte nicht den Ruf weg, vorschnell und temperamentvoll zu sein – oder auch frech, ungehorsam und undiszipliniert, je nachdem wie man es betrachtete –, weil sie nachdachte, bevor sie handelte. Kurzentschlossen schlug sie ihre Decke also ganz zurück, stand auf und ging hinüber zu der Tür, welche sie gleich darauf leise öffnete. Ebenso leise betrat sie Corvinus’ Schlafgemach und ging langsam auf sein Bett zu, das beinahe genau gegenüber der Tür lag. Mondlicht fiel herein durch nur halb zugezogene Vorhänge, und der silbrige Schimmer fiel auf Corvinus und brach sich in winzigblitzendem Funkeln in der feuchten Oberfläche seiner geöffneten Augen. Siv hielt für einen Moment inne und betrachtete ihn einfach nur, dann kam sie noch näher, bis sie vor dem Bett stand – blieb dann aber erneut zögernd stehen. Eine Hand hob sich und deutete halb in die Richtung der kleinen Kammer, aus der sie gekommen war, nur um gleich darauf wieder seltsam kraftlos hinab zu sinken. "Ich… kann nicht schlafen."