Sivs Augen wurden noch trauriger, als Fhionn ihr versicherte, dass es ihr nicht leid tun müsse. Aber Siv wusste es besser. Sie hätte etwas sagen müssen, das war ihr nun klar – aber wer hätte schon ahnen können, dass Fhionn zu einer derartigen Bluttat getrieben werden könnte. Vielleicht war die Keltin einfach empfindsamer als sie selbst, sie wusste es nicht. Aber wo sie anfangs noch geglaubt hatte, dass Matho möglicherweise das Recht hatte, die ihm untergebenen Sklaven so zu behandeln, wusste sie inzwischen, dass dem nicht so war – aber es war einfach zu viel der Mühe gewesen, sich über ihn zu beschweren. Und mit ihm leben hätte sie dann trotzdem müssen. Es war einfacher, zu tun was er einem auftrug und ihm im Übrigen so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Siv schwieg jedoch. Nichts davon hätte Fhionn im Moment helfen können, hätte dafür sorgen können, dass sie leichter verarbeiten konnte, was geschehen war, was sie getan hatte. Höchstens ihre Situation mochte es noch ändern, aber dann musste sie mit einem anderem reden, musste einen anderen endlich darüber aufklären, welche Saiten sein Maiordomus aufzog, wenn er nicht dabei war. Corvinus, wisperte eine leise Stimme tief in ihrem Inneren, und allein der gedankliche Klang des Namens weckte in Sehnsucht und Verwirrung zugleich. Sie würde mit Corvinus reden müssen, aber wie sollte sie das, wenn er ihr nicht einmal lange genug zuhörte, um ein Entschuldigung wahrzunehmen, das von ihren Lippen kam? Geschweige denn eine Erklärung, was sie getrieben hatte? Wieso sollte er ihr dann ausgerechnet jetzt zuhören?
Mitten in diese Grübeleien hinein stellte Fhionn unvermittelt die nächste Frage, und Sivs Kopf ruckte hoch. Standen ihr ihre Gedanken schon so deutlich auf der Stirn geschrieben? Nein, das konnte es nicht sein, entschied sie – wohl eher, dass Fhionn sich davon etwas Milde versprach, wenn Corvinus wusste, wie Matho hatte sein können. Aber wieso fragte die Keltin das, sie wusste doch wie jeder andere auch, dass Siv seit ihrem Fluchtversuch eine der niedrigsten Sklavinnen im gesamten Haushalt war. Und dass Corvinus sie seit Wochen mied, kein Wort mit ihr wechselte, wenn sie sich zufällig begegneten… Gerade wollte sie etwas dazu sagen, als Fhionn etwas in ihrer Muttersprache murmelte und beinahe im selben Augenblick die Tür aufging. Siv wandte den Kopf und erblickte Corvinus, mit einem Gesichtsausdruck, der so finster war, wie Siv ihn bisher selten gesehen hatte. Sie schluckte trocken bei dem Gedanken daran, diesen Zorn möglicherweise auf sich zu lenken, wenn sie es wagte Fhionns Partei zu ergreifen. Die Keltin hätte einen anderen Weg wählen sollen, um den Maiordomus in seine Schranken zu weisen oder gar loszuwerden, aber nicht ihn ermorden. Dennoch war die Situation eine völlig andere, konnte die Tat anders gesehen werden, wenn man wusste, wie es dazu überhaupt erst kommen konnte. Dennoch konnte Siv nicht anders, als bei der winzigen, dafür aber umso herrischeren Kinnbewegung Corvinus’ zu gehorchen. Sie richtete sich auf und trat zur Seite, nur um dann mühsam ein Zusammenzucken zu unterdrücken, als Corvinus die Keltin anfuhr.