"Du hattest… was? Nein!" Noch empörter als zuvor starrte Siv Nordwin an. Was musste sie denn noch tun oder sagen, damit er endlich begriff, was Sache war? Dass sie eben kein Betthäschen war? Hätte Siv gewusst, was Nordwin noch gerade im Kopf herumging, dass er sie in Gedanken als Hure bezeichnete, sie hätte endgültig rot gesehen und wäre auf ihn losgegangen. Aber sie wusste es nicht, und der Germane sagte nichts davon. "Du hast nicht Recht!" Anschließend unterdrückte Siv nur mit Mühe einen Wutschrei, als er so beiläufig von dem Kuss sprach. Es hatte ihr ganz sicher nicht gut getan, und er hatte ihn sich auch nur geraubt. Aber was sollte sie noch sagen? Er hielt sie für die Gespielin ihres Herrn, nichts weiter. Ganz augenscheinlich hielt er deswegen nicht sonderlich viel von ihr. Und es gab nichts, was sie ihm sagen konnte, nicht dass Corvinus weit besser küssen konnte, nicht was sie ihn empfand, und schon gar nicht dass diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten, auch wenn Corvinus nie wirklich laut darüber sprach, sondern es ihr nur zeigte. Sie konnte das nicht sagen. Wenn sie Glück hatte, würde Nordwin sie einfach nur auslachen und in die Kategorie naives Betthäschen einordnen. Wenn sie Pech hatte, glaubte er ihr – und erzählte es herum. Und wenn die Götter sie wirklich strafen wollten, gelangten die Gerüchte, die durch ihn dann entstanden, an die Ohren der Flavia. Das Risiko konnte Siv einfach nicht eingehen, da war es weit besser, sie ließ Nordwin denken, was er wollte.
Wenn er sie nur nicht so überheblich ansehen würde, so als sei er etwas besseres! Selbst wenn sie ein Betthäschen war, was fiel ihm ein, darüber zu urteilen, sie deshalb zu verachten? Es gab genügend Sklavinnen, die das taten, und bei weitem nicht alle hatten die Wahl. Zähneknirschend und mit leicht geballten Fäusten beobachtete Siv, wie Nordwin mit ruhigen Bewegungen den Hof zu kehren begann, ganz so, als sei überhaupt nichts passiert. Sie lehnte weiter an der Wand, presste ihre Hände dagegen und ihre Zähne aufeinander und wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte – und so war es schließlich Nordwin, der zuerst das Wort ergriff. "Warum tust du das?" fragte sie, seine Worte ignorierend. Ihre Stimme klang verständnislos, zu einem Teil aber auch immer noch herausfordernd, provozierend. "Warum? Was hast du? Warum bist du so verächtlich? Selbst wenn ich das Bett mit ihm teile, was weißt du schon davon? Es gibt genügend Betthäschen, wie du so schön sagst, die das nicht freiwillig tun, ich weiß, wovon ich rede, glaubst du vielleicht das ist schön? Glaubst du es macht ihnen Spaß? Und was ist mit denen, die ihren Spaß haben, können die nicht froh sein deswegen, wenn sie schon nicht wirklich die Wahl haben? Was gibt dir das Recht, so abfällig zu sein über sie, über mich?"