Zitat
Original von Linos
In der folgenden Nacht kam ich nicht zum Einschlafen. Die ganze Nacht über grübelte ich über unsere, besonders aber über meine Zukunft.
Töricht wie ich gewesen war hatte ich Caelyn in Mogontiacum sofort meine Hilfe angeboten und sie auf ihrer Flucht begleitet.
Ich wollte ihr beistehen und so gut ich konnte beschützen.
Sie hatte nun ihr Kind bekommen, aber wie sollte es mit uns, besonders mit ihr und ihrem Säugling weiter gehen?
Der Winter stand vor der Türe. Obwohl wir großes Glück hatten und nur wenige Regentage über uns ergehen lassen mussten, so wurden die Nächte immer kühler.
Die Wälder färbten sich und wurden lichter, außer Nüssen fanden wir kaum noch Nahrung. Unsere Kleidung war für den Winter vollkommen ungeeignet. Was Caelyn für ihr Kind brauchte wusste ich nicht, aber bestimmt mehr, als sie mit sich führte.
Wie weit es noch bis Augustodunum war wusste ich auch nicht.
Nur die ungefähre Richtung, sonst wusste ich gar nichts.
Hier draußen in der Wildnis auf unserer Wanderung hatte ich schon vieles gelernt. Mein Durchhaltevermögen hatte sich auch enorm gesteigert, doch so wie es jetzt war konnte es nicht weiter gehen. Ich musste endlich eine Entscheidung fällen.
Diese traf ich dann auch nach der ersten frostigen Nacht. Früh Morgens war ich aufgestanden hatte das Feuer wieder entfacht und Wasser erhitz. Dieses warme Wasser schlürfend stand ich nun vor der schlafenden Caelyn. Ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie ihren Säugling in den Armen hielt.
Als sie dann später ihre Augen aufschlug, erzählte ich ihr zu welchem Entschluss ich gekommen war. Ich würde die Alte bitten die Caelyn und ihr Kind bei sich aufzunehmen. Sie wäre bestimmt froh über etwas Gesellschaft und Hilfe. Anschließend wollte ich zurück um eine Ortschaft oder ein Gehöft zu suchen, Dort wollte ich arbeiten, damit wir wenigstens warme Kleider bekamen. Vielleicht konnten wir beide auch dort eine Beschäftigung finden und bis zum Frühling dort bleiben.
Das es schwierig werden würde ahnte ich schon, selbst ich hatte mitbekommen, dass in der Winterzeit nicht so viele Arbeitskräfte gesucht wurden.
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Die Geburt hatte mich fast alle meine Kraft gekostet. Da war es mir egal, wo ich die Nacht verbracht hatte. Das Feuer hatte mich gewärmt und das kleine Etwas in meinem Arm verströmte in mir innere Wärme. Das waren Momente wahren Glücks.
Als der neue Tag anbrach und ich die Augen aufschlug, erblickte ich Linos. Ich war froh, ihn zu sehen. Bestimmt könnten wir in einigen Tagen weiter wandern, dachte ich. Aber seine Worte, die er an mich richtete, klangen ganz anders. Er wollte fort gehen. Ich verstand erst nicht richtig und konnte auch gar nichts dazu entgegnen, vielleicht, weil ich noch so schwach war. Dann ging er. Ein schwaches ich "Linos" schickte ich ihm noch hinterher. Aber das war wahrscheinlich zu leise. Ich schloss meine Augen wieder, als sich Tränen bildeten.
Als Grann kurze Zeit später zu mir kam, um nach mir und dem Kind zu sehen und mich ansprach, öffnete ich die Augen wieder. Linos war fort.
"Wir sollten jetzt in meine Hütte gehen," sagte sie nur und half mir auf. Auf dem Weg dorthin stützte sie mich, denn meine Beine wollten immer wieder einknicken. Dort endlich angekommen, bettete sie mich auf ein Lager.
"Dein Freund hat sich mir nichts, dir nichts einfach aus dem Staub gemacht," sagte sie schließlich, nachdem sie mir einen Kräutersud gemacht hatte. Ich ließ ihre Worte einfach so stehen. Was hätte ich dazu auch sagen können. Jetzt hatte ich nur noch mich und mein Kind. Später erzählte ich ihr, dass ich mich alleine bis nach Augustodunum durchschlagen wollte. Ich erwähnte auch den alten Iustus, der mir und meinem Bruder in der Vergangenheit so oft geholfen hatte. Ich hoffte nur, er würde noch leben.
Ich versuchte etwas zu schlafen. Das Schreien des Säuglings weckte mich bald darauf wieder. Die Kleine hatte Hunger. Ich legte sie an die Brust, die schwer und warm war. Gierig versuchte sie zu saugen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie bekommt nicht genug. Die Alte meinte, ich solle Geduld haben. Ich vertraute ihr, denn wer wenn nicht ihr hätte ich vertrauen können?
So vergingen die ersten Tage mit meinem Kind. Eines Abends fiel ich in einen tiefen Schlaf. Im Traum sah ich Linos, wie er am Morgen gegangen war, dann war da noch Aretas, der die Arme nach mir ausstreckte, mich aber nicht zu fassen bekam. Und schließlich erschien auch noch Sermo, der mich mit wutentbranntem Gesicht jagte. Ich rannte davon, aber ich konnte ihm nicht entkommen. Er packte mich und ich schrie, so laut ich nur konnte. Endlich wachte ich auf. Ich war völlig verschwitzt. Mein ganzer Körper glühte. Ich hatte Schmerzen. Grann war zu mir gekommen und kümmerte sich um mich. Die halbe Nacht versuchte sie gegen das Fieber anzukämpfen. Sie verabreichte mir einen weiteren Kräutersud. Völlig erschöpft versank ich wieder in meine Träume.
Die Alte hatte alle Hände voll zu tun, als dann auch noch das Kind vor Hunger zu schreien begann. Bald erkannte sie, dass die Brust seiner Mutter ganz hart und heiß war. So gab sie dem Kind fürs erste Ziegenmilch zu trinken. Der Mutter machte sie Kräuterumschläge. Sie wusste, dass es nicht gut um sie stand. Als selbst ihr Kräuterwissen zu versagen drohte, rief sie die Götter an, sie mögen doch der jungen Frau beistehen.
Caelyns Weg hinüber in die Welt der Toten vollzog sich langsam. Sie sollte nicht wieder das Bewusstsein erlangen, um ihrem Kind Lebewohl zu sagen. Gehetzt von den Geistern ihres Lebens erreichte sie endlich nach zwei Tagen ihr Ziel. Gleißend helles Licht blendeten zuerst ihre Augen. Dann erkannte sie Luan, der ihr ein schelmisches Lächeln zuwarf. Auch ihre Mutter und den geliebten Großvater sollte sie dort wieder finden. Caelyn war endlich angekommen.
Ob Caelyn mit dem Wissen gestorben war, dass ihre Tochter für immer frei sein würde? Ein war sicher, sie hatte ihr Geheimnis von der geflohenen Sklavin mit ins Grab genommen. Vielleicht hatte Grann so eine Vermutung. Doch sie sprach es nie wirklich aus, was es mit der jungen Frau auf sich gehabt hatte, die einige Tage nach der Geburt ihres Kindes gestorben war.
Nach Caelyns Tod hatte Grann das Kind noch einige Tage bei sich behalten. Doch sie wusste selbst, dass sie zu alt war, um das kleine Mädchen bei sich zu behalten. So brachte sie es einer Frau, die schon seit Jahren versucht hatte, Kinder zu bekommen, aber bisher immer vergeblich gehofft hatte. Grann war sich sicher, dort würde die kleine Caelyn, so hatte sie das Mädchen genannt, die Liebe und Zuneigung finden, die sie brauchte.
In den darauffolgenden Jahren wuchs sie zu einem hübschen Mädchen heran. Nur wer ihre Mutter gekannt hatte, hätte bestätigen können, dass sie die Augen ihrer Mutter geerbt hatte. Und nicht nur das, sie ähnelte in vielen Dingen ihrer leiblichen Mutter.
Ihre Eltern schenkten ihr eine glückliche Kindheit ohne große Entbehrungen. Als sie alt genug war, erzählte ihre Mutter die Geschichte von der Frau, die sie zur Welt gebracht hatte. Jedenfalls das, was sie vor vielen Jahren von der alten Grann erfahren hatte.