Beiträge von Aureliana Siv

    "Du hattest… was? Nein!" Noch empörter als zuvor starrte Siv Nordwin an. Was musste sie denn noch tun oder sagen, damit er endlich begriff, was Sache war? Dass sie eben kein Betthäschen war? Hätte Siv gewusst, was Nordwin noch gerade im Kopf herumging, dass er sie in Gedanken als Hure bezeichnete, sie hätte endgültig rot gesehen und wäre auf ihn losgegangen. Aber sie wusste es nicht, und der Germane sagte nichts davon. "Du hast nicht Recht!" Anschließend unterdrückte Siv nur mit Mühe einen Wutschrei, als er so beiläufig von dem Kuss sprach. Es hatte ihr ganz sicher nicht gut getan, und er hatte ihn sich auch nur geraubt. Aber was sollte sie noch sagen? Er hielt sie für die Gespielin ihres Herrn, nichts weiter. Ganz augenscheinlich hielt er deswegen nicht sonderlich viel von ihr. Und es gab nichts, was sie ihm sagen konnte, nicht dass Corvinus weit besser küssen konnte, nicht was sie ihn empfand, und schon gar nicht dass diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten, auch wenn Corvinus nie wirklich laut darüber sprach, sondern es ihr nur zeigte. Sie konnte das nicht sagen. Wenn sie Glück hatte, würde Nordwin sie einfach nur auslachen und in die Kategorie naives Betthäschen einordnen. Wenn sie Pech hatte, glaubte er ihr – und erzählte es herum. Und wenn die Götter sie wirklich strafen wollten, gelangten die Gerüchte, die durch ihn dann entstanden, an die Ohren der Flavia. Das Risiko konnte Siv einfach nicht eingehen, da war es weit besser, sie ließ Nordwin denken, was er wollte.


    Wenn er sie nur nicht so überheblich ansehen würde, so als sei er etwas besseres! Selbst wenn sie ein Betthäschen war, was fiel ihm ein, darüber zu urteilen, sie deshalb zu verachten? Es gab genügend Sklavinnen, die das taten, und bei weitem nicht alle hatten die Wahl. Zähneknirschend und mit leicht geballten Fäusten beobachtete Siv, wie Nordwin mit ruhigen Bewegungen den Hof zu kehren begann, ganz so, als sei überhaupt nichts passiert. Sie lehnte weiter an der Wand, presste ihre Hände dagegen und ihre Zähne aufeinander und wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte – und so war es schließlich Nordwin, der zuerst das Wort ergriff. "Warum tust du das?" fragte sie, seine Worte ignorierend. Ihre Stimme klang verständnislos, zu einem Teil aber auch immer noch herausfordernd, provozierend. "Warum? Was hast du? Warum bist du so verächtlich? Selbst wenn ich das Bett mit ihm teile, was weißt du schon davon? Es gibt genügend Betthäschen, wie du so schön sagst, die das nicht freiwillig tun, ich weiß, wovon ich rede, glaubst du vielleicht das ist schön? Glaubst du es macht ihnen Spaß? Und was ist mit denen, die ihren Spaß haben, können die nicht froh sein deswegen, wenn sie schon nicht wirklich die Wahl haben? Was gibt dir das Recht, so abfällig zu sein über sie, über mich?"

    Siv starrte ihn ungläubig an, Momente lang, als er weiter machte, irgendwelche Kosenamen von sich gab, die in ihren Ohren schlimmer waren als jede Beschimpfung. Nachdem sie ihm allerdings die Ohrfeige verpasst hatte, war erst mal Ruhe. Für Augenblicke starrten sie sich einfach nur an, dann schnappte sich Nordwin ihr Handgelenk und zerrte sie einfach mit sich. Durch den Raum ging es, zu einer zweiten Tür, die Siv bisher noch gar nicht aufgefallen war, und hinaus, auf einen Hinterhof. Das Ganze spielte sich so schnell ab, dass die Germanin gar nicht dazu kam, sich zu wehren, und auch als er sie nun losließ, reagierte sie den Bruchteil eines Moments zu spät. Bevor sie erneut auf ihn losgehen konnte, kam er auf sie zu und drängte sie zurück, bis sie gegen die Wand stieß. Das war der Moment, in dem Siv wieder zu sich fand und zum Gegenangriff übergehen wollte, aber als hätte er es geahnt, sprach er weiter, und die Vermutung sie sei schwanger, wischte jedes Wort, das ihr auf der Zunge lag, hinfort. Entgeistert starrte sie ihn an und suchte in seinem Blick, seinem Gesicht nach einem Anzeichen, ob er tatsächlich etwas gemerkt hatte, ob er etwas ahnte, wusste, oder ob es einfach nur ein dummer Spruch gewesen war.


    "Ich", setzte sie an, zu einer diesmal wohl eher lahmen Verteidigung, aber bevor sie sich darüber aufregen konnte, was eine Schwangerschaft überhaupt für eine Rolle spielte, weil sie völlig normal war, da hatte Nordwin schon den letzten Abstand zwischen ihnen überwunden und küsste sie. Nicht einfach nur so, sondern auf eine Art, die ihr den Atem raubte. Für Augenblicke stand sie danach da und starrte ihn nur aus aufgerissenen Augen an, während ihre Gedanken rasten und übereinander stolperten. Dann zündete ihr Trotz, ihre Wut, angefeuert durch Empörung ob seiner Frechheit, und sie holte aus und ohrfeigte ihn erneut, diesmal noch heftiger. Niemand, niemand küsste sie ohne ihr Einverständnis, ohne dafür dann die Quittung präsentiert zu bekommen. Niemand. "Gern! Ich sage es noch mal! Ich bin kein Betthäschen. Nicht bei Nacht, nicht bei Tag. I c h entscheide, wer mich anfasst!"

    Siv knirschte mit den Zähnen. Sicher, sie ging nur deswegen Unterricht, um zu lernen wie man auf Latein fluchte. Es wäre schön gewesen, wenn sie solche Dinge lernte – obwohl es für Siv vermutlich weit besser war, wenn die Römer sie nicht verstehen konnten, wenn sie erst mal in Rage war. "Und du müsstest wohl mal wieder Unterricht in deiner Muttersprache bekommen, wie’s aussieht!" Auch Siv war normalerweise nicht so. Das hieß, sie stritt sich schon häufig, ihr Temperament zündete nach wie vor schnell, aber normalerweise schoss sie nicht mit solchen Spitzen zurück. Das tat sie nur, wenn es jemand tatsächlich schaffte, ihr einen Stich zu versetzen, und die Sache mit dem Betthäschen stach einfach.


    Ihr folgender Ausbruch brachte allerdings wenig, außer Nordwin scheinbar wieder etwas Oberwasser zu verschaffen. Wie er sie nun ansah, ließ Siv einen Schritt zurücktreten, und es hätte seiner Worte nicht mehr bedurft, um ihr klarzumachen, dass sie einen Fehler begangen hatte, indem sie Corvinus so heftig verteidigt hatte. Nur, was sollte sie jetzt sagen? Seinen Kommentar konnte sie nicht einfach sich sitzen lassen. Ihr Mund öffnete sich, und für einen Augenblick musste sie wohl aussehen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann klappte sie ihn zu. Nur um ihn im nächsten Augenblick wieder zu öffnen. Eine Stimme in ihr wisperte, dass sie – wenn sie auch nur ansatzweise noch Hoffnung haben wollte, dass er ihr glaubte – besser ruhig sein sollte, dass sie nicht weiter wettern durfte und schon gar nicht Corvinus verteidigen. Aber so wirklich Gehör verschaffen konnte sich diese Stimme nicht. "Keiner hat mir den Kopf verdreht! Und er ist nicht so, du hast überhaupt keine Ahnung, du-" Und dann verschlug es ihr die Sprache, beide Sprachen, um genau zu sein. Häschen? HÄSCHEN?!? Siv vergaß sich, vergaß die Hündin, und vergaß, mal wieder, dass sie Sklavin war und in Rom, nicht zu Hause. Sie schnellte nach vorne und verpasste Nordwin eine Ohrfeige. "Das sagst du nicht noch mal zu mir!"

    "Ich bin hier wegen Unterricht", fauchte Siv zurück. Ob der Hündin ihr Tonfall gefiel oder nicht, darauf achtete sie nun nicht mehr – aber da sie beide sich inzwischen erhoben hatten und dadurch einen gewissen Sicherheitsabstand wahrten, darüber hinaus klar wurde, dass die Aggression nicht gegen Morsiuncula oder ihre Welpen gerichtet war, schien diese sich nicht sonderlich viel zu machen aus der sich aufheizenden Stimmung. Zufrieden damit, dass es ihren Welpen gut ging, beobachtete sie nur die beiden Menschen, die sich angifteten, den Kopf auf die Vorderpfoten abgelegt und gelegentlich nach den Welpen schnuppernd. Die Germanin war bei weitem nicht so gelassen. Im Gegenteil. Was maßte sich Nordwin da eigentlich an, sie auch noch mit einem Hund zu vergleichen? "Und er ist nicht mein Herrchen, ich bin Sklavin, aber das ist nicht, das heißt nicht dass ich sein Hund wär oder so was!"


    Ohne sich bewusst darüber zu sein, hatte Siv nun das geschafft, was ihr zuvor misslungen war: sie hatte es geschafft, Nordwin zu provozieren, hatte es geschafft, einen Zugang zu finden, auch wenn sie von letzterem nichts merkte und ersteres ihr gerade herzlich egal war. Im Moment regte sie sich nur auf über diesen Germanen, der offenbar der Meinung war, einfach über sie urteilen zu können, weil er älter war, weil er mehr Erfahrung hatte, weil er länger Sklave war, weil er abgeklärter war, aus welchem Grund auch immer. Er stand da und verteilte selbstgefällig Stroh, und in Siv brodelte es. Er wusste nichts. Trotzdem meinte er, sich ein Urteil erlauben zu dürfen. Und dann sagte er noch etwas, und Siv riss im ersten Moment ungläubig die Augen auf. "WAS?" Wie sehr wollte dieser Kerl sie eigentlich noch erniedrigen? Ohne nachzudenken überbrückte sie die Distanz zu ihm mit zwei großen Schritten und riss ihm den Strohsack aus der Hand, der, seines Halts beraubt, umkippte und seinen Inhalt über den Boden ergoss. Siv achtete nicht darauf, sondern baute sich vor Nordwin auf, stieß ihm die Hände vor die Brust und schnaubte wütend. "Das nimmst du zurück! Was fällt dir eigentlich ein? Er steht nicht auf kleine Germaninnen, und ich bin kein Betthäschen, und die Thursen sollen dich holen, wenn du weiter so einen Schwachsinn verbreitest!"

    Nordwin kam auf sie zu und baute sich vor ihr auf, so dicht, dass sie am liebsten einen halben Schritt zurückgegangen wäre. Oder auch einen ganzen. Oder zwei. Aber das ließen ihr Stolz und ihr Trotz nicht zu, und so blieb sie stehen, stemmte ihre Hände in die Hüften und funkelte ihn an. Wobei sie ihren Kopf leider in den Nacken legen musste, was sie selbstredend störte, aber daran ließ sich nun mal wenig ändern. Und ihrem in ihrem Empfinden äußerst gerechten – für andere wohl eher selbstgerechten – Zorn tat das keinen Abbruch. "Oooh, fantastisch, fang nur damit an! Ich würd mich auch lieber mit jemandem prügeln als so zu tun ich wär jemand, der ich nicht bin! Natürlich weiß ich, was es heißt verwundet zu werden, du wächst nicht auf, wo ich aufgewachsen bin, ohne so was zu erleben!" Langsam begann sie zu glauben, dass Nordwin schon sehr sehr lange in Rom sein musste. Er verstand Germanisch offensichtlich, aber in ihr wuchs inzwischen der Zweifel, ob er es auch sprechen konnte. "Und es i s t besser als nur herumzustehen und zu wissen, dass du bei jedem Mucks eine Strafe kriegen kannst!" Gut, ganz so schlimm war es bei ihr nicht. Aber das musste sie ja nicht laut sagen. Sie konnte ja auch nicht laut sagen, dass sie kein Betthäschen war.


    Nordwin wandte sich dann allerdings von ihr ab, schien genug davon zu haben, und Siv starrte ihm nach, wie er Stroh holte, es zur Hündin brachte, sie ignorierte. Erst als er hörte, wer ihr Herr war, sah er wieder zu ihr. "Ja, der. Und? Heißt das was? Ändert das was?" Jetzt verschränkte sie die Arme, während sie ihn anstarrte. Was bildete er sich eigentlich ein? Dass sein Leben tatsächlich so viel schwieriger als ihres, dass er so viel übler dran war? Er hatte ja nicht die geringste Ahnung, davon war sie nun fest überzeugt, und schlimmer noch, er machte nicht einmal den Versuch, sie verstehen zu wollen. Stattdessen dachte er sicher nach wie vor, dass sie nicht mehr zu tun hatte als bereit zu sein, wenn ihr Herr es wollte. Und vielleicht etwas herumzustehen und zu warten.

    Sicher wüsste er Bescheid, meinte er, aber Siv konnte sich nur allzu lebhaft, welche Pflichten einer Leibsklavin ihm in den Sinn kamen, immerhin waren seine vorigen Kommentar nur zu deutlich gewesen. In Siv begann es gefährlich zu brodeln, und wie immer, wenn sie nicht mehr wirklich weiter wusste, hatte sie plötzlich das Bedürfnis irgendetwas zu werfen, etwas kaputt zu machen, oder, noch besser, Nordwin eine Ohrfeige zu verpassen. Es war ganz gut, dass die Büste nun außer Reichweite war. Noch besser war es, dass die Hündin mit ihren Welpen direkt vor Siv lag. Das half ihr etwas, sich im Zaum zu halten. "Sicher", murmelte sie spöttisch. "Sicher weißt du." Hatte er jemals versucht, jemandem die Toga zu anzulegen? Mit dem ganzen Stoff zurechtzukommen und die unzähligen Falten richtig hinzubekommen? Aber wenn sie das jetzt sagte, fing er wohl höchstens an zu lachen. Oder konnte er sich vorstellen, wie schwierig es war, gerade für jemanden wie sie, ihren Herrn zu begleiten auf irgendwelchen Anstandsbesuchen und stumm irgendwo in einer Ecke zu stehen? "Du denkst du weißt was heißt, Leibsklavin zu sein, ja? Sicher, natürlich. Ich würde mich auch lieber um die Wachhunde kümmern, oder den Stall ausmisten, als mitzugehen zu irgendwelchen Treffen mit irgendwelchen arroganten Römern und nur dazustehen und nichts sagen zu dürfen. Denkst du das ist leicht? Sich immer zusammenreißen zu müssen?" Und trotzdem tat sie es, jedes Mal, wenn Corvinus sie mitnahm. Würde er ihr nicht so viel bedeuten – sie würde alles tun, um darum herum zu kommen, selbst wenn das hieß, dass sie die niedrigsten Arbeiten bekam. Und wäre sie nicht für den Garten zuständig, hätte sie nicht diese Arbeit als Ausgleich, sie war sich nicht sicher, ob sie sich dann auch noch so gut im Griff hätte, wenn es darauf ankam. "Corvinus", antwortete sie, während ein etwas abweisender Tonfall unterschwellig mitschwang in ihrer Stimme. "Aurelius Corvinus."

    "Begegnung?" Ja, so konnte man es auch nennen. "Die Art. Ja." Weiter ging sie nicht darauf ein. Im Großen und Ganzen war diese Begegnung für sie eher unrühmlich ausgefallen, hatte sie doch deutlich den Kürzeren gezogen gegen den bulligen Leibwächter, auch wenn Epicharis voll Mitleid gewesen war. Trotzdem hatte der sich auch nicht von ihr provozieren lassen, hatte sich im Gegenteil eher lustig über sie gemacht, hatte sie den Eindruck gehabt…


    Drinnen bei der Hündin zeigte Sivs Annäherungsversuch rasch Erfolg, was die Germanin etwas überraschte. Sie konnte mit Tieren umgehen, aber eine so schnelle Zuneigungsbekundung bei einer frischgebackenen Hundemutter hätte sie dann doch nicht erwartet. Aber vermutlich trug auch Nordwins Anwesenheit ihren Teil dazu bei, die Hündin zu beruhigen. Während der Germane begann, die Welpen zu untersuchen, begann Siv, sachte die Ohren der Hündin zu kraulen. Was er währenddessen allerdings sagte, ließ sie erstarren. Leibsklavin. Siv entging nicht die besondere Betonung. Sie zog die Hand zurück und ballte sie zur Faust, presste ihre Fingernägel in die Haut. Leibsklavin. "Du sicher weißt, was eine Leibsklavin alles tut, ja?" fauchte sie stattdessen, nicht unbedingt lauter als gewöhnlich, aber so heftig, dass die Hündin den Kopf wieder hob und sie leise anknurrte. Siv biss sich auf die Zunge und schluckte einen derben germanischen Fluch herunter, nur um den nächsten dann doch auszusprechen, als sie Nordwins Grinsen sah. Der Hündin gefiel das definitiv nicht, denn das Knurren wurde für einen Moment lauter, und Siv versuchte sich zu beherrschte, wenn auch mühsam. Er hatte sicher keine Ahnung, was eine Leibsklavin für Pflichten hatte. Und er hatte keine Ahnung, was sie für Pflichten hatte. Konnte er gar nicht haben. Erst recht wusste er nicht, welcher Art das Verhältnis zwischen Corvinus und ihr war, sagte sie sich, und es war auch besser so, wenn er das nicht erfuhr. Es reichte, dass sie es wusste, sie konnte seine Kommentare und Blicke doch einfach an sich abperlen lassen. Aber sie arbeitete nun mal tatsächlich, und es ging ihr gewaltig gegen den Strich, dass Nordwin offenbar dachte, sie würde nicht mehr tun als Tag und Nacht ihrem Herrn in nur einer Weise zur Verfügung zu stehen und damit wohl ein recht leichtes Leben zu haben. Und was die Tatsache betraf, dass sie mit Corvinus das Bett teilte: sie wollte es. Würde sie es nicht wollen, sie würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, würde sich lieber auspeitschen lassen, als ihren Körper auf diese Weise zu verkaufen, nur weil es für sie einen Vorteil bedeuten mochte. Am liebsten hätte sie ihm um die Ohren geschleudert, dass sie das Bett teilte, mit wem sie wollte, aber das ging nicht – und zu behaupten, sie teile das Bett nicht mit ihrem Herrn, verbot ihr ihre Ehrlichkeit. Und so ging sie auf das Thema Bett überhaupt nicht mehr ein. "Leibsklavin hat Arbeit. Richtige Arbeit." In ihrer Stimme war immer noch das Fauchen zu hören, allerdings nicht mehr so heftig, dass die Hündin darauf mehr reagiert hätte als mit einem kurzen Zucken der Ohren. "Nicht hier, in diesem Garten. Da ich war noch nicht."

    Siv folgte Nordwin, während sie darüber grübelte, wie sie ihn am besten aus der Reserve locken konnte. Er war Germane, Garm noch mal! Er musste doch irgendwie zu provozieren sein! Sie glaubte nicht, dass er tatsächlich schon so angepasst war, dass er vergessen hatte, wer er war und wo er herkam. Vielleicht wollte er sich für den Moment nicht daran erinnern, aber das konnte nicht gut für ihn sein. Siv tat ihm im Grunde einen Gefallen damit, wenn sie dafür sorgte, dass er sich wieder auf seine Wurzeln besann, davon war sie überzeugt. Dann allerdings fielen Worte, die sie – für den Augenblick – von ihrem Vorhaben und den Grübeleien, wie es sich am besten umsetzen ließ, herausrissen und sie in den Hintergrund drängten. Siv starrte Nordwin an. "Epicharis’ Leibwächter? Wo ist denn der dämliche Klotz vom letzten Mal hin?" Unwillkürlich fuhr ihre Hand zu ihrem Gesicht und tastete über ihre Nase, die glücklicherweise nicht gebrochen gewesen war und auch sonst keinerlei Spuren mehr von dem Zusammenstoß aufwies. Dann sah sie kurz über ihre Schulter. "Der ist hier nicht auch. Oder?" Kurz noch strichen ihre Fingerkuppen über den Nasenrücken, dann sank die Hand wieder, und im nächsten Moment wallte Entrüstung in Siv auf. "Nein!" Und dann stockte sie schon wieder. Sie teilte mit Corvinus das Bett. Sie war kein Betthäschen, ganz sicher nicht, aber was sie war, was zwischen ihnen war, das wusste keiner. Keiner außer ganz wenigen innerhalb der Villa Aurelia, wie Brix beispielsweise. Nach außen war sie eine Sklavin, die den Pflichten nachkam, die ihr Herr ihr auferlegte.


    Inzwischen waren sie offenbar an ihrem Ziel angekommen, jedenfalls öffnete Nordwin eine Tür und führte Siv in einen Lagerraum. Sofort konnte man ein Fiepen hören, und in einer Ecke entdeckten Sivs suchende Augen eine Hündin mit drei winzigen Welpen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Vorsichtig näherte sie sich ihr und ließ sich in gebührendem Abstand in die Knie sinken. Sie wusste, wie eifersüchtig Hündinnen – jede Mutter – über ihre Kinder wachten. Unwillkürlich dachte sie an das, was in ihrem Leib heranwuchs, dann verdrängte sie diesen Gedanken wieder und konzentrierte sich auf die Hündin. "Hey du", meinte sie leise und streckte ihre Hand aus, ignorierte bewusst die Welpen und ließ die Hündin an ihren Fingerspitzen schnuppern, damit diese sich an ihren Geruch gewöhnen und sich davon überzeugen konnte, dass sie keine Gefahr darstellte. Während sie sich so mit der Hündin bekannt machte, knüpfte sie an das Thema an, dass sie kurz zuvor unterbrochen hatten. Vielleicht war es keine gute Idee, immerhin war sie in den Augen mancher kaum etwas anderes, auch wenn Betthäschen kein sonderlich schöner Ausdruck dafür war. Aber ganz konnte sie seinen Kommentar auch nicht auf sich sitzen lassen. "Ich bin nicht Betthäschen", sagte sie also, wenn auch nicht mehr ganz so in dem Tonfall gerechter Empörung wie noch kurz zuvor. Dass Nordwin sie offenbar für eine flavische Sklavin hielt, fiel ihr hingegen nicht auf, zu sehr nagte die Vorstellung des Betthäschens an ihr. "Ich bin Leibsklavin. Und ich sorge für Garten. Ich arbeite." Das letzte Wort kam betont über ihre Lippen.

    Ja. Einfach nur ja. Mehr sagte er nicht. Siv starrte Nordwin an und war sprachlos, und als er dann doch noch etwas hinzufügte, konnte man ihren Gesichtsausdruck regelrecht verdattert nennen. Nordwin schlug die einzige Bahn ein, die sie einer möglichen Erwiderung beraubte: er ließ sich nicht provozieren, er nahm sie nicht ernst. Und für einen Moment fragte Siv sich, ob man ihr das inzwischen ansehen konnte, weil es ihr ständig passierte, seit sie in Rom angekommen war. Brix, Cadhla, Corvinus, nun Nordwin… Nun, wenn sie ehrlich war, hatten ihr Vater und auch einige ihrer Brüder genau gewusst, wie sie mit ihr umzugehen hatten. Und Ragin. Und der Schmied. Und… Egal. In diesem Augenblick stand ihr Nordwin gegenüber, und er nahm ihr nach allen Regeln der Kunst den Wind aus den Segeln, so als kenne er sie schon länger. Siv blieb für Augenblicke stehen und starrte ihn einfach nur an, ihr Mund halb geöffnet. Dann formten sich ihre Lippen zu einem O, es sah so aus, als wolle sie etwas sagen, aber das O verschwand wieder, während der Mund immer noch leicht offen blieb. Erneut tauchte es auf, dann schoben sich ihre Lippen etwas vor, während gleichzeitig ihre Augenbrauen zusammenwanderten. "Oooh, das, du… das ist…" Im nächsten Moment presste sie ihre Lippen zusammen und bückte sich, um den Stift aufzuheben. Danach musterte sie ihn erneut einen Moment lang. "Ja. Ich will mitkommen." Sie sprach immer noch Germanisch. Sie sagte nicht, dass sie fertig war. Sie war nicht gewillt, so einfach aufzugeben. Und sie hatte auch nur eingewilligt mitzukommen, weil sie einfach nicht begreifen konnte, wie er reagierte. Vielleicht fand sie es ja heraus, vielleicht konnte sie ja doch noch etwas aus ihm herauskitzeln. Für den Moment allerdings beschloss sie, ihm eine Atempause zu gönnen. Und sich auch. Immerhin hatte er gezeigt, dass er sich nicht provozieren ließ, also wollte die nächste Attacke überlegter sein. Das war auch der Grund, warum sie jetzt wieder ins Lateinische wechselte. "Was machst du? Hier?"

    Nordwin antwortete ihr. Auf Latein. Nicht auf Germanisch. Das war der Punkt, an dem die Empörung in Siv zu brodeln begann. Was redete er auf Latein, wenn sie beide doch Germanen waren? Störrisch konnte Siv auch sein, sehr sogar, auch wenn sie sich eher selten dafür entschied. Ihre Brauen zogen sich unheilverkündend zusammen, während ihre Augen aufblitzten. "Egal?" echote sie, ihre Stimme fassungslos. Ebenso stur wie er, sprach sie weiter Germanisch, dachte gar nicht daran, die Sprache zu wechseln, jetzt erst recht nicht. "Es ist nicht egal! Ganz und gar nicht! Wie kannst du so was nur sagen? Was egal ist ist, ob ich meine Heimat wiedersehe, aber ich vergesse doch nicht wer ich bin oder wo ich herkomme!" Gut, dass es egal sei ob sie ihre Heimat je wiedersehen würde, hätte sie vor kurzem noch nicht gesagt. Aber das war, bevor sie sich bewusst entschieden hatte, in Rom zu bleiben. Bevor sie an jenem Stadttor in Mogontiacum diesen endlosen Augenblick zu lange gezögert hatte. Bevor sie Corvinus’ Angebot, sie freizulassen, ausgeschlagen hatte. Sie akzeptierte Rom als ihre Heimat, für wie lange, stand in den Sternen, aber in diesem Moment tat sie es – aber das hieß nicht, dass sie aufzugeben und zu vergessen bereit war, was sie war. Ihre Hände stemmten sich in die Hüften, wobei die beiden Schriftrollen zerknitterten und der Stilus auf den Boden fiel, was Siv jedoch derzeit nur eine Randnotiz wert war. "Und es ist auch egal, wie lange ich hier bin!" Dass er mit seiner Schätzung bemerkenswert genau gelegen hatte, sagte sie nicht. "Du bist ja scheinbar schon einer von ihnen, so wie du redest!"

    Sklave? Er war Sklave? Siv runzelte die Stirn, als sie das hörte. Sicher war er das, ebenso wie sie, aber das war doch nichts, was man so sagte… Es klang, als ob es nicht nur irgendein Zustand für ihn war, sondern als ob er sich darüber definierte. Und warum sprach er weiter Latein, wenn sie doch in ihrer Heimatsprache miteinander reden konnten? Verständnislos musterte sie ihn. Weiter ging der Germane – jedenfalls ging sie davon aus, dass er einer war – nicht auf ihre Frage ein, und Siv… nun, Siv wusste im ersten Moment nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Der simple Satz Ich bin Sklave rumorte dennoch in ihrem Kopf. Warum dachte er so, warum sagte er das? Warum sagte irgendjemand das – außer vielleicht die, die als Sklaven geboren waren und nichts anderes kannten? Siv war sich bewusst darüber, dass sie Glück gehabt hatte von Brix in Corvinus’ Auftrag gekauft worden zu sein, aber wie viel Glück tatsächlich, ahnte sie dann doch nicht. Sie war nie gebrochen worden. Und Corvinus hatte sie immer wie ein Mensch behandelt, nie wie eine Sklavin, abgesehen von einigen seltenen Momenten sowie jener Zeit nach ihrem Germanienaufenthalt.


    "Die… ach so, die Hochzeit. Ich war da auch." Siv war drauf und dran zu fragen, was das mit den Namen zu tun hatte, als ihr ein Licht aufging. Vermutlich gehörte er zu der Braut und war ebenso wie sie neu in die Villa Flavia eingezogen. "Ich hoffe, du lernst schnell, also, die Namen. Ist besser. Vor allem wenn es Römer sind." Sie grinste, etwas schief, gedachte der zahlreichen anderen Gelegenheiten, bei denen sie – bewusst oder unbewusst – ins Fettnäpfchen getreten war, und warf der Büste einen schrägen Blick zu. Ihr reichten die Momente, in denen sie bewusst mit dem brach, was von einer Sklavin erwartet wurde, sie musste nicht unbewusst etwas anstellen, aber leider passierte ihr das auch gelegentlich. "Ja… ich glaube auch." Einen Moment schwieg sie, dann konnte sie nicht anders. "Hör mal…" Nun sprach sie Germanisch. Sie hatte sich gerade sowieso seltsam gefühlt, mit einem anderen Germanen Latein zu sprechen, wenn sie alleine waren, mit Brix oder Nuala tat sie das auch nicht – aber er hatte Latein gesprochen, und sie hatte sich, eher unbewusst, ihm angepasst. Jetzt aber brachte sie das Thema von gerade eben wieder zur Sprache, es ging ihr schlicht nicht aus dem Kopf, sie konnte das nicht auf sich beruhen lassen. Und Germanisch erschien… passend. "Wieso sagst du, du bist Sklave? Das ist keine Antwort. Das ist keine Herkunft. Das ist…" Siv gestikulierte und hätte beinahe erneut die Büste getroffen, streifte sie sogar, allerdings wackelte sie diesmal nur kurz und verlor nicht den Halt – dafür rutschte eine der Schriftrollen wieder herunter und landete zum zweiten Mal auf dem Boden. Diesmal war Siv schneller, bückte sich danach und hob sie wieder auf, bevor sie Nordwin erneut musterte. "Warum sagst du so was?"

    Siv sah es kommen. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, leider nicht nur die Zeit, sondern sie mit ihr. Ihr Arm streckte sich aus, ihre Finger griffen nach der Büste, aber sie sah es, sie wusste es, sie würde sie nicht rechtzeitig erreichen, würde sie nicht halten können – und genau in dem Moment, in dem die Büste endgültig ihren Halt verlor und zu fallen drohte, schnellte die Zeit wieder zurück zu ihrem normalen Ablauf. Und eine andere Hand tauchte auf und hielt die Büste vom Fallen ab. Siv konnte sich gerade noch bremsen, bevor ihre Finger besagten Gegenstand berühren – und erneut ins Wackeln bringen konnten. Stattdessen wanderte ihr Blick die Hand entlang zu dem dazugehörigen Körper, hinauf ins Gesicht, und sie sah einen blonden Mann, älter als sie, der in eben diesem Augenblick sie ebenso musterte wie sie ihn. "Was?", murmelte sie zunächst, etwas verwirrt und immer noch etwas erschrocken über die Beinahe-Katastrophe – wer wusste schon, wen diese Büste darstellte oder wie alt sie war, und was die Flavier als Schadenersatz verlangt hätten. Eine Tunika war recht leicht zu ersetzen, das hundert Jahre alte Abbild irgendeines Vorfahren weit weniger. Es dauerte einen Moment, bis sie den Schreck verdaut hatte, hatten in ihrem Kopf doch bereits diverse Szenarien begonnen, ihren Ablauf zu nehmen, was ihr blühen konnte, sollte die Büste zu Bruch gehen.


    Der Mann sammelte indessen sammelte die Sachen auf, die tatsächlich gefallen waren, drückte sie ihr wieder in die Hand und redete gleich darauf weiter, stellte sich vor, und die Nennung seines Namens bewirkte bei Siv, dass die Büste, ihr Fall und ihre Rettung in den Hintergrund trat. Nordwin? Blond waren nicht nur Germanen, Caelyn war der beste Beweis dafür, aber der Name ließ den Schluss zu, dass er Germane war. "Du bist Germane?" platzte sie heraus, aber Nordwin war noch nicht fertig, und dem was dann kam, konnte Siv nicht ganz folgen. Oh, sie verstand die Worte, durchaus, aber sie begriff den Sinn nicht ganz. Sie war zwar auf der Hochzeit vor wenigen Tagen gewesen, aber sie wusste ja nicht, dass Nordwin Epicharis gehörte, dass er neu hierher gekommen war – ebenso wenig wie er wusste, dass sie gar nicht zu diesem Haushalt gehörte. Was Siv in diesem Augenblick nicht auffiel. "Äh. Siv." Wie von selbst streckte sich auch ihre Hand aus und nahm die seine. "Äh. Danke. Für festhalten. Und was meinst du? Wieso du kriegst hundert Namen gesagt?"

    Ein Herbsttag, wie er im Buche stand. Draußen herrschte strahlender Sonnenschein, ließ leuchtend bunt gefärbte Blätter erstrahlen, fiel hin und wieder auf eine Wasseroberfläche, die die Strahlen glitzernd und funkelnd brach und zurückwarf. In der Villa Flavia bekam man nicht so viel von dem Wetter mit – die Sonne schien durch die ihr zugewandten Fenster, aber das Leben ging seinen Gang, ungeachtet der Schönheit, in die die Welt draußen getaucht war. Die blonde Sklavin, die durch einen der Gänge ging – für sich sicherlich kein seltener Anblick in diesem Haus – war sich allerdings nur zu bewusst über das Wetter. Und sie freute sich darauf, hinauszukommen, an die frische Luft. Auch wenn das, was gerade hinter ihr lag, ihr ebenfalls gefiel.


    In den letzten Wochen hatte Siv die flavische Villa recht gut kennen gelernt, jedenfalls was den Weg vom Seiteneingang bis zu dem Raum betraf, in dem sie zusammen mit den anderen Unterricht bekam. Für gewöhnlich einmal in der Woche trafen sie sich, und sie genoss es, zu lernen – auch wenn sie in der letzten Zeit weniger Fortschritte machte, sondern irgendwie… nun ja, fest hing. Was sie störte, aber sie wusste auch nicht, was sie dagegen tun sollte, und weder Kleochares noch Cassim hatten ihr bis jetzt helfen können. Aber immerhin, ihr Latein war wesentlich besser geworden, und auch Lesen konnte sie inzwischen, einigermaßen. Die Germanin verlagerte die Schreibtafel und die beiden darauf gestapelten Schriftrollen, die Hausaufgaben und Lernstoff beinhalteten, von ihrem rechten Arm auf den linken, und ohne dass sie es selbst merkte, strich sie sich über ihren Bauch, der nach wie vor flach war. Sie tat das selten bewusst, dennoch hatte sie sich diese Geste in den letzten Tagen angewöhnt. Im übrigen verdrängte sie nach wie vor jeden Gedanken an ihre Schwangerschaft. Es war zu groß, zu viel – und noch war es nicht sichtbar, nicht spürbar, außer ihrer Übelkeit, die trotz des Mittels, dass der Grieche für sie angemischt hatte, beinahe krankhafte Züge annahm. Wenn das so weiterging, würde man bald etwas sehen können, weil sie derzeit trotz der Schwangerschaft eher ab- denn zunahm, so wenig war sie in der Lage bei sich zu behalten. Aber obwohl sie wusste, woran diese Übelkeit lag, war das doch nichts, was sie zwang, sich damit zu beschäftigen. Und im Moment fühlte sie sich wohler, wenn sie sich auf andere Dinge konzentrierte.


    Siv ging weiter, steuerte den Ausgang an, wurde aber langsamer, als sie an einer Tür vorbeikam, die zum Garten hinausführte. Auch sie hatte inzwischen von dem flavischen Garten gehört mit seinen Rosen, es war beinahe unmöglich, nichts davon zu hören, wenn man häufiger in dieser Villa ein und aus ging. Wie jedes Mal spürte sie Faszination und den Wunsch, sich den Garten endlich einmal ansehen zu können, und wie jedes Mal ging sie weiter, während ihr Blick auf der Tür ruhte. Sie war hier fremd. Sie konnte sich nicht einfach den Garten ansehen. Aber jedes Mal, wenn sie hier vorbeiging, fragte sie sich für einen winzigen Moment, ob sie es nicht doch wagen sollte, wenigstens einen Blick riskieren sollte, einen ganz kurzen nur… und dann war sie vorbei, die Tür entschwand ihrem Blickfeld, und sie verließ die Villa. Jedes Mal. Nur nicht heute. Sie wusste nicht genau, ob sie von vornherein zu weit links gegangen war oder ob sie erst dann nach links gesteuert hatte, als ihr Blick nicht mehr nach vorne sah, sondern zu Tür – in jedem Fall sah sie nicht den Ständer, auf dem eine Büste platziert war. Hätte sie jemand beobachtet, die letzten Male, derjenige hätte sich sicherlich gedacht, dass irgendwann das passieren würde, was jetzt passierte: sie rannte hinein. Ein halb überraschter, halb schmerzhafter Laut kam über Sivs Lippen, während der Ständer zu wackeln begann, ebenso wie die Büste ebenso. Noch ein Laut ertönte, diesmal erschrocken, und Tafel und Schriftrollen landeten auf dem Boden, während Siv hastig ihre Finger nach der Büste ausstreckte, um sie davor zu bewahren zu fallen – und höchstwahrscheinlich zu Bruch zu gehen.


    Sim-Off:

    Reserviert

    Siv reagierte kaum, als Brix sich zu ihr stellte. Sie spürte, dass der Germane sie einen Augenblick lang ansah, aber sie starrte einfach nur weiter auf die gegenüberliegende Wand, und Brix tat es ihr bald gleich. Kein Wort erklang. Kein Muskel rührte sich. Wie zwei Statuen standen die beiden Germanen nebeneinander da, die in Ungnade gefallene Sklavin und der erst vor kurzem beförderte Maiordomus. Vielleicht lag es daran, dass Tilla sie nicht bemerkte, als das Mädchen vorbei huschte.


    Was Siv betraf, sie registrierte die kleine Sklavin ebenso wenig wie diese sie. Brix hingegen bemerkte Tilla durchaus, dachte sich allerdings zunächst nichts weiter dabei, als das Mädchen an ihnen vorbei zu der Tür von Corvinus’ Officium ging. Erst als er bemerkte, dass eben jene Tür sich öffnete, sah der Germane hoch, überrascht, dass die Befragung augenscheinlich so schnell gegangen war – und einen Moment später noch überraschter, als weder Fhionn noch Corvinus im Rahmen erschien. Es dauerte noch einen winzigen Augenblick, bis ihm auffiel, dass Tilla weg war. Erst dann begriff er, dass sie offenbar hinein gegangen war. Kaum war ihm das jedoch klar geworden, stieß er sich von der Wand ab und ging zu der Tür hinüber, öffnete sie erneut und nickte Corvinus kurz zu. "Entschuldige, Dominus." Kurz sah er sich suchend nach Tilla um, entdeckte sie gleich darauf und ging zu ihr hinüber. "Komm mit. Es ist besser, wir warten draußen." Er legte ihr die Hand auf die Schulter und schob sie vor sich her, dorthin, wo Siv immer noch an der Wand gelehnt da stand, ohne sich gerührt zu haben. Auf eine mögliche Gegenwehr Tillas achtete er nicht, sondern schob sie nur unerbittlich weiter, bis sie draußen angekommen waren und er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann erst ließ er sie los. "Warten wir hier", wiederholte er nur, etwas hilflos. Brix wusste nicht so recht, was er sagen sollte, aber er hatte das Gefühl, als Maiordomus musste er das. "Es ist besser so, glaub mir."

    Sim-Off:

    Wegen mir gerne :D


    Noch bevor ihr der Römer eine Antwort geben konnte, hörte Siv eine nur allzu bekannte Stimme hinter sich. Sie hatte nicht mitbekommen, wie Corvinus das Atrium betreten hatte, aber ob sie das, in diesem Moment, davon abgehalten hätte dem Römer so zu antworten, war fraglich. Vielleicht, vielleicht auch nicht. So oder so war es zu spät dafür, und die Germanin schloss für einen winzigen Moment die Augen, als sie die Zurechtweisung hörte. Er musste nicht energisch klingen, sie wusste auch so, dass sie, wie schon so oft zuvor, zu weit gegangen war. Sie hoffte nur ihm war klar, dass sie sich bemühte – sie hatte sich auch dieses Mal bemüht, und sie hatte, wie sie fand, sich erstaunlich gut im Griff gehabt. Sie war nicht laut geworden, sie hatte nicht den Claudier im Speziellen beleidigt, sie hatte nicht irgendwelche Gegenstände auf den Boden befördert und der Wein war auch noch da, wo er sein sollte, nämlich in seiner Kanne respektive in dem Becher des Claudiers. Trotzdem wusste sie, dass Corvinus ihr Verhalten missbilligte. Er entließ sie, deutlicher hätte er nicht werden können in diesem Moment, immerhin war der andere Römer anwesend und bekam alles mit. Einen Moment lang war sie versucht, sich zu rechtfertigen, darauf hinzuweisen, dass sie ja keinen bestimmten Römer gemeint hatte, dass es solche Menschen überall gebe, und noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte sie das auch getan, aber sie lernte dazu, und so biss sie sich kurz auf die Unterlippe und nickte dann. "Entschuldigung", murmelte sie sogar, und auch wenn es nicht wirklich überzeugend klang, war das etwas, das bis vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Ruckartig wandte sie sich daraufhin ab und ging zu dem kleinen Tisch und schenkte für Corvinus das Gewünschte ein. Als sie ihm dann den Becher reichte, war in ihren Augen neben der Empörung über die Worte des Claudiers auch zu lesen, dass es ihr tatsächlich leid tat – nicht was sie gesagt hatte, aber dass sie sich nicht im Griff gehabt hatte. Danach, ohne noch ein Wort zu sagen, drehte sie sich um und verschwand.

    "Sie ist Göttin", antwortete Siv, und ihrem Tonfall konnte man eine, wenn auch minimale, herablassende Färbung entnehmen. Dass Siv keine der Hauptgöttinnen war, dass sie sonst niemals diesen Namen bekommen hätte, verschwieg sie großzügig. Sollte er doch denken, sie trüge den Namen einer wichtigen Göttin, vielleicht flößte ihm das etwas Respekt ein, auch wenn sie das bezweifelte. Dann runzelte sie leicht die Stirn. Thor, ein Abbild des Iuppiter? "Thor ist Thor. Keine Gestalt von römischer Gott." Jetzt schwang Verachtung in ihrer Stimme mit. Die germanischen Götter waren keine Abbilder, keine Entsprechungen, auch wenn sie wusste, dass viele Römer das gerne von sämtlichen fremden Göttern dachten. Und bei den griechischen mochte das vielleicht sogar stimmen, waren sich die Griechen und Römer in ihren Augen doch recht ähnlich – aber auf ihre Götter traf das gewiss nicht zu. Und gleich darauf verfinsterte sich ihre Miene tatsächlich. Barbaren, sagte er. Sie wusste, dass das einem Schimpfwort gleichkam. Und sie hörte auch den Unterton heraus, der mitschwang, der sich über sie lustig zu machen schien. "Ihr Römer auch", entgegnete sie, nur mühsam den bissigen Tonfall unterdrückend, und nicht sicher, ob ihr das tatsächlich zur Gänze gelang, während sie die Finger ihrer linken Hand, halb verborgen von den Falten der Tunika, in die Handinnenfläche grub. "Und wer Barbaren sind, das ist Meinung. Barbar kann auch Toga tragen."

    Siv blieb zurückhaltend, wusste nicht so recht, was sie von dem Römer halten sollte, bemühte sich, sich nach außen hin angemessen zu benehmen, was er ihr derzeit zugegeben einfach machte, blieb insgeheim jedoch misstrauisch. Der Claudier schien sich unterhalten zu wollen, während er wartete, jedenfalls fragte er nach ihrem Namen, bevor er an dem Wein nippte. Allerdings war Siv nach wie vor überzeugt davon, dass er in ihr nicht mehr sah als nur eine Sklavin, ein Ding, der Besitz eines anderen Römers. Wäre es nicht so, hätte er ihr wenigstens seinen Namen genannt. Aber Siv wusste, was von ihr erwartet wurde in Situationen wie diesen, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, die brave Sklavin zu geben. Sich unterzuordnen. Sie konnte sich noch so sehr einreden, dass sie nur so tat, aber faktisch war es so. Insgeheim beschloss sie, bei Leones nächstem Rufen nicht mehr zu reagieren, aber nun war sie hier. " Thors Braut", antwortete sie, nicht ohne eine gewisse Genugtuung. "Siv ist der Name, von ihr. Thor ist Donnergott", fügte sie noch als Erklärung hinzu. So gebildet die Römer häufig waren, auf die sie traf, sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die wenigsten sich für germanische Götter interessierten – oder generell für etwas, was sie als schlechter einstuften.

    Als Siv dem Claudier den Becher reichte, besah sie ihn sich zum ersten Mal seit ihrem zweiten Betreten des Atriums genauer, und sie musste feststellen, dass sich der Ausdruck auf seinem Gesicht geändert hatte. Er schien nicht mehr ganz so arrogant zu wirken, und in jedem Fall war jener Blick verschwunden, der nur allzu deutlich gewesen war, für ihr Empfinden zumindest. Dennoch war sie nicht so schnell gewillt, sich auf die neue Freundlichkeit einzulassen. Sie hatte nach wie vor ihre Vorurteile gegenüber Römer, auch wenn sie ihre Antipathie größtenteils abgebaut hatte. Begegnete ihr jedoch einer, der sich auf die in ihren Augen so typische Art für Römer verhielt, dann empfand sie wieder, wie sie früher empfunden hatte – und war es erst einmal so weit gekommen, dann dauerte es, bis sie es überwunden hatte. So reagierte Siv auf das freundliche Lächeln sehr reserviert. Sie reichte ihm den Becher und zog ihre Hand zurück, konnte allerdings nicht verhindern, dass ihre Finger sich kurz berührten, bevor sie einen Schritt zurücktrat. "Ich heiße Siv", antwortete sie, während sie ihn musterte und wartete, bis er an dem Gemisch genippt hatte. "Gut so?" Andernfalls konnte sie sowohl Wein als auch Wasser noch nachschenken.

    Siv grübelte einige weitere Augenblicke darüber nach, ob Brix sich tatsächlich die Freiheit genommen hatte, ihr von einer Botschaft zu erzählen, die gar nicht überbracht werden musste – nur damit sie Gelegenheit bekam sich zu beweisen. Wenn es so war, dann war der Germane im Grunde ein noch größeres Risiko eingegangen als sowieso schon, indem er dafür gesorgt hatte, dass sie zu der Claudia geschickt wurde. Wenn sie es vermasselte… aber das würde sie nicht. Von einem Augenblick auf den anderen gönnte sie nicht einmal ihrem neuerkorenen Lieblingsfeind, dem Leibwächter, noch einen Blick. Oh nein. Darauf würde sie sich nicht einlassen, sie würde sich nicht auf einen Streit mit dem Kerl einlassen, nicht einmal einen wortlosen, mit Blicken ausgetragenen, und sich am Ende doch noch zu irgendetwas unsäglich Dummem hinreißen lassen, nur weil der Leibwächter sie dazu provozierte. Sie linste zu ihm herüber, aber er schien das entweder nicht zu bemerken oder er reagierte nicht darauf. Siv war sich recht sicher, dass er einfach nicht reagierte – um sie zu provozieren. Aber so weit würde sie es nicht kommen lassen, also konzentrierte sie sich, nach einem weiteren Seitenblick – der sie davon überzeugte, dass der Leibwächter das mit Absicht tat – wieder auf Epicharis, die sie in diesem Moment mehr oder weniger auf ihre Hochzeit einlud. Das ließ Siv sämtliche Gedanken über den claudischen Leibwächter vergessen. Verblüfft sah sie Epicharis an, bevor sich ein leichtes Lächeln auf ihre Züge legte. In diesem Moment dachte sie gar nicht daran, dass es im Moment eher unwahrscheinlich war, dass Corvinus ausgerechnet sie mitnehmen würde. Noch hatte sich zwischen ihnen nichts geändert, und sie ahnte nicht, was sich in den nächsten Tagen in der Villa Aurelia abspielen würde. Aber in diesem Moment freute Siv sich nur darüber, dass die Römerin sie eingeladen hatte. "Ja, er isd mein Hea. Und ih genne auch Minna unnd Fiona." Die beiden claudischen Sklavinnen waren ihr noch gut in Erinnerung, noch besser von ihrem Julfest als von der Saturnalienfeier bei den Flaviern. "Vieln Dangg."

    Siv erstarrte für einen Moment, als sie das Grinsen des Römers sah. Es war ein Grinsen von der Art, das sie ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. Ihre Brauen zogen sich leicht zusammen, und als der Claudier sie dann mit einem Blick musterte, der für Augenblicke nicht anders als anzüglich genannt werden konnte, verfinsterte sich der ihre. Ihre Zähne pressten sich aufeinander, so fest, dass ihre Wangenmuskeln sich anspannten. Während sie seinen Blick erwiderte mit ihren blauen Augen, die zusehends stürmischer zu werden schienen, entwickelten sich in ihren Gedanken verschiedene Szenarien, wie sie ihm sein Grinsen, seinen Blick und die damit verbundenen Gedanken heimzahlen konnte – gleichzeitig wohlwissend, dass sie nichts davon würde umsetzen können. Nicht so sehr deswegen, weil es ihr Ärger bescheren konnte, damit kam sie klar, vor allem wenn es sich in ihren Augen lohnte – sondern weil es in letzter Konsequenz Ärger für Corvinus bedeutete. Sie hatte nicht den Artorier vergessen, dem sie beim Fest der Fortuna den Wein übergeschüttet hatte, und der anschließend hier aufgelaufen war, um Ersatz zu fordern.


    Also riss sie sich zusammen, bemühte sich um ein Lächeln, das dennoch reichlich kühl ausfiel und nicht ihre Augen erreichte, die nach wie vor widerspiegelten, was sie von dem Römer hielt, obwohl der inzwischen eine neutrale Miene angenommen hatte. "Verdünnten Wein", widerholte sie, und für einen Augenblick blitzten ihre Augen auf, als sie erneut an den Artorier denken musste. Trotz allem hatte es sich gelohnt, diesem Kerl den Becher Wein ins Gesicht zu schütten. Sie war überzeugt, dass er es verdient hatte. "In Ordnung." Siv wandte sich um und verließ das Atrium, machte sich auf den Weg in die Küche und stellte mit flinken Griffen einen Krug Wein sowie einen Krug Wasser bereit, darüber hinaus zwei Becher – immerhin wollte der Römer etwas, also würde noch einer der Aurelier in absehbarer Zeit dazu kommen – und machte sich wieder auf den Rückweg. Kurz war sie in Versuchung, den Römer etwas warten zu lassen, aber ihre Vernunft siegte dann doch, und so war sie kurze Zeit später wieder im Atrium, stellte das Tablett auf einem Tisch in der Nähe des Claudiers ab, goss etwas Wein in einen Becher, füllte den Rest mit Wasser auf und überbrückte dann die letzten Schritte zu ihm, um ihm den Becher zu reichen. "Hier, bitte."